Deutscher Biotechnologie-Report 2015

Die globale EY-Organisation im Überblick
Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschafts­
prüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Managementberatung.
Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Leistungen stärken wir
weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Dafür sind wir
bestens gerüstet: mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams,
exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. Unser
Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen – für
unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und die Gesellschaft, in der wir leben.
Dafür steht unser weltweiter Anspruch „Building a better working world“.
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In Deutschland ist EY an 22 Standorten präsent. „EY“ und „wir“ beziehen
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Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory
mag 0415
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Diese Publikation ist lediglich als allgemeine, unverbindliche Information gedacht und kann daher nicht
als Ersatz für eine detaillierte Recherche oder eine fachkundige Beratung oder Auskunft dienen. Obwohl
sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, besteht kein Anspruch auf sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und/oder Aktualität; insbesondere kann diese Publikation nicht den besonderen U
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Momentum nutzen
Politische Signale setzen für
Eigenkapital und Innovation
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Deutscher Biotechnologie-Report 2015
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betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten, die im
Rahmen einer Primärdatenerhebung sowie Sekundärdatenrecherche
von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem Report
wiedergegebenen qualitativen und quantitativen Einschätzungen
wurden mit hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch übernimmt der Heraus­
geber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben.
Das Titelbild wurde mit freundlicher Genehmigung der
Deutsche Börse AG zur Verfügung gestellt.
Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Theodor-Heuss-Anlage 2, 68165 Mannheim
April 2015
Layout und Produktion: magenta – Kommunikation,
Design und Neue Medien GmbH & Co. KG, Mannheim
Inhalt
• Vorwort2
• Perspektive4
• 1% für die Zukunft – Unterstützung und nachhaltiges Momentum
5
• Momentum aufrechterhalten
7
• Heraus aus der „Biotech-Nische“
10
• Biologisierung und Digitalisierung – Eckpfeiler der Innovation
14
• • Kennzahlen20
• Positive Grundstimmung und Zukunftsperspektive
21
Neugründungen mit Mut
24
• Finanzierung26
• Biotech-Börsengänge in Europa – Fehlanzeige in Deutschland
27
• Zahlen und Fakten – Deutschland
32
• Zahlen und Fakten – Europa
42
• Zahlen und Fakten – USA
47
• Transaktionen50
• Deutsche Erfolgsgeschichten in verschiedenen Rollen 51
• Allianzen in Europa produktgetrieben
59
• Zahlen und Fakten – Deutschland
62
Zahlen und Fakten – International
64
• • Biotech-Standort Deutschland
68
• Innovationsfinanzierung im Fokus des Branchenverbandes 69
• BioRegionen treiben Transformation zur Bioökonomie voran
71
• Danksagung77
• Anhang78
• Methodik und Definitionen
79
Vorwort
Die Botschaft des letztjährigen Berichts –
„1% für die Zukunft“ – hat viel Aufsehen
erregt: Einerseits gab es Zustimmung für
den Grundgedanken einer funktionierenden Kapitalnahrungskette und der dringend
notwendigen Mobilisierung von Privatkapital zur Wiederherstellung des Finanzierungssystems der Biotechnologie in
Deutschland.
Es gab aber auch Kritik, meist von denen,
die erwartet hatten, dass dem guten Denkansatz auch konkrete Ausführungsvorschläge folgen würden.
Jedenfalls hat der Denkanstoß Gehör gefunden, sowohl politisch auf Bundes- und
Länderebene als auch bei vielen anderen
Stakeholdern des Life-Science-Sektors.
Das weiterhin spürbare Momentum verlangt somit nach einer Fortsetzung des
begonnenen Denkprozesses.
Dabei ist den Initiatoren der 1%-Story
weiterhin klar, dass die Detailanalyse von
Ursachen für die nicht funktionierende
Kapitalnahrungskette sowie die Untersuchung von möglichen Maßnahmen auf ihre
Wirkung zur Behebung der Misere den
politischen Gremien zu überlassen ist. Die
geforderten Studien dazu sind leider immer
noch nicht in Auftrag gegeben.
Dr. Siegfried Bialojan
Eine logische Fortsetzung des Denkprozesses ist vielmehr die verstärkte Diskussion
zur Relevanz der geforderten Initiativen.
Es geht nicht um die Unterstützung einer
Not leidenden kleinen Biotech-Branche und
schon gar nicht um Subventionen für die
Unternehmen in diesem Feld. Die Perspektive ist eine weitaus größere und betrifft
schlicht unsere Zukunft als Wirtschaftsstandort und noch wesentlich weiter gedacht das zukünftige Wohlergehen der
Gesellschaft insgesamt. Insofern ist die Initiierung einer breiteren gesellschaftlichen
Diskussion gefordert, die den Zusammenhang zwischen der allerorten proklamierten
Innovationsgesellschaft und der dafür notwendigen Änderung des gesellschaftlichen
„Mindset“ klarstellt.
Der vorliegende Report will dazu einen
Beitrag leisten. Mit dem Titel „Momentum
nutzen – Politische Signale setzen für
Eigenkapital und Innovation“ knüpfen wir
einerseits direkt an die Initiative des letzten
Berichts an und verstärken die Botschaft
nach Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für mehr Eigenkapital.
Andererseits haben die aktuellen Geschehnisse an den Börsen in den USA und zum
Teil auch in Europa ein neues Momentum
geschaffen, das Biotech wieder deutlich ins
Rampenlicht der Investoren rückt und somit
den Forderungen nach mehr Eigenkapitalmobilisierung auch konkretere Realisierungschancen eröffnet.
Diese internationalen Erfolge, die wir in
unserer globalen Studie „Beyond borders“
im Detail beschreiben, geben in der Tat
Anlass zum Optimismus – zumindest aber
die Zuversicht, dass die Grundlagen von
Biotech inzwischen ganz klar ihr Potenzial
aufzeigen.
Dies sollte eine große Motivation dafür sein,
die notwendigen Rahmenbedingungen
auch hier zu etablieren, um den globalen
Trends folgen zu können. Es wäre hingegen
gefährlich und falsch, daraus abzuleiten,
dass der globale Aufschwung der Biotechnologie automatisch weltweite Ausbreitung
erfährt.
In unserer alljährlichen Publikation „Pulse
of the industry“ werden Wege zur Aufrechterhaltung der Innovationskraft im
Medizintechniksektor ebenfalls vor dem
Hintergrund limitierter finanzieller Ressourcen, neuer regulatorischer Herausforderungen und der stärkeren Berücksichtigung
einer wertbasierten Gesundheitsversorgung diskutiert.
Schließlich adressieren wir mit unserer
„Progressions“-Serie die Herausforderung
für Pharma-Unternehmen, sich der „Digital
Transformation“ zu stellen und das Thema
„Business Model Innovation“ aktiv anzugehen.
Das Zusammenwirken aller Disziplinen der
Life-Science-Industrie zu verstehen, wird
zu einer unabdingbaren Kernkompetenz
für den Aufbau des patientenorientierten
Gesundheitssystems der Zukunft. Die gedankliche Auseinandersetzung mit diesen
Zusammenhängen, unzählige Gespräche
mit allen Beteiligten sowie ein fundiertes
Wissen der Fakten schaffen eine solide
Basis für eine Beratungsexpertise, die wir
unseren Kunden im gesamten Life-ScienceBereich zur Verfügung stellen.
Mit diesem Vorausblick hoffe ich, dass Ihnen
die vorliegende Studie hilfreiche Anregungen
liefert und würde mich freuen, darüber hinaus
den Dialog mit Ihnen fortsetzen zu dürfen.
Dr. Siegfried Bialojan
EY Life Science Center Mannheim
Das PDF der Studie finden Sie unter
www.de.ey.com/biotechreport
„Beyond borders“
Biotechno­logy
industry report
„Pulse of the industry“
Medical technology
report
„Progressions“
Global Pharmaceutical
Report
Perspektive
4
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
1% für die Zukunft – Unterstützung und nachhaltiges Momentum
1%-Initiative – vielstimmiges Echo
Die Perspektive des letztjährigen BiotechReports gipfelte in dem Aufruf „1% für die
Zukunft“, einem Wachrütteln für effektivere
politische Rahmenbedingungen, damit Innovation in Deutschland auch zu volkswirtschaftlich zählbaren Erfolgen führen kann.
Die Initiative „1% für die Zukunft“ war ursprünglich im Kreis einiger Biotech-Unternehmer entstanden, die über ihre unternehmerische Tätigkeit hinaus die volkswirtschaftliche Verantwortung ernst nehmen.
Die Kerngedanken dieser Initiative beruhten
auf einer detaillierten Analyse der aktuellen
Lage:
Enormes wissenschaftliches Potenzial in
Deutschland, aber:
•S
tarke Einschränkung der kommerziellen
Nutzung dieses Potenzials aufgrund einer
nicht funktionierenden Kapitalnahrungskette (von der Gründung zum Kapitalmarkt)
• Geringe Neigung von Anlegern jeder Art,
durch Investitionen in HighTech / HighRisk
die künftige Innovationsfähigkeit am
Standort Deutschlands zu unterstützen
• Fehlende Anreizsysteme
Die einfache, bewusst „plakative“ Formel
„1% für die Zukunft“ brachte die daraus
resultierenden Forderungen auf einen
gemeinsamen Nenner:
Mobilisierung von Privatkapital und gezielte
Allokation in den HighTech-/HighRisk-Sektor durch:
•S
chaffung von steuerlichen Rahmenbedingungen zur gezielten Incentivierung
von Anlegern
•N
otwendigkeit einer fundierten Analyse
von geeigneten Maßnahmen zur Realisierung dieser komplexen Problematik im
Finanzökosystem (Kapitalnahrungskette)
vor gesetzgeberischen „Schnellschüssen“
Die Überzeugungskraft dieser einfachen
„Story“ ist an vielen Punkten festzumachen,
wenngleich politisches Leadership noch
nicht erkennbar ist. Entscheidend ist aber,
dass ein klares politisches Statement, ein
eindeutiges Bekenntnis der Startpunkt sein
muss. Immerhin ist ein sichtbares Momentum für diese Initiative entstanden, das über
das Jahr aufrechterhalten werden konnte.
Interaktion mit der Politik
Es gab zahlreiche Gespräche mit Vertretern
auf Bundes- und Länderebene, quer durch
die Parteien und die Ministerien. Die Entscheidung, den politischen Denkprozess
initial ganz oben an den wichtigsten Schaltzentralen – dem Finanz- sowie dem Wirtschaftsministerium und dem Kanzleramt –
anzusetzen, war richtig und hat eine Dynamik erzeugt. Die Rückmeldung aus der
Politik war überwiegend positiv, was die
Klarheit der Problemdarstellung und die
Formulierung des Handlungsbedarfs anbelangt. Explizit wurde dabei auch positiv aufgenommen, dass man nicht bereits einen
Forderungskatalog mitgeliefert hat, sondern bewusst die Forderung nach Lösungsansätzen durch fundierte Studien vorangeschaltet wurde.
Die Komplexität des Themas und die Gewissheit, dass hier keine einfachen Maßnahmen
helfen, erschweren den Prozess. Die geforderten fundierten Studien zur Evaluierung
potenzieller Maßnahmen liegen immer
noch nicht vor. Immerhin wurden auch keine
der befürchteten „Schnellschüsse“ abgegeben – Einzelmaßnahmen, die zwar den
Problemkreis „Kapitalnahrungskette“
tangieren, die aber nicht die Lösung des
Gesamtproblems bewirken können.
Kritische Diskussion mit Verbänden
Mit etwas Verzögerung erst kam eine Abstimmung mit Verbänden zustande, die
ihre Rolle in erster Linie in der Klientelvertretung sehen und deswegen präferenziell
detailliert ausgearbeitete Forderungskataloge über alle möglichen Kanäle in die politische Diskussion einbringen. Insbesondere
die Formulierung von Einzelmaßnahmen
vs. der Forderung zur Evaluierung ganzheitlicher Lösungsstrategien für die ReEtablierung einer funktionierenden Kapitalnahrungskette war Gegenstand von Dis-
kussionen. Letztlich konnte aber auch hier
Einigkeit erzielt werden, die Kräfte hinter
dem gemeinsamen Ziel zu bündeln.
Unterstützung durch fundierte Studien
Sehr hilfreiche inhaltliche Unterstützung
kam hingegen aus verschiedenen Studien
respektierter Autoren und Institutionen, die
vollkommen unabhängig von der 1%-Initiative zu ähnlichen Resultaten kamen bzw.
auch gleichlautende Lösungen vorschlugen.
Sachverständigenrat der Bundesregierung
Zunächst hatte der Bericht des Sachverständigenrates der Bundesregierung („die
fünf Wirtschaftsweisen“) im Jahresgutachten 2012 / 13 sehr eindeutig die steuerliche
Ungleichbehandlung von Fremd- gegenüber Eigenkapital angeprangert und hierzu
dringend Korrekturen eingefordert. Die Vorschläge des Sachverständigenrates gehen
dabei eindeutig in die Richtung steuerlicher
Vorteile als konkrete Anreize für mehr Eigenkapitalbeteiligungen. In dem Gutachten
wird auch explizit die Kostenseite der geforderten Maßnahmen beleuchtet und somit
schon sehr konkret auch die Machbarkeit
bestätigt.
Expertenkommission Forschung
und Innovation
In weiteren Studien (2014, 2015) aus dem
Kreis der Expertenkommission Forschung
und Innovation (EFI) – ebenfalls ein anerkanntes Beratungsgremium der Bundesregierung – wurde vor allem die aktuelle Zuordnung von F&E-Ausgaben in Deutschland
analysiert. Im Resultat kommt diese Studie
zum Ergebnis, dass Deutschland zwar sehr
nah an die Erfüllung der Lissabon-Forderung
(3 % des BIP in F&E) herankommt; allerdings gehen 70 Prozent dieser Investitionen
(staatliche und privatwirtschaftliche Anteile) in die aktuellen Schlüsselindustrien
(Automobil- und Maschinenbau), während
die Schlüsselindustrien der Zukunft eklatant
unterrepräsentiert sind. In ihrer neueren
Studie (2015) wird noch stärker auf die
Bedeutung des Eigenkapitals für die innovativen KMU hingewiesen und gefordert,
dass das Instrumentarium zur gezielten
Incentivierung von Fonds, von Anlegern in
solche Fonds (z. B. Pensionsfonds, Lebensversicherungen etc.) sowie von Unternehmen (z. B. Verlustvorträge) dringend
zu überarbeiten sei.
Perspektive |
5
Deutsches Aktieninstitut (DAI)
In einem Positionspapier des DAI aus dem
Dezember 2014 wird sehr klar der Zusammenhang zwischen Innovation und einem
entsprechenden Investitionsverhalten
dargelegt. Daraus resultiert einerseits die
Forderung nach einer Verbesserung der
Aktienkultur in Deutschland, basierend auf
einem besseren „ökonomischen Verständnis“ in der Gesellschaft, sowie andererseits
nach der steuerlichen Incentivierung entsprechender Anlagen und der gezielten
Förderung von Börsengängen. Außerdem
wird auch der wichtige Zusammenhang zu
einer gesicherten Altersvorsorge durch
entsprechend geändertes Anlageverhalten
von institutionellen Anlegern hergestellt.
Dem Präsidium des DAI gehören immerhin
sehr namhafte Vertreter der führenden
deutschen Wirtschaftsunternehmen an
(z. B. Bayer, BASF, Daimler etc.) sowie der
Chef der Deutschen Bundesbank, Jens
Weidmann.
Deutsche Bank Research
In einem noch aktuelleren Papier aus dem
Februar 2015 stellt DB Research eindeutig
den Zusammenhang zwischen der Finanzierungslücke im Biotech-Bereich und der
Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors in
Deutschland her. Ebenso klar formuliert
DB Research die Forderung nach neuen
Anreizen für ein stärkeres Engagement
von Risikokapitalinvestoren.
6
Die Schweiz geht mit gutem
Beispiel voran
Ebenfalls vollkommen unabhängig hatte
sich in der Schweiz eine Diskussion mit erstaunlich übereinstimmenden Argumenten
im Vergleich zur 1%-Story entwickelt:
unzureichende Allokation von Investments
in die Zukunft des Innovationsstandorts
Schweiz; stattdessen massiver Kapitalexport
und Wertschöpfung andernorts. Fast gleichlautend – durch die Initiative von Henri B.
Meier, dem einflussreichen ehemaligen CFO
von Roche und führenden Schweizer Investor – klang folglich auch die Forderung nach
einer Verpflichtung von institutionellen Anlegern, ein Prozent ihres Anlagevermögens
in einen zu etablierenden „Zukunftsfonds
Schweiz“ einzulegen und damit Kapital für
Innovationen aus dem Hightech-Bereich zu
mobilisieren. Diese Initiative hat innerhalb
eines Jahres die parlamentarischen Hürden
in der Schweiz erfolgreich überwunden und
die entsprechende Gesetzgebung ist auf
dem Weg.
Wichtige Persönlichkeiten unterstützen
die Initiative
Nicht zuletzt gab es erfreulicherweise auch
Unterstützung von anerkannten Persönlichkeiten, die im Life-Science-Umfeld in Deutschland hohes Engagement gezeigt haben. Als
Privatinvestoren haben sie – wohlgemerkt
ohne Anreize durch den Staat – Enormes
für die Innovation geleistet und damit den
Beweis geliefert, dass die wirtschaftliche
Nutzung von innovativen Ideen in Deutschland durchaus möglich ist, wenn privates
Kapital in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt wird. Die Unterstützung
durch Thomas Strüngmann, Dietmar Hopp
und Roland Oetker ist hervorzuheben, steht
aber auch stellvertretend für viele, die
ebenfalls ihre Kontakte und Gesprächsmöglichkeiten in der Politik genutzt haben, um
die Forderungen der 1%-Initiative explizit
zu unterstreichen.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Deutsche Börse in der Diskussion
Auch die Deutsche Börse, an der die IPOs
deutscher Biotech-Unternehmen (an der
NASDAQ bzw. an der Euronext) quasi vorbeigingen, hat sich entsprechend positioniert. Forderungen aus der Politik, eine
spezielle Plattform für Hightech-Unternehmen zu etablieren und dadurch Börsengänge
zu erleichtern, hat sie sich entgegengestellt.
Da alle technischen Voraussetzungen für
den Handel erfüllt seien, käme es vor allem
darauf an, Investoren in Frankfurt wieder
den Hightech-Bereich schmackhaft zu
machen – und damit ist man erneut am
Thema der Anlegermotivation angelangt.
Momentum aufrechterhalten
Der Erfolg der Initiative und das nachhaltig
spürbare Momentum plädieren eindeutig
für eine Fortsetzung der Bemühungen – vor
allem auch, weil in der komplizierten politischen Gemengelage noch kein politisches
Leadership zu erkennen ist. Die Herausforderung ist groß, wird aber doch durch
die Tagespolitik überspielt. Diskussion alleine
und vielfache verbale Bestätigung sind
nicht zufriedenstellend.
Neue Dynamik an den internationalen
Kapitalmärkten
Die Notwendigkeit zur Fortsetzung der
Bemühungen wird dadurch weiter untermauert, dass die aktuellen Bewegungen
an den Kapitalmärkten – auch in Europa
(siehe Kapitel Finanzierung) – neue Chancen bieten. Die starke Dynamik der über
100 IPOs von Biotech-Unternehmen in den
USA seit Ende 2012 hat neues Interesse
von Investoren erzeugt und bietet eine einmalige Chance, den Life-Science-Sektor
nachhaltig zu beleben.
Die Tatsache, dass diese Dynamik nur sehr
zögerlich und insgesamt noch zu schwach
auf Europa übergreift, sollte umso mehr
dazu motivieren, die beschriebenen Aktivitäten (Kapitalnahrungskette, Anreize für
Anleger etc.) zu verstärken und sich nicht
auf Automatismen zu verlassen, nach denen
die positiven Entwicklungen in den USA
von alleine nach Europa „überschwappen“
werden. Dies gilt umso mehr für den Kapitalmarkt in Deutschland, der bisher noch gar
nicht an die positiven Entwicklungen an der
NASDAQ oder den europäischen Börsen
in Paris (Euronext)und London (AIM)
anknüpfen konnte.
Wie geht es weiter?
Die Grundproblematik ist also erkannt und
wird von allen Stakeholdern mehr oder
weniger gleich beurteilt: Die Begriffe „Kapitalnahrungskette“ oder „Kapitalökosystem“
haben sich in der Diskussion etabliert. Sie
bringen die Notwendigkeit zum Ausdruck,
dass die Lösung der Finanzierungsmisere
für die Biotechnologie in Deutschland komplexer ist und entsprechend ein abgestimmtes Maßnahmenpaket sowie ein koordiniertes
Vorgehen erfordert.
Für die weitere Vorgehensweise gelten aber
immer noch die bisherigen Vorgaben: Das
„Wie“, d. h. wie ist die aufgezeigte Problematik der Kapitalnahrungskette zu lösen,
obliegt der Politik, die gesetzgeberisch aktiv
werden muss. Die grundsätzliche Richtung
ist vorgegeben: Es muss um steuerliche
Anreize für ein breites Spektrum von Anlegern gehen, damit dadurch mehr privates
Kapital für innovative Hightech-Unternehmen
mobilisiert werden kann.
Viele Vorschläge in der Diskussion
Die schleppende politische Diskussion mag
einerseits, im positiven Sinne, der Erkenntnis geschuldet sein, dass die Komplexität
der Lage erkannt wurde und man entsprechend tatsächlich nur einen umfassenden
Ansatz als einzig zielführend erachtet.
Andererseits ist aus der Fülle von Lösungsvorschlägen der Stakeholder aus allen
Bereichen (Verbände, Investoren, Unternehmen, anerkannte Institutionen etc.)
möglicherweise auch eine Situation entstanden, die die Gefahr einer „Kakophonie“
heraufbeschwört: zu viele Ideen, zu viele
Partikularinteressen, zu wenig systematische und konstruktive Diskussion im Interesse des Ganzen.
Die vorliegende Studie möchte in dieser
Situation einen Beitrag zur Versachlichung
leisten und hat deshalb die verschiedenen
Vorschläge, Forderungen und Ideen in einer
umfassenden Tabelle dargestellt (siehe S.
8 / 9). Diese Zusammenstellung kann der
Pool von Handlungsoptionen sein, aus dem
der Gesetzgeber Ideen und Anregungen
entnehmen könnte.
Dennoch muss hier noch einmal mit Nachdruck der ursprüngliche Vorschlag wiederholt
werden, im Sinne einer ganzheitlichen
Lösung zunächst belastbare Evaluierungen
möglicher Handlungsoptionen durch fundierte
neutrale Studien durchzuführen. In diesem
Zusammenhang sollten auch die sehr detaillierten Ausführungen des Sachverständigenrates der Bundesregierung (Gutachten
2012 / 13) sowie das EFI-Gutachten 2015
als bereits ausgewiesene Fachstudien in die
Evaluierung miteinbezogen werden.
Die wesentlichen Beurteilungskriterien liegen auf der Hand:
• Qualitative und quantitative Auswirkung
auf die Kapitalnahrungskette
• Zeitschiene für Umsetzung und Wirkung
• Kosten für die Volkswirtschaft
• Gewinn für die Volkswirtschaft
• Erfolgskriterien (Innovationsleistung,
F&E-Investitionen, Aktienkultur, Eigenkapitalmobilisierung etc.)
• Steuerliche Umsetzbarkeit und Gestaltungsoptimierung
• EU-Konformität
• Andere
Innovationsfinanzierung
Staat
„Push“Maßnahmen
• Zuschüsse
• Seed Fonds
• Technologietransfer
• Akademische
Forschung
• Clusterprogramme
Steuer auf
Erlösgewinne*
Umsatzsteuer
Lohnsteuer
Anleger
„Pull“Maßnahmen?
Investoren
Privatfinanzierung
Exits
* Forderung: Wegfall der Abgeltungssteuer für Gewinne aus Investitionen in HighTech
Trade Sale
Börse
Quelle: EY, C. Kremoser
Perspektive |
7
Deutsches Aktieninstitut
(DAI)
Positionspapier
vom 16. Dez. 2014
Expertenkommission
Forschung und Innovation
(EFI)
Studie 2015
Initiator
Sachverständigenrat der
Bundesregierung
Jahresgutachten 2012/13;
Kap 4/II
Rationale
Steuerliche Ungleichbehandlung
•➢ Mangel an Aktienkultur in
von Fremd- und Eigenkapital (FK
Deutschland
und EK) führt zu einer ungerechten •➢ Behinderung der Innovation
Verzerrung der Besteuerung:
•➢ Zu wenige Börsengänge und
damit zu wenig Möglichkeiten
•➢ Vorteile für etablierte Unterfür wachsende innovative Unternehmen vs. KMU durch unternehmen, Kapital einzuwerben
schiedlichen Zugang zu FK
•➢ Benchmarks in den USA und
•➢ Behinderung der Innovation,
anderen Ländern zeigen die
die immer mit EK-Investitionen
weitaus höhere Aktienquote
einhergeht
auf und gleichzeitig eine direkte
•➢ Verhinderung der Ausbildung
Verbindung zur Innovationseiner Aktienkultur in Deutschland
leistung
•➢ G
roße Bedeutung von Wagniskapital als wichtige Finanzierungsquelle für junge, innovative
Unternehmen
Vorschlag
Finanzierungsneutralität herstellen
zwischen FK und EK-Finanzierung.
Duale Einkommenssteuer durch:
•➢ Restriktive Behandlung von Verlustvorträgen junger Unternehmen nach §8c KStG beheben
(negative Wirkung auf die Investitionsbereitschaft von Wagniskapitalgebern)
•➢ Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen bei Streubesitzanteilen
an Kapitalgesellschaften abschaffen
•➢ Keine höhere Besteuerung des
sogenannten Carried Interests,
d. h. der Vergütung von Fondsinitiatoren
•➢ Umsatzbesteuerung der Verwaltungsleistungen von Fondsmanagern aufheben
•➢ Pensionsfonds als wichtige Klasse
der institutionellen Investoren als
Ankerinvestoren gewinnen (umlagefinanziertes Rentensystem
überdenken?)
•➢ Andere institutionelle Investoren in
die Funktion der Ankerinvestoren
übernehmen
•➢ Abzugsmöglichkeiten für
kalkulatorische EK-Zinsen
•➢ Einschränkung der Abzugsfähigkeit von FK-Zinsen
•➢ „Zinsbereinigung des Grundkapitals“ (Freistellung von
Dividendeneinkünften im Rahmen
von marktüblichen Renditen)
Ziele / Zielgruppe
Investoren, Unternehmen,
Kapitalnahrungskette
8
•➢ Höhere EK-Quoten
•➢ Direkte Verknüpfung mit Innovationskraft der involvierten
Branchen
•➢ Chance erhöhen für die Ausbildung einer Aktienkultur in
Deutschland
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Verbesserung der Aktienkultur und
Aktienquote in Deutschland durch:
•➢ Aufhebung der steuerlichen
Diskriminierung von Aktiengewinnen (vs. FK-Zinsabzug)
•➢ Steuerliche Förderung von
Mitarbeiterbeteiligung
•➢ Förderung / Vereinfachung der
kapitalgedeckten Altersvorsorge
•➢ Abschaffung regulatorischer
Hindernisse für institutionelle
Investoren (z. B. Garantiezins
bei LV, Solvency II)
•➢ Verbesserung der ökonomischen
Bildung
•➢ Regulierung der Aktienberatung
•➢ Erhalt der Verlustvorträge bei
Eigentümerwechsel
•➢ Mobilisierung von Privatkapital
für private und börsennotierte
Unternehmen
•➢ Aktivierung des Kapitalmarkts
als EK-Finanzierungsquelle
•➢ Anreize für Investoren und private Anleger entlang der Kapitalnahrungskette bis zum Exit
•➢ Anreize für EK-Fonds (Carried Interest; Umsatzbesteuerung der
Verwaltungsleistungen)
•➢ Anreize für Unternehmen und Investoren (Verlustvorträge)
Deutsche Bank Research
Statement vom 11. Feb. 2015
BIO Deutschland
•➢ Biotechnologie: Querschnittsund Schlüsselindustrie für den
Produktionsstandort Deutschland
•➢ Spitzenforschung: Kapitalengpass
bei der Wachstumsfinanzierung
•➢ Akute Gefährdung der „HightechStrategie“
•➢ Innovationsleistung (Patente,
Projekte, F&E-Aufwand etc.) und
Wettbewerbsfähigkeit rückläufig
•➢ Shift zu Geschäftsmodellen
mit geringerem Wertschöpfungspotenzial
•➢ Kapitalmarkt unattraktiv
•➢ Technologieabfluss
Die Erforschung und Entwicklung
•➢ Jungunternehmen brauchen Wag- •➢ Erhalt des nationalen Wohlstands
innovativer Spitzentechnologien un- niskapital: Für die Gründung, das
der nächsten Generation
terscheidet sich ökonomisch
Wachstum und für die Internatio- •➢ Ressourcenarmes Hochkostenland
erheblich von etablierten Industrien
nalisierung
kann nur durch die Realisierung
durch folgende Kernmerkmale:
•➢ Mangelnde aufsichtsrechtliche
seines Innovationspotenzials im
•➢ Hoher Kapitalbedarf
und steuerliche Rahmenbedingunglobalen Wettbewerb bestehen
•➢ Hohes inhärentes Entwicklungs-,
gen
•➢ Voraussetzung sind „echte InnoForschungs- und Marktein•➢ Aktuelle Rechtslage hat Ausvationen“; diese bedingen sehr
führungsrisiko
wirkungen auf die gesamte
hohen Finanzierungsbedarf, sehr
•➢ Lange Entwicklungszeiten
Wertschöpfungskette (Unterlange Dauer der Entwicklung bis
(insb. in der Luft- und Raumfahrt,
nehmen, Anleger, Fonds)
zur Marktreife (10 – 15 Jahre)
Bio- / Pharma-Industrie)
und eine hohe Ungewissheit bis
•➢ EK-Finanzierung über Venturezur Erreichung des Ziels
oder Beteiligungskapital ist für
•➢ Auf der Kostenseite (Forschung,
junge innovative Unternehmen
Patente) gehört die Schweiz zur
meist die einzige FinanzierungsSpitze, aber auf der Ertragsseite
möglichkeit
(Umsetzung in wertschöpfende
•➢ Steuerliche Rahmenbedingungen
Produkte und Dienstleistungen)
erschweren die Venture-Kapitalhapert es
finanzierung junger Unternehmen
•➢ Wagniskapital und der Begriff
im Vergleich zu anderen Ländern
Wagnis (bzw. Risiko) ist in der
Schweiz negativ besetzt
•➢ Anreize für stärkeres Engagement von Risikokapitalgebern
•➢ Steuerliche Begünstigung von
EK-Fonds für private und institutionelle Anleger, die in Hightech
investieren (vgl. Frankreich)
•➢ Unterstützung der Vorschläge
von EY und BIO Deutschland
Mobilisierung von EK durch:
•➢ Befreiung von der Abgeltungssteuer bei Investitionen in junge
innovative Unternehmen
•➢ Erhöhung des INVEST-Zuschusses
für Wagniskapital
•➢ Einführung eines Deutschen
Innovationsfonds (DIF) wie z. B.
in Frankreich, Großbritannien
inkl. der Steuerbefreiung für
Gewinne aus diesen Anlagen
sowie teilweiser Anrechnung der
Investitionen auf die Einkommenssteuerschuld
•➢ Einführung von Steuergutschriften in verschiedenen Ausgestaltungen (sog. Tax Credits)
zur Verbesserung des Cashflow
in Unternehmen
BVK
Unternehmen:
•➢ Forschungsprämie soll Unternehmen bei ihren Innovationsbemühungen direkt unterstützen
•➢ Patentbox: Erlöse aus der Verwertung von IP sollen günstiger
besteuert werden (steuerlicher
Vorteil nur bei substanzieller
wirtschaftlicher Aktivität in
Deutschland)
•➢ Verlustvorträge sollen europarechtskonform auch bei Anteilseignerwechseln erhalten bleiben
(§8c KStG)
VC-Fonds:
•➢ Gesetzliche Steuertransparenz
verbessern (§18 InvStG) für
größere Rechtssicherheit bei
ausländischen Investoren
•➢ Umsatzsteuerbefreiung für das
Management von Fonds
•➢ Praxistaugliches Aufsichtsrecht
Zukunftsfonds Schweiz
•➢ Pensionskassen der Schweiz
bündeln ihre für die Zukunft
reservierten Ressourcen und
schaffen ein gemeinsames auf
Wagniskapital spezialisiertes
Vehikel, welches die Aufgaben
und die Verantwortung des Wagniskapitalinvestors unter ihrer
Oberaufsicht übernimmt
•➢ Zukunftsfonds Schweiz investiert
in hochspezialisierte, privatwirtschaftlich organisierte, zukunftsträchtige Wagniskapitalfonds an
der Spitze des technologischen
Fortschritts, wie z. B. in den Bereichen Energy & Greentech,
neue Materialien / Werkstofftechnologie, Nanotechnologie, IT,
Biotechnologie, Medizinaltechnik
etc.
Investoren:
•➢ Roll-over von Veräußerungsgewinnen
•➢ Sonderabschreibungen auf
Investitionen
•➢ Mobilisierung von Privatkapital
von privaten und institutionellen
Anlegern
•➢ Sicherstellung der Kapitalnahrungskette, vor allem der
Anschlussfinanzierung von
jungen innovativen Unternehmen
•➢ Hightech breiter definieren als
Biotech
•➢ Investitionsanreize für Anleger
(INVEST-Zuschuss, Abgeltungssteuer, Innovationsfonds)
•➢ Wirkung sowohl während der
Beteiligungsdauer als auch bei
Exit
•➢ Erhöhung des Upside-Potenzials
bei gleichzeitiger Verringerung
des Downside-Risikos
•➢ Unternehmen profitieren durch
Steuergutschriften (Tax Credits)
Unternehmen, Investoren,
VC-Fonds
VC-Fonds, Investoren
Quelle: EY
Perspektive |
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Heraus aus der „Biotech-Nische“
„1% für die Zukunft“ adressiert wichtige
politische Themen
Nach den zahlreichen Gesprächen auf allen
Ebenen über die im letzten Jahr vorgestellte
Initiative schält sich eindeutig heraus, dass
es noch mehr darauf ankommt, die volkswirtschaftliche Bedeutung und Reichweite
der angemahnten Änderungen noch besser
herauszuarbeiten. Es geht nicht um ein
Unterstützungsprogramm für eine Not leidende Biotech-Branche. Biotech ist aber ein
wesentliches Element und ein sehr repräsentatives Beispiel einer Entwicklung, die
die Sicherstellung der tatsächlichen Innovationskraft in Deutschland auch mittel- und
langfristig im Auge hat.
Es geht also darum, dass dieses Thema aus
der zu engen „Biotech-Nische“ herausgehoben wird. Die analysierten Zusammenhänge zwischen Innovation und einem klaren
Bekenntnis zu kleinen und mittleren Unternehmen als Innovationsmotoren sind für
den gesamten Hightech-Sektor zutreffend.
Es geht weiterhin in einem viel breiteren
Kontext um die Klarstellung, dass Innovationen und ihre Realisierung im Markt auch
ein Umdenken in der Gesellschaft erfordern:
Die Verknüpfung von Innovationskraft mit
dem Mut zum Risiko, Unternehmergeist
und einer grundsätzlich veränderten Einstellung zum Thema Eigenkapital und Aktienkultur muss neu überdacht werden.
Hinsichtlich der politischen Diskussion ist
darüber hinaus noch deutlicher herauszustellen, dass die geschilderte Problematik
um Eigenkapital und Kapitalnahrungskette
für Innovation durchaus an die großen
politischen Themen anknüpft und Beiträge
für deren Lösung bieten kann.
Wann, wenn nicht jetzt?
Das aktuelle Momentum aus Sicht der Biotechnologie wurde bereits angesprochen:
IPO-Dynamik an den US-Kapitalmärkten –
IPO-Welle in Europa?
Dieses Momentum nimmt aber in der politischen Debatte wesentlich breiteren Raum
ein und ist aktuell Gegenstand unterschiedlicher Szenarien und Initiativen:
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Fortschreiben der 1%-Initiative
• Höhenflug der Aktienmärkte (z. B.
DAX > 12.000 Punkte) bei anhaltender Niedrigzinspolitik verstärkt die
Motivation, mehr in Eigenkapital zu
investieren (Aktienkultur; Garantiezinsabsicherung bei LVs)
• Industrielle Renaissance: Industriequote in der EU durch industriepolitische Maßnahmen bis 2020 auf 20 Prozent des BIP steigern durch (u. a.):
• Günstigere Finanzierungsbedingungen für Unternehmen
• Fokussierte Sektorprogramme für die
Innovationsmärkte:
• Neue Herstellungstechnologien für
umweltfreundliche Produktion
• Schlüsseltechnologien (Mikro-,
Nano-, industrielle Biotechnologie,
Photonik, Materialwissenschaften)
• Biobasierte Produkte
• Bauwirtschaft und Rohstoffe
• Umweltfreundliche Fahrzeuge
• Intelligente Netze
➢
• BMWi setzt auf Fratzscher-Kommission mit dem Ziel „Erhöhung der
Dynamik der privaten Investitionen“
➢
• Juncker-Plan: 300 Milliarden Euro
Investitionsprogramm soll die EU aus
der Wachstumskrise bringen und
dringend benötigte Jobs schaffen:
• Projekte in Infrastruktur, Forschung
und Entwicklung
• Fonds der Europäischen Investitionsbank (EIB)
• 50 Milliarden Euro von privaten
Geldgebern als Grundeinlage für
den Fonds
Diese Initiativen sind sicherlich alle wichtig
und zielen inhaltlich erfreulicherweise auf
die Mobilisierung von Privatkapital.
Als „Caveat“ sollte jedoch klar herausgestellt
werden, dass große Förder- und Subventionierungsprogramme für Unternehmen
mittel- und langfristig nicht die gleiche Wirkung erzielen werden wie sie direkte Anreize
an Anleger und Investoren für die Mobilisierung von Privatkapital bewirken können.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Die Weiterführung der Diskussion um „1%
für die Zukunft“ wird also vielmehr die Frage
nach dem „Warum brauchen wir das?“
beantworten müssen, d. h. Auswirkungen
aufzeigen eines funktionierenden Finanzierungsökosystems mit effektiven Finanzierungsinstrumenten, einem aktiven Kapitalmarkt, Investoren und privaten Anlegern
mit dem Verständnis für den Zusammenhang zwischen Eigenkapital und erfolgreicher Innovation.
Die Erörterung des erweiterten Kapitalökosystems erfolgte in einem Round Table
von Experten, die sich intensive Gedanken
über die Tragweite und die möglichen Auswirkungen der Umsetzung von geforderten
Maßnahmen aus der „1% für die Zukunft“Initiative gemacht haben.
Als Experten am Round Table „Wir schaffen
Zukunft“ haben teilgenommen:
• Dr. Ingmar Hoerr
(Gründer und CEO CureVac)
• Dr. Georg Licht (ZEW Mannheim)
• Dr. Claus Kremoser (Gründer und CEO
Phenex Pharmaceuticals)
• Dr. Holger Zinke
(Gründer und CEO BRAIN AG)
• Moderation: Dr. Siegfried Bialojan (EY)
Round Table
Diskussion
„Wir schaffen
Zukunft“
Intelligente Investitionen in die Zukunft
des Wirtschaftsstandorts Deutschland
Bialojan: Der Kernpunkt der 1%-Initiative
adressiert ein funktionierendes Kapitalökosystem, das einerseits Anlegern attraktive Investitionsmöglichkeiten gibt, von
denen innovative Unternehmen andererseits profitieren können. Inwieweit lässt
sich diese Forderung über den Horizont des
Biotech-Sektors hinaus verallgemeinern und
als wichtiges politisches Signal für intelligente Zukunftsinvestitionen schlechthin
darstellen?
