Ausgabe | 11 20. März 2015 powered by Gesundheitswirtschaft Gesunde Mitarbeiter kennen die eigene Belastungsgrenze Krankschreibungen schaden nicht nur der Belegschaft, sondern haben auch enorme volkswirtschaftliche Auswirkungen Ü so zu einer Eskalation des Problems berarbeitete Mitarbeiter und führen. Der daraus entstehende ausgebrannte Manager travolkswirtschaftliche Schaden ist gen zum Teil selbst Schuld an ihimmens: Mit einer durchschnittrer Misere. Ein hoher Stresslevel lichen Arbeitsunfähigkeit von 15,0 fördert selbstgefährdendes VerhalTagen je Arbeitnehmer gab es im ten, belegt eine Studie. Steigende Jahr 2013 insgesamt 567,7 Millionen Zielvorgaben können nicht nur die Arbeitsunfähigkeitstage, berichGesundheit der Beschäftigten betet die Bundesanstalt für Arbeitseinträchtigen, sondern auch ein für schutz und Arbeitsmedizin (BAUA). den Mitarbeiter selbst schädliches Ausgehend von diesem ArbeitsVerhalten fördern. Krankmeldununfähigkeitsvolumen schätzt die gen oder gar Kündigungen führen BAUA die volkswirtschaftlichen zu einem hohen volkswirtschaftliProduktionsausfälle auf insgesamt chen Schaden. 59 Milliarden Euro. Der Ausfall an Freiheiten am Arbeitsplatz haben auch ihren Preis. Wer sich seine Wer seine persönliche Belastungsgrenze erreicht hat, muss dies offen Bruttowertschöpfung beläuft sich Foto: Wolfgang Pfensig/pixelio.de auf 103 Milliarden Euro. Arbeitszeit selbst einteilen kann, kommunizieren. Volkswirtschaftliche Ausfälle neigt auch dazu, mehr zu arbeiten, im Wirtschaftszweig Öffentliche und privaals ihm gut tut. Damit wächst bei vielen die erscheint krank im Unternehmen. Selbstgefährdendes Verhalten äußert te Dienstleistungen äußern sich in verschieGefahr, dass sie sich gesundheitlich gefährden, ergibt eine Studie des Gesundheitsmo- sich neben dem Verzicht auf Erholung im denen Krankheitsbildern. Krankheiten des nitors von der Bertelsmann Stiftung und der übermäßigen Konsum von scheinbar leis- Muskel-Skelett-Systems und des BindegeBarmer GEK. Demnach legt knapp ein Vier- tungssteigernden Substanzen wie Nikotin webes sind für 21,6 Prozent der Fehltage vertel der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland und Medikamenten oder dadurch, dass Si- antwortlich und führen zu einem Schaden ein Tempo vor, das es langfristig selbst nicht cherheits-, Schutz- und Qualitätsstandards von 4,34 Milliarden Euro. Erkrankungen des Atmungssystems entsprechen 14,5 Prozent durchzuhalten glaubt. 18 Prozent erreichen unterlaufen werden. Das kann dazu führen, dass kranke An- der Fehltage, der Ausfall der Wertschöpfung oft die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, auf Pausen verzichten 23 Prozent. Jeder Achte gestellte gesunde Kollegen anstecken und beträgt 2,9 Milliarden Euro. Psychische und Analyse Krankenkassen könnten Beiträge 2016 drastisch anheben Die Kosten der Krankenkassen sind im vergangenen Jahr um über 10 Milliarden Euro gestiegen. Experten prognostizieren, dass die Kassen ihre Beiträge schon im kommenden Jahr deutlich werden anheben müssen. Wissenschaftler Jürgen Wasem geht davon aus, dass der Beitragssatz um durchschnittlich 0,3 Prozent steigen werde, berichtet die Bild-Zeitung. Die geplanten Reformen der Regierung kosteten die Krankenkassen noch einmal drei Milliarden Euro, so Wasem. Eine Senkung der Beiträge sei daher ausgeschlossen. Seit Beginn des laufenden Jahres dürfen Krankenkassen individuelle Zusatzbeiträge erheben. Derzeit liegt der Beitragssatz bei 14,6 Prozent. Der individuelle Zusatzbeitrag beträgt in der Regel 0,9 Prozent. Beitragssenkungen sind vor dem Hintergrund unrealistisch. „Wenn die Ausgaben weiter anziehen wie bisher und man die Reformkosten einrechnet, ergeben sich