AUS BILDUNG UND WISSENSCHAFT Fachlernen und Sprachlernen! Bringt zusammen, was zusammen gehört! J OSEF L EISEN Sprachbildung ist eine Aufgabe des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts. »Sprache im Unterricht ist wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man es noch schmiedet«. Sprache im Fach wächst gleichzeitig an und mit den Fachinhalten. Insofern kann man Fach und Sprache nicht voneinander trennen, weder fachdidaktisch, noch sprachdidaktisch, noch lernpsychologisch. Der Beitrag stellt das Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts vor. Dieser betreibt ein integriertes Fach- und Sprachlernen, d. h. Sprache wird an und mit den Fachinhalten und Fragestellungen des Faches gelernt. Das Thema Sprachbildung im Fach wirft eine Reihe von Fragen auf: – Welche Sprachen kommen im Fachunterricht vor? – Wo liegen die Schwierigkeiten mit der Sprache im Fachunterricht? – Wie ist das Verhältnis von Fachlernen und Sprachlernen? – Wie viel Fachsprache braucht der Fachunterricht? – Wie ist Sprachbildung im sprachsensiblen Fachunterricht möglich? – Welche sprachlichen Standradsituationen müssen Lerner im Fachunterricht bewältigen? – Mit welchen Methoden-Werkzeugen kann Sprachbildung betrieben werden? 1 Von der Handlungssprache zur Bildungssprache Arten von Metall anzieht. Er zog die Eisenspäne an, aber nicht die Stecknadel. Er zog auch Dinge nicht an, die nicht Metall waren.« In die folgenden Sprechszenen (angelehnt an das Friedrich Jahresheft – Schüler 2009, S. 76–77) aus dem Nawi-Unterricht können sich Lehrkräfte bestens hineinversetzen; sind sie ihnen doch sehr vertraut. Die Lerner der 5. Jahrgangsstufe führen kleine Freihandexperimente mit Magneten durch und überprüfen an bekannten Gegenständen, welche Stoffe magnetisch sind und welche nicht. 1. D r e i Z e h n j ä h r i g e s p r e c h e n u n d h a n d e l n b e i d e m Ve r s u c h : »Das … nein, es geht nicht … es bewegt sich nicht … versuch das … ja, es geht … ein bisschen … das nicht … das geht nicht, es ist kein Metall … diese sind am besten … gehen richtig schnell … jetzt probier das mal. … siehst du nur Metall geht … Ne nicht alles Metall geht.« K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um ein handlungsbegleitendes Sprechen. Beim Hantieren mit den Utensilien erübrigen sich Fachbegriffe, weil die Bezüge offensichtlich sind und die Situation die Kommunikation steuert. 2. E i n e S c h ü l e r i n b e r i c h t e t a n s c h l i e ß e n d ü b e r d e n Ve r s u c h : »Wir versuchten eine Stecknadel … einen Bleistiftanspitzer ein paar Eisenspäne und ein Stück Plastik … der Magnet hat die Stecknadel nicht angezogen, aber er hat den Bleistiftanspitzer und die Eisenspäne angezogen … er hat das Plastik nicht angezogen.« K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um ein handlungsberichtendes Sprechen. Die Dinge werden aufgezählt mit denen hantiert wird; Beobachtungen werden benannt unter Nutzung erster Fachbegriffe (Eisenspäne, anziehen). Die typische Ausdrucksweise ist »und dann … und dann … und dann.« 3. S c h r i f t l i c h e r B e r i c h t d e r s e l b e n S c h ü l e r i n : »Mit unserem Experiment sollten wir herausfinden, was ein Magnet anzieht. Wir fanden heraus, dass ein Magnet einige 132 K o m m e n t a r : Beim schriftlichen Protokollbericht handelt sich es um ein handlungsbeschreibendes Sprechen. Konnektoren verbinden Haupt- und Nebensätze (was, dass, aber); UrsacheWirkungs-Zusammenhänge und Fachbegriffe für Generalisierungen (Metall) werden benutzt. 4. T e x t a u s d e m L e h r b u c h : »Ein Magnet ist ein Stück Metall, das von einem unsichtbaren Feld umgeben ist, welches auf magnetisches Material wirkt. Der Magnet kann ein Stück Eisen anziehen, weil sein magnetisches Feld es vorübergehend magnetisch macht. Magnetisierbar sind nur Materialien aus Eisen, Kobalt oder Nickel.« K o m m e n t a r : Es handelt sich hier um einen Fachtext mit allen Merkmalen einen Fachtextes in der Bildungssprache, z. B. Fachbegriffe, viele Komposita, substantivierte Infinitive, verkürzte Nebensatzkonstruktionen, erweiterte Nominalphrasen, Konditionalsätze, Finalsätze und Konsekutivsätze, usw. Die Beispiele illustrieren zwei verschiedene Register der Sprache, nämlich die Handlungssprache (hier als handlungsbegleitendes und handlungsberichtendes Sprechen) und die Bildungssprache (hier als schriftlicher Protokollbericht und als Fachtext). Jeder Lehrkraft sind intuitiv und ohne didaktisches Wissen die Unterschiede der Register hinsichtlich des sprachlichen Niveaus, der sprachlichen Präzision, der sprachlichen Fehlerkorrektur und des Umgangs klar. Die beiden Register werden auch als Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit bezeichnet. (Mündlichkeit ist eine Registerbezeichnung und bedeutet nicht, dass es um gesprochene Sprache geht. Ein Vortrag wird gesprochen, seine sprachlichen Merkmale sind die der Schriftlichkeit.) Beide Register kommen im Unterricht je nach Sprachsituation vor. Während den meisten Lernern das handlungsbegleitende und -berichtende Sprechen einigermaßen leicht fällt, bereitet ihnen die Bildungssprache beachtliche Probleme. Diesen muss sich der Unterricht stellen. Der mathematische und naturwis- MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 132–137, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss SCHULPRAXIS S. I I S. I Der Textaufgabenknacker S. I + II Ein Beispiel zur Spezifizierung und Förderung fachspezifischer Lese- und Verstehensstrategien N ADINE K RÄGELOH – S USANNE P REDIGER Ein wichtiger Baustein fachbezogener Sprachbildung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht ist die Förderung von fachspezifischen Lese- und Verstehensstrategien, zum Beispiel für Textaufgaben, eine im Mathematikunterricht dominante Textsorte. Der Artikel stellt Ergebnisse eines Entwicklungsforschungsprojekts vor, in dem fachspezifische Lese- und Verstehensstrategien für mehrschrittige algebraische Textaufgaben in Klasse 7/8 spezifiziert und durch ein strategisches Scaffolding gefördert wurden. 1 Ausgangsproblem und Herangehensweise 5 L Mhm. 1.1 Bedeutung der Lesekompetenz für Mathematikleistung 6 T Äh, wenn das Wetter gut ist, ist Freibad sieben Tage offen, also eine Woche, also ganze Woche sind die offen. Die Lesekompetenz von Jugendlichen erweist sich, neben der allgemeinen Sprachkompetenz, immer wieder als zentraler Einflussfaktor für den Leistungserfolg in Mathematik (für PISA vgl. z. B. KNOCHE & LIND, 2004, 206; für die Zentralen Prüfungen 10 vgl. PREDIGER, RENK, BÜCHTER, GÜRSOY & BENHOLZ, 2013). Dies gilt insbesondere für mathematische Textaufgaben, die gerade von sprachlich schwächeren Lernenden signifikant schlechter bewältigt werden als von sprachlich stärkeren Lernenden (z. B. PÖHLER, 2014). Sprachbildung im Fachunterricht sollte daher (neben anderen Aspekten, vgl. LEISEN, 2010; AHRENHOLZ, 2010; MEYER & PREDIGER, 2012) auch das Lesen und Verstehen von Textaufgaben thematisieren. Um dies produktiv tun zu können, muss • genauer lokalisiert werden, wo die Lese- und Verstehenshürden liegen, • spezifiziert werden, was Lernende im Fachunterricht dazu lernen sollen, und dann • ein Ansatz entwickelt werden, wie diese Lerngegenstände erworben werden können. 1.2 Illustrierendes Einstiegsbeispiel zur Lokalisierung des Ausgangsproblems Die Hürden von Lernenden werden hier zunächst konkretisiert am Fallbeispiel einer Episode mit zwei Schülern, Tarik und Kenan (15/16 Jahre, achte Klasse eines Hauptschul-Erweiterungskurses). Die Episode stammt aus einer sprach- und fachintegrierten Förderung zum Umgang mit algebraischen Termen, in der zuvor die Bedeutung der Variablen als Unbestimmte erarbeitet wurde. Um auch Klammerstrukturen und ihre Bedeutung in Sachkontexten zu thematisieren, wurde in der Aufgabe aus Abbildung 1 die Termstruktur 䊐 · (䊐 – 䊐) vorgegeben. Tarik (T) erklärt seinen nicht tragfähigen Term (x – (12) · 7 der Förderlehrerin und Designexperimentleiterin (L) so: 4 T Ähm hier – da ist so eine Wasserpumpe (schaut L an und L nickt) und wenn Freibad offen ist, läuft diese Pumpe 12 Stunden lang. 138 7 L Mhm. 8 T Also deswegen, man weiß ja nicht – äh – wann die zu machen und auf machen wegen Regen. Deswegen x minus 12 mal 7 … (schaut Kenan an) glaub ich. Tarik zeigt in Zeile 4, dass er die Situation der Textaufgabe mit eigenen Sätzen wiedergeben kann (z. B. Wasserpumpe statt Umwälzpumpe in eigener Satzkonstruktion). Er nennt als wichtige Informationen samt ihrer Bedeutung die 7 Tage der Woche und die 12 Stunden der laufenden Pumpe. Für unbekannt hält er, wann das Bad geschlossen bleibt, ohne dieses »wann« (Zeile 8) in einer Größe mit Einheit genauer zu fassen. Diese Angabe der Informationen reicht ihm als Begründung für seinen Term. Die Förderlehrerin fragt nach: 11 L Mmh, das versteh ich hier nicht ganz. Könnt ihr mir das nochmal erklären oder vielleicht auch ein bisschen anders versuchen zu erklären? Ihr habt ja x mal- Das Freibad in einer Kleinstadt ist bei gutem We er sieben Tage in der Woche geöffnet. An Regentagen bleibt es geschlossen. Die Umwälzpumpe für das Wasser läu an Öffnungstagen 12 Stunden lang. Mit welchem Term kann man die Betriebszeit der Pumpe ausrechnen, wenn die Zahl der Regentage veränderlich ist? Abb. 1. Beispielaufgabe und typische falsche Mathematisierung von Tarik Term: MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 138–144, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss SCHULPRAXIS S. I Sprachsensibler Fachunterricht Mathematik I S. I S. I + II C ORNELIA W ITZMANN Der Artikel befasst sich mit der Notwendigkeit für sprachsensiblen Fachunterricht, stellt kurz die Struktur von Bildungssprache und Fachsprache Mathematik dar und erläutert die Probleme von Schülern im Mathematikunterricht. Es werden Möglichkeiten der Förderung in den Bereichen Lesen, Schreiben und Sprechen mit Beispielen aufgezeigt, sowie die Vorüberlegungen zu sprachsensiblen Unterrichtsstunden erklärt. 