Zinke: Allein die Tatsache, dass anlagesuchendes privates Kapital zwar in riesigem
Umfang vorhanden ist, wir aber einen Großteil davon exportieren und damit der deutschen Volkswirtschaft für Wertschöpfung
hierzulande vorenthalten, kann nicht gesund
sein. Dies ist beileibe kein Biotech-Problem,
sondern trifft für das gesamte volkswirtschaftliche Innovationssystem zu. Vor diesem Hintergrund muss mehr dafür getan
werden, dass dieses Geld in Deutschland
arbeitet, zumal ja immer wieder betont wird,
dass das Potenzial an innovativen Ideen
riesig ist. Dieselbe Argumentation fand
übrigens auch in der Schweiz statt, wo die
Initiative zur Reallokation von Kapital in der
heimischen Wirtschaft ebenfalls von der
Feststellung des massiven Kapitalexports
ausging. Intelligent investieren heißt also
ganz klar, die Chancen hierzulande besser
zu nutzen; es bedeutet aber auch, dass
dafür entsprechende Anreize gesetzt werden, damit ein Umdenken in Gang kommt.
Derzeit werden für Eigenkapitalinvestoren
keinerlei Anreize geschaffen, im Gegenteil!
Der Anleger wird bei der Abgeltungssteuer
mehrfach belastet und damit für das Eingehen von Risiken auch noch bestraft. Das
geht nicht.
Kremoser: Das Thema „Anreize“ für intelligente Investitionen berührt eine Grundsatzdiskussion, bei der die Rolle des Staates
in verschiedenen Stadien des Wertschöpfungsprozesses klarer definiert werden
muss. Die hierzulande stark verbreitete
Präferenz für staatliche Förderprogramme
kann allenfalls die nicht-kommerziellen
Stadien des Innovationsprozesses betreffen,
wo der Staat in der Tat eine Finanzierungspflicht hat. Ganz im Gegensatz dazu ist die
kommerzielle Entwicklung und Wertschöpfung ebenso klar eine Angelegenheit der
Privatwirtschaft nach rein unternehmerischen Spielregeln. Die Rolle des Staates
sollte insofern in der Wahrnehmung seiner
volkswirtschaftlichen Verantwortung auf
Aktivitäten beschränkt sein, die unternehmerisches Handeln fördern. Dazu gehören
vor allem die Rahmenbedingungen für den
Zugang zu Kapital, attraktive Vorgaben, um
Investoren konkret an den Standort zu
locken und dort auch dauerhaft zu halten.
Anleger sind in der Regel keine Patrioten,
sondern sie kalkulieren knallhart ihre Renditemöglichkeiten unterm Strich. Jede
Form der positiven Beeinflussung dieser
Rechenformel wird angenommen werden.
Das Potenzial an Investitionsmöglichkeiten
ist ein Faktor. Wichtiger aber sind der
Return und Möglichkeiten, diesen zu optimieren. Ein Anleger, der Risiko auf sich
nimmt, zumal wenn an den Investitionserfolg gekoppelt, muss belohnt werden;
dies beeinflusst die Gleichung nachhaltig.
Hoerr: Zu den wesentlichen Eckpfeilern der
beschriebenen Kapitalnahrungskette, die
für den effektiven Innovationsprozess essenziell ist, gehört auch das klare Bekenntnis zur Funktion des Eigenkapitals als wichtigstem Treiber für Fortschritt durch
Innovation. Gerade dieser Aspekt – sowohl
im Umfeld der privaten Start-ups wie auch
bei börsennotierten Unternehmen – ist in
Deutschland leider stark unterentwickelt.
Erfolgreiches Innovationsgeschehen geht
immer einher mit der Bereitschaft, Risiko
einzugehen – und dies wiederum schließt
Fremdkapital als Finanzierungsquelle weitgehend aus. In dieser Logik muss mehr
dafür getan werden, diese Zusammenhänge
zu erklären und alles daran zu setzen, in
einer politischen und gesellschaftlichen
Diskussion Interesse für die Notwendigkeit
einer neuen Aktien- bzw. Beteiligungskultur
voranzubringen. Konkret sollte aber auch
dieser Aspekt am besten durch handfeste
Anreize vorangebracht werden, die verfügbares Kapital alternativen Anlagetypen,
z. B. HighTech, typische Risikobeteiligungen
etc., zuführen.
Licht: Intelligent investieren, Beteiligungen
stärken, Aktienkultur fördern – alles richtige
Gedanken, aber nicht leicht umsetzbar, da
sie tief verwurzelte Haltungen in der Gesellschaft berühren. Es gibt aber auch sehr konkrete aktuelle Notwendigkeiten und Chancen,
stärker in Beteiligungskapital zu denken.
Große institutionelle Anleger wie Lebensversicherungen beklagen aufgrund des
niedrigen Zinsniveaus die schiere Unmöglichkeit, ihre Garantiezinsen mit klassischen,
sicheren Anlagen zu erwirtschaften. Weiter
gedacht wird dadurch ein wesentlicher Teil
der privaten Altersvorsorge ins Risiko gestellt, die andererseits von politischer Seite
immer dringender als Ergänzung der staatlichen Rentenleistung gefordert wird. Intelligent für die Zukunft investieren bedeutet
auch in dieser Hinsicht ein Umdenken im
Anlageverhalten hin zur stärkeren Beimischung von Risikokomponenten mit höherem
Return-Potenzial. Bei den enormen Vermögenswerten der institutionellen Anleger
dürfte selbst eine Allokation im niedrigen
Prozentbereich kaum zu Verschiebungen
des Gesamtrisikos führen; andererseits
würden die absoluten Summen als Beteiligungskapital im Innovationsgeschehen eine
enorme Hebelwirkung entfalten können. Aber
auch hierzu bedarf es klarer Anreize bzw.
der Modifizierung existierender Blockademechanismen, z. B. Solvency II, Basel III.
Auch hier geht die Schweiz mit ihrer neuen
Gesetzesinitiative und der Gründung eines
„Zukunftsfonds Schweiz“ voran.
Bialojan: Die Diskussion zeigt einerseits,
dass die Kernbotschaft der 1%-Initiative viel
weitreichendere Implikationen beinhaltet
und Biotech als ein geeigneter Anfangsaufhänger dient. In Wirklichkeit ist die Dimension eine weitaus größere, die konkret ein
komplettes Umdenken in der Gesellschaft
erfordert, wenn die Innovationsfähigkeit des
Wirtschaftsstandorts Deutschland mittelund langfristig aufrechterhalten werden
soll.
Perspektive | 11
Zukunftssicherung durch Innovation – die
Schlüsselindustrien der Zukunft
Bialojan: Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hängt wesentlich von seiner
Innovationsfähigkeit in den Bereichen der
Hochtechnologie ab. Aus heutiger Sicht
gehen laut EFI-Studie immer noch über 70
Prozent der F&E-Investitionen in die Weiterentwicklung der aktuellen Schlüsselindustrien. Wo bleibt die Diskussion über die zukünftigen Schlüsselindustrien und was muss
heute bereits für die Sicherung einer wirtschaftlichen Position getan werden?
Zinke: Sicher stehen die für Deutschland
so erfolgreichen Industrien wie Automobilund Maschinenbau im Fokus von Investitionen und politischen Bemühungen. Dies
galt auch lange Zeit für den Pharma-Sektor,
Deutschland als „Apotheke der Welt“.
Allerdings hat man bereits – trotz immer
wieder apostrophierter exzellenter Ausgangsbasis – mehrere Innovationszüge in
die Zukunft verpasst. Mit zu zögerlichem
Engagement und von politisch inszenierten
Sicherheitsbedenken dominiert, hat man
den Einzug der Molekularbiologie in die
medizinische Forschung verschlafen und
somit die Vormachtstellung in Pharma
binnen eines Jahrzehnts aufgegeben.
Wesentliche wirtschaftliche Erfolge von
deutschen Erfindungen im IT- / Elektronikbereich werden in den USA gefeiert. Selbst
der immer stärkere Einfluss von IT im Automobilbereich scheint nicht vornehmlich in
Deutschland vorangetrieben zu werden;
die Automobile der Zukunft als eine Blechhaut um hochkomplizierte IT- / Elektroniksysteme mit einer Vielzahl von Funktionen,
weit über das „Fahren“ hinaus ist keine
Utopie mehr. Wo gibt es also zukünftige
Technologieentwicklungen und Schlüsselindustrien, in denen Deutschland noch
12
nicht abgehängt ist? Die Bioökonomie ist
sicherlich ein solcher Bereich, wo wir exzellente Voraussetzungen haben, wo es
aber keine Zeit zu verlieren gibt, um nicht
wieder abgehängt zu werden. Wenngleich
man sich mit dem Begriff „Bioökonomie“
anfangs ebenfalls schwer getan hatte, so
scheint sich die Bedeutung als wichtige
Schlüsselindustrie der Zukunft durchzusetzen. Wiederum steht ein großes Potenzial an Wissenschaft und technischer
Entwicklung im Raum. Ohne gezielte Strategie für die nachhaltige Industrialisierung
dieses Sektors nutzt die positive Ausgangssituation allerdings wenig.
Kremoser: Mit dem Begriff der „Biologisierung“ wird ausgedrückt, dass Biotechnologie als Technologieplattform in eine
Vielzahl von Prozessen und einer breiten
Palette von Industrien eingreifen kann und
Innovationen voranbringt. Allein die chemische Industrie als ein zentraler Spieler in
den meisten der unter „Biologisierungsdruck“ stehenden Industrien spielt in
Deutschland nach wie vor eine große Rolle
als Wirtschaftsfaktor (BASF als größtes
Chemie-Unternehmen der Welt) und lohnt
deswegen das besondere politische Engagement. Vielfach stecken dahinter als Technologietreiber Start-ups mit viel Kreativität,
innovativen Ideen aber zu wenig Kapital;
erneut die Notwendigkeit, auch aus dieser
Perspektive der Zukunftssicherung funktionierende Kapitalnahrungsketten sicherzustellen, entsprechend Investoren und
Anleger in Fonds zu aktivieren, Kapitalmarktgeschehen zu aktivieren.
Licht: Wenngleich dieser Aspekt wieder
auf den Biotechnologiesektor als ein
kleines Industriesegment zeigt, die volkswirtschaftliche Bedeutung ist eine gänzlich
andere. Biotechnologie fungiert eher als
„Querschnittstechnologie“ und ist nicht als
Branche an sich definiert. Man muss die
Vergleiche mit den jetzt dominierenden
und noch florierenden Schlüsselindustrien
durchaus bemühen und kann dabei feststellen, dass mit diesem Anspruch alle geforderten Maßnahmen deutlich an Gewicht
zunehmen. Dies ist aber auch die Verbindung zur Hightech-Strategie der Bundesregierung, die insgesamt die Schlüsselindustrien der Zukunft im Blick hat und
explizit auch die Biotechnologie als einen
Teil dessen betrachtet.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Ingmar Hoerr
Dr. Georg Licht
Unternehmertum und intelligente
Arbeitsplätze
Bialojan: Wenn für die Schlüsselindustrien
der Zukunft die Biologie als Wissenschaft
und die Biotechnologie als Technologiebasis
so relevant werden, welchen Einfluss und
welche Ansprüche wird dies auf die Arbeitsplätze der Zukunft haben?
Kremoser: Wissenschaft und Technologien
werden sicherlich großen Einfluss haben.
Dementsprechend wird der Bedarf an wissenschaftlich und technisch ausgebildeten
Spitzenkräften steigen. Dies ist bereits heute
schon absehbar. Fachkräftemangel offenbart sich schon heute in manchen Bereichen. Andererseits kommt es einem Land
wie Deutschland entgegen, wo der Bildungsstand hoch ist, akademische Ausbildungsgänge immer stärker eingeschlagen werden
und volkswirtschaftliche Wertschöpfung
generell in einem rohstoffarmen Land wie
Deutschland stärker auf Wissen aufgebaut
ist.
Hoerr: Neben den wissenschaftlich und
technisch qualifizierten Mitarbeitern, die
ohne Zweifel wichtige Erfolgsfaktoren sind,
wird es aber auch darauf ankommen, das
Unternehmertum zu stärken bzw. vor allem
das Bild des Unternehmers in der Gesellschaft neu zu zeichnen, so wie es z. B
schon immer in den USA geprägt ist. Dieses
positive Bild hilft, bahnbrechende Innovationen und Durchbrüche auch in Deutschland
zu schaffen.
Dr. Claus Kremoser
Dr. Holger Zinke
Dr. Siegfried Bialojan
Licht: Hochqualifizierte Arbeitsplätze in
den neuen Schlüsselindustrien sind nicht
nur attraktiv. Sie gehen auch einher mit
höheren Löhnen und tragen dadurch zu
einer Steigerung des Steueraufkommens
bei. Investitionen in Innovation und die
Schlüsselindustrien der Zukunft sind somit
volkswirtschaftlich direkt verbunden mit
steuerlichen Rückflüssen, die dem Staat
zugutekommen.
Perspektive | 13
Biologisierung und Digitalisierung – Eckpfeiler der Innovation
Biologisierung und Digitalisierung als
Eckpfeiler der Innovation
Für die Schlüsselindustrien der Zukunft stechen zwei wesentliche Pfeiler heraus, die aus
strategischer Sicht parallel und in ähnlicher
Weise als essenzielle Innovationstreiber
wirken:
• Die digitale Transformation von Industrien
• Die Biologisierung von Industrien
Digitalisierung gibt den Takt vor
Digitalisierung ist in aller Munde. Dieses
Thema ist bereits viel breiter in der Gesellschaft verankert und wird verstanden. Jeder
geht heute bereits mit den Ergebnissen der
Digitalisierung im praktischen Alltag um; die
Dynamik der industriellen Etablierung ist im
IT-Bereich viel schneller, weil eben auch die
Wertschöpfungsprozesse schneller ablaufen
und Märkte sich schneller entwickeln. „Digital transformation“ ist der Schlüssel in vielen
Industrien und wird somit unbestritten zu
einer unverzichtbaren Querschnittstechnologie, die die Entwicklung dieser Industrien
in der Zukunft determiniert. Entsprechend
erfährt dieses Thema nicht nur in der Gesellschaft enorme Aufmerksamkeit, sondern
wird auch politisch hoch priorisiert.
Mit der Digitalen Agenda (unter der Federführung von Wirtschafts-, Verkehrs- und
Innenministerium) hat das Bundeskabinett
am 20. August 2014 einen wichtigen Baustein der Wirtschafts- und Innovationspolitik
beschlossen. Darin stellt sie fest: „Unsere
Welt ist zunehmend digital vernetzt. In diesen Veränderungen liegen große Chancen
für den Wohlstand, die Lebensqualität und
die Zukunftsfähigkeit in Deutschland“.
Die Bundesregierung fördert und gestaltet
den digitalen Wandel aktiv. Eine wichtige
Rolle spielt dabei der Nationale IT-Gipfel,
der auf die Handlungsfelder der Digitalen
Agenda neu ausgerichtet wird. Die Digitale
Agenda gibt die Leitlinien der Digitalpolitik
der Bundesregierung vor und bündelt Maßnahmen auf sieben zentralen Handlungsfeldern (siehe Auszüge aus der Verlautbarung
der Bundesregierung zur Digitalen Agenda
S. 15): An dem diesjährigen IT-Gipfel nahmen
immerhin neben Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel auch Arbeitsministerin Andrea
Nahles, Forschungsministerin Prof. Dr.
Johanna Wanka, Innenminister Dr. Thomas
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de Maizière, Gesundheitsminister Hermann
Gröhe und Infrastrukturminister Alexander
Dobrindt sowie der Erste Bürgermeister der
Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz
teil. Dies unterstreicht die politische Bedeutung dieses Themas.
Kann die Biologisierung nachziehen?
Die Biologisierung hingegen zeigt sich bei
weitem (noch) nicht so prominent. Einerseits sind nicht viele der Entwicklungen dem
Endkunden so präsent bzw. beeinflussen sein
Leben so offenkundig wie dies bei vielen
IT-Innovationen der Fall ist. Andererseits
sind die Entwicklungszeiten länger, damit
auch Kosten und Risiken auf dem Weg zum
Markt deutlich größer.
Insofern stehen der Biologisierung ungleich
größere Hürden in der Etablierung und gesellschaftlichen Akzeptanzfindung im Wege.
Gerade der Zugang zu Kapital ist ein entscheidender Knackpunkt, der die beiden
Gebiete unterscheidet. Während die Dynamik
der schnellen Marktdurchdringung Investoren elektrisiert hat und vor allem dafür sorgt,
dass überall Venture Capital für die innovativen Start-ups der Digitalwirtschaft aus dem
Boden sprießen, krankt der Biotech-Sektor
gerade an diesem Punkt. Die Etablierung
einer nahtlosen Kapitalnahrungskette ist deshalb die zentrale Diskussion in der Branche.
Dennoch muss es gelingen, die Parallelität
dieser Treiber als Querschnittstechnologien
stärker herauszustellen. Vor allem kann dabei die Bewusstseinsbildung für die Biologisierung durch die Analogie zur Digitalisierung
sicherlich profitieren. Der Blick auf die wesentliche Rolle der Gesellschaft für die Dynamik der „Digitalen Transformation“ macht
deutlich, wo möglicherweise die Defizite
unter anderem im Bereich der Bioökonomie
auch liegen: Misstrauen in der Bevölkerung
und Technologiefeindlichkeit wurden in den
Anfängen nicht adäquat adressiert. Hier liegt
in der Tat ein Schlüssel, der Tore öffnen
könnte. Eindeutig positiv besetzte Themen
in der gesellschaftlichen Diskussion drehen
sich um Umweltschutz, Ressourcenschonung,
Emissionsschutz, Abbau von Schadstoffen,
energetisch effizientere Herstellungsverfahren, nachhaltige Bereitstellung von nachwachsenden Rohstoffen und entsprechende
Verfahren ihrer Nutzung – allesamt Kernkompetenzen der Bioökonomie – nur, wer
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
führt sie? Wo sind die politischen Protagonisten, die die dafür notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen jetzt
erfassen und angehen?
Die Inhalte der Digitalen Agenda können in
den meisten Punkten „eins zu eins“ übernommen werden für eine „BioökonomieAgenda“:
• Verbesserung von Rahmenbedingungen
• Bioökonomie und Wirtschaft
• Gesellschaftlicher Dialog
• Wissenschaft, Forschung, Kultur und Medien
• Sicherheit
Wenngleich der Aufwand seitens des Staates
möglicherweise aufgrund der erwähnten
größeren Hürden größer sein muss – die Verbesserungen der Rahmenbedingungen vor
allem im Hinblick auf bessere Kapitalisierung
der Biotechnologie bleiben die wichtigsten
Forderungen – so versprechen die wirtschaftlichen Potenziale am Ende zumindest ebenso
großen volkswirtschaftlichen „Return“, wie
wir ihn heute im IT-Bereich bereits sehen.
Auszug aus den Handlungsempfehlungen des Bioökonomierates vom 26.11.2013
Mobilisierung von Kapital: Im Gegensatz zu anderen Ländern mangelt es
Deutschland an der Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in die wirtschaftliche Praxis. Einer der Gründe
dafür ist fehlendes Eigenkapital für
Wachstumsunternehmen. Für diese
Unternehmen stellt die Börse keine
Finanzierungsquelle dar, die PrivateEquity- und speziell die Venture-CapitalInfrastruktur ist unterentwickelt. Für
den Aufbau neuer industrieller Strukturen mit ihren hohen Anfangsinvestitionen greifen staatliche Förderinstrumente zu kurz. Daher müssen
Lösungen gefunden werden, privates
Kapital für Investitionen in Unternehmen und neue biobasierte Prozesse
z. B. über steuerliche Vorteile zu mobilisieren. Die Schaffung eines innovationsorientierten Kapitalmarktes ist
über die Bioökonomie hinaus von
zentraler Bedeutung bei der Erneuerung industrieller Strukturen.
Digitale Agenda (Auszüge)
1. Digitale Infrastrukturen
Deutschland will eine Vorreiterrolle bei der
Durchdringung und Nutzung digitaler
Dienste einnehmen. Mittels eines effizienten Technologiemix soll deshalb eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur entstehen. Die Digitale Agenda sieht dafür die
Verbesserung der Rahmenbedingungen
zur Unterstützung des marktgetriebenen
Ausbaus vor. Die Bundesregierung will
so Mobilität fördern, neue Dienste unterstützen und Potenziale für das Gesundheitswesen erschließen.
2. Digitale Wirtschaft und digitales
Arbeiten
Die Veränderungen der Digitalisierung wie
Big Data und Smart Data, Smart Services,
mobile Internetnutzung, Cloud Computing
und Social Media betreffen die deutsche
Wirtschaft in hohem Maße. „Industrie
4.0“ – die vernetzte Produktion – hat das
Potenzial, Wertschöpfungsketten grundlegend neu zu gestalten und die Geschäftsmodelle der deutschen Leitbranchen erheblich zu beeinflussen. Die global starke
deutsche Industrie muss dafür marktfähige
und sichere Technologien entwickeln und
Standards bei wichtigen digitalen Anwendungen setzen. Es gilt, vor allem kleine
und mittlere Unternehmen darin zu unterstützen, ihre Innovationsfähigkeit durch
neue digitale Technologien zu erhöhen.
Auch die digitale Wirtschaft selbst soll unterstützt werden. Für junge IT-Unternehmen und Start-ups stehen spezielle Fördermaßnahmen bereit und der BMWi-Beirat
„Junge Digitale Wirtschaft“ wird ausge
baut. Aber auch ein moderner Ordnungsrahmen gehört dazu, um Freiheit, Transparenz, Datenschutz und -sicherheit sowie
den Wettbewerb in der digitalen Welt
sicherzustellen.
3. Innovativer Staat
Die Bundesregierung setzt sich für eine
digitale Transformation der öffentlichen
Verwaltung ein. Die digitalen Dienstleistungsangebote der Verwaltung sollen einfacher, effektiver und dennoch sicher abrufbar sein. Ziel ist es, die Transparenz
des Staates zu fördern und Daten einfach
und verlässlich bereitzustellen.
4. Digitale Lebenswelten in der
Gesellschaft
Die Bundesregierung wird den Dialog mit
gesellschaftlichen Gruppen ausweiten und
neue Wege unterstützen, um die Teilhabe
aller Bürgerinnen und Bürger an der Digitalisierung zu ermöglichen.
5. B
ildung, Forschung, Wissenschaft,
Kultur und Medien
Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur
und Medien sind zentrale Einsatzfelder
neuer digitaler Nutzungsmöglichkeiten
und maßgebliche Treiber und Garanten für
die weitere digitale Entwicklung. Deshalb
sieht die Digitale Agenda vor, den digitalen
Wandel in der Wissenschaft zu forcieren
und Zugang zu Wissen als Grundlage für
Innovation zu sichern. Innovationspotenziale, Geschäftsmodelle und Verbreitungswege der Digitalisierung sollen genutzt
und die Auswirkungen des digitalen Wan
dels erforscht werden. Um die durch die
Digitalisierung geschaffenen neuen Gestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten zu
nutzen, müssen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in wichtige Bereiche der Bildung,
der Wissenschaft und der Infrastrukturen
nachhaltig investieren und für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen.
6. Sicherheit, Schutz und Vertrauen
für Gesellschaft und Wirtschaft
Damit die Digitalisierung ihr volles Potenzial für Gesellschaft und Wirtschaft in
Deutschland entfalten kann, muss auch
im Netz Sicherheit und Schutz gewährleistet sein. Das betrifft sowohl Verbraucherinnen und Verbraucher als auch Unternehmen, die sich auf den Schutz ihrer
Daten und auf die Integrität und Verfügbarkeit der digitalen Infrastrukturen verlassen können müssen. Sicherheit der
Systeme und Schutz der Daten sind die
zentralen Querschnittsthemen der Digitalisierung und werden in allen Handlungsfeldern der Digitalen Agenda berücksichtigt.
7. Europäische und internationale
Dimension der Digitalen Agenda
Um ein offenes, freies und sicheres, globales Internet als Raum der Meinungsvielfalt,
Teilhabe, Innovation und als Motor für
Wirtschaftswachstum und Arbeit zu
schützen und weiter auszubauen, müssen
die Regeln und Rahmenbedingungen für
das globale Netz auch auf europäischer
und internationaler Ebene eingebettet
und flankiert werden. Perspektive | 15
Innovation – Wachstum – Bioökonomie
Limits of Growth?
Wachstum, oder „ Growth“, ist seit langer
Zeit ein buntes Schlag- oder besser Schlachtwort. Von den einen wird es verteufelt, gebrandmarkt, als Quelle vielen Übels angesehen, weil es immer ein Mehr und damit
potenziell auch ein Mehr an Umweltbelastungen und -schäden beinhaltet. Von den
anderen wird es als unverzichtbare Grundlage für mehr Wohlstand, Erhalt von mehr
Arbeitsplätzen und sozialem Frieden gefordert. Bezeichnenderweise hat der Club of
Rome in den siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts seine fast schon legendäre
Stellung durch eine entsprechende, eher
negative Wachstumsthese begründet, nämlich die Grenzen und keinesfalls etwa die
Möglichkeiten oder Potenziale des Wachstums darzustellen, eine apokalyptische
Sichtweise, die im Übrigen weitgehend nicht
eingetreten ist: „The Limits of Growth“.
Aber damit war schon mal für die weltweite
Diskussion eine wichtige Duftmarke gesetzt.
Nächster Schritt zur Bioökonomie
Diese Entwicklung wird nun seit fast einem
Jahrzehnt bereichert und ergänzt durch die
Diskussion um eine neue und gleichzeitig
alte Wirtschaftsform. Seit September 2005
hat sich sozusagen klammheimlich aus den
Amtsstuben Brüssels das Konzept der wissensbasierten Bioökonomie oder noch
griffiger, der biobasierten Wirtschaft, kurz
der Bioökonomie, entwickelt. Was verbirgt
sich dahinter? Der Gedanke der Bioökonomie als einer ursprünglich als Forschungskonzept gedachten neuen und zugleich
alten Wirtschaftsform beruht ganz einfach
darauf, dass sich unser Wissen um Tiere,
Pflanzen, Mikroorganismen und Insekten,
also der sogenannten biologischen Ressourcen, in den letzten Jahrzehnten immens
vervielfacht hat und kaum mehr zu überblicken ist. Kann man aus dieser Kumulierung des Wissens nicht etwas mehr machen,
wurde seinerzeit in der EU-Kommission
gefragt?
Was bedeutet „nachhaltig“?
Nun hat sich diese Diskussion weiterentwickelt, und zwar, wie es kommen musste,
geprägt durch die banale Erkenntnis: Die
Wahrheit liegt doch meistens in der Mitte.
Wachstum wurde qualifiziert, wurde fast
schon normiert, mit einem Adverb ergänzt.
Wachstum ja, aber nur, wenn nachhaltig
praktiziert. Ob wir damit schlauer geworden
sind, bleibt dahin gestellt: denn längst ist
auch der Begriff der Nachhaltigkeit komplexer, aber auch vager geworden. Er hat
sich aus seiner ausschließlich ökologischen
Sichtweise gelöst und vereint heute unstrittig Ökologie, Ökonomie und soziale
Komponenten seit dem berühmten Nachhaltigkeitsgipfel der Europäer Anfang des
Jahrtausends in Göteborg. Es hat lange gedauert, bis die Wissenschaft entsprechend
umfassende Indikatoren und Bewertungsmethoden entwickelt hat, um dem staunenden Publikum mit einigermaßen verbindlicher und anerkannter Überzeugungskraft
mitteilen zu können, was heute nachhaltig
und was vor allem nicht nachhaltig ist.
Vorbild Natur
Biologische Ressourcen als Ausdruck der
lebenden Natur weisen immerhin durchaus
Eigenschaften auf, die recht einmalig sind,
wie Erneuerbarkeit, Karbonneutralität oder
zumindest Klimafreundlichkeit, Ersatz für
fossile Grundstoffe, Potenzial für Mehrfachnutzung oder Nutzung in sogenannten
Kaskadenformen mit klaren Parallelen und
Elementen der sogenannten Kreislaufwirtschaft („Circular Economy“) und schließlich sogar die Chance für neue stoffliche
Eigenschaften, wie etwa Stabilität, Dauerhaftigkeit, Nichttoxizität oder Festigkeit.
Nun ist es ja nicht so, dass der Menschheit
dies erst seit kurzem aufgefallen wäre oder
bekannt wurde: Aber das Neue an diesem
alten Konzept war, dass man heute einfach
enorm mehr wusste und damit auch die
Chance oder sogar Notwendigkeit entstand,
erstmals sich dieses neue Wissen systematisch zunutze zu machen, gerade auch
durch Einbeziehung der Potenziale begleitender oder unterstützender neuer Technologien, wie der Informations-, Kommunikations- oder Nanotechnologien.
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| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Dr. h.c. Christian Patermann,
Direktor a.D. der Europäischen
Kommission (Biotechnology,
Agriculture, Food),
Ehem. Mitglied des Bioökonomierates
Integration statt Isolation
Man wurde sich erstmals auch richtig bewusst, all dieses Wissen nicht isoliert zu
betrachten oder zu nutzen, sondern miteinander „bekannt zu machen“, oder wie
man in der Technologiesprache zu sagen
pflegte, in sogenannte Wertschöpfungsketten zu „integrieren“. Dies erforderte
allerdings innovative neue Formen des Zusammenspiels der diversen Akteure, oder
neudeutsch Stakeholder, entlang dieser
Wertschöpfungsketten, von der Idee bis
zum zu vermarktenden Produkt oder Verfahren, von neuen interdisziplinären Ausbildungsgängen bis zur Bereitschaft, sich
auch um Normen und Standards als Wissenschaftler oder Manager zu kümmern.
Staaten springen auf
Innerhalb weniger Jahre investierte die EU
für die Bioökonomie im Rahmen ihrer Förderrahmenprogramme, nämlich des siebten
Forschungsrahmenprogramms, zunächst
zwei Milliarden Euro. Damit verhalf sie übrigens der seit Anfang des Jahrtausends auf
Null reduzierten Landwirtschaftsforschung
und -entwicklung wieder zu einem Comeback, denn Pflanzen und Tiere sind nun mal
primär Agrarprodukte. Auch viele Mitgliedsstaaten der EU, wichtige Industrieländer
außerhalb der EU, BRICKS(Brasilien, Russland, Indien, China, Korea, Südafrika)-Staaten
und vor allem die Agrarrohstoffindustrie,
die chemische Industrie und viele andere
Branchen wandten sich einer verstärkten
systematischen Nutzung dieser sogenannten
biologischer Ressource statt der herkömmlichen fossilen Grundstoffe zu.
Benelux und Deutschland
Allen voran gingen die Beneluxstaaten, vor
allem die Flämische Region und die Niederlande mit eigenen großen Programmen und
Strategien und vor allem praktischen Förderfällen, Entwicklung von Demonstrationsund Pilotanlagen bei Bioraffinerien, ja sogar
dezidierten Ausbildungsstätten. Es folgte
der große Tanker Deutschland, als erstes
Mitgliedsland mit einer eigenen Forschungsstrategie schon aus dem Jahr 2010, mit
einer eigenen politischen umfassenden
Wirtschaftsstrategie vom Juli 2013, mit
einem eigenen hochrangigen Beratungsgremium, dem Bioökonomierat, Jahre, bevor
die EU-Kommission ihr eigenes Bioeconomy
Panel einsetzte, und mit einer Vielzahl kleinerer Vorhaben.
Skandinavien
Die skandinavischen Staaten, allen voran
Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden
und seit kurzem auch die westnordischen
Staaten Island, Grönland und Färöer Inseln
kamen schnell nach mit eigenen nationalen
Strategien, Programmen etc. mit unterschiedlicher Prioritätensetzung, meist auf
Lignin- und Zellulose-Basis, und oft auch
auf marine Ressourcen, vor allem Aquakulturen, neuen Nutzungen von Mikro-,
aber auch Makroalgen zielend.
Frankreich
Frankreich praktiziert eindrucksvoll eine Vielzahl von hochinteressanten biobasierten
Prozessen, von der Picardie bis in die Region
Metz, und von Montpellier bis Reims, mit
den größten betriebenen Bioraffinerien
Europas und interessanten Modellen für
PPPs (public private partnerships). Hier
ist hervorzuheben, dass die Anfang März
2015 verabschiedete neue Forschungsstrategie der französischen Regierung dezidiert
ein Aktionsprogramm „Bioökonomie im
Dienst der energetischen und ökologischen
Transformation“ vorsieht, bei dem interessanterweise die Brain AG mit ihren Arbeiten
an Mikroorganismen für die CO2-Valorisierung
hervorgehoben wird. Noch interessanter
aber ist, dass die französische Regierung
unter Federführung des Landwirtschaftsministeriums an einer umfassenden nationalen Bioökonomiestrategie arbeitet, die
noch 2015 die bisher schon vielfältigen
Aktivitäten auf eine sicherere strategische
und planungsbasierte Grundlage stellen soll.
Weitere europäische Staaten
Österreich ist seit der letzten Regierungsneubildung 2013 sehr rührig und bereitet
eine parteienübergreifende Initiative vor.
Polen hat seit Anfang 2015 eine vornehmlich industriell orientierte Bioökonomieplattform eingerichtet, die gleichfalls u. a. die
Potenziale für die polnische Wirtschaft, aber
auch die polnischen Regionen ausloten soll.
Italien hat nach wie vor die Erarbeitung
einer nationalen Strategie im Auge, Spanien
arbeitet an einer umfassenden nationalen
Bioökonomiestrategie, die in der ersten
Hälfte 2015 fertig gestellt werden soll. Irland
hat eine Taskforce gegründet, die bis Ende
2015 nach Verabschiedung einer eigenen
Strategie nun dem Premierminister Vorschläge unterbreiten soll, wie die Potenziale
der Bioökonomie für Irland besser genutzt
werden können.
Sogar einzelne Regionen beteiligen
sich …
Schottland verfügt seit 2014 über einen
eigenen Bioraffinerien-Aktionsplan. Die nordische Union und mehrere Regionen, etwa
deutsche Bundesländer, wie NRW, BadenWürttemberg und möglicherweise bald
Mecklenburg–Vorpommern verabschiedeten
gleichfalls eigene Strategien und Programme
mit dem Namen Bioökonomie. In SachsenAnhalt hat die Landesregierung in ihrer Leitmarktinitiative auf den engen Zusammenhang zwischen der sogenannten Grünen
Chemie und der Bioökonomie hingewiesen.
… und Länder außerhalb der EU
Und das Festival ging auch außerhalb Europas weiter: Die russische Föderation, die
USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Argentinien, Brasilien, Malaysia etc.:
Sie alle haben in den letzten zwei Jahren
nationale Initiativen verabschiedet und investieren in diese neue Wirtschaftsform,
teils mit erheblichen neuen steuerlichen
Fördermodellen, teils mit interessanten
neuen Allianzen zwischen Wirtschaft, Staatsfonds und üblicher öffentlicher Förderung.
Auch die Industrie erkennt die Chancen
Parallel dazu muss die Liste der entsprechenden industriellen Arbeiten, Demonstrations- und Pilotvorhaben für sogenannte
biobasierte Produktionen und Verfahren erwähnt werden, die schon lange kaum mehr
verfolgbar ist: Ob es biobasierte Acrylsäure,
Bernsteinsäure, neuerdings auch biobasierte
Lävulinsäure (ein wichtiges Beiprodukt aus
der Zuckerproduktion), ob es um Ersatz von
fossilbasierten Polyamiden durch laurische
Aminosäuren, biobasierte Fischer-Dübel,
biobasierte Kabelschutz-Wellrohre mit
höchster Biegewechselfestigkeit und bisher
nicht gekannter Standzeit in der Robotertechnik geht, ob um neue Coca-Cola oder
Pepsi-Cola-Flaschen aus hundertprozentiger biobasierter PET- oder PEF-Technologie
mit neuen Materialeigenschaften oder um
biobasierte Butandiol-Produktion für den
Automobilbereich oder die Chipherstellung,
für Sportwaren, Kosmetik oder Lebensmittelzusätze: Die Giganten der Konsumgüterindustrie, wie Procter & Gamble, Heinz, Coca
Cola, L’Oréal, Nike aber auch Fluggesellschaften wegen biobasiertem Flugbenzin
(Biokerosin) haben den Trend voll erkannt
und mischen kräftig mit, einschließlich großer Firmen und Organisationen aus Japan,
China, Brasilien, Malaysia und Korea.
Aber keine Resonanz in den Medien
Deshalb überrascht es umso mehr, dass in
der politischen und gesellschaftlichen Diskussion in den Medien, zumindest Europas,
das Thema eines solchen biobasierten Paradigmenwechsel, das Thema der Biologisierung der Wirtschaft, noch nicht nachhaltig
in die Ganglien der Entscheider eingedrungen ist. Zwar haben die Koalitionsvereinbarungen jüngst in Deutschland, aber auch in
Österreich den Gedanken der Bioökonomie
aufgenommen und als Teil der Zukunft anerkannt: Aber das bleibt doch ganz wenigen
Kreisen vorbehalten und erreicht weder den
Kopf noch die Herzen der Massen. Schade
eigentlich, denn was sich hier eigentlich
eher klammheimlich abspielt, ist Zukunft,
ist Innovation pur. Es ist nicht einfach zu beschreiben, höchstkomplex, aber eigentlich
nicht mehr umkehrbar und unendlich folgerichtig in unserer Geschichte, nicht unbedingt von vornherein ein Abonnement auf
einen Königsweg, aber sicher kein Irrweg.
Warum?
Perspektive | 17
Wo ist der Unterschied zu den letzten
Jahrtausenden?
Die Menschheit hat schon immer auf biobasierte Produkte und Verfahren gesetzt,
aber mehr aus Zufall, Pragmatismus, nie als
System. Das lag einfach daran, dass unser
Wissen genauso sporadisch und zufällig
war, über die Zelle, die Gene, die Moleküle
und Atome, vom Nano- bis systemischen
Ansatz. Das ist seit einigen Jahrzehnten anders und das ist uns auch bewusst geworden.
Doch nun, bei der Umsetzung dieses Konzepts, bietet sich zusätzlich eine Chance,
durch eine intelligente Kombination der bereits geschilderten Alleinstellungsmerkmale
biologischer Ressourcen, wie ihrer Erneuerbarkeit, Karbonneutralität, Mehrfachnutzung, vor allem in Kaskadenform (z. B. vorgeschaltete umfassende stoffliche Nutzung
vor energetischer Endnutzung) und Existenz neuer, auch umweltfreundlicher stofflicher Eigenschaften eine eindrucksvolle
Brücke zum Gedanken des Wachstums durch
Innovation zu schlagen. Die EU-Kommission
hat dies im Februar 2012 mit dem bemerkenswerten Titel ihrer ersten europäischen
Bioökonomiestrategie versucht: „Innovating
for Sustainable Growth – A Bioeconomy for
Europe“.
men, können Holz, Stärkepflanzen, Pflanzenöle und Zucker zusätzlich Wachstum
generieren, etwa wenn Holz zunächst als
Baumaterial, dann in Spanplatten und
schließlich als Wertabfall energetisch als
Pellet verheizt, d. h. energetisch am Ende
genutzt wird. Wachstum heißt hier vermehrte Wertschöpfung, auch dadurch, dass
ich z. B. bisher genutzte toxische Chemikalien überflüssig mache, durch die energetische Nutzung Treibhausgasemissionen
verringere und überhaupt den Vorrat an
endlichen fossilen Ressourcen strecke.
