Die Kunst am Kessel 24 Sommer 2013 Ohrenbetäubender Lärm dringt aus der alten Schmiede. Drinnen wird ein riesiger kupferner Kessel mit dem Hammer bearbeitet. »Austreiben« heißt dies in der Fachsprache. Und darin ist Johannes Rimmel ein Meister seines Fachs. In seiner alten Schmiede stellt er ganz besondere Handwerkskunst aus Kupfer, Blech und Zinn her. 2013 Sommer 25 D ie passende Werkstatt für seine Tätigkeit fand Johannes Rimmel in Obermaiselstein. Vor einigen Jahren hatte er das Glück, hier eine alte Schmiede anmieten zu können. Das 1883 erbaute Haus gehört der Gemeinde, die in der Absicht die traditionelle Schmiede zu erhalten, diese nach dem Tod von Schmied Anton Klink erwarb. Die Werkstatt hat ihre Authentizität nicht verloren. In einer Ecke lodert das Schmiedefeuer, Wände und Decke sind rußgeschwärzt, alte, ausgetretene Holzbohlen zieren den Fußboden. Zangen, Hämmer und Ambosse sind zu sehen, Setzstöcke, die Richtplatte, ein Schweiß- und Lötgerät, ein Bieg- und Falzgerät, Schablonen, Bleche – findet der gelernte Spengler das passende Werkzeug nicht, erfindet und konstruiert er dieses auch schon mal selber. Einer der letzten seiner Art Seine Spezialität sind bauchige Käskessel, die er aus drei Millimeter dickem Kupferblech treibt. Bei einem alten Kupferschmied im benachbarten Österreich schaute sich Hans Rimmel die Feinheiten der Bearbeitung ab und fand Gefallen an dem Material und der traditionellen Arbeit. »Meine Tätigkeit als Käskesselhersteller ist fast ausgestorben«, erzählt der Bolsterlanger. Hans Rimmel sieht in seiner Arbeit mehr, als nur das Abdecken von Dächern. »Metallen eine Form und Leben zu geben, ist mein Beruf und meine Passion«, sagt er. Das alte Holztor zur Straße steht fast immer offen. Immer wieder stecken Freunde oder interessierte Gäste den Kopf herein, fasziniert von der urigen Werkstatt, wie sie in fast keiner anderen Stadt mehr zu finden ist. Immer zu einem Scherz aufgelegt und ein lausbubenhaftes Glitzern in den Augen, so trifft man den ambitionierten Kunsthandwerker hier an. Ein typisch allgäuerisches Merkmal, den Lodenhut, hat er immer Heute arbeitet der gebürtige Bolsterlanger Johannes Rimmel in der 300 Jahre alten Kupferschmiede in Obermaiselstein als einer der letzten Kupferkesselschmiede in Deutschland. 26 Sommer 2013 Die endgültige Form erhält der Käskessel nach unzähligen Hammerschlägen. auf dem Kopf. »Der erste mit viel Mühe geschmiedete Kessel ähnelte eher einem Nachttopf«, meint Rimmel schmunzelnd, »doch mit jedem Auftrag gelangen die Stücke besser. Man muss sich nur mutig herantrauen.« Das Handwerk des Kesselschmiedens Über 100 Käsekessel finden ihre Verwendung im gesamten Allgäu, z. B. in den Käsereien im Gunzesrieder Tal oder auf der Mittelalpe am Riedbergpass. »Auf der Alp, wo mehrere Kühe sind, besteht immer noch Bedarf an Kupferkesseln. Alle sind von Hand und mit Herz hergestellt.« Die Haltbarkeit der Kessel mit rund 600 Litern Fassungsvermögen beträgt weit über 100 Jahre, was die Nachfrage der Sennereien und Alphütten entsprechend einschränkt. Mittlerweile gibt es industriell hergestellte Kessel und die sind entsprechend preisgünstiger. Mit einem traditionell handgetriebenen Stück haben diese allerdings nichts mehr gemein. Daher erstellt Johannes Rimmel auch Kessel in allen Größen für Dekorationszwecke, als Fondue- oder Kässpatzen- 2013 Sommer gefäß her. Sogar wunderschöne filigrane Figuren entstehen unter seinen Händen: auf Steinen sitzende Engel, die jeden Garten verschönern, sorgfältig ausgestanzte Motive aus der Tier- und Fabelwelt, zierliche Edelweiß oder Enzian, Wetterfahnen mit Hähnen oder Hexen. »Wer dafür Modell gestanden hat, verrate ich nicht«, grinst er. Die Vorlagen für seine künstlerischen Werke malt Rimmel selber. Schablonen zum Anreißen auf Motiven und Entwürfe auf Blech sind zu sehen, lassen etwas von dem Künstler erahnen, der hinter dem Handwerksmeister steckt. Viele der Werkstücke sind alten