Abstracts

AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT
Fachlernen und Sprachlernen!
Bringt zusammen, was zusammen gehört!
J OSEF L EISEN
Sprachbildung ist eine Aufgabe des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts. »Sprache im Unterricht ist
wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man es noch schmiedet«. Sprache im Fach wächst gleichzeitig an und mit
den Fachinhalten. Insofern kann man Fach und Sprache nicht voneinander trennen, weder fachdidaktisch, noch sprachdidaktisch, noch lernpsychologisch. Der Beitrag stellt das Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts vor. Dieser betreibt ein integriertes Fach- und Sprachlernen, d. h. Sprache wird an und mit den Fachinhalten und Fragestellungen des Faches gelernt.
Das Thema Sprachbildung im Fach wirft eine Reihe von Fragen auf:
– Welche Sprachen kommen im Fachunterricht vor?
– Wo liegen die Schwierigkeiten mit der Sprache im Fachunterricht?
– Wie ist das Verhältnis von Fachlernen und Sprachlernen?
– Wie viel Fachsprache braucht der Fachunterricht?
– Wie ist Sprachbildung im sprachsensiblen Fachunterricht möglich?
– Welche sprachlichen Standradsituationen müssen Lerner im Fachunterricht bewältigen?
– Mit welchen Methoden-Werkzeugen kann Sprachbildung betrieben werden?
1 Von der Handlungssprache
zur Bildungssprache
Arten von Metall anzieht. Er zog die Eisenspäne an, aber
nicht die Stecknadel. Er zog auch Dinge nicht an, die nicht
Metall waren.«
In die folgenden Sprechszenen (angelehnt an das Friedrich
Jahresheft – Schüler 2009, S. 76–77) aus dem Nawi-Unterricht
können sich Lehrkräfte bestens hineinversetzen; sind sie ihnen
doch sehr vertraut. Die Lerner der 5. Jahrgangsstufe führen
kleine Freihandexperimente mit Magneten durch und überprüfen an bekannten Gegenständen, welche Stoffe magnetisch
sind und welche nicht.
1. D r e i Z e h n j ä h r i g e s p r e c h e n u n d h a n d e l n
b e i d e m Ve r s u c h :
»Das … nein, es geht nicht … es bewegt sich nicht … versuch
das … ja, es geht … ein bisschen … das nicht … das geht
nicht, es ist kein Metall … diese sind am besten … gehen richtig schnell … jetzt probier das mal. … siehst du nur Metall
geht … Ne nicht alles Metall geht.«
K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um ein handlungsbegleitendes Sprechen. Beim Hantieren mit den Utensilien erübrigen
sich Fachbegriffe, weil die Bezüge offensichtlich sind und die
Situation die Kommunikation steuert.
2. E i n e S c h ü l e r i n b e r i c h t e t a n s c h l i e ß e n d
ü b e r d e n Ve r s u c h :
»Wir versuchten eine Stecknadel … einen Bleistiftanspitzer
ein paar Eisenspäne und ein Stück Plastik … der Magnet hat
die Stecknadel nicht angezogen, aber er hat den Bleistiftanspitzer und die Eisenspäne angezogen … er hat das Plastik nicht
angezogen.«
K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um ein handlungsberichtendes Sprechen. Die Dinge werden aufgezählt mit denen hantiert wird; Beobachtungen werden benannt unter Nutzung
erster Fachbegriffe (Eisenspäne, anziehen). Die typische Ausdrucksweise ist »und dann … und dann … und dann.«
3. S c h r i f t l i c h e r B e r i c h t d e r s e l b e n S c h ü l e r i n :
»Mit unserem Experiment sollten wir herausfinden, was ein
Magnet anzieht. Wir fanden heraus, dass ein Magnet einige
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K o m m e n t a r : Beim schriftlichen Protokollbericht handelt
sich es um ein handlungsbeschreibendes Sprechen. Konnektoren
verbinden Haupt- und Nebensätze (was, dass, aber); UrsacheWirkungs-Zusammenhänge und Fachbegriffe für Generalisierungen (Metall) werden benutzt.
4. T e x t a u s d e m L e h r b u c h :
»Ein Magnet ist ein Stück Metall, das von einem unsichtbaren
Feld umgeben ist, welches auf magnetisches Material wirkt.
Der Magnet kann ein Stück Eisen anziehen, weil sein magnetisches Feld es vorübergehend magnetisch macht. Magnetisierbar sind nur Materialien aus Eisen, Kobalt oder Nickel.«
K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um einen Fachtext mit allen Merkmalen einen Fachtextes in der Bildungssprache, z. B.
Fachbegriffe, viele Komposita, substantivierte Infinitive, verkürzte Nebensatzkonstruktionen, erweiterte Nominalphrasen,
Konditionalsätze, Finalsätze und Konsekutivsätze, usw.