Stichwort Wertschöpfungskette
Der Kerngedanke für diese Troika Innovation,
Wachstum und Bioökonomie ist der bereits
erwähnte Begriff der Wertschöpfungskette,
dem die interessierte Öffentlichkeit in der
Zukunft viel mehr Aufmerksamkeit schenken
sollte, auch in Hinblick auf die Möglichkeiten
der Bewältigung großer Zukunftsaufgaben
unserer Welt von Morgen, etwa Ernährungssicherheit, Gesundheit, Wasser und Klimaschutz, um nur einige zu nennen. So ist
Holz ein wertvoller Grundstoff, weit mehr
als für Möbel und Spielzeug zu verwenden,
und Pflanzen sind Multitalente, nicht nur
Blumendekoration. Im Gegensatz zu fossilen
Grundstoffen sind sie erneuerbar, nachwachsend und zeigen damit schon per se
ein Wachstumselement auf. Mehrfach genutzt, etwa in Kaskadenform, unterstützt
durch die Möglichkeiten von Mikroorganis-
USA holen auf
Viele solcher Wertschöpfungsketten werden
derzeit von der Industrie in vielen Wirtschaftsbranchen identifiziert, ob aus den
Potenzialen der Ozeane oder auf dem Land,
ob aus den Möglichkeiten der funktionellen
Artenvielfalt oder den Chancen der sogenannten Grünen Chemie. Viele Möglichkeiten sind aber noch nicht erkannt und
harren der systematischen Erforschung und
Nutzung, ob für Kosmetik, neue Textilien,
Futtermittelzusätze oder sogenannte
„renewable chemicals“. Letzteres haben
vor allem die USA kürzlich durch die Änderungen der sogenannten Farm Bill klar erkannt, wo sie massiv die gleiche oder sehr
ähnliche Behandlung von stofflicher und
energetischer Nutzung der Biomasse finanziell und strukturell vorantreiben werden.
In China hat die SINOPEC, der größte nationale Ölverarbeiter, kürzlich die staatliche
Zulassung für die Produktion von Biokerosin
erhalten.
18
Systematische Biokatalyse
Aber all dies kann ganz häufig nur mit Hilfe
von sogenannten Top-Molekülen geschehen,
z. B. der genannten Bernstein- oder Milchsäuren. In der Regel besitzen diese mehrere
funktionelle Gruppen, über die sich dann
vielfältige Reaktionswege eröffnen. Und das
entscheidende Wachstumselement ist dann,
dass sich diese komplexen Zwischenprodukte
oder Intermediate wegen dieser zahlreichen
Kombinationsgaben in viele Folge- und
Endprodukte, wie Polymere, Schmierstoffe,
Tenside, Lösungsmittel, Kosmetika oder
Fasern umsetzen lassen. Dies hat die Wissenschaft uns erst kürzlich gelehrt.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Europa muss dranbleiben
Europa wird sich sputen müssen, um in der
Umsetzung der Bioökonomie im industriellen
Maßstab mitzuhalten. Denn die Troika Wachstum, Innovation und Bioökonomie wird nur
dann erfolgreich sein, wenn sie durch die
Troika Politik / Wissenschaft, Gesellschaft
und Wirtschaft mit neuen Formen rechtzeitiger, ausreichender Finanzierung, der
Bereitschaft, ungewöhnliche Allianzen der
Partner entlang der ganzen Wertschöpfungskette einzugehen, ergänzt wird. Dazu
gehört aber auch, nicht nur die Grenzen,
sondern die Chancen des nachhaltigen
Wachstums als Mehrung der Wertschöpfung
proaktiv zu erkennen und zu vertreten, d. h.
dem nachhaltigen bioökonomischen Wachstum eine Chance zu geben. Ob die genannte
Troika mit ihrer unbestrittenen Nähe zur
Nachhaltigkeit, ihren Elementen aus der
Kreislaufwirtschaft, der Circular Economy,
die neuerdings stärker in der Diskussion
sind, und schließlich ihrer starken inhärenten Potenziale zur Ressourceneffizienz
nun schon die Vorbereitung zum nächsten
Kondratjew-Zyklus darstellt, wie von einigen
bereits geunkt, bleibt dahingestellt: Der
Countdown hierzu hat jedoch bereits weltweit begonnen.
In Anlehnung an einen Beitrag aus dem
Magazin „Blickwinkel“ der BRAIN AG
Perspektive | 19
Kennzahlen
20
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Positive Grundstimmung und Zukunftsperspektive
Kennzahlen der deutschen Biotech-Industrie (nach Unternehmensstatus)
Private Unternehmen
2013
2014
394
386
8.290
Umsatz
F&E-Ausgaben
Börsennotierte Unternehmen
2013
2014
-2 %
13
15
8.450
2 %
1.380
960
950
-1 %
660
670
-260
-270
Gesamtindustrie
2013
2014
15 %
407
401
-1 %
1.610
17 %
9.670
10.060
4 %
210
203
-3 %
1.170
1.153
-1 %
2 %
113
142
26 %
773
812
5 %
4 %
-82
-86
5 %
-342
-356
4 %
Allgemeine Kennzahlen
Anzahl Unternehmen
Anzahl Beschäftigte
Finanzdaten (Mio. €)
Verlust
Quelle: EY und Capital IQ
Kennzahlen zweigeteilt
Umsatzrückgang
Abnahme der Firmenzahl
Die Kennzahlentabelle lässt auf den ersten
Blick ein zweigeteiltes Bild erkennen. Einerseits tendieren die Zahlen, die den tatsächlichen Geschäftsverlauf der vergangenen
Periode für Unternehmen und Branche
dokumentieren, in die negative Richtung:
Der Umsatzrückgang von insgesamt einem
Prozent fiel zwar schwächer aus als im Vorjahr (- 7 %); er betrifft – im Gegensatz zum
Vorjahr – vor allem die börsennotierten
Gesellschaften mit einem Minus von drei
Prozent besonders stark. Hintergrund sind
Umsatzrückgänge z. B. bei MorphoSys,
bedingt durch geringere Lizenzzahlungen
der Pharma-Partner nach außerordentlich
hohen Zahlungseingängen im Jahr zuvor.
Des Weiteren übte auch die starke Reduktion der Firmenaktivitäten bei WILEX nach
dem Abbruch der Rencarex®-Entwicklung
Einfluss aus.
Schließlich nimmt auch die Firmenzahl,
die über viele Jahre auf stabilem Niveau
stagniert hatte, im zweiten Jahr in Folge
weiter ab. Dies liegt vor allem daran, dass
die Anzahl der Neugründungen, die bereits
seit 2010 ständig abgenommen hatte und
im Vorjahr (2013) noch einmal um fast
die Hälfte eingebrochen war, 2014 nun
erneut (33 %) zurückging und mit gerade
einmal zehn Neugründungen einen neuen
Tiefststand erreicht. Gründe hierfür werden
in der Analyse der Neugründungen angesprochen.
•R
ückgang bei der Zahl der privaten
Unternehmen
• Rückläufige Umsätze
• Anstieg der Verluste
Dies untermauert die nach wie vor schwierige Gesamtsituation, der die Unternehmen
trotzen müssen.
Verlustzunahme
Nach einem signifikanten Abschmelzen der
Verluste im vergangenen Jahr wurden im
Berichtsjahr wieder neue Schulden angehäuft – sowohl auf Seiten der privaten als
auch der börsennotierten Firmen. Während
Evotec seine Verluste um 73 Prozent reduzieren konnte, war MorphoSys 2014 wieder
leicht in die Verlustzone gerutscht. Für beide
Unternehmen können diese Bewegungen
aus dem Plattformgeschäft mit Partnern
abgeleitet werden, wo nicht in jedem Jahr
Meilensteinzahlungen erfolgen und somit
modellbedingt Schwankungen auftreten.
Immerhin setzte sich erfreulicherweise ein
ebenfalls im letzten Jahr einsetzender Trend
fort – es wurden weniger Insolvenzen im
Vergleich zu den Vorjahren verbucht. Damit
konnte der noch drastischere Rückgang
der Unternehmenszahl aufgehalten und die
Marke 400 gerade noch gehalten werden
(401).
Kennzahlen | 21
Fluktuation bei deutschen Biotech-Unternehmen
717 Beschäftigte sowie der Ausbau bei
MorphoSys um zehn Prozent auf aktuell
329 heraus. Diese Zuwächse überdecken
die leider auch erforderlichen Mitarbeiterreduktionen, z. B. bei WILEX nach dem
Scheitern der klinischen Entwicklung ihres
Phase-III-Wirkstoffs.
Anzahl Firmen
35
30
25
20
2
5
2
2
4
10
1
6
15
5
10
5
14
34
16
23
17
27
13
15
11
10
0
2010
2012
2011
Insolvenzen / Auflösungen
Neugründungen
M&As
2013
2014
Nicht aktiv und Sonstige
Quelle: EY
Zukunftsperspektive optimistischer
Im Gegensatz zu den negativen Trends bei
Umsatz, Verlust und Firmenzahl weisen
die Kurven bei den mehr in die Zukunft
gerichteten Kennzahlen deutlich in die positive Richtung.
Der positive Trend hinsichtlich der F&EAusgaben ist darüber hinaus auch konsistent über die verschiedenen Geschäftsmodelle verteilt: sowohl Dienstleister und
Technologieentwickler wie auch Therapeutikaentwickler teilen den Optimismus.
Mehr Mitarbeiter beschäftigt
F&E-Ausgaben steigen wieder
Der wichtigste Parameter für eine positive
Stimmung und mehr Optimismus für die
Zukunft sind die Investitionen in F&E. Gerade
für eine innovative Branche wie die Biotechnologie ist dies der wichtigste Gradmesser für das Innovationsgeschehen bzw.
für das aktive Umsetzen von innovativen
Ideen in neue Produkte am Markt.
Während noch im vergangenen Jahr mit
deutlich negativem Wachstum (- 6 %; bei
börsennotierten Unternehmen sogar - 22 %)
die Innovationskraft an sich in Frage gestellt worden war, sind die aktuellen Werte
mit (zwar bescheidenen) zwei Prozent bei
den privaten aber 26 Prozent Wachstum
bei den börsennotierten Firmen erfreuliche
Lichtblicke, die den offenbar wieder steigenden Optimismus der Biotech-Branche
insgesamt widerspiegeln.
Dieser Trend wird weiter untermauert durch
ebenfalls wieder steigende Mitarbeiterzahlen, d. h. auch hier zeigen Unternehmen
neuen Mut und die Zuversicht auf bessere
Entwicklung in der Zukunft. Bei den transparenten börsennotierten Unternehmen
ragen vor allem die Personalaufstockungen
bei Evotec um 18 Prozent auf inzwischen
Ein divergierendes Bild ergibt sich (im Segment der privaten Unternehmen) aus der
Differenzierung zwischen Dienstleistern
und Technologieentwicklern sowie den Therapeutikaentwicklern. Erwartungsgemäß
tun sich die Medikamentenentwickler nach
wie vor schwerer und sind gerade aufgrund
der Finanzierungsknappheit häufiger gezwungen, Kapitalengpässe durch Personalreduzierung aufzufangen. Aktuell betrug
der Abbau 12 Prozent. Dienstleister hingegen profitieren und wachsen durch den
anhaltenden Trend zum Outsourcing auch
personell stärker (+ 8 %) und auch die Unternehmen der industriellen Biotechnologie
haben ihr Personal um über neun Prozent
aufgestockt.
Finanzkennzahlen der börsennotierten
Firmen deutlich positiv
Für die börsennotierten Unternehmen gibt
es weitere Kennzahlen aus deren Bilanzen,
die die positive Tendenz weiter bestätigen:
So wird in der Summe eine zehn-prozentige Steigerung der „total assets“ verzeichnet, ein Anstieg der „cash & cash equivalents“ (liquide Mittel) um 33 Prozent
sowie ein Zuwachs von 26 Prozent bei der
Marktkapitalisierung, der nicht nur durch
die beiden hinzugekommenen Börsenneulinge Probiodrug und Affimed zustande
kam.
Vermögenswerte der deutschen börsennotierten Unternehmen
2013
2014
Liquide Mittel
180
240
33 %
Kurzfristige Finanzanlagen
390
320
-18 %
Gesamtvermögen
870
960
10 %
Vermögenswerte (Mio. €)
Quelle: EY und Capital IQ
22
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Ein neues Momentum?
Insgesamt lassen sich die Unternehmen
ihre positivere Zukunftsperspektive nicht
durch die schwächeren Geschäftsergebnisse der Berichtsperiode (Umsatzrückgang,
Verlustanstieg, abnehmende Firmenzahl)
verderben. Sie investieren trotzdem in die
Zukunft und haben dabei sogar eine geringfügige Zunahme der Schuldenlast in
Kauf genommen.
Dynamik bei den Kennzahlen und Finanzdaten
nach Unternehmensstatus
Änderungsrate 2013 / 2014
30 %
25 %
20 %
15 %
Dieses Signal war nach der Finanzkrise bisher nicht beobachtet worden. Insbesondere
die deutliche Zurückhaltung in den F&EInvestitionen über die letzten Jahre hatte
Anlass zu großer Sorge gegeben. Auf jeden
Fall zeigt sich Licht am Ende des Tunnels,
dem man weiter entgegenstreben sollte.
Wann, wenn nicht jetzt?
Im Sinne der Ausführungen im Kapitel
„Perspektive“ ist dieses Momentum – die
Bereitschaft und der stärkere Optimismus
bei den Unternehmen – ein weiteres Argument für die politische Diskussion. Die dort
geforderten Maßnahmen für Anleger, Investoren und Unternehmen sollten explizit
in einer Phase wiederkehrender Hoffnung
und mutiger Vorwärtsbewegung doppelt
effektiv wirken. Es wäre sträflich, sich in
dieser Situation zurückzulehnen und darauf
zu vertrauen, dass die allgemeine Wirtschaftserholung seit zwei Jahren nun (endlich) eben doch auch die Biotechnologie
erreicht.
10 %
5 %
0 %
-5 %
Anzahl Beschäftigte
Private Unternehmen
Umsatz
F&E-Ausgaben
Verlust
Börsennotierte Unternehmen
Quelle: EY und Capital IQ
Kennzahlen | 23
Neugründungen mit Mut
Die Mehrheit der
Neugründungen 2013 / 2014
sind Medikamentenentwickler
(n=23)
9 %
damit Gründungen in den Bereichen Diagnostik, Tools, Bioinformatik etc. fast zu
Randerscheinungen. Offenbar werden diese
produktgetriebenen Unternehmen nach wie
vor von den Seed-Investoren und Gründungsinitiativen am vielversprechendsten beurteilt.
Woher kommen die Ideen?
9 % 9 %
13 %
Es ist erstaunlich zu sehen, dass die Neugründungen der Biotechnologie in Deutschland fast 20 Jahre nach dem initialen BioRegio-Wettbewerb immer noch fast ausschließlich aus den damaligen Siegerregionen kommen. Das Cluster um München hat
dabei die Nase vorn, gefolgt von der RheinNeckar-Region (Heidelberg), dem Rheinland (Köln / Bonn) und der Hauptstadtregion
(Berlin), die gleichauf liegen. Dies spricht
für den immer noch nachhaltigen Erfolg
der damaligen Politikinitiative und dem
damals festen politischen Willen, Biotechnologie als wichtigen Innovationsmotor in
Deutschland zu etablieren. Das damalige
Konzept wird weiter untermauert, indem
auch heute noch der überwiegende Anteil
(70 %) der Neugründungen aus dem
akademischen Umfeld in unmittelbarer
Nähe zu den etablierten Clustern entstehen.
60 %
Neugründungen 2013 / 2014 nach Regionen
Anzahl Neugründungen
Bioinformatics
Bio-related Tools
Contract Research
Drug Development
Sonstige
München
Rhein-Neckar
Quelle: EY
Köln/Bonn
Berlin
Neugründungen mit Schwerpunkt
Medikamentenentwicklung
Neugründungen waren in den letzten Jahren
bereits zahlenmäßig rückläufig. Die Gründe
dafür liegen auf der Hand: Auch auf Ebene
der Gründer hat sich herumgesprochen,
dass Gründungen zwar durch eine Reihe
von Initiativen finanziert werden, dass aber
der Schritt zur Folgefinanzierung das entscheidende Hindernis ist. Das schreckt
Gründungswillige offenbar zunehmend ab.
Die Gründung eines Unternehmens ohne die
auch längerfristig absehbare Perspektive ist
keine Option. Das Potenzial ihrer Ideen bleibt
damit leider noch früher stecken.
Andere
0
1
2
Drug Development
3
4
5
6
7
8
Übrige Segmente
Quelle: EY
Neugründungen 2013 / 2014 nach Herkunft
Anzahl Neugründungen
Akademie / Inkubator
Wie in den letzten Jahren aber auch schon
bemerkt, sind die wenigen tatsächlich gegründeten Unternehmen dann jedoch zum
überwiegenden Teil ausgerechnet auf dem
risikoreichsten Sektor der Medikamentenentwicklung tätig – ein Paradoxon?
Lag dieser Anteil im vergangenen Jahr noch
bei 42 Prozent, so stieg er im aktuellen Berichtszeitraum auf 60 Prozent und macht
24
Andere
Spin-off
0
Drug Development
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Übrige Segmente
Quelle: EY
Medikamentenentwickler ticken anders
Betrachtet man den Sektor der Therapeutikaentwickler separat, verschieben sich die
o. a. Verhältnisse allerdings: Immerhin entstehen deutlich mehr neue Firmen auch
aus Spin-offs bestehender kommerzieller
Firmen oder aus Inkubatoren im Übergangsraum von Akademie zur Industrie.
Die Neugründungen im Therapiesektor für
sich genommen zeigen auch nicht mehr die
Dominanz des Clusters in München auf diesem Gebiet. Die neuere Entwicklung des
m4-Clusters mit Schwerpunkt auf der personalisierten Medizin einerseits, andererseits aber auch die Reifung zu einem integrierten Standort, bringen dort ein breiteres Spektrum an neuen Firmen auf den
Weg: vom Dienstleister über Diagnostikaentwickler bis zum Tools-Hersteller.
Im Therapiesektor zeigt vor allem in Berlin die
enge Zusammenarbeit der akademischen
Einrichtungen am Max-Delbrück-Centrum
sowie der Charité mit ihren angegliederten
Spezialkliniken und die Bündelung der Kräfte
im BIG (Berliner Institut für Gesundheitsforschung) erste Wirkung. Ebenso zeugen
Ausgründungen aus den Universitäten in
Köln / Bonn sowie dem ebenfalls in Bonn
angesiedelten Life Science Inkubator für
die wissenschaftliche Klasse in NRW.
Neugründungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2013 / 2014
Name
Stadt
Segment
Gründungsjahr
Akesion
Schriesheim
Drug Development
2014
Allecra Therapeutics
Weil am Rhein
Drug Development
2013
Berlin Cures
Berlin
Drug Development
2014
CAP-CMV
Köln
Drug Development
2013
CASCAT
Straubing
Fine Chemicals
2014
da-cons
Eggenstein-Leopoldshafen
Bioinformatics
2013
ecSeq Bioinformatics
Leipzig
Bioinformatics
2013
Erdmann Technologies
Berlin
Drug Development
2013
highQu
Kraichtal
Bio-related Tools
2013
ImevaX
München
Drug Development
2014
InoCard
Heidelberg
Drug Development
2013
LINDIS Biotech
Martinsried
Drug Development
2014
MELEMA Pharma
Köln
Drug Development
2013
MetaHeps
Martinsried
Contract Research
2014
Myelo Therapeutics
Berlin
Drug Development
2013
myPOLS Biotec
Konstanz
Bio-related Tools
2014
NEUWAY Pharma
Bonn
Drug Development
2014
OMEICOS Therapeutics
Berlin
Drug Development
2013
OmicScouts
Freising
Contract Research
2014
Rigontec
Bonn
Drug Development
2014
Sciomics
Heidelberg
Proteomics
2013
siTOOLs Biotech
Planegg
Contract Research
2013
Trianta Immunotherapies
Planegg
Drug Development
2013
Quelle: EY
Kennzahlen | 25
Finanzierung
26
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Biotech-Börsengänge in Europa – Fehlanzeige in Deutschland
Das Börsenfenster öffnet sich in Europa
Im letztjährigen Bericht war das in den USA
bereits 2013 weit geöffnete Börsenfenster
an dieser Stelle ein wichtiges „Hot Topic“.
Die Erfolge von 41 Biotech-Unternehmen
als Neuemissionen am US-Kapitalmarkt
zeigten, wie wichtig Börsengänge für die
Finanzierungsnahrungskette sind: als
Finanzierungs- und Bewertungsereignisse
für die Unternehmen sowie vor allem als
Exits und „Track Record“-Beweis für die
Investoren. Nicht zuletzt hatten diese
Unternehmen durch die Börsengangoption
auch die Möglichkeit, die Rechte an ihren
Entwicklungskandidaten im Unternehmen
zu halten, anstatt sie aufgrund von Finanzierungsdruck an einen Pharma-Partner
abgeben zu müssen.
Europa hinkte da noch deutlich hinterher.
Wenngleich die Zahl der europäischen Biotech-IPOs ebenfalls eine steigende Tendenz
aufwies, so war vor Jahresfrist bei weitem
nicht klar, ob und wann die US-IPO-Welle
tatsächlich auch nach Europa überschwappen würde.
Während das Börsenfeuerwerk in den USA
2014 mit 63 IPOs noch weiter an Dynamik
zulegte, zeigt nun tatsächlich auch die
Biotechnologie diesseits des Atlantiks eine
deutliche Steigerung. Mit 31 IPOs – fast
viermal mehr als im Vorjahr – stellte sie
unter Beweis, dass auch in Europa Potenzial
an reifen Firmen vorhanden ist, die nun
wieder Wege zum Kapitalmarkt öffnen
konnten. Der über Jahre aufgebaute Stau
vor den Türen der Aktienmärkte konnte
somit endlich ein Ventil finden. Mit dieser
Entwicklung übertrafen sie sogar den letzten europäischen Börsenboom im Jahr
2000, als nur 27 Biotech-Unternehmen –
wenngleich mit fast doppelt so hohem Erlös
(3,3 Mrd. US$ vs. 1,9 Mrd. US$) – es an
die Börse schafften.
Folgen die europäischen Biotech-Unternehmen nun also doch zeitlich versetzt dem
in den USA initiierten Trend an die Börse?
Trotz der in den letzten Jahren geäußerten
Zweifel aufgrund des Fehlens von Spezialisten auf der Investorenseite in Europa konnte
die Dynamik in den USA und das inzwischen
wieder breite Interesse der Generalisten am
Biotech-Sektor letztlich offenbar doch auch
mehr Investoren in Europa überzeugen.
Aber wo ist der richtige Börsenplatz?
Die Zahl der 31 IPOs europäischer BiotechFirmen muss leider relativiert werden. An
sich ist dies zwar eine erfreuliche Entwicklung für die individuellen Unternehmen. Ob
damit aber auch die geforderte nachhaltige
Revitalisierung der Kapitalmärkte in Europa
gelungen ist, bleibt offen.
hatten dazu auch schon im Vorfeld das
Investoreninteresse „getestet“, um ihre
Chancen für den richtigen Börsenplatz
auszuloten.
Allein ein Blick auf die Top 10 der IPO-Liste
(65 % des Gesamtvolumens) zeigt, dass
die NASDAQ-IPOs insgesamt – zumindest
am Stichtag des Listings – deutlich erfolgreicher waren. Mit sieben der zehn IPOs im
Top-10-Segment dominiert die US-Börse
klar. Mit 525 Millionen Euro erlösten sie 58
Prozent des Volumens des Top-Segments;
wenn man den sicherlich ungewöhnlichen
Ausnahme-IPO der Circassia Pharmaceuticals (250,6 Mio. €/LSE) außen vorlässt,
wird diese Dominanz noch ausgeprägter
(8 von 10; 75 % des Volumens).
Bei 12 der genannten 31 IPOs (39 %) hatten sich die betroffenen Firmen für einen
Börsengang an der NASDAQ in den USA
entschieden. Sie vertrauten eher den erfahreneren Investoren dort, einer besseren
Wahrnehmung durch mehr vergleichbare
Unternehmen und einem liquideren Markt
mit höheren Handelsaktivitäten. Die meisten der NASDAQ-Neulinge aus Europa
Schließlich stellt sich auch die Erlösseite
mit durchschnittlich 58 Millionen Euro für
die NASDAQ-Listings mit großem Abstand
besser dar als die der europäischen Börsengänge, die an den großen Börsen (Euronext,
AIM) auf gleicher Höhe mit durchschnittlich 28 Millionen Euro und für die skandinavischen Börsen zusammengenommen
(NASDAQ OMX, Oslo Axess, AktieTorget)
deutlich darunter bei durchschnittlich
acht Millionen Euro lagen.
Anzahl europäischer und
US-amerikanischer IPOs
IPO-Erlöse europäischer und
US-amerikanischer IPOs
Anzahl IPOs
Volumen (Mrd. US$)
70
6
63
60
4,9
5
52
4,5
50
4
41
40
3,3
31
30
3,3
3
27
1,9
2
20
1
8
10
0,3
0
0
2000
Europa
2013
2014
USA
Quelle: EY und Capital IQ
2000
Europa
2013
2014
USA
Quelle: EY und Capital IQ
Finanzierung | 27
In Europa ragt allenfalls der mutige Börsengang der Molecular Partners in Zürich (SIX)
heraus, der als einziger europäischer IPO
mit 87,4 Millionen Euro den US-Erlösen das
Wasser reichen konnte.
Die Frage nach dem richtigen Börsenplatz
war für die europäischen IPO-Kandidaten
insofern innerhalb Europas nicht leicht. Die
sonst priorisierte Notierung am Heimatmarkt war insgesamt nicht so deutlich erkennbar wie in früheren Jahren. Zwei
Börsenplätze kristallisierten sich als leicht
bevorzugt heraus. AIM in London und Euronext mit Niederlassungen in Paris, Brüssel
und Amsterdam zogen nicht nur Unternehmen aus ihren eigenen Ländern an,
sondern auch aus dem restlichen Europa.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich,
dass nur in Großbritannien und Frankreich
sowie zum Teil in Skandinavien die Heimatmarktpräferenz weiter aufrechterhalten
wurde.
IPOs europäischer Biotech-Unternehmen nach Börsenstandort
Anzahl IPOs
Frankreich
Israel
UK
Dänemark
Niederlande
Schweden
Deutschland
Schweiz
Finnland
Irland
0
1
2
3
4
5
Börse des Heimatlandes
NASDAQ
Europäische Börse außerhalb des Heimatlandes
Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
Frankfurter Börse geht leer aus
Börsengänge deutscher Biotech-Unternehmen blieben zahlenmäßig hinter anderen
Ländern wie Frankreich, UK oder Israel (je
5 IPOs) zurück. Die lediglich zwei IPOs von
Affimed an der NASDAQ und Probiodrug
an der Euronext in Amsterdam zeigen
einerseits, dass in Deutschland die langjährige „IPO-Pause“ und die damit einhergehenden Finanzierungsschwierigkeiten
viele Unternehmen dazu gezwungen haben,
ihre Geschäfte anders aufzustellen. Im
Vergleich zur Größe der Biotech-Branche
in Deutschland ist diese bei der IPO-Statistik nun entsprechend unterrepräsentiert.
Zudem ist aber ebenfalls festzustellen, dass
die Frankfurter Börse als Heimatmarkt für
die deutschen IPOs leer ausging.
Euronext bringt hier offenbar eine deutlich
breiter aufgestellte Plattform erfolgreich
ins Spiel und schneidet mit insgesamt
sieben IPOs in Europa am besten ab. Ein
zumindest teilweise anrechenbarer Beweis
für die häufig diskutierte Forderung nach
einer gemeinsamen europäischen Plattform?
Die Rolle des London Stock Exchange – mit
fünf IPOs – folgt sicherlich im Schlepptau
des Super-IPOs von Circassia Pharmaceuticals; möglicherweise auch den etwas niedrigeren Anforderungen des AIM, an dem
alle restlichen UK–Firmen gelistet wurden.
Biotech-Investoren weiterhin rar gesät
Die Verteilung der 19 in Europa erfolgten
IPOs auf sieben Börsen zeigt, dass an keiner eine wirkliche kritische Masse für einen
nachhaltig aktiven Handel mit Biotech-Aktien
oder eine ausgeprägte Dynamik für weitere
28
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
IPOs vorhanden ist. Nach wie vor fehlen
genügend erfahrene Biotech-Investoren,
die anderen in der Auswahl der Targets
vorangehen können. Diese Perspektive
führt zurück auf die im letzten Jahr begonnene Diskussion im Rahmen des Titelthemas „1 % für die Zukunft“.
Dies trifft für alle europäischen Börsen, aber
insbesondere für Frankfurt, zu und unterstreicht die absolut vorrangige Aufgabe,
mehr zu tun, um Investoren wieder stärker
von der Bedeutung und den Chancen in
diesem Sektor zu überzeugen und sie entsprechend durch neue Incentivierungsmaßnahmen und Rahmenbedingungen zurückzugewinnen. Die aktuellen Signale und
die tatsächlich überaus erfreuliche neue
Dynamik der Kapitalmärkte auch in Europa
sollten deutlich effektiver genutzt werden.
Börsengänge europäischer Biotech-Unternehmen, 2014
Unternehmen
Land
Volumen Datum
(Mio. €)
Börse
Status
HauptTherapiegebiet
Circassia Pharmaceuticals
UK
250,6
17. März
London Stock Exchange
Phase III
Autoimmun
Forward Pharma
Dänemark
177,2
15. Oktober
NASDAQ
Phase II
Autoimmun
Molecular Partners
Schweiz
87,4
4. November
SIX Swiss Exchange
Phase II
Mehrere
ProQR Therapeutics
Niederlande
84,5
18. September
NASDAQ
Präklinik
Genetisch
uniQure
Niederlande
69,2
5. Februar
NASDAQ
Markt
Mehrere
MediWound
Israel
60,6
25. März
NASDAQ
Markt
Dermatologie
Horizon Discovery Group
UK
49,6
24. März
London Stock Exchange
(AIM)
Auris Medical
Schweiz
45,7
5. August
NASDAQ
Phase III
Sonstige
Innocoll
Irland
44,1
30. Juli
NASDAQ
Markt
Mehrere
Egalet
Dänemark
43,7
5. Februar
NASDAQ
Phase III
Neurologie
Affimed Therapeutics
Deutschland
42,2
12. September
NASDAQ
Phase II
Onkologie
arGEN-X
Niederlande
41,8
8. Juli
Euronext Brüssel
Phase I
Mehrere
Fermentalg
Frankreich
40,4
10. April
Euronext Paris
MacroCure
Israel
40,3
30. Juli
NASDAQ
Phase III
Dermatologie
GENTICEL
Frankreich
39,9
3. April
Euronext Paris
Phase I
Infektion
GalMed Pharmaceuticals
Israel
33,2
18. März
NASDAQ
Phase II
Metabolismus und
Endokrinologie
Vascular Biogenics
Israel
30,1
30. September
NASDAQ
Phase II
Mehrere
Abzena
UK
28,2
7. Juli
London Stock Exchange
(AIM)
BioBlast Pharma
Israel
26,5
30. Juli
NASDAQ
Phase III
Genetisch
Genomic Vision
Frankreich
25,8
1. April
Euronext Paris
Probiodrug
Deutschland
23,2
24. Oktober
Euronext Amsterdam
Phase I
Neurologie
Dextech Medical
Schweden
22,6
22. Mai
AktieTorget
Phase II
Onkologie
4D Pharma
UK
20,5
17. Februar
London Stock Exchange
(AIM)
Präklinik
Autoimmun
TxCell
Frankreich
17,7
11. April
Euronext Paris
Phase II
Autoimmun
Herantis Pharma
Finnland
14,5
4. Juni
NASDAQ OMX Helsinki
Phase II
Mehrere
C4X Discovery
UK
13,6
22. Oktober
London Stock Exchange
(AIM)
Oncodesign
Frankreich
12,3
27. März
Euronext Paris
Serendex Pharmaceuticals
Dänemark
7,8
2. Juli
Oslo Axess
n / a
Sonstige
Sprint Bioscience
Schweden
2,5
31. Oktober
NASDAQ OMX Stockholm Präklinik
Onkologie
Saniona
Dänemark
1,9
18. März
AktieTorget
Phase I
Neurologie
Gabather
Schweden
0,8
3. Oktober
AktieTorget
Präklinik
Neurologie
Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
Finanzierung | 29
Performance der Börsenneulinge in den
verschiedenen Kapitalmärkten
Die Dominanz der NASDAQ-Börsengänge
wurde bereits hervorgehoben. Die Nachhaltigkeit der insgesamt beeindruckenden und
erfreulichen Erstnotierungen ergibt sich
besser aus der „Performance“-Betrachtung
Ende Dezember 2014.
Diese Analyse zeigt aggregiert für die europäischen Unternehmen mit IPOs 2014
durchgehend und an allen Börsen (USA wie
Europa) leider in die negative Richtung.
Die wenigen signifikanten Ausnahmen
betreffen ProQR Therapeutics aus den
Niederlanden (+67 %; NASDAQ), die mit
einem noch sehr frühen Gentherapieansatz
die genetisch bedingte Krankheit Zystische
Fibrose angehen. Noch erstaunlicher ist
die Performance von 4D Pharma aus Großbritannien, die mit einem bescheidenen
20-Millionen-Euro-IPO im Februar am AIM
starteten und im Jahresverlauf um sagenhafte 350 Prozent zulegten. Dieses Unternehmen ist eher als Specialty Pharma aufgestellt, mit Fokus auf die späte klinische
Entwicklung und die Vermarktung. Immerhin ragt mit einer positiven Entwicklung
von fast 15 Prozent bis zum Jahresende
auch der IPO von Probiodrug an der Euronext in Amsterdam sehr positiv heraus.
Die interessante Frage betrifft die unterschiedlichen Standortentscheidungen der
europäischen Biotech-Unternehmen und
mögliche Zusammenhänge mit der Performance nach ihren ersten Erfahrungen postIPO.
30
Performance-Verteilung der Biotech-IPOs 2014
Aktienkurs am 31. Dezember 2014 relativ zum IPO-Preis
250 %
Maximum
200 %
150 %
Median
50 %
100 %
Minimum
50 %
0
-50 %
-100 %
NASDAQ
(US-Firmen)
NASDAQ
(EU-Firmen)
Euronext
Abbildung ohne Ausreißer Radius Health (NASDAQ US, 386%),
Auspex Pharmaceuticals (NASDAQ US, 337%), 4D Pharma (London, 350%),
ProQR Therapeutics (NASDAQ EU, 67%)
Zunächst ist klar festzustellen, dass die europäischen Biotech-Unternehmen, die sich
für die NASDAQ als Börsenplatz entschieden hatten, insgesamt deutlich schlechter
abschnitten als ihre amerikanischen Peers
an deren Heimatmarkt NASDAQ. Als Grund
dafür mag man die erschwerten Bedingungen für ausländische Unternehmen ansehen,
in den USA entsprechende Investorenaufmerksamkeit und Visibilität am Kapitalmarkt
zu erhalten. | Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
London
Quelle: EY und Capital IQ
Kapitalmarkt ruft vor allem nach reifen
Therapeutikafirmen
Die Analyse der aktuellen IPOs in Europa
zeigt, dass auch hier – wie in den USA – vor
allem Therapeutikaentwickler dominieren.
Während auf der Liste der europäischen
IPOs insgesamt 25 (81 %) der 31 Börsengänge durch Medikamentenentwickler erfolgten, ist dies in den USA mit 58 IPOs
(92 %) noch ausgeprägter. Immerhin
schafften in Europa daneben auch Unternehmen aus den Bereichen Diagnostik,
Services & Tools und AgBio / Industrial den
Sprung auf das Parkett. Dahingegen konnten sich in den USA lediglich fünf Diagnostikfirmen neben dem Hauptsegment der
Medikamentenentwickler behaupten.
Europäische IPOs
nach Segment
Die Schlussfolgerungen aus diesen unterschiedlichen Verteilungen sind vielschichtig:
(n=31)
1
1 4
25
Therapeutikaentwicklung
Services, Technologies & Tools
AgBio & Industrial
Diagnostik
Quelle: EY, Capital IQ, BioCentury und VentureSource
Wie reif ist reif?
Deutlichere Unterschiede – wenngleich die
Abbildung dies nicht auf den ersten Blick
zeigt – treten innerhalb der Gruppe der
Medikamentenentwickler mit Bezug auf die
jeweiligen Entwicklungsstadien zutage.
Die IPOs der europäischen Biotech-Firmen
erfolgten insgesamt auf früherem Niveau
als die ihrer Peers in den USA. Während
sich dort 86 Prozent der Börsenneulinge in
Phase II und später (Phase III, Markt) befanden, fallen auf europäischer Seite lediglich 64 Prozent in diese Kategorie der „late
stager“. Noch deutlicher werden diese
Unterschiede, wenn man die europäischen
IPOs weiter in die NASDAQ und die europäischen Börsenplätze unterteilt. Die europäischen Firmen mit NASDAQ als Börsenplatz
übertreffen mit 92 Prozent an „late stage“Vertretern sogar noch ihre US-Peers.
Demgegenüber fällt dann der „late stage“Anteil diesseits des Atlantiks sehr steil ab
und belegt mit nur noch 42 Prozent den
Shift zu Unternehmen in früheren Entwicklungsstadien.
•D
ie insgesamt höheren Ansprüche der
NASDAQ sind erkennbar
•E
uropäische NASDAQ-IPOs müssen in
puncto Reife noch mehr bieten, um dort
„gesehen“ zu werden
•D
er IPO-Druck in Europa ist offenbar so
groß, dass auch sehr frühe Unternehmen
den Schritt wagen, weil sie sich als „public
entity“ besseren Zugang zu Kapital erhoffen
•D
er signifikant höhere Anteil an „early
stage“-Unternehmen signalisiert aber
auch höheres Risiko für die IPO-Kandidaten bzw. deren Investoren
•D
ie insgesamt schlechtere „post-IPO“Performance könnte dieses höhere Risiko
bereits widerspiegeln
Insgesamt sollte die neue Dynamik an den
Kapitalmärkten weltweit positiv bewertet
werden. War dies vor Jahresfrist noch angezweifelt worden, so haben sich nun zumindest Möglichkeiten für Biotech-Unternehmen aufgetan, an Eigenkapital heranzukommen und somit nicht nur auf einen
Geschäftsmodellwechsel zum Überleben bzw.
auf den Trade Sale als Exit hinzuarbeiten.
Dieses Signal sollte aber umso mehr die Politik überzeugen, gerade jetzt aktiv zu werden
und dieses noch zu „zarte Pflänzchen“ zu
pflegen. Die entscheidenden politischen Impulse könnten jetzt am besten wirken. Jetzt,
wo das Kapitalmarktfenster sich öffnet und
sich Investment-Möglichkeiten bieten, die
breite Masse an Investoren aber nach wie
vor bei weitem noch nicht überzeugt in den
Life-Science-Sektor zurückgekehrt ist.
Politik gefordert – Investoren
zurückgewinnen
Die aktuelle politische Diskussion fordert
hier eine spezifische Plattform für Hightech-Unternehmen, um deren Zugang zum
Kapitalmarkt stärker anzukurbeln. Mit
Recht verweist die Deutsche Börse jedoch
darauf, dass die technischen Voraussetzungen für jeglichen Aktienhandel bereits zur
Verfügung stehen. Aber alle neuen Plattformen sind nicht zielführend, solange die
Investoren fehlen, die darauf „tanzen“ sollen. Insofern ist die Forderung nach Mobilisierung von Privatkapital aktueller denn je.
Es muss alles getan werden, damit die
privaten Anleger jeglicher Kategorie gerade jetzt den Weg zur Investition in Aktien
finden und dabei incentiviert werden.
IPOs der Therapeutikaentwickler nach
klinischer Phase und Börse
Anteil IPOs
Präklinik
Phase I
Phase II
Phase III
Markt
0 %
10 %
20 %
30 %
Europäische Unternehmen (NASDAQ)
Europäische Unternehmen (andere Börsen)
40 %
50 %
60 %
US-Unternehmen (NASDAQ)
Quelle: EY, BioCentury und Capital IQ
Finanzierung | 31
Zahlen und Fakten – Deutschland
Unterfinanzierung bleibt bestehen
In der Summe haben deutsche Biotechnologieunternehmen im Berichtszeitraum
2014 nur sehr geringfügig mehr Kapital
einwerben können. Mit 336 Millionen Euro
gab es ein Plus von lediglich drei Prozent
im Vergleich zum Vorjahr. Der herausragende Aspekt dieser Gesamtstatistik ist natürlich der Beitrag der IPOs – die ersten seit
2006 – von Affimed und Probiodrug, die
alleine fast ein Fünftel der Gesamtfinanzierung beigetragen haben.
