Physikalisches Praktikum für Physiker - Praktika

Physikalisches Institut der Universität Bonn
Physikalisches Praktikum für Physiker
Modul physik260
Status März 2015
S
S
Physikalisches
Institut der Universität
PHYSIKALISCHES
INSTITUT
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
iii
100 Einführungsversuch
1
102 Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
5
104 Physisches Pendel
11
106 Trägheitsmoment
15
108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
19
110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
29
114 Statistische Schwankungen
35
A1 Kurzeinführung in die Statistik
49
A2 Schwingungen
61
Raumplan
71
Vorbemerkungen
Die vorliegenden Texte zu den verschiedenen Versuchen sollen zwei Zielen dienen:
Erstens sollen sie die Praktikanten in die Aufgabenstellungen des jeweiligen Versuchs einweisen
und bei der Vorbereitung unterstützen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass durch diese
Texte keine ausreichende Behandlung der zum Verständnis der Versuche notwendigen physikalischen Grundlagen gegeben wird. Daher werden jeweils entsprechende Lehrbücher angegeben,
deren abschnittsweise Lektüre für die erfolgreiche Bewältigung des Praktikums notwendig ist. Die
zitierten Bücher stehen in der Zentralbibliothek zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass vor allem
bei älteren Ausgaben der Bücher hin und wieder Abweichungen in Sprache oder Bezeichnungen
zu der vorliegenden Praktikumsanleitung vorkommen können.
Zweitens werden die Versuchsanordnungen erläutert, Anweisungen für die Versuchsdurchführungen gegeben, sowie die zu lösenden Aufgaben gestellt. Die Anleitungen sind speziell auf die in
Bonn vorhandenen Versuchsaufbauten zugeschnitten und für die Versuchsdurchführung und Auswertung verbindlich. Die Aufgaben sind unterteilt in solche, die vor Beginn des Versuchs zu lösen
sind (gekennzeichnet durch große Buchstaben), und solche, die im Verlauf der Versuchsdurchführung zu lösen sind (gekennzeichnet durch kleine Buchstaben). Die sorgfältige Bearbeitung der
ersteren dient der Vorbereitung und ist eine der Voraussetzungen zum Verständnis des Versuchsablaufs. Sie sind vor Versuchsbeginn schriftlich zu beantworten und der/dem Versuchsassistentin/en
zur Kontrolle vorzulegen.
Zu Beginn jedes Praktikumstages werden die Praktikanten im Verlauf eines Einführungsgespräches vor Ort mit den Einzelheiten des Versuchsaufbaus und der Durchführung vertraut gemacht,
und der Versuchsablauf wird im Detail durchgesprochen. Sollte sich bei dieser Gelegenheit herausstellen, dass ein(e) Praktikant(in) unzureichend vorbereitet ist, kann er/sie an diesem Tage nicht
zur Durchführung des Versuchs zugelassen werden; ihm/ihr wird ein Nachholtermin zugewiesen.
Bei zweimaliger Nichtzulassung gilt das Praktikum als nicht bestanden.
In der Regel arbeiten zwei Praktikant(inn)en zusammen an einer Apparatur, wobei jedoch jede(r)
ein eigenes Protokoll anfertigt. Daher sind die Messwerte in beiden Protokollen identisch. Bei der
Auswertung und der Fehlerdiskussion dürfen jedoch Unterschiede auftreten.
Das Protokoll soll parallel zu den Experimenten entstehen (in einem festen DIN A4 Heft) und
den Ablauf der Versuche und die Auswertung nachvollziehbar machen. Es ist ordentlich und leserlich abzufassen. Verworfene Messungen werden durchgestrichen und evtl. mit einer Bemerkung
versehen, aus welcher der Grund der Streichung hervorgeht.
Folgende Punkte muss das Protokoll enthalten:
1. Datum der Versuchsdurchführung;
2. Thema und Aufgabenstellung mit einer kurzen Zusammenstellung der verwendeten Größen,
Formeln und Beziehungen;
3. Antworten zu den Aufgaben, die vor Versuchsbeginn zu lösen sind;
Vorbemerkungen
4. Versuchsskizze mit Angaben über Geräte (z. B. Gerätenummer);
5. Durchführung
6. Beobachtungen
• Alle unmittelbar beobachteten Messwerte. Diese sind nur sinnvoll, wenn sie die verwendete physikalische Dimension enthalten (z.B. 5,4 V oder 17 Skt);
• Sonstige Beobachtungen (z. B. Auffälligkeiten während der Durchführung)
7. Auftragung der direkten oder abgeleiteten Messwerte auf Millimeterpapier;
8. Auswertung mit Nebenrechnungen. Bei den Rechnungen sind nur so viele Dezimalstellen
zu verwenden, dass Rundungsfehler keinen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis haben;
9. Ergebnisse mit Fehlerangabe. Wo sich ein Vergleich mit Literaturwerten anbietet, sollten die
Übereinstimmungen kurz diskutiert werden.
10. Antworten zu den Aufgaben während und nach der Versuchsdurchführung.
Das Protokoll ist am Versuchstag fertigzustellen und der/dem Versuchsassistenten/in zu übergeben. Falls dies aus Zeitmangel einmal nicht möglich sein sollte, kann mit der/dem Assistentin/en
ein anderer Abgabetermin vereinbart werden. Das Protokoll muss jedoch spätestens vor Beginn
des nächsten Versuchs vorliegen.
Zu den Versuchstagen soll stets ein Taschenrechner (mit Winkelfunktionen, Logarithmen, Potenzen mit gebrochenen Exponenten) und Millimeterpapier mitgebracht werden.
Computer sind zur Auswertung und zur Erstellung von Graphen nicht zugelassen.
Die Praktikumsassistent(inn)en stehen während der gesamten Praktikumszeit zur Verfügung,
verlassen jedoch nach der Einführung in der Regel den Praktikumsraum. Sie hinterlassen dann eine
Telefonnummer, unter der sie bei auftretenden Schwierigkeiten herbeigerufen werden können.
Das Praktikum wird durch eine Prüfung abgeschlossen, welche vor Ende des laufenden Semesters abgelegt werden muss.
Allgemeine Literaturempfehlungen
Praktikumslehrbücher:
• Walcher, Praktikum der Physik; Teubner
• Geschke, Physikalisches Praktikum für Anfänger, Teubner
• Westphal, Physikalisches Praktikum; Vieweg
• Kohlrausch, Praktische Physik zum Gebrauch für Unterricht, Forschung und Technik
Messdatenauswertung:
• Blobel/Lohrmann, Statistische und Numerische Methoden der Datenanalyse
• Gränicher, Messung beendet - was nun?, ETH-Zürich/Teubner
• Brandt, Datenanalyse
Vorbemerkungen
Formelsammlungen:
• Kneubühl, Repetitorium der Physik;
• Otten, Repetitorium der Experimentalphysik
• Kuchling, Taschenbuch der Physik
Es wird nachdrücklich empfohlen, die Anhänge der Praktikumsanleitung vor Beginn des Praktikums durchzuarbeiten.
Versuch 100
Einführungsversuch
Lernziel: Am Beispiel eines einfachen Messproblems sollen Fertigkeiten für eine erfolgreiche
Versuchsdurchführung und für das Verfassen eines Versuchsprotokolls erworben werden.
Die Teilnahme ist verpflichtend und wird testiert; eine Bewertung des Versuchs findet nicht
statt.
Kenntnisse: Fehlerrechnung, Grundbegriffe und Gesetze der geometrischen Optik: Brechungs-
gesetz, Linsengleichung, Abbildungsmaßstab
Literatur: Einführungsabschnitte in Praktikumsbüchern
Geräte: Optische Bank mit Maßstab und mehreren Reitern, Sammellinse, Lampe, Kreuzblende,
Projektionsschirm
100.1 Erläuterungen
Bestimmen Sie die Brennweite einer dünnen Sammellinse nach dem Bessel-Verfahren. Dazu muss
eine Messapparatur aufgebaut und justiert werden. Für die Bestimmung des Mittelwertes und der
statistischen Fehler wird die Messung mehrfach wiederholt. Fehlerquellen sollen diskutiert und
mittels Fehlerrechung quantifiziert werden.
Zunächst sei an die Abbildungsgleichung und die Definition des Abbildungsmaßstabs erinnert.
Gegenstandsweite g, Gegenstandsgröße G, Bildweite b, Bildgröße B, Brennweite f und Abbildungsmaßstab γ sind verknüpft in den beiden Gleichungen:
1 1 1
+ = ,
g b
f
B b
= = γ.
G g
(100.1)
(100.2)
Im Folgenden wird beiderseits der Linse das gleiche Medium (Luft) vorausgesetzt.
Aufgabe 100.A: Beweisen Sie, dass es für a > 4 f genau 2 Linsenstellungen mit scharfer Abbil-
dung gibt. Welchen Abbildungsmaßstab hat man bei a = 4 f ?
Aufgabe 100.B: Leiten Sie mit dem Abstand der Linsenpositionen e (siehe Abb. 100.1) die fol-
gende Gleichung her:
4 f = a − e2 /a.
(100.3)
Versuch 100 Einführungsversuch
Pos. 1
Pos. 2
G
b1
b2
g
1
e
B
g2
a
Abbildung 100.1: Aufbau für das Bessel-Verfahren auf einer Optischen Bank
100.2 Versuchsdurchführung
In Ihr Protokollheft haben Sie vor Versuchsbeginn bereits eingetragen:
• Nummer und Titel des Versuchs, Datum des Versuchstags,
• Ihre Antworten zu den Aufgaben 100.A und 100.B.
Aufgabe 100.a: Bauen Sie Gegenstand, Linse und Schirm auf der optischen Bank so auf, dass
a > 4 f gewährleistet ist.
Der Abstand a ist durch die Banklänge beschränkt. Den von Ihnen eingestellten Wert von a
messen Sie mit dem in die optische Bank integrierten Maßstab. Dazu müssen Sie entscheiden,
welche Stellen an Gegenstand und Schirm Sie für die Abstandsmessung heranziehen, so dass Sie
sich keinen systematischen Längenmessfehler einhandeln und a auf ∆a ≈ 1 mm messen können.
Um die Bedingung a > 4 f einhalten zu können, müssen Sie f ungefähr kennen. Bestimmen Sie
in einem einfachen Vorversuch – ohne optische Bank – die ungefähre Größe der Brennweite f .
Durch Verschieben der Linse zwischen Gegenstand und Schirm auf der optischen Bank können
Sie überprüfen, ob Ihr Aufbau diese Bedingung erfüllt, und ebenso, ob Sie Gegenstand, Linse und
Schirm auf ein- und derselben optischen Achse parallel zur optischen Bank zentriert haben. Wie
können Sie das erkennen? Prüfen Sie dabei auch, ob Sie die Ebenen von Blende, Linse und Schirm
senkrecht zur optischen Achse fixiert haben.
Spätestens jetzt sollten Sie eine Skizze des Aufbaus mit den Bezeichnungen – ähnlich wie
Abb. 100.1 – in Ihr Heft einzeichnen. Dann tragen Sie direkt, d.h. ohne Schmierzettel, die Ergebnisse Ihrer groben Bestimmung der Brennweite f und Ihre Messung(en) des Abstands a ein.
Zur Ermittlung von a ± ∆a ist eine Messreihe nicht sinnvoll (Warum?). Schätzen Sie ∆a sinnvoll
ab.
Aufgabe 100.b: Mit Hilfe des Bessel-Verfahrens bestimmen Sie nun die Brennweite der Sam-
mellinse. Für festes a sind 10 Paare von Linsen-Einstellungen und Abstandsmessungen vorzunehmen. Aus diesen Messreihen-Paaren ist f mit dem zugehörigen Messfehler ∆ f zu
bestimmen.
Versuch 100 Einführungsversuch
Entscheiden Sie, wie Sie den Abstand e messen: für jede der beiden Linsenpositionen i messen
Sie den Abstand xi des optischen Reiters von demselben Fixpunkt; benutzen Sie immer dieselbe
Stelle. Sie erhalten 2 Messreihen x1 und x2 .
Frage: Warum brauchen Sie die Positionen der Hauptebenen der Linse relativ zu Linsenhalter
bzw. Reiter nicht zu kennen?
Im Protokollheft haben Sie eine Tabelle mit geeigneter Spaltenzahl für Ihre Messreihen und deren Auswertung vorbereitet. Es ist sinnvoll, eine Spalte für Bemerkungen zu einzelnen Messungen
einzurichten, z.B. für Ihre Erklärung einer Fehlmessung.
Nun beginnen Sie die Auswertung Ihrer Messungen. Berechnen Sie die Mittelwerte hx1 i und
hx2 i und daraus hei. Mit Hilfe von Gleichung 100.3 erhalten Sie aus a und hei den Zentralwert f
Ihrer Messung von f . Das ist Ihr bester „Schätzwert“ für die wahre Brennweite.
Ermitteln Sie die Fehler ∆x1 , ∆x2 Ihrer Messreihen. Dazu berechnen Sie die Streuungen ∆xi,n
der N (hier ist N = 10) einzelnen „Stichproben“ gemäß ∆xi,n = xi,n − hxi i und daraus die beiden
Mittelwertfehler bei Mehrfachmessung:
v
t
N
X
1
∆x2 .
(100.4)
∆xi =
N(N − 1) n=1 i,n
Dann berechnen Sie den Messfehler ∆e und daraus schließlich ∆ f , jeweils nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz. Für ∆e ist das einfach: (∆e)2 = (∆x1 )2 + (∆x2 )2 . Dann formen Sie Gleichung 100.3 so um, dass Sie f als Funktion von e und a erhalten, und berechnen die Ableitungen
∂ f /∂e und ∂ f /∂a. Damit berechnen Sie dann ∆ fa=const = ∂ f (e)/∂e · ∆e und ∆ fe=const = ∂ f /∂a · ∆a
und endlich
q
(100.5)
∆ fe=const 2 + ∆ fa=const 2 .
∆f =
All das steht jetzt in Ihrem Protokollheft.
Als Abschluss berechnen Sie mit Ihren Ergebnissen für a, ∆a, e, ∆e Ihr Hauptmessergebnis
f ± ∆ f . Bestimmen Sie die richtige physikalische Maßeinheit.
Versuch 102
Freie und erzwungene Schwingungen mit
Dämpfung
Lernziel: Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung gehören zu den wichtigsten Phä-
nomenen der Physik und sind auf Gebieten verschiedenster Art zu beobachten, z.B. an Pendeln, Saiten, Maschinenteilen, sogar an der Erdkugel, an elektrischen Ladungsverteilungen
in Schwingkreisen oder in Atomhüllen, an Lasern, an Molekülen, an Elementarteilchen. Besonders wichtig ist dabei das Phänomen der Resonanz. So verschieden die schwingenden
physikalischen Messgrößen auch sein mögen, alle diese Schwingsysteme gehorchen denselben Gesetzmäßigkeiten. Daher ist das Verständnis der Eigenschaften irgendeines Schwingsystems die Grundlage für das Verständnis einer Vielzahl von Phänomenen, die wir in der
Natur beobachten.
Dieser Versuch soll am Beispiel eines mechanischen Drehschwingsystems, dem Pohlschen
Drehpendel, mit den grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des allgemeinen Phänomens „Schwingung“ vertraut machen.
Kenntnisse: Hooksches Gesetz, Rotation eines starren Körpers, Trägheitsmoment, rücktreiben-
des und dämpfendes Drehmoment; freie Schwingung eines gedämpften Systems; erzwungene Schwingung, Amplituden- und Phasenverhalten, Resonanz, Inhalt von Anhang A2;
Lorentz-Kraft, Induktionsgesetz, Wirbelströme.
Literatur: Jedes Grundkurs-Lehrbuch der Physik, z.B.
Brandt-Dahmen, Bd. I;
Gerthsen, Physik;
Berkeley, Physik-Kurs III, Kap. 1 und 3;
Pohl, Einfg. in die Physik, Bd. I;
Westphal, Physikalisches Praktikum, Anhang;
Walcher, Physikalisches Praktikum, Kap. 2 und 7
Geräte: Pohlsches Drehpendel 346 00 von Leybold-Heraeus mit Wirbelstrombremse und Exzen-
tererregung, Stoppuhr.
Versuch 102 Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
102.1 Versuchsanordnung
Das Drehpendel nach Pohl ist ein schwingfähiges System, das eine Zusatzdämpfung besitzt. Damit
lässt sich die Abhängigkeit von Amplitude und Phase eines Resonators mit gegebener Eigenfrequenz von der Frequenz eines Erregers und der Dämpfung des Resonators quantitativ aufnehmen.
Die wesentlichen Komponenten der Versuchsanordnung sind in Abb. 102.1 beschrieben. Das
Schwingsystem kann durch ein periodisches, äußeres Drehmoment zu Schwingungen angeregt
werden. Dieses Drehmoment wird von einem Motor (13) (mit einstellbarer Frequenz ν) über einen
Exzenter (11) und ein Gestänge (12), das an einem Ende der Schnecken (2) angreift, erzeugt: dieses
zusätzliche Drehmoment variiert kosinusförmig:
Dϕ → D(ϕ − ϕ1 cos ωt) = Dϕ − Dϕ1 cos ωt.
(102.1)
Um auch die Dämpfung des Systems variieren zu können, ist eine Wirbelstrombremse eingebaut. Der kupferne Drehkörper (1) bewegt sich im Luftspalt eines Elektromagneten (16), dessen
Feldstärke (über den durch ihn fließenden Strom) wählbar ist. Die Leitungselektronen im Kupfer
eines Scheibensegments erfahren beim Eintritt in das Magnetfeld eine Änderung des magnetischen
Flusses, wodurch ein elektrisches Wirbelfeld im Scheibensegment induziert wird. Dies erzeugt
einen geschlossenen Wirbelstrom und damit ein Magnetfeld, das nach der Lenz´schen Regel dem
äußeren Feld entgegen gerichtet ist und zu einer geschwindigkeitsproportionalen Reibungskraft
führt. Die Abnahme der Bewegungsenergie wird über Ohm´sche Verluste der Wirbelströme in
Wärme umgesetzt.
102.2 Durchführung des Versuchs
102.2.1 Freie Schwingung mit Dämpfung
Mit Hilfe des Motors wird der Zeiger des Drehkörpers mit dem Nullpunkt der Skala (5) einjustiert
und der Motor in dieser Stellung abgeschaltet.
Eine Schwingung wird in Gang gesetzt, indem man das Pendel von Hand auslenkt (z. B. auf 19
Skalenteile) und dann loslässt. Vermeiden Sie dabei, dem System durch ungeschicktes Loslassen
einen Drehimpuls zu erteilen.
Aufgabe 102.a: Bestimmen Sie die Eigenfrequenz ν0 aus der Messung der Schwingungsdauer
bei abgeschalteter Wirbelstrombremse über hinreichend viele Perioden. Diese Messung ist
mindestens drei mal zu wiederholen.
Aufgabe 102.b: Messen Sie für 3 verschiedene Stärken der Dämpfung (Magnetströme Im =
(0,1 / 0,3 / 0,5) A) die abklingenden Amplituden als Funktion der Zahl n der Schwingungsperioden. Es genügen 15 Schwingungen.
Amplitude: ϕ(t) = ϕ0 e−βt mit t = n · T (n = 1, 2, 3, . . . ) und T = 2π/ω.
Da Sie zu zweit sind, kann eine/r Protokoll führen und der/die andere die aufeinanderfolgenden Amplitudenwerte eines Abklingvorgangs ablesen.
Versuch 102 Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
Abbildung 102.1: Pohlsches Drehpendel
1, 2
3, 4
5
6
9
11
12
13
14
15
16
Drehpendel, bestehend aus Pendelkörper 1 aus Kupfer und Schneckenfeder 2; ein Ende der
Feder ist mit einem Schwingungserreger 13 verbunden.
Vergleichsanzeiger für Phasenlagen des Schwingungserregers (3) und des Drehpendels (4).
Skalenring zur Amplitudenmessung der Drehschwingung; zur Projektion in Abständen von
je 5 Skalenteilen geschlitzt.
Amplitudenanzeiger
Anschlussbuchsen für Versorgungsspannung des Motors.
Antriebsrad mit Exzenter.
Schubstange.
Schwingungserreger, mit Feder 2 des Drehpendels verbunden.
Schlitz zur Verschiebung des Angriffspunktes der Schubstange 11 am Schwingungserreger
13 (Amplitudeneinstellung des Schwingungserregers).
Schraube zur Halterung der Schubstange 12 in 14.
Elektromagnet zur Wirbelstrombremsung des Drehpendels; 4 mm-Anschlußbuchsen für
Spulenstrom an der Rückseite.
Technische Daten:
Eigenfrequenz: ca. 0,5 Hz
Erregerfrequenz: (0,1 – 1,2) Hz
Motorspannung: maximal 20 V
Stromaufnahme: maximal 600 mA
Wirbelstromdämpfung: (0 – 20) V
Belastbarkeit der Spulen: kurzzeitig maximal 2 A
Versuch 102 Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
Aufgabe 102.c: Tragen Sie die gemessenen Amplituden ϕ gegen die Anzahl n der Perioden in
ein halblogarithmisches Diagramm ein (3 Dekaden). Bestimmen Sie gemäß Anhang A1 die
