Ausgabe Nr. 02/2015

BSBD
Vollzugsdienst
Fachzeitschrift für die Bediensteten des Justizvollzugs
Der
dbb
Gewerkschaft Strafvollzug
E 5604
Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands
2/2015 – 62. Jahrgang
Schäbigkeitswettbewerb
der Beamtengehälter im Strafvollzug muss ein Ende haben
BSBD Berlin:
Das Justizvollzugspersonal
fühlt sich alleingelassen
Einkommensrunde 2015:
Nach zähen Verhandlungen
Einigung erzielt
Kommentar von Anton Bachl,
BSBD-Bundesvorsitzender
Gewalt hört hinter
Gefängnismauern nicht auf
Übertragung auf Besoldung und
Versorgung unverzichtbar
Seite 1
Seite 17
Seite 47
Mehrere Tausend Demonstranten,
unter ihnen Hunderte Bedienstete
aus dem NRW-Strafvollzug, bewegten sich
durch die Düsseldorfer Altstadt
Baden-Württemberg
Foto: BSBD NRW
Mecklenburg-Vorpommern
Fachteil: Krankenversicherungsrecht der Rentner
Sachsen-Anhalt
BSBD
IN H A LT
Gewerkschaft Strafvollzug
B U N D E S V O RS TAN D
Mitglied im
  1 D er Schäbigkeitswettbewerb muss
ein Ende haben
dbb beamtenbund und tarifunion
Europäische Union der Unabhängigen Gewerkschaften (CESI)
  1 Tarifabschluss auf Landes- und
Bundesvorsitzender
Anton Bachl
[email protected]
www.bsbd.de
  2 Überflüssig und verfassungswidrig
Stellv. Bundesvorsitzende Petra Gerken-Wolf [email protected]
[email protected]
Kommunalbeamte übertragen
  4 Europarat verkennt Beamtenrecht
  4 Datenschutz wird immer wichtiger
LA N D E S V E RB ÄN D E
  5 Ba d en - W ür ttember g
  17 Ber lin
  2 2 Br a n den b ur g
 24 Br emen
 27 Ha m b ur g
  3 0 Hes sen
Stellv. Bundesvorsitzender Wolfgang Jänicke
[email protected]
Stellv. Bundesvorsitzender Friedhelm Sanker
[email protected]
Stellv. Bundesvorsitzender Franz-Josef Schäfer [email protected]
Schriftleitung
Burghard Neumann [email protected]
Landesverbände
Vorsitzende
Baden-Württemberg
Alexander Schmid [email protected]
www.bsbd-bawue.de
Bayern
Ralf Simon [email protected]
www.jvb-bayern.de
Berlin
Thomas Goiny [email protected]
www.bsbd-berlin.de
  37 Meck l en b ur g - Vorpom m er n
Brandenburg
Rainer Krone [email protected]
www.bsbd-brb.de
  4 3 N ied er sa ch s en
Bremen
  47 N ord rh ein - Westfa l en
  61 R h ein la n d- Pfa lz
  6 6 Sa a r l a n d
  6 8 Sa ch s en
  7 3 Sa ch s en - A n h a l t
  74 Sch lesw ig - Hols tei n
  77 Th ür in g en
Werner Fincke [email protected]
Hamburg
Thomas Wittenburg [email protected]
www.lvhs-hamburg.de
Hessen
Birgit Kannegießer [email protected]
www.bsbd-hessen.de
[email protected]
Mecklenburg-Vorpommern Helmut Halwahs www.bsbd-mv.de
Niedersachsen
Uwe Oelkers [email protected]
www.vnsb.de
Nordrhein-Westfalen
Peter Brock [email protected]
www.bsbd-nrw.de
FAC HTE I L
  8 3 Krankenversicherungsrecht der Rentner:
Als Pflichtmitglieder unerwünscht
Rheinland-Pfalz
Winfried Conrad [email protected] www.bsbd-rlp.de
Saarland
Markus Wollscheid [email protected]
Sachsen
René Selle [email protected]
www.bsbd-sachsen.de
Sachsen-Anhalt
Uwe Bülau [email protected]
www.bsbd-lsa.de
Re dak tions s chluss

für die Ausgabe 3/2015:
15 . Ma i 2 015
Schleswig-Holstein
Michael Hinrichsen [email protected]
www.bsbdsh.de
Thüringen
Jörg Bursian [email protected]
www.bsbd-thueringen.de
BU N D ESVORSTAND 1 DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
Der Schäbigkeitswettbewerb muss ein Ende haben
Kommentar von Anton Bachl, BSBD Bundesvorsitzender
F
ür unsere Beschäftigten haben wir
einen durchaus akzeptablen Tarifabschluss erreichen können. Leider mussten wir eine Laufzeit von zwei Jahren akzeptieren, weil die Arbeitgeber ihre Zustimmung
hiervon abhängig gemacht haben. Dies
bedeutet nicht nur, dass die Tarifbereiche
weiterhin gespalten bleiben, es versieht die
Tariferhöhung im Jahr 2016 auch mit einem
Fragezeichen. Es ist derzeit nicht absehbar,
wie sich die 2,3-prozentige Anhebung der
Gehälter im kommenden Jahr auswirken
wird. Ob tatsächlich eine Steigerung des
Reallohneinkommens erzielt werden kann,
ist von etlichen Unwägbarkeiten abhängig.