Kapitalaufnahme deutscher Biotech-Unternehmen
Summe (Mio. €)
500
138
160
400
163
300
49
200
65
54
Damit hat sich zwar das Niveau der letzten
drei Jahre stabilisiert und man ist geneigt,
einen leichten Aufwärtstrend festzustellen.
Nach wie vor wird die inzwischen wirklich
„chronische“ Unterfinanzierung der Biotechnologiebranche aber weiter fortgeschrieben. Trotz sehr positiver Gesamtwirtschaftszahlen der deutschen Volkswirtschaft
nach der überwundenen Finanzkrise bleibt
dieser Sektor ein weiteres Jahr deutlich
(> 25 %) hinter den Finanzierungsvolumina
vor der Finanzkrise zurück.
Der Blick auf die Grafik zeigt auch, dass sich
über die letzten Jahre eine Schere geöffnet
hat. Hierbei lassen private Finanzierungsrunden weiter nach, während die Finanzierung der börsennotierten Firmen (unter
Einbeziehung der IPOs) eine leicht steigende Tendenz aufweist und in der Summe
tatsächlich Anschluss an die Vorkrisenjahre
findet.
Genau diese Beobachtung nahmen die aktuellen IPO-Kandidaten zum Anlass für ihre
Entscheidung zum Börsengang: bessere
Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt im Vergleich zu schwierigen privaten
Runden.
Weiterhin sehr bedenklich stimmt leider
erneut die Lage im Privatsektor: Venture
Capital schwächt sich nach 2013 erneut
(um 5,4 %) leicht ab, auf 155 Millionen
Euro.
32
116
80
44
100
316
208
99
284
87
214
164
155
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
0
Kapitalerhöhungen an der Börse
Börsengang
Risikokapital
Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
Dominanz der Family Offices etwas
abgeschwächt
Die Dominanz der Family Offices (FOs)fällt
in der aktuellen Statistik nicht ganz so stark
ins Gewicht: bei 61 Prozent des Volumens
(im Vergleich dazu standen im Vorjahr 79 %
zu Buche) hat man sich eher einem Gleichgewicht zwischen VC-Investoren und FOs
angenähert.
Dabei fällt auf, dass von den großen Family
Offices Dievini Hopp 2014 gar nicht in
Erscheinung trat und das FO der Brüder
Strüngmann nur in einer großen Runde
aktiv war: Die Glycotope-Finanzierungsrunde
mit 55 Millionen Euro, in der das Strüngmann-Finanzierungsvehikel Jossa Arznei
zusammen mit dem Eckert Life Science
Accelerator als Investoren verantwortlich
zeichneten. Diese Runde stellt allerdings
alleine schon fast 36 Prozent des Gesamtvolumens an VC in Deutschland 2014.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
In allen übrigen Finanzierungsrunden unter
Beteiligung von Family Offices waren diese
im Verbund mit anderen VCs oder dem vielfachen Partner MIG Fonds aktiv. Auch die
weiteren Family-Office-Vertreter sind „Wiederholungstäter“ aus dem Vorjahr, zum
Teil auch mit Bezug auf dieselben Targets.
Aeris Capital und CD-Venture schlossen
sich einer weiteren Runde bei Curetis
(14,5 Mio. €) an, die bereits vom fast gleichen Konsortium 2013 Kapital erhalten
hatte.
Risikokapitalfinanzierungen deutscher Biotech-Unternehmen, 2014
Unternehmen
Volumen
(Mio. €)
Bekanntgabe
Runde
Investoren
Glycotope
55,0
März
n/a
Eckert Life Science Accelerator, Jossa Arznei
Curetis
14,5
November
4
Aeris Capital, BioMedInvest, CD-Venture, Forbion Capital Partners,
HBM Partners, LSP Life Sciences Partners, QIAGEN,
Roche Venture Fund, Business Angels
Affimed Therapeutics
11,7
September
6
Aeris Capital, BioMedInvest, LSP Life Sciences Partners,
Novo Nordisk, OrbiMed Advisors
AYOXXA Biosystems
11,3
Juni
2
BioMedPartners, b-to-v Partners, CREATHOR VENTURE,
Grazia Equity, HR Ventures, HTGF, KfW, NRW.BANK,
Wellington Partners, private Investoren
Protagen
10,0
Dezember
6
MIG Fonds, NRW.BANK, QIAGEN
Rigontec
9,5
September
1
Boehringer Ingelheim Venture Fund, Wellington Partners,
HTGF, NRW.BANK
MYR
7,9
Oktober
3
HTGF, Maxwell Biotech Venture Fund
ImevaX
7,5
Oktober
1
Wellington Partners, BioMedPartners, EMBL Ventures,
Santo Venture Capital
Pieris
6,6
November
4
BayTech Venture Capital, Global Life Science Ventures,
OrbiMed Advisors, Ally Bridge Group, BioM,
Gilde Investment Management
Isarna Therapeutics
5,5
April
8
AT NewTec, Global Asset Capital, MIG Fonds
amcure
5,0
Juli
1
LBBW Venture Capital, BioM, KfW, MBG Baden-Württemberg,
S-Kap, private Investoren
NEUWAY Pharma
2,7
Mai
1
Wellington Partners
DermaTools Biotech
2,3
April
n / a
CytoTools, ungenannte Investoren
Lophius Biosciences
2,0
Mai
5
VRD, HTGF, S-Refit, ungenannter Investor
CytoPharma
1,7
Juni
n/a
CytoTools, ungenannte Investoren
CAP-CMV
1,7
März
1
CREATHOR VENTURE, KfW, NRW.BANK,
Peppermint VenturePartners, private Investoren
InflaRx
Juli
2
bm-t beteiligungsmanagement thüringen, KfW,
ungenannte Investoren
Axiogenesis
April
n / a
V+
Myelo Therapeutics
September
1
Eckert Wagniskapital und Frühphasenfinanzierung,
IBB Beteiligungsgesellschaft, JSC Valenta Pharmaceuticals
SIRION Biotech
März
4
Aumenta, Bayern Kapital, CREATHOR VENTURE, HTGF, KfW,
ungenannte Investoren
Quelle: EY, BioCentury und VentureSource
Venture Capital wieder stärker engagiert
Die Durchsicht der VC-Runden 2014 zeigt
immerhin, dass die aktivsten Investoren
nicht wie in den vergangenen Jahren vor
allem dem Kreis der Family Offices sowie
den MIG Fonds zuzurechnen sind. Vielmehr
sind „alte Bekannte“ aus dem klassischen
VC-Geschäft wieder häufiger vertreten.
Wellington Partners und BioMedPartners
sind mit jeweils insgesamt vier Investments
dabei besonders hervorzuheben. In den jeweiligen Konsortien arbeiten sie zum Teil
zusammen (z. B. AYOXXA, ImevaX) oder
jeweils mit anderen Partnern sowohl aus
dem Bereich VC als auch mit Corporate VC
und Family Offices. Weitere VCs mit sichtbaren Aktivitäten waren LSP (zweimal,
Curetis / Affimed), CREATHOR VENTURES
(zweimal, AYOXXA / CAP-CMV) und mit
OrbiMed sogar ein US-Unternehmen mit
zwei Investments in Deutschland (Affimed / Pieris).
Finanzierung | 33
Nur eine herausragende VentureCapital-Runde
Die rückläufige Aktivität der über die letzten
Jahre stark dominierenden Family Offices
drückt sich auch darin aus, dass 2014 lediglich eine sehr große Finanzierungsrunde
zu verzeichnen war. Mit 55 Millionen Euro
konnte das Berliner Unternehmen Glycotope
seine regelmäßige Reihe an Finanzierungsereignissen (im Jahr 2007 37 Mio. €, im
Jahr 2008 10 Mio. €, im Jahr 2011 16
Mio. € und im Jahr 2012 15 Mio. €) erfolgreich fortsetzen und insgesamt die 130-Millionen-Marke überschreiten.
Das frische Kapital soll für die aktuellen
Phase-IIb-Studien der beiden am weitesten
fortgeschrittenen Krebstherapien – PankoMab-GEX™ und CetuGEX™ – verwendet
werden, die mit mehreren hundert Patienten in Europa und den USA bis 2016 laufen
werden. Die beiden glykooptimierten Antikörper repräsentieren zwei wesentliche
Schwerpunkte der Glycotope-Geschäftsausrichtung: zum einen Biosimilars (im Sprachgebrauch von Glycotope „Bio-Superiors“),
durch optimierte Zuckerstrukturen verbesserte Formen bereits bestehender Antikörper-Therapeutika (z. B. CetuGEX™ für
Erbitux), zum anderen neue Antikörper
(NBE), ebenfalls glykooptimiert, gegen
proprietäre krebsspezifische Glykoproteine
(z. B. PankoMab-GEX™).
Diagnostikunternehmen als attraktive
Investments
Die Liste der weiteren VC-Runden bewegt
sich deutlich unterhalb von 20 Millionen
Euro. Zumindest die zweistelligen Finanzierungen werden dabei von Diagnostikunternehmen besetzt. Curetis führt die Reihe an
und komplettiert seine Finanzierungsserie
aus dem letzten Jahr um weitere 14,5 Millionen Euro. Das Neu-Engagement von
QIAGEN in dieser Runde erweitert die Beteiligung der Diagnostikindustrie, nachdem
im letzten Jahr bereits Roche Diagnostics
eingestiegen war. Dies unterstreicht die
Attraktivität der marktreifen Curetis-Technologie zusammen mit einer ausgereiften
Geräteplattform zur Diagnose von Infektionskeimen auf DNA-Basis.
34
Die Liste der Finanzierungsrunden enthält
weitere interessante Diagnostik-Ansätze.
AYOXXA, ein Proteomics-Unternehmen in
Köln mit Wurzeln in Singapur konnte nach
der Seed-Finanzierung im letzten Jahr
(KfW) ein stattliches Konsortium für die
so wichtige erste Anschlussfinanzierung
zusammenstellen. Neben gestandenen
VCs mit Track Record in Life-Science- und
Diagnostikunternehmen – wie CREATHOR
VENTURE, BioMedPartners und Wellington
Partners – sind mit b-to-v Partners, HR
Ventures und Grazia Equity neue Namen
im Spiel. Sie zeigen vor allem Interesse an
innovativen Technologien mit marktrelevanten Anwendungen, die nicht notwendigerweise nur im Life-Science-Sektor liegen.
Komplettiert wird die Runde von immerhin
11,3 Millionen Euro durch den HTGF, der
erst in der Anschlussrunde einstieg, durch
lokale Kapitalgeber wie die NRW.BANK
sowie private Investoren (z. B. Rainer
Christine, ehemaliger CEO von Amaxa).
Demgegenüber ist Protagen als weiteres
Unternehmen im Bereich der Diagnostik /
Immundiagnostik schon ein „alter Hase“,
der in seiner sechsten Finanzierungsrunde
zehn Millionen Euro einnehmen konnte.
Auch hier zeigt die neu hinzugekommene
Beteiligung durch QIAGEN den marktnahen
und -relevanten Bezug. Die auf einer Autoantikörper-Detektion beruhende ScreeningPlattform eignet sich insbesondere für
Fragestellungen der personalisierten / stratifizierenden Medizin und für das Feld der
Biomarker / Companion Diagnostics. Dieses
Investment wird weiterhin getragen durch
die MIG Fonds, die ansonsten im Vergleich
zu den Vorjahren deutlich weniger aktiv
waren und nur noch die Weiterfinanzierung
der Isarna Therapeutics (Nachfolger der
Regensburger Antisense Pharma) sicherstellten.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Immuntherapie für Investoren attraktiv
Neben den o. a. Diagnostik-Investments
sind im Therapeutikasektor vor allem innovative Ansätze der Immuntherapie für Investoren zukunftsträchtig. Alle Runden mit
Investitionssummen von über sieben Millionen Euro und Ausrichtung auf Therapeutika
zielen auf Immuntherapieansätze.
Allen voran Affimed in Heidelberg, die unmittelbar vor ihrem Börsengang im September noch eine private 11,7-Millionen-EuroVC-Runde mit ihren bisherigen Investoren
„drehte“. Die TandAb®-Plattform soll die
Wirkung herkömmlicher monoklonaler Antikörper durch zusätzliche Bindungseigenschaften (Effektoren des Immunsystems)
verbessern.
Als Senkrechtstarter konnte die 2014 neu
gegründete Rigontec direkt auf der Finanzierungsrangliste weit aufrücken und mit
9,5 Millionen Euro VC ein solides Kapitalfundament für die anstehenden präklinischen
und klinischen Studien legen. Ihr Ansatz –
basierend auf Forschungsergebnissen der
Universität Bonn – setzt auf sogenannte
3pRNA, die im Organismus eine Virusinfektion vortäuscht und entsprechend das Immunsystem spezifisch aktiviert. Das Engagement von Wellington Partners sowie
des Boehringer Ingelheim Corporate Venture Funds in diesem frühen Stadium weist
auf den vielversprechenden Wissenschaftsansatz hin, der zudem noch durch sehr einfach herzustellende RNA-Produkte realisiert
wird.
Schließlich fällt auch das Geschäftsmodell
der ImevaX in den Bereich der Immuntherapie und gewinnt damit auf Anhieb in der
ersten Finanzierungsrunde große Aufmerksamkeit. Der Vakzinierungsansatz zielt auf
Infektionskrankheiten (z. B. H. pylori) und
setzt auf spezifische Impfstoffe gegen „immune evasion factors“, d. h. Faktoren, die
bei Infektionen das Immunsystem ausschalten sollen. Hier sind neben der StrüngmannGruppe ebenfalls Wellington Partners und
BioMedPartners als Investoren vertreten.
Glycotope: Best-in-Class-Finanzierungsrunde
2014 durch Best-in-Class-Moleküle
Von 0 auf über 180 in 14 Jahren
Die im Jahr 2000 gegründete Glycotope ist
eines der größten konzernunabhängigen
Biotechnologieunternehmen Deutschlands.
Glycotope ist international führend im Bereich der Glykobiologie und spezialisiert auf
die Entwicklung von Antikörpern und Proteinen. Das Unternehmen beschäftigt heute
mehr als 180 Mitarbeiter an den Standorten
Berlin (F&E) und Heidelberg (GMP-Produktion).
der ersten und zweiten Generation so optimiert, dass signifikant verbesserte klinische
Effekte bzw. verringerte Nebenwirkungen
erreicht werden können (Best-in-ClassMoleküle). Die Mittel der jüngsten Finanzierungsrunde fließen primär in die Entwicklung der am weitesten fortgeschrittenen
neuen Krebsmedikamente in Phase-IIbStudien, PankoMab-GEX™ und CetuGEX™,
sowie in den Ausbau der präklinischen Pipeline.
Eine der größten Kapitalfinanzierungen
der deutschen Biotechnologie
Im Jahr 2014 konnte die Glycotope zusätzliches Eigenkapital in Höhe von 55 Millionen
Euro einwerben und reiht sich damit in die
Top Fünf der deutschen und Top Sieben der
europäischen Wagniskapitalfinanzierungen
ein. Hauptgeldgeber der inzwischen mehr
als 130 Millionen Euro Gesamtfinanzierung
des Unternehmens sind die Münchener Jossa
Arznei GmbH (Strüngmann Gruppe) sowie
die Berliner ELSA GmbH (Eckert Life Science
Accelerator).
Klare Partnering-Strategie
Glycotope hat ein breites Portfolio von Arzneimittelkandidaten aufgebaut, die auf
deutlich verbesserte bzw. innovative Ansätze
für derzeit unzureichend behandelte Krankheiten abzielen. Das Unternehmen verfolgt
eine klare Partnering-Strategie. Die Auslizenzierung der Wirkstoffkandidaten kann
wertsteigernd in der Präklinik oder in fortgeschrittenen klinischen Phasen erfolgen.
Einzigartige Technologieplattform und
breites Produktportfolio geschaffen
Glycotope hat die zurzeit breiteste klinisch
validierte Glykosylierungs-Technologieplattform geschaffen. Mit dieser können verschiedenste hochwertige Proteinbiopharmazeutika in unterschiedlichsten Aspekten
verbessert und bis zum Nachweis der klinischen Relevanz für therapeutische Anwendungen entwickelt werden. Sie verfügt über
ein einzigartiges IP-Portfolio in Form von
humanen Zelllinien-, Produkt-, Target- und
Anwendungspatenten.
GET und GEX
Die Glyco-Epitope-Targeting-Technologie
(GET) erlaubt die Entwicklung von Firstin-Class-Antikörpern gegen bisher nicht
erreichbare Zielmolekülklassen. Die Antikörper erkennen für Tumore hochspezifische sterische Zuckerstrukturen oder Kombinationsepitope von Proteinen und können
gezielt zur Behandlung von Krankheiten
eingesetzt werden, bei denen diese Zielmoleküle relevant sind. Die GlykosylierungsTechnologie GlycoExpress (GEX) erlaubt
die Herstellung von Biopharmazeutika, Antikörpern und Proteinen der „Dritten Generation“ in proprietären humanen glycoengineerten Zelllinien. Mit dieser Technologie werden
die Eigenschaften der Wirkstoffkandidaten
Pipeline
Das firmeneigene Portfolio umfasst derzeit
folgende Programme:
• PankoMab-GEX™ (Phase IIb, Ovarialkrebs) ist ein Antikörper gegen das tumorspezifische proprietäre Antigen TA-MUC1,
ein Zucker-Protein-Kombinationsepitop
zur Behandlung von Ovarialkrebs und anderen Tumoren. Die klinische Phase I
zeigte eine hervorragende Verträglichkeit
und als Monotherapie komplette und
partielle Langzeitremissionen sowie eine
klinischen Benefitrate (CBR) von 57 Prozent. Die Tumorspezifität von PankoMab-GEX™ ist außerordentlich hoch
(First-in-Class).
• CetuGEX™ (Phase IIb, Kopf / Hals-Tumore) ist ein Best-in-Class-Antikörper der
nächsten Generation mit signifikant verstärkten Anti-Tumor-Aktivitäten gegen
EGFR, einem Zielmolekül zur Behandlung
von Kopf / Hals-, Lungen-, Magen- und
Darmkrebs. Die Phase I überzeugte mit
einer Response Rate von 18 Prozent,
einer CBR von 68 Prozent und deutlich
reduzierten Nebenwirkungen. Die Tumorremissionen dauern im Durchschnitt über
17 Monate mit einer Komplettremission
in Lungenkrebs (bisher > 3 Jahre).
CetuGEX™ wird in der Erstlinientherapie
direkt mit dem etablierten Standard
Erbitux® verglichen.
Henner Kollenberg,
CFO Glycotope GmbH,
Berlin
• FSH-GEX™ (prä-Phase-III) ist das erste
voll humane und glykooptimierte Follikel-stimulierende Hormon zur Behandlung
der Unfruchtbarkeit. Es lieferte 2013 erfolgreiche Phase-II-Ergebnisse (künstliche
Befruchtung) und wird voraussichtlich
Anfang 2015 mit einem umfangreichen
Phase-III-Programm starten.
• TrasGEX™ (vor Phase IIb) ist ein Best-inClass glykooptimierter Antikörper der
nächsten Generation mit stark verstärkten
Anti-Tumor-Aktivitäten gegen HER2 zur
Behandlung von HER2-positiven Tumoren.
Phase I /IIa zeigte als Monotherapie bei
sehr guter Verträglichkeit eine Serie von
kompletten oder partiellen Tumorremissionen. Diese erfolgten auch bei Patienten
ohne klinischen Benefit mit Trestuzumab
oder nicht-glykooptimierten Antikörpern
(> 80 % der Gruppe).
Gut gerüstet für die Zukunft
Glycotope verfügt über weitere First-in-ClassAnsätze für die Onkologie (darunter SeeloMab-GEX™) und Hämatoonkologie sowie
Best-in-Class-Entwicklungen für die Hämatoonkologie, Endokrinologie, Blutfaktorentherapie (darunter ein glykooptimierter humaner Faktor-VIIa-GEX) sowie eine Enzymersatztherapie für seltene Speichererkrankungen und für die Impfstoffentwicklung.
www.glycotope.com
Finanzierung | 35
Endlich wieder Börsengänge deutscher
Biotech-Unternehmen
Die lange Durststrecke ohne IPOs deutscher
Biotech-Unternehmen seit 2006 (WILEX
als letzte Notierung) ist vorbei. Mit Affimed
aus Heidelberg und Probiodrug aus Halle
haben zwei Therapeutikaentwickler in
fortgeschrittenen klinischen Stadien ihrer
Produkte den Gang an die Börse gewagt.
Beide argumentierten mit dem notwendigen
enormen Kapitalbedarf für ihre klinischen
Studien, den sie im schwierigen privaten
Venture-Capital-Umfeld nie hätten erzielen
können. Beide sehen auch die Chancen –
sie haben ihre Programme noch nicht an
Pharma verpartnert – durch die Erlöse aus
dem Börsengang weiterhin unabhängig
von dominierenden Pharma-Partnern zu
bleiben.
Die Börse in Frankfurt stellte allerdings
für beide keine echte Option dar. Während
Affimed nach eigener Aussage durch das
klare Interesse amerikanischer Investoren
erst gar nicht ernsthaft den Heimatmarkt
eruiert hatte, stand für Probiodrug aufgrund der Investorpräferenz Euronext in
Amsterdam ganz vorne an.
Wesentlich zum Gelingen des Börsendebüts
beigetragen haben wohl die bestehenden
Probiodrug-Aktionäre: HBM Healthcare,
Edmond de Rothschild Investment Partners,
BB Biotech, Life Science Partners, IBG,
Biogen Idec und TVM Capital. Sie zeichneten etwas mehr als zwei Drittel der angebotenen Aktien und steuerten so rund
15,7 Millionen Euro zum Finanzierungsergebnis bei. Gemeinsam mit dem Management haben sie sich für ihre alten Aktien
einer zwölfmonatigen Veräußerungssperre
unterworfen.
36
Ähnlich war das Börsendebüt auch für die
Schweizer Molecular Partners (87 Mio. €;
SIX) etwas holprig verlaufen und erst nach
Intervention und erheblicher Aktienübernahmeverpflichtung durch die Altinvestoren
gelungen.
Die Entscheidung von Affimed für die NASDAQ als Börsenplatz war mit Blick auf den
doch signifikanten Erlös (56 Mio. US$)
nachträglich richtig. Gleichwohl wird mittelfristig sicherlich die Frage aufkommen, ob
für eine nachhaltige Sichtbarkeit bei USInvestoren nicht eine Standortverlegung in
die USA erforderlich sein wird.
Weniger in den Schlagzeilen, aber dennoch
erwähnenswert ist ein weiterer „quasi“Börsengang durch Pieris aus Freising bei
München. Das Plattformunternehmen,
das mit seiner Anticalin®-Technologie neue,
antikörperähnliche Wirkstoffformate entwickelt, hat kurz vor dem Jahreswechsel
durch einen Reverse Merger mit einem
amerikanischen Unternehmen (Marika)
den Sprung aufs Börsenparkett geschafft
und firmiert seitdem unter Pieris Pharmaceuticals, Incorporated als US-Firma.
Gleichzeitig konnte Pieris mehr als 12 Millionen US-Dollar in Form eines PIPE von
namhaften Investoren der bestehenden,
schon bisher starken amerikanischen Investorengruppe einwerben, welche für die
konsequente Weiterentwicklung der eigenen therapeutischen Pipeline vorgesehen
sind. Dieses Modell eines Reverse Merger
in die USA hat schon einmal eine BiotechFirma aus dem Großraum München durchgeführt und zu einem sehr positiven Ende
für alle Beteiligten bringen können: die
Firma Micromet nämlich, die 2012 für über
eine Milliarde US-Dollar von Amgen übernommen wurde. Hier hat Pieris nun zwar
noch einiges bis zu diesen Höhen zu tun, das
Timing des Börsengangs kurz vor einer der
wichtigsten US-Investoren-Konferenzen
Anfang Januar (J.P. Morgan) ist aber vielleicht ein gutes Omen.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Affimed – IPO in den USA
Wer wir sind
Wir sind ein Heidelberger Biotech-Unternehmen mit rund 40 höchst qualifizierten
Angestellten und einem im Biotech-Sektor
erfahrenen Management-Team. Die Affimed
entwickelt therapeutische Antikörper im
Bereich der Immunoonkologie, bei der die
körpereigenen Abwehrmechanismen zur
Bekämpfung von Tumorzellen genutzt werden.
Was wir können
Unsere patentierten Produkte, bispezifische
TandAbs und trispezifische Antikörper, binden ausgewählte Zellen des körpereigenen
Immunsystems, wie NK- und T-Zellen. Die
Rolle dieser Immunzellen besteht natürlicherweise darin z. B. Tumorzellen zu eliminieren. Die bispezifischen TandAbs sind in
der Lage, NK- oder T-Zellen über eine zweite
spezifische Bindung in Kontakt mit Krebszellen zu bringen. Dieser enge Kontakt aktiviert die Immunzellen, welche dann die
Krebszellen zerstören. Durch ihre einzigartige Architektur binden unsere TandAbs
ihre Ziele mit sehr hoher Affinität, weswegen sie sehr potent sind. Zusätzlich bieten
unsere Antikörper Vorteile gegenüber Konkurrenzprodukten, etwa bei Handhabung
oder Verabreichung. Diese bevorzugten
Eigenschaften nutzen wir bei der klinischen
Entwicklung unserer Substanzen zur Behandlung von Blutkrebserkrankungen wie beispielsweise den Hodgkin- und Non-HodgkinLymphomen; weitere Krebserkrankungen
werden folgen. Basierend auf den bisher
erhobenen präklinischen und klinischen
Daten glauben wir, dass unsere Produktkandidaten das Potenzial haben, ein wichtiger Bestandteil der modernen Tumortherapie zu werden.
Wie wir an die amerikanische Börse
kamen
Mit Beginn 2011 hatte das Management
die Affimed-„Story“ auf unterschiedlichen
Plattformen, wie Konferenzen und NonDeal-Roadshows, vor allem am US-Kapitalmarkt präsentiert. Adressaten waren insbesondere Analysten, US-Health Care- / CrossOver-Investoren und Investmentbanken
mit dem Ziel, die Story im Wettbewerb zu
positionieren, Netzwerke zu knüpfen und
Cross-Over-Investoren zu gewinnen.
Kooperationen als Leumund
2013 konnten wir mit Janssen / Amphivena
(Juni 2013) sowie der Leukemia and Lymphoma Society (September 2013) in den
USA zwei für uns wichtige Kooperationen
abschließen. Daraufhin wurden wir von
Investmentbanken, aber auch von USamerikanischen Healthcare-Investoren im
Rahmen der „testing the water“-Meetings
ermutigt, einen IPO in den USA durchzuführen. Dies auch basierend auf der Tatsache, dass seit Mitte 2012 immer mehr
Biotech-IPOs an der NASDAQ erfolgreich
durchgeführt wurden.
Positiver Rückenwind aus den USA
Ausschlaggebend für die Entscheidung, den
Börsengang am US-Kapitalmarkt durchzuführen, war eine Umfrage bei potenziellen
Investoren. Die Rückmeldung fiel in den
USA positiv aus, aus der EU hingegen kam
wenig Support. Die Affimed hätte mit dem
damaligen Entwicklungsstand ihrer Projekte
nicht die kritische Anzahl an Investoren
in Europa gefunden. Der offizielle BoardBeschluss zum IPO fiel dann im März 2014.
Die deutsche Aktie ist für das Geschäftsmodell der Affimed nur bedingt zum Listing
geeignet. Dies hat mit den Bezugsrechten
zu tun, die in den USA negativ behaftet sind
und im deutschen Aktiengesetz nur in begrenztem Umfang ausgeschlossen werden
können. Wir haben uns dann aus unterschiedlichen Gründen als Rechtsform für
die niederländische Aktiengesellschaft
(N.V.) entschieden.
Regulatorische Erleichterungen für
europäische Neulinge
Zusätzlich gibt es in den USA gesonderte
Regelungen für junge (JOBS-Act) und für
ausländische Unternehmen (foreign private
issuer). Diese legen geringere regulatorische
Anforderungen (SOX 404a, reporting requirements, reporting currency, IFRS) fest
und erleichtern den Börsengang an der
NASDAQ.
Hauptgründe für Going Public
vs. Staying Private?
Das bestehende VC-Syndikat hatte die
Affimed seit 2007 weitgehend finanziert.
Aufgrund der begrenzten Fondslaufzeiten
sowie der Investitionsgrenzen in einer
Portfoliogesellschaft wäre die alleinige
Finanzierung der nächsten Entwicklungsschritte unter Wahrung der Interessen der
Dr. Adi Hoess,
CEO Affimed GmbH,
Heidelberg
bestehenden Gesellschafter sehr schwierig
gewesen. Auch ein Verkauf an einen strategischen Partner wäre zum damaligen Zeitpunkt nicht lukrativ gewesen. Insofern war
der Börsengang für das Unternehmen die
beste strategische Option.
Hürden – Lesson learned
Jedes Unternehmen, das einen IPO in der
Zukunft in Erwägung zieht, sollte sich im
Vorfeld auf diese Option langfristig vorbereiten: Rechnungslegung und Prüfung nach
IFRS, Überprüfung der Jurisdiktion und
gegebenenfalls Vorbereitung der neuen
gesellschaftsrechtlichen Struktur, und das
Aufbauen eines starken Netzwerkes mit
US-Investoren und -Analysten. Gerade die
Analysten- und Investorenpflege ist ein sehr
zeitaufwendiger Prozess und sollte mindestens 12, besser 18 Monate im Voraus angegangen werden. Eine solide Finanzierung
der Firma vor dem IPO ist von großem Vorteil. Die Affimed hatte im Juli, also ca. zwei
Monate vor dem Börsengang, eine Prä-IPOFinanzierung durchgeführt, die den Going
Concern für einen Zeitraum von 15 bis 18
Monaten gesichert hat. Wichtig sind darüber
hinaus gute Partner: Wirtschaftsprüfer und
Rechtsberatung in den involvierten Jurisdiktionen. Die Auswahl der Partner muss ebenfalls im Vorfeld erfolgen. Eine fundierte
Vorbereitung kann das Transaktionsrisiko
signifikant reduzieren und damit die Chancen auf einen erfolgreichen IPO steigern.
www.affimed.com
Finanzierung | 37
Probiodrug – Börsengang an der Euronext
Probiodrug AG
Die Probiodrug AG fokussiert sich auf die
Forschung und Entwicklung neuer Therapeutika für die Behandlung der Alzheimer‘
schen Erkrankung (AD) sowie verwandter
Krankheiten. Wir verfolgen hierbei ein Behandlungskonzept, das auf der Reduktion
von Pyroglutamat-Abeta (pGlu-Abeta) als
therapeutischer Strategie aufbaut. Der am
weitesten fortgeschrittene Entwicklungskandidat – PQ912 – ist in Phase IIa der
klinischen Entwicklung.
Wichtige Voraussetzungen standen auf
„positiv“ für einen Börsengang
Zwischen 2007 und 2012 konnten wir signifikante private Finanzierungsrunden mit
namhaften Investoren erfolgreich abschließen. Im Jahr 2014 kamen dann entscheidende Faktoren zusammen, die uns einen
Börsengang des Unternehmens ins Auge
fassen ließen – etwa der erfolgreiche Abschluss der klinischen Prüfungsphase I von
PQ912, ein sich aufbauender vorsichtiger
Optimismus im Bereich neue Alzheimertherapeutika sowie ein positives Kapitalmarktumfeld, insbesondere im Biotechnologiesektor.
IPO oder private Weiterfinanzierung?
Die Abwägung IPO versus private Weiterfinanzierung war der erste Schritt. Private
Finanzierungsrunden korrelieren deutlich
weniger mit einer allgemeinen Marktentwicklung als IPOs, sprich es gibt Börsenfenster, auf deren Öffnen (und auch Schließen) man keinen Einfluss hat und auf
die man nur reagieren kann. Ein weiterer
wichtiger Aspekt war die Flexibilität von
Unternehmen und Aktionären, die ein Börsengang ermöglichen würde. Breite und
kapitalkräftige Konsortien sind für Unternehmen mit einem hohen Kapitalbedarf
eine wichtige Voraussetzung für den unternehmerischen Erfolg. Sie haben aber auch
ihre Herausforderungen – die Komplexität
und der Abstimmungsaufwand steigen von
Runde zu Runde; zudem können sie nur mit
zeitlicher Verzögerung auf sich kurzfristig
bietende Opportunitäten reagieren. Hierbei
sollte man auch nicht vergessen, dass sich
die Interessen der beteiligten Fonds im
Zeitablauf unterschiedlich entwickeln können – ein Evergreen-Fonds beispielsweise
38
sieht eine längere Zeitlinie entspannter
als ein Fonds, der nur noch wenige Jahre
bis zur Abrechnung hat. Üblicherweise verstärken sich diese Themen, wenn es sich
bei Folgefinanzierungen um Transaktionen
mit eventuell weniger vorteilhaften Bedingungen als die letzten Finanzierungen handelt oder die Bereinigung der bestehenden
Vorzugsrechte etc. eine Voraussetzung für
den Einstieg neuer Investoren ist. In der
Gesamtschau überwogen in unserem Fall
die Vorteile eines Börsengangs. Das Thema
„Exitdruck“ spielte dabei im Übrigen keine
Rolle – ein Börsengang in unserer Branche
wird von erfahrenen Investoren als Finanzierungsoption angesehen.
Analyse der Börsenplätze: pro NASDAQ
Nach der Grundsatzentscheidung für einen
Börsengang kam die Frage nach dem geeigneten Börsenplatz auf – analysiert wurden
von uns NASDAQ, Euronext, Deutschland,
Schweiz sowie UK. Die NASDAQ ist klar die
liquideste Börse für Biotechnologieunternehmen. Unterstützend wirkt hierbei, dass
bei Kapitalmarkttransaktionen von Unternehmen ohne klassische Kennziffern (Umsatz, Kurs-Gewinn-Verhältnis etc.) für Bewertungsthemen gern die Referenz auf eine
Benchmark oder Peer Group eingesetzt
wird – und die meisten derartigen Unternehmen heute an der NASDAQ gelistet sind.
Analyse der Börsenplätze: pro Euronext
Demgegenüber hat sich in Europa die Euronext als dynamischer Börsenplatz für Biotechnologieunternehmen entwickelt und
eine große Anzahl an Erfolgsstorys hervorgebracht. Hier war für uns auch wichtig,
dass die Euronext Amsterdam sich in einem
dem deutschen ähnlichen Rechtsraum befindet, was sich sowohl in den Transaktionskosten als auch der Gesamtkomplexität
niederschlägt. Die Wahl des Börsenplatzes
sollte selbstverständlich auch im Kontext
der Unternehmensentwicklung erfolgen.
Hier galt für uns: Probiodrug wollte als
europäisches Biotechnologieunternehmen
die anstehende klinische Prüfungsphase IIa
in fünf westeuropäischen Ländern initiieren,
wobei Amsterdam als Leitzentrum fungieren sollte. Hinzu kam, dass zum Zeitpunkt
unseres Börsengangs an der NASDAQ kein
Unternehmen mit einem krankheitsmodifizierenden Ansatz gegen AD gelistet war,
das sich dort als Peer angeboten hätte.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Hendrik Liebers,
CFO Probiodrug AG,
Halle / Saale
Börsenplätze UK, Schweiz
und Deutschland
Die anderen genannten Börsenplätze konnten
keine Alternative anbieten – UK, Schweiz
und Deutschland waren bis Oktober 2014
nicht offen für Biotechnologieunternehmen.
Diese Rahmenbedingungen begünstigten
einen Börsengang an der Euronext in
Amsterdam.
Die Aktionäre zogen mit
Bei der Umsetzung des Börsengangs war
die Bereitschaft der bestehenden Aktionäre
zu signifikanten Commitments wichtig.
Wir sehen weltweit das Erfordernis hoher
Investitionen der bestehenden Aktionärsbasis von Biotechnologieunternehmen in
einen Börsengang, um diesen abzusichern.
Für VC-Konsortien birgt diese Entwicklung
erhebliche Herausforderungen, denen etwa
durch die Aufnahme klassischer CrossOver-Fonds kurz vor einem IPO versucht
wird zu begegnen. In unserem Falle waren
mit HBM und BB Biotech Fonds mit ausgeprägten Cross-Over-Fähigkeiten bereits seit
mehreren Jahren investiert. Zusammenfassend sind wir auch ein halbes Jahr nach
dem Börsengang fest davon überzeugt,
dass der von Probiodrug eingeschlagene
Weg aus unternehmerischer Sicht der richtige war.
www.probiodrug.de
From Pieris AG to
Pieris Pharmaceuticals, Inc.
The Company
Pieris Pharmaceuticals, Inc. is a clinicalstage biotechnology company applying its
proprietary Anticalin® technology to create
differentiated next generation therapeutic
protein drugs that can help patients suffering from cancer, severe asthma, anemia
and other medical conditions with a high
unmet medical need. Anticalins® are recombinantly engineered versions of lipocalins,
human proteins that naturally bind, store and
transport a wide spectrum of molecules.
Pieris has a diverse pipeline of Anticalin®
therapeutics for a number of different indications and has active, multiprogram R&D
collaborations with Daiichi Sankyo, the
Sanofi Group, Zydus Cadila and Stelis Biopharma.
The Transaction
On December 18, 2014, Pieris was listed at
the US OTC market as domestic issuer
(OTC: PIRS) in a process through which
Pieris AG and Pieris Pharmaceuticals, Inc.
(a non-operating public shell company in the
United States formerly known as Marika)
entered into an Acquisition Agreement
on December 17, 2014. Pursuant to the
Acquisition Agreement, the stockholders
of Pieris AG contributed all of their equity
interests in Pieris AG to Pieris Pharmaceuticals, Inc. for shares of Pieris Pharmaceuticals, Inc.’s common stock, which resulted
in Pieris AG becoming a wholly owned subsidiary of Pieris Pharmaceuticals, Inc.. The
acquisition closed on December 17, 2014,
following the execution of the Acquisition
Agreement. Simultaneously, Pieris entered
into a securities purchase agreement with
certain accredited investors in a private
placement offering conducted through a
series of closings with gross proceeds to us
of approximately 13.56 million US dollars,
seeking growth capital to advance its proprietary pipeline. Accordingly, Pieris Pharmaceuticals, Inc., is now the parental company
of Pieris Group, with Pieris AG being a wholly
owned subsidiary.
Rationale
Pieris chose this path primarily to gain
access to US capital markets as well as to
provide an exit opportunity for its investors
who have been backing Pieris. With OrbiMed
Advisors (NY, USA) being its lead investor
since 2008, US partnerships and an international management team, Pieris always
had its eyes on the US market. As a publicly
listed company in the US, Pieris now has
direct access to a broad base of renowned
US investors, many of whom are bound by
their charters to only invest in public companies within the US. Furthermore, US capital markets tend more to positively reflect
good newsflows even for smaller companies
compared to other markets, given the high
amount of risk capital relative to other markets. Another very important point is also
the general visibility for potential Pharma
Partners, with Pieris being a “new kid on
the block” story in the US.
Challenges
One of the biggest challenges in this process was to find the right bank to lead the
process, not to mention the need to get the
market timing right for such a transaction.
The conversion from German-GAAP to USGAAP within a relatively short time frame
was another major effort. This goes along
with going-public costs being a major burden for any company around Pieris’ size.
Nearly all management resources had been
heavily devoted to this process, leaving less
time for operational tasks. Going public is
challenging; being public is yet another
challenge.
Lessons learned
• Choose bank and network carefully
• Tailor your ask to the prospective
investor base
• Timing is everything
Stephen S. Yoder,
CEO Pieris
Pharmaceuticals, Inc.