Beitragssatzsteigerungen von bis zu 50 Euro pro Monat“, sagte die Grünen-Gesundheitsexpertin Ma- ria Klein-Schmeink der Bild-Zeitung. Die Krankenkassen haben 2014 insgesamt 1,2 Milliarden Euro Verlust gemacht. Im Wettbewerb um Kunden haben zahlreiche Kassen Beiträge an ihre Versicherten in Form von Prämien und freiwilligen Satzungsleistungen zurückgezahlt. Die Reserven betragen jedoch noch knapp 28 Milliarden Euro. Die Liquiditätsreserve im Gesundheitsfonds betrage weitere 12,5 Milliarden Euro, teilte das Bundesgesundheitsministerium zu Beginn des Jahres mit. 1 powered by Ausgabe | 11/15 Verhaltensstörungen machen 13,2 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage aus und verursachen einen Schaden von 2,65 Milliarden Euro (Bruttowertschöpfung). Während viele Angestellte sich nach neuen Herausforderungen sehnen und neue Aufgaben zu schätzen wissen, sind wachsende Anforderungen für andere wiederum ein Problem. Jeder Mitarbeiter kommt irgendwann an eine Grenze der Belastbarkeit. Wichtig ist es, diese Grenze zu erkennen und zu kommunizieren. Vielen fällt das nicht leicht. 42 Prozent der Befragten geben an, dass ihr Arbeitsumfeld durch steigende Leistungs- und Ertragsziele geprägt ist. Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen soll. Dadurch komme es leicht zu einer Überforderung, bilanziert die Studie. Werden die Vorgaben dennoch erfüllt, gelte die übersprungene Messlatte schnell als neuer Standard. Dass er dieser Spirale selbst entrinnen kann, glaubt nur jeder zweite Arbeitnehmer. 51 Prozent der Befragten geben an, keinen oder nur geringen Einfluss auf ihre Arbeitsmenge zu haben; über 40 Prozent sagen das auch über ihre Arbeitsziele. Dabei bleibt es jedem Mitarbeiter überlassen, sich Hilfe im Betrieb zu holen. Unterstützung durch die Kollegen ist der erste Schritt, den man unternehmen kann, um einer Überlastung entgegenzuwirken. Das erfordert zwar Mut, jedoch ist man als Angestellter auf der sicheren Seite, wenn man deutlich um Hilfe bittet und den gesteigerten Arbeitsaufwand verbalisiert. Unter Umständen wissen Mitarbeiter und Vorgesetzte gar nicht, wie sehr zusätzliche Aufgaben Mitarbeiter belasten. Kommunikation ist dabei der erste Schritt zur Lösung. Wenn die Kollegen selbst ausgelastet sind, muss das Management reagieren. Es „kann die Leistungskultur maßgeblich beeinflussen und durch realistische Arbeitsziele ein gesünderes Arbeitsumfeld schaffen“, sagt Brigitte Mohn aus dem Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Dabei ist es für die Personalabteilung hilfreich, von der Belegschaft die Belastung widergespiegelt zu bekommen. Sie kann reagieren und neue Kräfte einstellen oder Prozesse auslagern. Arbeitnehmer, die aufgrund hoher Belastungen ausfallen und aus Scheu nichts sa- 20. März 2015 gen, führen keinerlei Änderungen herbei. Im künftigen Präventionsgesetz der Bundesregierung sind nationale Präventionsziele vorgesehen, die auf die Bedürfnisse in der Arbeitswelt eingehen und vor allem die psychische Gesundheit fördern sollen. Krankheiten sollen vermieden werden, indem ihnen die Grundlage entzogen wird. Doch die neuen Rechtsvorschriften seien im Grunde überflüssig, so Barmer GEK-Vorstand Christoph Straub: „Wir brauchen in Unternehmen eine Kultur, die Gesundheit als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg anerkennt und fördert.