Nachdem die Europäische Zentralbank
gerade monatlich 60 Mrd. Euro in den Finanzmarkt pumpt, muss eine steigende
Inflationsrate befürchtet werden. So werden
wechselkursbedingt die Einfuhrpreise aus
den Nichteuroländern, was immerhin etwa
zwei Drittel aller Importe ausmacht, zunehmend ansteigen. Steigende Preise aber
sind Gift für den nunmehr erzielten Tarifabschluss, weil sie die erstrittenen Prozente
praktisch auffressen können.
Nicht hoch genug kann allerdings bewertet
werden, dass die seitens der Arbeitgeber
angestrebte Kürzung der Zusatzversorgung nicht zuletzt durch die Warnstreiks
und Demonstrationen der Kolleginnen
und Kollegen verhindert worden ist. Hätten wir uns in diesem Punkt nicht durchsetzen können, wäre der anschließende
Zugriff auf die Versorgung der Beamten
die logische Folge gewesen. Nachdem die
Zusatzversorgung durch eine moderate
Anhebung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zukunftsfester ausgestaltet worden ist, bleibt zu hoffen, dass uns
dieses Thema bei der nächsten Tarifrunde
erspart bleiben wird.
Der BSBD fordert die Bundesländer nunmehr auf, den erzielten Tarifabschluss zeitund wirkungsgleich auf die Beamten und
Versorgungsempfänger zu übertragen. Mit
den Sonderopfern, wie wir sie in der Ver-
gangenheit ertragen mussten,
schnellen Übernahme des
muss endlich Schluss gemacht
Tarifergebnisses auf Beamte
werden. Hier muss endlich der
und Versorgungsempfänger
Grundsatz wieder Platz greifen:
nicht im Angesicht der FinanzGleicher Lohn für gleiche Arbeit.
kraft dieser Länder? Bayern
Alle Landesregierungen haben
kann die Übertragungszusader Tarifgemeinschaft deutge problemlos erteilen, weil
scher Länder (TdL) in Kenntnis
sich das Tarifergebnis für die
des Umstandes, dass auch BeBundesländer mit Sicherheit
amte und Versorgungsempfännicht an den finanziellen Mögger Anspruch auf Teilhabe an
lichkeiten des finanzstärkder allgemeinen Einkommen- BSBD-Bundesvorsitzen- sten Landes ausgerichtet hat.
sentwicklung haben, grünes der Anton Bachl. Durch die seit Jahren seitens
Licht für diesen Tarifabschluss gegeben.
der meisten Bundesländer praktizierte
Die daraus resultierenden Kosten für das
Ungleichbehandlung von Beschäftigten
gesamte Personal, Beschäftigte, Beamte
auf der einen und Beamten und Versorund Versorgungsempfänger, waren also
gungsempfängern auf der anderen Seite
bekannt. Jetzt darf nicht herumgeeiert
sind mittlerweile beträchtliche finanzielle
werden; jetzt ist politisches Handeln und
Verwerfungen aufgetreten. Dies hat erhebeine Übertragung des Tarifabschlusses
liche Auswirkungen auf die Bereitschaft
ohne Abstriche gefragt.
der Menschen Solidarität zu üben und sich
Seit der Föderalismusreform haben sich
in die demokratischen Prozesse einzubrinzwischen den Bundesländern erhebliche
gen. Wie sollen die Bürgerinnen und BürBesoldungsunterschiede ergeben. Dies
ger und insbesondere die Mitarbeiter des
führt dazu, dass der personelle Austausch
öffentlichen Dienstes an eine gerechte Bezwischen den Gebietskörperschaften
handlung ihrer Interessen glauben, wenn
schwieriger wird. Dieser erkennbare Proes für sie stets heißt „Die Kassen sind
zess muss jetzt endlich gestoppt werden.
leer!“, wenn gleichzeitig zig Milliarden für
Daher ist es erfreulich, dass die Länder
die Rettung Griechenlands und der BanBay­
ern, Hamburg, Rheinland-Pfalz und
ken aufgewendet werden können? Durch
Sachsen die Übertragung des Tarifabdie Zuständigkeit der Bundesländer für Beschlusses bereits zugesagt haben. Auf der
soldung und Versorgung haben sich sachanderen Seite muss dringend davor gelich nicht begründbare Verwerfungen bei
warnt werden, die bereits bestehenden erden Einkommen ergeben. Nachdem sich
heblichen Gehaltsunterschiede noch weiTarifabschlüsse zudem eher an den finanzter ansteigen zu lassen. Gerade im Bereich
schwachen Ländern orientieren als an den
des Strafvollzuges werden bundesweit verfinanzstärkeren, kommt die Arbeitskraft
gleichbare Aufgaben wahrgenommen. Da
der öffentlich Beschäftigten bei der Verteimuss dem Grundsatz „Gleicher Lohn für
lung des wirtschaftlichen Erfolges unserer
gleiche Arbeit“ wieder nachdrücklich GelGesellschaft einfach zu schlecht weg. Die
tung verschafft werden.