Claus Schalper,
VP Finance Pieris
Pharmaceuticals, Inc.
and CFO Pieris AG,
Freising-Weihenstephan
Outlook
Pieris Executive Management will relocate
to the US headquarter by midyear 2015
and will grow the company’s drug development capabilities in a biotech hub where
the talent pool is rich, focusing on immune-oncology, anemia and asthma. Pieris AG
in Germany will remain the drug discovery
operational hub and will continue its responsibility for the company’s R&D alliances.
Pieris Australia PTY, a wholly owned subsidiary of Pieris AG, will carry out specific
drug development activities for the group,
deriving benefits from the Australia R&D
tax credit.
www.pieris.com
Finanzierung | 39
Börsennotierte Unternehmen mit
weniger Follow-up-Finanzierung
In der Übersichtsstatistik stellt sich die am
Kapitalmarkt aufgenommene Finanzierungssumme nur dann im Vergleich zum Vorjahr
positiv dar, wenn man die Einnahmen aus
den beiden IPOs miteinbezieht (+11 %).
Die Kapitalerhöhungen der bereits an der
Börse notierten Unternehmen waren dagegen um 29 Prozent deutlich rückläufig. Die
Ursachen dafür liegen einfach darin, dass
große Kapitalerhöhungen wie 2013 von
MorphoSys und Evotec (insgesamt alleine
114 Mio. €) im Berichtsjahr 2014 ausgeblieben sind.
Nur die Kapitalerhöhung von PAION in Höhe
von 46,3 Millionen Euro kam in der Größenordnung an die letztjährigen heran. Alle
anderen lagen meist im niedrigen zweistelligen oder einstelligen Millionenbereich.
PAION hatte mit seiner größten Kapitalerhöhung in der Firmengeschichte 46,3 Millionen Euro durch die erfolgreiche Platzierung von über 18 Millionen neuen Aktien
einnehmen können. Dieses Kapital ist vor
allem für die Zulassungsaktivitäten des
Anästhetikums Remimazolam in den USA
und der EU verplant.
Aktienprogramme wieder „in“
Immerhin deutet sich am Kapitalmarkt in
Deutschland ein Trend an, wobei die Kapitalerhöhungen wieder über echte Neuausgabe von Aktien erfolgen. Allerdings werden in den meisten Fällen Vorkaufsrechte
der bestehenden Investoren zwischengeschaltet („Rights offerings“), die diese
auch entsprechend nutzten. In den vergangenen Jahren hatten vor allem PIPEs
(2012: 100 %; 2013: 55 % der Runden,
88 % des Kapitals) mit den bestehenden
Investoren als Kapitalmaßnahmen im Vordergrund gestanden; Rights offerings
waren nachgeordnet (2013: 27 %, 8 % des
Kapitals).
40
Folgefinanzierungen börsengelisteter deutscher
Biotech-Unternehmen, 2014
Unternehmen
Volumen (Mio. €) Datum
Art
PAION
46,3
18. Juni
Rights offering
MOLOGEN
15,7
5. Februar
PIPE
Biofrontera
15,5
16. Januar
Rights offering
Medigene
15,1
15. Juli
PIPE
4SC
10,0
5. Juni
Darlehen
PAION
6,2
16. Januar
PIPE
co.don
5,0
28. April
Rights offering
SYGNIS
5,0
13. November
Rights offering
Epigenomics
4,2
16. Oktober
PIPE
curasan
1,5
29. Oktober
Rights offering
Medigene
0,8
15. Juli
Wandelanleihe
4SC
0,5
4. März
Wandelanleihe
4SC
0,5
3. September
Wandelanleihe
Quelle: EY, BioCentury und Capital IQ
In der aktuellen Tabelle stehen nun die
Kapitalerhöhungen über die Ausgabe neuer
Aktien über Rights offerings mit 50 Prozent
an der Spitze (64 % des Kapitals). PIPEs
fanden zwar immer noch statt (40 %; 36 %
des Kapitals), allerdings klar abgeschwächt.
Ob diese Entwicklung als ein Hoffnungsschimmer dahingehend gedeutet werden
kann, dass die Kapitalmärkte doch wieder
Interesse für den Hightech-Sektor entwickeln, wird sich erst an echten Followons zeigen, die im Berichtsjahr noch nicht
zu sehen waren.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Sogar Fremdkapital „geht“?
Neben den Kapitalmarkt-Events konnte 4SC
auch über andere Kanäle an Geld kommen.
Durch eine Fremdkapitalaufnahme über
zehn Millionen Euro von der Santo Holding
(Strüngmann Family Office) werden die
klinischen Studien mit Resminostat in der
Indikation Leberkrebs vorbereitet; zuzüglich zu einer Vereinbarung mit Yorkville zur
Wandlung von Kapital in Aktien. Aus diesem 15-Millionen-US-Dollar-Topf wurden
2014 insgesamt zwei Tranchen von jeweils
500.000 Euro realisiert.
Finanzierung per Kapitalerhöhung –
der MOLOGEN-Weg
Immuntherapie durch
DNA-Plattformtechnologien
Mit neuen und einzigartigen Technologien
und Wirkstoffen gehört MOLOGEN zu den
Wegbereitern auf dem Gebiet der Immuntherapien – ein neuer Ansatz, der von Experten weltweit als Durchbruch gewertet
wird. Mit unseren Produktentwicklungen
tragen wir dazu bei, einige der bedrohlichsten Krankheiten zu bekämpfen.
Mit MGN1703 gegen Krebs
Der Schwerpunkt unserer Entwicklungsarbeiten liegt im Bereich der Immun-Onkologie. Unser Hauptprodukt MGN1703 ist ein
Immunmodulator und TLR9-Agonist, der zu
einer starken Immunaktivierung führt. Dadurch wird das Immunsystem in die Lage
versetzt, Krebszellen zu erkennen und selbst
zu bekämpfen. Dieses Wirkprinzip ist unabhängig von der Krebsart und lässt sich
daher breit einsetzen. Um dieses Potenzial
zu nutzen, führen wir zwei klinische Studien
mit MGN1703 durch: eine Zulassungsstudie
bei Darmkrebs und eine randomisierte Studie
bei kleinzelligem Lungenkrebs. Zudem ist
das Präparat in den beiden Krebsindikationen in dem jeweiligen Therapiefenster die
am weitesten fortgeschrittene Krebsimmuntherapie, was uns einen entsprechenden
Wettbewerbsvorteil verschafft. Für MGN1703
ergibt sich daraus ein hohes Marktpotenzial,
das alleine für die beiden Indikationen Darmund Lungenkrebs im Blockbuster-Bereich
liegen dürfte.
MOLOGEN geht einen anderen Weg
Mit dem Börsengang 1998, unmittelbar
nach Unternehmensgründung, und ohne
spezialisierte Venture-Capital-Partner ist
MOLOGEN einen eher unüblichen Weg in
der Biotech-Finanzierung gegangen. Bislang wurde der Mittelbedarf vorrangig über
den Kapitalmarkt gedeckt. Seit Gründung
haben wir rund 100 Millionen Euro über
die Börse eingesammelt.
Schritt für Schritt …
Die Finanzierungshorizonte von BiotechUnternehmen sind in der Regel kürzer als in
anderen Industrien und richten sich häufig
nach dem Fortschritt der zu entwickelnden
Produkte. So haben auch wir seit Börsengang eine Vielzahl kleinerer Kapitalerhöhungen genutzt, um Schritt für Schritt unsere
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu
finanzieren. Wesentliche Erfolgsfaktoren
bei der Gewinnung von Investoren waren
und sind unverändert:
• Produkte und Technologien mit Alleinstellungsmerkmalen und hohem Marktpotenzial
• Nachweisliche Forschungsfortschritte
• Ein langfristig angelegtes Verhältnis zu
Ankeraktionären
Flexible Gestaltung der Kapitalerhöhung
Kapitalerhöhungen lassen sich grundsätzlich mit oder ohne Bezugsrechte gestalten.
Im Rahmen der im Sommer 2012 durchgeführten Kapitalerhöhung haben die bestehenden Aktionäre weitgehend von den
Bezugsrechten Gebrauch gemacht. Der
Brutto-Emissionserlös betrug rund 22 Millionen Euro.
… für Schritt
Bei der im Februar 2014 erfolgten Kapitalerhöhung haben wir uns hingegen bewusst
für eine zehnprozentige Kapitalerhöhung
im Rahmen einer Privatplatzierung unter
Bezugsrechtsausschluss entschieden, um
die Vorteile einer schnellen Umsetzung zu
nutzen. Die Vorbereitungen für den Start
der Zulassungsstudie mit unserer Krebsimmuntherapie MGN1703 waren bereits weit
fortgeschritten und namhafte internationale
Experten hatten zugesagt, an der Studie
teilzunehmen. Auch stand der Start der
randomisierten Studie in der Anwendung
gegen kleinzelligen Lungenkrebs unmittelbar bevor. Eine kurzfristige Umsetzung der
Kapitalerhöhung war nur möglich, da wir
auf die Prospekterstellung und auch die
Bezugsfrist für bestehende Aktionäre verzichten konnten. Zudem wollten wir gezielt
neue, qualifizierte Investoren ansprechen
und für ein Investment gewinnen. So konnten wir die neuen Aktien sowohl bei ausgewählten, bestehenden Aktionären als auch
bei neuen internationalen Investoren platzieren. Die schnelle Umsetzung der Kapitalerhöhung ermöglichte es uns, die Zulassungsstudie bei Darmkrebs bereits im dritten
Dr. Matthias Schroff,
CEO MOLOGEN AG,
Berlin
Quartal 2014 zu starten. Der Brutto-Emissionserlös betrug rund 16 Millionen Euro, die
vorrangig für die zwei Studien mit unserem
Hauptproduktkandidaten MGN1703 verwendet werden.
Internationalisierung unserer
Aktionärsbasis
Unser Ziel ist, unsere internationale Aktionärsbasis weiter auszubauen und unsere
Visibilität am Kapitalmarkt zu erhöhen. Für
uns heißt das: Wir sind nicht nur auf den
einschlägigen Fachkongressen in den USA
präsent, sondern intensivieren auch unsere
Investor-Relations-Aktivitäten. Roadshows
zu den wesentlichen internationalen Finanzplätzen in Europa und den USA zählen inzwischen zu unserem Standardprogramm.
Ausblick
Wir verfügen über eine sehr vielversprechende Basis: Unser Hauptprodukt, die
Krebsimmuntherapie MGN1703, befindet
sich bereits in der Zulassungsstudie bei
Darmkrebs und auch die klinische Studie bei
Lungenkrebs macht sehr gute Fortschritte.
Beide Indikationen versprechen ein sehr
attraktives Marktpotenzial. Dieses Potenzial
wollen wir nicht im Alleingang erschließen,
sondern mithilfe von Pharma-Partnern.
Die Einnahmen aus diesen Partnerschaften
werden uns zusätzlichen Handlungsspielraum für die Weiterentwicklung unserer gut
gefüllten Produktpipeline verschaffen.
www.mologen.com
Finanzierung | 41
Zahlen und Fakten – Europa
Kapitalaufnahme europäischer Biotech-Unternehmen
Europa mit starkem Aufholeffekt
Die Finanzierung der Biotech-Branche in
Europa hat erstmals seit Beginn der Finanzkrise wieder aus dem Tal der Kapitalmisere
herausgefunden. Insgesamt überschreitet
das Finanzierungsvolumen erstmals die
Hürde von sechs Milliarden Euro und landet
bei einem Allzeithoch von 7,04 Milliarden
Euro. Diese Zahl liegt sogar um 24 Prozent über dem Wert vor der Finanzkrise
2007.
Summe (Mrd. €)
7
1,19
6
0,23
5
1,68
4
1,39
3
0,47
Wichtig für diese Entwicklung ist, dass alle
Elemente der Eigenkapitalfinanzierung mit
deutlich gesteigerten Volumina zu diesem
Erfolg beigetragen haben: Venture Capital
für die Finanzierung privater Firmen konnte
um 32 Prozent zulegen und landete bei
1,53 Milliarden Euro. Damit hat die Stagnation über die letzten sechs Jahre mit stabilen Werten um eine Milliarde Euro ein Ende.
2,92
3,35
2
0,84
0,04
0,91
0,17
0,81
1,05
0,99
0,99
1,16
1,53
2009
2010
2011
2012
2013
2014
1,35
1,06
2007
2008
0
Fremdkapital
Börsengang
1,40
0,29
1,36
1
1,44
1,34
0,07
0,59
0,08
0,74
0,30
0,10
0,03
0,19
Kapitalerhöhungen an der Börse
Risikokapital
Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
Risikokapital in ausgewählten europäischen Ländern
Summe (Mio. €)
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
Deutschland
2012
UK
2013
Schweiz
Frankreich
Niederlande
Dänemark
Belgien
Irland
Österreich
Norwegen
2014
Quelle: EY, BioCentury und VentureSource
Ebenso zog der Kapitalmarkt deutlich an
(um 103 % auf 2,92 Mrd. €) und demonstrierte neues Interesse an Biotech-Werten.
Nicht zuletzt spiegelt sich das Kapitalmarktengagement auch in den 31 IPOs wider,
die das Kapital allein aus diesem Segment
um den Faktor 7,4 (637 %) nach oben
42
schnellen ließen. Selbst der nachlassende
Anteil der Fremdfinanzierungen, die ohnehin nur sehr wenigen großen Vertretern
der Branche zukommen, vermag den Gesamterfolg der Biotech-Finanzierung in
Europa nicht zu schmälern.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Venture Capital in Europa ungleich verteilt
Von der besonders erfreulichen Entwicklung des Venture Capital in Europa können
allerdings nicht alle Länder gleichermaßen
profitieren. Eindeutig dominieren Großbritannien und die Schweiz das Wachstum auf
VC-Seite durch sehr aktive Investoren und
die in diesen Ländern am ehesten ausgeprägte Kultur für Risikoinvestments. Dazu
trägt sicherlich auch bei, dass in beiden
Ländern der beispielsweise in Deutschland
zu beobachtende Trend zu geänderten Firmenausrichtungen (Technologien) und
Geschäftsmodellen (z. B. Service) und die
damit verbundene Unabhängigkeit von VC
weniger stark ausgeprägt ist.
Der Höhenflug in Großbritannien, der im
Vorjahr bereits ein VC-Wachstum von 26
Prozent aufwies, steigerte sich erneut um
sagenhafte 103 Prozent auf aktuell 447 Millionen Euro (155 % in 2 Jahren). Ähnlich
fulminant steigerte die Schweiz ihr Kapitalvolumen im VC-Bereich in den beiden letzten Jahren um 103 Prozent (jeweils 43
pro Jahr). Demgegenüber stagnierte die
VC-Finanzierung in den restlichen „großen“
europäischen Ländern oder fiel sogar zurück.
Somit muss vor diesem insgesamt sehr positiven Ergebnis im VC-Bereich aufgrund
der Ungleichverteilung auch ein nach wie
vor vorhandener Handlungsbedarf zur Verbesserung der Risikokapitalausstattung in
Europa ernsthaft verfolgt werden.
Risikokapitalfinanzierungen europäischer Biotech-Unternehmen, 2014 (Auswahl)
Unternehmen
Land
Volumen
(Mio. €)
Bekanntgabe
Runde
Investoren
Adaptimmune
UK
78,3
September
1
New Enterprise Associates, Fidelity Biosciences,
Foresite Capital Management, Merlin Nexus, Novo,
OrbiMed Advisors, QVT, Ridgeback Capital Management, Rock Springs Capital, University of Oxford,
venBio, Wellington Management Company, ungenannte
Investoren
Adapt Pharma
Irland
71,6
Mai
n / a
ungenannte Investoren
Biocartis
Schweiz
64,5
September
6
Hitachi Chemical, Johnson & Johnson Development
Corporation, PMV, ungenannte Family Offices
Cell Medica
UK
62,0
November
4
Imperial Innovations, Invesco Perpetual,
Woodford Investment Management
Glycotope
Deutschland
55,0
März
n / a
Eckert Life Science Accelerator, Jossa Arznei
NovImmune
Schweiz
49,4
Februar
5
Rosetta Capital, ungenannte Investoren
Ascendis Pharma
Dänemark
45,2
Dezember
3
OrbiMed Advisors, Sofinnova Ventures, Vivo Capital,
Janus Capital Management, RA Capital Management,
Rock Springs Capital, Venrock, Sectoral Asset Management, Sofinnova Partners
Cardiorentis
Schweiz
45,0
September
1
HealthCare Royalty Partners
NuCana BioMed
UK
42,9
April
4
Sofinnova Ventures, Alida Capital International,
Morningside Ventures, Scottish Enterprise,
Sofinnova Partners
ProQR Therapeutics
Niederlande
42,0
April
1
Sofinnova Partners, ungenannte Investoren
Enigma Diagnostics
UK
37,7
Oktober
n / a
Shanghai Debay Capital
Wilson Therapeutics
Schweden
30,1
April
2
Abingworth Management, MVM Life Science Partners,
HealthCap
Kymab
UK
30,1
Mai
2
Bill & Melinda Gates Foundation, Wellcome Trust
Nordic Nanovector
Norwegen
30,0
Juni
5
HealthCap, ungenannte Investoren
Anokion
Schweiz
27,2
Mai
1
Novartis Venture Fund, Novo Ventures,
Versant Ventures, private Investoren
Quelle: EY, BioCentury und VentureSource
Finanzierung | 43
Venture-Capital-Runden im Einzelnen
Die Dominanz Großbritanniens und der
Schweiz bei der VC-Verteilung in Europa ist
in der Liste der Finanzierungsereignisse
gut reflektiert. Die Top-15-Runden repräsentieren 47 Prozent des Risikokapitals
insgesamt. Jeweils rund ein Drittel der
Runden gingen an Großbritannien bzw. an
die Schweiz (33 %, 16 % des VC bzw. 27 %,
12 % des VC). Der Rest verteilt sich auf die
übrigen Länder, die nur mit jeweils einem
Investment in der Top-Liga vertreten sind
(z. B. Deutschland mit Glycotope).
Die Investoren der europäischen VC-Runden
rekrutieren sich zum Teil nur aus den länderansässigen VC-Fonds in Großbritannien,
44
der Schweiz, Deutschland etc. Vor allem in
der UK und der Schweiz steigen aber häufig auch ausländische Investoren mit ein.
Ebenfalls bringt die Runde von Ascendis
Pharma in Dänemark einige namhafte USInvestoren zusammen (OrbiMed Advisors,
Sofinnova Ventures, Rock Springs Capital
etc.). Und auch in der Schweiz traten in
den Runden von NovImmune (Rosetta
Capital, UK) oder Anokion (Versant
Ventures, US) externe Investoren an den
Verhandlungstisch.
In lediglich zwei Schweizer VC-Runden
waren auch Corporate VCs vertreten, wie
der Novartis Venture Fund (Anokion),
Johnson & Johnson Development Corpora-
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
tion / Hitachi Chemical (Biocartis). Dies ist
im Vergleich zum Vorjahr ein stark reduziertes Engagement der Pharma-Firmen
in VC-Konsortien.
Bis auf zwei Unternehmen, Biocartis /
Schweiz und Enigma Diagnostics / UK, sind
alle Top-15-Investments dem Therapeutikasektor zuzuordnen, wo große Volumina
erforderlich sind. Im Vergleich dazu sind
die meisten VC-Investments in Deutschland
eher klein geraten und deutlich heterogener auf Therapeutika, Diagnostika, Services
etc. verteilt.
Die IPO-Party von TVM Capital –
Ein Zeichen für die Zukunft?
Ernte einfahren
Ja, nach vielen, an Börsengängen mageren
Jahren und gleichzeitiger Entschleunigung
des M&A-Marktes konnten wir im Laufe
der letzten beiden Jahre die Früchte einer
konsistenten und vor allem beharrlichen
Investitionsstrategie ernten. Seit langem
schon richten wir unsere Beteiligungen nach
folgenden Kriterien aus: Fokus, Kostenbewusstsein und Unabhängigkeit (Unabhängigkeit von kraftraubenden und unter
Umständen unberechenbaren weiteren
Finanzierungsrunden).
Süße Früchte
Letztes Jahr im Frühling sahen wir uns endlich belohnt. Enanta Pharmaceuticals, ein
Unternehmen, das wir praktisch 1999 mitbegründet hatten, ging erfolgreich an die
Börse, gefolgt von bluebird bio ein paar
Monate später. Früh im Jahr 2014 folgten
Argos Therapeutics und Concert Pharmaceuticals, im Oktober dann Proteon Therapeutics und Probiodrug – der erste Börsengang eines deutschen Biotech-Unternehmens aus unserem Portfolio seit 2006. Aus
unserer Sicht fast noch wichtiger waren
aber folgende Meilensteine: zwei neue Zulassungen für Medikamente, bei denen TVM
Capital als Lead- oder mindestens als CoLead-Investor beteiligt war. Gilead erhielt
die Zulassung für Sovaldi, ein HCV(Hepatitis-C-Virus)-Inhibitor der ursprünglich von
Pharmasset entwickelt wurde, sowie die
Zulassung für Vikiera Pak von AbbVie, ebenfalls ein neues HCV-Medikament auf der
Basis des ABT-450-Protease-Inhibitors von
Enanta. Diese Medikamente werden vielen
Millionen HCV-Patienten das Leben fundamental erleichtern und einen entsprechenden Umsatz erreichen.
Ein guter Grundstock und Geduld
zahlen sich aus
Aus unserer Sicht sind die oben genannten
Erfolge tatsächlich die Früchte einer richtigen Investitionsstrategie von vor zehn
Jahren. Wir haben an unseren Investitionsentscheidungen festgehalten und diese
Unternehmen lange (finanziell) begleitet,
bis diese Investments letztlich zum Erfolg
geführt werden konnten. Wenn man sich
die erfolgreichen IPOs genauer ansieht,
kommt man schnell zu dem Schluss, dass
das positive Ergebnis des Börsengangs
meist auch am Potenzial eines einzigen
Produktes festgemacht werden kann. Im
Grunde genommen handelt es sich hier
letztlich also auch um signifikante Projektfinanzierungen, nur mit etwas weniger
Fokus, Kostenbewusstsein und Unabhängigkeit, da die Unternehmen anfangs anders
aufgestellt waren.
Börsenplatz USA
Dass die meisten der erfolgreichen Börsengänge in den USA stattgefunden haben,
verwundert nicht: Verglichen mit Europa,
und umso mehr mit Deutschland, gibt es
dort mehr spezialisierte Investoren, mehr
spezialisierte Analysten und mithin einen
größeren Markt, der so bei uns nicht existiert. Dennoch sind auch bei uns die Bewertungen in einem Börsengang unter Umständen besser als bei einer neuen privaten Finanzierungsrunde. Dies hat das Beispiel
Probiodrug eindrucksvoll gezeigt.
Sorgt der Aufwind für ein Revival
der VC-Szene?
Das bedeutet für unsere Branche hierzulande
vor allem eines: Aufwind! Investoren sehen
Returns und werden wieder aufmerksam –
nicht nur auf die Branche sondern auch auf
die Anlageklasse. Das könnte ein Revival
der VC-Szene im Bereich Biotech bedeuten.
Und innovative Produkte und Plattformen,
deren Finanzierung sich lohnen würde,
gibt es in Deutschland und Europa allemal;
das war immer unsere feste Überzeugung.
Ein klares IPO-Fenster in Deutschland oder
Europa sehen wir bisher nicht, eher den
Versuch einiger junger Unternehmen, in
den USA den Börsengang zu schaffen, was
in vieler Hinsicht einen enormen Aufwand
bedeutet.
Dr. Hubert Birner,
Managing Partner
TVM Capital Life Science,
München
IPO oder M&A?
Für junge Biotech-Unternehmen wird ein
erfolgreicher Exit mit größter Wahrscheinlichkeit eher über eine M&A-Transaktion
laufen denn über einen Börsengang. Heute
sind Investoren nicht mehr geduldig, wollen
schneller Returns sehen. Das Ökosystem von
Dienstleistern, auf das ein Team mit einem
vielversprechendem Produkt zugreifen kann,
ist heute viel besser als noch vor zehn Jahren, so dass es sich unter Umständen einfach nicht lohnt, ein komplettes Unternehmen um ein Produkt herum aufzubauen. Die
Pharma-Industrie ist nach wie vor hungrig
auf Innovationen und bereit, diese ab einer
frühen Phase II zuzukaufen. Für Plattformtechnologien gilt nach wie vor das tradierte
VC-Modell – dort werden Unternehmen gebaut. Das haben wir immer betont.
Neue Wege – auch für VCs!
Wir sind so gesehen schon seit langer Zeit
auf dem Weg zu Projektfinanzierungen und
haben sie eigentlich auch schon lange vor
unserem neuen Fonds LSV VII gemacht –
nur haben wir jetzt unsere Investitionsstrategie entsprechend verfeinert und mit der
Partnerschaft mit Eli Lilly und Chorus, Lillys
Entwicklungsorganisation, in eine Form
gebracht, die unseren neuen Beteiligungen
einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bietet; und unseren Investoren den Return,
den sie verdienen. Auch VCs müssen innovativ sein.
www.tvm-capital.com
Finanzierung | 45
Finanzierung börsennotierter BiotechFirmen in Europa im Volumen verdoppelt
Fremdkapital bleibt wenigen SpecialtyPharma-Unternehmen vorbehalten
Hinter dem stark gestiegenen Gesamtvolumen der Kapitalerhöhungen von börsennotierten europäischen Biotech-Unternehmen steckt zum einen eine Mega-Runde
von QIAGEN. Diese ist alleine auf 549,9 Millionen Euro beziffert und macht somit
18,5 Prozent des Gesamtvolumens aus.
Die 1,19 Milliarden Euro Fremdkapital
bleiben in Europa nur sehr wenigen Unter-
Weiterhin dominiert aber erneut Großbritannien mit insgesamt acht Kapitalmaßnahmen und einem Volumen von fast 600 Millionen Euro (20 %) die Top-30-Liste. Hier
macht sich die breite Schicht an SpecialtyPharma-Unternehmen bemerkbar, die beträchtliche Summen an Eigenkapital am Kapitalmarkt einsammeln konnten (Sky Pharma, BTG, GW Pharmaceuticals etc.).
nehmen vorbehalten – meist sind es die
typischen Vertreter im Bereich Specialty
Pharma. Jazz Pharmaceuticals alleine
konnte fast 900 Millionen Euro einnehmen.
Folgefinanzierungen börsengelisteter europäischer
Biotech-Unternehmen, 2014 (Auswahl)
Unternehmen
Land
Volumen
(Mio. €)
Datum
Art
QIAGEN
Niederlande
549,9
12. März
Wandelanleihe
Jazz Pharmaceuticals
Irland
433,1
8. August
Darlehen
Jazz Pharmaceuticals
Irland
433,1
7. Januar
Darlehen
Meda
Schweden
222,7
10. Oktober
Rights offering
Alkermes
Irland
188,3
13. Januar
PIPE
BTG
UK
186,1
4. Dezember
PIPE
Obwohl Frankreich weder die Masse an
Specialty Pharma aufbieten noch auf VCSeite besonders hervorstechen konnte, reicht
es mit immerhin sieben Kapitalrunden in
den Top 30 und 457 Millionen Euro Erlös
(13 % des Gesamtkapitals) fast an Großbritannien heran. Durch die dahinter stehenden Unternehmen sind sehr unterschiedliche Kategorien abgedeckt: Dienstleister wie
Eurofins Scientific (150 Mio. €), Specialty
Pharma wie Flamel Technologies (91,1
Mio. €), Biopharma wie Innate Pharma
(50 Mio. €), Genfit (49,7 Mio. €), Transgene (45,5 Mio. €), Onxeo (40,7 Mio. €)
und ERYTECH (30 Mio. €). Selbst weniger
bedeutende Biotech-Länder wie Dänemark
oder Schweden kommen mit ihren BiotechAushängeschildern Genmab (133,8 Mio. €)
und Zealand Pharma (40,2 Mio. €) bzw.
Meda (222,7 Mio. €) und Orexo (93 Mio. €)
auf beträchtliche Summen. Hier liegt
Deutschland mit der 46-Millionen-Runde für
PAION deutlich zurück.
Eurofins Scientific
Frankreich
150,0
10. Juli
Bonds
SkyePharma
UK
138,9
31. März
PIPE
Genmab
Dänemark
133,8
23. Januar
PIPE
GW Pharmaceuticals
UK
95,2
17. Juni
Follow-on
Prothena Corporation
Irland
92,6
23. Juni
Follow-on
Flamel Technologies
Frankreich
91,1
6. März
Follow-on
Vectura Group
UK
64,5
13. März
PIPE
Orexo
Schweden
55,0
9. Mai
Bonds
Compugen
Israel
54,6
27. Februar
Follow-on
Innate Pharma
Frankreich
50,0
24. Juni
PIPE
Genfit
Frankreich
49,7
23. Juni
PIPE
PAION
Deutschland
46,3
18. Juni
Rights offering
Transgene
Frankreich
45,5
27. Februar
Rights offering
Ablynx
Belgien
41,7
30. Juni
PIPE
Onxeo
Frankreich
40,7
17. November
Rights offering
Zealand Pharma
Dänemark
40,2
12. Dezember
Bonds
Orexo
Schweden
38,1
29. August
PIPE
PIPEs bevorzugt
Evolva Holding
Schweiz
35,0
26. Februar
PIPE
Oxford BioMedica
UK
30,8
29. Mai
PIPE
ERYTECH Pharma
Frankreich
30,0
23. Oktober
Follow-on
Summit
UK
27,3
11. Februar
Rights offering
4D Pharma
UK
26,7
25. Juni
PIPE
Cardio3 BioSciences
Belgien
25,0
16. Juni
PIPE
Sinclair IS Pharma
UK
24,8
15. April
PIPE
Unter den Top-30-Finanzierungsereignissen
(85 % der Gesamtsumme) stellen PIPEs die
bevorzugte Kapitalmaßnahme der europäischen Biotech-Unternehmen dar; mit 50
Prozent der Ereignisse (14) kommen sie
auf eine Gesamtsumme von 1.033 Millionen
Euro (30 % des Top-30-Volumens). Dennoch
sind Rights offerings und klassische Followons ebenfalls im Kommen (zusammen 10
Events mit 746 Mio €; 22 % der Top 30).
46
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Quelle: EY, BioCentury und Capital IQ
Zahlen und Fakten – USA
Finanzierung in den USA schlägt
alle Rekorde
Mit einem neuen Rekordergebnis kann der
amerikanische Biotech-Sektor aufwarten.
Nicht nur, dass das Gesamtergebnis mit
über 45 Milliarden US-Dollar weit jenseits
aller früherer Zahlen liegt. Auch alle Kategorien von VC über IPOs, Kapitalerhöhungen an der Börse und Fremdkapital haben
durch ihre individuellen Steigerungen dazu
beigetragen.
Angefangen bei VC, das im Mittel über die
letzten Jahre durch die Finanzkrise stabil
bei etwa 4,5 Milliarden US-Dollar verharrt
hatte, stehen jetzt beeindruckende 5,6 Milliarden US-Dollar zu Buche – eine Steigerung um 30 Prozent in einem einzigen
Jahr. Natürlich hat das weit geöffnete Börsenfenster die VC-Branche beflügelt und
mit den Aussichten auf Exits neues Kapital
locker gemacht für Investments in junge
Start-ups und Anschlussfinanzierungen
der bereits weiter fortgeschrittenen Unternehmen.
Über die insgesamt 63 IPOs mit einem
Erlös von fast fünf Milliarden Euro (im
Mittel fast 80 Mio. US$ pro IPO) wurde
bereits berichtet. Diese Erfolgsstory hat
natürlich den gesamten Kapitalmarkt
weiter elektrisiert und somit auch die
Kapitalerhöhungen der bereits notierten
Unternehmen in die Höhe getrieben. Mit
15,4 Milliarden US-Dollar wurde auch
dort ein Rekordergebnis erzielt, das alleine
das Vorjahr um 30 Prozent übertrifft.
Kapitalaufnahme US-amerikanischer Biotech-Unternehmen
Summe (US$)
50
19,12
40
30
20
16,67
9,67
9,85
5,93
6,14
15,40
3,43
10
8,58
11,82
8,80
5,94
8,22
8,99
4,95
0,70
4,68
1,10
4,41
0,80
4,30
0,84
4,25
3,27
5,73
4,25
0,01
4,43
4,32
5,60
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
1,24
0
4,64
Fremdkapital
Börsengang
Kapitalerhöhungen an der Börse
Risikokapital
Quelle: EY, BioCentury, Capital IQ und VentureSource
Schließlich konnten auch die Fremdfinanzierungen, die für den US-Biotech-Sektor
aufgrund seiner größeren Reife eine deutlich relevantere Funktion haben, noch einmal enorm zulegen. Die niedrigen Zinsen
haben viele der großen Biotechs genutzt,
um günstige Darlehen im großen Stil für
Investitionsvorhaben einzusetzen. Die
Gesamtsumme stieg dabei auf fast 20 Milliarden US-Dollar (211 % Zuwachs).
Die Konsistenz dieser Steigerungen in allen
Finanzierungskategorien demonstriert eindrucksvoll die perfekt organisierte Kapitalnahrungskette von den Start-ups bis zu
den reifen Großunternehmen am Kapitalmarkt. Dadurch stimulieren sich die einzelnen Kettenglieder permanent selbst und
schaffen Durchlässigkeit für die Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette.
Finanzierung | 47
Börsengänge US-amerikanischer Biotech-Unternehmen, 2014
Unternehmen
Volumen (Mio. US$)
Unternehmen
Volumen (Mio. US$)
Juno Therapeutics
304,2
Histogenics
65,0
FibroGen
167,7
Immune Design (fka Vacsys)
64,9
Acucela
163,0
Glycomimetics
64,4
Bellicum Pharmaceuticals
160,6
Atara Biotherapeutics
63,3
Kite Pharma
146,6
Vitae Pharmaceuticals
63,3
Versartis
144,9
Cara Therapeutics
63,3
Ultragenyx Pharmaceutical
139,1
Vital Therapies
62,1
Dermira
125,0
SCYNEXIS
62,0
ZS Pharma
123,1
Roka Bioscience
60,0
Avalanche Biotechnologies
117,3
Eleven Biotherapeutics
57,5
Otonomy
115,0
Applied Genetic Technologies
57,5
Akebia Therapeutics
115,0
Pfenex
56,6
Revance Therapeutics
110,4
Radius Health
56,1
Zafgen
110,4
Corium International
52,0
Tokai Pharmaceuticals
105,3
Celladon
50,6
Dicerna Pharmaceuticals
103,5
Eagle Pharmaceuticals
50,3
Sage Therapeutics
103,5
Argos Therapeutics
49,8
Auspex Pharmaceuticals
96,6
Adamas Pharmaceuticals
49,3
Concert Pharmaceuticals
93,1
Marinus Pharmaceuticals
46,1
Coherus Biosciences
91,9
CareDx
42,2
Alder Biopharmaceuticals
88,8
ContraFect
41,3
Achaogen
82,8
Amphastar Pharmaceuticals
40,9
Calithera Biosciences
80,0
Dipexium Pharmaceuticals
38,0
Loxo Oncology
76,8
NephroGenex
37,2
Flexion Therapeutics
74,8
Recro Pharma
34,5
Proteon Therapeutics
70,3
Minerva Neurosciences
32,7
Ardelyx
69,0
Ruthigen
19,2
Cerulean Pharma
67,0
Biocept
19,0
Trevena
66,6
GlobeImmune
17,3
Genocea Biosciences
66,0
Aldeyra Therapeutics
12,0
T2 Biosystems
65,8
Signal Genetics
8,5
Neothetics
65,1
Quelle: EY, Capital IQ, BioCentury und VentureSource
48
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Innovation und Wachstum brauchen
Eigenkapital – über die Börse?!
Warum den Schritt an die Börse wagen?
Als Innovationsmotoren sind Life-ScienceUnternehmen (Biotech, Health, Pharma,
Medtech) unschlagbar. Viele haben die Börse
bereits für sich als Weg der Eigenkapitalfinanzierung entdeckt und auf diese Weise
ihren strategischen Spielraum für Innovation und Wachstum erweitert. Die Vorteile
der Strategieoption IPO im Vergleich zu
M&A und Private Equity sind bekannt. Fortlaufender Zugang zu institutionellen Investoren, tägliche Bewertung und Handelbarkeit, hohe Attraktivität für Management und
Schlüsselpersonen, die Aktie als Incentivierungsinstrument und neue liquide M&AWährung und Vieles mehr. Zudem ist die
IPO-Option derzeit en vogue. So ist die Exitaktivität über IPO für Private-Equity- oder
VC-Geber in Europa auf einem Zehn-JahresRekordniveau. Für viele Unternehmer stellt
sich im Rahmen der Strategieoption IPO die
Kernfrage: Sind wir kapitalmarktfähig und
darauf gut vorbereitet?
Kapitalmarktfähigkeit prüfen im
IPO Readiness Assessment
Eigentümer und die Geschäftsleitung wollen
sich deshalb aus erster Hand informieren,
die kritischen Punkte und Pfade besser verstehen und erfahren, welche Aspekte wichtig
für einen starken Auftritt im Kapitalmarkt
sind. Der erfolgreichste Weg, frühzeitig
Antworten hierauf zu finden, ist ein strukturierter und ganzheitlicher Ansatz zur Prüfung der Kapitalmarktfähigkeit – kurz: IPO
Readiness Assessment. Dieses gibt aktuelle
Einblicke, eröffnet Transparenz über die
Anforderungen, trainiert das interne Team
und führt Unternehmer im Rahmen eines
initialen Workshops strukturiert durch wichtige Bereiche im Unternehmen, die für einen
erfolgreichen Börsengang notwendig sind.
Deshalb werden auch in der Strategiediskussion des IPO-Readiness-Workshops grundlegende Fragen geklärt. Mit dem vorsichtigen
Abwägen der Vor- und Nachteile stellt sich
zunächst die Frage: Ist der Börsengang der
richtige nächste Schritt? Warum geht man
an die Börse? Beide Antworten sind fundamentale Aspekte, nicht nur für Eigentümer,
sondern auch für den Erfolg des Börsengangs. Denn sie zählen zu den ersten Fragengebieten von Investoren am Kapitalmarkt.
Den „richtigen“ Börsenplatz kennen
lernen im IPO Destination Assessment
Fast regelmäßig, so zeigen es einige prominente Beispiele im Life-Science-Sektor, wird
auch die Frage nach dem relevanten Börsenplatz gestellt. Weltweit gehen ca. 11 Prozent
der Unternehmen nicht an die Börse ihres
Heimatmarktes. Dabei ist der Life-ScienceSektor bei Cross Border IPOs mit fast 17 Prozent besonders aktiv. Gründe, den Börsengang im Ausland zu unternehmen sind vielfältig, bestimmen sich aus einer Vielzahl
von Faktoren und resultieren aus einem Mix
an verschiedenen Perspektiven. Dabei werden Kriterien in den Bereichen Strategie,
Bewertung und Kosten sowie die Präferenzen von Life-Science-Unternehmen individuell im Rahmen des IPO Destination Assessments evaluiert. Besonders die USA haben
in den letzten zwei Jahren eine besondere
Anziehungskraft. Hier werden insbesondere
die regulatorischen Unterschiede und ihr
Einfluss auf die Corporate Governance und
internen Strukturen und Prozesse in der
Zeit nach dem Börsengang diskutiert. Eine
Patentantwort auf die Frage des „richtigen“
Börsenplatzes gibt es nicht und entscheidet
sich immer unternehmensindividuell. Für
das IPO Readiness Assessment ist der Börsenplatz eine wichtige Annahme. Aus den
Antworten zur geeigneten Börse innerhalb
des relevanten Marktplatzes und zum passenden IPO-Segment leiten sich nämlich die
Prüfpunkte aus den jeweiligen Kapitalmarktanforderungen ab. Zudem haben Investoren
besondere Anforderungen an Cross-BorderIPOs.