Ausgleichsgerade
ln ϕn = ln ϕ0 − (βT )n
(102.2)
und aus ihrer Steigung
∆ ln ϕn /∆n = −βT =: − ln K
(102.3)
das Dämpfungsverhältnis K und die Güte Q = π/(βT ).
Vorsicht: Der Magnet der Wirbelstrombremse darf höchstens 2 – 3 Minuten mit Strömen
über 1 A betrieben werden!
102.2.2 Erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
Bei diesem Experiment wird die Amplitude ϕ als Funktion der Frequenz ν bzw. ω, d.h. die Resonanzkurve, gemessen. Der Motor wird dazu mit einer stabilisierten Spannung betrieben (an Klemmen (9) anschließen), wobei die Frequenz eine gut reproduzierbare Funktion der Spannung ist.
Die Spannung wird an einem Digitalvoltmeter (DVM) abgelesen, welches im Versorgungsgerät
eingebaut ist.
Aufgabe 102.d: Ermitteln Sie den Zusammenhang zwischen der Frequenz des Exzenters (11)
und der Motorspannung bei 4 geeignet gewählten Frequenzen im Bereich von (0,1 – 1) Hz,
indem Sie die Zeit für mindestens 10 Umdrehungen stoppen. Stellen Sie den Zusammenhang
zwischen Frequenz und Spannung auf mm-Papier (DIN A4) grafisch dar.
Aufgabe 102.A: Welche Maßeinheit hat das Amplitudenquadrat ϕ2 ?
Aufgabe 102.e: Messen Sie nun für 2 verschiedene Stärken der Dämpfung (Im = (0,3 und 0,5) A)
die Amplitude ϕ als Funktion der Frequenz ν bzw. ω, d.h. die Resonanzkurve.
µ
ϕ(ω) = s
ω2 · ω20
2
2 2
ω0 − ω +
Q2
(102.4)
Legen Sie hinreichend viele Messpunkte in den relativ schmalen Resonanzbereich. Eine
Messung kann erst erfolgen, wenn der Einschwingvorgang hinreichend abgeklungen ist. Beobachten Sie daher, ob der stationäre Zustand erreicht ist.
Es empfiehlt sich, zuerst die Kurve mit der starken Dämpfung zu messen (warum?). Tragen
Sie die Messwerte in ein Diagramm (ϕ gegen ν, ν = 1/T) ein und zeichnen Sie die beiden
Resonanzkurven. Bestimmen Sie die Frequenz ν aus der Motorspannung mit Hilfe der oben
durchgeführten Kalibration.
Versuch 102 Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
Aufgabe 102.f: Bestimmen Sie die√Güte Q aus dem Abstand ∆ν der beiden Frequenzen, für wel-
che die Amplitude auf das 1/ 2-fache der Maximalamplitude abgesunken ist und der Frequenz ν0 , bei der die Maximalamplitude auftritt, mit Q = ν0 /∆ν.
Bestimmen Sie ferner die Güte Q aus dem Verhältnis der Amplituden ϕ(ω = ω0 ) und ϕ(ω →
0).
Vergleichen Sie diese beiden Werte für Q mit denen, die Sie aus der freien Schwingung
ermittelt haben.
Versuch 104
Physisches Pendel
Lernziel: Der wichtige physikalische Begriff des Trägheitsmomentes soll verstanden werden.
Hierzu wird das physische (= körperhafte, reale) Pendel untersucht. Als Anwendung wird
aus der periodischen Bewegung die Erdbeschleunigung g bestimmt.
Kenntnisse: Energie und Arbeit, Drehmoment, Trägheitsmoment, Drehimpuls; Newtonsche Be-
wegungsgleichung, Erhaltungssätze der Mechanik; Drehbewegung um körperfeste Achsen,
Steinerscher Satz; mechanische Pendel, ungedämpfte freie Schwingungen, Eigenfrequenz
Literatur: Jedes Grundkurs-Lehrbuch der Physik
Messgeräte: Stoppuhr, Zollstock
104.1 Physisches Pendel
104.1.1 Erläuterungen
Eine runde Scheibe pendelt um eine Achse A im Abstand a vom Schwerpunkt S der Scheibe
(Abb. 104.1). Der Abstand a kann stufenweise verändert werden. Die Schwingungsdauer T ist
gegeben durch:
Θ
(104.1)
T 2 = 4π2 .
D
Das Trägheitsmoment Θ einer Scheibe mit Radius r und Masse m um die Achse A bestimmt sich
nach dem Steinerschen Satz zu:
Θ = ΘSch + ma2 ,
(104.2)
wobei ΘSch das polare Trägheitsmoment der Scheibe ist.
1
ΘSch = mr2 .
2
(104.3)
Das Drehmoment M = −Dϕ wird durch die Erdanziehung bewirkt, also M = −a · mg sin ϕ. Für
kleine Auslenkungen ϕ kann man näherungsweise sin ϕ ≈ ϕ setzen. Daraus folgt: M = −a · mgϕ,
und damit D = a · mg. Man erhält für das Quadrat der Schwingungsdauer T :
2 ΘSch
T = 4π
2
+ ma2
,
amg
(104.4)
Versuch 104 Physisches Pendel
Abbildung 104.1: Skizze des im Versuch eingesetzten Physischen Pendels
oder:
aT 2 =
4π2 ΘSch 4π2 2
+
·a .
mg
g
(104.5)
Die grafische Darstellung von aT 2 gegen a2 ergibt eine Gerade. Aus der Steigung lässt sich die
Erdbeschleunigung g und aus dem Achsenabschnitt das polare Eigenträgheitsmoment der Scheibe
ΘSch bestimmen.
Aufgabe 104.A: Geben Sie die Formel für das Trägheitsmoment einer Kreisscheibe mit n Lö-
chern im Abstand an von der Drehachse senkrecht durch den Scheibenmittelpunkt S an
(siehe Abb. 104.1). Hinweis: Subtrahieren Sie den Beitrag der Löcher mit Hilfe des Steinerschen Satzes.
104.1.2 Versuchsdurchführung
Justieren Sie mit Hilfe der Dosenlibelle und den 3 Fußschrauben die die Bodenplatte der Pendelhalterung so, dass sie waagerecht steht. Mit dem justierten Aufbau messen Sie die Erdbeschleunigung
g und das Trägheitsmoment der Scheibe ΘSch einschließlich der Fehlergrenzen:
Aufgabe 104.a: Messen Sie für alle vorgesehenen Achsenlagen A die Schwingungsdauer T über
mindestens 10 Perioden und berechnen Sie die dazu gehörigen Fehlergrenzen für T . Die Amplitude darf nur wenige Grad betragen. Tragen Sie aT 2 und die dazugehörigen Fehlerbalken
für aT 2 (Fehlerfortpflanzungsgesetz!) gegen a2 auf. Ermitteln Sie aus der Fit-Geraden die
Erdbeschleunigung g und das Trägheitsmoment ΘSch mit den dazugehörigen Fehlergrenzen.
Versuch 104 Physisches Pendel
Aufgabe 104.b: Vergleichen Sie den so gewonnenen Wert für die Erdbeschleunigung mit dem
wirklichen Wert und das gemessene Trägheitsmoment mit dem aus der Formel ΘSch = mr2 /2
berechneten Wert.
Aufgabe 104.c: Überlegen Sie, wie die Schwingungsdauer T von a abhängen muss, und skizzie-
ren Sie diese. Führen Sie gedanklich die Grenzübergänge a → ∞ und a → 0 durch.
Aufgabe 104.d: Verwenden Sie das Ergebnis aus Aufgabe 104.A und setzen Sie die Zahlenwerte
für „Ihre“ Scheibe ein (die Scheibenmasse m ist in die Scheibe eingeschlagen). Sie messen
den Scheibenradius r, den Durchmesser und die Lochabstände der 9 Löcher. Wie groß ist
der Unterschied zu einer ungelochten Scheibe?
Versuch 106
Trägheitsmoment
Lernziel: Der wichtige physikalische Begriff des Trägheitsmomentes soll verstanden werden.
Hierzu wird aus den Erhaltungssätzen der Mechanik das Trägheitsmoment eines Rades bestimmt.
Kenntnisse: Energie und Arbeit, Drehmoment, Trägheitsmoment, Drehimpuls; Newtonsche Be-
wegungsgleichung, Erhaltungssätze der Mechanik; Drehbewegung um körperfeste Achsen,
Steinerscher Satz
Literatur: Jedes Grundkurs-Lehrbuch der Physik
Messgeräte: Stoppuhr, Zollstock
106.1 Trägheitsmoment eines Rades
106.1.1 Erläuterungen
Die Erhaltungssätze der Mechanik folgen aus Symmetrieeigenschaften der Natur. Sie sind Integrale der Bewegungsgleichungen und daher sehr hilfreich bei deren Lösung. Sie erlauben es, Anfangsund Endzustand eines Systems miteinander in Beziehung zu setzen, ohne dass man über den zeitlichen Ablauf zwischendurch etwas wissen muss.
An einem einfachen Beispiel sollen diese Erhaltungssätze experimentell überprüft werden: Ein
Rad wird in Rotation versetzt, indem es über eine, mit einem Gewicht belastete Schnur angetrieben
wird. Das Trägheitsmoment des Rades wird einmal über den Energiesatz durch die Messung der
erreichten Winkelgeschwindigkeit, zum anderen über den Drehimpuls als Zeitintegral des Drehmomentes durch eine Fallzeitmessung bestimmt.
Indem das antreibende Gewicht der Masse m aus der Höhe h absinkt, wird seine potentielle Energie in kinetische Energie
umgewandelt. Die Bewegung beginnt bei t = 0 aus der Ruhe; das System hat dann die potentielle
Energie des Gewichts mgh. Zu einer späteren Zeit t besteht die kinetische Energie des Systems aus
der Translationsenergie der sich absenkenden Masse 1/2mv2 (t) und der Rotationsenergie des Rades 1/2Θω2 (t) (Trägheitsmoment des Rades: Θ). Die Bewegungen von Rad und Gewicht sind über
die Abrollbedingung v(t) = ω(t) · r verknüpft (Radius der benutzten Schnurrille = Scheibenradius
Bestimmung des Trägheitsmomentes mit dem Energiesatz.
Versuch 106 Trägheitsmoment
r). Zum Zeitpunkt th sei die Masse m um die Strecke h abgesunken. Dann ergibt sich nach dem
Energiesatz:
mgh = 1/2(Θ + mr2 ) · ω2 (th ).
(106.1)
Die absinkende Masse
~ auf das System aus und ändert dessen Drehimpuls in der Zeit
übt ein konstantes Drehmoment M
∆t = th von Null auf den Wert ~L(th ).
~ hat den Betrag M = r · mg, sein Zeitintegral ist:
Das Drehmoment M
Z t
Mdt = rmg · t.
(106.2)
Bestimmung des Trägheitsmomentes mit dem Drehimpulssatz.
0
Zur Zeit t beträgt der Betrag des Drehimpulses des Radsystems
LRad (t) = Θ · ω(t)
(106.3)
und der des Drehimpulses des Gewichtes
LGewicht (t) = mr · v(t) = mr2 · ω(t).
(106.4)
Der Gesamtdrehimpuls ist gleich dem Zeitintegral des Drehmomentes:
rmg · th = (Θ + mr2 ) · ω(th ).
(106.5)
Aufgabe 106.A: Mit welcher Beschleunigung sinkt die Masse m im Radsystem?
Aufgabe 106.B: Berechnen Sie das Trägheitsmoment des Radsystems. Dazu berechnen Sie die
Trägheitsmomente beider Räder nach Θ = 12 mr2 (Trägheitsmoment einer homogenen Kreisscheibe bei Rotation um die Symmetrieachse). M ist die Masse und r der Radius einer Scheibe. Die Daten der Räder finden Sie in Abschnitt 106.1.2.
106.1.2 Versuchsdurchführung
Für diesen Versuch sind ein großes und ein kleines Rad fest miteinander verbunden und können
sich einschließlich ihrer Achse in Kugellagern leicht drehen; alles zusammen bildet das Radsystem
(Abb. 106.1). Eine Schnur, an der ein Gewicht von 25 g oder 50 g Masse hängt, kann wahlweise
um das große oder das kleine Rad gewickelt werden. Die Fallhöhe, die das Gewicht durchläuft,
kann durch Verstellen einer Startmarkierung wahlweise auf (25, 50, 75 oder 100) cm eingestellt
werden. Die Daten der Räder sind mit vernachlässigbar kleinen Fehlern:
Großes Rad: Radius r = 10 cm, Dicke d = 2 cm
Kleines Rad: Radius r = 2,5 cm, Dicke d = 1 cm
Die Räder sind aus einer Aluminiumlegierung mit einer Dichte von 2,7 g cm−3 gefertigt; das
Trägheitsmoment der Achse kann vernachlässigt werden. Die gesamte Anordnung muss vor dem
Versuch mit 3 Fußschrauben senkrecht justiert werden.
Versuch 106 Trägheitsmoment
Abbildung 106.1: Skizze des Radsystems
Aufgabe 106.a: Bestimmen Sie für beide Gewichte unter Benutzung beider Raddurchmesser
das Trägheitsmoment des Radsystems sowohl über Gleichung 106.1 als auch über Gleichung 106.5. Es sollen für:
• die beiden Massen, m = (25 und 50) g
• die beiden Schnurrillenradien, r = (2,5 und 10) cm
• alle 4 einstellbaren Fallhöhen, h = (100, 75, 50 und 25) cm
jeweils die Fallzeit th und unmittelbar nach dem Auftreffen des Gewichtes auf der unteren
Bühne die Umlaufzeit T (n) für n Umläufe gemessen werden. Die Umlaufzeit T (n) wird
durch n geteilt um T (1), die Zeit für eine Umdrehung, zu erhalten. Die Zahl n der Umläufe
wird so gewählt, dass eine Messzeit von etwa 10 Sekunden resultiert (warum?).
Für alle 2 × 2 × 4 = 16 Parametersätze werden Fallzeit th und Umlaufszeit T (n) jeweils
einmal gemessen, für die Parametersätze mit h = 100 cm jedoch dreimal (Schwankungen?)
und daraus gemittelt. Die Kreisfrequenz ω = 2π/T (1) wird errechnet.
Aufgabe 106.b: Für die Energiesatz-Methode wird das Quadrat der Kreisfrequenz ω2 gegen die
Fallhöhe h aufgetragen, für alle 2 × 2 = 4 Parametersätze auf einem Blatt. Aus der Steigung
der Anpassungsgeraden soll (Θ + mr2 ) und daraus Θ errechnet werden. Wie groß ist der
Fehler?
Aufgabe 106.c: Für die Drehmomentsatz-Methode wird die Kreisfrequenz ω gegen die Fallzeit
Versuch 106 Trägheitsmoment
th aufgetragen, ebenfalls für alle 4 Parametersätze auf einem Blatt. Aus der Steigung der
Anpassungsgeraden soll (Θ + mr2 ) und daraus Θ errechnet werden. Wie groß ist der Fehler?
Aufgabe 106.d: Vergleichen Sie die gemessenen Trägheitsmomente mit dem aus den angegebe-
nen Daten berechneten Trägheitsmoment.
Versuch 108
Elastizitätskonstanten, Biegung und
Knickung
Lernziele: Bei den meisten in der elementaren Elastizitätstheorie behandelten Fällen sind die be-
obachtbaren Deformationen proportional zu den Belastungen (Balkenbiegung: Auslenkung
c ∝ Kraft F; Torsion eines Drahtes: Drehwinkel α ∝ Drehmoment M; ideales Gas: Volumenänderung V ∝ Druckänderung p). Bei einem axial belasteten Stab jedoch ist die Querauslendc
= ∞ !) anzuwachsen. Von
kung c = 0 bis zum Erreichen der Knicklast, um dann abrupt ( dF
besonderer Bedeutung ist die Knicklast in Baustatik und Maschinenbau. Hier muss bei der
Konstruktion darauf geachtet werden, dass die Belastung nie die Knicklast erreicht, da die
nach Überschreiten dieser Last sehr rasch wachsende Deformation leicht zum Bruch führt.
Der zweite Versuchsteil behandelt die harmonische Schwingung des ungedämpften Oszillators. Aus der Veränderung der Schwingungsdauer bei einem veränderbaren Drehschwinger
sollen die Begriffe Trägheitsmoment (Θ), Richtkonstante (D), Drehmoment (M) sowie der
Inhalt des Steinerschen Satzes verstanden werden. Hier wird eine weitere Materialkonstante
– das Schubmodul (G), welches sich aus der Richtkonstanten (D) und den Abmessungen des
Torsionsdrahtes bestimmen lässt – eingeführt.
Kenntnisse: Hookesches Gesetz; Elastizitätsmodul, Torsions- oder Schubmodul, neutrale Faser,
Flächenträgheitsmoment, Biegemoment, Knicklast; Drehmoment, Trägheitsmoment, Richtkonstante, Eigenfrequenz; Schwerpunkt, Steinerscher Satz
Literatur: Elastizitätsphysik: Bergmann-Schäfer, Experimentalphysik I;
Schwingungen: jedes Grundkurs-Lehrbuch der Physik, insbesondere Brandt-Dahmen I, Gerthsen, Berkeley Physik-Kurs I und III, Anhang A2; Westphal, Physikalisches Praktikum;
Walcher, Praktikum.
108.1 Biegung eines Balkens und Knickung eines Stabes
108.1.1 Einleitung
Ein einseitig eingespannter gerader Balken verbiegt sich unter Einwirkung senkrecht zur Balkenachse angreifender Kräfte (Abb. 108.1). Ein senkrecht stehender gerader Stab kann unter Belastung
in Richtung der Stabachse wegknicken (Abb. 108.5).
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Abbildung 108.1: Einseitig eingespannter Balken mit Kraftangriff am Ende
Abbildung 108.2: Biegung eines beidseitig aufgelegten Balken mit Mittellast
Abbildung 108.3: Einseitig eingespannter Balken mit verteilter Kraft
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Abbildung 108.4: Biegungsgeometrie
Wir wollen im Folgenden die Deformation von Balken und Stab untersuchen. Zur Vereinfachung
nehmen wir an, dass sie aus homogenem isotropen Material bestehen und dass die Träger längs
der Achse konstanten Querschnitt aufweisen.
Außer den oben angegebenen Fällen sind noch andere Belastungen und Einspannungen von
Interesse, z.B. der beidseitig aufgelegte Balken (Abb. 108.2) oder der mehrfach belastete Balken
(Abb. 108.3).
108.1.2 Spannungen und Dehnungen
Die folgende elementare Behandlung wurde von Daniel Bernoulli (1700–1782) angegeben. Sie ist
nicht frei von unbewiesenen Hypothesen, liefert aber bei geringen Verbiegungen eine brauchbare
Beschreibung.
Ein Längselement ∆` des Balkens wird unter der Belastung so deformiert, dass der obere Teil
gestaucht und der untere Teil gedehnt wird (Abb. 108.4). Durch den Schwerpunkt der Fläche geht
die sogenannte „neutrale Faser“, die ihre Länge unter Belastung nicht ändert. Die neutrale Faser
wird allerdings infolge der Belastung gekrümmt. Als quantitatives Maß hierfür verwendet man
ihren Krümmungsradius ρ. Die Querschnittsflächen bleiben unter der Belastung eben.
Für die (dimensionslose) Dehnung eines Balkenstücks im Abstand y von der neutralen Faser
gilt dann
y+ρ −ρ y
= .
(108.1)
=
ρ
ρ
Über das Hookesche Gesetz σ = E · (E = Elastizitätsmodul) erhält man die auf die Querschnittsflächen wirkenden Zug- bzw. Druck-Spannungen σ zu
σ=E·
y
.
ρ
(108.2)
Für den Konstrukteur sind natürlich die an den Ober- bzw. Unterflächen auftretenden Maximalwerte von σ bedeutsam. Sie dürfen nicht die für das Material zulässigen Zerreißspannungen überschreiten.
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Die vom Balken in seinen Querschnitten zu übertragenden Drehmomente M um den Durchstoßpunkt der neutralen Faser erhält man durch Integration über den Querschnitt:
"
"
E
EI
M=
σ · y dy dx =
y2 dy dx ≡
.
(108.3)
ρ
ρ
!
Das sogenannte Flächenträgheitsmoment I ist durch I =
y2 dx dy definiert. Dabei ist der Nullpunkt der y-Achse in die neutrale Faser zu legen, und die y-Richtung muss mit der Belastungsrichtung übereinstimmen. Das Integral ist für einfache Fälle (Rohr, T-Träger etc.) leicht ausführbar.
Aufgabe 108.A: Welches Flächenträgheitsmoment hat ein rechteckiger Balken der Breite b und
Höhe h?
Aufgabe 108.B: Welches Flächenträgheitsmoment hat ein runder Stab mit Radius r?
108.1.3 Differentialgleichung der elastischen Linie
Unter der elastischen Linie versteht man die sich unter Belastung ausbildende Kurve w(z) der
2
, w00 = ddzw2 ]:
neutralen Faser. Für die Krümmung 1/ρ(z) einer Kurve w(z) gilt [w0 = dw
dz
w00 (z)
1
=
3 .
ρ(z)
1 + w02 (z) 2
(108.4)
Für kleine Verbiegungen ist w02 (z) 1; damit erhält man aus M(z) = E · I/ρ(z) die Differentialgleichung der elastischen Linie für einen einseitig eingespannten Stab:
w00 (z) =
M(z)
.
E·I
(108.5)
Um die elastische Linie zu finden, muss noch das von den Querschnittsflächen zu übertragende
Moment M(z) und die Randbedingung angegeben werden. Dies soll hier für den einseitig eingespannten und an seinem Ende durch F punktförmig belasteten Balken (Abb. 108.1) der Länge
` geschehen. Um Gleichgewicht für den an der Stelle z aufgetrennten Balken zu erhalten, muss
M(z) = F · (` − z) ⇒
d2 w F · (` − z)
=
dz2
E·I
(108.6)
gelten. Die größte Zugspannung wird am Einspannpunkt des Balkens erreicht, weshalb er bei
Überlast auch dort abbricht. Durch Integration erhält man die Funktion der elastischen Linie:


F  `z2 z3 
−  + a1 · z + a2 .
(108.7)
w(z) =

E·I 2
6
Aus den Randbedingungen w(0) = 0; dw
(0) = 0; folgt a1 = a2 = 0. Für die elastische Linie gilt
dz
also in diesem Fall:


F  `z2 z3 

w(z) =
−  .
(108.8)
E·I 2
6
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Abbildung 108.5: Knickung eines einseitig eingespannten Balken
Die maximale Auslenkung wird am freien Balkenende erreicht, sie beträgt:
c=
F `3
· .
E·I 3
(108.9)
Für den beidseitig aufgelegten, in der Mitte belasteten Balken (Abb. 108.2) erhält man die die
Gleichung für die elastische Linie, indem man gedanklich den Balken in der Mitte teilt, F bzw. `
durch F/2 bzw. `/2 ersetzt und die Ergebnisse für den einseitig eingespannten Balken entsprechend
anwendet. Die maximale Auslenkung in der Balkenmitte ergibt sich zu:
c=
`3
F
· .
E · I 48
(108.10)
108.1.4 Knicken
Belastet man einen senkrecht stehenden Stab von oben mit einer senkrecht nach unten wirkenden Kraft F, so wird er zunächst gestaucht. Bei einem schlanken Stab wird beim Überschreiten
der Knicklast F0 der Stab seitlich ausweichen (siehe Abb. 108.5). Zur Berechnung der Knicklast
wollen wir annehmen, dass der Stab schon durch die Belastung ausgebogen ist, dass er oben und
unten gelenkig gelagert ist und dass die Randbedingungen w(0) = 0; w(`) = 0 gelten. Für das Drehmoment M erhalten wir nun M(z) = −F0 · w(z) und für die Differentialgleichung der elastischen
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Abbildung 108.6: Messkurve Knicklast
Linie:
d2 w
F0
w(z) = 0
+
2
dz
E·I
Mit den Randbedingungen erhalten wir die Lösung
w(z) = c · sin k0 z ,
Die Knicklast F0 beträgt demnach
mit k0 · ` = π
F0 = EI(π/`)2 .
(108.11)
und k02 =
F0
.
E·I
(108.12)
(108.13)
Diese elementare Beschreibung gestattet nicht die vollständige Behandlung des elastisch ausknickenden Stabes, da wir nicht die Auslenkungsamplitude c bei überschreitung der Knicklast F0
angeben können. Um diese zu erhalten, müssen wir berücksichtigen, dass die Höhe h des Angreifpunktes der Kraft F bei einer endlichen Ausknickung kleiner als die Stablänge ` ist. (Die zusätzlich
vorhandene elastische Stauchung des Stabes kann dagegen vernachlässigt werden.)
108.1.5 Zusätzliche Bemerkungen
Die genaue Messung zeigt, dass schon vor Erreichen der Knicklast Auslenkungen c messbar sind.
Dies hat mehrere Gründe: Zum Einen sind Stäbe nie völlig gerade und zum Anderen können
exzentrisch, d.h. nicht genau auf der Stabachse, angreifende Kräfte zu Auslenkungen vor Erreichen
der Knicklast führen.
Abb. 108.6 zeigt die in der Mitte eines ` = 40 cm langen Stabes gemessene Deformation c.
Oberhalb von F = 80 N wächst die Amplitude c sehr rasch mit zunehmender Belastung. Die Bestimmung der Knicklast aus der Messung von c = c(F) gelingt sehr leicht mit einer vernünftigen
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Genauigkeit; der Fehler dieser Bestimmung von F0 liegt deutlich unter 10%. Eine wesentlich genauere Bestimmung der Knicklast ist schwierig und nur selten sinnvoll.
Während der Stab hinreichend unterhalb der Knicklast normale Quersteife besitzt, werden in unmittelbarer Nähe der Knicklast bei einer senkrecht zu Stabachse, z.B. in der Stabmitte, angreifenden Kraft die rücktreibenden elastischen Kräfte außerordentlich klein. Dies ist auch dann richtig,
wenn der unbelastete Stab nicht exakt gerade ist bzw. die senkrecht wirkende Belastung exzentrisch angreift. Diese Tatsache kann man benutzen, um die Knicklast zu bestimmen: Die Knicklast
ist dann erreicht, wenn die Empfindlichkeit der zu messenden Auslenkung c gegenüber Erschütterungen am Größten ist.
108.1.6 Versuchsdurchführung
Für die Versuche stehen Stäbe aus Aluminium, Kupfer, Stahl und Kunststoffen (PVC und GFK)
mit einer Länge von (400,0 ± 0,5) mm zur Verfügung. Messen Sie zuerst die Breite und Dicke der
Stäbe mit Hilfe eines Messschiebers.
Aufgabe 108.a: Der Aluminium-, Kupfer- und Stahlstab wird jeweils auf die (395,0 ± 0,5) mm
auseinander liegenden Haltepunkte aufgelegt und in der Mitte belastet. Für jeden Stab wird
eine Messreihe mit mindestens 7 verschiedenen Lasten aufgenommen. Die Durchbiegung
wird mit Hilfe eines Messkeils (Steigung 1/10) bestimmt. Tragen Sie die Durchbiegung c
gegen die Last F auf und passen eine Gerade an Ihre Messdaten an, aus deren Steigung Sie
das Elastizitätsmodul E bestimmen.
Aufgabe 108.b: Die Stahl-, PVC- und GFK-Stäbe werden senkrecht stehend von oben belastet
und die seitliche Auslenkung der Mitte (über eine Messschraube) als Funktion der Last ermittelt. Aus der graphischen Darstellung c gegen F lässt sich die sogenannte Knicklast F0
mit guter Genauigkeit ermitteln (auf einige Prozent).
Aufgabe 108.c: Bestimmen Sie das Elastizitätsmodul für alle verwendeten Materialien. Beim
Vergleich der Messungen mit Federstahl ist hinsichtlich der Fehlerabschätzung beachtenswert, dass in beiden Fällen in den Formeln das gleiche Produkt E · I/`2 auftritt.
108.2 Dynamische Bestimmung eines Schermoduls mit
einem Drehschwinger
108.2.1 Versuchsanordnung
Der Drehschwinger besteht aus einem zusammengesetzten, veränderbaren Körper, der auf die Mitte eines senkrecht gespannten Torsionsdrahtes geklemmt ist (siehe Abb. 108.7). Der Körper besitzt
zwei kurze Stangen, an die im Abstand a von der Drehachse zwei Zusatzmassen m angebracht
werden können. Das Gesamtträgheitsmoment Θ der Anordnung besteht deshalb aus dem Trägheitsmoment der Stangenanordnung ΘS t und dem Trägheitsmoment der Zusatzmassen. Dieses
setzt sich nach dem Steinerschen Satz aus den Eigenträgheitsmomenten ΘS ch der scheibenförmigen Zusatzmassen und den „Bahnträgheitsmomenten“ ma2 dieser Massen zusammen. Aus der
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Abbildung 108.7: Torsionsschwinger
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Drehmomentgleichung: Θϕ+Dϕ
¨
= 0 folgt für die Schwingungsdauer T des Drehschwingers (siehe
Anhang A2):
4π2 Θ
T2 =
(108.14)
D
Einsetzen von Θ = ΘS t + 2(ΘS ch + ma2 ) für das Trägheitsmoment ergibt:
T2 =
4π2 (ΘS t + 2ΘS ch ) 8π2 m 2
+
a.
D
D
(108.15)
Die grafische Darstellung von T 2 als Funktion von a2 ergibt eine Gerade. Aus deren Steigung
lässt sich die Richtkonstante D und aus dem Ordinatenabschnitt das Trägheitsmoment ΘS t + 2ΘS ch
bestimmen. Das Eigenträgheitsmoment einer Scheibe, ΘS ch , mit der Masse m, dem Radius r und
der Dicke d beträgt, wenn die Drehachse radial durch den Schwerpunkt geht:
ΘS ch =
mr2 md2
+
.
4
12
Aus der Richtkonstante D lässt sich das Schubmodul G des Drahtes bestimmen.
 4 
 π r 
G ,
D = 2 
2`
(108.16)
(108.17)
wobei r der Radius und ` die freie Länge eines Aufhängedrahtes sind. Der Faktor 2 in diesem
Ausdruck rührt davon her, dass gleichlange obere und untere Aufhängedrähte in gleicher Stärke
zur Richtkonstanten beitragen.
Frage: Wie ändert sich Gleichung 108.17, wenn die Drähte verschieden lang sind?
108.2.2 Versuchsdurchführung
Aufgabe 108.d: Messung des Trägheitsmoments ΘS t :
1. Stellen Sie die freie Länge des Torsionsdrahtes oben und unten auf den gleichen Wert
(z.B. 25 cm) ein. Die Dreharme müssen horizontal stehen.
2. Bestimmen Sie für jeden der 4 Werte von a (25 mm, 50 mm, 75 mm und 100 mm) die
Schwingungsdauer. Für jeden Abstand werden 5 Messungen durchgeführt, wobei jeweils über unterschiedlich viele (3 – 10) Perioden gestoppt wird. Die Schwingungsamplitude soll etwa eine viertel Umdrehung betragen. Die Zusatzmassen haben 100 g
Masse, 15 mm Radius und 16 mm Dicke.
3. Führen Sie zum Schluss 10 Messungen ohne Zusatzmassen durch, wobei Sie zwischen
5 – 15 Perioden stoppen. Diese Messungen entsprechen – mit einem geringen Fehler –
einer Messung mit a = 0, welche aus technischen Gründen nicht möglich ist.
4. Tragen Sie T 2 gegen a2 auf und bestimmen Sie aus dem Geradenfit die Richtkonstante
D und das Trägheitsmoment der Stangenanordnung ΘSt .
Versuch 108 Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
Aufgabe 108.e: Berechnen Sie aus der Richtkonstante D das Schubmodul G des Torsionsdrahtes
und vergleichen Sie diesen Wert mit dem Literaturwert. Dafür benötigen Sie den Durchmesser des Stahldrahtes, den Sie mit Hilfe einer Bügelmessschraube bestimmen.
Versuch 110
Spezifische Wärmekapazität –
Adiabatenexponent von Luft
Lernziel: Die spezifischen Wärmekapazitäten von Aluminium, Kupfer und Messing werden be-
stimmt. Die Dulong-Petitsche Regel soll bestätigt werden.
Mit Hilfe eines in einer Glasröhre auf einem Luftpolster schwingenden Körpers wird der
Adiabatenexponent von Luft bestimmt.
Kenntnisse: Wärmekapazität (spezifische, molare (= Atomwärme)), Dulong-Petitsche Regel;
kinetische Gastheorie; C p , CV , Freiheitsgrade, adiabatische Vorgänge; Schwingungen.
Literatur: Jedes Grundkurs-Lehrbuch der Physik,
Praktikumsbücher, insbesondere Westphal.
110.1 Erläuterungen
110.1.1 Wärmekapazität
Die Wärmemenge Q, die ein Körper während einer Temperaturänderung aufnimmt oder abgibt,
ist innerhalb nicht allzu großer Temperaturbereiche der Temperaturdifferenz T 2 − T 1 zwischen der
End- und der Anfangstemperatur proportional:
Q = C · (T 2 − T 1 )
(110.1)
C ist die Wärmekapazität des Körpers, und diese ist seiner Masse m bzw. seiner Stoffmenge n
proportional:
C = c · m = Cm · n
(110.2)
Hierbei ist c die spezifische und Cm die molare Wärmekapazität des Stoffes.
Tauschen nun zwei Körper mit den Wärmekapazitäten C bzw. C 0 und Anfangstemperaturen T 1
bzw. T 10 über Temperaturausgleich (gemeinsame Endtemperatur T = ) die Wärmemenge Q aus, so
folgt aus dem Energiesatz:
C · (T 1 − T = ) = C 0 · (T = − T 10 )
(110.3)
Hierauf basiert das Prinzip des Wasserkalorimeters zur Bestimmung unbekannter Wärmekapazitäten: Bringt man den auf eine definierte Anfangstemperatur T 1 erhitzten Körper in ein mit Wasser
Versuch 110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
35
x x x xxx xx
F
o
C
x
C
x x xx x
x
D
30
x
G
25
x
Bx
20
A x xx x xx x
0
2
E
xx
4
6
8
10
12
min
Abbildung 110.1: Mess- und Auswertediagramm Wärmekapazität.
der bekannten Anfangstemperatur T Kal gefülltes, und gegen Wärmeaustausch mit der Umgebung
gut geschütztes Gefäß und misst man nach erfolgtem Temperaturausgleich die gemeinsame Endtemperatur T = , so ergibt sich seine Wärmekapazität C nach:
C = CKal ·
T = − T Kal
T1 − T=
(110.4)
Bestimmt man nun noch mit einer Waage die Masse des Körpers, so kann man gemäß Gleichung 110.2 die spezifische Wärmekapazität berechnen.
Das im Versuch verwendete Kalorimeter besteht aus einem mit Wasser gefüllten Messingbecher.
Die Gesamtwärmekapazität des Kalorimeters CKal setzt sich aus den Einzelwärmekapazitäten des
Wassers cW und des Messing cMs zusammen nach:
CKal = mW · cW + mMs · cMs
(110.5)
Die jeweiligen Massen lassen sich mit einer Waage bestimmen. Praktisch ist es, den zu untersuchenden Körper in siedendem Wasser auf ca. 100 ◦C zu erhitzen.
Da die Temperatur des Leitungswassers unter der Raumtemperatur liegt, wird nach Einbringen des Wassers in das Kalorimetergefäß die Wassertemperatur ca. 5 min lang alle 30 s gemessen
(Vorkurve). Nun bringt man den erhitzten, zu untersuchenden Körper ein und misst weiter die
Temperatur alle 10 s solange sich die Temperatur stark ändert, danach wieder alle 30 s (Nachkur-
Versuch 110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
ve). Trägt man die Temperatur gegen die Zeit auf, so ergibt sich ein Diagramm wie in Abb. 110.1
gezeigt.
Da der Wärmeaustausch nicht instantan erfolgt und es einen unvermeidlichen Wärmeverlust an
die Umgebung gibt, wird die theoretisch erwartete Endtemperatur nicht erreicht. Man kann jedoch
die Temperaturen T Kal und T = so abschätzen, dass sie einem instantanem Temperaturausgleich
mit identischer Vor- und Nachkurve entsprechen. Dazu geht man wie folgt vor: Man zeichnet die
Ausgleichsgeraden AB und CD und sucht nun eine Gerade EF senkrecht zur Zeitachse so, dass die
Flächen BEG und FGC gleich groß sind (Augenmaß genügt). Der Punkt E gibt dann T Kal und der
Punkt F gibt T = an.
110.1.2 Adiabatenkoeffizient
Zur Bestimmung des Adiabatenkoeffizienten κ = C p /CV lässt man einen Schwingkörper in einem
Präzisionsglasrohr über einem Gasvolumen schwingen und misst die Periodendauer Θ.
Die experimentelle Herausforderung besteht darin, eine stabile, ungedämpfte Schwingung zu
erhalten. Dazu wird zum einen das durch den unvermeidlichen Spielraum zwischen dem Glasrohr
und dem Schwingkörper entweichende Gas über ein Rohr dem System nachgeführt. Zum anderen ist in der Mitte des Glasrohres seitlich eine kleine Öffnung angebracht. Der Schwingkörper
befindet sich zunächst unterhalb der Öffnung. Durch das nachströmende Gas baut sich ein geringer Überdruck auf, der den Schwinger nach oben treibt. Sobald sich der Schwinger über der
Öffnung befindet, entweicht der Überdruck. Der Schwinger fällt nach unten und der beschriebene
Vorgang wiederholt sich. Auf diese Weise ist der eigentlichen, freien Schwingung eine geringe,
gleichphasige Anregung überlagert, welche Reibungsverluste ausgleicht. Der Gasstrom wird nun
so eingestellt, dass man eine um die Öffnung symmetrische Schwingung konstanter Amplitude
erhält, deren Periodendauer mit Hilfe einer Stoppuhr bestimmt werden kann.
Zur Bestimmung von κ geht man vom Gleichgewichtsfall aus. Der innere Luftdruck im Gleichgewicht, p0 , entspricht dem äußeren Luftdruck, pL , plus dem durch das Gewicht des Schwingkörpers der Masse m hervorgerufenen Druck:
p0 = pL +
mg
,
πr2
(110.6)
mit der Erdbeschleunigung g und dem Radius des Schwingkörpers r. Das Volumen des Gases im
Kolben unter dem Schwinger im Gleichgewicht sei V0 . Wird der Körper nun um die kleine Strecke
x aus der Gleichgewichtslage ausgelenkt, so ändert sich dieses Volumen um ∆V und somit der
Druck um ∆p. Als Bewegungsgleichung ergibt sich damit:
m
d2 x
= πr2 ∆p.
dt2
(110.7)
Um die Gleichung zu lösen brauchen wir den Zusammenhang zwischen ∆p und x. Den erhalten
wir, in dem wir ∆p mit ∆V = πr2 · x in Beziehung setzen. Da der Schwingvorgang relativ schnell
abläuft, können wir ihn als adiabatisch ansehen und die Adiabatengleichung ansetzen:
pV κ = p0 V0κ = const
⇒
p=
p0 V0κ
Vκ
(110.8)
Versuch 110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
Die Ableitung von p nach V und erneutes Einsetzen von Gleichung 110.8 liefert
⇔
d p −κ · p0 V0κ
κ·p
=
=
−
dV
V κ+1
V
dp
dV
= −κ
p
V
Durch Integration von p0 bis p0 + ∆p bzw. V0 bis V0 + ∆V erhält man:
Z V0 +∆V
Z p0 +∆p
κ
1
dp = −
dV
p
V
V0
p0
Für ∆V V gilt näherungsweise
R V0 +∆V
V0
1
V
dV ≈
κ · ∆V
∆p
=−
p0
V0
⇒
∆V
V0
(110.9)
(110.10)
(110.11)
(und entsprechendes für p) und damit:
∆p = −
κ · p0
∆V
V0
(110.12)