Die Beispiele illustrieren zwei verschiedene Register der Sprache, nämlich die Handlungssprache (hier als handlungsbegleitendes und handlungsberichtendes Sprechen) und die Bildungssprache (hier als schriftlicher Protokollbericht und als Fachtext).
Jeder Lehrkraft sind intuitiv und ohne didaktisches Wissen die
Unterschiede der Register hinsichtlich des sprachlichen Niveaus, der sprachlichen Präzision, der sprachlichen Fehlerkorrektur und des Umgangs klar. Die beiden Register werden auch
als Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit bezeichnet. (Mündlichkeit
ist eine Registerbezeichnung und bedeutet nicht, dass es um
gesprochene Sprache geht. Ein Vortrag wird gesprochen, seine
sprachlichen Merkmale sind die der Schriftlichkeit.)
Beide Register kommen im Unterricht je nach Sprachsituation
vor. Während den meisten Lernern das handlungsbegleitende
und -berichtende Sprechen einigermaßen leicht fällt, bereitet
ihnen die Bildungssprache beachtliche Probleme. Diesen muss
sich der Unterricht stellen. Der mathematische und naturwis-
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 132–137, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
SCHULPRAXIS
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S. I
Der Textaufgabenknacker
S. I + II
Ein Beispiel zur Spezifizierung und Förderung fachspezifischer Lese- und
Verstehensstrategien
N ADINE K RÄGELOH – S USANNE P REDIGER
Ein wichtiger Baustein fachbezogener Sprachbildung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht ist die Förderung
von fachspezifischen Lese- und Verstehensstrategien, zum Beispiel für Textaufgaben, eine im Mathematikunterricht dominante Textsorte. Der Artikel stellt Ergebnisse eines Entwicklungsforschungsprojekts vor, in dem fachspezifische Lese- und
Verstehensstrategien für mehrschrittige algebraische Textaufgaben in Klasse 7/8 spezifiziert und durch ein strategisches Scaffolding gefördert wurden.
1 Ausgangsproblem und Herangehensweise
5 L Mhm.
1.1 Bedeutung der Lesekompetenz
für Mathematikleistung
6 T Äh, wenn das Wetter gut ist, ist Freibad sieben
Tage offen, also eine Woche, also ganze Woche sind
die offen.
Die Lesekompetenz von Jugendlichen erweist sich, neben der
allgemeinen Sprachkompetenz, immer wieder als zentraler
Einflussfaktor für den Leistungserfolg in Mathematik (für PISA
vgl. z. B. KNOCHE & LIND, 2004, 206; für die Zentralen Prüfungen 10 vgl. PREDIGER, RENK, BÜCHTER, GÜRSOY & BENHOLZ,
2013). Dies gilt insbesondere für mathematische Textaufgaben,
die gerade von sprachlich schwächeren Lernenden signifikant
schlechter bewältigt werden als von sprachlich stärkeren Lernenden (z. B. PÖHLER, 2014).
Sprachbildung im Fachunterricht sollte daher (neben anderen
Aspekten, vgl. LEISEN, 2010; AHRENHOLZ, 2010; MEYER & PREDIGER, 2012) auch das Lesen und Verstehen von Textaufgaben
thematisieren. Um dies produktiv tun zu können, muss
• genauer lokalisiert werden, wo die Lese- und Verstehenshürden liegen,
• spezifiziert werden, was Lernende im Fachunterricht
dazu lernen sollen, und dann
• ein Ansatz entwickelt werden, wie diese Lerngegenstände erworben werden können.
1.2 Illustrierendes Einstiegsbeispiel zur Lokalisierung
des Ausgangsproblems
Die Hürden von Lernenden werden hier zunächst konkretisiert am Fallbeispiel einer Episode mit zwei Schülern, Tarik
und Kenan (15/16 Jahre, achte Klasse eines Hauptschul-Erweiterungskurses). Die Episode stammt aus einer sprach- und
fachintegrierten Förderung zum Umgang mit algebraischen
Termen, in der zuvor die Bedeutung der Variablen als Unbestimmte erarbeitet wurde.
Um auch Klammerstrukturen und ihre Bedeutung in Sachkontexten zu thematisieren, wurde in der Aufgabe aus Abbildung
1 die Termstruktur 䊐 · (䊐 – 䊐) vorgegeben. Tarik (T) erklärt
seinen nicht tragfähigen Term (x – (12) · 7 der Förderlehrerin
und Designexperimentleiterin (L) so:
4 T Ähm hier – da ist so eine Wasserpumpe (schaut L
an und L nickt) und wenn Freibad offen ist, läuft
diese Pumpe 12 Stunden lang.
138
7 L Mhm.
8 T Also deswegen, man weiß ja nicht – äh – wann
die zu machen und auf machen wegen Regen.