Konsequenz dieser Entwicklung wird bei
Damit sind die föderalen Widersprüche
den Wahlen erkennbar. Die Zukurzgekomaber leider noch nicht erschöpfend aufmenen verweigern sich und wenden sich
gezählt: Wie wirken sich beispielsweise
ab. Dies sollte der Politik zu denken geben,
schnelle Übernahmezusagen von Nehmerweil sich dieser Prozess zu einer schweländern auf die Steuerzahler und Betrofren Hypothek für unsere Demokratie ausfenen in den Geberländer aus? Und relawächst. Es muss endlich wieder gerechter
tiviert sich die Tatsache der Zusage einer
zugehen in diesem, unserem Lande.
Tarifabschluss auf Landes- und Kommunalbeamte übertragen
Beamtinnen und Beamten haben Anrecht auf Teilhabe an finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung
Der dbb Bundesvorsitzende Klaus
Dauderstädt hat die Zusage der Länder Bayern, Hamburg und RheinlandPfalz für eine Übernahme des Tarifabschlusses für die Landesbeschäftigten
auf die Landes- und Kommunalbeamtinnen und -beamten begrüßt.
Gleichzeitig forderte der dbb Chef alle
übrigen Länder auf, die Einigung zwischen Gewerkschaften und Tarifgemein-
schaft deutscher Länder (TdL) ebenfalls
zeit- und wirkungsgleich auf ihre Beamten und Versorgungsempfänger zu übertragen. „Wir brauchen jetzt keine unwürdige Feilscherei, sondern zügig spürbare
Signale der Wertschätzung.
Denn auch die Beamtinnen und Beamten machen Tag für Tag und rund um
die Uhr ihren Job und haben ein Anrecht
auf Teilhabe an der finanziellen und wirtschaftlichen Entwicklung“, machte Dau-
derstädt deutlich. Am 28. März 2015
hatten sich dbb und ver.di mit der TdL
auf einen Tarifkompromiss für die rund
800.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Länder geeinigt.
Demnach erhalten die Beschäftigten ab
1. März 2015 2,1 Prozent und ab 1. März
2016 weitere 2,3 Prozent, mindestens
aber 75 Euro mehr Gehalt. Die monatlichen Ausbildungsentgelte werden ab 1.
März 2015 um einen Festbetrag in Höhe
2 B U NDE SVOR STA N D
von 30 Euro und ab 1. März 2016 um
einen weiteren Festbetrag in Höhe von
30 Euro erhöht. Unmittelbar nach dem
Abschluss der Verhandlungen erklärten
Bayern, Hamburg, und Rheinland-Pfalz,
den Tarifabschluss zeit- und wirkungsgleich auf ihre Landes- und Kommunalbeamten übertragen zu wollen. Auch
Mecklenburg-Vorpommern tendiert zu
einer wirkungsgleichen Übernahme, hier
hatten die Beamtinnen und Beamten
bereits zum 1. Januar 2015 eine Besoldungserhöhung in Höhe von zwei Prozent erhalten. Aus Berlin, Brandenburg,
Bremen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen gibt
es derzeit noch
keine Sig­nale zu
einer Übernahme des TdL-Ergebnisses – noch
werde beraten,
heißt es.
In NordrheinWestfalen und
Schleswig-Holdbb-Bundesvorsitzender
stein haben sich
Dauderstädt. Foto: dbb dbb und Landesregierung bereits zu konkreten Gesprächen über die künftige Beamtenbesoldung und -versorgung auf der Grundlage
des vorliegenden Tarifabschlusses für die
Arbeitnehmer verabredet.
Auch im Saarland werden Ge­s­p­räche
zwischen dem dbb und der Landesregierung angestrebt. Hier geht das Landeshaushaltgesetz aktuell von einer maximalen Besoldungserhöhung in Höhe
von jeweils nur 1,5 Prozent für 2015 und
2016 aus.
In Baden-Württemberg sorgten Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden von
Bündnis 90/Die Grünen und SPD für
Verärgerung, die bereits vor dem Abschluss der Tarifverhandlungen mit der
TdL angekündigt hatten, man werde
auch das Tarifergebnis 2015/2016 wieder
nur zeitversetzt auf den Beamten- und
Versorgungsbereich des Landes übertragen.
In Niedersachsen soll es entsprechend
Verlautbarungen der Landesregierung bei
der im Haushaltsgesetz eingestellten Anhebung der Beamtenbezüge um 2,5 Prozent zum 1. Juni 2015 bleiben. Für den
Fall, dass es zu linearen Abstrichen für
die Beamtinnen und Beamten kommen
sollte, haben bereits mehrere dbb Landesbünde, beispielsweise BBW und dbb
saar, Verfassungsklagen angekündigt.
Das Land Hessen bleibt als Nicht-Mitglied der TdL außen vor und verhandelt
eigenständig mit den Gewerkschaften für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Landes. Nächster Verhandlungstermin dort ist 14./15. April 2015.
DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
Gesetz zur Zwangstarifeinheit:
Überflüssig und verfassungswidrig
Es gibt keinen Grund für einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit
M
it dem von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Tarifeinheitsgesetz werde zu einem völlig überflüssigen Frontalangriff auf
das Grundrecht der Koalitionsfreiheit geblasen. „Das lehnen wir ab“,
machte dbb Chef Klaus Dauderstädt in zahlreichen Gesprächen mit Bundesund Landespolitikern deutlich.
„Die Gewerkschaftliche Vielfalt ist in
Deutschland verfassungsrechtlich garantiert. Das bedeutet zugleich: Tarifautonomie ist ein hohes Gut, das es zu schützen
gilt.“ Es gebe hierzulande eine gesunde
und stabile Sozialpartnerschaft.
„Gesetzliche Einschnitte in das bewährte deutsche Arbeitskampfrecht
schaden nur – und sie sind grundgesetzwidrig“, warnte der dbb Chef. Deshalb
werde sich seine Organisation auch mit
allen gebotenen Mitteln dagegen zur
Wehr setzen.
(Ausgabe vom 10. Februar 2015) berichtete.
Dass dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge, Arbeitskämpfe
als unverhältnismäßig zu interpretieren seien, wenn sie den Abschluss eines
Minderheitentarifvertrages bezwecken,
hatte der dbb von Beginn an als verfassungswidrigen Eingriff in Streikrecht und
Koalitionsfreiheit kritisiert, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sehe
das ebenfalls kritisch, bestätigte MüllerGemmeke.
Eingriffe in Grundrechte könnten den
Bundestags-Gutachten
Autoren zufolge zwar möglich sein, aber
bestätigt dbb Position
nur, wenn sie gerechtfertigt seien. Das ofDie dbb Auffassung wird nun auch durch fizielle Ziel des Gesetzes, die Funktionsein Gutachten des Wissenschaftlichen fähigkeit der Tarifautonomie zu sichern,
Dienstes des Bundestages gestützt, der reiche dafür nicht aus.
erhebliche Zweifel an der VerfassungsmäAußerdem habe es weder eine bedeußigkeit des von Bundesarbeitsministerin tende Zunahme von Arbeitskämpfen
Andrea Nahles (SPD) auf den Weg ge- gegeben, seit das Bundesarbeitsgericht
brachten Tarifeinheitsgesetzes hegt.
2010 das Prinzip der Tarifeinheit in BeDas Gutachten, in Auftrag gegeben trieben modifiziert hat, noch sei der Bevon der Abgeordneten Beate Müller- triebsfrieden zunehmend gefährdet, heiGemmeke (Bündnis 90/Die Grünen), ße es in dem Gutachten weiter.
kommt zu dem Schluss, dass das Gesetz
Die vom Gesetzgeber angeführte Ordeinen Eingriff in die kollektive Koaliti- nungsfunktion der gesetzlichen Tarifeinonsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 des Grund- heit sei nicht genügend belegt und stelle
gesetzes darstellt, wie Müller-Gemmeke keinen Grund für einen Eingriff in die
gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ Koalitionsfreiheit dar, urteilen laut Müller-Gemmeke die Gutachter. Auch die Betroffenheit
Dritter bei Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge
könne dem Gutachten
zufolge die gesetzliche Tarifeinheit nicht rechtfertigen.
dbb Chef Klaus Dauderstädt plädierte für
eine Veröffentlichung des
Gutachtens: „Wir sehen
unsere Positionen erneut
kompetent und parteipolitisch neutral bestätigt und
würden es sehr begrüßen,
Bei einem Treffen mit Vertretern der Bundestagsfraktion Die Linke
wenn sich der Deutsche
am 28. Januar 2015 in Berlin bekräftigte der Zweite dbb VorsitzenBundestag für eine Veröfde und Fachvorstand Tarifpolitik, Willi Russ, dass der dbb es nicht
hinnehmen werde, dass die Tarifautonomie den Profitinteressen der fentlichung dieser wichWirtschaft geopfert werde. Auch Die Linke lehnt eine gesetzliche
tigen Analyse entscheidet.
Tarifeinheit als offensichtliche Verfassungswidrigkeit ab. Im Bild
Immerhin geht es um ein
von links der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Fachvorelementares Grundrecht
stand Beamtenpolitik Hans-Ulrich Benra, der Vorsitzende der Bununserer Verfassung, das
destagsfraktion Die Linke, Gregor Gysi, und Willi Russ.
in Gefahr ist. Insofern
BU N D ESVOR STAND 3 DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
Das Thema Tarifeinheit war Schwerpunkt eines Gespräches, zu dem Klaus
Dauderstädt am 5. Februar 2015 in Berlin mit Vertretern der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zusammenkam. Im Bild von links: Katja
Keul, Kerstin Andreae, Grünen-Fraktionsvorsitzender Dr. Anton Hofreiter,
dbb Chef Klaus Dauderstädt und Beate Müller-Gemmeke.
besteht ein sehr gut begründetes Interesse der Öffentlichkeit an umfassenden
und fundierten Informationen.“ Dauderstädt verwies darauf, dass auch die
Freiheitsrechte des Einzelnen mit dem
Gesetz beschnitten würden. „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer
hat das Recht darüber zu entscheiden, ob
und wie sie oder er sich organisiert. Aber
wenn mit gesetzlichen Regelungen ein
Streik für kleinere Gewerkschaften per se
Es gibt weder juristisch noch politisch einen Bedarf zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit. Darüber waren sich dbb Chef Klaus Dauderstädt
(rechts), sein Stellvertreter und Fachvorstand Beamtenpolitik, Hans-Ulrich
Benra (links), und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow in einem
Gespräch am 6. Februar 2015 in Berlin einig.
ausgeschlossen wird, sind diese in ihrer
Existenz bedroht.