Setzt man nun Gleichung 110.12 mit ∆V = πr2 · x in Gleichung 110.7 ein, so erhält man die
Differentialgleichung des harmonischen Oszillators:
d2 x π2 r4 pκ
· x = 0,
+
dt2
mV
mit der bekannten Lösung für die Eigenfrequenz:
r
ω0 =
Mit der Periodendauer T =
2π
ω
π2 r4 pκ
.
mV
(110.13)
(110.14)
folgt daraus
κ=
4mV
.
T 2 r4 p
(110.15)
Für ein genaues Ergebnis muss daher neben der Messung der Periodendauer insbesondere der
Radius des Schwingkörpers sehr exakt gemessen werden (z.B. mit einer Mikrometerschraube),
da dieser Wert in vierter Potenz eingeht (Radien für die Schwingkörper siehe Tabelle in Abschnitt 110.2.2).
Aufgabe 110.A: Wie ist die molare Wärmekapazität definiert? Welche Beziehung gilt zwischen
molarer und spezifischer Wärmekapazität?
Aufgabe 110.B: Welche Abhängigkeit besteht zwischen C p und CV ?
Aufgabe 110.C: Bestimmen sie den Adiabatenkoeffizienten κ von Luft aus der Anzahl der Frei-
heitsgrade f unter der Annahme, dass es sich bei Luft um ein reales Gas mit inneren Freiheitsgraden aber ohne Wechselwirkung der Teilchen untereinander handelt.
Versuch 110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
111111
000000
Messingring
Loch
Gas−
zufuhr
0
1
Schwinger
1
0
0
1
0
1
Abbildung 110.2: Rüchardts Aufbau zur Messung des Adiabatenkoeffizienten.
110.2 Versuchsdurchführung
110.2.1 Wärmekapazitäten
Aufgabe 110.a: Bestimmen Sie, wie in Abschnitt 110.1.1 beschrieben, die Wärmekapazitäten
der Körper aus Aluminium, Messing (63% Cu, 37% Zn) und Kupfer.
Aufgabe 110.b: Bestimmen Sie die Massen der zu untersuchenden Körper.
Aufgabe 110.c: Bestimmen Sie die spezifischen Wärmekapazitäten der drei Stoffe mit Glei-
chung 110.2 und vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit den Literaturwerten.
Aufgabe 110.d: Bestimmen Sie die molaren Wärmekapazitäten der drei Stoffe und vergleichen
Sie diese mit der Aussage der Dulong-Petit-Regel.
110.2.2 Adiabatenkoeffizient
Zur Bestimmung des Adiabatenkoeffizienten stehen Versuchsanordnungen nach Abb. 110.2 zur
Verfügung. Regulieren Sie die Schwingungsamplitude durch die Luftzufuhr (Druckminderer) und
den geschlitzten Messingring, mit dem Sie die Größe der Austrittsöffnung variieren können.
Versuch 110 Spezifische Wärmekapazität – Adiabatenexponent von Luft
Glaskolben
Volumen: V = 1,14 l
Schwinger
Material
Farbe
Masse
Trovidur
Teflon
Aluminium
rot oder schwarz (4,5 ± 0,1) g
weiß
(7,1 ± 0,1) g
Aluminium
(9,4 ± 0,1) g
Alle Radien: (5,95 ± 0,05) mm
Aufgabe 110.e: Messen Sie mit mindestens zwei verschiedenen Schwingern jeweils mehrmals
die Zeit für 50 Schwingungen und berechnen Sie hieraus die mittleren Schwingungsdauern
T . Schätzen Sie den Messfehler sinnvoll ab.
Aufgabe 110.f: Berechnen Sie nach Gleichung 110.15 den Adiabatenexponenten von Luft (inkl.
Fehlerrechnung). Vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit dem erwarteten Wert aus Aufgabe 110.D.
Versuch 114
Statistische Schwankungen
Lernziel: Der Versuch führt am Beispiel des Nachweises einzelner radioaktiver Zerfälle in die
statistischen Gesetzmäßigkeiten der Zählung voneinander unabhängiger Ereignisse ein. Sie
sollen im Experiment verfolgen, wie solche zufälligen Ereignisse mit wachsender Zahl mit
wohldefinierten Häufigkeitsverteilungen beschrieben werden können.
Insbesondere soll demonstriert werden, dass unter der Bedingung unabhängiger Ereignisse
die relative statistische Unsicherheit eines Zählergebnisses der Quadratwurzel aus der Zahl
der registrierten Ereignisse umgekehrt proportional ist. Der Umgang mit den statistischen
Verteilungen und mit den Begriffen der Fehlerrechnung soll geübt werden.
Kenntnisse: Elementare Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung, z.B. Spiel mit mehreren Wür-
feln; Poisson-, Gauss- und Binomial-Verteilungen; Fehlerrechnung; Normalverteilung; Bedeutung des Standardfehlers; Fehlerfortpflanzungsgesetz; Geiger-M¨uller-Zählrohr, Radioaktiver Zerfall
Literatur: Stuart-Klages, Kurzes Lehrbuch des Physik; Riezler-Kopitzki, Kernphysikalisches Prak-
tikum: Kap. 1.21 und 1.22 (Zählrohr) und 1.41 (Verteilungen); Berkeley Physik-Kurs Bd. 5
(Kap. 2.1–2.4, Anhänge A1 und A2)
Zur Fehlerrechnung:
Westphal, Physikalisches Praktikum: Kap. 1, 7–11, Anhang III;
Walcher, Praktikum der Physik: Kap. 1.2;
Geschke, Phys. Praktikum: Kap. 1.5, 1.6;
H. Neuert, Physik für Naturwissenschaftler
114.1 Erläuterungen
114.1.1 Wahrscheinlichkeitsverteilungen
1. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch ein Sonntagskind ist, beträgt p = 1/7, wenn man
annimmt, dass alle Wochentage gleich wahrscheinlich sind. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit P(k), unter n zufällig herausgegriffenen Personen k Sonntagskinder zu finden?
2. Beim Wurf einer Münze liegt mit der Wahrscheinlichkeit p = 1/2 die Seite mit der Zahl
oben. Mit welcher Wahrscheinlichkeit liegen beim Wurf von n Münzen k mal die Zahl oben?
Versuch 114 Statistische Schwankungen
3. In einem Gasvolumen V befinden sich n Moleküle. Für jedes Molekül ist die Wahrscheinlichkeit, sich in einem Teilvolumen pV(0 < p ≤ 1) aufzuhalten, gleich p. Wie viele Moleküle
befinden sich im Mittel in diesem Teilvolumen, und wie groß sind die zeitlichen Schwankungen um diesen Mittelwert?
4. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Teilchendetektor ein Teilchen registriert, sei
95%. Wie viele Detektoren sind hintereinander zu reihen, damit mit 99,9% Wahrscheinlichkeit mindestens einer anspricht, wenn man annimmt, dass das Teilchen alle Detektoren
passiert? Wie viele müssen es sein, damit mit 99,9% Wahrscheinlichkeit mindestens zwei
Detektoren ansprechen?
Binomialverteilung
Die Binomialverteilung ist eine der wichtigsten diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Sie
gibt Antwort auf die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit P von n unabhängigen „ja/nein“Entscheidungen, deren jede mit der Wahrscheinlichkeit p positiv verläuft, insgesamt k positiv ausfallen. Die Binomialverteilung ist für alle ganzzahligen 0 ≤ k ≤ n definiert und enthält die Größen
p und n als Parameter:
!
n
PB (k; p, n) =
pk (1 − p)n−k
(114.1)
k
mit dem Binomialkoeffizienten
n
k
!
=
n!
.
k!(n − k)!
(114.2)
Dabei ist n! (lies: „n Fakultät“) definiert als n! = 1 · 2 · 3 · . . . · (n − 1) · n, mit der Konvention
P
0! = 1. Der Erwartungswert der Binomialverteilung ist hki = nk=0 kPB (k; p, n) = np. Als Maß für
die Abweichung einer Zufallsvariable von ihrem Erwartungswert dient die Varianz V, welche für
die Binomialverteilung gegeben ist als:
D
E
V = (k − hki)2 = n · p · (1 − p).
(114.3)
Sie hat allerdings eine andere Einheit als die ihr zugrunde liegenden Daten. Um die Streuung
√
der Daten in der gleichen Einheit anzugeben, verwendet man die Standardabweichung σ = V,
welche für die Binomialverteilung gegeben ist als:
p
(114.4)
σ = n · p · (1 − p).
In Abb. 114.1 ist die Binomialverteilung PB (p = 1/7) für n = 4 und n = 20 skizziert.
Aufgabe 114.A: Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeiten für die 4 Problemstellungen in Ab-
schnitt 114.1.1.
Bei fast allen Zusammenhängen in der Natur, in denen die Binomialverteilung eine Rolle spielt,
ist n sehr groß. Im Grenzfall n → ∞ konvergiert die Binomialverteilung gegen die Poisson- oder
Gaussverteilung, je nachdem wie groß die Einzelwahrscheinlichkeit p und der Mittelwert sind. Mit
ihnen wollen wir uns in diesem Versuch näher beschäftigen.
P(n)
P(n)
Versuch 114 Statistische Schwankungen
0.25
0.5
P ( k)
P ( k)
0.2
p
p=1/7
n
N=4
0.4
0.3
0.15
0.1
0.2
0.05
0.1
0
p
p=1/7
n
N=20
0
1
2
3
0
4
0
1
2
3
4
5
6
7
8
n
k
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
k
n
Abbildung 114.1: Beispiele für Binomalverteilungen.
Poisson-Verteilung
Wenn die Zahl n der Entscheidungen sehr groß, die Wahrscheinlichkeit p für das Eintreten eines Einzelereignisses jedoch sehr klein ist, vereinfacht sich die Binomialverteilung zur PoissonVerteilung. Beispielsweise können alle n instabilen Atomkerne eines radioaktiven Präparats in
einem vorgegebenen Zeitraum T zerfallen. Ist jedoch T sehr klein gegen die Halbwertszeit T 1/2 ,
dann ist die Wahrscheinlichkeit p für den Zerfall jedes einzelnen Kerns sehr gering, so dass insgesamt innerhalb der Zeit T sehr wahrscheinlich nur wenige Zerfälle eintreten. Bei jeder Messung
der Zerfälle über die Zeit T trifft die Natur n unabhängige Entscheidungen jeweils mit der Wahrscheinlichkeit p 1 für einen Kernzerfall, von denen insgesamt k positiv ausfallen, wobei k im
Mittel gleich hki = np ist.
Die Poisson-Verteilung hängt nur von einem einzigen Parameter, dem Mittelwert pn = µ , ab
(n 1, p 1) :
µk
PP (k; µ) = e−µ .
(114.5)
k!
Mittels der Reihendarstellung der Exponentialfunktion
µ
e =
∞
X
µk
k=0
k!
(114.6)
beweist man leicht folgende Eigenschaften der Poisson-Verteilung:
1. Die Wahrscheinlichkeiten sind normiert:
∞
X
k=0
PP (k; µ) = 1 .
(114.7)
Versuch 114 Statistische Schwankungen
¹=1
¹=5
¹ = 20
P ( k)
P ( k)
¹ = 0.1
k
k
Abbildung 114.2: Beispiele für Poisson-Verteilungen.
2. Der Parameter µ ist der Erwartungswert von k:
hki ≡
∞
X
k · PP (k; µ) = µ.
(114.8)
k=0
3. Der Erwartungswert von k2 berechnet sich zu
∞
D E X
k2 ≡
k2 · PP (k; µ) = µ2 + µ = hki2 + hki .
(114.9)
k=0
Beachten Sie die Positionen der Exponenten bezüglich der Mittelung.
Aus diesen Gleichungen folgt ferner die sehr wichtige Beziehung zwischen der mittleren Streuung σk , also dem Fehler der einzelnen Stichprobe, und dem Erwartungswert:
σ2k
∞
X
≡
(k − hki)2 · PP (k; µ) = µ = hki ,
k=0
(114.10)
Versuch 114 Statistische Schwankungen
d.h. das Quadrat der mittleren Streuung ist gleich dem Erwartungswert hki. Der Schwankungsbereich einer Stichprobe um den Erwartungswert hki, repräsentiert
durch die Streuung σ, nimmt
√
betragsmäßig mit wachsendem
Erwartungswert zu, σ = hki, relativ zum Erwartungswert je√
doch ab, σ/ hki = 1/ hki. Die relative Unsicherheit eines großen Zählergebnisses ist deshalb viel
geringer als die eines kleinen.
Gauß-Verteilung
p
Betrachten wir nun den Fall, dass weiterhin n sehr groß, p fast beliebig, doch n · p · (1 − p) 1.
Dann erstreckt sich die Binomialverteilung über viele k und geht bei ganzzahligem Argument in
eine verhältnismäßig einfache, glatte Funktion über. Diese Funktion ist ein Spezialfall der Gaussoder Normalverteilung:
(k−µ)2
1
(114.11)
e− 2σ2
PG (k) = √
2πσ2
mit dem Mittelwert µ =pn · p
p
p
und der Streuung σ = n · p · (1 − p) = µ(1 − p) = hki (1 − p):
1
P(k) = p
e
2π hki (1 − p)
2
(k−hki)
− 2hki(1−p)
p
hki (1 − p) 1).
(114.12)
(n 1, p 1, hki 1).
(114.13)
(n 1,
Für p 1 vereinfacht sich diese Verteilung weiter zu:
2
1
− (k−hki)
PL (k) = √
e 2hki
2π hki
Diese Verteilung enthält, wie die Poisson-Verteilung, nur noch einen Parameter und stellt deren
Grenzfall für µ 1 dar. Die Gleichungen 114.8, 114.9 und 114.10 gelten daher auch für diese
Verteilung. Während die Poisson-Verteilung für kleine µ asymmetrisch ist, geht sie für µ 1 in
eine um den Mittelwert µ symmetrische Glockenkurve (Gleichung 114.30) über (siehe Abb.
√ 114.2).
Für alle diese Verteilungen gilt, dass ihre relative Breite (∼ σ/ hki) für große hki wie 1/ hki geht
und damit sehr klein wird.
Dieses Resultat ist von fundamentaler Bedeutung für einen großen Teil der Physik und für die
gesamte Chemie. Ein paar einfache Beispiele: Von den n Wasserstoffmolekülen in einem Behälter
ist im Gleichgewicht jedes mit einer gewissen (temperaturabhängigen) Wahrscheinlichkeit p dissoziiert. Die Wahrscheinlichkeit, k dissoziierte Moleküle (2k Atome) zu finden, ist also durch eine
Binomialverteilung gegeben. Wegen der Größe von n, und damit (selbst bei sehr kleinem p) auch
von hki, wird diese zu einer Gauss-Verteilung, die so schmal ist, dass sie bei allen messbar vom
Mittelwert abweichenden k verschwindet. Entsprechendes gilt für chemische Reaktionsgleichgewichte oder etwa für die Zahl der Moleküle in einem Teilvolumen eines Gasraums. Der zweite
Hauptsatz der Thermodynamik ist eine statistische Aussage über das mittlere Verhalten vieler
Systeme, die dem gerade betrachteten gleichartig sind. Wegen der stets ungeheuer großen Teilchenzahl (∼ 1023 ) sind die relativen Abweichungen vom Verhalten des Mittelwertes unmessbar
klein, und Aussagen über diesen erhalten praktisch den Charakter absoluter Sicherheit.
Versuch 114 Statistische Schwankungen
sk
k
k
k
k
Abbildung 114.3: Histogramm
114.1.2 Zu den Versuchen
Der vorliegende Versuch soll Sie mit den genannten Wahrscheinlichkeitsverteilungen und ihrer
Bedeutung vertraut machen. Dazu wird das oben angeführte Beispiel des radioaktiven Zerfalls
benutzt, indem N mal (N ≥ 300) die Zahl k der innerhalb einer festen Zeit T registrierten Zerfallsprozesse in einem radioaktiven Präparat gemessen wird. Wir wollen uns vorstellen, dass wir
die Messergebnisse ki (i = 1, . . . , N) nach Art einer Strichliste in ein Häufigkeitsdiagramm eintragen:
Die Strichliste nimmt die Form eines Histogramms an (Abb. 114.3, wobei die Zahl nk der Striche in einer Säule angibt, wie oft das Zählergebnis k aufgetreten ist. Das Diagramm zeigt damit
unmittelbar die Stichprobenverteilung. Damit haben wir aus der unendlichen Menge aller denkbaP
ren Messungen (Grundgesamtheit) eine Stichprobe von N = ∞
k=0 nk Messungen genommen. Die
Aufgabe besteht aus folgenden Punkten:
1. Bestimmung eines Schätzwertes µˆ für den (unbekannten) Erwartungswert µ der Grundgesamtheit.
2. Abschätzung der Unsicherheit des Schätzwertes µˆ von µ.
3. Überprüfung der Voraussetzung, dass die Grundgesamtheit einer Poisson-Verteilung folgt.
Dazu ist zu zeigen, dass die (aus dem statistischen Charakter des Experiments unvermeidbar folgenden) Abweichungen zwischen der Verteilung der Stichprobe und der PoissonVerteilung mit µ = µˆ innerhalb der Erwartung liegen („statistisch nicht signifikant sind“).
Versuch 114 Statistische Schwankungen
Diese Aufgaben lösen wir nun nacheinander mit Hilfe der Fehlertheorie. Dabei ist sorgfältig
zwischen dem Schätzwert für eine Größe und ihrem (in der Regel unbekannten) wahren Wert zu
unterscheiden. Zur besseren Unterscheidung kennzeichnen wir Schätzer mit einem Hut-Symbol.
1. Als Schätzer µˆ für den Mittelwert µ der Grundgesamtheit dient üblicherweise der (arithmetische) Mittelwert der Stichprobe:
N
1X
µ ≈ µˆ ≡ k =
ki .
N i=1
(114.14)
Diese Summe über Einzelmessungen der Anzahl von Zerfällen pro Messintervall läßt sich
auch darstellen als Summe über Histogramm-Säulen:
kmax
X
nk
k=
k
N
k=0
(114.15)
mit kmax = maxi=1,...,N ki .
2. Jeder der Messwerte ki (i = 1, . . . , N) ist mit einem Fehler |ki − µ| behaftet. Nach der
Gaussschen Fehlerfortpflanzungsformel gilt für die Unsicherheit ∆µˆ unseres Schätzers µ:
ˆ
v
u
v

