weiterlesen - Arbeitskammer des Saarlandes

Stellungnahme der Arbeitskammer des Saarlandes
im Rahmen der externen Anhörung zum
„Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung – Schulordnung –
über die Gebundene Ganztagsschule (Ganztagsschulverordnung)“
(Az.: B 2/ A 4 - Ganztagsschulverordnung)
1) Vorbemerkungen / Grundsätzliches
Im Rahmen ihrer Berichterstattung plädiert die Arbeitskammer seit vielen Jahren für
eine Ausweitung von gebundenen Ganztagsschulen im Saarland. Neben der Zielsetzung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie berücksichtigt sie dabei
auch und gerade gesellschaftliche und pädagogische Begründungsansätze. Zwar hat
sich die saarländische Halbtagsschullandschaft in den letzten Jahren gewandelt –
gibt es doch an jeder Schule die Möglichkeit einer „freiwilligen Nachmittagsbetreuung“. Eine grundlegend veränderte Konzeption des Halbtagsunterrichts findet mit der
Ausweitung der Nachmittagsbetreuung jedoch nicht statt. Die einseitige Konzentration auf den freiwilligen Ganztag korrespondiert in diesem Sinne nicht mit den originären bildungs- und sozialpolitischen Ansprüchen, die vor über zehn Jahren an das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) geknüpft wurden: Nämlich die Rahmenbedingungen für unterrichtliches und außerunterrichtliches Lernen so
zu verbessern, dass individuelle Förderung in den Mittelpunkt rückt und damit auch
die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft verringert wird. Dabei
kann mittels einer besseren strukturellen Ausstattung und durch einen über den Tag
verteilten Rhythmus von An- und Entspannungsphasen der Lern- und Lebensraum
Schule im gebundenen Ganztag nachweislich lernförderlicher und kooperativer gestalten werden: Neben starken positiven Effekten auf das soziale Lernen in gebundenen Ganztagsschulen und der Verringerung des Risikos von Klassenwiederholun-
gen 1 mehren sich die Indizien, die auf kompensatorische Wirkungen gerade bei Kindern aus bildungsfernen Schichten hindeuten.
Vor diesem Hintergrund begrüßt die Arbeitskammer ausdrücklich, dass die Landesregierung im Rahmen einer Schulentwicklungsplanung in den nächsten Jahren verstärkt das Angebot an gebundenen Ganztagsschulen ausbauen will.
Neue Anforderungen an alle im gebundenen Ganztag Beteiligten
Ein professionelles pädagogisches Arbeiten an gebundenen Ganztagsschulen erfordert ein Umdenken bei Lehrern, Eltern und Schülern, die bislang Schule „nur“ als
Halbtagesbetrieb kennen. Es stellt für alle Beteiligten eine große Herausforderung
dar, eingefahrene Strukturen und Denkmuster zu überwinden und gemeinsam gelingende Entwicklungsprozesse zu gestalten:
Durch die veränderte zeitliche Struktur hinsichtlich Taktung, Rhythmisierung
und Anordnung von Unterricht, außerunterrichtlichen Arrangements und offener Freizeit verringert sich der Anteil bzw. die Dichte von lehrerzentrierten Arbeitsphasen. An ihre Stelle treten schülerorientierte und kooperative Bildungsprozesse.
In einer Schule, die als Lern- und Lebensraum in gebundener Form ausgestaltet wird, verbringen Kinder und Jugendliche deutlich mehr Zeit. Dies führt auch
zu einer neuen Lehrerrolle, da der Erziehungsauftrag der Schule wesentlich
gestärkt wird und die Beziehungsarbeit einen höheren Stellenwert erfährt. Zugleich ergeben sich daraus neue Anforderungen an eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Eltern, die im gebundenen Ganztag
mehr am Schulleben teilhaben möchten und dies auch in Anspruch nehmen.