Denn warum sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Mitglieder einer
Gewerkschaft werden, die man der Möglichkeiten zu wirksamer Interessenvertretung beraubt hat? Zwangstarifeinheit
und Koalitionsfreiheit gehen eben nicht
zusammen.“
Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes
stand am 6. Februar 2015 auf der Tages-
ordnung des Bundesrates. Dieser ließ das
Gesetz, das nicht zustimmungspflichtig
ist, bei Enthaltung mehrerer Länder, darunter Thüringen, passieren.
„Lieber hätte ich mit Nein gestimmt“,
sagte Bodo Ramelow im Gespräch mit
der dbb Spitze. „Das ist nur wegen der
Koalition in Thüringen auch mit der
SPD unterblieben“.
Die Gesprächspartner hielten es für
plausibel, bei solchen verfassungsrecht-
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4 BU NDE SVOR STA N D
DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
lichen Bedenken im Bundestag über eine
Normenkontrollklage aus dem Parlament
nachzudenken.
Entwicklung der Arbeitnehmerrechte:
CSU-Vorschlag unterläuft
Betriebsfrieden
Als „weiteren Angriff auf die Tarifautonomie“ hatte dbb Chef Klaus Dauderstädt auch den Vorstoß der CSU zur
Einschränkung des Streikrechts kritisiert,
den die Partei nach ihrer Vorstandssitzung am 26. Januar 2015 in München
vorgestellt hat. Demnach soll es vor
Streiks bei der Bahn und in anderen öffentlichen Bereichen künftig zwingend
ein Schlichtungsverfahren geben.
Zudem will die CSU gesetzlich festschreiben, dass Streiks in solchen Bereichen mindestens vier Werktage vorher
bekannt gegeben werden müssen. Der
CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigte an, das Konzept nun, in die Berliner
Gesetzgebung einspeisen“ zu wollen.
„Wir lehnen jegliche Einmischung
des Gesetzgebers in das Grundrecht der
Tarifautonomie kategorisch ab. Das gilt
für die im Gesetzentwurf vorliegenden
Tarifeinheitspläne der Bundesregierung
Eine Beschneidung von Gewerkschaftsrechten wird kategorisch abgelehnt
Gerda Hasselfeldt MdB, dbb Bundesvorsitzender
Klaus Dauderstädt.
ebenso wie für die jüngsten Vorschläge
aus Bayern“, machte dbb Chef Dauderstädt am 27. Januar 2015 in Berlin
deutlich. „Ein Zwei-Klassen-Streikrecht,
wie es die CSU jetzt offenbar postulieren
will, wäre in dieser ganzen unsäglichen
Diskussion noch einmal eine ganz neue
,Qualität‘ der Grundrechtsbeschneidung
und erst recht verfassungswidrig“, warnte
Dauderstädt. „Insbesondere in den Bereichen der Daseinsvorsorge haben die
Gewerkschaften in der Vergangenheit
immer wieder bewiesen, dass sie sich der
hohen Verantwortung bei Arbeitskampfmaßnahmen in jeder Hinsicht bewusst
sind und sie sehr ernst nehmen.
Das wird auch in Zukunft und ohne
gesetzgeberische Eingriffe in die Tarifautonomie der Fall sein“, betonte der dbb
Bundesvorsitzende.
(Quelle: dbb Magazin/März 2015)
Europarat verkennt Beamtenrecht
„Wir sagen Ja zum Streikrecht für alle Arbeitnehmer. Wir sagen Nein zum Beamtenstreik,“ kommentierte der dbb Vize Hans-Ulrich Benra eine Entschließung des Europarats zur Entwicklung der Arbeitnehmerrechte. Der Europarat
zeigt sich darin besorgt über den Abbau von Kollektiv- und Streikrechten im
Kontext der Wirtschaftskrise und Austeritätspolitik.
Hans-Ulrich Benra teilt die Kritik am
Vorgehen vieler Regierungen, die im
Zuge der Schuldenkrise Gewerkschaftsrechte abgebaut haben. Ebenso begrüßt
er die ablehnenden Aussagen im Bericht
der Parlamentarischen Versammlung des
Europarats zum geplanten Tarifeinheitsgesetz. Äußerst kritisch sieht Benra jedoch die Positionen des Europarats zum
Streikrecht für Beamte, das nichts mit
der Krise oder mit entzogenen Rechten
zu tun habe.