Deswegen x minus 12 mal 7 … (schaut Kenan an)
glaub ich.
Tarik zeigt in Zeile 4, dass er die Situation der Textaufgabe mit
eigenen Sätzen wiedergeben kann (z. B. Wasserpumpe statt Umwälzpumpe in eigener Satzkonstruktion). Er nennt als wichtige
Informationen samt ihrer Bedeutung die 7 Tage der Woche und
die 12 Stunden der laufenden Pumpe. Für unbekannt hält er,
wann das Bad geschlossen bleibt, ohne dieses »wann« (Zeile 8)
in einer Größe mit Einheit genauer zu fassen. Diese Angabe der
Informationen reicht ihm als Begründung für seinen Term.
Die Förderlehrerin fragt nach:
11 L Mmh, das versteh ich hier nicht ganz. Könnt ihr
mir das nochmal erklären oder vielleicht auch ein
bisschen anders versuchen zu erklären? Ihr habt ja
x mal-
Das Freibad in einer Kleinstadt ist
bei gutem We er sieben Tage in der
Woche geöffnet.
An Regentagen bleibt es geschlossen.
Die Umwälzpumpe für das Wasser
läu an Öffnungstagen 12 Stunden
lang.
Mit welchem Term kann man die
Betriebszeit der Pumpe ausrechnen,
wenn die Zahl der Regentage
veränderlich ist?
Abb. 1.
Beispielaufgabe
und typische
falsche
Mathematisierung
von Tarik
Term:
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 138–144, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
SCHULPRAXIS
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Sprachsensibler
Fachunterricht Mathematik
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S. I
S. I + II
C ORNELIA W ITZMANN
Der Artikel befasst sich mit der Notwendigkeit für sprachsensiblen Fachunterricht, stellt kurz die Struktur von Bildungssprache und Fachsprache Mathematik dar und erläutert die Probleme von Schülern im Mathematikunterricht. Es werden
Möglichkeiten der Förderung in den Bereichen Lesen, Schreiben und Sprechen mit Beispielen aufgezeigt, sowie die Vorüberlegungen zu sprachsensiblen Unterrichtsstunden erklärt.
1 Problemstellung
von Lösungswegen oder dem Begründen von Lösungen oder
Ansätzen sind große Mängel wahrnehmbar.
In den letzten Jahren fallen im Mathematikunterricht zunehmend Schüler auf, die Aufgabenstellungen und Textaufgaben
nicht mehr selbstständig verstehen und bearbeiten können.
Die mündliche Mitarbeit besteht aus Ein-Wort-Antworten und
unvollständigen Fragen oder Aussagen »Versteh ich nicht, das
Alles da – mit den Gleichungen«. Auch bei der Verschriftlichung
Obwohl seit der Pisastudie 2000 konzentriert versucht wird,
über eine neue Aufgabenkultur und Kompetenzorientierung
sowie verstärktes Üben des Leseverständnisses diese Sprachschwierigkeiten zu vermindern, sind die beschriebenen Beobachtungen noch deutlich erkennbar. So stellt sich dann für
Übungen zum Leseverständnis
1 Welcher Text passt zu welcher Aufgabe? Verbinde!
Janna hat 1000 Sammelkarten. Sie verkauft sie an 8 Sammler.
Wie viele bekommt jeder?
125 · 4 = 500
125 · 8 = 1000
Endlich, Tommi hat 125 € gespart! Das neue Fahrrad kostet aber 1000 €.
Wie viel Geld müssen Oma, Opa, Mama, Papa, Lina, Jan und Anne jeder noch
dazu geben, damit es reicht?
1000 – 125 = 875
875 : 7 = 125
Sabine hat im Garten 125 Meerschweinchen. Jedes frisst in 1 Woche 4 kg Heu.
Wie lange reichen 1000 kg Heu?
1000 : 8 = 125
2.1 Welche Aufgabenstellung passt zu den Aufgaben? Schreibe die Aufgabenstellung über die Aufgaben!
2.2 Rechne aus!
Verdopple! Addiere! Schreibe als Dezimalbruch! Dividiere! Vervierfache!
Subtrahiere im Kopf! Rechne in eine kleinere Maßeinheit um!
a)
b)
c)
1=
__
9,5 – 2,6 =
7·4=
1=
__
8,03 – 4 =
0,6 · 4 =
1=
__
3,88 – 0,3 =
3,3 · 4 =
3
__
=
5,09 – 2,01 =
18,66 · 4 =
2=
__
1,65 – 0,66 =
10,03 · 4 =
3
4
2
4
3
Kasten 1. Aufgaben zum Leseverständnis
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 145–148, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
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SCHULPRAXIS
Es ist außerdem wichtig, auch die mündlichen Äußerungen der
Schüler sprachlich zu unterstützen. Das kann schlicht durch
die Aufforderung geschehen, in ganzen Sätzen zu antworten,
oder durch Hilfen wie Satzanfänge und Vokabular zu einem
Problem an die Tafel zu schreiben, so dass die Grundlagen für
eine mündliche Äußerung gegeben sind.