“ Dazu gehören regelmäßige, offene, verbindliche und realistische Zielvereinbarungsgespräche. Wenn die vereinbarten Ziele innerhalb der vertraglichen Arbeitszeit erreichbar sind, wird selbstgefährdendes Verhalten reduziert. Aber auch die Beschäftigten selbst könnten zur Entlastung beitragen, betont Gert Kaluza vom GKM-Institut in Marburg. Es sei daher besonders wichtig, dass Arbeitnehmer ein Gefühl für die eigenen Grenzen entwickelten, damit sie ihr Leistungspotenzial auch langfristig optimal ausschöpfen könnten. Kosten Neue Demenz-Prävention spart Pflegekosten im Gesundheitssystem Neue Hoffnung für die Vorbeugung gegen Demenz: Ein gesunder Lebenswandel kann die Krankheit vermutlich hinauszögern D as Risiko, an Demenz zu erkranken, lässt sich durch einen gesunden Lebenswandel senken. Forscher fanden überdies heraus, dass auch Menschen fortgeschrittenen Alters dem Verlust der geistigen Fähigkeiten vorbeugen können. Sie müssen sich gesünder ernähren, sich mehr bewegen und auf ihre kardiovaskulären Risikofaktoren achten. Die Forscher aus Finnland haben an über tausend älteren Menschen mehrere Faktoren untersucht, die, wenn sie nicht ausreichend berücksichtigt werden, zu einer Entstehung von Demenz beitragen können. Zu den Faktoren gehören Bewegung, Ernährung, Herz-Kreislauf-Gesundheit sowie die Förderung der geistigen und körperlichen Fitness. Die Hälfte der Teilnehmer bekam zusätzlich zu Informationsmaterialien eine Förderung in vier Modulen und mehrere Wer sich geistig fit hält, gesund ernährt und viel bewegt, bleibt länger gesund. Foto: Petra Bork/pixelio.de Gruppensitzungen. Sie behandelten die Themen gesunde Ernährung, Stärkung der Muskulatur, Training der geistigen Fähigkeiten und Überwachung der HerzKreislauf-Gesundheit. Die andere Hälfte der Teilnehmer bekam nur Informations- 2 powered by Ausgabe | 11/15 broschüren. Das Ergebnis: In beiden Gruppen verbesserte sich die kognitive Leistung im Laufe der beiden Jahre, allerdings war der Vorteil in der Gruppe mit aktiver Intervention signifikant stärker ausgeprägt, berichtet das Ärzteblatt. Da bereits nach zwei Jahren deutliche Fortschritte zu erkennen waren, lässt sich darauf schließen, dass die Demenz durch eine gesunde Lebensweise deutlich hinausgezögert werden kann. Die durchschnittlichen Kosten von Demenz liegen im leichten Krankheitsstadium bei etwa 15.000 Euro jährlich und steigen bei schwerer Demenz auf rund 42.000 Euro jährlich, teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit. „Bei gleichbleibenden Vorbeugemöglichkeiten und Behandlungsbedingungen wird sich die Zahl der Betroffenen innerhalb der nächsten 30 Jahre voraussichtlich verdoppeln“, sagt Hans-Helmut König vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wenn es gelingt, die neuen Forschungsergebnisse in eine funktionierende vorbeugende Therapie umzuwandeln, könnte das dem Gesundheitssystem viele Ausgaben sparen. Der demografische Wandel wird dazu führen, dass die Behandlung von Demenzpatienten immer seltener von den Familien getragen werden kann. Das macht neue Strukturen für die Pflege von Demenzpatienten dringend erforderlich. Die Diagnose von Demenzen in Deutschland ist mangelhaft. Nur wenn eine Demenz und ihre Ursache früh erkannt werden, kann optimal behandelt werden. Zum Beispiel wird eine zerebrale Bildgebung in zeitlicher Nähe zur Diagnosestellung nur bei 30 Prozent der Betroffenen durchgeführt, obwohl sie für die Diagnose einer Demenz vonnöten ist. Eine weitergehende Beurteilung der Bilddaten im Hinblick auf typische Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung findet praktisch nicht statt, obwohl diese mittlerweile flächendeckend zur Verfügung steht und in 20. März 2015 internationalen Leitlinien gefordert wird. Das hat Konsequenzen: In Deutschland ist der Anteil an unspezifischen Demenzdiagnosen enorm hoch. Eine Bestimmung der Ursache einer Demenz ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Erkennung heilbarer Mängel, wie zum Beispiel Depressionen oder Vitamin-B12Unterversorgung. Bei etwa 60 Prozent der Patienten wird eine Demenz