Die Personal- und Schulentwicklung wird sich im gebundenen Ganztag vermehrt an den Prinzipien der Multiprofessionalität orientieren, die sich zu einem
integralen Bestandteil der personellen Ressourcen entwickeln muss. Denn eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe, pädagogischen Laien, Pflegekräften und unterschiedlichen Lehrämtern in der Schule
bildet die Basis eines erfolgreichen inklusiven Unterrichts.
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Bisher spielen Kinder- und Jugendhilfe sowie Freizeitpädagogik im Lehramtsstudium für Regelschullehrer noch keine Rolle. Aber gerade durch eine verstärkte und erfolgreiche Kooperation zwischen Lehrkräften und außerunterrichtlichen Partnern kann sich die echte Ganztagsschule zum Motor lokaler
Bildungslandschaften entwickeln und damit zu positiven Synergieeffekten bei
formalen, informellen und non-formalen Bildungsprozessen im Sozialraum beitragen.
Die Verinnerlichung einer „veränderten Lehrerrolle“ wird Zeit brauchen und muss in
der Lehrerbildung und Lehrerweiterbildung fest verankert werden. Lehrerbildung sollte demnach ganz gezielt auf Ganztagsschulen eingehen und sicherstellen, dass
Lehrkräfte und an den Ganztagsschulen beschäftigtes pädagogisches Fachpersonal
sowie die zunehmende Zahl pädagogischer Laien1 an entsprechenden Weiterbildungsangeboten teilnehmen. 2 Qualitätsfaktoren und Gelingensbedingungen von
Schulen in Ganztagsform sind in eine systemische Konzeption von Aus-, Fort- und
Weiterbildung zu integrieren, die sich im Sinne eines Spiralcurriculums durch eine auf
Nachhaltigkeit hin angelegte Kontinuität auszeichnen und im Austausch zwischen
Schulaufsicht, Schulleitungen und ausführenden Institutionen wie der Universität und
dem Landesinstitut für Pädagogik und Medien entwickelt und aktualisiert wird.
2) Zu den beabsichtigten Regelungen im Einzelnen
Artikel 1, Nr. 1 (§ 2 Absatz 2):
Die Arbeitskammer begrüßt, dass die Einrichtung von Ganztagsklassen an Grundschulen unabhängig von ihrer Zügigkeit möglich sein soll. Damit fallen bestehende
Hürden, denn bisher mussten Grundschulen 4-zügig sein, um Ganztagsklassen einzurichten.
Gebundene Ganztagsschulen und Ganztagsklassen bleiben für die Kinder – mit
Ausnahme des Mittagessens – kostenfrei. Dies begrüßt die Arbeitskammer. Es hat
sich leider zunehmend die Tendenz herauskristallisiert, dass gerade in offenen, freiwilligen Ganztagsschulen eine soziale Selektivität vorherrscht und vor allem freiwillige Ganztagsangebote in der Grundschule „eher von Kindern aus bildungsnahen
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Schichten genutzt werden“3, wofür sozioökonomische Verhältnisse ausschlaggebend
sind. Dieser Befund ist umso bedeutsamer, als im Saarland die Elternbeiträge für den
freiwilligen Ganztag – je nach gewählter Betreuungszeit und ggf. der Ergänzung
durch pädagogische Freizeitangebote und das Kooperationsmodell JugendhilfeSchule zzgl. der Kosten für die Mittagsverpflegung – erhöht worden sind.4
Artikel 1, Nr. 2 (§ 3), Buchstabe a):
Die Arbeitskammer begrüßt die Möglichkeit eines zusätzlichen Vorschlagsrechts von
Land und Schulträgern an die Schulkonferenz zur Einrichtung von Ganztagsklassen/Ganztagszügen. Gemäß dem Gebot „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ gilt es,