Mehr Sprechzeiten erhalten die Schüler durch Präsentationen,
einige kooperative Lernformen, Expertenpuzzles, die von ihnen verlangen, Probleme und Lösungswege ihren Mitschülern
verständlich zu erklären, Tandembögen, Partnerfragebögen.
Auch dabei könne sie Hilfen durch Satzanfänge und Vokabular erhalten (Kasten 3).
Die Erweiterung des Wortschatzes der Schüler kann in den
drei Bereichen: Lesen, Schreiben und Sprechen erfolgen. Hilfreich kann sein, wenn sich die unterrichtenden Kollegen auf einen verbindlichen Mindestfachwortschatz für einen Jahrgang
einigen. Wortverständnisübungen können in verschiedenen
Unterrichtsphasen eingebaut werden (Kasten 4).
4 Fazit
Diese Änderungen im Unterricht erfordern auch eine andere
Unterrichtsplanung. Es ist sinnvoll sich vorab zu überlegen, ob
die Lernprozesse mehr Kommunikation ermöglichen, z. B. ob
es Sinn macht, die Lernenden ihren Partnern etwas erklären
zu lassen oder eine ausführliche Diskussion zu einem Problem
durchzuführen. Bei der Bearbeitung von längeren Texten kann
vorher überlegt werden, welche Wörter unbekannt sind. Die
Erklärung kann dann per Tafelanschrieb erfolgen.
Diese Vorüberlegungen können strukturiert und erweitert
werden, indem zum Stundeninhalt die Aktivitäten, auch in
den Bereich Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben, die notwendigen Sprachstrukturen und das notwendige Vokabular
mit einbezogen werden (Regionale Arbeitsstelle für Bildung,
Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V., 2012, 34).
Sprachsensibler Fachunterricht bedeutet also, dass sowohl
Lehrkraft als auch Schüler sprachbewusster werden. Ziel des
Unterrichts ist es, dass die Schüler selbstständig Aufgabenstellungen verstehen und bearbeiten können und so im Mathematikunterricht größere Lernerfolge erzielen. Der Erwerb der
fach- und bildungssprachlichen Fähigkeiten unterstützt und
fördert den Erwerb mathematischer Grundfähigkeiten.
Es ist nicht notwendig, dass der Mathematiklehrende Deutschunterricht erteilt. Das Sprachlernen im Mathematikunterricht
sollte in der Anwendungssituation geschehen. Das erfordert
vom Lehrenden eine gute Kenntnis der fachsprachlichen
Schwierigkeiten und Besonderheiten und eine Erweiterung
der Methodenkenntnisse, da auch Methoden des Sprachunterrichts im sprachsensiblen Fachunterricht Mathematik zum
Einsatz kommen sollten.
Literatur
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mit den Wörtern auch. http://www.foermig-berlin.de/materialien/
Web_Mit_der_Sprache.pdf (10.3.2015).
CORNELIA WITZMANN, [email protected], unterrichtet an der
Wilhelm-Kraft-Gesamtschule Sprockhövel die Fächer Deutsch, Mathematik,
Musik und Evangelische Religion. Von 2003 bis 2009 war sie Koordinatorin im Projekt SINUS-Transfer für das Thema Basiskompetenzen mit dem
Schwerpunkt Mathematik und Sprache. Seit 2014 betreut sie das SINUS-Progc
jekt Sprachförderung im Mathematikunterricht.
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Lesestrategie für
Erklärungstexte in Physikbüchern
H EIKO K RABBE – M ELANIE B EESE
Lesekompetenz ist ein wichtiges Bildungsziel, das auch im Fachunterricht Physikunterricht gefördert werden sollte. Dabei
gelten insbesondere Texte in Physikbüchern als besonders schwer und unverständlich. In diesem Artikel wird eine Lesestrategie vorgestellt, die sich die spezifischen Merkmale von Erklärungstexten in Physikbüchern zu Nutze macht, um Schülerinnen und Schülern den Zugang zu solchen Texten zu erleichtern und das Verständnis zu verbessern. Die Lesestrategie
bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Aspekte der Lesekompetenz mit unterschiedlichen Lesetechniken zu üben. Durch
die Einbettung in ein Lehr-Lernmodell wird deutlich gemacht, wie fachliches und sprachliches Lernen miteinander verknüpft
werden können.