im hausärztlichen Umfeld gar nicht erst erkannt. „Eine Früherkennung der AlzheimerErkrankung ist für viele Menschen wichtig, um sich auf ihre persönliche Zukunft einstellen zu können und ihre Lebensplanung entsprechend auszurichten“, betont Frank Jessen, Hauptautor der S3-Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Demenz. „Außerdem kann durch Veränderungen des Lebensstils, zum Beispiel durch vermehrte körperliche und geistige Aktivität und Umstellung der Ernährung, möglicherweise ein Fortschreiten der Erkrankung verzögert werden, wenn man sie früh genug entdeckt.“ Gesellschaft Zu viel Internet macht Jugendliche einsam Jugendliche, die mehr als sechs Stunden online sind, können schlechter soziale Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen I soliert, unkommunikativ oder gereizt – laut einer aktuellen Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz beeinflusst intensiver Konsum von Onlinespielen und -sexangeboten die Bindungsfähigkeit von Jugendlichen. Sind sie über sechs Stunden täglich online, egal ob über Mobiltelefon oder Computer, fällt es Jugendlichen schwerer, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen. Viele Eltern machen sich Sorgen, dass ihr Kind in einem Teufelskreis aus Internetsucht und Einsamkeit landet. Dabei muss unterschieden werden zwischen wirklicher Internetsucht und Online-Kommunikation, die tatsächlich auch soziale Kontakte schaffen kann. Nur weil Jugendliche allein im abgedunkelten Zimmer hocken, Tag und Nacht vor dem Computer sitzen und nie Besuch bekommen, heißt das nicht, dass sie nicht mit anderen Menschen kommunizieren. Soziale Netzwerke wie Facebook sind eine beliebte Kommunikationsplattform. Auch das umstrittene Online-Spiel World of Warcraft kann mit mehreren Spielern im Team gespielt werden. Bei den Fans entstehen unter Umständen Gemeinschaften, die auch in Treffen außerhalb der virtuellen Welt münden können. Ein Forscherteam um Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin der Universitätsmedizin Mainz, untersucht derzeit die Frage, ob echte Beziehungen zwischen sozialen Netzwerken wie Facebook und Onlinespielen wie World of Warcraft verloren gehen. Dazu befragten sie rund 2.400 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren in Rheinland-Pfalz. „Jugendliche, die häufig Angebote von Onlinespielen und -Sexportalen nutzen, haben eine schlechtere Bindung zu ihren Freunden. Das heißt, sie kommunizieren weniger, vertrauen ihren Freunden nicht so sehr und fühlen sich von anderen stärker entfremdet. All diese Faktoren begünstigen letztlich die soziale Ausgrenzung“, sagt Beutel. Digitale soziale Netzwerke seien hingegen förderlich für die Beziehung und Bindung zu Gleichaltrigen. Allerdings könnten sie zu einem suchtartigen Gebrauch führen, welcher wiederum die Bindung zu Gleichaltrigen negativ beeinflusst. 3,4 Prozent der befragten Jugendlichen nutzen das Internet suchtartig. Das bedeutet: Sie sind mehr als sechs Stunden täglich online, haben keine Kontrolle mehr über Onlinezeiten, geben ihre Interessen auf und erleiden schädliche persönliche, familiäre oder schulische Konsequenzen aufgrund der vielen Zeit vor dem Computer oder am Handy. 13,8 Prozent zeigen zwar keinen suchtartigen, aber dennoch einen exzessiven und „ausufernden“ Gebrauch. Mädchen und Jungen sind davon gleichermaßen betroffen. 3 powered by Ausgabe | 11/15 Im Hinblick darauf, mit welchen Inhalten sie sich online beschäftigen, un- Recherche und zum Online-Shopping, Jungen verbringen mehr Zeit mit On- Jugendliche kommunizieren auch über Online-Games wie zum Beispiel World of Warcraft. Foto: Flickr/Jeremy Keith/CC BY 2.0 terschieden sich Mädchen und Jungen allerdings: Mädchen nutzen das Internet häufiger für den sozialen Austausch, zur linespielen. Manfred Beutel, der in seiner Klinik in der Ambulanz für Spielsucht auch betroffene Jugendliche und Eltern 20. März 2015 behandelt, stellt zudem fest: „Sozial unsichere oder gehemmte Jugendliche wenden sich eher Online-Aktivitäten zu, die weniger Kontakt und Austausch erfordern.