„Die Entschließung des Europarats
verkennt die verfassungsrechtliche Lage
in Deutschland. Die Menschenrechte der
Beamtinnen und Beamten werden nicht
durch das Streikverbot verletzt“, erklärte
Benra. „Die Beamtenschaft ist gewerkschaftlich organisiert und wird in Einklang mit unserem Grundgesetz in allen
sie betreffenden Fragen beteiligt. Beamte
haben in besonderer Weise dafür einzustehen, dass das Funktionieren des Staates
und öffentlicher Leistungen gewährleistet
ist. Dies begründet das Streikverbot.
Das ist auch nicht neu, sondern so alt
wie unser Grundgesetz.“ Im Bericht des
Europarats heißt es, das Streikverbot für
Beamte verstoße gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention. Das Grundgesetz sehe kein generelles Streikverbot
für Beamte vor. „Diese Aussagen zeugen
von großer Unkenntnis“, so Benra.
Benra teilt demgegenüber die Aussagen
des Europarats zum geplanten Tarifein-
dbb Vize Hans-Ulrich Benra. Foto: dbb
heitsgesetz. „Dass die parlamentarische
Versammlung des Europarats in diesem
Gesetz eine unzulässige Beschränkung
der Arbeitnehmerrechte sieht, ist sehr gut
nachvollziehbar. Wir teilen diese Auffassung und lehnen eine solche Beschneidung der Gewerkschaftsrechte kategorisch ab.“ Wie der Europarat kritisch sieht
Benra die Verschlechterung des sozialen
Dialogs in vielen EU-Staaten. „Vor allem
in den Programmstaaten ist es effektiv zu
einem Abbau von Gewerkschaftsrechten
gekommen. Dagegen wehren wir uns
als dbb auch im Rahmen unserer Mitarbeit in der Europäischen Union der
Unabhängigen Gewerkschaften (CESI).“
(Quelle: dbb Magazin/März 2015)
Persönlichkeitsrechte:
Datenschutz wird immer wichtiger
Der digitale Wandel hat längst die
Gesellschaft erfasst, löst alte Prozessmodelle ab und bricht bestehende Strukturen auf.
Mit den täglich wachsenden Möglichkeiten der elektronischen Medien und
der digitalen Umstellung wird das hochsensible Thema Datenschutz damit
immer wichtiger – auch für die öffentliche Verwaltung. Mit neuen Strategien,
Konzepten und Programmen von Bund,
Ländern und Kommunen wie „Digitale
Verwaltung 2020“, „Transparenz als
staatliche Aufgabe“, „Elektronisches
Dokumentenmanagement“ oder „Aktionsplan Open Data“ stellt sich die öffentliche Verwaltung auf die vernetzte
Zukunft ein. E-Akte, Open Data, De-Mail,
nationale Geodateninfrastruktur – dies
sind nur einige Themen, die mit den neuen Programmen vorangetrieben werden.
Dabei stellt sich bei all diesen neuen Entwicklungen nicht nur die Frage nach den
Datenschutzrechtlichen Aspekten. Die
Wahrung der Persönlichkeitsrechte der
Betroffenen wird entscheidend davon abhängen, wie kompetent der Datenschutz
auch in Zukunft vor Ort umgesetzt wird.
(Quelle: dbb Magazin März 2015)
FACHTEIL – DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
K ran kenver s i cherun g s recht der Ren t ner
Herausgeber:
Bund der Strafvollzugsbediensteten
Deutschlands (BSBD)
Strafvollzug
Schriftleitung: Burghard Neumann - 14776 Brandenburg an der Havel, Grüne Aue 19 a
Als Pflichtmitglieder unerwünscht
Systemkollision im Krankenversicherungsrecht der Rentner
Sie sind Frauen, die ihr Berufsleben jung begonnen haben, Kinder aufzogen
und später in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zurückkehrten.
Als sie ihren Rentenantrag stellten, fielen sie aus allen Wolken: Ein Schreiben
ihrer gesetzlichen Krankenversicherung informierte sie, dass sie wegen Nichterfüllung der erforderlichen Versichertenzeiten nicht als Pflichtmitglieder in
die kostengünstige Krankenversicherung der Rentner (KVdR) aufgenommen
werden können. Ihr Vergehen: Sie alle sind oder waren mit Beamten verheiratet und über ihre Männer zeitweise privat versichert. Die Folge: Sie müssen
bis zu zwei Drittel ihrer ohnehin kleinen Rente für eine freiwillige gesetzliche
Krankenversicherung aufwenden. Dagegen wehren sie sich.
Eva Koslowski ist eine Kämpferin. Seit
ihrem Renteneintritt im Juni 2013 arbeitet die Bielefelderin engagiert am Aufbau
eines Netzwerks von etwa gleichaltrigen
Frauen, die wie sie selbst zu Opfern der
Schutzmechanismen geworden sind, die
der Gesetzgeber zwischen privatem und
gesetzlichem Krankenversicherungsrecht
eingebaut hat.
Sie investiert viel Zeit und Energie, das
gemeinsame Anliegen jener Frauen publik zu machen, die nach einer langen
Familienphase spät wieder in die Berufstätigkeit zurückgekehrt sind. Ihnen allen
fehlen für die zweite Hälfte ihrer Berufstätigkeit bis zum Rentenbeginn die notwendigen 90 Prozent Mitgliedschaft in
der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV), die ihnen das Recht geben, Pflicht-
mitglied in der von den Rentenversicherungsträgern anteilig getragenen Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu
sein.