1 Lesekompetenz und Einflussfaktoren
Lesekompetenz ist ein vieldiskutierter Begriff. Wir beziehen
uns im Folgenden auf die Definition, die das Bundesministe148
rium für Bildung und Forschung 2007 gegeben hat (ARTELT
et al., 2007): Lesekompetenz besteht danach aus Prozessen
auf verschiedenen Verarbeitungsebenen beginnend mit der
Buchstaben- und Worterkennung, über die syntaktische und
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 148–155, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
SCHULPRAXIS
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Dr. HEIKO KRABBE, abgeordneter Lehrer am Lehrstuhl in der Didaktik der
Physik der Universität Duisburg-Essen ([email protected])
Dr. MELANIE BEESE, Kustodin des Bereich Deutsch als Zweitsprache/Deutsch
als Fremdsprache der Universität Duisburg-Essen (melanie.beese@uni-due.
gc
de)
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S. I
Wortschatztraining im
Physikunterricht
S. I + II
S. I
MERZYN, G. (1994). Physikschulbücher, Physiklehrer und Physikunterricht. Kiel: IPN.
H ENDRIK H ÄRTIG – T INA S TOSIK
Am Beispiel der Fachwörter wird die enge Verbindung von fachlichem und sprachlichem Lernen im Physikunterricht besonders deutlich. Im Rahmen einer Interventionsstudie wurden daher an der Schnittstelle zwischen Sprache und Fach Lerngelegenheiten entwickelt und erprobt. Ziel der Wortschatzübungen im Physikunterricht war es, vor allem die Fachwörter und
deren korrekte Verwendung zum expliziten Lerngegenstand zu machen. Es zeigt sich, dass das Wortschatztraining lernförderlich auch im Hinblick auf das Physikverständnis sein kann. Die Befunde sprechen dafür, im Regelunterricht mehr Zeit für
eine kohärente Nutzung der wichtigsten Fachwörter zu verwenden.
1 Fachwörter im Physikunterricht
Seit langem beschäftigt sich fachdidaktische Forschung in den
Naturwissenschaften mit dem Einfluss der Sprache auf Lernen. Auf der Wort-, Satz- und Textebene unterscheiden sich
vor allem typische Texte, aber auch mündliche Unterrichtsanteile, zum Beispiel im Physikunterricht, von Inhalten insbesondere des Deutschunterrichts (vgl. Artikel von LEISEN in diesem
Heft). Ein Fokus in diesem Forschungsbereich liegt auf dem
Verständnis von Fachwörtern, wie zum Beispiel Kraft, Energie
oder Welle.
Untersuchungen zur Lexik, also der Nutzung solcher Fachwörter, von Physikschulbüchern zeigen, dass in diesen 700 bis
etwa 1000 verschiedene Fachwörter genutzt werden, im Mittel werden auf jeder Schulbuchseite im Durchschnitt 2,5 neue
Fachbegriffe eingeführt (HÄRTIG, 2010). Diese große Zahl an
Fachtermini kann kritisch hinterfragt werden. So wird unter
anderem diskutiert, das Lernen könne über eine konsequente
Verwendung von wichtigen Fachtermini im Rahmen der Textkohärenz verbessert werden (STARAUSCHECK, 2003). Begründet
wird dies unter anderem mit der Annahme, dass Leser mentale Repräsentationen des Texts bilden. Ein Befund aktueller
Schulbuchanalysen in Physik ist jedoch, dass zwar sehr viele
Fachwörter benutzt werden, die meisten aber nur sehr vereinzelt. Besonders wichtige Fachwörter werden zudem nur selten
verwendet, um verschiedene Inhaltsbereiche zu verknüpfen
(HÄRTIG, 2014).
Vergleicht man verschiedene Physikschulbücher, findet sich
ein Grund dafür: nur eine Gruppe von weniger als 200 Fachwörtern wird in der Mehrheit der Schulbücher mehr oder weniger regelmäßig genutzt. Dazu gehören zentrale Fachwörter
wie Energie, Strom oder auch Körper, aber zum Beispiel auch
eher themenspezifische Wörter wie Transistor, Emitter oder
Kristall. Nur die wenigsten dieser 200 Fachwörter werden von
den Autoren konsequent über mehrere Themen hinweg verwendet. Alle anderen Fachwörter sind Beispiele, Synonyme,
Abkürzungen etc., die eben sehr unterschiedlich von den Autoren verwendet werden. HÄRTIG und NEUMANN (2014) diskutieren diese Befunde am Beispiel des Basiskonzepts Energie.
Dabei untersuchen sie das Vorkommen des Fachworts Energie
in einem Schulbuch (vgl. Tabelle 1).
Zwar kommt das Wort Energie selbst sehr häufig und auch in
vielen verschiedenen Kontexten vor, gleichzeitig aber zum Beispiel Energiedosis viel häufiger als Energieform. Energieform
nur zweimal, Energieumsetzung fünfmal und Energieerhaltung siebenmal.