“ Seine Empfehlung lautet deswegen: „Eltern und Lehrer haben die Aufgabe, Jugendliche sowohl in der Entwicklung ihrer Mediennutzung zu begleiten als auch ihren sozialen Umgang zu beachten.“ In Dänemark läuft derzeit eine Debatte, ob Pornografie im Unterricht gezeigt werden soll. Ein Wissenschaftler befürwortet dies. Durch das Abspielen von Pornografie in der Schule soll Jugendlichen der Umgang mit Sexualität in Zeiten des Internets beigebracht werden. Am Beispiel einer Diskussion im Klassenraum über die Funktionsweise der Porno-Industrie könnten die Jugendlichen zu „bewussten und kritischen Konsumenten“ erzogen werden, berichtet die britische Tageszeitung The Guardian. Viele Heranwachsende hätten das Problem, nicht zwischen Pornographie und der Realität sexueller Beziehungen unterscheiden zu können, so das Argument von Christian Graugaard von der Aalborg University. Forschung Forscher speichern menschliche Organe auf Computerchips Die Kombination von menschlichen Organzellen auf Mikrochips erlaubt es Forschern, neue Medikamente an Organen zu testen E in Team der Technischen Universität Berlin entwickelt derzeit „Mensch auf dem Chip“-Plattformen, Organstrukturen im Mikromaßstab, die auf einem Chip Platz haben und auf Wirkstoffe wie echte Organe reagieren. So könnten eines Tages Tierversuche ersetzt werden. 11,4 Millionen Tiere wurden laut EUStatistik im Jahr 2011 in Forschung und Entwicklung eingesetzt, die meisten davon für Testungen. Doch nach wie vor bleibt die Aussagekraft von Tests am Tier für die Wirkung auf den Menschen begrenzt. Viele teure Experimente werden daher wieder abgebrochen. „Wir hoffen, dass wir Versuche an mehreren Millionen Tieren jährlich allein in Deutschland überflüssig machen – und gleichzeitig die Entwicklungskosten von neuen Medikamenten, Kosmetika und Chemikalien erheblich senken können“, sagt Uwe Marx, Wissenschaftler aus dem Berliner Team und Geschäftsführer der TissUse GmbH. Marx erhielt den Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für seinen „ZweiOrgane-Chip“. Der Chip ist eine zukunftsweisende Alternative zu Tierversuchen und nachfolgenden Tests an menschlichen Probanden. Roland Lauster und sein Team vom TU-Fachgebiet Medizinische Biotechnologie haben sich darauf spezialisiert, menschliche Organe und Organsysteme über lange Zeiten im Mikromaß- stab zu züchten. Dafür nutzen sie nur wenige lebende Zellen, zum Beispiel aus Leber, Gehirn, Haut, Niere oder Darm, die in organtypischer dreidimensionaler Anordnung jeweils die komplette Funktion des Organs in kleinerem Maßstab abbilden und simulieren. Marx ist bislang der Einsatz eines Zwei-Organe-Chips für mehrere unterschiedliche Langzeittestverfahren für Substanzen gelungen, die zur Anwendung am Menschen vorgesehen sind. Die organähnlichen Gewebestrukturen auf dem Chip sind miteinander durch blutgefäßähnliche Mikrokanäle verbunden. „Das Ziel ist es, einen Mini-Organismus mit allen lebenswichtigen Organen abzubilden. Doch das ist noch Zukunfts- 4 powered by Ausgabe | 11/15 musik“, erklärt Uwe Marx. Aber auch mit dem Entwicklungsstand von heute können die Forscher bereits Tierversuche in großem Umfang ersetzen. „Die Mikroorgane im Chip liefern uns Ergebnisse, die die natürliche Reaktion menschlicher Organe zum Beispiel auf Nebenwirkungen von Medikamenten, Kosmetika, Chemikalien oder anderen Produkten in einzigartiger Weise, verlässlich vorhersagbar machen, sodass derartige Produkte gar nicht erst vorklinisch am Tier getestet werden müssen.