1 Problemstellung von Lösungswegen oder dem Begründen von Lösungen oder Ansätzen sind große Mängel wahrnehmbar. In den letzten Jahren fallen im Mathematikunterricht zunehmend Schüler auf, die Aufgabenstellungen und Textaufgaben nicht mehr selbstständig verstehen und bearbeiten können. Die mündliche Mitarbeit besteht aus Ein-Wort-Antworten und unvollständigen Fragen oder Aussagen »Versteh ich nicht, das Alles da – mit den Gleichungen«. Auch bei der Verschriftlichung Obwohl seit der Pisastudie 2000 konzentriert versucht wird, über eine neue Aufgabenkultur und Kompetenzorientierung sowie verstärktes Üben des Leseverständnisses diese Sprachschwierigkeiten zu vermindern, sind die beschriebenen Beobachtungen noch deutlich erkennbar. So stellt sich dann für Übungen zum Leseverständnis 1 Welcher Text passt zu welcher Aufgabe? Verbinde! Janna hat 1000 Sammelkarten. Sie verkauft sie an 8 Sammler. Wie viele bekommt jeder? 125 · 4 = 500 125 · 8 = 1000 Endlich, Tommi hat 125 € gespart! Das neue Fahrrad kostet aber 1000 €. Wie viel Geld müssen Oma, Opa, Mama, Papa, Lina, Jan und Anne jeder noch dazu geben, damit es reicht? 1000 – 125 = 875 875 : 7 = 125 Sabine hat im Garten 125 Meerschweinchen. Jedes frisst in 1 Woche 4 kg Heu. Wie lange reichen 1000 kg Heu? 1000 : 8 = 125 2.1 Welche Aufgabenstellung passt zu den Aufgaben? Schreibe die Aufgabenstellung über die Aufgaben! 2.2 Rechne aus! Verdopple! Addiere! Schreibe als Dezimalbruch! Dividiere! Vervierfache! Subtrahiere im Kopf! Rechne in eine kleinere Maßeinheit um! a) b) c) 1= __ 9,5 – 2,6 = 7·4= 1= __ 8,03 – 4 = 0,6 · 4 = 1= __ 3,88 – 0,3 = 3,3 · 4 = 3 __ = 5,09 – 2,01 = 18,66 · 4 = 2= __ 1,65 – 0,66 = 10,03 · 4 = 3 4 2 4 3 Kasten 1. Aufgaben zum Leseverständnis MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 145–148, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 145 SCHULPRAXIS Es ist außerdem wichtig, auch die mündlichen Äußerungen der Schüler sprachlich zu unterstützen. Das kann schlicht durch die Aufforderung geschehen, in ganzen Sätzen zu antworten, oder durch Hilfen wie Satzanfänge und Vokabular zu einem Problem an die Tafel zu schreiben, so dass die Grundlagen für eine mündliche Äußerung gegeben sind. Mehr Sprechzeiten erhalten die Schüler durch Präsentationen, einige kooperative Lernformen, Expertenpuzzles, die von ihnen verlangen, Probleme und Lösungswege ihren Mitschülern verständlich zu erklären, Tandembögen, Partnerfragebögen. Auch dabei könne sie Hilfen durch Satzanfänge und Vokabular erhalten (Kasten 3). Die Erweiterung des Wortschatzes der Schüler kann in den drei Bereichen: Lesen, Schreiben und Sprechen erfolgen. Hilfreich kann sein, wenn sich die unterrichtenden Kollegen auf einen verbindlichen Mindestfachwortschatz für einen Jahrgang einigen. Wortverständnisübungen können in verschiedenen Unterrichtsphasen eingebaut werden (Kasten 4). 4 Fazit Diese Änderungen im Unterricht erfordern auch eine andere Unterrichtsplanung. Es ist sinnvoll sich vorab zu überlegen, ob die Lernprozesse mehr Kommunikation ermöglichen, z. B. ob es Sinn macht, die Lernenden ihren Partnern etwas erklären zu lassen oder eine ausführliche Diskussion zu einem Problem durchzuführen. Bei der Bearbeitung von längeren Texten kann vorher überlegt werden, welche Wörter unbekannt sind. Die Erklärung kann dann per Tafelanschrieb erfolgen. Diese Vorüberlegungen können strukturiert und erweitert werden, indem zum Stundeninhalt die Aktivitäten, auch in den Bereich Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben, die notwendigen Sprachstrukturen und das notwendige Vokabular mit einbezogen werden (Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V., 2012, 34). Sprachsensibler Fachunterricht bedeutet also, dass sowohl Lehrkraft als auch Schüler sprachbewusster werden. Ziel des Unterrichts ist es, dass die Schüler selbstständig Aufgabenstellungen verstehen und bearbeiten können und so im Mathematikunterricht größere Lernerfolge erzielen. Der Erwerb der fach- und bildungssprachlichen Fähigkeiten unterstützt und fördert den Erwerb mathematischer Grundfähigkeiten. Es ist nicht notwendig, dass der Mathematiklehrende Deutschunterricht erteilt. Das Sprachlernen im Mathematikunterricht sollte in der Anwendungssituation geschehen. Das erfordert