Komplizierte 9/10-Regelung
Gegen diese sogenannte 9/10-Regelung
hat sie beim Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages sogar zwei Petitionen eingereicht. Und sie sucht ständig
weiter nach betroffenen Frauen, um die
Basis ihres Widerstands zu verbreitern.
Die 9/10-Regelung ist kompliziert: Wer
etwa mit 15 Jahren ins Berufsleben eintritt und 50 Jahre arbeitet, muss in den
letzten 25 Jahren vor Stellung des Rentenantrags 90 Prozent, also 22,5 Jahre
gesetzlich krankenversichert gewesen
sein.
83 Mit dieser hohen Hürde möchte der Gesetzgeber verhindern, dass Versicherte
im Alter aus der privaten Krankenversicherung (PKV) in den kostengünstigeren
Rentnerzweig der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wechseln – sich also
aus beiden Systemen die Rosinen herauspicken.
Schlechte Karten
für Beamtenfrauen?
Wie absurd es allerdings ist, Eva Koslowski und ihren Mitbetroffenen „Rosinenpickerei“ vorzuwerfen, belegen die petitionsbegleitenden Briefe, in denen die
Frauen in ihren eigenen, zum Teil einfachen Worten ihre persönliche Lebensund Einkommenssituation preisgeben.
Die Lebensmuster der heute zwischen
60 und 70 Jahre alten Briefschreiberinnen spiegeln die Situation einer
Generation wider, die sich noch ohne
Quotendiskussion und Kinderbetreuungsgarantie behaupten musste. Die meisten
gingen schon als 14 bis 15-jährige Mädchen arbeiten. Eva Koslowski, Jahrgang
1948, begann ihre Lehre als Friseurin mit
13 1/2 Jahren und arbeitete nach der Gesellenprüfung acht Jahre in ihrem Beruf,
bis ihre Tochter zur Welt kam.
Dann blieb sie zu Hause: „Es war damals so gut wie unmöglich, als Friseurin
halbtags zu arbeiten“, erinnert sich die
zweifache Mutter. „Und Betreuungsmöglichkeiten für ganz kleine Kinder gab es
in den 1970er- und 1980er-Jahren so gut
wie keine.“
Diese Erfahrung teilt auch Marianne
Nolting, Mitunterzeichnerin der von Eva
Koslowski eingereichten Petition. Die
dreifache Mutter, Jahrgang 1951, trat
1965 in die Schneiderinnenlehre ein, arbeitete bis zur Geburt ihrer ältesten Tochter 1974 in ihrem Ausbildungsberuf und
beendete dann ebenfalls ihre Berufstä-
Krankenversicherung der Rentner (KVdR):
Die 9/10-Regelung und ihre (teuren) Folgen
Die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) wird von den gesetzlichen
Krankenkassen wie AOK, BKK oder
den Ersatzkassen betrieben.
Pflichtmitglied wird, wer berufstätig war
und in der zweiten Hälfte der Erwerbszeit
bis zum Einreichen des Rentenantrags
mindestens zu 90 Prozent (= 9/10-Regelung) gesetzlich versichert gewesen
ist oder als Ehepartner der Familienversicherung angehörte. Der Beitrag richtet
sich nach einem gesetzlich festgelegten
Beitragssatz von zuletzt (2015) 14,6
Prozent, von denen der Rentenversiche-
rungsträger 7,3 Prozent übernimmt. 7,3
Prozent nebst weiterem Zusatzbeitrag
hat der Versicherte selbst zu tragen. Die
konkrete Höhe des Beitrags ist abhängig
von der Höhe der gesetzlichen Rente
und möglicher Betriebsrente(n).
Gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird berücksichtigt
Wer die „9/10-Regelung“ vor dem Einreichen des eigenen Rentenantrags
nicht erfüllt, kann nicht KVdR-Pflichtmitglied werden. Ihm steht es offen, als
freiwilliges Mitglied in die gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) einzutreten.
Das kann für die Betroffenen sehr teuer
werden, weil die Krankenkasse für die
Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten die gesamte wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Aus
diesem Grund werden neben der gesetzlichen Rente auch Versorgungsbezüge,
auch die des Ehepartners, und sonstige
Einkünfte, zum Beispiel aus Vermietung,
bei der Berechnung der Beitragshöhe
mit berücksichtigt. Auf Antrag zahlt der
Rentenversicherungsträger einen Zuschuss zur Krankenversicherung, allerdings nur auf Grundlage der eigenen
gesetzlichen Rente.