2
u
t N  2
u
tX
 N 
N
X  ∂ µˆ 
X

2

2
 1 ∂





∆µˆ =
k j  ki − k
  ki − µ ≈


∂k
N ∂k
i=1
v
t
=
i
i=1
N
2
1 X
k
−
.
k
i
N 2 i=1
Da
i j=1
(114.16)
N
σ
ˆ 2k
1 X
=
(ki − k)2
N − 1 i=1
(114.17)
ein Schätzer für die Varianz σ2k ist, kann Gleichung 114.16 im Fall großer N, wo N − 1 ≈ N
gilt, geschrieben werden als
s
∆µˆ ≈
σ2k
.
N
(114.18)
Für Poisson-verteilte ki kann dies wiederum gemäß Gleichung 114.10 geschrieben werden
als
s
r
µ
k
≈
.
(114.19)
∆µˆ ≈
N
N
3. Es sei P(k) die Wahrscheinlichkeit, k Zerfälle zu zählen. Wenn wir P(k) mit der Gesamtzahl
N unserer Messungen multiplizieren, erhalten wir den Erwartungswert für die Höhe nk der
Versuch 114 Statistische Schwankungen
einzelnen Histogramm-Säulen:
hnk i = N · P(k).
(114.20)
Die Erwartungswerte hnk i bilden die theoretische Verteilung, mit der unsere Stichprobenverteilung zu vergleichen ist. Verschiedene Stichproben liefern jeweils ähnliche, aber wegen
der statistischen Natur des Experiments nicht identische Verteilungen.
Um die Übereinstimmung mit der Theorie innerhalb der statistisch erwarteten Schwankungen
bestätigen zu können, müssen wir uns über die typische Größe der zufälligen Abweichungen klar
werden.
Die Höhe nk einer jeden Säule schwankt von Stichprobe zu Stichprobe zufällig um den Mittelwert hnk i. Die theoretische Häufigkeitsverteilung der zu festem k gemessenen nk und, was uns vor
allem interessiert, ihre mittlere Streuung als Maß für die typische Unsicherheit einer einmaligen
Messung von nk können wir leicht angeben. Die Säulenhöhe nk ergibt sich nämlich wieder aus
einer großen Zahl (N ≥ 300) unabhängiger Entscheidungen: Bei jeder der N Messungen einer
Stichprobe zeigt der Zähler mit der Wahrscheinlichkeit P(k) die Zahl k und mit der Wahrscheinlichkeit 1 − P(k) irgendeine andere Zahl. Die Frage „Mit welcher Wahrscheinlichkeit finde ich
unter N Messungen (= eine Stichprobe, ein einmaliger Versuch) gerade nk -mal den Wert k?“ wird
demnach durch die Binomialverteilung PB (nk ; P(k), N) beantwortet.
Da N groß ist, können wir die Binomialverteilung durch verschiedene einfachere Näherungen ersetzen, je nach Größenordnung der Parameter. Ist P(k) 1, so erhalten wir die PoissonVerteilung (für die ganz kleinen Säulen mit hnk i ≈ 1) oder - das ist am häufigsten der Fall die Gauss-Verteilung (für Säulen mit 1 hnk i N). Säulen, bei denen nicht mehr P(k) 1
bzw. hnk i N gilt, unterliegen der Gauss-Verteilung (Gleichung 114.13). Alle diese Verteilungen
haben den Mittelwert hnk i = N · P(k).
Auch die Standardabweichung ∆nk können wir aus einer einheitlichen Formel berechnen, denn
die Standardabweichung der Binomialverteilung bzw. der Gauss-Verteilung
p
p
(114.21)
∆nk = N · P(k) · (1 − P(k)) = hnk i · (1 − hnk i)/N)
reduziert sich für P(k) 1 automatisch auf
p
p
∆nk = N · P(k) = hnk i
(114.22)
der Poisson- oder Gauss-Verteilung zum Erwartungswert hnk i. Dies bedeutet, dass statistisch in
68% der Fälle1 der gemessene Wert nk vom Erwartungswert hnk i um weniger als
p
(114.23)
∆nk = hnk i · (1 − hnk i)/N)
abweicht. Ist dies bei unserer Stichprobe ungefähr2 der Fall, so ist dieses Ergebnis statistisch verträglich mit der Hypothese, dass die Grundgesamtheit einer Poisson-Verteilung folgt.
1
2
Das Integral der Normalverteilung von µ−σ bis µ+σ beträgt 0,68. Für sehr kleine Säulen (hsn i ∼ 1) muss eigentlich
wegen der Asymmetrie der Poisson-Verteilung ein asymmetrischer Fehlerbalken angebracht werden, wovon wir hier
jedoch absehen.
68%
gilt im Grenzfall
√ vieler Säulen (Messpunkte). Für nur 10 Säulen kann der Wert nk etwa zwischen pn ±
p
np(1 − p) ≈ 7 ± 2 schwanken (Binomialverteilung zu p = 0, 68, n = 10 = Zahl der Säulen)
Versuch 114 Statistische Schwankungen
Zählgerät
Bleiabschirmung
Zählrohr
PC
137
Cs
Absorberstift
Abbildung 114.4: Versuchsanordnung
Anmerkung: Wenn man Häufigkeiten von zeitlich statistisch verteilten Ereignissen misst (Beispiele: Verkehrsfluss durch eine nicht voll ausgelastete Landstraße, Einfall kosmischer Strahlung
auf eine bestimmte Fläche, radioaktiver Zerfall), zählt man gewöhnlich über eine vorgegebene Zeit.
Dann sind praktisch fast immer die Voraussetzungen n 1 (Zahl aller Autos, kosmischen Strahlen, instabilen Kerne in der Quelle), p 1 (Wahrscheinlichkeit, gerade in dieser Zeit durch diese
Straße zu fahren usw.) erfüllt, d.h. man hat es mit Poisson- oder Gauss-Verteilungen zu tun, deren
Streuung gleich der Wurzel aus dem Mittelwert ist. Diesen unbekannten Mittelwert schätzt man
mangels weiterer Information durch das Zählergebnis selbst ab (Stichprobe vom Umfang eins):
Die statistische Unsicherheit eines solchen Zählergebnisses ist durch seine Quadratwurzel
gegeben.
Aufgabe 114.B: Stellen Sie für die verschiedenen Verteilungen die Formeln für Mittelwert und
Streuung und deren Gültigkeitsbereiche in einer Tabelle zusammen.
114.2 Versuchsanordnung
Der γ-Strahlung eines 137 Cs-Präparats (Halbwertszeit T 1/2 = 30,0 a, Aktivität A ≈ 185 · 106 Bq ≈
6 mCi) tritt durch einen engen zylindrischen Kanal aus der Bleiabschirmung aus. In diesen Kanal
kann ein stabförmiger Absorber eingesetzt werden. In (5 – 25) cm Entfernung von der Austrittsöffnung wird ein Zählrohr aufgestellt (Abb. 114.4).
Das Zählrohr ist eine mit verdünntem Gas gefüllte Metallröhre, längs deren Achse ein dünner,
isoliert befestigter Draht verläuft. An den Draht wird eine positive Spannung (ca. 500 V gegen das
geerdete Rohr) gelegt. Eintretende γ-Strahlung erzeugt u.a. durch Photoeffekt im Gas (und auch
an der Wand) positive Ionen und Elektronen, die zur Wand bzw. zum Draht gezogen werden. Die
Elektronen geraten in das Gebiet hoher Feldstärke in der Umgebung des Drahtes und gewinnen
dabei zwischen den Stößen mit den Gasmolekülen genügend Energie, dass sie durch Stoß weitere Ionen und Elektronen erzeugen können. Es entsteht eine Elektronenlawine und dadurch eine
Versuch 114 Statistische Schwankungen
Vervielfachung des primären Elektrons, so dass am Draht ein Ladungsimpuls auftritt, der nach
elektronischer Verstärkung einem Zähler zugeführt wird. Die Anordnung zählt daher einzelne γQuanten, soweit sie im Zählrohr in Wechselwirkung mit dem Gas (und auch der Wand) getreten
sind.
Aufgabe 114.C: Welche Parameter des Zählrohrs bestimmen daher die Ansprechwahrscheinlich-
keit?
114.3 Versuchsdurchführung
Das Zählrohr wird von einem ST350 Radiation Counter, welcher die Zählrohrimpulse zählt und
das Ergebnis anzeigt, mit Spannung versorgt. Zur Vereinfachung der Messdatenaufnahme wird der
ST350 von einem PC programmgesteuert. Die Bedienungsanleitung hierzu ist in Abschnitt 114.3.3
und liegt beim Versuchsaufbau aus. Die Zählergebnisse werden als Strichliste direkt auf Millimeterpapier übertragen (Abb. 114.3).
114.3.1 Poisson-Verteilung mit kleinem Erwartungswert
Hierbei soll die asymmetrische Form der Poisson-Verteilung
PP (k; µ) =
µk −µ
e
k!
(114.24)
bei kleinem µ = hki verifiziert werden. Insbesondere soll erfahren werden, dass auch das Zählergebnis Null mit endlicher Häufigkeit vorkommt (Frage: Wie berechnet sich dann der Fehler des
Zählergebnisses Null?).
Aufgabe 114.D: Anwendungsbeispiel: Nachweis schneller Teilchen durch Sekundäremission von
Elektronen aus einer Metalloberfläche (Sekundärelektronen-Vervielfacher). Im Mittel mögen 2,7 Elektronen pro einfallendes Teilchen ausgelöst werden.
In wieviel Prozent der Fälle wird dann das Teilchen nicht registriert?
Aufgabe 114.a: Zur Messung wird der Strahlkollimator mit dem Absorberstift verschlossen. Die
Zählzeit (in s) und der Abstand Quelle-Zählrohr werden so eingestellt, dass im Mittel mindestens 2 – 3 Impulse gezählt werden.
Die Strichliste nimmt die Form eines Säulenpolygons an (sog. Histogramm), wobei die Zahl
nk der Striche in einer Säule angibt, wie oft das Zählergebnis k aufgetreten ist. Es soll solange
P
gezählt werden, bis die Gesamtzahl der Messungen N = ∞
k=0 nk mindestens 300 beträgt.
Aus der Stichprobe wird der (arithmetische) Mittelwert als Schätzer für den (unbekannten)
Mittelwert
∞
X
nk 0 · n0 + 1 · n1 + 2 · n2 + . . .
µ ≈ µˆ = k =
k·
=
(114.25)
N
N
k=0
Versuch 114 Statistische Schwankungen
sowie
s
k
N
∆µˆ =
(114.26)
als Schätzer für die zugehörige Unsicherheit bestimmt. Unter Verwendung des Schätzwertes µˆ für
µ und mit Hilfe der aus Gleichung 114.24 folgenden Rekursionsformel für die Poisson-Verteilung
PP (k; µ) =
µ
P(k − 1)
k
(114.27)
werden von P(0; µ) = e−µ aufsteigend die erwarteten Wahrscheinlichkeiten P(k) der Zählergebnisse
k berechnet. Die erwarteten Säulenhöhen hnk i ergeben sich zu
hnk i = N · P(k).
(114.28)
Schließlich werden die Schwankungsbreiten ∆nk bestimmt, mit denen die Messwerte erwartungsgemäß um die Erwartungswerte hnk i statistisch fluktuieren sollten:
s
!
hnk i
∆nk = hnk i 1 −
.
(114.29)
N
Tragen Sie hnk i ± ∆nk in Form von „Fehlerbalken“ in das Häufigkeitsdiagramm ein. Verifizieren
Sie, dass bei ca. 2/3 der Säulen der Messwert nk innerhalb dieser „Fehlerbalken“ liegt und somit die gemessene Verteilung innerhalb statistisch erwarteter Abweichungen mit der theoretischen
Poisson-Verteilung zu dem abgeschätzten Mittelwert übereinstimmt. Es handelt sich bei diesem
„Fehler“ nicht um die Unsicherheit des Erwartungswerts hnk i, sondern um die erwartete mittlere
quadratische Abweichung eines Messwerts vom Erwartungswert!
114.3.2 Poisson-Verteilung mit großem Mittelwert
Aufgabe 114.b: Der Absorberstift wird aus der Bleiabschirmung herausgenommen und die Stel-
lung des Zählrohrs sowie die Zählzeit werden so gewählt, dass im Mittel etwa 300 Impulse
gezählt werden. Die Strichliste wird so angelegt, dass die Abzissenachse in Intervalle der
Größe ∆k = 10 geteilt wird. Die zum Intervall k, . . . , k + 9 (k = 260, 270, 280, . . . ) gehörenP
de Säule enthält also sk = nk + nk+1 + nk+2 + · · · + nk+9 = 9i=0 nk+i Striche.
Es soll wieder solange gezählt werden, bis N =
P
sk =
P
nk mindestens 300 beträgt.
Die gemessene Verteilung soll mit der erwarteten Gauss-Verteilung
1
PG (k) = p
2πµ
−
e
(k−µ)2
2µ
(114.30)
Versuch 114 Statistische Schwankungen
verglichen werden. Hierzu sind durch Abschätzung aus der Stichprobe der Mittelwert
∞
P
µ ≈ µˆ ≡ k =
∞
P
knk
k=0
N
≈
k=260;10
(k + 5)sk
N
(114.31)
(in jedem Zehner-Intervall wird k durch seinen jeweiligen Mittelwert ersetzt) und der Fehler ∆µˆ
zu berechnen. Da wir die Gauss-Verteilung als Sonderfall der Poisson-Verteilung für große µ ansehen können, gilt Gleichung 114.26 auch hier. Aus Gleichung 114.30 erhalten Sie die erwarteten
Wahrscheinlichkeiten P(k), aus Gleichung 114.28 die erwarteten Säulenhöhen hnk i. Wegen der
Zusammenfassung zu Zehnerintervallen gilt für die erwarteten Säulenhöhen
hsk i = hnk i + hnk+1 i + · · · + hnk+9 i ≈ 10 · hnk+5 i = 10 · N · P(k + 5).
(114.32)
Beispielsweise soll die zwischen 310 und 319 liegende Säule im statistischen Mittel hs310 i ≈ 10 ·
N · P(315) Striche enthalten.
Tragen Sie analog zu Abschnitt 114.3.1 in der Mitte der Intervalle die erwarteten Höhen hsk i ein
und verbinden Sie sie durch eine Gauss-Kurve. Die erwartete mittlere
p Streuung der gemessenen
√
ˆ während die Unsicherheit
Säulenhöhen einer Stichprobe um den Erwartungswert µ ist µ ≈ µ,
√
∆µˆ des Schätzwertes µˆ für den Mittelwert µ um den Faktor N kleiner ist.
Die mittlere Streuung ∆sk der sk einer Stichprobe um die jeweiligen Erwartungswerte hsk i sind
analog zu Gleichung 114.29 durch
s
!
hsk i
(114.33)
∆sk = hsk i 1 −
N
gegeben. Tragen Sie die Erwartungswerte hsk i zusammen mit den Schwankungsbreiten ±∆sk in
das Häufigkeitsdiagramm ein und prüfen Sie, ob bei ca. 2/3 der Säulen die Abweichung zwischen
Erwartungswert und Messwert innerhalb dieses „Fehlerbalkens“ liegt, d.h. die gemessene Verteilung verträglich mit der Annahme einer Gauss-Verteilung zum Mittelwert µ ist.
114.3.3 Bedienungsanleitung ST-350 Radiation Counter
1. Vergewissern Sie sich, dass Radiation Counter und PC ausgeschaltet sind.
2. Stellen Sie den Wahlschalter (Drehknopf) des Radiation Counters auf Remote.
3. Schalten Sie den Radiation Counter ein (Schalter auf der Geräterückseite). Ändern Sie ab
diesem Zeitpunkt keine Einstellung direkt am ST-350!
4. Starten Sie den PC und warten Sie, bis Windows 2000 hochgefahren ist. Die Anmeldung
erfolgt automatisch, so dass nach einiger Zeit der Desktop von Windows zu sehen ist. Bevor
Sie fortfahren warten Sie einen Moment ab (ca. 30 s), da Windows im Hintergrund weitere
Komponenten lädt.
Versuch 114 Statistische Schwankungen
Abbildung 114.5: Bildschirm des laufenden ST350 Datenaufnahmen Programms.
5. Starten Sie das Programm zur Ansteuerung des Radiation Counters durch Aufrufen der Verknüpfung Spectech ST-350 Counter auf dem Desktop. Es sollte auf dem Bildschirm die
Abb. 114.5 erscheinen. Es ist möglich, dass die Fehlermeldung Unable to communicate with
instrument erscheint. Sollte dies der Fall sein, klicken Sie den Knopf OK, schließen das Programm und starten es erneut. Das Programm ist bereit wenn das Feld High Voltage den Wert
500 anzeigt.
6. Die Messparameter des Programms sind wie folgt voreingestellt:
a) Preset Time = 10, Dauer der einzelnen Messintervalle in Sekunden
b) Pause Time = 0, Dauer der Pause zwischen den Messintervallen in Sekunden
c) Runs = 5, Anzahl der Messintervalle
Sofern erforderlich, passen Sie diese Parameter jetzt über das Menü Preset an.
7. Der Parameter High Voltage ist auf 500 V eingestellt. Eine eigenmächtige Änderung, ohne
Rücksprache mit Ihrem Gruppenassistent oder der Praktikumsleitung, ist Ihnen nicht gestattet!
Versuch 114 Statistische Schwankungen
8. Wenn Ihre Vorbereitungen abgeschlossen sind, starten Sie die Messung durch Klick auf das
entsprechende Symbol (siehe Abb. 114.5).
9. Der aktuelle Messwert (Counts) wird Ihnen auf dem Bildschirm dargestellt.
10. Die Tabelle Data beinhaltet die bereits gemessenen Werte in chronologischer Reihenfolge.
11. Nehmen Sie die Ergebnisse entsprechend den Vorgaben der Versuchsanleitung auf.
Anhang A1
Kurzeinführung in die Statistik
Literatur: Brandt: Datenanalyse; Barlow: Statistics; Cowan: Statistical Data Analysis
A1.1 Messungen aus statistischer Sicht
Beim Messen ermittelt man mittels experimenteller Techniken den Wert physikalischer Größen.
Statistisch gesehen sind diese Messgrößen Zufallsvariablen, die durch im Allgemeinen unbekannte Wahrscheinlichkeitsdichteverteilungen (häufig auch mit PDF für probability density function
abgekürzt) beschrieben werden. Messwerte stellen eine Stichprobe der durch die PDF beschriebenen Grundgesamtheit (also der Menge aller möglichen Messergebnisse) dar.
Das (Un-)Wissen über die Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung variiert von Fall zu Fall. Manchmal kennt man die Form der Verteilung, weiß jedoch nichts über deren charakteristische Parameter,
in anderen Fällen ist nicht einmal die Form der PDF bekannt. Ziel einer Messung ist in der Regel
die Schätzung der Parameter der zugrunde liegenden PDF anhand der verfügbaren Messwerte. Bei
geeignet gewählten Schätzern ist die Präzision der Schätzung nur durch den Stichprobenumfang
(also der Anzahl der Messwerte) beschränkt. Ist die Form der PDF unbekannt, werden üblicherweise generische Parameter, wie z. B. der Mittelwert oder die Standardabweichung der Verteilung
abgeschätzt.
Eine besondere Stellung unter den PDFs nimmt die Gaußverteilung ein. Ihre Bedeutung liegt
im Zentralen Grenzwertsatz begründet, der besagt, dass die Summe von n unabhängigen Zufallsvariablen für n → ∞ gaußverteilt ist, unabhängig davon, wie die einzelnen xi verteilt sind. Eine
Gaußverteilung wird durch die Funktionsvorschrift