Entscheidungen treffen mit dem IPO
Readiness Assessment Result Report
Das Ergebnis des Assessments ist oft auch
Basis für die Entscheidung im Gesellschafterkreis. Eine Bestandsaufnahme nimmt die
Fitness des Börsenkandidaten auf. Dabei wird
die Leistungsfähigkeit verschiedener Disziplinen, Prozesse und Infrastrukturen erfragt,
die für die Erfüllung von Pflichten und für
die Kür am Kapitalmarkt wichtig sind. Ergebnis ist ein ausführlicher IPO Readiness
Assessment Result Report, der die Annahmen des potenziellen Börsengangs zunächst
definiert, den aktuellen Status in den verschiedenen Bereichen aufnimmt, diesen mit
der Zielstruktur den Anforderungen des
Kapitalmarktregelbetriebs abgleicht und
daraus die zu schließenden Lücken auf-
Dr. Martin Steinbach,
EMEIA IPO Leader EY,
Eschborn
zeigt. Zudem beinhaltet er konkrete Empfehlungen und einen möglichen Zeitplan für
die interne Umsetzung mit dem Ziel der
Kapitalmarktfähigkeit.
Gute Vorbereitung zahlt sich aus
Ein Börsengang bedeutet immer einen Schritt
in die Kapitalmarktöffentlichkeit, der gut
durchdacht und geplant sein will. Dabei zahlt
sich, wie viele Beispiele zeigen, eine rechtzeitige und gute Vorbereitung in der Regel
12 bis 18 Monate vor dem geplanten Börsengang aus. Das betrifft besonders den Kapitalmarkt, der sich in den letzten Jahren fundamental verändert hat. Umso wichtiger sind
aktuelles Sektor- und Transaktions-Knowhow und ein Netzwerk von relevanten Intermediären und Institutionen für Auswahlprozesse. Dies eröffnet zugleich neue Chancen
für Life-Science-Unternehmen, die Transaktionssicherheit in turbulenten Kapitalmärkten
aktiv zu gestalten und zu erhöhen. Das erreicht man und zahlt sich aus durch strukturierte und ganzheitliche Vorbereitung des
Börsengangs mit Experten, z. B. im IPO
Readiness Assessment.
www.ey.com/de/ipo-and-listing
Finanzierung | 49
Transaktionen
50
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Deutsche Erfolgsgeschichten in verschiedenen Rollen
Aushängeschilder
CureVac – Top-Allianz in Deutschland
mit Boehringer Ingelheim
Die Analyse der Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen über die letzten Jahre
hatte die Bedeutung von Technologieplattformen als Basis attraktiver Deals in den
Mittelpunkt gestellt. In der aktuellen Betrachtung von Allianzen mit Beteiligung
deutscher Firmen lassen sich allerdings
hervorragende Beispiele für eine viel
größere Bandbreite an Transaktionen
erkennen. Dies macht die betreffenden
Unternehmen tatsächlich zu Aushängeschildern, die eine genauere Beschreibung
verdienen.
Der 2014 mit 465 Millionen Euro am höchsten dotierte Deal in Deutschland zwischen
CureVac und Boehringer Ingelheim zeigt,
dass Wertschöpfung auch in Deutschland
funktionieren kann. Er vereinigt gleich
mehrere Kriterien erfolgreicher Allianzen:
• Innovative Technologieplattform der
RNA-Vakzine zur Behandlung von Krebs
• Fortgeschrittenes Phase-IIa-Lead-Produkt
mit gezeigten klinischen Effekten (spezifische Immunantwort)
• Attraktive Zahlungen (35 Mio. € Upfront,
430 Mio. € Meilensteine)
Der Vorgänger CV9201 der auslizenzierten
RNActive®-Immuntherapie CV9202 wurde
im Rahmen einer Phase-I -/ IIa-Studie bei
Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) Stadium IIIB / IV geprüft,
deren Tumor nach einer platinbasierten
Erstlinien- oder Radiochemotherapie zumindest stabil war. CV9202 besteht aus
mRNA, die für sechs tumorassoziierte Antigene kodiert. Mit dem Einstieg der GatesStiftung bei CureVac (März 2015) erfährt
die RNA-Plattform aktuell weitere Aufmerksamkeit.
Ausgewählte Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen, 2014 / 2015
Firma
CureVac
Phenex
Pharmaceuticals
MorphoSys
Apogenix
BRAIN
BRAIN
Partner
Boehringer
Ingelheim
Gilead Sciences
Emergent
BioSolutions
AbbVie
BASF
Seltenerden
Storkwitz
Land
Deutschland
USA
USA
USA
Deutschland
Deutschland
Datum
18. Sept. 2014
6. Jan. 2015
19. Aug. 2014
Oktober 2014
25. Feb. 2014
19. März 2014
Deal-Fokus
Produkt/Plattform Produkt/Plattform Produkt/Plattform Produkt
–
Plattform
Präklinik
–
–
Therapeutischer Phase I
Status
Phase II
Krankheitsgebiet
Lungenkarzinom
Nicht-alkoholische Prostatakrebs
Steatohepatitis
und andere Lebererkrankungen
Onkologie
Industriell
Industriell
Potenzieller
Wert (Mio. €)
465,0
395,9*
137,9
n / a
n / a
n / a
Upfront-Zahlungen (Mio. €)
35,0
ja
15,1
n / a
n / a
n / a
Meilensteine
(Mio. €)
430,0
ja
122,8
n / a
n / a
n / a
Royaltys
ja
nein
ja
n / a
n / a
n / a
Gegenstand
Weltweite Lizenzund Kooperationsvereinbarung
zur Entwicklung
des mRNA-basierten therapeutischen Impfstoffs CV9202
Verkauf des aus
Small-MoleculeXFR-Agonisten
bestehenden
Farnesoid-XRezeptorprogramms
Entwicklung und
Vermarktung des
mit Hilfe der
ADAPTIR™-Plattform entwickelten
bispezifischen
anti-PSMA / antiCD3-Antikörpers
ES414
Lizenzvereinbarung zur Weiterentwicklung
des TRAIL-Rezeptoragonisten
APG-880
Übernahme des
gemeinsam erarbeiteten Patentund Gebrauchsmusterportfolios
von Anti-Bitterstoffen
Kooperation
auf dem Gebiet
der biotechnologischen Anreicherung seltener
Erden
Präklinik
* 470 Millionen US-Dollar (Umrechnungskurs vom 6. Januer 2015 aufgrund der extremen Währungsschwankungen US$ / ¤)
Quelle: EY
Transaktionen | 51
Phenex Pharmaceuticals – Forschungsqualität, Hartnäckigkeit und der richtige
Riecher zahlen sich aus
Der am Ende des Berichtsjahres 2014 noch
final unterzeichnete Deal von Phenex Pharmaceuticals mit Gilead Sciences (Presseerklärung vom 6. Januar 2015) zeichnet
sich ebenfalls durch besondere Merkmale
aus:
• Deal nicht mit Big Pharma sondern mit
einem Big-Biotech-Unternehmen, das
wegen seiner ausgewiesenen Expertise im
Bereich der Lebererkrankungen als Partner gewählt wurde
• Verkauf eines kompletten F&E-Programms
an den großen Partner, der alle weiteren
Aktivitäten übernimmt
• Attraktive Deal Terms (470 Mio. US$)
trotz des noch präklinischen Entwicklungsstadiums
• Neues innovatives Target (FXR), das erst
in jüngster Zeit den Durchbruch erzielen
konnte und nun sehr gefragt ist, wobei nur
eine weitere Firma (Intercept Pharmaceuticals / USA) ebenfalls einen vielversprechenden Ansatz hat
• Phenex profitiert vom enormen Erfolg
seines härtesten Konkurrenten Intercept
Pharmaceuticals, der in den USA 2012
einen sehr erfolgreichen IPO hatte und
dessen Marktkapitalisierung zeitweise auf
neun Milliarden US-Dollar stieg
Phenex ist es damit gelungen, ihr Modell
der Validierung neuer Target-Klassen
(Kernrezeptoren) bis zur Identifizierung
von Wirkstoffen zu replizieren. Dem Deal
mit Janssen Biotech 2012, in dem es ebenfalls um ein neues Target (RORγγ T) ging,
folgt nun ein ähnlicher Deal, allerdings mit
deutlich größerem Preisschild. Mit dem eingenommenen Kapital wird Phenex weitere
innovative Ansätze in der eigenen Forschung
voranbringen können. Bis zum nächsten
großen Deal? Somit etabliert sich bei Phenex
ein Geschäftsmodell, das vor allem auf die
exzellente Qualität der eigenen Forschung
setzt, um neue Targets zu validieren und
entsprechende Wirkstoffe zu identifizieren,
die dann möglichst lukrativ an die PharmaIndustrie zur Entwicklung weitergegeben
werden.
52
Apogenix – erfolgreicher Deal mit
„second line asset“
Nach der sehr erfolgreich verlaufenen PhaseII-Studie des Lead-Produktes APG101 in der
Behandlung des Glioblastoms hatte man
einen lukrativen Deal zur weiteren Entwicklung dieses Wirkstoffs in der Phase III erwartet. Stattdessen überraschte Apogenix
nun durch eine Allianz mit AbbVie, in der es
um den Wirkstoff APG-880 (TRAIL-Agonist)
zur Behandlung solider Tumore geht. Diese
Vereinbarung ist umso erstaunlicher, als
die Wirksubstanz bisher erst präklinisch
untersucht wurde.
Evotec – erneut ein Serientäter
Mit insgesamt zehn neuen Plattform-Deals
unterstreicht Evotec seine Führungsposition
auf dem Gebiet der Prozessplattformen.
Dabei fallen die neuen Allianzen einerseits
dem EVT-Execute-Typ zu:
• Panion / Convergence Pharmaceuticals
(Schmerz)
• Shire (Morbus Fabry)
• Padlock Therapeutics (Autoimmunerkrankungen)
• Eternygen (Stoffwechselerkrankungen)
• C4X Discovery (3D-Modelle)
Leider haben beide Firmen vereinbart, zu
dieser frühphasigen Allianz keine weiteren
Details zu kommunizieren.
Andererseits gab es Allianzen im EVTInnovate-Modell, unter das vor allem auch
akademische Zusammenarbeiten fallen:
Apogenix beschäftigt sich in der Forschung
mit neuartigen Proteinwirkstoffen zur Beeinflussung verschiedener TNFSF(Tumornekrosefaktor-Superfamilie)-abhängiger
Signalwege. Einige dieser Faktoren (z. B.
TRAIL) können in Tumorzellen direkt Apoptose auslösen oder über die Stimulation
von Immunzellen zur Bekämpfung von
Krebszellen beitragen. Faktoren dieser Protein-Superfamilie stellen somit vielversprechende Kandidaten zur Behandlung von
Krebs dar.
• Debiopharm Group (Onkologie)
• Fraunhofer-Institut (verschiedene Krankheiten, Drug Discovery)
• Medicines for Malaria Venture (Malaria)
• Ohio State University (Onkologie)
MorphoSys – ein deutsches BiotechUnternehmen auf der Seite von „Big
Biotech“
MorphoSys begibt sich durch seinen Deal
mit der US-amerikanischen Emergent
BioSolutions erstmals auf die Seite des
„großen“ Partners für die gemeinsame Entwicklung eines bispezifischen Antikörperwirkstoffs zur Behandlung von Prostatakrebs. Es handelt sich dabei ebenfalls noch
um ein präklinisches Projekt, für das sich
MorphoSys neben 20 Millionen US-Dollar
Upfront zu weiteren Meilensteinzahlungen
entlang der Entwicklungserfolge verpflichtet hat.
Des Weiteren erkannte MorphoSys aber
auch, dass seine proprietäre HuCAL®-Plattform „in die Jahre“ gekommen ist und
frischte das Portfolio in einem weiteren
Deal, ebenfalls als Käufer, auf: Die Lanthipeptid-Plattform von Lanthio Pharma
wurde übernommen.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Besonderes Aufsehen erzeugte die Pressemeldung im März 2015 über eine weitreichende Zusammenarbeit mit dem französischen Pharma-Konzern Sanofi, aus
der Zahlungen von mindestens 250 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren
resultieren und mehr als 40 Millionen Euro
Upfront. Der Schwerpunkt liegt hierbei zunächst auf der Krebsforschung. Sanofi ist
im Erfolgsfall für die klinische Entwicklung
und die Vermarktung verantwortlich.
Evotec erwirbt außerdem eine Forschungsstätte in Toulouse mit mehr als 200 Wissenschaftlern und plant, die Substanzbibliotheken von Evotec und Sanofi zu kombinieren.
So wollen die Hamburger die Effizienz in der
Wirkstoffforschung und der präklinischen
Entwicklung steigern. Mit der Zusammenarbeit soll auch eine Brücke zu akademischen
Einrichtungen in Frankreich entstehen.
BRAIN – der Serientäter der
Bioökonomie
Ähnlich aktiv wie Evotec in der roten bewegt
sich BRAIN in der industriellen Biotechnologie. Auch hier geht es um Plattformen, die
auf Basis mikrobieller Systeme Anwendungen in unterschiedlichsten Industrien finden.
Die Strategie von BRAIN hat sich nun dahingehend weiterentwickelt, dass diese Anwendungen nicht wie in der Vergangenheit
vornehmlich in Service-Partnerschaften ausgestaltet werden, sondern dass das Unternehmen bestrebt ist, komplette Wertschöpfungsketten durch den Zukauf von Unternehmen in eigener Regie aufzubauen und
an die erfolgreichen Plattformen als Marktventil anzubinden.
In diese Kategorie fällt die Akquisition des
Enzymherstellers WeissBioTech, der nun
für die innovativen Ansätze bei BRAIN zur
Identifizierung und spezifischen Optimierung von neuen Enzymen einen Marktauslass bietet. Des Weiteren fällt in diese Kategorie auch die Übernahme von Anteilen
an der Seltenerden Storkwitz, welche die
Förderung seltener Erden betreibt und
durch BRAIN eine innovative Prozessverbesserung durch den Einsatz genetisch
optimierter Mikroorganismen erfährt.
Weitere Allianzen bzw. Übernahmen der
Anteilsmehrheit betreffen AnalytiCon
Discovery zur Komplettierung der Naturstoffseite und eine Vereinbarung mit der
BASF zur Übernahme des BitterstoffPatentportfolios.
Transaktionen | 53
CureVac – Von einer innovativen
Technologieplattform zum Markt
Von der Idee zum Ziel – der Weg der
Überzeugung
Die Nukleinsäure RNA – das älteste Biomolekül der Welt – medizinisch zu nutzen, galt
lange Zeit als unmöglich. Richtig aber ist,
dass mRNA medizinisch eingesetzt werden
und die heutigen Therapiemöglichkeiten
grundlegend verändern kann. Das Besondere
an CureVacs Ansatz ist, dass wir das natürliche Molekül Messenger-RNA in chemisch
unmodifizierter Form als Informationsträger
für die Bauanleitung von Proteinen verwenden. Auf diese Weise wird der Körper in die
Lage versetzt, seine eigene maßgeschneiderte Medizin gegen eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheiten herzustellen. Zudem können Medikamente auf Basis unserer
mRNA schnell, d. h. innerhalb weniger Wochen, und kostengünstig produziert werden
und benötigen bei Transport und Lagerung
keine Kühlung.
Reif für Pharma
Mit Pioniergeist und Überzeugungsarbeit ist
es uns gelungen, nicht nur die natürlichen
Strukturen der mRNA für den Einsatz in der
Medizin zu optimieren und die hierauf basierten Wirkstoffe in klinischen Studien mit
bisher mehr als 300 Menschen zu testen,
sondern bereits 2006 auch die weltweit
erste GMP-Produktionsanlage für RNA-Wirkstoffe zu etablieren. Seit Gründung der Gesellschaft 2000 arbeiten wir kontinuierlich
daran, das gesamte medizinische Potenzial
der mRNA auszuschöpfen. Auf Basis des
immer gleichen Prinzips entwickeln wir
Krebsimmuntherapien, prophylaktische
Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten und
molekulare Therapien. Unser Ziel ist es, auf
Grundlage unserer Technologie das weltweit erste mRNA-basierte Medikament zeitnah auf den Markt zu bringen. Es versteht
sich von selbst, dass es zur Erreichung
dieses Ziels der richtigen Partner auf Gesellschafter-, Mitarbeiter- und eben auch
Kooperationsebene bedarf. Insofern freuen
wir uns, dass wir aufgrund unseres langjährigen tiefen Verständnisses der mRNATechnologie, der beharrlichen Weiterentwicklung unserer Plattform sowie der damit
einhergehenden umfangreichen und validierten Patentpositionen und Datenlage
nunmehr zusammen mit unseren Kooperationspartnern unserem gemeinsamen Ziel
der zugelassenen mRNA-basierten Produkte
entscheidende Schritte näher kommen.
54
Kooperation mit Boehringer Ingelheim:
Gemeinsam voran in der Krebstherapie
In dem am weitesten entwickelten Bereich
unserer Technologieplattform, der Krebsimmuntherapie, haben wir unsere ersten
Produktkandidaten in der klinischen Entwicklung zur Behandlung des Prostatakarzinoms sowie des nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms (NSCLC) getestet. Auf
Grundlage dieser Daten konnten wir im
September 2014 veröffentlichen, was uns
bis dahin intern schon einige Zeit intensiv
beschäftigt hat: Boehringer Ingelheim hat
unseren immuntherapeutischen AntigenCocktail CV9202 zur Behandlung von NSCLC
exklusiv einlizenziert. Neben den damit verbundenen möglichen Zuflüssen von insgesamt bis zu 465 Millionen Euro ist für uns
noch bedeutender, dass Boehringer Ingelheim unseren Wirkstoff in mindestens zwei
Produktentwicklungen in enger Zusammenarbeit mit uns klinisch weiterentwickeln und
schließlich kommerzialisieren wird. Von
dieser Partnerschaft wird auch unsere im
Oktober 2013 geschlossene Zusammenarbeit mit dem Ludwig Institute for Cancer
Research in New York erfasst, mit welchem
eine klinische Studie mit dem an Boehringer
auslizenzierten NSCLC-Cocktail mit einem
Checkpoint-Inhibitor als weitere vielversprechende immuntherapeutische Kombinationstherapie derzeit in Planung ist. Ein
großer Vertrauensbeweis für uns ist zudem,
dass die Produktion des Wirkstoffs weiterhin
bei uns verbleibt. Das heißt, auch bei einer
Vermarktung werden wir es produzieren.
Bill & Melinda Gates Foundation
als Gesellschafter: Gemeinsam voran
in der Infektiologie
Mit Blick auf den hohen Kapitalbedarf, u. a.
für den Aufbau einer industriellen Produktionsanlage nach GMP-Standard, haben wir
uns sehr gefreut, im Frühjahr dieses Jahres
eine Finanzierungsrunde unter Beteiligung
der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF)
sowie unseres langjährigen Gesellschafters
dievini Hopp in Höhe von insgesamt 67 Millionen Euro abschließen zu können. Die Beteiligung von Bill Gates‘ Stiftung ist getragen
von ihrer grundlegenden Überzeugung von
dem Potenzial unserer RNA-Technologie
und deren großen Einsatzmöglichkeiten
in Entwicklungsländern – gerade auch im
Hinblick auf den dort bestehenden enormen Kostendruck. Insofern wird die BMGF
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Franz-Werner Haas,
Chief Corporate Officer,
CureVac GmbH,
Tübingen
zusätzlich zur Eigenkapitalbeteiligung zahlreiche Programme zur Entwicklung von
Impfstoffen gegen virale, bakterielle und
parasitäre Infektionskrankheiten auf Grundlage unserer RNActive®-Technologieplattform finanzieren. Die Vermarktungsrechte
der entsprechenden Impfstoffe außerhalb
der Entwicklungsländer verbleiben bei uns.
Ausblick in eine vielversprechende
Zukunft
Für uns sind Transaktionen wie die mit
Boehringer Ingelheim oder der BMGF nicht
nur große und wichtige Erfolge, sondern
auch enorm wichtige Meilensteine beim
Ausbau unserer Technologieführerschaft.
Sie zeigen, dass unser natürlicher mRNAbasierter Ansatz für Pharma-Unternehmen
sowie NGOs so attraktiv und mittlerweile
auch validiert ist, dass derart hochkarätige
Vertragsabschlüsse möglich sind. Die Frage,
ob die RNA-Technologie medizinisch genutzt
werden kann und entsprechende Marktreife
erlangen wird, stellt sich heute längst nicht
mehr. Dies belegen nicht nur die klinischen
Ergebnisse unserer Produktkandidaten,
sondern auch der zunehmende mit Partnerschaften und hohen Investitionssummen
betriebene internationale Wettbewerb in
diesem Bereich. Offen ist noch, wer das
Rennen macht und den ersten mRNA-basierten Wirkstoff auf den Markt bringt. Doch
wir sehen uns in einer guten Position dies
als Technologieführer mit überzeugenden
Daten und aussagekräftigen Partnerschaften zu schaffen.
www.curevac.com
The show will go on: Phenex verkauft ihr
FXR-Programm zur Behandlung von NASH
für bis zu 470 Millionen US-Dollar an Gilead
Play it again, Sam
Im EY Biotechnologie-Report 2013 haben
wir unsere große Kooperation mit Janssen
vorgestellt. Der Beitrag endete mit den
Worten „… so heißt es dann hoffentlich in
ein bis zwei Jahren für Phenex: Play it
again, Sam!“. Nun, „Uncle Sam“ hat tatsächlich wieder aufgespielt. Auch bei unserem
Großdeal mit Gilead, den wir Anfang dieses
Jahres veröffentlicht haben, handelt es sich
erneut um eine US-Firma. Gibt es da Parallelen zu dem ersten Deal? Ist das eine wiederholbare Business-Strategie für deutsche
Biotech-Firmen, gar womöglich mit Vorbildcharakter?
Der Deal
Zunächst einmal ein wenig Hintergrund zu
dem Gilead-Deal, dessen Wert sich inklusive
der Meilensteinzahlungen auf bis zu 470 Millionen US-Dollar beziffert. Wir haben an
Gilead unser komplettes Programm des
Targets FXR (=Farnesoid X Receptor, ein
Gallensäurerezeptor aus der Klasse der
Kernrezeptoren), d. h. alle Patente und alle
Substanzen in der Forschung und Entwicklung inklusive aller Daten verkauft und
übertragen. Zusätzlich wurde ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, der Gilead einen
exklusiven Zugriff auf unser Know-how und
unser FXR-Team für eine begrenzte Zeit ermöglicht. Damit ermöglichen wir unserem
Partner einen „Jump start“ in ein Entwicklungsprogramm für nichtalkoholische Steatohepatitis, abgekürzt als „NASH“.
Die Krankheit
NASH-Patienten leiden unter einer entzündeten Fettleber und haben ein deutlich
erhöhtes Risiko im Vergleich zu Gesunden,
dass sie Leberfibrose bzw. -zirrhose oder
gar Leberkrebs bekommen. Die Anzahl von
Leberkrebsfällen, die nicht den klassischen
Ursachen Virushepatitis oder Alkohol, sondern eben NASH zuzuordnen sind, steigt
sprunghaft. Und es gibt außer Lebertransplantation keine zugelassene Therapie für
diese sich pandemieartig ausbreitende
Zivilisationskrankheit.
Die Konkurrenz
Intercept Pharmaceuticals hat Anfang 2014
sehr überzeugende Daten aus einer PhaseIIb-Studie mit ihrem FXR-Agonisten vorgelegt, die die durchschlagende Wirksamkeit
des Targets FXR in dieser Indikation belegen.
Intercepts Börsenwert schoss – nur auf Basis
dieses einen Wirkstoffs – daraufhin kurzzeitig auf neun Milliarden US-Dollar hoch.
Das Target FXR gilt seitdem als validierter
klinischer Ansatz, nur: Außer Intercept und
uns, der Phenex, gab es weltweit keine andere Firma, die auf dieses Target für NASH
gesetzt hatte. Aufgrund Intercepts hoher
Marktkapitalisierung kamen viele Anfragen
auf uns zu. Wir haben uns mit Gilead einen
Partner ausgesucht, der nicht nur sehr
attraktive finanzielle Konditionen geboten
hat. Gilead ist vor allem auch die führende
biopharmazeutische Firma auf dem Gebiet
der Leberkrankheiten mit einem expliziten
Commitment zu weiteren Entwicklungen
in diesem Feld.
Die Parallelen
Insofern gibt es viele Parallelen zu dem ersten
großen Deal, bei dem wir unser RORγ-Programm, ein weiterer Kernrezeptor mit Bedeutung für chronisch-entzündliche Erkrankungen, mit Janssen, einer der führenden
Firmen auf genau diesem Gebiet, für bis zu
135 Millionen US-Dollar verpartnert hatten:
beides Kernrezeptoren, beides Mal die jeweiligen Leader auf ihrem Gebiet, beides
Mal US-Firmen und beides Mal auch recht
hohe Summen für präklinische Projekte.
Ist dies ein Patentrezept?
Zufall oder Prinzip? Nun, dass es sich jeweils
um führende US-Firmen handelt ist insofern
kein Zufall, weil die führenden Player gleich
welcher therapeutischer Ausrichtung meistens US-Firmen sind. Das gilt insbesondere
auch für neue therapeutische Ziele wie
NASH und neue Wirkmechanismen. Wir
haben mit sehr vielen Pharma- und BiotechFirmen in den letzten Jahren gesprochen
und man muss sagen, dass die US-Firmen
im Schnitt ein deutlich besseres Verständnis sowohl der wissenschaftlichen Inhalte
also auch der möglichen Markt-Opportunitäten und Deal-Strukturen mitbringen. Was
die Kernrezeptoren angeht, zeigt sich, dass
es sinnvoll sein kann, antizyklisch zu denken.
Die letzten zwanzig Jahre gab es kaum eine
erfolgreiche Entwicklung aus der Klasse der
„Nuclear Receptor Targets“. Diese Wirkstoffziele gelten als schwierig und schwer
berechenbar. Dem können wir aus eigener
Erfahrung nur zustimmen. Aber da liegt
auch die Chance für Biotechnologiefirmen:
nämlich genau hinzuschauen und sich tief
in die Wirkweise dieser „emerging Nuclear
Receptors“ einzuarbeiten. Genau das haben
Dr. Claus Kremoser,
Thomas Hoffmann,
CEO / CFO
Phenex Pharmaceuticals AG,
Ludwigshafen
wir in beiden Fällen, RORγ und FXR, über
Jahre hinweg getan und es hat sich gelohnt:
In beiden Fällen haben klinische Daten gezeigt, dass wir auf die richtigen Pferde gesetzt hatten. Dann kann man auch hohe
Preise verlangen, selbst für präklinische
Projekte.
Raus aus der Trüffelschweinrolle
Allerdings wollen wir dieses „Trüffelschwein“Spiel – also, dass wir als Biotech-Firma die
neuen duftenden Trüffel finden, sie zwar für
gutes Geld an Pharma verkaufen, das köstliche Gericht, sprich das Produkt am Markt,
dann aber von anderen zubereitet und verspeist wird – nicht mehr weitertreiben. Durch
den Erlös des ersten Deals mit Janssen
konnten wir uns eine große Finanzierungsrunde ersparen, aus dem Erlös des GileadDeals können wir nun unseren Investoren
ihren Einsatz gut verzinst zurückzahlen und
haben noch Mittel in neue Projekte zu investieren. Unser Ziel ist es somit, sich vom
anfänglichen Dienstleister über einen sehr
erfolgreichen präklinischen Dealmaker hin
zu einem Produktentwickler weiterzuentwickeln. Unsere relativ schmale Eigenkapitalbasis hat uns zu dieser evolutiven Strategie
gezwungen und wir haben auf jeder Stufe
Erfolge abgeliefert. Wir glauben, dass das
Beste noch kommt, können jetzt aber die
nötige Geduld und Gelassenheit dafür mitbringen. „It´s a long way to the top if you
want to rock and roll“ … und wir rocken in
dieser Branche gerne vorne mit.
www.phenex-pharma.com
Transaktionen | 55
MorphoSys in der „Big Biotech“-Rolle:
Hin zur „fully integrated biopharma company“
Aus Biotech wird Biopharma
Im Jahr 2008 hat sich MorphoSys entschieden, schrittweise zu einem BiopharmaUnternehmen mit hohem firmeneigenen
Entwicklungsanteil und langfristig kommerzieller Ausrichtung mit eigenem Vertrieb
reifen zu wollen. Erste Erfolge im Jahr 2013,
die Einbringung zweier Wirkstoffe in Allianzen, und die dadurch erzielte Wertsteigerung
des Unternehmens belegen das Potenzial
einer solchen Strategie. Nicht erst seit der
Verpartnerung dieser beiden therapeutischen Kandidaten befindet sich MorphoSys
auf der Suche nach Kollaborationen, die
Nachschub für die eigene Pipeline liefern
sollen.
Vom Lizenzgeber zum Lizenznehmer
Mit der Einlizenzierung zweier klinikreifer
Krebswirkstoffe von den US-Firmen Xencor
2010 und Emergent BioSolutions 2014
wurde die eigene Pipeline mit fortgeschrittenen Produktkandidaten bereichert.
MorphoSys, traditionell in einer Lizenzgeberrolle bekannt geworden, trat hier erstmals als Lizenznehmer auf und ging auch
umfangreiche finanzielle Verpflichtungen
in Form von Meilensteinen und Tantiemen
an die Partner ein. Gelernte „Tugenden“
aus den Jahren der Auftragsforschung für
Big Pharma wurden beibehalten, dennoch
gingen diese Entwicklungen auch mit einem
nicht unerheblichen Kulturwandel innerhalb
der Organisation einher. Im Geschäftsjahr
2015 plant MorphoSys in der Größenordnung
48 bis 58 Millionen Euro in die firmeneigenen
Produkte zu investieren, den Löwenanteil
davon in die Blutkrebs- und Lymphompräparate MOR208, MOR202 und eben den
mit Emergent entwickelten Prostatakrebswirkstoff MOR209 / ES414.
Gemeinsam für eine gut gefüllte Pipeline
Co-Entwicklungspartnerschaften mit Biotech-Firmen, zum Beispiel Galapagos, und
Pharma-Konzernen, wie Merck Serono im
vergangenen Jahr, sorgen für Nachschub
an früheren Pipeline-Projekten. Die Initiative
Innovation Capital, durch die das Unternehmen zusätzlich zu einer Kooperation in vielversprechende Start-ups investieren kann,
sowie Allianzen mit akademischen Instituten,
die uns Zugang zu neuen Zielmolekülen
liefern sollen, runden das Repertoire an
Aktivitäten zum Ausbau der eigenen Pipe-
56
line ab. Für das Business Development bedeutet diese enorme Bandbreite an Partnerschaftsmodellen ein kontinuierliches
Orchestrieren eigener Interessen und Partnerinteressen, um effektive Allianzen zu
formen.
Flexibilität in den Partnerstrukturen
eine Notwendigkeit
Wenn eine Vielzahl an Partnerschaften einem
Ziel dienen soll, können die Verhandlungen
und Verträge nicht einem Schema F folgen.
Vergleicht man die einzelnen Allianzen, die
MorphoSys in den vergangenen Jahren zur
Verstärkung der eigenen Pipeline abgeschlossen hat, sind deshalb große Unterschiede erkennbar. Im Fall von Xencor, einer
kleineren damals noch privat geführten
US-Biotechnologiefirma, wurde eine vollständige Einlizenzierung vereinbart. Xencor
schloss noch die Phase-I-Studie des Wirkstoffs ab, die sich bei Vertragsunterschrift
bereits in den Startlöchern befand. Danach
übernahm MorphoSys die weitere Entwicklung vollumfänglich und hält auch die weltweiten Vermarktungsrechte. Mit Emergent
BioSolutions wählten wir hingegen ein CoDevelopment mit territorialer Aufteilung der
Kommerzialisierungsrechte. Im Vergleich
zu der Transaktion mit Xencor ein nicht
unerheblich komplexeres Vertragswerk.
Technologien zunehmend als Währung
einsetzen
In der letzten Dekade war MorphoSys primär
ein Zulieferer der Pharma-Industrie. Unsere
Technologien und die Erfahrung unsere Mitarbeiter, mit ihnen wertvolle Wirkstoffe zu
generieren, war mehr oder weniger das
Produkt. Mit dem Wandel hin zu einem Biopharma-Unternehmen wird auch die Kommerzialisierung unserer Technologien mit
neuen Vorzeichen verfolgt. Wir setzen den
Zugang zu unseren Plattformen primär
dazu ein, Partner davon zu überzeugen, mit
uns in tragender Rolle neue Wirkstoffprojekte zu verfolgen. Dies, in Kombination mit
der mehr als 20-jährigen Erfahrung in den
Bereichen Wirkstoffsuche, präklinische und
frühe klinische Entwicklung, sowie, wenn
anwendbar, einer Finanzierung durch unsere
Innovation-Capital-Initiative, kann ein mit
Big Pharma konkurrenzfähiges Partnerangebot bei Wirkstoffen in früheren Entwicklungsphasen sein.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Barbara Krebs-Pohl,
Senior Vice President,
Head of Business Development
MorphoSys AG,
Martinsried/Planegg
Aus eigener Erfahrung näher dran
an Biotech-Start-ups
Ein nicht unerheblicher Vorteil ist letztlich,
dass ein Biopharma-Unternehmen unserer
Größe insbesondere Start-ups kulturell und
strategisch näher sein kann als ein PharmaPartner. Nur zu häufig machen BiotechUnternehmen in unserer Industrie die Erfahrung, dass Wirkstoffe, die mit Hochdruck,
Risikobereitschaft und smarten Entwicklungsstrategien schnell in die klinische Entwicklung gelangt sind, nach der Unterzeichnung einer Allianz mit Big Pharma nicht mehr
diese Priorität genießen. Bei MorphoSys mit
seinem im Aufbau befindlichen Portfolio
sind Projekte mit niedriger Priorität quasi
nicht vorgesehen.
Firmeneigenes Portfolio breiter
aufstellen
MorphoSys‘ langfristiges Ziel ist es, das
eigene Portfolio so breit aufzustellen, dass
die in der Medikamentenentwicklung nun
einmal unausweichlichen Rückschläge
verkraftet werden können. Mit mehr als
80 direkt in Partnerschaften verfolgten
Wirkstoffen ist die Partner-Pipeline bereits
sehr gut gegen Ausfälle abgesichert. Die
firmeneigenen Aktivitäten, die derzeit zehn
Programme, vier davon in der klinischen
Entwicklung, zählen, sollen langfristig und
soweit möglich auch diese Stabilität erlangen.
www.morphosys.com
Innovationsbremsen lösen
Durch Innovationskomplettlösungen zum
Durchbruch?
Kapitalknappheit, Restrukturierungsstress
und Strategiearmut haben in den letzten
Jahren die Chancen für Pipeline-Durchbrüche
limitiert. Die Möglichkeiten für Innovationen
in der Pharma-Branche sind jedoch größer
als je zuvor. Evotec sieht sich im seriellen
Aufbau von Innovationskomplettlösungen
als Vorreiter für den nächsten Innovationszyklus innerhalb von Biotech- und PharmaF&E, der die produktivste Periode von neuen
medizinischen Innovationen in der Geschichte
einleiten könnte.
Verbesserter und kapitaleffizienter
F&E-Output ...
Geschäftsmodelle und Strategien werden
entwickelt, um Einzelunternehmen innerhalb von Makrotrends zu positionieren. Der
Makrotrend der Neuordnung der Supply
Chain innerhalb von Pharma-Unternehmen
ist erst vor wenigen Jahren eingeleitet worden, Biotech ist nach wie vor eine junge
Branche und beide gemeinsam haben noch
lange nicht den Effizienzgrad wie in vielen
anderen Branchen erreicht. Die Verbindung
von neuen Technologien und effizienten
Geschäftsmodellen eröffnet eine enorme
Option, die sehr oft und sehr verkürzt als
„External Innovation“ beschrieben wird.
Die Unternehmen, die diesen Zyklus prägen
werden, sind noch nicht final definiert.
... ist bereits messbar
Evotec sieht ihr Geschäftsmodell nicht zuletzt auch durch den konsequenten Zukauf
von Technologien in einer guten Ausgangsposition, um in den nächsten Jahren Innovationsmodelle partnerschaftlich zu implementieren. Durch signifikante Top-Qualifikationen der Mitarbeiter, enorme Lernkurven
innerhalb der eingesetzten Technologien
und nicht zuletzt auch durch strategische
Größe und neuartige kommerzielle Modelle
glauben wir, eine zentrale Rolle in der zukünftigen Translation von Wissenschaft in
Pharma-Pipelines einzunehmen. Wir sehen
bereits die ersten Zeichen für deutlich erhöhte F&E-Outputs von Unternehmen, die
hier rascher als andere adaptieren und können erstmalig diese Effekte auch in klaren
Effizienzparametern messen. Gerade in der
frühphasigen Pharma-Forschung gibt es
erste klar identifizierbare Phänomene, die
auf bessere Forschungsleistungen hindeuten.
Drei Kerntreiber möchten wir hervorheben,
die Unternehmen in unterschiedlicher Form
für sich nutzen können.
1. Die Genomics-Revolution findet endlich wieder neue Targets
Nach vielen Jahren von „Trial & Error“ erkennen wir die ersten Anzeichen für eine
Lernkurve hin zu völlig neuen Wirkstofftargets. Nach der Finalisierung des „Human
Genome Project“ im Jahr 2000 gibt es insbesondere durch neue Technologien ein
besseres Verständnis für einzelne Gene und
deren möglichen Einsatz als Wirkstofftargets. Der Optionsraum für Innovation wird
sich also nicht wie lange befürchtet auf einige
wenige Targets, denen dann alle Unternehmen gleichzeitig nachjagen, verengen,
sondern der Innovationsraum wird sich für
Unternehmen, die wissen, wie man Hochtechnologie einsetzt, dramatisch erweitern.
2. Die Möglichkeit, „undruggable“
Targets zu knacken und Patientengruppen zu stratifizieren
Der systematische Einsatz von neuen Technologien hat dazu geführt, dass viele extrem
schwierige Wirkstoffkandidaten in die Wertschöpfungskette eingebracht und bearbeitet
werden können. Was vor wenigen Jahren
oft noch unmöglich, unlösbar oder ökonomisch unsinnig erschien, wird durch den
integrierten Ansatz von Know-how und
Technologien in der Wirkstoffforschung
plötzlich zur neuen Realität.
3. Neue Kooperationsmodelle,
Reduzierung von Ausfallraten und Kosten
Gerade bei heutigen Innovationsführern findet man sehr klare Prozessverbesserungen,
die in den nächsten Jahren zu signifikanten
Verbesserungen bei den Pipeline-Outputs
führen werden. Die Spreu wird sich also sehr
klar vom Weizen trennen und beindruckende
Unterschiede in Bezug auf F&E-Outputs
werden sichtbar werden. Wer die beste Gewichtung der Parameter variabler Innovationsgrad, F&E-Risiko, Kosten und klinischer
Anwendung wählt, wird den Wettkampf um
die potentesten Pipelines gewinnen. Gilead,
Regeneron und Biogen sind hier nur beispielhaft genannte Unternehmen, die signifikante Innovationssprünge durch externe
Innovationen gemacht haben.
Dr. Werner Lanthaler,
CEO Evotec AG,
Hamburg
Das Geschäftsmodell Evotec
Die Kombination unserer systematischen,
umfangreichen Infrastruktur mit unserer
Bereitschaft, kreative Kooperationsmodelle
einzugehen und unserer Vision und Leidenschaft für Wachstum und Innovation bietet
ein langfristiges Geschäftsmodell und befähigt uns auch in Zukunft, signifikante integrierte Allianzen mit großen Pharma-Unternehmen abzuschließen. Ein Strategieelement,
um diesen Trend bestmöglich zu nutzen,
ist für Evotec der konsequente Zukauf von
Technologieplattformen. Innerhalb der letzten vier Jahre haben wir hier sechs Akquisitionen getätigt, um im Wesentlichen einen
Effekt zu erreichen: Externe Innovation darf
keine unnötigen Schnittstellen haben. Geschwindigkeit, die experimentell gewonnen
wird, darf organisatorisch nicht wieder aufgegeben werden. „Turn key“-Lösungen für
Innovationsprozesse sind ein neues Lösungsangebot für Pharma- und Biotech-Unternehmen, um im Wettbewerb innerhalb des
nächsten Innovationszyklus zu gewinnen.
