zum Beitrag - digit-DL

Christiane Benner , Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall
Straßenverkehrsordnung für Internetarbeit
Die Digitalisierung verunsichert Unternehmen, Gewerkschaften und Beschäftigte
gleichermaßen. Christiane Benner sieht dennoch Chancen für eine gute digitale
Arbeitswelt, wenn alle sie gemeinsam gestalten und die Politik die Regularien für
faire Arbeitsbedingungen im Netz schafft. Die neuen Konzepte sollten sich am
Menschen orientieren und den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern. Benners
Ziele: die Organisation von Mitbestimmung für Internetarbeiter, neue kollaborative
Formen der Interessenvertretung und die Stärkung der Ressource Bildung.
„Wir brauchen eine Straßenverkehrsordnung für das Internet“, erklärt sie. Für die IGMetall-Vorstandsfrau haben neue Arbeitsformen wie Crowdsourcing, die sich
zunehmend auch in der deutschen Wirtschaft etablieren, durchaus Potenziale.
Kollaboratives Arbeiten könne kreativ und motivierend sein. Die weltweite
Vernetzung ermögliche es zudem, Arbeit und Leben besser miteinander zu
vereinbaren, und öffne bislang benachteiligten Gruppen einen Weg, um überhaupt
am Arbeitsleben teilnehmen zu können. „Aber nur weil Arbeit im Internet stattfindet,
muss sie nicht unreguliert sein“, findet Benner. „Das ist die falsche Logik.“
Gesellschaftliche Mitte erhalten
Gefragt seien Regulierungen für faire Arbeitsbedingungen auf Plattformen und in der
Crowd, die Innovationen nicht die Luft abschneiden und die Wertschöpfung nicht
gefährden. Zu verhindern sei aber vor allem eine „Abwärtsspirale“ bei den
Arbeitsbedingungen. Problematisch sind nach Benners Beobachtungen nicht nur die
„sittenwidrigen“ Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformbetreiber, sondern
auch die für Internetarbeit gezahlten Dumpinglöhne. Die Expertin fürchtet, dass durch
die Entstehung eines Internet-Prekariats auf der einen Seite und einer kleinen
Gruppe von Experten, die in Nischen arbeiten und ihr Wissen teuer verkaufen
können, die Einkommensschere weiter auseinander geht. „Haben wir am Ende auf
der einen Seite Beschäftigte, die den Computer beherrschen, und auf der anderen
diejenigen, die von ihm beherrscht werden?“, fragt Benner. „Wenn wir die
gesellschaftliche Mitte nicht verlieren wollen, müssen wir die Souveränität und den
Persönlichkeitsschutz aller achten.“
Interessenvertretungen müssen umdenken
Gewerkschaft und Arbeitnehmer könnten die Herausforderungen allein nicht
meistern, betont sie. Stellschrauben, die Staat und Wirtschaft nach ihrer Auffassung
bewegen könnten, gibt es einige – unter anderem Reformen im Sozialrecht, damit
auch Clickworker nicht aus dem Raster fallen; erweiterte Mitbestimmungsrechte,
damit Betriebsräte auch bei Werkverträgen und Outsourcing die Interessen der
Beschäftigten im Unternehmen wahren können; ein angemessenes
Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, das Datenmissbrauch durch die Auftraggeber
verhindert; eine Antistressverordnung, die in Zeiten immer mobileren und flexibleren
Arbeitens die Gesundheit der Beschäftigten schützt.
Doch auch die Interessenvertretungen müssen auf dem Weg in die digitale
Arbeitswelt ihre Hausaufgaben machen. „Die Werkshallen und Büros werden leerer
und die Beschäftigten arbeiten an immer unterschiedlicheren Orten“, beobachtet
Benner. „Und wir müssen auch künftig die Menschen dort abholen, wo sie sind.“ Die
Betriebsräte müssten vor allem mit Blick auf die Generation Y neue kollaborative
Formen der Zusammenarbeit suchen und gemeinsam mit den Beschäftigten
Antworten finden für den Umgang mit neuen Herausforderungen wie der
zunehmenden Fragmentierung und Standardisierung von Arbeit mit dem Ziel,
Tätigkeiten auszulagern .
Gute Bildung in allen Lebensphasen
„Wir müssen uns öffnen für Soloselbstständige“, fordert Benner zudem mit Blick auf
den gravierenden Anstieg dieser Arbeitsform auf mittlerweile eine Millionen
Menschen, von denen nach ihren Angaben ein Drittel weniger als 8,50 € pro Stunde
verdient. Zudem bedarf es nach ihrer Ansicht neuer Strukturen für die
Interessenvertretung der ebenfalls immer größer werdenden Gruppe von
Crowdsourcees. Diese müssten im Dialog mit den Betroffenen aufgebaut werden.
„Wir wollen der scheinbar anonymen Masse ein Gesicht geben“, betont Benner.
Betriebsvereinbarungen, erklärt die Expertin weiter, müssten mit der Zeit gehen, etwa
bei der Festlegung eines angemessenen Rahmens für flexible und mobile
Arbeitsformen. „Wir brauchen mehr Zeitsouveränität und eine Art Führerschein für
mobiles Arbeiten, keine Verfügbarkeitsflatrate, die die Beschäftigten überfordert.“
Unerlässlich ist für Benner zudem gute Bildung in allen Lebensphasen:
„Qualifizierung ist in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung kein nice-to-have,
sondern ein strategischer Erfolgsfaktor für die Unternehmen und jeden Einzelnen“,
betont die Gewerkschaftlerin. Die sogenannte Computerisierung treffe alle
Beschäftigungsverhältnisse. Und die digitale Arbeitswelt brauche Menschen mit
einem hohen Bildungsniveau. Hierauf müssten die Unternehmen ihre Belegschaften
angemessen vorbereiten. „Bildung wird immer die wichtigste Ressource eines
Menschen bleiben“, ist Benner überzeugt. „Und auch Technik ist menschengemacht.“
Die entscheidende Frage sei am Ende, wie wir leben und arbeiten und was für eine
Gesellschaft wir wollen.