 (x − µ)2 
1
exp −
(A1.1)
f (x; µ, σ) = √

2σ
2πσ2
beschrieben und besitzt zwei Parameter, µ und σ.
A1.2 Schätzung von Parametern
Bei der Diskussion von Parameterschätzungen muss man stets darauf achten, dass man einen Parameter und seinen Schätzer nicht verwechselt. Um den Unterschied deutlich zu machen, werden im
Folgenden Schätzer durch ein Hut-Symbol gekennzeichnet, z. B. kennzeichnet µˆ einen Schätzer
des Parameters µ.
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
Schätzer für Parameter operieren auf dem Stichprobenraum (einer Teilmenge der Grundgesamtheit), wohingegen in die Bestimmung der Parameter selbst die gesamte Grundgesamtheit einfließt.
A1.2.1 Mittelwert
Als (Populations-)Mittelwert µ einer Zufallsvariablen x, die gemäß einer PDF f (x) verteilt ist,
bezeichnet man den Erwartungswert
E[x] =
Z∞
x f (x) dx = µ.
(A1.2)
−∞
Im Fall einer diskreten Zufallsvariablen geht Gleichung A1.2 über in
N
1X
xi .
µ=
N i=1
(A1.3)
Hier ist N die Populationsgröße und xi sind die Populationsmitglieder.
Als Schätzer µˆ für den Mittelwert µ einer Grundgesamtheit wird häufig der arithmetische Mittelwert x der Stichprobenelemente verwendet:
n
1X
µˆ = x =
xi .
n i=1
(A1.4)
Hierbei bezeichnet n den Stichprobenumfang (Anzahl der Messungen, die für die Schätzung zur
Verfügung steht) und xi die Stichprobenelemente. x wird auch Stichprobenmittelwert genannt.
A1.2.2 Varianz und Standardabweichung
Die (Populations-)Varianz V[x] einer Zufallsvariablen x mit PDF f (x) ist definiert als der folgende
Erwartungswert
E[(x − E[x]) ] =
Z∞
2
(x − µ)2 f (x) dx = V[x]
(A1.5)
∞
= E[x2 ] − µ2 .
(A1.6)
Für diskrete Zufallsvariablen lässt sich Gleichung A1.5 als
N
1X
V=
(xi − µ)2
N i=1
(A1.7)
schreiben.
ˆ der aus einer gegebenen Strichprobe die Varianz V einer Grundgesamtheit abEin Schätzer V,
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
schätzt, ist
n
Vˆ =
1 X
n
(xi − x)2 =
(x2 − x2 )
n − 1 i=1
n−1
(A1.8)
Vˆ wird Stichprobenvarianz genannt. Beim Vergleich von Gleichung A1.7 und Gleichung A1.8
fallen einem folgende Unterschiede auf:
• Für den Schätzer wird der Schätzer des Mittelwertes µˆ = x verwendet (der Mittelwert selbst
ist in der Regel unbekannt).
• Im Nenner des Schätzers Vˆ wird durch n − 1 geteilt. Dies liegt darin begründet, dass dieselben Daten, die zur Varianzschätzung herangezogen werden, vorher schon zur Schätzung des
Mittelwerts verwendet wurden. Durch die Mittelwertschätzung geht dem System quasi ein
Freiheitsgrad verloren1 .
Die Standardabweichung σ einer Grundgesamtheit ergibt sich durch Wurzelziehen aus der Varianz V:
√
(A1.9)
σ = V.
Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streuung der Elemente der Grundgesamtheit um
ihren Mittelwert µ. Im Zusammenhang mit Messungen wird die Standardabweichung häufig auch
als Unsicherheit oder Fehler der Messung bezeichnet.
Analog gilt für die Schätzer der Zusammenhang2 :
p
ˆ
(A1.10)
σ
ˆ = V.
Neben den Stichprobenelementen xi ist auch der Mittelwertschätzer µˆ eine Zufallsvariable. Wiederhole ich eine Messreihe aus n Einzelmessungen m mal, ergeben sich im Allgemeinen m verschiedene Schätzwerte µˆ i für den Mittelwert µ, obwohl µ für alle Messreihen identisch ist. Ein
Maß für die Streuung der geschätzten Mittelwerte µˆ i ist ihre Standardabweichung. Sie ist gegeben
durch den Ausdruck:
q
p
σ
(A1.11)
σ
ˆ µˆ = V[x] = E[x2 ] − (E[x])2 = √
n
Die Präzision eines Mittelwertschätzers nimmt also mit der Quadratwurzel des Stichprobenumfangs n zu. Vervierfacht man den Stichprobenumfang, verringert sich die Unsicherheit des Mittelwertschätzers um einen Faktor zwei.
Analog lassen sich für andere Schätzer die Varianz (und Standardabweichung) bestimmen. Entsprechende Formeln können der Literatur entnommen werden (siehe z. B. Glen Cowan, Statistical
Data Analysis, Kapitel 5.2).
1
2
Über diese Plausibilitätsargumentation hinaus lässt sich mathematisch zeigen, dass nur bei Division durch n − 1 der
Schätzer erwartungstreu ist.
Man beachte, dass σ
ˆ wie in Gleichung A1.10 definiert nicht erwartungstreu ist, obwohl dies für Vˆ der Fall ist.
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
A1.2.3 Kovarianz und Korrelationskoeffizient
Die Kovarianz V xy zweier Zufallsvariablen x und y mit der PDF f (x, y) und den Populationsmittelwerten µ x und µy ist definiert als
V xy = E[(x − µ x )(y − µy )] = E[xy] − µ x µy
Z∞ Z∞
=
xy f (x, y) dx dy − µ x µy .
(A1.12)
(A1.13)
−∞ −∞
Diese Größe gibt Auskunft über den statistischen Zusammenhang zwischen x und y (auch Korrelation genannt) und zwar bedeutet
• V xy > 0, dass Überfluktuationen von x (also Stichprobenelemente mit xi > µ x ) bevorzugt einhergehen mit Überfluktuationen von y bzw. Unterfluktuationen von x mit Unterfluktuationen
von y, und
• V xy < 0, dass Überfluktuationen von x bevorzugt einhergehen mit Unterfluktuationen von y,
bzw. Unterfluktuationen von x mit Überfluktuationen von y.
Beim Vergleich der Korrelationsstärke verschiedener Zufallsvariablenpaare ist es von Nachteil,
dass die Kovarianz dimensionsbehaftet ist. Dieser Nachteil wird durch die Einführung des Korrelationskoeffizienten ρ xy wettgemacht:
V xy
.
(A1.14)
ρ xy =
σ x σy
ρ xy kann Werte im Bereich −1 ≤ ρ xy ≤ 1 annehmen.
Aufgrund der Differenzterme ist V xy invariant unter Verschiebungen des Koordinatenursprungs.
Ein (erwartungstreuer) Schätzer Vˆ xy für die Kovarianz V xy zweier Zufallsvariablen x und y ist
n
Vˆ xy =
1 X
n
(xi − x)(yi − y)) =
(xy − x y).
n − 1 i=1
n−1
(A1.15)
Ein (nur asymptotisch3 erwartungstreuer) Schätzer ρˆ xy für den Korrelationskoeffizienten ρ xy ist
ρˆ xy =
Vˆ xy
xy − x y
= q
.
σ
ˆ xσ
ˆy
2
2
2
2
(x − x )(y − y )
(A1.16)
A1.3 Fortpflanzung von Unsicherheiten
Häufig ist die Größe g, die man experimentell bestimmen möchte, nicht direkt messbar, sondern
ergibt sich aus einer funktionalen Beziehung g(~x) der Messgrößen ~x = (x1 , . . . , xn ). In diesem Fall
pflanzen sich die Unsicherheiten der Messgrößen auf die gesuchte Endgröße fort.
3
D. h. für n → ∞, also für einen großen Stichprobenumfang.
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
In dem Fall, wo g(~x) in einer Umgebung in der Größenordnung der xi -Unsicherheiten als ungefähr linear betrachtet werden kann, lässt sich das Fortpflanzungsgesetz für die Unsicherheiten
recht einfach herleiten. Eine Tayler-Entwicklung bis zur ersten Ordnung in ~x liefert

n 
X
 ∂g 
  (xi − µi ),
g(~x) ≈ g(~µ) +
(A1.17)
∂x
i
~x=~µ
i=1
wobei die µi die Mittelwerte für die Zufallsvariablen xi sind. In dieser Näherung ergibt für die
Varianz σ2g von g


n 
n X
X

 ∂g ∂g 
σ2g ≈
(A1.18)