Geschäftsmodell mit Zukunft
Die umfangreiche strategische Allianz von
Evotec mit Sanofi vereint all diese Konzepte
im großen Stil. Diese Allianz stellt eine gelungene Kombination aus Wachstumsmöglichkeiten, hochwertigen Fähigkeiten und
einem neuen strategischen Pipeline-Partner
dar. Insbesondere im Bereich Onkologie
wird hier ein neues Kapitel von kapitaleffizienter externer Innovation geschrieben.
www.evotec.com
Transaktionen | 57
Ein Zwischenbericht zum
Industrialisierungsprozess
Biologisierung
Grundlage der Industrialisierungsstrategie
der BRAIN AG ist eine Technologiebasis mit
„Multi Product Opportunity“-Charakteristik.
Hieraus ergeben sich aus der langjährigen
Kooperationstätigkeit mit Großunternehmen
fast zwangsläufig Opportunitäten für eigene
Produktentwicklungen in sich entwickelnden,
überproportional wachsenden Märkten
einer Bioökonomie und damit die Chance,
stark skalierbaren Wertzuwachs zu schaffen.
Diese betreffen die drei Technologieeinheiten
„BioActives“, „Industrial Microorganisms“
und „Enzymes / Biocatalysts“ gleichermaßen.
Die Querschnittstechnologien können für
mehrere Märkte parallel genutzt werden und
führen zu multiplen Produktopportunitäten.
Märkte
Kernpunkt der Strategie ist die Schaffung
ausgewählter Marktzugänge durch gezielte
Akquisition von Unternehmen oder Unternehmensteilen, die in den jeweiligen lukrativen Märkten bereits aktiv sind. Deren Produktportfolio wird via biologischer Technologieinfusion und Einbringung von Entwicklungs-Assets „biologisiert“. Angesichts der
stark wachsenden Märkte für „nachhaltige“,
„natürliche“ oder einfach durch die biologische Performance „bessere“ Produkte
sollte ein Wachstum dieser Unternehmen
darstellbar sein. Die Potenziale der „Multi
Product Opportunities“ realisieren sich dabei aus dem Zusammenbringen der Breite
der Technologiebasis, der technologischen
Möglichkeiten, der Tiefe der jeweiligen
Anwendungstechnik und der Kenntnis der
adressierten Märkte. Märkte, von denen
jeder für sich attraktiv und wachsend ist,
jedoch jeweils unterschiedlichen Bedürfnissen und Mechaniken gehorcht.
Konsumenten
Die ersten Akquisitionen einer chemischkosmetischen Fabrik und einer Kosmetikmarke expandieren heute nach Restrukturierung und Relaunch erfolgreich. Ein interessanter Wettbewerbsaspekt: Durch die nunmehr vollständig geschlossene Wertschöpfungskette bis zum Konsumenten hat BRAIN
Einblicke, die sonst nur markenführenden
Großunternehmen zugänglich sind. Im Falle
MONTEIL kommt noch hinzu, dass die Umsätze dieser zum Professional-Segment
zugehörigen Marke zu fast 75 Prozent in
Kosmetikinstituten realisiert werden, die
58
„Consumer Insights“ mithin von einschlägigen Fachkräften aufgenommen und kompetent in die BRAIN Entwicklungsmaschinerie
weitergegeben werden können. Die Einblicke
aus dem B2C-Geschäft befruchten damit
ganz erheblich die B2B-Plattform der BRAIN,
dies auch und insbesondere im Kooperationsgeschäft.
Naturstoffe
Mit der im Juli 2014 bekanntgegebenen
Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung am
langjährigen Kooperationspartner AnalytiCon
Discovery GmbH ist insbesondere eine
horizontale Verbreiterung der Technologiebasis gelungen. Treiber war die Zusammenlegung und gemeinsame Nutzung des insbesondere im Nutrition-Bereich genutzten
IP zu biologischen Aktivitäten von Naturstoffen, sowie die komplementären Substanz- und Mikroorganismenbibliotheken.
Die Kombination von Naturstoffchemie
einerseits und Molekular- und Zellbiologie
andererseits hat die Marktposition erheblich gestärkt, ein international sichtbares
Schwergewicht wurde geschaffen welches
hinsichtlich Erfahrungshintergrund und
Ressourcenvielfalt kaum zu schlagen ist.
Diese Transaktion steht für eine kraftvolle
Bündelung von Expertisen und Schaffung
von kritischer Masse und mag modellhaft
für die Branchenentwicklung sein.
Enzyme
Mit der im November 2014 bekanntgegebenen Übernahme von Mehrheitsbeteiligungen
an der WeissBiotech GmbH und der WeissBiotech France SARL ist der Zugang zum
lukrativen und seit Jahren wachsenden
industriellen Enzymmarkt gelungen. Die
langjährigen Aktivitäten der BRAIN Enzymentwicklung finden nun einen direkten Anschluss an Anwendungstechnik, Formulierungsentwicklung und Vertrieb. Neben der
technologiegetriebenen Stärkung und dem
Ausbau etablierter Geschäftsfelder, wie u. a.
im Bereich Nahrungsmittel und Getränkeherstellung, sind eine Reihe sich schnell entwickelnder Märkte wie z. B. Plant Health und
Animal Health im Fokus. Zusammen mit der
Minderheitsbeteiligung an der Enzymicals AG
erschließen sich zudem die Anwendungsgebiete und Märkte für Enzyme zur Synthese
bzw. für enzymatisch hergestellte Naturstoffe, funktionelle Inhaltsstoffe bis hin zu
APIs und Spezialchemikalien.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Holger Zinke / Dr. Jürgen Eck,
CEO / CTO BRAIN AG,
Zwingenberg
Kapital
Allen Akquisitionen liegt der Gedanke zugrunde, dass für die erfolgreiche Skalierung
der Geschäftsmodelle weniger die Integration in eine Konzernstruktur als vielmehr
der Erhalt der selbständigen Geschäftstätigkeit, der Erhalt der eigenen Unternehmenskultur und die Kundenbeziehungen von
Nutzen sind. Intern wird dieses Konzept als
„Satellitenkonzept“ bezeichnet. Naturgemäß
erfordert dies sowohl bei M&A-Anbahnung
wie Organisation der Gruppe spezielle und
individuelle Maßnahmen. Nicht zuletzt
hierfür wurde im Februar 2015 die BRAIN
Capital ausgegründet, welche von einem in
zahlreichen Branchen erfahrenen Geschäftsführer geleitet wird. Dabei ist nicht das Corporate Venturing Gegenstand der Tätigkeit,
wie von manchen Beobachtern vermutet
wird, sondern es wird die Nähe zu externen
PE-Häusern, M&A-Boutiquen und dem Beraternetzwerk genutzt, um die Industrialisierungsstrategie zusammen mit unseren
Investoren weiter voranzutreiben.
Pioniere
Die ausgeführte Industrialisierungsstrategie
der BRAIN ist im engeren Umfeld der Biotechnologie ohne Vorbild und Referenz.
Betrachtet man das Transformationspotenzial des biologischen Wissens und die Marktentwicklungen einer sich ausbildenden biobasierten Wirtschaft, so kann ein gewisses
„Pioneering“ lohnend sein.
www.brain-biotech.de
Allianzen in Europa produktgetrieben
Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen als Mix von Technologieplattformen und Produkt-Deals
Ähnlich wie bei der Auflistung der Allianzen
deutscher Biotech-Unternehmen hat sich das
Bild der europäischen Deals wieder etwas
stärker auf Produkte verlagert. Zwar steht
mit der Vereinbarung zwischen Pfizer und
Cellectis immer noch ein Plattform-Deal an
vorderster Front. Die Liste der Top-15-Deals
enthält allerdings zur Hälfte auch produktfokussierte Allianzen, wenngleich unter den
Top-6-Deals wiederum fünf klare PlattformFirmen involviert waren.
Plattformen mit weiteren Preisrekorden
Die typischen Plattform-Deals sind in der
Liste schon auf den ersten Blick daran zu
erkennen, dass – obwohl mit Top-Preisen
ausgezeichnet – der Entwicklungsstatus der
Produkte sehr früh ist.
Die Vereinbarung von Pfizer mit dem französischen Unternehmen Cellectis selbst
schlägt alle Rekorde der vergangenen Jahre
hinsichtlich der Bepreisung typischer Plattform-Deals mit sehr frühen Wirkstoffkandidaten. Gab es im vergangenen Jahr noch
viel Erstaunen über den Milliarden-Platt-
form-Deal (1.055 Mio. CHF) von Molecular Partners mit Wirkstoffen lediglich in
der Forschungsphase, so stellt die aktuelle
Vereinbarung zwischen Pfizer und Cellectis
mit über zwei Milliarden Euro definierter
Meilensteinzahlungen alles Bisherige in
den Schatten. Auch hier ist die Produktentwicklung lediglich im Forschungsstadium. Die Zusammenarbeit basiert deswegen
auf einer breiteren strategischen Überlegung mit Interesse an der hochattraktiven Plattform zur Entwicklung chimärer
Antigen-Rezeptor-T-Zelltherapien (CAR-T)
für die Immuntherapie von Krebspatienten.
Top-Allianzen europäischer Biotech-Unternehmen, 2014
Firma
Land
Partner
Land
Therapeutischer
Status
Krankheitsgebiet
Potenzieller UpfrontZahlungen
Wert
(Mio. €)
(Mio. €)
Meilensteine
(Mio. €)
Cellectis
Frankreich
Pfizer
USA
Forschung
Onkologie
2.150,7
60,3
2.090,4
Nogra Pharma
Irland
Celgene
USA
Phase II
Gastroenterologie
1.939,7
534,8
1.404,9
Ablynx
Belgien
Merck & Co.
USA
Forschung
Onkologie
1.730,7
20,0
1.700,0
Cellectis
Frankreich
Servier
Frankreich
Präklinik
Onkologie
640,3
7,5
632,8
CureVac
Deutschland
Boehringer
Ingelheim
Deutschland
Phase I
Onkologie
465,0
35,0
430,0
Adocia
Frankreich
Eli Lilly & Co.
USA
Phase I
Metabolismus
429,4
37,7
391,7
Oryzon
Genomics
Spanien
Roche
Schweiz
Phase II
Onkologie
392,5
392,5
F-star
Österreich
Bristol-Myers
Squibb
USA
Präklinik
Onkologie
357,8
320,2
GeNeuro
Schweiz
Servier
Frankreich
Phase II
Autoimmun
342,8
35,4
307,3
Aerial
BioPharma
USA
Jazz Pharmaceuticals
Irland
Phase II
Neurologie
299,1
94,2
204,9
Zealand
Pharma
Dänemark
Boehringer
Ingelheim
Deutschland
Forschung
Kardiovaskulär
295,0
295,0
Adaptimmune
UK
GlaxoSmithKline
UK
Phase II
Onkologie
263,7
263,7
Immunocore
UK
AstraZeneca
UK
Forschung
Onkologie
241,1
15,1
226,0
Forendo
Pharma
Finnland
Apricus
Biosciences
USA
Phase II
Metabolismus
239,2
9,4
229,8
Shire
UK
Organogenesis
USA
Markt
Dermatologie
226,0
226,0
Quelle: EY
Transaktionen | 59
Die Plattform von Cellectis verfolgt einen
„allogenen“ Ansatz zur Behandlung breiter
Krebspatientenpopulationen, basierend auf
modifizierten T-Zellen aus einzelnen Spendern. Darin liegt der entscheidende Vorteil
gegenüber bisher im Fokus stehender
„autologer“ Ansätze mit spezifischer Aufbereitung von T-Zellen aus Krebspatienten,
die diese individuell wieder als Therapie
zurückerhalten. Der hohe Preis wird deshalb vierfach begründet:
• Immuntherapie als aktuell hochfavorisierter
Ansatz in der Onkologie
• Innovativer ATMP-Ansatz
• Schritt von „autolog“ zu „allogen“ passt
gut zu „pharma-like“ Geschäftsmodellen
so sind die inhaltlichen Vorgaben ähnlich.
Auch hier sichert sich der Pharma-Partner
Zugang zur Technologieplattform und potenziell bis zu sechs aus der Kollaboration
hervorgehende Produktkandidaten. Damit
fließen Cellectis im Berichtsjahr insgesamt
fast 70 Millionen Euro an Upfront-Zahlungen
zu. Zudem besteht die Chance, entlang
der – sicherlich noch mit vielen Risiken behafteten – Entwicklung über drei Milliarden
US-Dollar an Meilensteinen einzunehmen.
•G
enerelles Plattformkriterium zur nachhaltigen Generierung von Therapeutika in
verschiedenen Indikationen
Entsprechend fiel auch die vereinbarte
Upfront-Zahlung mit 60,3 Millionen Euro
vergleichsweise hoch aus. Cellectis als der
Front Runner der Allianzenrangliste 2014
konnte neben dem Pfizer-Deal noch einen
weiteren Frühphasen-(Discovery)-Deal
mit Servier in Frankreich abschließen und
damit ein weiteres Charakteristikum der
Plattform-Firmen bestätigen: die multiple
Nutzung der Technologieplattform in parallel aufgesetzten nicht-exklusiven Deals mit
mehreren Partnern. Wenngleich nicht annähernd so groß wie die Allianz mit Pfizer,
Ebenso klar sticht eine weitere PlattformAllianz von Ablynx hervor, die ihre Nanobody®-Technologie nun zum zweiten Mal an
Merck & Co. verpartnert haben. Der aktuelle
Deal ist der mit Abstand lukrativste, mit
Ablynx Pipeline
Therapiegebiet
Produktname
Target
Forschung
Präklinik
Phase I
Phase II
Phase III
Partner
In vollständigem Besitz
Hämatologie
Caplacizumab
vWF
Atemwegserkrankungen
ALX-0171
Mehrere
RSV
Onkologie / Immunoonkologie
Mehrere
Entzündung / Immunologie / Infektion
Mehrere
Ophthalmologie
Mehrere
Verpartnert
Entzündung / Immunologie
Onkologie /
Immunoonkologie
ALX-0061
ALX-0761
Ozoralizumab
Mehrere
RANKL
Großraum China
Eddingpharm
Merck Serono
Merck & Co.
CXCR2
Mehrere
Validierte Targets (Klinik)
AbbVie
Merck Serono
Eddingpharm
Merck Serono
Boehriger Ingelheim
Boehriger Ingelheim
Merck Serono
Merck & Co.
Mehrere
Atemwegserkrankungen
Andere
Großraum China
Mehrere
ALX-0751
Mehrere
Knochenkrankheiten ALX-0141
Neurologie
IL-6R
IL-17A/F
TNFα
Novartis
Boehriger Ingelheim
First-in-Class
Quelle: Ablynx 2015
60
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
erfolgsabhängigen Zahlungen von 1,7 Milliarden Euro. Ablynx schließt damit an eine
langjährige Erfolgsgeschichte ihrer Plattform-Deals an, die bereits 2005 mit Novartis
begann und sich seitdem regelmäßig fortgesetzt hat:
•N
ovartis (2005) – Multiple Targets
•B
oehringer Ingelheim (2007) – Multiple
Targets
•M
erck Serono (2008, 2010, 2011,
2013) – 50:50 Co-Development;
Targets in Immunologie, Onkologie,
Osteoarthritis, Inflammation
• Merck & Co. (2012) – Ionenkanäle
• AbbVie (2014) – Inflammatorische
Erkrankungen
• Merck & Co. (2014) – Onkologie
In „Bio-Dollars“ gemessen, addieren sich
diese Allianzen bereits auf einen Gesamtwert von fast fünf Milliarden Euro. Da alle
diese Deals Produktentwicklungen in sehr
frühem Stadium starteten, sind Marktprodukte noch nicht in Sicht. Dennoch bleibt
die Frage spannend, inwieweit sich diese
Investitionen für die Pharma-Partner gelohnt haben bzw. wie viele der vereinbarten
Meilensteine bereits erfolgreich erreicht
werden konnten.
Von Ablynx gibt es dazu die Auskunft, dass
bis 2013 bereits 160 Millionen Euro aus
Meilensteinzahlungen der Partner geflossen seien. Aus einer weiteren Darstellung
ergibt sich, dass der Entwicklungsstand der
Partnerprojekte im erwarteten Zeitrahmen
nach wie vor noch früh ist; nur die beiden
immunologisch ausgerichteten Projekte
haben die Klinik erreicht. Auf dem Gebiet
der Rheumatoiden Arthritis (RA) zeigten
die gegen die erfolgreichen Therapie-Targets
(TNF und Il-6R) gerichteten Nanobodies
positive Ergebnisse an Patienten, die z. T.
Remissionen der RA-Läsionen aufwiesen
oder zumindest geringere Bedarfsdosen
der Standardtherapie benötigten. In beiden
Fällen sind die Targets bereits Grundlage
sehr erfolgreicher Marktprodukte (z. B.
Humira). Somit bleibt die Frage spannend,
ob dieses neue Format die validen Targets
ähnlich effizient beeinflussen kann.
Ablynx war mit den Kapitalzuflüssen allerdings auch in der Lage, ein eigenes Portfolio an Wirkstoffen aufzubauen. Das LeadCompound (Caplacizumab – anti-vWF)
wird aktuell in Phase-II-Studien getestet.
Die weiteren Plattform-Allianzen folgen
ähnlichen Mustern, die bereits in den Vorjahren beschrieben wurden: frühe Deals –
hohe Preise. Demnach gehören in die Rangliste folgende weitere Allianzen:
•A
docia – Eli Lilly & Co.
(„ultra-rapid insulin“-Technologie)
•Z
ealand Pharma – Boehringer Ingelheim
(Peptid-Therapeutika)
• Immunocore – MedImmune
(T-Zelltherapie)
F-star: eine neue Variante
Das ursprünglich in Österreich gegründete
Unternehmen F-star mit einer Technologieplattform zur Generierung bispezifischer
Antikörper schlägt einen neuen Weg ein,
um die weitere Entwicklung ihrer Produkt-
F-star Technologieplattform
Modulare Antikörpertechnologie
F-star Produkt-Assets
kandidaten zu finanzieren. Durch Ausgründung einzelner Assets in individuelle
„single asset“-Unternehmen gelang einerseits die Finanzierung der weiteren Entwicklung über VC-Investoren mit entsprechend
ausgerichteter Strategie auf „asset-centric
funding“ (Atlas Venture, Aescap Venture,
TVM Capital, SR One, MP Healthcare Venture Management, MS Ventures). Des Weiteren werden diese Assets auch gleichzeitig
für die Übernahme durch Pharma „vorbereitet“. Dies gelang nun erstmals mit dem
Konstrukt F-star Alpha, in welches das LeadProdukt FS102 ausgelagert wurde, ein gegen
HER2 gerichtetes Antikörperfragment zur
Krebstherapie. Bristol-Myers Squibb hat
sich das Optionsrecht einräumen lassen,
im Erfolgsfall die Firma bzw. das dahinter
stehende Asset zu übernehmen. F-star hat
weitere dieser „single asset entities“ geplant
und im November 2014 bereits F-star Beta
gegründet.
Lukrative Produkt-Deals
In allen anderen Allianzen der Top-15-Liste
stehen konkrete Produkte im Fokus. Hier
hat sich die Haltung von Pharma auch nicht
geändert, wonach attraktive Projekte weiter
in der Entwicklung fortgeschritten sein
müssen. Infolgedessen erscheint es logisch,
dass all diese Allianzen auf Phase-II-Level
zustande kamen. Im Falle von CureVac
steht hinter dem betreffenden Partnerwirkstoff zwar auch eine Technologieplattform,
der Schwerpunkt der Allianz bezieht sich
allerdings konkret auf den Wirkstoffkandidaten CV9202 in klinischer Phase II. Herausragend stellt sich der Deal zwischen
Nogra Pharma aus Irland mit Celgene dar:
mit einem Gesamtvolumen von 1,94 Milliarden Euro und einer ebenso außerordentlichen Upfront-Zahlung von 535 Millionen
Euro. Auch hier basiert das Asset auf einer
Plattform – in diesem Falle einer Antisense-Technologie. Nach positiven Phase-IIDaten stand hier die zulassungsrelevante
Phase-III-Studie an, was den hohen Preis
rechtfertigt.
F-star Alpha Ltd.
F-star Beta Ltd.
...
...
...
F-star n
Quelle: F-star 2015
Transaktionen | 61
Zahlen und Fakten – Deutschland
Allianzen rückläufig
In der Gesamtstatistik stellen sich die DealZahlen insgesamt rückläufig dar. Während
in den vergangenen Jahren aufgrund der
schwierigen Finanzierungssituation Allianzen als Kapitalquelle immer relevanter
wurden und dies sich zumindest tendenziell
auch in steigenden Deal-Zahlen niedergeschlagen hatte (2008 – 2011), erweist
sich dieser Trend als nicht nachhaltig. Die
rückläufige Zahl der Allianzen um 36 Prozent im Zeitraum von 2011 bis 2014 ist
deutlich erkennbar und allein der Abfall im
Vergleich zum Vorjahr (24 %) ist signifikant. Dabei sind es vor allem die Lizenzvereinbarungen, die um 52 Prozent eingebrochen sind. Kooperationen sind eher mäßig
(-5 %) betroffen, während die Veränderungen der restlichen Kategorien Service und
Asset-Kauf in der Statistik eher von geringerer Bedeutung sind.
Als Hintergründe für diese Entwicklung sind
vermutlich die sich ändernden Geschäftsmodelle zu sehen – immer weniger Unternehmen entwickeln Assets, welche sie in
Lizenzverträge einbringen können. Auf der
anderen Seite – wo man im Gegenzug eine
Steigerung der Service-Verträge erwarten
würde – ist die Statistik nicht ausreichend
aussagekräftig, weil Service-Vereinbarungen nicht transparent genug kommuniziert
werden.
M&A auf Deutsch
Auf der Seite der M&A-Transaktionen mit Beteiligung deutscher Biotech-Unternehmen
stechen vor allem die vielen deutsch-deutschen Zusammenschlüsse ins Auge.
Interessant ist zum Beispiel die Akquisition
von Trianta Immunotherapies durch Medigene, die für das Münchener Biotech-Urgestein ein neues Zeitalter einläutete. Trianta
Immunotherapies ist eine Ausgründung des
Helmholtz Zentrums in München mit neuen
Ansätzen zur Immuntherapie. Damit steigt
Medigene nach jahrelangen Schwerpunktaktivitäten in der klinischen Entwicklung
(meist) einlizenzierter Wirkstoffe nun wieder in eigene frühe F&E-Aktivitäten ein, um
sich das attraktive Feld der Immuntherapie
mit innovativen Ansätzen neu zu erschließen. Trianta Immunotherapies verfügt über
drei hochinnovative Immuntherapieplattformen mit Programmen in der klinischen
Entwicklung zur Behandlung unterschiedlicher Krebsformen. Im Bereich der personalisierten Immuntherapie entwickelt das
Unternehmen antigenspezifische Dendri-
Allianzen deutscher Biotech-Unternehmen
120
109
96
113
103
98
95
86
80
72
60
Ins deutsch-deutsche Akquisitionsgeschehen
fügt sich auch der technologiegetriebene
Merger von PANATecs und Protagen Protein Services. Der Zusammenschluss der
Protagen Diagnostics und des Heilbronner
PANATecs-Ablegers bietet nun ein integriertes Angebot an Proteinanalytik.
Die Aktivitäten deutscher Biotech-Unternehmen als Einkäufer von Technologien
und Assets setzen sich mit weiteren Akquisitionen fort, die klare Synergien der verschmolzenen Unternehmen nutzen.
Miltenyi Biotec kaufte die Lentigen Technology für Anwendungen in der Zell- und Gentherapie: Diese Akquisition beinhaltet eine
Reihe von IP, Prozesstechnologien und
GMP-Fertigungsanlagen.
40
20
0
2007
2008
Produkt-/Asset-Kauf
2009
2010
Service
2011
2012
Lizenzierung
2013
2014
Kooperation
Quelle: EY und Medtrack
62
Weitere deutsch-deutsche Übernahmen
wurden von BRAIN getätigt. Zur Stärkung
ihrer Strategie der Wertschöpfungskettenkopplung an die internen Technologieplattformen passen vor allem die bereits früher
erwähnten Akquisitionen der WeissBioTech
(Enzymmarkt) sowie AnalytiCon Discovery
(Naturstoffe) und der Beteiligung an Seltenerden Storkwitz exzellent.
Deutsche Biotechs treten insgesamt
stark als Käufer in Aktion
Anzahl Transaktionen
100
tische-Zell(DC)-Vakzine sowie T-Zell-Rezeptor(TCR)-basierte adoptive Zelltherapien
und T-Zell-spezifische Antikörper (TABs).
Eine klinische Phase-I-/II-Studie zur Behandlung akuter myeloischer Leukämie (AML)
läuft in München sowie eine weitere klinische
Phase-II-Studie zur Behandlung von Prostatakrebs an der Universitätsklinik Oslo.
Bisherige klinische Ergebnisse von Triantas
DC-Vakzinen aus „compassionate use“
(ärztlich angeordneter Einsatz noch nicht
zugelassener Arzneimittel an Patienten
in besonders schweren Krankheitsfällen)
haben bereits ermutigende Daten zur
Sicherheit und zum klinischen Nutzen bei
verschiedenen Tumorerkrankungen geliefert.
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
M&As deutscher Biotech-Unternehmen, 2014
Firma
Land
Käufer
Land
Art
Datum
Potenzieller
Wert (Mio. €)
Trianta Immunotherapies
Deutschland
Medigene
Deutschland
Biotech
27. Januar
9,9
Euprotec
UK
Evotec
Deutschland
Biotech
28. Mai
3,9
InoCard
Deutschland
uniQure
Niederlande
Biotech
11. August
3,0
Pieris
Deutschland
Marika
USA
Shell
18. Dezember
n / a
BIOBASE
Deutschland
QIAGEN
Niederlande
Diagnostik
20. Mai
n / a
PANATecs
Deutschland
Protagen Protein
Services
Deutschland
Biotech
23. Januar
n / a
Centogene
Deutschland
LifeLabs
Kanada
Pharma
19. Februar
n / a
AnalytiCon Discovery
Deutschland
BRAIN
Deutschland
Biotech
3. Juli
n / a
bionamics
Deutschland
Evotec
Deutschland
Biotech
24. März
n / a
WeissBioTech
Deutschland
BRAIN
Deutschland
Biotech
27. November
n / a
Lentigen / Lentigen Technology
USA
Miltenyi Biotec
Deutschland
Biotech
14. August
n / a
Quelle: EY
Evotec macht dem Ruf als „Serientäter“
auch bei den Übernahmen alle Ehre. So
gliedert Evotec mit bionamics die Projektmanagement-Gesellschaft für die Steuerung des NEU2-Cluster-Netzwerks ein und
setzt dadurch ein neues Zeichen im Bereich
der EVT-Innovate-Strategie. Das Konsortium
war als Gewinner des BioPharma-Wettbewerbs des BMBF 2012 ausgezeichnet worden und hatte seitdem eine Wertschöpfungskette mit vielen Partnern aufgebaut,
die sich der komplexen Aufgabenstellung
der Entwicklung neuer MS-Therapien verschrieben hatte. Weiterhin verstärkte Evotec durch die Übernahme der britischen
Euprotec sein Angebot an Dienstleistungen
im Bereich der Antiinfektiva.
Deutsche Biotechs auch als Kaufobjekt
gefragt
Auch auf der Seite der Übernahmeobjekte
machten deutsche Biotech-Unternehmen
eine gute Figur. So konnte sich das gerade
erst gegründete Gentherapie-Unternehmen
InoCard mit einem neuen Ansatz zur Behandlung von Herzinsuffizienz in die niederländische uniQure integrieren. Nach dem
erfolgreichen NASDAQ-Börsengang der
uniQure wurde dadurch weiterer positiver
Newsflow erzeugt. Der aus dem Heidelberger
Start-up eingebrachte Ansatz verfolgt das
Ziel, das kalziumbindende Protein S100A1
per Gentherapie im Herzen verfügbar zu
machen. Im Tierversuch zeigt sich dieser
Peptid-Faktor als essenzieller Regulator der
Herzmuskelaktivität. S100A1 steigert das
Kontraktionsvermögen der Herzmuskelzellen
und stabilisiert den Herzrhythmus. Darüber
hinaus könnte S100A1 auch einen regulatorischen Einfluss auf das Wachstum der
Herzmuskelzellen besitzen und deren Energieversorgung mitbestimmen.
Ebenso passte die Kompetenz der BIOBASE
als Spezialist in Sachen Bioinformatik gut
zur neuen Ausrichtung von QIAGEN als Anbieter von Sequenziertechnologie (NGS)
und Companion Diagnostics. Mit dem zusätzlichen Input von BIOBASE-Bioinformatiklösungen will QIAGEN seine weltweit führende
Literaturdatenbank für klinische Forschung
und Diagnostik weiter stärken und weiterhin seine führende Stellung in der Analyse
von Sequenzierdaten ausbauen.
Über den Reverse Merger von Pieris war
bereits berichtet worden.
Transaktionen | 63
Zahlen und Fakten – International
Allianzen in Europa ebenfalls rückläufig
Ähnlich wie für Deutschland bereits gezeigt,
folgen auch die Allianzen europäischer
Biotech-Unternehmen einem rückläufigen
Trend. Hier haben die Deal-Zahlen seit
2011 um 20 Prozent nachgelassen und
stagnieren inzwischen bei Werten um 525
(publizierten) Deals pro Jahr. Auch hier
nehmen vor allem die Lizenzvereinbarungen ab (-29 % seit 2011).
USA mit steigenden Deal-Zahlen
Ganz im Gegensatz zu den Zahlen in Europa
konnten die US-Unternehmen ihre Vertragsabschlüsse im gleichen Zeitraum (2011 –
2014) zumindest leicht steigern. Mit insgesamt 975 Deals lagen sie nicht nur deutlich vor der europäischen Branche sondern
konnten dabei auch noch um 11 Prozent
gegenüber dem Vorjahr zulegen. Ebenfalls
im Gegensatz zu ihren europäischen Counterparts beruhten die Steigerungen auf
Kooperationen (+24 %) sowie Dienstleistungen (+38 %), während die Lizenzvereinbarung ebenfalls um neun Prozent zurückgingen.
Somit wurden in allen untersuchten Geographien (USA, Europa / Deutschland) klare
Reduzierungen der Lizenzverträge konstatiert. Liegen in den USA möglicherweise die
Gründe in der besseren Kapitalbeschaffung
der Unternehmen über den Kapitalmarkt?
Stellt dies die zuvor für Deutschland geäußerte Vermutung der Geschäftsmodellverschiebungen als Ursache für weniger Lizenzabschlüsse wieder in Frage? Möglicherweise
liegen aber auch unterschiedliche Ursachen
diesseits und jenseits des Atlantiks vor.
M&A-Transaktionen in Europa mit
bekannten Biotech-Vertretern als
Übernahme-Objekte
Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass
die M&A-Liste mit Beteiligung europäischer
Biotech-Unternehmen nicht – wie in früheren Statistiken – von den großen PharmaFirmen als Käufer dominiert ist. Vielmehr
stehen sowohl auf Käufer- wie auf Verkäuferseite viele bekannte Namen von Biotech-Unternehmen. Entsprechend fehlen
auch die „Mega-Deals“, die in früheren
Jahren das Gesamtvolumen der M&As
nach oben verschoben.
Allianzen europäischer und US-amerikanischer
Biotech-Unternehmen
Anzahl Transaktionen Europa
Anzahl Transaktionen USA
1000
1000
933
975
936
877
800
800
660
561
600
534
525
600
400
400
200
200
0
0
2011
2012
2013
Produkt-/Asset-Kauf
2014
Service
2011
Lizenzierung
2012
2013
2014
Kooperation
Quelle: EY und Medtrack
64
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Weiterhin ist die geographische Verteilung
zwischen Europa und den USA sowohl auf
Käufer- als auch auf Verkäuferseite gut
ausgewogen, sodass kein weiterer Ausverkauf in die USA stattfindet. De facto sind
die europäischen Vertreter sogar deutlich
stärker auf der Käuferseite präsent (13
von 17 Deals) und kauften in vier Fällen
sogar in den USA ein.
Eurofins Scientific, das französische Unternehmen mit einem führenden Angebot an
Genomik-, Analyse- und Service-Leistungen
für die Pharma-, Lebensmittel-, Umwelt- und
Konsumgüterindustrie, hat dabei gleich
zweimal in den USA „zugeschlagen“. Dort
kaufte es zunächst die ViraCor-IBT Laboratories, ein Referenzlabor mit großem Portfolio an biologischen und Biomarker-Tests
für Krankenhäuser, Ärzte und die PharmaIndustrie. Des Weiteren erwarb Eurofins
Scientific auch das Diagnostik-Unternehmen
Boston Heart Diagnostics, das mit innovativen Testverfahren die Risiken von Herzerkrankungen erfasst.
Big Pharma unterrepräsentiert
Roche tritt als Big-Pharma-Vertreter mit
den Akquisitionen von Dutalys aus Österreich sowie Santaris Pharma aus Dänemark
mit jeweils über 300 Millionen Euro Kaufpreis in Erscheinung. Beide stellen für Roche
neue Technologieplattformen für den Therapeutikabereich zur Verfügung: im Falle von
Dutalys für die Identifizierung bispezifischer
Antikörper für mehrere Therapiegebiete.
Mit der DutaMabTM-Technologie unterstreicht
Roche seinen Anspruch als führendes Unternehmen in der Entwicklung therapeutischer
Antikörper.
Top-M&As europäischer Biotech-Unternehmen, 2014
Firma
Land
Käufer
Land
Datum
Potenzieller
Wert (Mio. €)
Rottapharm Madaus
Italien
Meda
Schweden
31. Juli
2.329,9
Prosensa
Niederlande
BioMarin Pharmaceutical
USA
24. November
632,8
Dutalys
Österreich
Roche
Schweiz
18. Dezember
368,2
PneumRx
USA
BTG
UK
4. Dezember
357,8
Santaris Pharma
Dänemark
Roche
Schweiz
4. August
339,0
Archimedes Pharma
UK
ProStrakan Group
UK
6. August
285,3
OncoEthix
Schweiz
Merck & Co.
USA
18. Dezember
282,5
Lumena Pharmaceuticals
USA
Shire
UK
12. Mai
195,9
ViraCor-IBT Laboratories
USA
Eurofins Scientific
Frankreich
9. Mai
192,1
Boston Heart Diagnostics
USA
Eurofins Scientific
Frankreich
8. Dezember
150,7
Galapagos / Argenta Discovery
Belgien
Charles River Laboratories
USA
13. März
134,0
Activaero
Deutschland
Vectura Group
UK
13. März
130,0
Brabant Pharma
UK
Zogenix
USA
24. Oktober
97,9
Aciex Therapeutics
USA
Nicox
Frankreich
2. Juli
90,4
Silhouette Lift
Spanien
Sinclair IS Pharma
UK
15. April
87,0
Focus Pharmaceuticals
UK
Amdipharm Mercury
UK
30. September
86,8
TopoTarget
Dänemark
BioAlliance Pharma
Frankreich
16. April
76,0
Quelle: EY
Der Kauf von Santaris Pharma erstaunt einerseits als „Wiedereinstieg“ in das Gebiet
der RNA-Therapeutika, den Roche mit der
Ausgliederung der ehemaligen Alnylam
Europe (Roche Kulmbach) 2011 eigentlich beendet hatte. Andererseits bedeutet
diese Wendung auch, dass das Feld der
RNA-Therapeutika sich sowohl technologisch als auch auf Seiten der klinischen
Entwicklung enorm weiterentwickelt hat.
Santaris Pharma hat mit der firmeneigenen
„locked nucleic acid“(LNA)-Plattform
Pionierarbeit geleistet, indem es zu einer
neuen Ära von gegen RNA gerichteten
Therapeutika beigetragen hat. So lassen
sich potenzielle Medikamente gegen Krankheiten entwickeln, die mit herkömmlichen
Wirkstoffen wie Antikörpern und kleinen
Molekülen nur schwer oder überhaupt nicht
gezielt behandelbar sind. Die LNA-Technologie überwindet die Einschränkungen früherer Antisense- und siRNA-Technologien
vor allem durch eine einzigartige Kombination von geringer Größe, hoher Bindungs-
affinität und metabolischer Stabilität. Immerhin hat sich Roche in beiden Deals aber
auch durch eine Aufteilung des Kaufpreises
in Upfront- und Meilensteinzahlungen gegen Risiken der Technologieplattform abgesichert.
Neben Roche steht nur noch Merck & Co.
als weiterer Big-Pharma-Player auf der
Käuferliste. Der Erwerb von OncoEthix aus
der Schweiz ist im Vergleich zu den RocheDeals eindeutig produktfokussiert. Merck &
Co. kauft vor allem einen „first in class“BET-Inhibitor ein, der sich in der Phase Ib
der klinischen Entwicklung mit Zielrichtung
Onkologie befindet. Damit verstärkt Merck &
Co. seinen Fokus auf Onkologie mit dem
Anspruch auf innovative Wirkstoffe mit
Potenzial für Durchbrüche in der Krebsbehandlung. BET-Proteine haben sich als neues
therapeutisches Target in der Krebstherapie herauskristallisiert, da sie offenbar eine
entscheidende Rolle in der Transkriptionsregulation von wichtigen Zellwachstums-
kontrollgenen spielen (z. B. c-myc). Die
Phase-I-Daten haben offenbar bereits
wichtige klinische Hinweise für Aktivität
in Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen erbracht. Auch hier behielt
sich Merck & Co. vor, zunächst nur 110
Millionen US-Dollar als Upfront und den
restlichen Kaufpreis von weiteren 265 Millionen US-Dollar erst nach erfolgreichem
Abschluss klinischer Meilensteine zu zahlen.
Transaktionen | 65
66
Der Top-Deal mit Portfoliostrategie
Europäische Biotech-Namen verschwinden
Auch der größte M&A-Deal auf der Liste –
die Akquisition von Rottapharm Madaus
durch Meda – steht unter dem Motto „Produktübernahme“. Unter der italienischen
Rottapharm Madaus waren seit dem 1. März
2010 die Produkte der deutschen Opfermann
Arzneimittel GmbH, der Madaus GmbH und
der Rottapharm Gruppe vereint. Meda, der
börsennotierte Pharma-Konzern mit Sitz
in Solna bei Stockholm, rechnet dank der
Übernahme mit einer deutlichen Stärkung
seines OTC-Geschäfts. Das Kaufangebot
für Rottapharm Madaus kommt nur drei
Monate nachdem Meda selbst eine milliardenschwere Übernahmeofferte des USGenerikakonzerns Mylan abgelehnt hatte.
Aus europäischer Sicht gehen weitere bekannte Biotech-Unternehmen in anderen
auf und fallen somit aus den Firmenlisten
heraus:
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
• Prosensa – mit viel Aufmerksamkeit beim
IPO 2012 bedacht – geht im US-Konzern
BioMarin auf, der als wichtiger Player im
Umfeld „rare diseases“ am Technologieansatz von Prosensa (RNA-modulierende
Therapeutika für genetische Erkrankungen) als auch am weit entwickelten Wirkstoff Drisapersen Interesse fand. Primärer
Fokus liegt dabei auf Muskeldystrophie
Duchenne (DMD)
• Galapagos gibt seine CRO-Sparte (Argenta / NL und BioFocus / UK) mit integrierten
Dienstleistungen von der Target-Identifizierung bis zur präklinischen Entwicklung
an Charles River Laboratories ab. Damit
wird eine in der Vergangenheit erfolgreiche
Plattform (à la Evotec) zugunsten des
neuen Schwerpunkts der Therapeutikaentwicklung aufgegeben
• TopoTarget, das dänische Biotech-Unternehmen mit Ausrichtung auf Orphan
Diseases im Krebsumfeld wurde mit dem
französischen Unternehmen BioAlliance
zu Onxeo zusammengeführt. Beide Teile
bringen entsprechend Expertise und Assets zur Behandlung seltener Krebsarten
ein. Das zusammengeführte neue Unternehmen führte gleichzeitig ein Listing bei
Euronext Paris und NASDAQ OMX in
Kopenhagen durch (siehe Finanzierungskapitel).