vom Lehrenden eine gute Kenntnis der fachsprachlichen Schwierigkeiten und Besonderheiten und eine Erweiterung der Methodenkenntnisse, da auch Methoden des Sprachunterrichts im sprachsensiblen Fachunterricht Mathematik zum Einsatz kommen sollten. Literatur Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern e. V. (2012). Praxisbaustein Deutsch als Zweitsprache 2 Bildungssprache und sprachsensibler Fachunterricht. http://www.daz-mv.de/fileadmin/ team/Materialien/DaZ_prax2_2012_web.pdf (25.1.2015) SCHOMAKER, E. (2013). Mit der Sprache muss man rechnen – mit den Wörtern auch. http://www.foermig-berlin.de/materialien/ Web_Mit_der_Sprache.pdf (10.3.2015). CORNELIA WITZMANN, [email protected], unterrichtet an der Wilhelm-Kraft-Gesamtschule Sprockhövel die Fächer Deutsch, Mathematik, Musik und Evangelische Religion. Von 2003 bis 2009 war sie Koordinatorin im Projekt SINUS-Transfer für das Thema Basiskompetenzen mit dem Schwerpunkt Mathematik und Sprache. Seit 2014 betreut sie das SINUS-Progc jekt Sprachförderung im Mathematikunterricht. S. I + II S. I I S. I Lesestrategie für Erklärungstexte in Physikbüchern H EIKO K RABBE – M ELANIE B EESE Lesekompetenz ist ein wichtiges Bildungsziel, das auch im Fachunterricht Physikunterricht gefördert werden sollte. Dabei gelten insbesondere Texte in Physikbüchern als besonders schwer und unverständlich. In diesem Artikel wird eine Lesestrategie vorgestellt, die sich die spezifischen Merkmale von Erklärungstexten in Physikbüchern zu Nutze macht, um Schülerinnen und Schülern den Zugang zu solchen Texten zu erleichtern und das Verständnis zu verbessern. Die Lesestrategie bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Aspekte der Lesekompetenz mit unterschiedlichen Lesetechniken zu üben. Durch die Einbettung in ein Lehr-Lernmodell wird deutlich gemacht, wie fachliches und sprachliches Lernen miteinander verknüpft werden können. 1 Lesekompetenz und Einflussfaktoren Lesekompetenz ist ein vieldiskutierter Begriff. Wir beziehen uns im Folgenden auf die Definition, die das Bundesministe148 rium für Bildung und Forschung 2007 gegeben hat (ARTELT et al., 2007): Lesekompetenz besteht danach aus Prozessen auf verschiedenen Verarbeitungsebenen beginnend mit der Buchstaben- und Worterkennung, über die syntaktische und MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 148–155, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss SCHULPRAXIS NIEDERHAUS, C. (2011). Fachsprachlichkeit in Lehrbüchern. Münster: Waxmann. OSER, F., & BAERISWYL, F. (2001). Choreographies of Teaching: Bridging Instruction to Learning. In V. RICHARDSEN (Ed.): AERA’s Handbook of Research on Teaching (4th edition). Washington D. C.: American Educational Research Association, 1031–1065. RICHTER, T. & CHRISTMANN, U. (2002). Lesekompetenz: Prozessebenen und interindividuellen Unterschiede. In N. GROEBEN, & B. HURRELMANN (Hrsg.): Lesekompetenz: Bedingungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim: Juventa, 25–58. SCHELLER, P. (2010). Verständlichkeit im Physikschulbuch. Kriterien und Ergebnisse einer interdisziplinären Analyse. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. STARAUSCHEK, E. (2003). Ergebnisse einer Schülerbefragung über Physikschulbücher. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 9, 135–146. Dr. HEIKO KRABBE, abgeordneter Lehrer am Lehrstuhl in der Didaktik der Physik der Universität Duisburg-Essen ([email protected]) Dr. MELANIE BEESE, Kustodin des Bereich Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache der Universität Duisburg-Essen (melanie.beese@uni-due. gc de) I S. I Wortschatztraining im Physikunterricht S. I + II S. I MERZYN, G. (1994). Physikschulbücher, Physiklehrer und Physikunterricht. Kiel: IPN. H ENDRIK H ÄRTIG – T INA S TOSIK Am Beispiel der Fachwörter wird die enge Verbindung von fachlichem und sprachlichem Lernen im Physikunterricht besonders deutlich. Im Rahmen einer Interventionsstudie wurden daher an der Schnittstelle zwischen Sprache und Fach Lerngelegenheiten entwickelt und erprobt. Ziel der Wortschatzübungen im Physikunterricht war es, vor allem die Fachwörter und deren korrekte Verwendung zum expliziten Lerngegenstand zu machen. Es zeigt sich, dass das Wortschatztraining lernförderlich auch im Hinblick auf das Physikverständnis sein kann. Die Befunde sprechen dafür, im Regelunterricht mehr Zeit für eine kohärente Nutzung der wichtigsten Fachwörter zu verwenden. 