 Vi j ,
∂xi ∂x j 
i=1 j=1
~x=~µ
wobei Vi j die Kovarianz für die Zufallsvariablen xi und x j ist. Im Fall unkorrelierter Zufallsvariablen vereinfacht sich Gleichung A1.18 zu

n 
X
 ∂g 
2
2
(A1.19)
σg ≈
  σi .
∂x
i ~x=~µ
i=1
Hier kennzeichnet σ2i = Vii die Varianz für die Zufallsgröße xi .
A1.4 Geraden-Anpassung („Fit“)
Im Folgenden ist die Einstellvariable x immer als fehlerfrei angenommen. Für die Anwendungen
in diesem Praktikum ist diese Voraussetzung gut erfüllt. In der Praxis wird es oft vorkommen, dass
auch die variierte Größe x einen Fehler σ x (z.B. die Auflösung eines Gerätes) hat.
A1.4.1 Gaußsche Methode der kleinsten Fehlerquadrate (least squares)
Die Aufgabe besteht darin, an die Messpunkte {yi ± σ(yi ), xi } eine Gerade y = mx + n anzupassen.
Es sollen der Achsenabschnitt n ± σn und die Steigung m ± σm bestimmt werden. Die Gausssche
Methode verlangt, dass die Summe aller varianzgewichteten Abweichungsquadrate der N Messpunkte von der Geraden minimal ist:
χ (m, n) :=
2
N
X
(yi − mxi − n)2 !
= Minimum
σ2 (yi )
i=1
(A1.20)
Die Größe χ2 im Minimum ist also ein Gütekriterium für die Anpassung.
Dieser Ansatz für χ2 gewährleistet, dass die Fit-Gerade durch Messpunkte mit großem Fehler
wenig und durch solche mit kleinem Fehler stark bestimmt wird. Dafür sorgt die Wichtung mit
1/σ2 (yi ). Mit der gleichen (in diesem Anhang nur durch die Fehler σ(yi ) gegebenen) Wichtung
müssen beide Mittelwerte x und y berechnet werden.
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
A1.4.2 1. Fall: Alle Messwerte yi haben den gleichen Fehler σ(yi ) = σy
Die Methode der kleinsten Quadrate verlangt in diesem einfachen Fall für den Fit einer Geraden
die Minimierung der Summe
N
X
(yi − mxi − n)2
σ2y
i=1
bezüglich beider Geradenparameter m und n. Nullsetzen der partiellen Ableitungen nach m und
nach n führt auf zwei Bedingungen:
∂χ2 !
=0
∂m
→
N
X
!
(yi − mxi − n)xi = 0
→
N
X
!
(yi − mxi − n) = 0.
i=1
∂χ !
=0
∂n
2
i=1
Mit den Mittelwerten x und y (die in diesem einfachen Fall den ungewichteten Mittelwerten gleich
sind) folgt daraus das Gleichungssystem:
xy − mx2 − nx = 0
y − mx − n = 0.
Daraus erhält man m und n:
m=
n=
xy − x y
x2 − x2
x2 y − x xy
x2 − x2
V xy
V[x]
(A1.21)
= y − mx
(A1.22)
=
Die Fehler der Steigung m und des Achsenabschnitts n ergeben sich, weil die Messpunkte untereinander nicht korreliert sind, mit Fehlerfortpflanzung aus Gleichungen A1.21 und A1.22 zu

2


X  xi − x 
σ2y
2
2


  σy = (A1.23)
V[m] = σ [m] =


i 
N x2 − x2 
N x2 − x2

2


X  x2 − xxi 
σ2 x2
  σ2 = y
V[n] = σ2 (n) =
(A1.24)

 y
2 
2
2
2

i
N x −x
N x −x
{ V[n] = x2 V[m].
y
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
6
m = 0.53 ± 0.05
n = 0.66 ± 0.30
5
ρmn = -0.91
2
χ = 6.80
2
χ /(N-2) = 1.13
4
–
y=y
3
–
x=x
2
1
Abb. A.4.1
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
x
Abbildung A1.1: Datenpunkte und Fit-Ergebnis als Beispiel zum 1. Fall.
Achsenabschnitt n und Steigung m sind im Allgemeinen korreliert. Ihre Kovarianz ist
x
Vmn = −
N
x2
−x
2
· σ2y = −V[m] · x.
(A1.25)
Diese Korrelation – und damit die Kovarianz – verschwindet, wenn x = 0 gilt, oder dies durch
Translation x → x0 = x − x erst erreicht und dann der Geraden-Fit durchgeführt wird. Nur in
diesem Fall ist „gewöhnliche“ Fehlerfortpflanzung, σ2 (y(x)) = σ2 (m)x2 + σ2 (n), richtig.
Abb. A1.1 gibt ein Beispiel für diesen 1. Fall. Der Datensatz umfasst 8 Messpunkte mit gleichem Fehler σy . Die Fit-Gerade ist eingezeichnet; sie geht immer durch die Mittelwerte x und y
(nützliche Erkenntnis beim Einzeichnen einer Ausgleichsgeraden „von Hand“). Die Fit-Parameter
m und n sind angegeben, ebenso der Fit-Wert für das minimale χ2 . Ebenfalls eingezeichnet sind
die 1σ-Konturen um die Gerade (siehe Abschnitt A1.4.6). χ2 bezieht sich auf die Wertemenge. (Zu
χ2 /(N − 2) siehe den letzten Abschnitt dieses Anhangs.)
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
A1.4.3 2. Fall: Jeder Messwert yi hat einen eigenen unabhängigen
Fehler σ(yi ) := σi
Durch diese Fehler σ(yi ) bekommt jeder Messpunkt (yi , xi ) im Fit das Gewicht 1/σ2i . Die zu minimierende Summe ist nun
N
X
(yi − mxi − n)2
=: χ2 .
2
σ
i
i=1
Die Formeln für die Steigung (Gleichung A1.21) und den Achsenabschnitt (Gleichung A1.22) und
deren Herleitung bleiben formal wie im Fall 1 erhalten, wenn bei der Bildung beider Mittelwerte z ∈ {x, y} die individuellen Gewichte σ(yi ) =: σi hergenommen werden (varianzgewichtete
Mittelwerte):
z :=
N
X
zi
σ2i
i
N
X
1
σ2i
i
.
(A1.26)
Auch die Varianz-Formeln (Gleichungen A1.23, A1.24) werden modifiziert, indem neben den varianzgewichteten Mittelwerten anstelle von σ2y die varianzgemittelte Standardabweichung
N
X
σ2
σ2y =
i
2
σi
i=1
N
X
1
σ2i
i=1
=
N
N
X
1
i=1
(A1.27)
σ2i
eingesetzt wird. Diese Ersetzung muss auch in der Kovarianz-Formel (Gleichung A1.25) erfolgen.
Abb. A1.2 gibt ein Beispiel für diesen 2. Fall. Die 8 Messpunkte haben die gleichen Zentralwerte
wie im 1. Beispiel, jetzt aber individuelle Fehler σi . Mittelwerte x und y, Fit-Gerade und Fit-Wert
χ2 sind andere als im 1. Beispiel!
A1.4.4 3. Fall: Die Messwerte yi haben sowohl unabhängige Fehler σ(yi )
als auch systematische Fehler s(yi )
Dieser allgemeine Fall führt auf nicht-triviale Formeln für Steigung und Achsenabschnitt sowie
deren Fehler, auf die hier verzichtet werden.
Ein interessanter Spezialfall liegt vor, wenn alle Messpunkte den gleichen systematischen Fehler
s(yi ) =: sy haben. Steigung und Achsenabschnitt sind auch hier formal durch Gleichungen A1.21
und A1.22, aber mit varianzgewichteten Mittelwerten, gegeben. Die Fehler sind jedoch andere. In
y
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
6
m = 0.54 ± 0.05
n = 0.59 ± 0.14
5
ρmn = -0.87
2
χ = 10.26
2
χ /(N-2) = 1.71
4
3
–
y=y
2
1
–
x=x
Abb. A.4.2
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
x
Abbildung A1.2: Datenpunkte und Fit-Ergebnis als Beispiel zum 2. Fall. Auch hier geht die Ausgleichsgerade durch den (varianzgewichteten) Schwerpunkt (x, y).
y
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
6
m = 0.53
n = 0.66
–
x=x
5
4
–
y=y
3
2
1
Abb. A.4.3
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
x
Abbildung A1.3: Punkte und Regressionsgerade als Beispiel zum 4. Fall.
diesem Spezialfall gilt für die Varianz der Steigung:
V[m] = σ2 [m] =
σ2y
N(x2 − x2 )
(A1.28)
Der gemeinsame Fehler sy beeinflusst weder die Steigung noch deren Fehler. Für die Varianz des
Achsenabschnitts gilt in diesem Spezialfall:
V[n] = σ2 [n] =
σ2y
N(x2
2
−x )
x2 + s2y .
(A1.29)
Obwohl der gemeinsame Fehler
√ sy nicht den Fit-Wert für den Achsenabschnitt beeinflusst, vergrößert sich dessen Fehler σn = V[n] durch quadratische Addition. Vmn ändert sich nicht. Auf ein
Beispiel zum 3. Fall wird verzichtet.
A1.4.5 4. Fall: Die Werte yi haben keine Fehler.
Dieser Fall tritt bei physikalischen Messungen – und insbesondere in diesem Praktikum – nicht
auf; alle Messwerte haben Messfehler. Er ist hier aufgeführt, weil die Aufgabe, den Trend der
Wertepaare {yi , xi } durch eine Gerade zu beschreiben, als Spezialfall des 1. Falls durch die glei-
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
chen Formeln (d.h. Gleichungen A1.21 und A1.22, natürlich mit ungewichteten Mittelwerten) gelöst wird und diese Formeln bzw. deren Bestandteile unter dem Namen Lineare Regression auf
manchen Taschenrechnern programmiert sind. Das Ergebnis des ungewichteten Geradenfits ist in
Abb. A1.3 dargestellt. Die Fehler von Steigung und Achsenabschnitt werden vom Taschenrechner
in der Regel nicht ausgegeben, und χ2 steht als Qualitätskriterium nicht zur Verfügung. Ähnliches
kann für Standardprogramme auf PC-Rechnern gelten.
A1.4.6 Werteberechnung auf der Fit-Geraden
Sind Steigung und Achsenabschnitt samt Fehlern bestimmt, benötigt man oft einen Wert y(x) ±
σ(y(x)) auf der Fit-Geraden. Es gilt an der Stelle x:
y(x) = m · x + n
σ [y(x)] = σ2 [m] · x2 + σ2 [n] + 2Vmn · x
2
(A1.30)
(A1.31)
Der letzte Term ist i.A. nicht zu vernachlässigen! Die Kovarianz (aus Gleichung A1.25) verschwindet nur im „Schwerpunktsystem“ der Werte {xi }, also wenn x = 0 gilt. Nur dann sind m und n
unabhängig. In diesem System gelangt man zu:
y(x) − y = m · (x − x)2
(A1.32)
σ2 [y(x)] = σ2 [m] · (x − x)2 + σ2n
(A1.33)
und es gilt dann:
Insbesondere bekommen Extrapolationen aus dem Messpunkte-Bereich heraus schnell große Fehler.
A1.4.7 Güte des Geraden-Fits
Ein geeignetes Gütekriterium für die mittlere quadratische Abweichung zwischen Messdaten und
Fit-Gerade erhält man durch richtige Normierung von χ2 nach Gleichung A1.20. Die Normierung
ist allgemein gegeben durch die Anzahl der Fit-Freiheitsgrade f , d.h. durch die Anzahl der verwendeten Messpunkte (N) abzüglich der Anzahl der Fit-Parameter. Letztere sind 2 beim Geraden-Fit,
also braucht man N > 2 Messpunkte, um einen Fit durchführen zu können:
N
χ2
χ2
1 X (yi − mxi − n)2
:=
=
.
d.o.f.
N − 2 N − 2 i=1
σ2i
(A1.34)
Für eine gute Beschreibung der Messdaten durch den Fit gilt χ2 / f nahe bei 1, d.h. die Ausgleichsgerade weicht im Mittel um nicht mehr als die (Mess-)Fehler von den Messpunkten ab.
Anhang A1 Kurzeinführung in die Statistik
A1.4.8 Hinweis zur „Ausgleichsgeraden per Hand“
Die obige mathematische Behandlung zeigt, dass die Ausgleichsgerade durch den varianzgewichteten Schwerpunkt der Datenpaare geht. Transformiert man das anfängliche Koordinatensystem so,
dass der Nullpunkt der neuen, verschobenen x-Achse im Datenschwerpunkt der {xi } liegt, so sind
Steigung und Achsenabschnitt nicht mehr korreliert; zusätzlich liegt der Achsenabschnitt dann im
Schwerpunkt der {yi } Diese Information hilft beim Zeichnen einer Ausgleichsgerade mit Lineal
und Augenmaß. Zunächst schätzt man die Lage des Schwerpunktes ab (z.B. nimmt man die Mittelwerte der xi und der yi ) und zeichnet ihn in den Graphen mit den Datenpaaren als zusätzlichen
Punkt ein. Dann „sticht“ man einen Bleistift in den Schwerpunkt und schiebt das Lineal dagegen.
Dann dreht man das Lineal um diese Bleistiftachse, bis die Datenpaare beidseitig der Lineallinie
statistisch gleichmäßig verteilt sind, womit die Ausgleichsgerade festgelegt ist. Eine Fehlerabschätzung der Geradensteigung erhält man durch weiteres Drehen des Lineals bis auf der einen
Seite der Drehachse alle Punkte oberhalb und auf der anderen Seite unterhalb des Lineals liegen;
bei der zweiten Fehlergeraden vertauscht man „oberhalb“ und „unterhalb“. Da der Schwerpunkt
innerhalb des Datenbereichs liegt, kreuzen sich auch Ausgleichs- und Fehlergeraden innerhalb des
Datenbereichs.
Anhang A2
Schwingungen
Am Beispiel eines Drehschwingers werden im Folgenden die allgemeinen Eigenschaften schwingfähiger Systeme zusammengestellt und diskutiert.
A2.1 Freie Schwingung ohne Dämpfung
Idealisierter Fall: Reibungsverluste vernachlässigt.
Bewegungsgleichung (Drehmomentengleichung):
Θϕ¨ = −Dϕ,
(A2.1)
Θ = Trägheitsmoment des Drehkörpers
D = Richtkonstante
Dϕ = rücktreibendes Drehmoment
Die zugehörige Normalform (für alle Schwingungssysteme) lautet:
ϕ¨ + ω20 ϕ = 0,
mit
ω20 =
D
Θ
(A2.2)
Mathematisch handelt es sich um eine lineare homogene Differentialgleichung 2. Ordnung. Die allgemeine Lösung ist die Summe von 2 linear unabhängigen Lösungen. Lösungsansatz: ϕ(t) = Aeλt
mit A und λ allgemein komplex. Die Lösung muss eine Funktion sein, die sich beim Differenzieren
bis auf eine Konstante reproduziert. Durch Einsetzen ergibt sich:
λ2 = −ω20
⇒ λ1,2 = ±iω0
(A2.3)
(A2.4)
ϕ(t) = Aeiω0 t + Be−iω0 t .
(A2.5)
Allgemeine Lösung:
ϕ ist eine messbare Variable und daher reell. Gesucht sind also nur solche Lösungen, die ein reelles
ϕ ergeben. Das legt den Konstanten A und B die Bedingung B = A∗ auf, d.h. wenn A = a + ib ist,
muss B = a − ib sein. ϕ(t) ist dann (Euler-Formel) zweimal der Realteil von (a + ib) · (cos(ω0 t) +
i sin(ω0 t)):
ϕ(t) = 2a · cos(ω0 t) − 2b · sin(ω0 t).
(A2.6)
Anhang A2 Schwingungen
Die noch unbestimmten Konstanten a und b werden durch die Anfangsbedingungen festgelegt,
z.B.: ϕ(t = 0) = ϕ0 = 2a und ϕ(t
˙ = 0) = 0 = −2b.
Damit folgt aus Gleichung A2.6 ϕ(t) = ϕ0 cos(ω0 t), mit der Frequenz ν0 = ω0 /2π und der
Schwingungsdauer T = 2π/ω0 . Das System schwingt harmonisch, d.h. (co-)sinusförmig, mit konstanter Amplitude ϕ0 und die Eigenfrequenz ω0 , welche unabhängig von der Amplitude ist.
Anmerkung: Die allgemeine Lösung in Gleichung A2.6 ist äquivalent zu der Lösungsform
ϕ(t) = c cos(ω0 t − α).
(A2.7)
Die beiden unbestimmten Konstanten a und b können durch die Konstanten c2 = 4(a2 + b2 ) und α
mit tan α = −b/a (α Phasenwinkel) ausgedrückt werden (Additionstheorem für den Cosinus).
A2.2 Freie Schwingung mit Dämpfung
Realistischer Fall: Reibungsverluste berücksichtigt.
Bewegungsgleichung:
Θϕ¨ + rϕ˙ + Dϕ = 0
(A2.8)
mit dem Reibungs- (oder Dämpfungs-)Drehmoment rϕ,
˙ das proportional der Winkelgeschwindigkeit ist. Damit ergibt sich folgende Normalform:
ϕ¨ + 2βϕ˙ + ω20 ϕ = 0,
mit
2β =
r
,
Θ
ω20 =
D
.
Θ
Im Allgemeinen führt der Lösungsansatz ϕ(t) = Aeλt zu zwei Werten für λ:
q
λ1,2 = −β ± β2 − ω20 .
(A2.9)
(A2.10)
Es sind drei Fälle zu unterscheiden:
a) β2 > ω20
b) β2 = ω20
c) β2 < ω20
Kriechfall,
Grenzfall,
Schwingfall,
die drei charakteristisch verschiedene Bewegungsformen (Abb. A2.1) beschreiben.
A2.2.1 Kriechfall (β2 > ω2 )
0
q
γ = β2 − ω20 ist reell und positiv. λ1 = −β + γ und λ2 = −β − γ sind beide reell und negativ
(γ < β). Die allgemeine Lösung lautet:
ϕ(t) = Aeλ1 t + Beλ2 t
(A2.11)
mit den reellen Konstanten A und B, die durch gewählte Anfangsbedingungen festgelegt werden
können. Das System schwingt nicht, sondern bewegt sich aperiodisch (Abb. A2.1, unten). Ist es
Anhang A2 Schwingungen
einmal aus der Ruhelage ausgelenkt, bewegt es sich asymptotisch kriechend zu ihr zurück (z.B. Fadenpendel in Sirup statt Luft).
A2.2.2 Aperiodischer Grenzfall (β2 = ω2 )
0
Hier fallen die beiden λ-Werte zusammen und es ist somit nur eine partikuläre Lösung gefunden.
Zum Aufsuchen der zweiten, linear unabhängigen Lösung macht man den Ansatz:
ϕ(t) = f (t) · eλt ,
(A2.12)
und zwar mit der einfachsten Möglichkeit für f (t), nämlich f (t) = Bt. Das führt zu der Bestimmungsgleichung für λ:
t · (λ + ω0 )2 = −2 (λ + ω0 ) .
(A2.13)
Sie ist nur dann für alle Zeiten t erfüllt, wenn λ + ω0 = 0; insbesondere λ reell und negativ ist.
Damit ergibt sich die Allgemeine Lösung:
ϕ(t) = Ae−ω0 t + Bte−ω0 t ;
A und B reell.
(A2.14)
mit den Anfangsbedingungen:
ϕ(t = 0) = ϕ0 = A
ϕ(t
˙ = 0) = 0 = −ω0 · A + B.
Damit:
ϕ(t) = ϕ0 (1 + ω0 t) e−ω0 t .
(A2.15)
Auch in diesem Fall ist die Bewegung aperiodisch. ϕ(t) geht monoton gegen 0. Das System kommt
in besonders kurzen Zeiten der Ruhelage sehr nahe, z.B. wird in der charakteristischen Zeit T =
2π/ω0 bereits der Wert ϕ(T ) = 0, 014 erreicht. Diese Bewegungsform stellt den Grenzfall der
aperiodischen Bewegung dar. Das System schwingt gerade eben nicht (Abb. A2.1, Mitte).
Bei analogen Messgeräten mit schwingfähigen Messsystemen (z.B. Drehspulinstrumente) ist
man an kurzen Einstellzeiten auf den Messwert (= Ruhelage) interessiert. Ihre Dämpfung wird
daher in der Regel so gewählt, dass sie nahe dem aperiodischen Grenzfall arbeiten, und zwar
gerade sowenig in Richtung „Schwingfall“ (β2 ≤ ω20 ), dass das Messsystem einmal durchschwingt
und sich aperiodisch der Ruhelage nähert.
A2.2.3 Schwingfall (β2 < ω2 )
0
Wie im ungedämpften Fall ergeben sich zwei verschiedene komplexe Werte für λ:
q
ˆ
λ1,2 = −β ± i ω20 − β2 = −β ± iω.
(A2.16)
Mit denselben Anfangsbedingungen wie im ungedämpften Fall erhält man die Lösung:
q
−βt
ϕ(t) = ϕ0 e · cos ωt
ˆ mit ω
ˆ = ω20 − β2 .
(A2.17)
Anhang A2 Schwingungen
˙ = 0 für den Schwingfall
Abbildung A2.1: Freie Schwingung für die Anfangsbedingung ϕ(0) = 1 und ϕ(0)
(oben), den aperiodischen Grenzfall (mitte) und dem Kriechfall (unten). Die Abszisse ist in Einheiten der
Schwingungsdauer T angegeben.
Anhang A2 Schwingungen
Die Eigenfrequenz ω
ˆ dieser Schwingung ist kleiner als die der ungedämpften Schwingung (ω0 ).
Der Unterschied ist aber für fast alle Schwingsysteme sehr klein. Die Amplitude:
ϕ(t) = ϕ0 · e−βt
(A2.18)
klingt exponentiell ab. Nach n bzw. n + 1 Schwingungen beträgt sie:
n
ϕn = ϕ(nT )
= ϕ0 e−βnT
= ϕ0 e−βT
n+1
ϕn+1 = ϕ((n + 1)T ) = ϕ0 e−β(n+1)T = ϕ0 e−βT
,
(A2.19)
wobei T = 2π/ω
ˆ die Schwingungsdauer und n ganzzahlig ist (Abb. A2.1, oben).
Aufeinanderfolgende Maximalausschläge unterscheiden sich um einen konstanten Faktor, nämlich um das „Dämpfungsverhältnis“ K:
ϕn
ϕ0
K :=
=
ϕn+1
ϕn
!1/n
= eβT .
(A2.20)
Der Einfluss der Dämpfung kann auch durch die Zeit τ charakterisiert werden, nach der die Energie
des schwingenden Systems auf 1/e abgesunken ist (die Energie ist proportional zu ϕ2 (t)):
ϕ2 (τ) = ϕ20 · e−2βτ = ϕ20 · e−1 ,
(A2.21)
d.h. τ = 1/2β. Ein gedämpftes Schwingsystem wird durch seinen „Gütefaktor“ oder einfach seine
„Güte“ Q:
ω0
π
=
(A2.22)
Q := ω0 τ =
2β βT
charakterisiert. Für die weitere Diskussion soll nur noch diese (dimensionslose) Größe verwendet
werden.
Drückt man die Eigenfrequenz ω
ˆ durch die des ungedämpften Systems (ω) und die Güte Q aus,
so sieht man, dass diese Frequenzen nur wenig voneinander verschieden sind:
s
s
β2
1
ω
ˆ = ω0 1 − 2 = ω0 1 −
.
(A2.23)
4Q2
ω0
Selbst für eine so geringe Güte wie Q = 5 ist ω
ˆ = 0.995ω0 . Daher wird im Folgenden die Näherung
ω
ˆ ≈ ω0 verwendet. Damit ergibt sich:
ϕ(t) = ϕ0 e−ω0 t/2Q cos(ω0 t),
K = eπ/Q
bzw.
Q=
π
.
ln(K)
(A2.24)
Die Größe ln(K) heißt logarithmisches Dekrement der gedämpften Schwingung. Eine Bestimmung der Güte Q kann also in einfacher Weise über eine Messung des Dämpfungsverhältnisses
K = (ϕ0 /ϕn )1/n erfolgen.
Nach Q Perioden ist die Energie der Schwingung auf den Bruchteil e−2π = 0, 0019 und die
Amplitude auf den Bruchteil e−π = 0, 043 abgesunken.
Anhang A2 Schwingungen
A2.3 Erzwungene Schwingung mit Dämpfung
Wirkt auf ein Drehschwingsystem ein cosinus-förmiges Drehmoment1 M0 cos(ωt), so gehorcht das
System der Bewegungsgleichung:
Θϕ¨ + rϕ˙ + Dϕ = M0 cos(ωt)
(A2.25)
mit der Normalform:
ϕ¨ + 2βϕ˙ + ω20 ϕ = µ cos(ωt)
mit
µ: =
M0
.
Θ
(A2.26)
Die mathematische Behandlung dieses Problems kann in eleganter Weise mit Hilfe der komplexen
Darstellung der Funktionen durchgeführt werden.
Wir wollen hier zunächst die physikalischen Aspekte in den Vordergrund stellen und die Rechnung rein reell durchführen. Wird ein schwingfähiges System von außen gestört, so löst die Störung
eine gedämpfte Schwingung mit der Frequenz ω
ˆ aus, die sich der eventuell vorhandenen Bewegung überlagert. Wirkt ein äußeres Drehmoment M0 cos(ωt) auf das System, so regt es eine solche
gedämpfte Eigenschwingung an. Andererseits zwingt das äußere Drehmoment dem System auch
eine Schwingung mit seiner Frequenz ω auf. Es entsteht eine Überlagerung von Bewegungen mit
den beiden Frequenzen. Dieser Vorgang wird „Einschwingen“ genannt.
Nach einer Zeit t > τ ist der gedämpfte Anteil der Bewegung abgeklungen. Es ist ein Zustand erreicht, in dem die Energiezufuhr durch das äußere Drehmoment genau die Reibungsverluste deckt
(„Stationärer Zustand“). Das System schwingt mit mit konstanter Amplitude bei der Frequenz ω.
Genau dieses Verhalten spiegelt auch die mathematische Behandlung wider: Die allgemeine
Lösung der linearen, inhomogenen Differentialgleichung (Gleichung A2.25) ist die Summe aus der
allgemeinen Lösung der homogenen Gleichung und einer partikulären Lösung der inhomogenen
Gleichung. Der erste Anteil ist bereits bekannt (siehe Abschnitt A2.2). Da wir uns auf kleine
Dämpfungen beschränken, handelt es sich um eine gedämpfte Schwingung der Gestalt:
ϕhom. (t) = e−βt (a cos(ω0 t) + b sin(ω0 t)).
(A2.27)
Sie beschreibt zusammen mit dem zweiten Anteil den Einschwingvorgang. Der zweite Anteil ist
eine ungedämpfte Schwingung mit der Anregungsfrequenz ω. Wir machen daher den allgemeinen
Ansatz:
ϕinhom. (t) = c cos(ωt) + d sin(ωt).
(A2.28)
Diese Gleichung beschreibt den stationären Zustand, für den wir uns im Folgenden ausschließlich interessieren. Wir wollen nun die Konstanten c und d so bestimmen, dass die inhomogene
1
Das ist der Spezialfall einer harmonischen Anregung mit einer Frequenz. Die allgemein periodische, nicht cosförmige Anregung stellt eine Überlagerung solcher Spezialfälle mit verschiedenen Frequenzen dar (FourierZerlegung).
Anhang A2 Schwingungen
Gleichung erfüllt2 ist. Einsetzen ergibt:
d ω20 − ω2 − 2cβω tan(ωt) = µ − c ω20 − ω2 − 2dβω .
(A2.29)
Diese Bedingung ist nur dann für alle Zeiten erfüllt, wenn beide eckige Klammern für sich verschwinden. Daraus errechnen sich die Konstanten zu:
2βωµ
;
d=
2
ω20 − ω2 + 4β2 ω2
(ω20 − ω2 )µ
c= .
2
ω20 − ω2 + 4β2 ω2
(A2.30)
2
Mit der Abkürzung N := ω20 − ω2 + 4β2 ω2 sieht man, dass gilt:
 √ 2  √ 2