“ Auch die nachfolgenden klinischen Tests an menschlichen Probanden könnten vielfach entfallen. Animalische Organismen reagierten durchaus anders als menschliche. Durchschnittlich fielen immer noch neun von zehn Kandidaten für Medikamente, die die Sicherheits- und Wirksamkeitstestungen im Tier bestanden haben, dann in der klinischen Testung am Menschen durch. Es seien diese vielen Ausfälle, die zu hohen Entwicklungskosten führten. „Wir können mit unserem Chip also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“, betont Marx. „Wir reduzieren das Leid von Abermillionen Tieren sowie die Anzahl der Versuchspersonen in klinischen Studien bei gleichzeitig sinkenden Entwicklungskosten.“ Um das Produkt erfolgreich zu vermarkten, haben die Wissenschaftler bereits im Jahr 2010 die „TissUse GmbH“ als Spin-off der TU Berlin gegründet. „Die Entwicklung wurde durch eine Förderung aus dem ‚GO-Bio-Wettbewerb‘ des Bundesministeriums für Bildung 20. März 2015 TU-Wissenschaftler Uwe Marx mit dem Multi-Organ-Chip. Er arbeitet daran, einen kompletten menschlichen Organismus auf einem Mikrochip abzubilden. Foto: © TU Berlin/PR/Phillipp Arnoldt und Forschung möglich, mit dem gründungsbereite Forscherteams in den Lebenswissenschaften unterstützt werden. Mit den ersten Produkten gehen wir nun aktiv in die Kommerzialisierungsphase“, erklärt Uwe Marx. Weltweit suchen Forscher nach Möglichkeiten, menschliche Organe mit Computerchips zu verbinden. Ein Forscherteam von der University of Berkeley hat ein funktionsfähiges Netzwerk aus pulsierenden Herzmuskelzellen auf einem kleinen Silikon-Chip entwickelt. Mit diesem Hightech-Organ könnten zukünftig sehr viel effektiver Tests von Medikamenten durchgeführt werden, denn Tierversuche sind nicht nur ethisch umstritten, sondern oft auch medizinisch ungenau. „Unser Chip ist nicht einfach nur ein simpler Nachbau von Zellen. Wir haben dieses komplexe System so designt, dass es absolut dynamisch ist. Es kopiert exakt, wie Gewebe in unseren Körpern verschiedenen Medikamenten- und Nährstoffen ausgesetzt ist“, erklärt Studienautor Anurag Mathur. Gerade einmal 24 Stunden nach der Installation der Herzzellen begannen diese, von alleine zu schlagen. Das Tempo lag dabei in einer völlig normalen Rate zwischen 55 und 80 Schlägen pro Minute. Medizintechnik 3D-Drucker kann Knochen mit Blutgefäßen herstellen Forscher arbeiten am dreidimensionalen Druck von menschlichen Knochen, die eigene Blutgefäße enthalten K nochen mit eigenen Blutgefäßen könnten künftig mit dem 3D-Drucker hergestellt werden. Freiburger Wissenschaftler entwickeln dazu ein Druckverfahren, das aus Zellen von Knochen und Blutgefäßen funktionsfähige Knochen erzeugt. Die Gefäßzellen sollen die Durchblutung des Gewebes verbessern, indem sie eine Verbindung zum Blutkreislauf des Patienten herstellen. Sollte sich das Verfahren bewähren, könnten damit auch größere Kunstgewebe gedruckt werden, bis hin zu ganzen Organen. Für die Entwicklung dieser 3D-Druck-Methode erhalten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine dreijährige Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Höhe von 460.000 Euro. „Bei der Entwicklung von künstli- chem Knochengewebe ist die Frage der Blutversorgung noch immer weitgehend ungelöst. Dadurch ist sowohl die Größe als auch der Typ des Gewebes stark beschränkt“, sagt Günter Finkenzeller, Forschungs-Sektionsleiter an der Klinik für Plastische und Handchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er leitet das Projekt gemeinsam mit Peter Koltay, der als leitender wissen- 5 powered by