1 Fachwörter im Physikunterricht Seit langem beschäftigt sich fachdidaktische Forschung in den Naturwissenschaften mit dem Einfluss der Sprache auf Lernen. Auf der Wort-, Satz- und Textebene unterscheiden sich vor allem typische Texte, aber auch mündliche Unterrichtsanteile, zum Beispiel im Physikunterricht, von Inhalten insbesondere des Deutschunterrichts (vgl. Artikel von LEISEN in diesem Heft). Ein Fokus in diesem Forschungsbereich liegt auf dem Verständnis von Fachwörtern, wie zum Beispiel Kraft, Energie oder Welle. Untersuchungen zur Lexik, also der Nutzung solcher Fachwörter, von Physikschulbüchern zeigen, dass in diesen 700 bis etwa 1000 verschiedene Fachwörter genutzt werden, im Mittel werden auf jeder Schulbuchseite im Durchschnitt 2,5 neue Fachbegriffe eingeführt (HÄRTIG, 2010). Diese große Zahl an Fachtermini kann kritisch hinterfragt werden. So wird unter anderem diskutiert, das Lernen könne über eine konsequente Verwendung von wichtigen Fachtermini im Rahmen der Textkohärenz verbessert werden (STARAUSCHECK, 2003). Begründet wird dies unter anderem mit der Annahme, dass Leser mentale Repräsentationen des Texts bilden. Ein Befund aktueller Schulbuchanalysen in Physik ist jedoch, dass zwar sehr viele Fachwörter benutzt werden, die meisten aber nur sehr vereinzelt. Besonders wichtige Fachwörter werden zudem nur selten verwendet, um verschiedene Inhaltsbereiche zu verknüpfen (HÄRTIG, 2014). Vergleicht man verschiedene Physikschulbücher, findet sich ein Grund dafür: nur eine Gruppe von weniger als 200 Fachwörtern wird in der Mehrheit der Schulbücher mehr oder weniger regelmäßig genutzt. Dazu gehören zentrale Fachwörter wie Energie, Strom oder auch Körper, aber zum Beispiel auch eher themenspezifische Wörter wie Transistor, Emitter oder Kristall. Nur die wenigsten dieser 200 Fachwörter werden von den Autoren konsequent über mehrere Themen hinweg verwendet. Alle anderen Fachwörter sind Beispiele, Synonyme, Abkürzungen etc., die eben sehr unterschiedlich von den Autoren verwendet werden. HÄRTIG und NEUMANN (2014) diskutieren diese Befunde am Beispiel des Basiskonzepts Energie. Dabei untersuchen sie das Vorkommen des Fachworts Energie in einem Schulbuch (vgl. Tabelle 1). Zwar kommt das Wort Energie selbst sehr häufig und auch in vielen verschiedenen Kontexten vor, gleichzeitig aber zum Beispiel Energiedosis viel häufiger als Energieform. Energieform nur zweimal, Energieumsetzung fünfmal und Energieerhaltung siebenmal. Zusammenfassend zeigen sich somit zwei Befunde: Erstens enthalten Schulbücher und damit eventuell auch der Physikunterricht selbst, sehr viele verschiedene Fachwörter. Zweitens werden die zentralen, besonders wichtigen Fachwörter nicht entsprechend exponiert behandelt. Vor dem Hintergrund von Forschungsarbeiten zum Lernen aus Texten hängen aber diese MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 155–159, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 155 SCHULPRAXIS AGEL, C., BEESE, M. & KRÄMER, S. (2012). Naturwissenschaftliche Sprachförderung. MNU, 65(1), 36. BUSCH, H. & RALLE, B. (2013). 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Science text comprehension: Drawing, main idea selection, and summerizing as learning strategies. Learning and Instruction, 22, 16–26. LUMER, J., SIEGEL, C. & PICARD, F. (2012). Leseförderung im Biologieunterricht. MNU, 65(5), 307–309. RINCKE, K. (2010). Von der Alltagssprache zur Fachsprache – Bruch oder schrittweiser Übergang. In G. FENKHART, E. ZEITLINGER & A. LEMBENS (Hrsg.): Sprache Mathematik und Naturwissenschaften; ide-extra Band 16. Insbruck: Studien Verlag, 47–62. STARAUSCHEK, E. (2003). Ergebnisse einer Schülerbefragung über Physikschulbücher. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 9, 135–146. Dr. phil. nat. HENDRIK HÄRTIG ist Juniorprofessor am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel und unterrichtet Physik an der Humboldt-Schule in Kiel. Zu seinen Forschungsinteressen gehören der Einfluss der Sprache auf Kompetenzerwerb im Physikunterricht und die Förderung experimenteller Kompetenzen. haertig@ipn. uni-kiel.de. TINA STOSIK ist zurzeit Referendarin an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt. Sie hat das Wortschatztraining im Rahmen ihrer Masterarbeit gc entwickelt und erprobt. I S. I Vokabellernen im NW-Unterricht S. I + II S. I Literatur S ILVIJA M ARKIC – K ATJA H AGENMÜLLER Im folgenden Artikel wird eine Unterrichtseinheit zum Thema »Wasser« vorgestellt, die vor allem für den Unterricht in sprachlich heterogenen Klassen konzipiert wurde. Der Fokus liegt dabei auf dem Erwerb von Fachwissen und praktischen Fähigkeiten, aber auch darauf, dass die Schülerinnen und Schüler eine korrekte Fachsprache sowie die deutsche Sprache im Allgemeinen lernen und einüben, um somit ihren Wortschatz zu erweitern. Die vollständigen Materialien für den Unterricht sind beim AOL-Verlag zu finden. 1 Einleitung Das Thema Sprache spielt im Bewusstsein der Schüler wie auch der Lehrpersonen in den naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern oft eine untergeordnete Rolle (PASTILLE & BOLTE, 2010). Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen stellte GOGOLIN (1994) für deutsche Schulen einen monolingualen Habitus fest. Die sprachliche Vielfalt findet dort keine Berücksichtigung, der Unterricht wird unter der Annahme gestaltet, dass alle Lernenden die nötigen sprachlichen Voraussetzungen mitbrächten (GOGOLIN & LANGE, 2010). Zum anderen verweisen viele Lehrkräfte mit Blick auf die Bildungs- und Rahmenpläne darauf, dass aufgrund der Fülle des zu bewältigenden Stoffes keine Zeit für Sprachförderung bliebe. Dieser Unwille, Unterrichtszeit für die Sprachförderung »zu opfern«, wird zudem durch die Annahme verstärkt, dass naturwissenschaftlicher Unterricht sprachunabhängiger sei als das Lernen in anderen Fächern, wodurch Sprache in den Hintergrund rückt (TAJMEL, 2010). Des Weiteren mangelt es vielen Lehrkräften an Wissen in Bezug auf die Bedeutung von Sprachförderung, da dies bis vor kurzem wenig Wichtigkeit im Fachstudium hatte. So wird z. B. häufig davon ausgegangen, dass sprachliches Lernen beiläufig und zwangsweise geschieht und eine explizite Thematisierung nicht notwendig sei (GRUNDLER, 2010) oder in den Deutschunterricht gehöre (FREIMAN & SCHLICKER, 2001). Außerdem ergaben Befragungen von TAJMEL (2010), dass viele Lehrkräfte sich aufgrund einer defizitorientierten Sichtweise machtlos fühlen, den Bildungserfolg von Schülern zu beeinflussen. Schließlich kann festgestellt werden, dass vielen Lehrkräften die Notwendigkeit eines sprachsensiblen Unterrichts durchaus bewusst ist, sie diesen allerdings aufgrund von Defiziten im methodischen Wissen nicht (konsequent) durchsetzen können (MARKIC, 2010; TAJMEL, 2010). MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 159–165, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 159 SCHULPRAXIS KRÜGER, A. (2003). Gelerntes üben. NiU-Physik, 75–76, 68–70. LEISEN, L. (2003). Methoden-Werkzeuge. Neue Erfahrungen mit bekannten Materialien. NiU-Physik, 75–76, 6–12. LEISEN, J. (2005). Muss ich jetzt auch noch Sprache unterrichten? Sprache und Physikunterricht. NiU-Physik, 87, 4–9. LEISEN, J. (2010). Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis. Grundlagenwissen, Anregungen und Beispiele für die Unterstützung von sprachschwachen Lernern und Lernern mit Zuwanderungsgeschichte beim Sprechen, Lesen, Schreiben und Üben im Fach. Bonn: Varus. LEISEN, J. & BERGE, O. E. (2005): Kurzer Rede langer Sinn. Das Verhältnis von Verstehen und Fachsprache. NiU-Physik, 87, 26–27. MARKIC, S. (2010). Umgang mit sprachlichen Defiziten von Schülerinnen und Schülern im Chemieunterricht. In: D. HÖTTECKE (Hg.): Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens zwischen Phänomen und Systematik. Münster: LIT, 496–498. MARKIC, S. & BRUNS, H. (2013). Stoffe erkunden – Materialien zum Umgang mit sprachlicher Heterogenität. NiU-Chemie, 135, 20–25. MARKIC, S. & HECKHOFF, M. (2014). Spielerisch im naturwissenschaftlichen Unterricht kommunizieren. MNU, 67(1), 36–41. 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Verknüpfung naturwissenschaftlicher und sprachlicher Bildung. In: D. HÖTTECKE (Hg.): Entwicklung naturwissenschaftlichen Denkens zwischen Phänomen und Systematik. Münster: LIT, 248–250. STÄUDEL, L. (2009). Aufgaben mir gestuften Hilfen. Eine selbstdifferenzierte Lernumgebnung am Beispiel Osmose und Verbrennung. NiU-Chemie, 111/112, 72–77. TAJMEL, T. (2010). DaZ-Förderung im naturwissenschaftlichen Fachunterricht. In: B. AHRENHOLZ (Hg.): Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache. Tübingen: Narr, 167–184. WLOTZKA, P. & RALLE, B. (2008). Experimentieren in der Muttersprache. Sprachförderung im naturwissenschaftlichen Unterricht durch muttersprachliche Experimentieranleitungen – eine Fallstudie. NiU-Chemie, 106/107, 62–65. Dr. SILVIJA MARKIC, Akademische Rätin am IDN-Chemiedidaktik, Universität Bremen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind sprachliche Heterogenität und kulturelle Diversität im naturwissenschaftlichen Unterricht, Vorstellungen und PCK der Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden und Diagnostizieren und Fördern im naturwissenschaftliche Unterricht. KATJA HAGENMÜLLER, Lehrerin für Chemie und Französisch am Gymnasium gc am Kattenberge in Buchholz. S. I + II S. I I S. I Über den Umgang mit Fachsprache im Biologieunterricht D ITTMAR G RAF Der Beitrag stellt einige lernrelevante Besonderheiten der biologischen Fachsprache vor. Eingegangen wird dabei zunächst auf Synonyme und Homonyme. Anschließend wird die Verknüpfung von Begriffen zu Begriffssystemen vorgestellt und schließlich werden Informationen zur Art und Weise des Definierens gegeben. 