 

d N  + c N  = 1.
µ
µ
(A2.31)
Die beiden Konstanten sind nicht unabhängig voneinander. Sie lassen sich durch eine andere Konstante, den Phasenwinkel α, ausdrücken:
µ
d = √ sin(α),
N
µ
c = √ cos(α).
N
(A2.32)
Damit wird
µ
ϕ(t) = √ cos(ωt) cos(α) + sin(ωt) sin(α)
N
oder (Additionstheorem für den Cosinus):
µ
cos(ωt − α)
ϕ(t) = q
2
2
2
2
2
ω0 − ω + 4β ω
mit
tan(α) =
2βω
.
− ω2
(A2.33)
(A2.34)
(A2.35)
ω20
Das ist eine Schwingung mit der Frequenz ω. Sie hat eine Phasenverschiebung α gegen das äußere
Drehmoment. Die Ausdrücke für ϕ(t) und tan(α) lassen sich mit Hilfe der Güte Q = ω0 τ = ω0 /2β
folgendermaßen umschreiben:
und
2
µ
ϕ(t) = q
2
ω20 − ω2 +
1
ω0 ω
tan(α) = · 2
.
Q ω0 − ω2
ω20 ω2
Q2
cos(ωt − α)
(A2.36)
(A2.37)
Die stationäre Schwingung ist unabhängig von den Anfangsbedingungen. Sie wird vom äußeren Drehmoment
M0 cos(ωt) erzwungen, womit der Zeitnullpunkt bereits festgelegt ist.
Anhang A2 Schwingungen
Die Amplitude
ϕ(ω) = s
µ
2 ω2 ω2
ω20 − ω2 + 0 2
Q
(A2.38)
hat einen „Resonanz-Nenner“. Sie ist in Abb. A2.2, oben, als Funktion von ω/ω0 dargestellt. Die
Amplitude wird maximal3 für den Resonanzfall ω = ω0 . Sie nimmt dabei einen Wert an, der
proportional zur Güte und zur Amplitude des erregenden Drehmoments ist:
ϕ (ω = ω0 ) =
µQ
.
ω20
(A2.39)
Vergleicht man diese Maximalamplitude mit der für ω = 0, so sieht man, dass die Güte auch aus
diesen beiden Werten bestimmt werden kann:
ϕ(ω = ω0 ) = Qϕ(ω = 0).
(A2.40)
Für Systeme großer Güte können im Resonanzfall schon kleine periodische Störungen zu sehr
großen Amplituden und damit zur Zerstörung des schwingenden Systems führen (Resonanzkatastrophe).
Als Maß für die Breite der Resonanzkurve ϕ(ω) wählt √
man üblicherweise den Abstand ∆ω der
beiden Frequenzen ω1 , für die die Amplitude auf das 1/ 2-fache bzw. die gespeicherte Energie
auf das 1/2-fache des jeweiligen Wertes bei ω = ω0 abgefallen ist:
µ
ϕ(ω1 ) = q
2
ω20 − ω21 +
ω20 ω21
Q2
1 µ
ϕ(ω0 )
= √ 2 = √ .
2 ω0
2
(A2.41)
Q
Für hinreichend hohe Güten liegen ω1 und ω0 sehr nahe beieinander. Wir benutzen daher die
Näherungen
ω20 − ω21 = (ω0 + ω1 )(ω0 − ω1 ) ≈ 2ω0 (ω0 − ω1 )
(A2.42)
und
ω0 ω1 ≈ ω20 .
(A2.43)
√
ω0
. Die „1/ 2-Wert-Breite“ ∆ω der ResonanzDamit folgt: 2(ω0 − ω1 ) = ±ω0 /Q bzw. ω1 = ω0 − 2Q
3
Das stimmt nur näherungsweise für hinreichend hohe Güten. Die Auswertung der Extremumbedingung dφ(ω)
dω = 0
ergibt:
Amplitude(ω)
ωmax
p
√
Auslenkung: µ/ √
N
ω0 1 − 1/2Q2
Geschwindigkeit: µω/ N ω0
Die Frequenz ωmax des Maximums der Auslenkungsmplitude bei der erzwungenen Schwingung ist verschieden von
der Eigenfrequenz der freien Schwingung mit Dämpfung! (Vergleichen Sie mit dem Schwingfall der freien Schwingung in Abschnitt A2.2.3).
Dagegen stimmt die Frequenz ωmax für die Geschwindigkeitsamplitude mit der Eigenfrequenz der freien Schwingung mit Dämpfung überein. Der Anreger überträgt kinetische Energie auf das schwingfähige System. Der Energieübertrag ist optimal angepasst, wenn die Geschwindigkeitsamplitude bei der Anregungsfrequenz ω = ω0 maximal
überhöht ist.
Anhang A2 Schwingungen
Abbildung A2.2: Erzwungene Schwingungen: Amplitude und Phase
Anhang A2 Schwingungen
kurve ist die volle „Halbwertsbreite“ der Energie-Resonanzkurve:
∆ω =
ω0
Q
oder
Q=
ω0
.
∆ω
(A2.44)
Breite und Höhe der Resonanzkurve hängen also in umgekehrter Weise von der Güte Q ab.
Für hinreichend schwach gedämpfte Systeme kann die Güte aus der Breite ∆ω ermittelt werden.
Schätzt man mit Hilfe dieses Ergebnisses den Fehler ab, der durch obige Näherung gemacht wird,
so erhält man:
!
3
ω0
1+
, d.h. ca. 10% für Q = 7, 5.
(A2.45)
Q=
∆ω
4Q
Auch die Phase der Amplitude zeigt eine charakteristische Abhängigkeit von ω und Q (Abb. A2.2,
unten).
ωω0 1
tan(α) = 2
,
(A2.46)
ω0 − ω2 Q
ω ω0 ⇒ tan(α) ' ω/ω0 ⇒ α ≈ 0,
ω = ω0 ⇒ tan(α) = ∞
⇒ α ≈ π/2,
ω ω0 ⇒ tan(α) ' −ω0 /ω ⇒ α ≈ π.
(A2.47)
Der Übergang der Phase von Werten nahe 0 zu fast π vollzieht sich in einem Frequenzbereich um
ω0 herum, der von der Größe ∆ω ist. Der Übergang ist umso abrupter, je größer Q ist. Für die
beiden Werte ω1 gilt mit der obigen Näherung:
tan(α) =
ω · ω0 1
≈ ±1.
ω20 − ω21 Q
(A2.48)
Die Phase α ist dann 45° bzw. 135°.
Das Verhalten eines harmonischen Schwingsystems ist also durch seine Eigenfrequenz ω0
und seine Güte Q völlig beschrieben.
Raumplan
Nr.
Bezeichung
Raum
Tel.
Freie und erzwungene Schwingungen mit Dämpfung
AVZ
3715
Trägheitsmoment, physisches Pendel
AVZ
3715
Elastizitätskonstanten, Biegung und Knickung
0.010
4769
110
Spezifische Wärmekapazität
0.011
2794
114/N14
Statistische Schwankungen
0.012
2795
232/N32
Gleichströme, Spannungsquellen und Widerstände
U1.012
2789
234
Wechselstromwiderstände, RC-Glieder und Schwingkreis
U1.009
4774
236
Galvanometer
0.011
2794
238
Transformator
0.010
4769
240
Magnetisierung von Eisen
0.012
2795
U1.005
2791
U1.006
4776
U1.003
4777
U1.004
4765
Linsen und Linsensysteme
AVZ
3715
364
Fernrohr und Mikroskop
AVZ
3715
366/N66
Prismen-Spektralapparat
U1.003
4777
U1.004
4765
U1.007
4775
102/N02
104/106/N06
108/N08
242/N42
242
362/N62
368
Kraftwirkung auf Ladungen (Fadenstrahlrohr)
Kraftwirkung auf Ladungen (Millikan-Versuch)
Beugung und Interferenz
U1.008
370/N70
Polarisation von Licht
U1.007
4775
U1.008
372
Wärmestrahlung
U1.012
2789
Die Versuche stehen im Wolfgang-Paul-Hörsaal-Gebäude, Kreuzbergweg 28 (Raumnummern angegeben) oder im AVZ I, Endenicher Allee 11, im Erdgeschoss links.