Allgäuer Motiven nachempfunden, werden aber auch teils für die heutige Zeit neu interpretiert oder komplett nach den Wünschen des Kunden angefertigt. Das Edelweiß ist ein beliebtes Motiv, um das Oberallgäu zu repräsentieren. Früher stellte es einen echten Liebesbeweis für die Angebetete dar, da es nur mit Aufwand in höheren Regionen und oft schwer zugänglichen Plätzen zu beschaffen war. Von der Blechbahn zum Kessel Eine Bahn aus Kupferblech wird gerundet und zunächst zu einem Rohr Der Kupferschmied fertigt die Kupfernieten zum Anbringen der eisernen Kesselgriffe selbst. verschweißt. Mit einem Polierhammer bearbeitet Rimmel die Schweißnaht, bis sie nicht mehr sichtbar ist. Bei über eintausend Grad glüht er den Rohling mit einem Flämmer aus und verdichtet das Blech mit gezielten Hammerschlägen. Auf dem Richttisch wird das fertige Kupferrohr mit dem Treiberhammer vom Rand her bearbeitet. Mit einer sogenannten Sickelmaschine dreht er eine Sickel ein, wodurch eine gleichmäßige Randmarkierung entsteht. Diese Naht hämmert er mit einer Eisenstange nach außen, so bildet sich ein Rand. Ein geformtes Rundeisen, zu einem Ring verschweißt, verleiht diesem Festigkeit. Immer wieder wird das Kupfer ausgeglüht, so verdichtet das Material und der Kessel erhält seine Stabilität. Den gedrehten Rohling treibt Hans Rimmel nun durch unzählige Hammerschläge zur Kesselform aus. Den Boden ergibt ein grob gerundetes Stück Kupferblech, welches in einer Mulde des Hackstockes aus Hartholz schalenförmig bearbeitet wird und schließlich in die Öffnung eingepasst und verschweißt wird. Nach der Fertigstellung ist von der Schweißnaht nichts mehr zu sehen. Die endgültige Form erhält der Kessel nach 27 weiteren zahlreichen Hammerschlägen. Mit Schwefelsäure wird er gereinigt und poliert, wodurch das Kupfer seinen Glanz erhält. Bis ein großer Käskessel fertig ist, muss Johannes Rimmel ungefähr 150 Stunden harte Arbeit einkalkulieren. Zwischendurch genehmigt er sich eine Prise Schnupftabak. »Das putzt richtig durch, wenn man hier stundenlang im Staub steht«, grinst er. Mittlerweile hat auch die Gastronomie die Kreativität und den Ideenreichtum Johannes Rimmels entdeckt. So fertigte er für ein großes Hotel Waschbecken aus Kupfer für die Bäder. Mit eingestanzten Edelweiß sollte somit ein Allgäuer Flair in den Zimmern geschaffen werden. »Kupfer ist beständig und hat seinen eigenen Charakter«. So seien Kunst- wie auch Nutzgegenstände aus Kupfer immer auch ein Ausdruck von Persönlichkeit und Wert. Kunst wohin das Auge reicht Zuhause in Hirtenstein bei Bolsterlang zeigt mir Johannes Rimmel noch mehr seiner Werke. Sein künstlerisches und handwerkliches Talent ist überall im Haus zu finden. Die Sitzfläche eines alten Holzstuhles ziert ein Kupferüberzug mit eingestanzten Alpenblumen, in der aus uralten Holzbalken gebauten Sauna erfolgt der Aufguss – natürlich – aus einem Kupferkessel und der Kamin ist mit Kupferblech eingefasst. Seine neueste Kreation geht vom Kupfer weg zu einem anderen Edelmetall. Aus altem Silberbesteck formt er kunstvolle Halsketten, Ohrringe und Ringe. Diese bekam seine Frau zu ihrem letzten Geburtstag. »Genauso originell wie der Schmuck war die Verpackung,« lacht sie, »in einer alten Schraubenschachtel, eingewickelt in ein Stück Stoff«. Doch wie so oft trügt der äußere Schein. Wer würde hinter einem bodenständigen, tief im Allgäu verwurzelten Handwerker einen Künstler erahnen, der mit dem Schmiedehammer ebenso umgehen kann wie mit filigranster Feinarbeit? Dafür sind künstlerisches Geschick, Ausdauer und Kraft erforderlich. »Aber das ist nun mal meine Leidenschaft«, sagt Johannes Rimmel. Oben: »Metallen eine Form und Leben zu geben ist mein Beruf und meine Passion«, so Johannes Rimmel. Unten: Zum Handwerk gehören Schweißen und Flexen. 28 Text: Susanne Reitberger / Fotos: Jürgen M. Waffenschmidt/ www.allgaeubilder.info f Sommer 2013
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