auf ein ausgewogenes Angebot in den Kreisen zu achten. Während in den Landkreisen und im Regionalverband die Nachmittagsbetreuung kontinuierlich ausgeweitet
wurde 5, gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Bildungslandschaft gebundener Ganztagsschulen, wie die Kreisreports der Arbeitskammer gezeigt haben:6
Quelle: Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes
Im Regionalverband kommt der Ausbau gebundener Ganztagsschulen am zügigsten voran. Neben den Grundschulen in SB-Rastpfuhl und -Kirchberg gibt
es seit dem Schuljahr 2013/2014 mit der Grundschule SB-Dellengarten eine
weitere Schule im Primarbereich, die nun als vollgebundene Ganztagsgrund-
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schule aufwächst. Ebenfalls kommt die Wiedheck-Grundschule in BrebachFechingen als vollgebundene Ganztagsschule hinzu, deren Halbtagszweig
aufgrund geringerer Nachfrage ausläuft. Das gebundene Ganztagsangebot an
der Gemeinschaftsschule SB-Bellevue sowie der Hermann-NeubergerGemeinschaftsschule in Völklingen wurde im Schuljahr 2014/2015 durch die
Gemeinschaftsschule Ludwigspark bereichert – womit auch beim Übergang
von der Primar- zur Sekundarstufe eine Kontinuität im lokalen Bildungsraum
gewährleistet wird. Die Grundschule Füllengarten ist ebenfalls mit dem aktuellen Schuljahr in eine gebundene Ganztagsgrundschule umgewandelt worden.
Im Landkreis Merzig-Wadern stagniert der Ausbau gebundener Ganztagsschulen. Mit dem Schengen-Lyzeum in Perl verfügt der Landkreis zwar über
eine besondere Schule in gebundener Form von europäischem Charakter, die
sicherlich – mit einer freilich besseren Ausstattung als regelfinanzierte Schulen
– eine Sonderstellung innehat. Gerade vor dem Hintergrund des Inklusionsgedankens plädiert die Arbeitskammer vor allem für den Ausbau von gebundenen Ganztagsgrundschulen, von denen in Merzig-Wadern bislang noch keine
existiert.
Im Saarpfalz-Kreis verfügen mittlerweile einzelne Schulen wie etwa die Robert-Bosch-Gemeinschaftsschule über gebundene Ganztagsklassen. Eine gebundene Ganztagsschule gibt es im Saarpfalz-Kreis aber weder im Primarnoch im Sekundarbereich. Über einen Antrag der Mandelbachtalschule soll
aufgrund der drastisch gesunkenen Schülerzahlen zu einem späteren Zeitpunkt erneut beraten werden.
Mit der Gemeinschaftsschule Neunkirchen kann der Landkreis Neunkirchen
eine Schule als Lern- und Lebensraum in gebundener Form mit landesweiter
Vorbildfunktion aufweisen. Bereits seit 1988 ist dort der Unterricht rhythmisiert
auf den Tag verteilt und das soziale Lernen erfährt besondere Aufmerksamkeit. Mit der Gemeinschaftsschule „Max von der Grün“ in Merchweiler und der
Grundschule am Stadtpark in Neunkirchen, deren Schüler wegen des Neubaus vorerst nach Wiebelskirchen ausweichen mussten, wurde das Angebot
an gebundenen Ganztagsschulen zum Schuljahr 2013/2014 ergänzt.
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Die Gemeinschaftsschule St. Wendel ist die bisher einzige gebundene Ganztagsschule im Landkreis. Wie in Merzig-Wadern und im Saarpfalz-Kreis sollte
nach Ansicht der Arbeitskammer der Ausbau „echter“ Ganztagsschulen mit
den Zielen einer besseren individuellen Förderung und der Reduzierung herkunftsbedingter Benachteiligungen im Sinne einer echten Wahlfreiheit dringend weiter vorangebracht werden.