Transaktionen | 67
Biotech-Standort
Deutschland
68
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Innovationsfinanzierung im Fokus des Branchenverbandes
Die Sicht des Branchenverbandes
BIO Deutschland
Der Branchenverband BIO Deutschland –
2014 in seinem zehnten Jubiläumsjahr –
ist von der Deutschen Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM) mit dem
INNOVATION AWARD „Verband des Jahres“
ausgezeichnet worden. Dieser Preis wird
an Verbände verliehen, die sich durch ihre
Leistungen deutlich abheben und anderen
Verbänden ein Beispiel geben, neue Wege
zu gehen.
Dieser Preis sollte sicherlich nicht nur
Auszeichnung für vergangene Leistungen
sein, sondern vielmehr Anspruch, auch
zukünftig die besonderen Probleme der
Biotech-Branche mit innovativen Ideen und
offener Haltung anzugehen.
Der Verband hat sich von Anbeginn mit der
Problematik unzureichender Kapitalausstattung der Biotech-Branche in Deutschland befassen müssen. Dabei stand das
Thema „Zugang zu Eigenkapital“ immer
als dringendste Herausforderung im Fokus.
Als Vertreter von Unternehmen ging es
vor allem auch um konkrete Maßnahmen
für diese, wie etwa um Steuervorteile (z. B.
Verlustvortragsnutzung) für die Übernahme besonderer Risiken im Interesse der
Innovation für den Standort Deutschland.
Diese verständliche „Klientelpolitik“ ist
als Verbandszweck vollkommen nachvollziehbar; allerdings spürt der Verband auch,
dass eine zu starke Fokussierung auf die
doch insgesamt sehr kleine Biotech-Branche
auf der politischen Bühne häufig nicht
ausreichend Durchschlagskraft erzeugen
kann.
Insofern ist es außerordentlich wichtig, dass
auch seitens BIO Deutschland inzwischen
der Begriff der „Innovationsfinanzierung“
mit wesentlich breiterem Geltungsbereich
genutzt wird. Weiterhin orientieren sich
viele der vom Verband ausgearbeiteten
Forderungen und Handlungsempfehlungen
auch entlang der beschriebenen „Kapitalnahrungskette“ und zielen dabei vor allem
auf bessere Anreizsysteme für Anleger und
Investoren – somit eher indirekt auf den
Nutzen für die Biotech-Klientel.
Schließlich steht BIO Deutschland mittlerweile auch eindeutig hinter dem Gedanken
der Bioökonomie und verfolgt auch dabei
das Ziel, die Bedeutung der Biotechnologie
über den Horizont einer 400-UnternehmenBranche hinaus zu profilieren. BIO Deutschland war z. B. erneut Aussteller im „Schaufenster biobasierte Wirtschaft – Bioökonomie“
auf der Hannover Messe 2014. Ziel war es,
den Einfluss der Bioökonomie auf die Lebenssituation 2030 durch Beispiele aus der
heutigen Praxis zu zeigen.
Im Artikel von Peter Heinrich, dem Vorstandsvorsitzenden von BIO Deutschland,
werden die Positionen hinsichtlich alternativer Modelle für eine ausreichende Innovationsfinanzierung aus Sicht des Verbandes
zusammenfassend dargestellt.
Biotech-Standort Deutschland | 69
Innovationsfinanzierung – Alternative
Modelle zur effektiven Mobilisierung von
Eigenkapital
Durchwachsene Kapitallandschaft
Die ersten Branchenzahlen für 2014, die
BIO Deutschland im Januar zusammen mit
der BIOCOM veröffentlichte, zeigten ein gemischtes Bild für den Biotechnologiesektor.
Zwar wurde mehr Eigenkapital eingeworben
als noch 2013 (+14 %), was aber im Wesentlichen durch lange erwartete Börsengänge
des vergangenen Jahres begründet war. Die
Unternehmen konnten in der Tat auch mehr
Venture-Kapital einsammeln (+19 %), allerdings gingen die Kapitalerhöhungen über
die Börse deutlich zurück (-25 %). Trotz
positiver Tendenzen besteht also für innovative Unternehmer lediglich Grund für vorsichtigen Optimismus, aber kein Grund zum
Jubeln. Das Geld reicht nicht! Besonders in
der medizinischen Biotechnologie, wo kleinere Betriebe 100 bis 500 Millionen Euro
benötigen, um ein Produkt in eine wertsteigernde Pharma-Partnerschaft oder zur
Marktreife zu bringen. Eigenkapitalfinanzierung über Venture- oder Beteiligungskapital
ist aber für junge innovative Unternehmen
meist die einzige Finanzierungsmöglichkeit.
Mehr als „1 %“: Anreize für Investoren
und Unternehmer
Der EY Report 2014 warb mit dem Titel für
„1 % für die Zukunft“ und unterbreitete einen
viel diskutierten Vorschlag, wie dringend
benötigte Gelder für die Forschung mobilisiert werden könnten. Die Arbeitsgruppe
„Finanzen und Steuern“ von BIO Deutschland veröffentlichte im letzten Jahr ebenfalls verschiedene Vorschläge mit dem
Potenzial, den nach wie vor eklatanten Kapitalmangel der Branche zu beheben und
sowohl auf Investoren- als auch Unternehmerseite Anreize zu bieten. Die Finanzexperten von BIO Deutschland untersuchten
in ihrer Analyse vier verschiedene Möglichkeiten, Eigenkapital für innovative Biotechnologieunternehmen in Deutschland bereitzustellen.
1. Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte
Geprüft wurde die Befreiung von der Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte der Investoren, wodurch die Investoren von der Abgeltungssteuer in Höhe von 25 Prozent auf
Kapitaleinkünfte freigestellt würden. Diese
Maßnahme wirkt auf Investorenebene beim
Exit. Bei dieser Maßnahme käme es für
Investoren nur im Falle eines Gewinns bei
Veräußerung der Beteiligung zu einem positiven Effekt.
70
2. INVEST-Zuschuss für Wagniskapital
Auch das existierende Programm „INVEST –
Zuschuss für Wagniskapital“ wurde in die
Analyse eingeschlossen. INVEST richtet
sich insbesondere an Business Angels und
gewährt Kapitalgebern junger, innovativer
Unternehmen einen Zuschuss von 20 Prozent des Investitionsbetrags bei Anteilserwerb. Die maximal bezuschusste Investitionssumme pro Jahr pro Investor liegt bei
250.000 Euro, was für innovative BiotechUnternehmen viel zu gering ist. Rückwirkend
zum 1. Januar 2013 wurde der Zuschuss
kürzlich steuerfrei gestellt. Der Zuschuss
begrenzt das Verlustrisiko für die Investoren um maximal 20 Prozent des zur Verfügung gestellten Kapitals bzw. erhöht
deren Gesamterlös um maximal diesen
Betrag.
3. Deutscher Innovationsfonds (DIF)
Außerdem wurde die Einführung eines
deutschen Innovationsfonds (DIF) analog
zum französischen Bürgerinnovationsfonds
betrachtet. Als neu zu schaffendes Instrument könnte ein DIF durch eine Einkommenssteuerreduktion auf den Investitionsbetrag sowie die Steuerfreiheit von Kapitaleinkünften die Attraktivität einer Investition
in junge Wachstumsunternehmen für Privatanleger erhöhen und so den Zugang für
eine neue Investorengruppe zum Wachstumskapitalmarkt öffnen. Diese Maßnahme
würde ebenfalls auf Investorenebene wirken,
sowohl im Zeitpunkt der Beteiligung als auch
beim Exit.
4. Steuergutschriften
Als vierte Maßnahme wurde die Einführung
von Steuergutschriften (Tax Credits) in
unterschiedlicher Höhe für innovative kleine
und mittlere Unternehmen (KMU) in den
Vergleich miteinbezogen. Hier handelt es
sich um neu einzuführende, nicht zu versteuernde Steuergutschriften in festzulegender Höhe, welche innovativen Wachstumsunternehmen vom Staat gewährt werden.
Diese Maßnahme wirkt auf Unternehmensebene, wobei Investoren indirekt von diesen
Steuergutschriften profitieren.
Der Mix macht’s
Der Wirkungsgrad dieser verschiedenen
Maßnahmen auf die Investitionsbereitschaft
der Investoren unter Berücksichtigung der
Auswirkungen auf die innovativen Unternehmen wurde ausführlich analysiert. Zu-
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Dr. Peter Heinrich,
Vorstandsvorsitzender
BIO Deutschland e.V.,
Berlin
dem wurde die Effizienz der Maßnahmen
für den Staat betrachtet. Aufgrund der Ergebnisse setzt sich BIO Deutschland dafür
ein, den Cashflow auf Unternehmensebene
durch die Einführung von Steuergutschriften
zu verbessern. Auf Investorenebene sollte
der INVEST – Zuschuss für Wagniskapital
auf alle Investoren sowie alle Kapitalgeber,
die in innovative Unternehmen investieren,
erweitert werden und im nächsten Schritt
das Fondsvolumen entsprechend erhöht
werden. Investitionen in junge, innovative
Unternehmen bezogen auf Gewinne von
Werterhöhungen bzw. Kurssteigerungen
sollten wieder steuerfrei gestellt werden.
Außerdem wäre es wünschenswert, einen
Innovationsfonds in Deutschland einzuführen. All diese Maßnahmen verringern das
Risiko für Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Investoren und sind daher
geeignet, Eigenkapital für innovative mittelständische Wachstumsunternehmen zu
mobilisieren und wären ausgezeichnete
Instrumente, der Biotechnologiebranche
den notwendigen Schub zu versetzen.
www.biodeutschland.org
BioRegionen treiben Transformation zur Bioökonomie voran
Interdisziplinarität und
Querschnittstechnologie
Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion um
Verbesserungen in der Innovationsfinanzierung (Kernthema in diesem Report) ist
die Klarstellung, dass dies kein isoliertes
Biotech-Phänomen ist, sondern eine wirklich relevante Weichenstellung für den
Wirtschaftsstandort Deutschland. Die
wesentliche Rationale dafür kommt aus der
Erkenntnis, dass neben der Digitalisierung
in vielen Industrien auch die Biologisierung
an Bedeutung zunimmt. Der Begriff der
„Bioökonomie“ bringt dies am besten zum
Ausdruck und gewinnt zunehmend an
Sichtbarkeit in der politischen und öffentlichen Diskussion.
Wichtige Voraussetzung für das weitere
Vordringen dieser Thematik in die Gesellschaft ist einerseits eine modifizierte
Definition der Biotechnologie als breit
anwendbare Querschnittstechnologie,
deren Einsatzgebiete weit über die engen
Grenzen der aktuellen Biotech-Branche
hinausgehen. Ebenso wichtig sind die kreative Vernetzung der Biotechnologie mit
vielen anderen Technologien und die interdisziplinäre Zusammenarbeit, an deren
Schnittstellen bahnbrechende Innovationen
entstehen.
Viele Einzelbeispiele von kreativen Ideen
für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
weisen den Weg. Innovative Unternehmen
und individuelle Unternehmer stehen für
den Aufbruch in dieses neue Zeitalter von
integrierten Lösungen für komplexe Problemstellungen.
Neue Strategien für regionale Cluster
Umso wichtiger ist es, dass zu den Treibern
für diese Entwicklungen in zunehmendem
Maße auch regionale Initiativen gehören,
die in ihren Clusterstrategien ganz bewusst
versuchen, spezifische regionale Stärken
aus unterschiedlichen Bereichen im Sinne
der Interdisziplinarität zusammen zu bringen und daraus neue Alleinstellungsmerkmale abzuleiten. Solche Initiativen sind
enorm wichtig, zumal sie die BioökonomieDiskussion auf ein höheres Level führen,
von individuellen Ideen zu einer strategischen Ausrichtung der Biotechnologie als
Querschnittstechnologie.
Erstaunlich ist dabei das breite Spektrum
der Ideen, die über die „Befruchtung durch
Biotechnologie“ zu innovativen Wertschöpfungsprozessen führen:
• Aktives Altern und gesundes Leben
• Biologisierung von medizinischen
Implantaten
•P
hotodynamik und Tumorbehandlung
durch „Biomedical Engineering“
•➢ „Engineering – Life Sciences – Automation“
•➢ Innovative Proteinquellen für die
Ernährung
• Neue Rohstoffe für innovative Polymere
mit neuen Eigenschaften
• Life Sciences und Mikro- / Nanotechnologie für innovative Medizingeräte
• Mutanom-Impfstoffe für die individualisierte Krebstherapie
• Systembiologie und Gesundheitswirtschaft
Die Vielfalt der interdisziplinären Ansätze
ist beeindruckend und macht die BioRegionen tatsächlich zu Treibern in einem zukunftsträchtigen Transformationsprozess.
Im nachfolgenden Artikel werden die einzelnen Ansätze der BioRegionen genauer
beleuchtet.
Biotech-Standort Deutschland | 71
Transformationsprozesse – Biotech
als Werttreiber
Branchen wachsen weiter zusammen. Die Biotech-Branche
schafft dabei neue Märkte
und wird Werttreiber durch
die Veredelung von Produkten.
Die Entwicklung dieser Transformationsprozesse wird von
den BioRegionen begleitet und
gefördert.
BioRN: Interdisziplinäre Zusammenarbeit
im EIT Health für „Aktives Altern und
gesundes Leben“
Das Biotech-Cluster Rhein-Neckar (BioRN)
ist als sogenanntes Co-Location Center am
EIT Health, dem bisher größten europäischen
Kooperationsprojekt im Bereich Gesundheit,
beteiligt. Die EIT Health-Partner arbeiten in
den kommenden sieben Jahren als Knowledge and Innovation Community (KIC) zusammen, mit dem Ziel innovative Produkte,
Dienstleistungen und Konzepte zu entwickeln,
die die Lebensqualität verbessern und zur
Nachhaltigkeit der Gesundheitsversorgung
in ganz Europa beitragen werden. Zu den
52 Hauptpartnern und weiteren 92 assoziierten Mitgliedern aus neun EU-Staaten
zählen unter anderem Roche Diagnostics
in Mannheim, AbbVie in Ludwigshafen und
die Universität Heidelberg als Vertreter
des BioRN-Clusters sowie wesentliche Einrichtungen und Unternehmen der BioRNPartnerregionen Cambridge in Großbritannien und Leuven in Belgien (Health Axis
Europe Alliance). Aus Deutschland sind
außerdem die Spitzenregionen BioM in
München, Medical Valley in Erlangen und
BIO.NRW mit den Standorten Köln und
Aachen am EIT Health beteiligt.
BIO.NRW: Transformationsprozesse der
Biotech-Branche in NRW als Werttreiber
für die Zukunft
Dynamische Entwicklungsprozesse und
Cross-Innovation sind charakteristisch für
die Biotech-Branche in Nordrhein-Westfalen.
Die Biotechnologie in NRW schafft gemeinsam mit Produktentwicklungen aus den Bereichen Medizintechnik, Umwelttechnologie
und Materialwissenschaften neue Anwendungsmöglichkeiten und verbindet Wertschöpfungsketten. Exemplarisch wurden auf
dem BIO.NRW Medica Forum „Bioökonomie
in der Medizin: Von innovativen Materialien
und Oberflächen“ z. B. neue Produktentwicklungen für die Biologisierung von Implantaten
und für den Einsatz von Biokunststoffen im
Krankenhaus vorgestellt. Die Integration
von biotechnologisch hergestellten und biologisch abbaubaren Biokunststoffen als Bestandteil von Medizinprodukten bietet dabei
nicht nur neue Anwendungen, sondern ermöglicht es gleichzeitig auch, Prozessketten
in der Patientenversorgung zu vereinfachen
und Entsorgungsprobleme bei Krankenhäusern zu lösen. In noch größerem Maßstab verfolgt das internationale Konsortium
BIG-C des Niederlande / Flandern / NRWMegaclusters in der industriellen Biotechnologie das Upscaling von biotechnologischen
Prozessen und damit sowohl die Substitution petrochemisch basierter Prozesse als
auch die Etablierung innovativer bioökonomischer Wertschöpfungsketten.
www.bio.nrw.de
www.BioRN.org
BioRegio Regensburg: Interdisziplinäre
Projekte im Aufwind
Seit der Gründung der BioPark Regensburg
GmbH auf dem Gelände der Universität
Regensburg vor 15 Jahren ist die Biotechnologie ein wichtiger Treiber für die interdisziplinäre Vernetzung der Branchen in der
Region und die Entstehung von neuen Projekten und Studiengängen vor Ort. So werden z. B. neuartige antimikrobielle Wandverkleidungen in der Region produziert, die
sowohl im OP-Saal als auch im Kühlhaus
Verwendung finden. Neue interdisziplinäre
Cluster sind entstanden, wie z. B. in der
Photodynamik, in der die Absorption von
Licht durch Farbstoffmoleküle zur Tumordiagnostik und -bekämpfung oder zur
Lebensmittelsicherheit und Entkeimung
eingesetzt wird. Mit dem „Regensburg
Center of Biomedical Engineering“ startet
der erste interdisziplinäre Studiengang an
der Fakultät für Medizin (Klinikum) und
den Fakultäten der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg.
www.bioregio-regensburg.de
BioRegioN: Werttreiber im Bereich der
Natur- und Wirkstoffentwicklung
Niedersachsen hat sich in der Roten Biotechnologie zu einem starken Standort für
Forschungsdienstleistungen entwickelt.
Die vorhandenen Forschungszentren und
-verbünde bilden im Bereich der Natur- und
Wirkstoffentwicklung eine vollständige translationale Wertschöpfungskette ab. Zu nennen
sind hier z. B. die Translationsallianz TRAIN,
das Systembiologiezentrum BRICS, das
Wirkstoffzentrum BMWZ, das Zentrum für
Pharmaverfahrenstechnik (im Bau) sowie
Deutschlands modernstes klinisches Forschungszentrum, das CRC Hannover. Um
die akademischen Partner herum haben
sich zahlreiche Unternehmen etabliert, die
mit ihren Produkten und Dienstleistungen
diese Wertschöpfungskette ergänzen, an
deren Ende Wirkstoffe für die Pharmazie
sowie Aromen und Zusatzstoffe für die Ernährungs- und Kosmetikindustrie stehen.
Die BioRegioN fungiert im Cluster als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
Dabei streben wir eine intensivere Vernetzung sowie die Integration weiterer
Branchenakteure an, um die vorhandene
Wertschöpfungskette gezielt zu erweitern.
www.bioregion.de
72
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
BioRegio STERN Management GmbH:
ELSA – Werttreiber für Biotech und
Automatisierung
Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit
von Medizintechnik oder Biotechnologie
einerseits und Ingenieurwissen andererseits
voranzutreiben, hat die BioRegio STERN
Management GmbH die Clusterinitiative ELSA
„Engineering – Life Sciences – Automation“
ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser Initiative soll die Life-Sciences-Branche mit der
Automatisierungstechnik, dem Maschinenbau und der Automobilzulieferung zusammenwachsen. Viele innovative Produkte der
Biotech-Industrie sind zwar marktreif, werden jedoch noch im Labormaßstab und in
Handarbeit hergestellt. Gerade im Bereich
der Gewebekulturen besteht ein großer Bedarf an Automatisierung, beispielsweise um
geeignete Wirkstoffkandidaten zu testen. In
der personalisierten Medizin, insbesondere
dem Tissue Engineering, müssen wiederum
individuelle Produkte für einzelne Patienten
in ausreichenden Mengen und gleichbleibender Qualität gezielt hergestellt werden.
Um in Zukunft wirtschaftlich entwickeln und
produzieren zu können, brauchen die LifeSciences-Unternehmen durchgängige Automatisierungslösungen. Nicht erst nachdem
das Produkt erfolgreich auf den Markt gelangt ist, sondern bereits während der Entwicklung müssen effiziente Produktionstechniken konzeptioniert und realisiert
werden. In der Region sind Automatisierungstechnik und Anlagenbau Schlüsselbranchen, die sich traditionell auf den Automobil- und Maschinenbau konzentrieren.
Für sie schafft die Biotech-Branche ganz
neue Märkte. Ein Transformationsprozess
zweier Branchen, wie er von ELSA unterstützt wird, bleibt naturgemäß nicht auf
eine Region oder ein Land begrenzt. Inzwischen wird das Projekt von der BioRegio
STERN Management GmbH international
weiterentwickelt.
www.bioregio-stern.de
BioCon Valley: Das neue Soja aus Lupine –
innovative Pflanzenzüchtung aus
Mecklenburg-Vorpommern für
alternative Lebens- und Futtermittel
Die in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich
gezüchtete Blaue Süßlupine ist mit bis zu
35 Prozent Proteingehalt sehr eiweißreich,
bietet eine Alternative zu tierischem Eiweiß
und ist gentechnikfrei. Um Proteine und
Ballaststoffe aus den Samen der Blauen Süßlupinen für eine breite Anwendung in der
industriellen Lebensmittelherstellung nutzbar zu machen, engagieren sich zehn Unternehmen und vier Forschungseinrichtungen
erfolgreich in der Region, initiiert und vorangetrieben durch BioCon Valley, dem regionalen Clustermanagement. Durch die Anregung des Lebensmitteltechnologen Gerhard
Kloth (Allergie der Tochter gegen Milcheiweiß) hat Bio-Con Valley das Thema 2005
aufgegriffen und ein regionales Projektkonsortium im Rahmen des Innovationsforums
„Gewinnung von bio-funktionellen Food Ingredients aus Lupinensaaten für die Lebensmittelindustrie“, gefördert durch das BMBF,
aufgebaut. Aus dem erfolgreichen Start
wurde ein „Innovativer regionaler Wachstumskern“ als Verbund von regionalen Firmen, Pflanzenzüchtungsforschern und dem
Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik
und Verpackung aus München etabliert, die
Grimmer Prolupin GmbH als Firma ausgegründet. Bereits im Mai 2011 konnten mit
dem Lupineneis „Lupinesse“ erste Produkte
auf den Märkten platziert werden. Im November 2014 wurde die Entwicklung mit dem
Deutschen Zukunftspreis 2014 durch Bundespräsident Joachim Gauck ausgezeichnet.
„Der Deutsche Zukunftspreis ist ein Aushängeschild für exzellente Erfindungen und
Entwicklungen und zugleich auch ein Ansporn,
auf diesem Gebiet noch mehr zu leisten.
Möge er auch 2014 weit ausstrahlen und
gerade bei jungen Menschen an Schulen und
Hochschulen die Neugierde auf Forschung
wecken. Die Nominierten und Preisträger des
Deutschen Zukunftspreises sind dafür Vorbilder“, so Bundespräsident Joachim Gauck
in seinem Grußwort. Der Erfolg des Lupineneiweiß ist ein schönes Beispiel für die gelungene Innovationsförderung im BioCon
Valley-Netzwerk, das weitere Bereiche wie
die Medizin, Pflanzen- und Zierzüchtung
sowie die Marine Biotechnologie einschließt.
BioRiver-Life Science im Rheinland e.V.:
Neuer Firmenverbund vereinigt Wertschöpfungsketten zur enzymatischen
Herstellung von Produkten der weißen
Biotechnologie
Der Enzymspezialist evocatal GmbH mit
Sitz in Monheim am Rhein übernimmt die
Mehrheitsanteile an der Potsdamer aevotis
GmbH. Es entsteht ein Verbund mit umfangreicher Expertise im Bereich der Entwicklung und Produktion industrieller Enzyme
und deren Einsatz zur Herstellung neuartiger Rohstoffe auf Kohlenhydratbasis. Die
beiden Unternehmen liefern gemeinsam die
gesamte Wertschöpfungskette – von der
Enzymentwicklung bis zur Markteinführung
innovativer Polymere im Bereich Lebensmittel, Kosmetik und Weitere. Bereits heute
werden Kohlenhydrat-Oligomere und -Polymere in Lebensmitteln unter anderem aufgrund ihrer strukturgebenden Funktionen
eingesetzt und wirken als Ballaststoffe gesundheitsfördernd. Darüber hinaus finden
sie auch in Cremes und Körperpflegemitteln
weitreichende Einsatzmöglichkeiten. Der
zukünftige Markt ist groß: Aus KohlenhydratOligomeren und -Polymeren entstehen durch
bestimmte enzymkatalysierte Modifikationen
Ausgangsstoffe mit neuen Eigenschaften
für diverse Industrien.
www.bioriver.de
www.plantsprofood.eu
www.bioconvalley.org
Biotech-Standort Deutschland | 73
BioM: Transformation und Wertsteigerung im Münchner Biotech-Cluster
In der Biotechnologie sieht man häufig das
Bestreben „andere“ Branchen zu transformieren und dort positiv, wertsteigernd zu
wirken. Aber es geht auch andersherum.
Eine Münchner Informatikfirma, immerhin
vom Nobelpreisträger Gerd Binnig gegründet, beschäftigte sich schwerpunktmäßig
mit der Analyse von Geo-Daten, also dem
Bereich der Erderkundung durch Satelliten.
Die informatische Expertise des Umgangs
mit wirklich großen Datenmengen (Big
Data) zusammen mit der Entwicklung neuer
Algorithmen zur „Muster-Erkennung“ aus
diesen Bildern konnte diese Firma, Definiens
AG, auch in Software-Produkte für die automatische Bilderfassung und -analyse von
Gewebeschnitten in der Medizin und Krankheitsdiagnose „übersetzen“. Definiens hat
sich damit zu einer „Bio“-Informatikfirma
gewandelt. Und dies so erfolgreich, dass im
Jahr 2014 die Pharma-Firma AstraZeneca / Medimmune bereit war, den Kaufpreis von
130 Millionen Euro zu bezahlen – rund das
fünffache des im Unternehmen über die
Jahre allozierten Investments.
biosaxony: Cross Cluster Cooperation
Im clusterübergreifenden Projekt C3-Saxony
haben sich die Schlüsseltechnologiecluster
Silicon Saxony (Mikro- und Nanoelektronik)
und biosaxony (Life Sciences) vereint,
um gemeinsam die Entwicklung interdisziplinärer Technologien voranzutreiben. Das
von der Europäischen Union geförderte
Projekt wird vom sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
koordiniert. Gemeinsam mit Partnern aus
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik treibt
das C3-Konsortium Inkubationsprojekte
voran und unterstützt Unternehmen in
Forschungs- und Entwicklungsprojekten
im Grenzbereich zwischen Mikroelektronik
und Life Sciences. An dieser Schnittstelle
haben sich die „Entwicklung hochtechnisierter Medizingeräte“ und die „Personalisierte Medizin“ als besonders innovativ und
zukunftsweisend herausgestellt. Um die
Potenziale zu erhalten und auszubauen,
wird biosaxony diese aufstrebende Branche
auch nach Ablauf des Projektes verstärkt
unterstützen.
www.C3-saxony.eu
www.bio-m.org
Ci3: Paradigmenwechsel bei neuen
individualisierten biopharmazeutischen
Wirkstoffen
In der im Bereich der Biopharmazeutika
europaweit führenden Rhein-Main-Region
(„European Cluster Panorama 2014“)
entwickeln Partner des Ci3-Spitzenclusters
gemeinsam neue hoch innovative immuntherapeutische und diagnostische Produkte
für die personalisierte Medizin. Eine wichtige Speerspitze sind dabei RNA-basierte
Mutanom-Impfstoffe. Diese maßgeschneiderten Krebstherapeutika eignen sich zum
Einsatz gegen alle häufigen wie auch seltenen Krebsentitäten und bieten damit große
Therapie- und Marktchancen. Da sich Mutanom-Impfstoffe individuell in der Zusammensetzung stark unterscheiden, bedarf es bei
der klinischen Entwicklung eines Paradigmenwechsels von einer produkt- zu einer prozesszentrierten Sichtweise, mit entsprechenden
konzeptionellen, regulatorischen, technologischen und klinischen Herausforderungen.
Über Pionierleistungen wurden von den
Ci3-Partnern ein Technologievorsprung und
eine industrielle Vorreiterrolle für Mutanom-
74
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Impfstoffe geschaffen. Das Ci3-Cluster befindet sich damit in einer hervorragenden
Wettbewerbsposition zur Realisierung
der großen internationalen Marktchancen
dieser neuen biopharmazeutischen Produktklasse.
www.ci-3.de
BioTOP Berlin-Brandenburg: Chancen
an der Schnittstelle von Pharma,
Biotechnologie und Medizintechnik
Wegen der Realitäten an den Kapitalmärkten
hat sich die Biotechnologie als Branche, die
sich in der Hauptsache der Entwicklung von
neuen Medikamenten widmet, neu erfinden
müssen. Gegenwart und Zukunft gehören
Geschäftsmodellen, die Barrieren zwischen
Teilbranchen überwinden. Präventive Maßnahmen werden mit individualisierter Invivo- und In-vitro-Diagnostik von Risikofaktoren kombiniert. Neue Produkte und Dienstleistungen aus Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglichen die Bündelung von medizinischer Forschung und
Systembiologie zu einem integrativen Konzept und schaffen die Basis für eine evidenzbasierte individualisierte Medizin. In der
Hauptstadtregion sehen wir die Biotechnologie seit Jahren nicht mehr als isolierte
Zulieferbranche der Pharma-Industrie, sondern als wesentliche Querschnittstechnologie, von der maßgeblich viele andere
Branchen, in erster Linie die gesamte Gesundheitswirtschaft, profitieren. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Translationszentren wie das Berlin Institute of Health.
In den nächsten Jahren werden eine Vielzahl neuer Produkte an den Schnittstellen
von Biotechnologie und Medizintechnik,
Bildgebung und molekularer Diagnostik
sowie Gesundheit und IT entwickelt und in
den Markt eingeführt. Für die Branche Biotechnologie ist das gut, denn neben b-2-b
eröffnen sich lukrative b-2-c Märkte.
www.healthcapital.de/biotechnologie
Biotech-Standort Deutschland | 75
76
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Danksagung
Die Publikation einer Branchenstudie ist
das Resultat der Zusammenarbeit zahlreicher Personen. Neben dem EY Team
haben vor allem auch viele externe, unverzichtbare Ansprechpartner zum Gelingen
der vorliegenden Studie beigetragen.
Allen voran die vielen Kontakte zu BiotechUnternehmen, die wir im Rahmen einer globalen Firmenumfrage ansprechen und die
uns essenzielle Informationen auf vertraulicher Basis zukommen lassen. Die wiederholt hohe Rücklaufrate macht uns stolz
und zeigt uns, dass die Branche unsere
Erhebungen schätzt. Wir bedanken uns
hierfür herzlich bei allen Teilnehmern der
Umfrage.
Ebenso informativ wie wertvoll sind die
Expertenbeiträge in Form von themenbezogenen Artikeln. Als authentische Stimme
aus der Branche sind sie für uns wichtiger
Beleg für die Richtigkeit unserer Analyseergebnisse und Trends. Allen Autoren
zollen wir unseren tiefsten Dank für ihre
durchweg spontane Bereitschaft zur Formulierung ihrer Beiträge.
Wesentliche Unterstützung erfuhren wir
darüber hinaus in unzähligen persönlichen
Gesprächen mit Experten aus der Branche,
die viele Sachverhalte interpretieren halfen
und unzählige neue Ideen und Vorschläge
einbrachten. Für die offene und kritische
Diskussion bedanken wir uns herzlich.
Insbesondere war die fortgesetzte Interaktion mit den Initiatoren der letztjährigen
„Story“ sowie die daran anknüpfenden
Gespräche mit Politikern und vielen Stakeholdern extrem motivierend und hat die
Fortführung dieser Thematik im vorliegenden Bericht getriggert. Dafür geht der
Dank wieder an Dr. Claus Kremoser (CEO
Phenex Pharmaceuticals) und Dr. Holger
Zinke (CEO BRAIN AG), an Dr. Ingmar
Hoerr (CEO CureVac) und Dr. Georg Licht
(Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung).
Der Erfolg des fertigen gedruckten Reports
ist aber vor allem das Produkt eines motivierten und eng verzahnten Teams im EY Life
Science Center Mannheim. Die Erfassung
und Analyse von Informationen und Daten
aus der Life-Science-Industrie wurden
durchgeführt von Lisa-Marie Schulte. Die
teameigene „Knowledge Platform“ ermöglicht tiefgehende Analysen, Vergleiche über
Jahre und Geographien sowie die Ableitung
solider Trends nicht nur für die vorliegende
Studie.
Eva-Maria Hilgarth zeichnete für das Projektmanagement, die Gesamtabstimmung
und Redaktion der vorliegenden Studie
verantwortlich. Neben der Interaktion mit
der externen Agentur umfasste dies auch
die Koordination aller externen Beiträge.
Nicht zuletzt gilt unser Dank auch Stefanie
Probst und ihrem Team bei magenta Kommunikation, Design und Neue Medien für
den unermüdlichen Einsatz, die unendliche
Geduld mit vielen Änderungswünschen und
Korrekturen und die professionelle Umsetzung unserer Ideen in ein optisch gelungenes Werk.
Mit diesem Bericht verfolgen wir das Ziel,
einen Überblick über aktuelle Perspektiven
der Biotech-Branche in Deutschland zu
geben und laufende Entwicklungen im internationalen Vergleich zu bewerten. Es handelt
sich hierbei um einen unabhängigen Branchenbericht ohne externe Auftraggeber.
Auf die Inhalte wurde keinerlei Einfluss
durch einzelne Unternehmen oder Institutionen genommen.
Siegfried Bialojan
Gesamtleitung und Autor der Studie
Eva-Maria Hilgarth
Lisa-Marie Schulte
Projektteam EY
Danksagung | 77
Anhang
Methodik
EY erhebt seit über 25 Jahren Kennzahlen
zur Beschreibung der Biotech-Industrie in
den Hauptmärkten USA, Europa, Kanada
und Australien. Dabei geht es vor allem
darum, Entwicklungen und Trends quantitativ zu erfassen und in entsprechenden
Statistiken über die Jahre zu verfolgen.
Die wichtigsten Qualitätskriterien hierbei
waren und sind:
• eine konsistente Definition der Einschlusskriterien für Biotech-Firmen (siehe unten)
• die global einheitliche und konsistente
Anwendung der Kriterien auf nationaler
Ebene
Die zugrundeliegenden Daten wurden
mittels einer Befragung von Biotech-Unternehmen erhoben und durch intensive
Sekundärrecherchen ergänzt. In der Primärerhebung wurden ca. 300 deutsche
Unternehmen befragt. Die Rücklaufquote
betrug etwa 30 Prozent.
Die Umrechnung ausländischer Währungen
erfolgte auf Basis kalkulierter Jahresdurchschnittswerte der jeweiligen Wechselkurse
(Quelle: www.oanda.com).
Die themenbezogenen Expertenbeiträge
wurden von externen Autoren verfasst und
stellen somit deren Meinung dar.
78
| Momentum nutzen Deutscher Biotechnologie-Report 2015
Definition: Biotech-Unternehmen
EY analysiert in der vorliegenden Studie
Unternehmen, deren Hauptgeschäftszweck
die Kommerzialisierung der modernen Biotechnologie ist. Moderne Biotechnologie
nutzt molekularbiologische Verfahren zur
Produktion von innovativen Medikamenten,
Diagnostika, Spezialchemikalien sowie transgenen Pflanzen und Tieren. Ferner werden
hier sämtliche Technologien, Forschung
und Dienstleistungen, die in vorgenannten
Bereichen eingesetzt bzw. durchgeführt
werden, eingeschlossen.
Eingesetzte Verfahren sind beispielsweise:
rekombinante DNA-Techniken; cDNA-Techniken und Biochips; Herstellung von und
Arbeiten mit Antikörpern sowie Proteinen
als Tools, Therapeutika und Diagnostika;
Tissue Engineering; Auftragsproduktion,
wenn rekombinante Verfahren involviert
sind; biologische Assays und zelluläre Systeme; Zellkulturen für Therapie und Produktion; Gentherapie und Drug Delivery;
molekulare Diagnostik sowie moderne
pflanzenbiotechnologische Verfahren.
Ebenfalls hinzugezählt werden Produkte
und Verfahren, die nicht im engeren Sinne
„bio“-technologisch sind, jedoch wichtige
Bausteine in der Wertschöpfungskette der
Biotech-Industrie darstellen (z. B. Bioinformatik sowie Technologien und Services im
Bereich Medikamentenentwicklung).
Diese Studie beinhaltet im Kernsegment
keine Firmen, die sich mit klassischen Methoden der Biotechnologie beschäftigen,
also z. B. Verfahren aus der Nahrungsmittelherstellung und der klassischen industriellen Biotechnologie (Fermentation / Transformationen zur Herstellung von Antibiotika
oder Feinchemikalien, klassische Enzymtechnologie). Ebenso werden Firmen ausgeschlossen, die allein analytische Techniken einsetzen. Auch rein biochemisches
Arbeiten (z. B. klassische Labor-, klinische
und genetische Diagnostik) sowie mikroskopische Diagnostik werden nicht berücksichtigt. Firmen, die sich vorwiegend mit
gängigen Technologien der Immunologie
(z. B. ELISA) beschäftigen, die Diagnostikgeräte anbieten, sowie Medizintechnikgeräte- und Verbrauchsmaterialhersteller sind
ebenfalls nicht in die Untersuchung eingeschlossen. Ferner nicht berücksichtigt werden Firmen, die sich ausschließlich mit dem
Vertrieb von Biotech-Produkten beschäftigen oder die Biotechnologie nicht als Hauptgeschäftszweck betreiben. Damit sind auch
traditionelle Mittelstands- und Großunternehmen aus der Pharma- und Agroindustrie
ausgeschlossen, auch wenn sie mit Methoden der modernen Biotechnologie arbeiten.
Abgrenzung zu anderen
Branchen-Studien
Diskrepanzen zu Erhebungen verschiedener nationaler Institutionen ergeben sich
vorwiegend dadurch, dass diese verständlicherweise vornehmlich volkswirtschaftlich
relevante Bewertungskriterien bei der Beschreibung der Branche anlegen, um eine
regionale oder nationale Leistungsfähigkeit
zu belegen. In diesem Zusammenhang tragen z. B. Niederlassungen ausländischer
Muttergesellschaften in Deutschland sehr
wohl zur volkswirtschaftlichen Leistung bei
(Mitarbeiter, Umsatz, F&E-Aufwendungen,
Steueraufkommen etc.); gleichwohl zwingt
eine globale Analyse – wie sie von EY regelmäßig durchgeführt wird – formal zur Zuordnung des Unternehmens zum juristischen
Hauptsitz, um Doppelzählungen zu vermeiden. Auch ist es vielfach schwierig, von international tätigen Unternehmen detaillierte
Zahlen – beispielsweise zu Umsatz, F&EAusgaben – zu erhalten, die ihre regionalen
Niederlassungen exakt abbilden.
Das Vorgehen auf Basis einer restriktiveren
Definition hat jedoch keine Auswirkungen
auf die Beschreibung von Trends beziehungsweise auf die Detailanalysen von Finanzierungs- oder Transaktionsentwicklungen,
welche im Fokus der EY Berichte stehen.
Anhang | 79
Impressum
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die
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Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne
der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu
betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten, die im
Rahmen einer Primärdatenerhebung sowie Sekundärdatenrecherche
von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem Report
wiedergegebenen qualitativen und quantitativen Einschätzungen
wurden mit hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch übernimmt der Heraus­
geber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben.
Das Titelbild wurde mit freundlicher Genehmigung der
Deutsche Börse AG zur Verfügung gestellt.
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Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Theodor-Heuss-Anlage 2, 68165 Mannheim
April 2015
Layout und Produktion: magenta – Kommunikation,
Design und Neue Medien GmbH & Co. KG, Mannheim
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exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. Unser
Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen – für
unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und die Gesellschaft, in der wir leben.
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EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory
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