Zusammenfassend zeigen sich somit zwei Befunde: Erstens
enthalten Schulbücher und damit eventuell auch der Physikunterricht selbst, sehr viele verschiedene Fachwörter. Zweitens
werden die zentralen, besonders wichtigen Fachwörter nicht
entsprechend exponiert behandelt. Vor dem Hintergrund von
Forschungsarbeiten zum Lernen aus Texten hängen aber diese
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 155–159, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
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SCHULPRAXIS
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Dr. phil. nat. HENDRIK HÄRTIG ist Juniorprofessor am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel und
unterrichtet Physik an der Humboldt-Schule in Kiel. Zu seinen Forschungsinteressen gehören der Einfluss der Sprache auf Kompetenzerwerb im Physikunterricht und die Förderung experimenteller Kompetenzen. haertig@ipn.
uni-kiel.de.
TINA STOSIK ist zurzeit Referendarin an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad
Bramstedt. Sie hat das Wortschatztraining im Rahmen ihrer Masterarbeit
gc
entwickelt und erprobt.
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S. I
Vokabellernen
im NW-Unterricht
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Literatur
S ILVIJA M ARKIC – K ATJA H AGENMÜLLER
Im folgenden Artikel wird eine Unterrichtseinheit zum Thema »Wasser« vorgestellt, die vor allem für den Unterricht in
sprachlich heterogenen Klassen konzipiert wurde. Der Fokus liegt dabei auf dem Erwerb von Fachwissen und praktischen
Fähigkeiten, aber auch darauf, dass die Schülerinnen und Schüler eine korrekte Fachsprache sowie die deutsche Sprache im
Allgemeinen lernen und einüben, um somit ihren Wortschatz zu erweitern. Die vollständigen Materialien für den Unterricht
sind beim AOL-Verlag zu finden.
1 Einleitung
Das Thema Sprache spielt im Bewusstsein der Schüler wie
auch der Lehrpersonen in den naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern oft eine untergeordnete Rolle (PASTILLE & BOLTE,
2010).
Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen stellte GOGOLIN (1994) für deutsche Schulen einen monolingualen Habitus
fest. Die sprachliche Vielfalt findet dort keine Berücksichtigung, der Unterricht wird unter der Annahme gestaltet, dass
alle Lernenden die nötigen sprachlichen Voraussetzungen mitbrächten (GOGOLIN & LANGE, 2010). Zum anderen verweisen
viele Lehrkräfte mit Blick auf die Bildungs- und Rahmenpläne
darauf, dass aufgrund der Fülle des zu bewältigenden Stoffes
keine Zeit für Sprachförderung bliebe. Dieser Unwille, Unterrichtszeit für die Sprachförderung »zu opfern«, wird zudem
durch die Annahme verstärkt, dass naturwissenschaftlicher
Unterricht sprachunabhängiger sei als das Lernen in anderen
Fächern, wodurch Sprache in den Hintergrund rückt (TAJMEL,
2010). Des Weiteren mangelt es vielen Lehrkräften an Wissen
in Bezug auf die Bedeutung von Sprachförderung, da dies
bis vor kurzem wenig Wichtigkeit im Fachstudium hatte. So
wird z. B. häufig davon ausgegangen, dass sprachliches Lernen beiläufig und zwangsweise geschieht und eine explizite
Thematisierung nicht notwendig sei (GRUNDLER, 2010) oder in
den Deutschunterricht gehöre (FREIMAN & SCHLICKER, 2001).
Außerdem ergaben Befragungen von TAJMEL (2010), dass viele
Lehrkräfte sich aufgrund einer defizitorientierten Sichtweise
machtlos fühlen, den Bildungserfolg von Schülern zu beeinflussen. Schließlich kann festgestellt werden, dass vielen Lehrkräften die Notwendigkeit eines sprachsensiblen Unterrichts
durchaus bewusst ist, sie diesen allerdings aufgrund von Defiziten im methodischen Wissen nicht (konsequent) durchsetzen
können (MARKIC, 2010; TAJMEL, 2010).
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 159–165, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
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Dr. SILVIJA MARKIC, Akademische Rätin am IDN-Chemiedidaktik, Universität Bremen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind sprachliche Heterogenität
und kulturelle Diversität im naturwissenschaftlichen Unterricht, Vorstellungen und PCK der Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden und Diagnostizieren und Fördern im naturwissenschaftliche Unterricht.
KATJA HAGENMÜLLER, Lehrerin für Chemie und Französisch am Gymnasium
gc
am Kattenberge in Buchholz.
S. I + II
S. I
I
S. I
Über den Umgang mit
Fachsprache im Biologieunterricht
D ITTMAR G RAF
Der Beitrag stellt einige lernrelevante Besonderheiten der biologischen Fachsprache vor. Eingegangen wird dabei zunächst
auf Synonyme und Homonyme. Anschließend wird die Verknüpfung von Begriffen zu Begriffssystemen vorgestellt und
schließlich werden Informationen zur Art und Weise des Definierens gegeben.