Neben der erfolgreichen teilgebundenen Ganztagsgrundschule „Im Vogelsang“ in Saarlouis verfügt der Landkreis mit der Abteischule Wadgassen seit
dem Schuljahr 2013/2014 auch über eine vollgebundene Ganztagsgrundschule. Seit dem Schuljahr 2012/13 gibt es mit der Dillinger Sophie-SchollGemeinschaftsschule die erste echte weiterführende Ganztagsschule im
Landkreis, die nun den Lern- und Lebensraum Schule durch einen über den
Tag verteilten Rhythmus von An- und Entspannung neu gestalten kann.
Während alle Landkreise und der Regionalverband ein zunehmend verlässliches
Netz an nachmittäglichen Betreuungs- und Freizeitangeboten bereitstellen, differiert
die Ausbaudynamik echter Ganztagsschulen mit fest integrierter Schulsozialarbeit
vor allem im Grundschulbereich, d.h. drei Landkreise verfügen noch über keine gebundene Ganztagsgrundschule. Die Ankündigung der Landesregierung, „im Laufe
der Legislaturperiode [2012 bis 2017] weitere 25 gebundene Ganztagsschulen vor allem im Bereich der Grundschulen einzurichten“ 7 – wie auch im Koalitionsvertrag als
Willensbekundung formuliert8 – hinkt dem tatsächlichen Ausbaustand beachtlich hinterher und scheint nicht mehr einlösbar: Dafür müssten innerhalb der nächsten drei
Schuljahre mehr gebundene Ganztagsschulen geschaffen werden als in den letzten
zehn Jahren.
Artikel 1, Nr. 2 (§ 3), Buchstabe b):
Aus Sicht der Arbeitskammer muss die Landesregierung zum einen die Vorteile von
Gebundenen Ganztagsschulen gegenüber Eltern, Schülern und Lehrern kommunizieren und zum andern die Schulträger (Regionalverband und Kommunen), die vor
allem die höheren Kosten scheuen bzw. finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen,
finanziell unterstützen, um somit konkrete Anreize zu schaffen.
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Saarbrücken, den 02. April 2015
1
Vgl. Steiner, Christine: Die Einbindung pädagogischer Laien in den Alltag von Ganztagsschulen. In: bildungsforschung, 2013, Jg. 10, Heft 1, S. 64-90.
2
Vgl. Kielblock, Stephan/Stecher, Ludwig: Lehrer/innen an Ganztagsschulen. In: Coelen, Thomas/Stecher, Ludwig Stecher (Hrsg.): Die Ganztagsschule. Eine Einführung. Weinheim 2014, S. 99-110.
3
Fischer, Natalie/Züchner, Ivo: Kompensatorische Wirkungen von Ganztagsschulen – Ist die Ganztagsschule ein
Instrument zur Entkopplung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungserfolg? In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 2014, Jg. 17, Heft 2 – Supplement März, S. 349-367, hier S. 353.
4
Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes: Förderprogramm Freiwillige Ganztagsschulen im Saarland.
Saarbrücken, 30. Januar 2013.
5
Laut Auskunft des Ministeriums für Bildung und Kultur des Saarlandes vom 08.01.2014 nehmen im Schuljahr
2013/14 von den ca. 86.000 saarländischen Schülern an allgemeinbildenden Regelschulen ca. 17.000 die Nachmittagsbetreuung in kurzen oder langen Gruppen in Anspruch.
6
arbeitnehmer, 2014, Jg. 62, Arbeitskammer-Sonderheft: Kreisreports. Die Lage vor Ort; auch online unter
http://www.arbeitskammer.de.
7
Renner, Jürgen (Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes): Der Ausbau der Ganztagsschulen im Saarland. In: Erdsiek-Rave, Ute/John-Ohnesorg, Marei (Hrsg.): Gute Ganztagsschulen. Berlin 2013, S. 161-162, hier
S. 161.
8
Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012-2017) zwischen der Christlich Demokratischen Union, Landesverband Saar und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Landesverband Saar, S. 28.
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