Ausgabe | 11/15 Die Herstellung von Knochen mit Blutgefäßen gilt als erster Schritt für die Herstellung komplexer Organe wie Nieren oder Lebern. Foto: Flickr/bixentro/CC BY 2.0 schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg tätig ist. Bekannt ist, dass sich die Blutversorgung eines künstlich erzeugten Gewebes durch sogenannte Endothelzellen verbessern lässt. Diese Zellen kleiden die Gefäße aus und können auch selbst neue bilden. Doch bisher stirbt ein Großteil der Knochenzellen aufgrund von Sauerstoffmangel, bevor die Zellen Gefäße gebildet haben. „Unser Ansatz sieht vor, dass wir die Endothelzellen genauso wie die Knochenzellen per 3D-Druck im Gewebe an die Stelle platzieren, wo sich die Gefäße ausbilden sollen“, sagt Finkenzeller. „Die Gefäße des künstlichen Gewebes könnten dann zeitnah nach der Operation mit den Gefäßen des umgebenden gesunden Gewebes zusammenwachsen und so die Blutversorgung des Kunstgewebes sicherstellen“, erläutert der Wissenschaftler weiter. Mit Spezialdruckern ist es bereits heute möglich, kleine und relativ einfach strukturierte Gewebeeinheiten zu dru- cken. Dafür werden dem Körper Zellen entnommen, in einer Nährlösung vermehrt und mit einem 3D-Drucker in eine Trägermatrix eingebracht. Diese wird dann implantiert. „Der 3D-Druck von lebendigem Hautgewebe könnte in fünf bis sieben Jahren klinisch Bedeutung erhalten“, sagt Finkenzeller. „Bei der Herstellung und Implantation von Knochengewebe wird es allerdings länger dauern, da dafür noch zentrale Fragen der Gewebe-Abstoßungsreaktion geklärt werden müssen.“ In einem ersten Schritt wird nun ein spezieller „BioPrinter“ gebaut. „Wir können schon heute Zellen lebend und schonend gezielt drucken“, sagt Peter Koltay. „Jetzt müssen wir das Verfahren so anpassen, dass damit Knochenzellen und Blutgefäßzellen verarbeitet werden können und diese einen funktionsfähigen Gewebeverband bilden.“ In einem späteren Schritt erfolgt dann die 20. März 2015 auch additives Herstellungsverfahren genannt – für die Medizintechnik scheinen unbegrenzt. So können auch Zähne, Zahnfleisch und die dazu gehörenden Nerven bereits im Drucker hergestellt werden. Noch dienen diese Produkte jedoch nur als Modelle für Zahntechniker und Kieferorthopäden. Doch der Markt für 3D-Produkte für die Medizin wird sich bis 2025 auf ein Volumen von 867 Millionen Dollar ausweiten. Wenn die Herstellung von Nieren oder Lebern kommerziell funktioniert, könnte der Markt um ein Vielfaches weiter wachsen, vermuten Marktforscher einem Bericht der britischen Tageszeitung The Guardian zufolge. In einer Kollaboration der Universitäten Bayreuth und Würzburg gelang es Wissenschaftlern nun, ein Hydrogel auf der Basis von Spinnenseide zu erschaffen, das als Basis für künstliche Organe aus dem 3D-Drucker dienen soll, berichtet DocCheck . Bis 2018 werden vo- Künstliches Knochengewebe mit angelegten Blutgefäßen. Grün: Knochenzellen; rot: Endothelzellen. Foto: IMTEK/Universität Freiburg Überprüfung der Methode anhand chirurgischer Modelle. Die Möglichkeiten des 3D-Drucks – raussichtlich 2,3 Millionen 3D-Drucker verkauft werden, die meisten davon für industrielle Zwecke. Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Chefredakteurin: Jennifer Bendele. Redaktion: Thomas Gollmann, Anika Schwalbe, Gloria Veeser. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Elke Baumann. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon: +49 (0) 30 / 81016030, Fax +49 (0) 30 / 81016033. Email: [email protected]. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro Jahr. Bezug: [email protected]. Mediadaten: [email protected]. www.deutsche-gesundheits-nachrichten.de 6
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