1 Einleitung
In den letzten Jahren ist zurecht die Untersuchung der fachspezifischen Lernprozesse bei Schülerinnen und Schülern ausgehend von vorunterrichtlichen Vorstellungen bis hin zur konzeptuellen Veränderung durch unterrichtliche Interventionen
in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt, nachdem dies
über viele Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Die Fachsprache
der Biologie wurde in den letzten Jahren insbesondere unter
den Aspekten der Entwicklung von Diagnoseinstrumenten (s.
z. B. NITZ, 2012; FISCHER, 2015) und der fachlichen Klärung im
Rahmen der didaktischen Rekonstruktion untersucht (KATT-
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 165–171, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
165
SCHULPRAXIS
S. I
I
S. I
Begründung eines an
Basiskonzepten orientierten
Unterrichts
S. I + II
K ATHARINA N ACHREINER – M ICHAEL S PANGLER – B IRGIT J. N EUHAUS
Viele Lehrkräfte behaupten, wenn man sie mit der Idee des Unterrichtens nach Basiskonzepten im Fach Biologie konfrontiert,
schon immer mit ihnen unterrichtet zu haben. Zu Recht: Basiskonzepte sind keine Neuerfindung der Bildungsstandards, sondern sind als grundlegende Prinzipien dem Fach Biologie immanent. Zudem basiert ein nach Basiskonzepten strukturierter
Biologieunterricht auf bekannten lernpsychologischen Theorien, die zum Teil schon lange im Unterricht berücksichtigt werden. Neu ist lediglich, dass die Basiskonzepte explizit von der Bildungsadministration vorgegeben werden. In MNU 3/2014
haben wir beschrieben, wie die Planung eines nach Basiskonzepten orientierten Unterrichts praktisch aussehen könnte (NEUHAUS, NACHREINER, OBERBEIL & SPANGLER, 2014). Im Folgenden möchten wir die theoretischen Grundlagen, auf denen ein an
Basiskonzepten orientierter Unterricht aufbaut, zusammenfassend darstellen.
1 Einleitung
Seit der Einführung der Basiskonzepte durch die Bildungsstandards (KMK, 2005) herrscht Uneinigkeit, auf welche Art
und Weise mit diesen Konzepten im Biologieunterricht umgegangen werden soll. Dabei sind Basiskonzepte keine Neuerfindung, denn schon seit den 1970er Jahren gab es Bestrebungen den Biologieunterricht nach grundlegenden Prinzipien zu
gestalten (KATTMANN & ISENSEE, 1977). Konkret wurden als
Strukturierungshilfen beispielsweise universelle Lebensprinzipien (SCHAEFER, 1990) und Erschließungsfelder (BALLMANN
et al., 2002) vorgeschlagen. Sie überschneiden sich teilweise
mit den Basiskonzepten der Bildungsstandards (KMK, 2005)
und denen der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der
Abiturprüfung Biologie (EPAs) (KMK, 2004), die von der Bildungsadministration vorgegeben werden.
In allen Beiträgen zum Unterrichten mit grundlegenden Prinzipien der Biologie, werden diese Prinzipien als Strukturierungshilfe für den Unterricht beschrieben, mit dem Ziel, die
Vernetzung der Unterrichtsinhalte im Sinne eines kumulativen Lernens zu fördern (u. a. BALLMANN, et al. 2002; BEYER,
2006; LICHTNER, 2012; NEUHAUS, et al., 2014; SCHAEFER, 1990;
SCHMIEMANN, LINSNER, WENNING & SANDMANN, 2012). Die
Vernetzung biologischer Inhalte im Rahmen des Biologieunterrichts scheint ein besonders wichtiges Ziel, da sich gerade
der Biologieunterricht aus einer Menge isolierter Fakten zusammensetzt (WADOUH, LIU, SANDMANN & NEUHAUS, 2014).
Somit lassen sich die Basiskonzepte metaphorisch als »Grammatik der Biologie« beschreiben, denn sie geben als Strukturierungshilfe des Unterrichts einen Rahmen vor, in welchem die
Fachinhalte in Beziehung gesetzt und gelernt werden sollen.
Dieser Rahmen variiert nicht mit dem Thema, sondern bleibt
als abstrahiertes Prinzip über die Inhalts- und Themenbereiche
der Biologie gleich. Bisher fehlt es aber an theoretischen Erklärungen, warum ein nach grundlegenden Prinzipien strukturierter Biologieunterricht zu einem besseren Verständnis der
Unterrichtsinhalte durch die Schülerinnen und Schüler führen
kann. Mit diesem Beitrag soll versucht werden, bekannte psychologische Theorien zusammen zu führen, darauf aufbauend
das Lernen von und mit Konzepten zu beschreiben und damit
die Grundlage eines an Basiskonzepten orientierten Unterrichts zu erläutern.