1 Einleitung In den letzten Jahren ist zurecht die Untersuchung der fachspezifischen Lernprozesse bei Schülerinnen und Schülern ausgehend von vorunterrichtlichen Vorstellungen bis hin zur konzeptuellen Veränderung durch unterrichtliche Interventionen in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt, nachdem dies über viele Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Die Fachsprache der Biologie wurde in den letzten Jahren insbesondere unter den Aspekten der Entwicklung von Diagnoseinstrumenten (s. z. B. NITZ, 2012; FISCHER, 2015) und der fachlichen Klärung im Rahmen der didaktischen Rekonstruktion untersucht (KATT- MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 165–171, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 165 SCHULPRAXIS S. I I S. I Begründung eines an Basiskonzepten orientierten Unterrichts S. I + II K ATHARINA N ACHREINER – M ICHAEL S PANGLER – B IRGIT J. N EUHAUS Viele Lehrkräfte behaupten, wenn man sie mit der Idee des Unterrichtens nach Basiskonzepten im Fach Biologie konfrontiert, schon immer mit ihnen unterrichtet zu haben. Zu Recht: Basiskonzepte sind keine Neuerfindung der Bildungsstandards, sondern sind als grundlegende Prinzipien dem Fach Biologie immanent. Zudem basiert ein nach Basiskonzepten strukturierter Biologieunterricht auf bekannten lernpsychologischen Theorien, die zum Teil schon lange im Unterricht berücksichtigt werden. Neu ist lediglich, dass die Basiskonzepte explizit von der Bildungsadministration vorgegeben werden. In MNU 3/2014 haben wir beschrieben, wie die Planung eines nach Basiskonzepten orientierten Unterrichts praktisch aussehen könnte (NEUHAUS, NACHREINER, OBERBEIL & SPANGLER, 2014). Im Folgenden möchten wir die theoretischen Grundlagen, auf denen ein an Basiskonzepten orientierter Unterricht aufbaut, zusammenfassend darstellen. 1 Einleitung Seit der Einführung der Basiskonzepte durch die Bildungsstandards (KMK, 2005) herrscht Uneinigkeit, auf welche Art und Weise mit diesen Konzepten im Biologieunterricht umgegangen werden soll. Dabei sind Basiskonzepte keine Neuerfindung, denn schon seit den 1970er Jahren gab es Bestrebungen den Biologieunterricht nach grundlegenden Prinzipien zu gestalten (KATTMANN & ISENSEE, 1977). Konkret wurden als Strukturierungshilfen beispielsweise universelle Lebensprinzipien (SCHAEFER, 1990) und Erschließungsfelder (BALLMANN et al., 2002) vorgeschlagen. Sie überschneiden sich teilweise mit den Basiskonzepten der Bildungsstandards (KMK, 2005) und denen der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Biologie (EPAs) (KMK, 2004), die von der Bildungsadministration vorgegeben werden. In allen Beiträgen zum Unterrichten mit grundlegenden Prinzipien der Biologie, werden diese Prinzipien als Strukturierungshilfe für den Unterricht beschrieben, mit dem Ziel, die Vernetzung der Unterrichtsinhalte im Sinne eines kumulativen Lernens zu fördern (u. a. BALLMANN, et al. 2002; BEYER, 2006; LICHTNER, 2012; NEUHAUS, et al., 2014; SCHAEFER, 1990; SCHMIEMANN, LINSNER, WENNING & SANDMANN, 2012). Die Vernetzung biologischer Inhalte im Rahmen des Biologieunterrichts scheint ein besonders wichtiges Ziel, da sich gerade der Biologieunterricht aus einer Menge isolierter Fakten zusammensetzt (WADOUH, LIU, SANDMANN & NEUHAUS, 2014). Somit lassen sich die Basiskonzepte metaphorisch als »Grammatik der Biologie« beschreiben, denn sie geben als Strukturierungshilfe des Unterrichts einen Rahmen vor, in welchem die Fachinhalte in Beziehung gesetzt und gelernt werden sollen. Dieser Rahmen variiert nicht mit dem Thema, sondern bleibt als abstrahiertes Prinzip über die Inhalts- und Themenbereiche der Biologie gleich. Bisher fehlt es aber an theoretischen Erklärungen, warum ein nach grundlegenden Prinzipien strukturierter Biologieunterricht zu einem besseren Verständnis der Unterrichtsinhalte durch die Schülerinnen und Schüler führen kann. Mit diesem Beitrag soll versucht werden, bekannte psychologische Theorien zusammen zu führen, darauf aufbauend das Lernen von und mit Konzepten zu beschreiben und damit die Grundlage eines an Basiskonzepten orientierten Unterrichts zu erläutern. 172 Im Folgenden wird zunächst der Konzeptbegriff genauer betrachtet. Im Anschluss sollen die für das Lernen von und mit Konzepten wesentlichen Bestandteile der Conceptual-Changeund der Cognitive-Load-Theorie vorgestellt und Gemeinsamkeiten betont werden. Abschließend wird der Unterricht mit den Basiskonzepten in die Dimension der Komplexität des Kompetenzmodells eingeordnet, das im Rahmen der Evaluation der Standards in den Naturwissenschaften für die Sekundarstufe I (ESNaS) vom IQB in Berlin genutzt wird (KAUERTZ et al., 2010; PANT, 2013), eingeordnet und daraus Empfehlungen für den Unterricht abgeleitet. 