84 Kr a n kenver sich er un gs r ec ht der Rent ner
FACHTEIL – DER VOLLZUGSDIENST 2/2015
bare Nicht-Beamtenfamilien. Deshalb
mit Beamten verheiratet
denke ich, die gesetzliche Krankenversisind, waren sie in der
cherung sollte uns so behandeln wie die
Familienzeit beihilfebeFrauen, die keinen Beamten geheiratet
rechtigt und privat versihaben“, sagt Marianne Nolting. „Es ist
chert: Hätten sie einen
einfach ungerecht, dass von unserer RenNicht-Beamten geheirate so gut wie nichts übrig bleibt! Sogar die
tet, wären sie kostenlos
Mütterrente wird zur Beitragsermittlung
in der GKV-Familienverdazugezählt.“
sicherung gewesen und
die 9/10-Regelung wäre
Aufgeben wollen sie nicht
erfüllt. Die Beiträge, die
sie während ihrer BerufsDoch aufgeben wollen die inzwischen
tätigkeit über viele Jahre
40 Damen nicht, obwohl sie ahnen, dass
in die GKV eingezahlt
ihre Zahl (noch) zu gering ist, um wirksam
haben, zählen nicht, weil
Druck ausüben zu können. Das haben sie
sie zum Teil vor der Fadie Erfahrungen, die sie mit Politikern aus
milienpause entrichtet
Bund und Ländern, Ministerien, Sozialwurden. „Man kann uns
verbänden und Selbsthilfeeinrichtungen
doch nicht dafür bestragemacht haben, gelehrt.
fen, dass wir mit MänAm meisten verärgert ist Eva Koslownern verheiratet sind,
ski, dass weder sie noch eine der andedie zum Teil erst nach
ren Frauen von ihren Krankenkassen
der Hochzeit zu Beamten
oder den Rentenversicherungsträgern
Der Dank für eine Lebensleistung als Berufstätige und Mütter sieht
wurden.
vor Stellung ihres Rentenantrages über
anders aus. Eva Koslowski (links), zwei Kinder und rund 30 Jahre
Mein Mann war Jus­
die Auswirkungen der 9/10-Regelung
sozialversicherungspflichtig berufstätig, zahlt von 406,89 Euro Rente tizvollzugsbediensteter
informiert wurden: Manchen fehlen nur
236,68 Euro Krankenversicherungsbeitrag, bleiben 170,21 Euro. Maim mittleren Dienst, wir
ein paar Wochen, bis sie die „Zulassung“
rianne Nolting, drei Kinder und 28 Jahre sozialversicherungpflichtig
haben mit vier Personen
zur KVdR erreicht hätten. Andere, wie
berufstätig, zahlt von 571 Euro Rente 314,05 Euro Krankenversichevon 800 Mark gelebt,
Marianne Nolting, haben bis heute keine
rungsbeitrag, bleiben 256,95 Euro.
und als die Kinder klein
Antwort erhalten, wie viel Zeit ihnen denn
waren, habe ich an den Wochenenden in
eigentlich fehlt. Koslowski hat ihre Kasse
tigkeit zugunsten der Familienarbeit. Als
einem Restaurant ausgeholfen.“ Der Ehewegen Verletzung der Beratungspflicht
die Kinder „aus dem Gröbsten raus“ und
mann von Marianne Nolting ist im mittverklagt. Das Verfahren liegt beim Lanandere familiäre Verpflichtungen erledigt
leren Dienst des nordrhein-westfälischen
dessozialgericht Nordrhein-Westfalen in
waren, nahmen beide Frauen wieder soJustizvollzugs beschäftigt. Er wird dieses
Essen.
zialversicherungspflichtige Arbeit an. Eva
Jahr als Vollzugshauptsekretär mit 62 in
Sollte der Petitionsausschuss ihre EinKoslowski, die zusätzlich ihren schwer
Pension gehen. „Ich komme wegen diegaben ablehnen, werden alle zusammen
kranken Schwiegervater zwölf Jahre geses Themas einfach nicht zur Ruhe. Mit
in die nächste Instanz gehen. Dann wolpflegt hatte, war 33 Jahre am Empfang
drei Kindern und unserem Haushaltseinlen sie eine Sammelklage beim Europäeiner Praxis für Physiotherapie tätig, die
kommen haben wir genauso wenig große
ischen Gerichtshof (EuGH) einreichen.
letzten 19 Jahre pflichtversichert. MaSprünge
machen
können
wie
vergleich (Quelle: dbb Magazin März 2015/cri)
rianne Nolting arbeitete nach einer Umschulung 1993 als Altenpflegerin, bis
eine schwere Erkrankung sie im August
2008 in die Berufsunfähigkeit zwang.
Beide beziehen – wie alle Unterzeichnerinnen der „Koslowski“-Petition – nur
eine kleine Altersrente und bekunden,
dass sie sich nicht über die Rentenhöhe
beschweren möchten, weil sie bis heute
hinter der Entscheidung für die Familienzeit stehen. Nicht akzeptieren wollen
sie jedoch, dass man sie in die freiwillige Versicherung bei der GKV zwingt, die
nicht nur einen erheblichen Teil ihrer
Familiären Rückhalt geben die Ehemänner, beide Beamte im mittleren Justizvollzugsdienst NordrheinKleinrenten verschlingt, sondern bei der
Westfalens: Karl-Heinz Koslowski (links) ging 2002 in Pension, Hans-Peter Nolting wird im Sommer
Beitragsfestsetzung auch die Pensionen
dieses Jahres aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Fotos (2) dbb Magazin März 2015
ihrer Ehemänner mit einbezieht. Da alle
Redaktionsschluss

für die Ausgabe 3/2015
[email protected]

15.
Mai 2015