172
Im Folgenden wird zunächst der Konzeptbegriff genauer betrachtet. Im Anschluss sollen die für das Lernen von und mit
Konzepten wesentlichen Bestandteile der Conceptual-Changeund der Cognitive-Load-Theorie vorgestellt und Gemeinsamkeiten betont werden. Abschließend wird der Unterricht mit
den Basiskonzepten in die Dimension der Komplexität des
Kompetenzmodells eingeordnet, das im Rahmen der Evaluation der Standards in den Naturwissenschaften für die Sekundarstufe I (ESNaS) vom IQB in Berlin genutzt wird (KAUERTZ et
al., 2010; PANT, 2013), eingeordnet und daraus Empfehlungen
für den Unterricht abgeleitet.
2 Der Konzeptbegriff
Wie der Terminus Basiskonzept verrät, geht es beim Unterrichten mit Basiskonzepten um das Lernen von und mit Konzepten. In der Kognitionspsychologie wird der Begriff Konzept oft
synonym mit den Begriffen mentales Modell, mentale Repräsentation oder Schema verwendet (SÄLJÖ, 1999). Es handelt sich damit
bei Konzepten um im Gedächtnis von Individuen gespeicherte
Wissensstrukturen, die in Form hierarchisch aufgebauter Concept Maps visualisiert werden können. Dieses Modell wird
genutzt, um den Aufbau eines Konzepts zu beschreiben: Ein
Konzept besteht aus untereinander in Beziehung gesetzten Begriffen. Die Komplexität dieses Netzes verändert sich im Laufe des Lebens durch Erfahrungen und Lernprozesse. Einzelne
Konzepte sind untereinander wiederrum unterschiedlich stark
verbunden. Diese rein strukturelle Auffassung des Konzeptbegriffs ist ursprünglich von PIAGET (1947) geprägt worden.
Es wird diskutiert, dass das Verständnis von Konzepten allein
unter strukturellen Komponenten nicht ausreichend ist. Als
ein ergänzendes Merkmal von Konzepten wird die Zuordnung
zu bestimmten Situationen, in denen das Konzept angewandt
werden kann und die Abgrenzung zu Situationen, in denen das
Konzept nicht zu tragen kommt, aufgeführt (NUNES, 1999; SÄLJÖ, 1999, VERGNAUD, 1985). SÄLJÖ (1999) beschreibt Konzepte in
einer weit gefassten Definition als Hilfsmittel, mit denen sich
die Menschen Ereignisse erschließen, die auf verschiedene Art
und Weise interpretiert werden können. Vergleichbar argumentieren DISESSA und SHERIN (1998), wenn sie verschiedene
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 172–177, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
ZUR DISKUSSION GESTELLT
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KATHARINA NACHREINER, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr. 45/II, 80797 München, katharina.nachreiner@biologie.
uni-muenchen.de – MICHAEL SPANGLER, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr. 45/II, 80797 München – Prof. Dr. BIRGIT
NEUHAUS, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr.
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S. I + II
S. I
I
S. I
Sprachliches und fachliches
Lernen im Experimentalunterricht
C ANA B AYRAK – L UDGER H OFFMANN – B ERND R ALLE
Protokollieren gehört nicht zu den beliebten Tätigkeiten von Schülerinnen und Schülern im naturwissenschaftlichen Unterricht. Dabei stellt das Protokoll eine Textsorte dar, die viele Chancen für das sprachliche und fachliche Lernen eröffnet.
Gleichzeitig verbinden sich damit auch vielfältige Anforderungen. So wird nicht allein der Übergang von der Alltagssprache
hin zur Fach- und Bildungssprache geübt, sondern es sind auch die typischen Sprachmuster für die einzelnen Teile eines
Protokolls entlang des Weges der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung sinnvoll anzuwenden. Im Beitrag wird dargestellt, wie diese Aufgaben im Unterricht mehr in den Mittelpunkt gerückt werden können und sich damit Chancen für die
Verknüpfung von sprachlichem und fachlichem Lernen ergeben. Es wird zudem skizziert, auf welche Weise entsprechende
Förderkompetenzen im Lehramtsstudium verankert werden können.
1 Sprache, Sprachförderung und Fach
Lehrkräfte von MINT-Fächern stehen angesichts der relativ
schlechten mathematisch-naturwissenschaftlichen Ergebnisse
von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
in Schulleistungstests wie TIMSS und PISA vor neuen Herausforderungen. Das Gefälle zwischen den Leistungen von
Schülern mit und ohne Migrationshintergrund wird auf die
unzulängliche Beherrschung der Unterrichtssprache zurückgeführt (STANAT & EDELE, 2011). Betrachtet man die sprach-
MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 177–182, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss
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