2 Der Konzeptbegriff Wie der Terminus Basiskonzept verrät, geht es beim Unterrichten mit Basiskonzepten um das Lernen von und mit Konzepten. In der Kognitionspsychologie wird der Begriff Konzept oft synonym mit den Begriffen mentales Modell, mentale Repräsentation oder Schema verwendet (SÄLJÖ, 1999). Es handelt sich damit bei Konzepten um im Gedächtnis von Individuen gespeicherte Wissensstrukturen, die in Form hierarchisch aufgebauter Concept Maps visualisiert werden können. Dieses Modell wird genutzt, um den Aufbau eines Konzepts zu beschreiben: Ein Konzept besteht aus untereinander in Beziehung gesetzten Begriffen. Die Komplexität dieses Netzes verändert sich im Laufe des Lebens durch Erfahrungen und Lernprozesse. Einzelne Konzepte sind untereinander wiederrum unterschiedlich stark verbunden. Diese rein strukturelle Auffassung des Konzeptbegriffs ist ursprünglich von PIAGET (1947) geprägt worden. Es wird diskutiert, dass das Verständnis von Konzepten allein unter strukturellen Komponenten nicht ausreichend ist. Als ein ergänzendes Merkmal von Konzepten wird die Zuordnung zu bestimmten Situationen, in denen das Konzept angewandt werden kann und die Abgrenzung zu Situationen, in denen das Konzept nicht zu tragen kommt, aufgeführt (NUNES, 1999; SÄLJÖ, 1999, VERGNAUD, 1985). SÄLJÖ (1999) beschreibt Konzepte in einer weit gefassten Definition als Hilfsmittel, mit denen sich die Menschen Ereignisse erschließen, die auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden können. Vergleichbar argumentieren DISESSA und SHERIN (1998), wenn sie verschiedene MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 172–177, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss ZUR DISKUSSION GESTELLT Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) (2005). Bildungsstandards im Fach Biologie für den mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10): [Beschluss vom 16.12.2004]. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. München, Neuwied: Luchterhand. SENNEBOGEN, S. (2013). Kooperatives Lernen mit Wettbewerb im Biologieunterricht: Entwicklung und Evaluation biologischer EggRaces als problem- und kontextorientierte Unterrichtseinheiten mit Kleingruppenwettbewerb. Berlin: Logos. SUMFLETH, E., FISCHER, H. E., GLEMNITZ, I. & KAUERTZ, A. (2006). Ein Modell vertikaler Vernetzung im naturwissenschaftlichen Unterricht. In: A. PITTON (Hg.): Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik: Lehren und Lernen mit neuen Medien. Münster: Lit. SWELLER, J. (1988). 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KATHARINA NACHREINER, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr. 45/II, 80797 München, katharina.nachreiner@biologie. uni-muenchen.de – MICHAEL SPANGLER, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr. 45/II, 80797 München – Prof. Dr. BIRGIT NEUHAUS, Lehrstuhl für Didaktik der Biologie, LMU München, Winzererstr. gc 45/II, 80797 München. VERGNAUD, G. (1985). Concepts et schemes dans une theorie operatoire de la representation. Psychologie francaise, 30, 245–252. S. I + II S. I I S. I Sprachliches und fachliches Lernen im Experimentalunterricht C ANA B AYRAK – L UDGER H OFFMANN – B ERND R ALLE Protokollieren gehört nicht zu den beliebten Tätigkeiten von Schülerinnen und Schülern im naturwissenschaftlichen Unterricht. Dabei stellt das Protokoll eine Textsorte dar, die viele Chancen für das sprachliche und fachliche Lernen eröffnet. Gleichzeitig verbinden sich damit auch vielfältige Anforderungen. So wird nicht allein der Übergang von der Alltagssprache hin zur Fach- und Bildungssprache geübt, sondern es sind auch die typischen Sprachmuster für die einzelnen Teile eines Protokolls entlang des Weges der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung sinnvoll anzuwenden. Im Beitrag wird dargestellt, wie diese Aufgaben im Unterricht mehr in den Mittelpunkt gerückt werden können und sich damit Chancen für die Verknüpfung von sprachlichem und fachlichem Lernen ergeben. Es wird zudem skizziert, auf welche Weise entsprechende Förderkompetenzen im Lehramtsstudium verankert werden können. 1 Sprache, Sprachförderung und Fach Lehrkräfte von MINT-Fächern stehen angesichts der relativ schlechten mathematisch-naturwissenschaftlichen Ergebnisse von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in Schulleistungstests wie TIMSS und PISA vor neuen Herausforderungen. Das Gefälle zwischen den Leistungen von Schülern mit und ohne Migrationshintergrund wird auf die unzulängliche Beherrschung der Unterrichtssprache zurückgeführt (STANAT & EDELE, 2011). Betrachtet man die sprach- MNU 68/3 (15.5.2015) Seiten 177–182, ISSN 0025-5866, © Verlag Klaus Seeberger, Neuss 177
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