Westfalen-Blatt Nr. 86 E25 WIRTSCHAFT Dienstag, 14. April 2015 OWL-Firmen in Kontakt mit Indien Partnerland der Hannovermesse rückt in den Blickpunkt – Besuch bei Harting und am »It's OWL«-Stand Von Bernhard H e r t l e i n Hannover/Espelkamp/Bielefeld (WB). Margrit Harting, geschäftsführende Gesellschafterin des auf Verbindungstechnik spezialisierten Espelkamper Familienunternehmens Harting, empfing den indischen Ministerpräsidenten gestern fast überschwänglich: »Ihre Rede war die beste zur Eröffnung einer Hannovermesse, die ich in 20 Jahren gehört habe.« Was Margrit Harting offenbar so beeindruckte, war Narendra Modis leidenschaftlicher Appell, am Aufbau des Hochtechnologielandes Indien mitzuwirken – gepaart mit dem Versprechen, seine Regierung werde Investitionshemmnisse wie die langen Genehmigungszeiten rasch beseitigen. Modi hat es schon als Regierungschef in Gujerat vorgemacht, als er den Industrieriesen Tata überzeugte, seine Autofabrik nicht in Westbengalen, sondern in seinem Bundesstaat zu errichten. Dietmar Harting legte noch eins drauf, indem er sagte, mit dem Sieg von Modis hindu-nationalistischer Partei BNP bei den Parlamentswahlen vor elf Monaten habe sich der Wunsch der Wirtschaft realisiert. Die Espelkamper haben 2005 in der südindischen Metropole Chennai zunächst mit einem Verkaufsbüro und dann mit einer kleinen lokalen Produktion von Kabelsteckern für den lokalen Markt begonnen. Die Kunden kommen vor allem aus der Energiewirtschaft, dem Verkehrssektor und dem Maschinenbau. Derzeit ist Harting dabei, den Subkontinent mit einem Netz von Vertriebsbüros zu überziehen. Sollte sich die Auftragslage wie erwartet entwickeln, werde Harting seine Produktion in Indien ausweiten. Als ein großes Hindernis gilt in diesem Zusammenhang das System der innerindischen Zollschranken zwischen den einzelnen Bundesstaaten. Narendra Modi besuchte den Harting-Stand gestern, am ersten Tag der Hannovermesse, gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beiden überreichte Juniorchef Philipp Harting einen vor Ort in einer Demonstrationsanlage produzierten Steckverbinder mit Namensgravur als Zeichen, dass die beiden Länder langfristig verbunden sein sollten: »Nehmen Sie sich unsere Stecker zum Vorbild. Sie halten Jahrzehnte.« Wie Harting am Nachmittag Große Zuversicht Einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom zufolge sieht die deutsche Wirtschaft großes Potenzial in vernetzten und intelligenten Produktionsabläufen – der sogenannten Industrie 4.0. Drei Viertel aller befragten Unternehmen erwarteten von »smarten« Produktionsanlagen einen wesentlichen Beitrag zum künftigen Florieren der deutschen Wirtschaft, sagte BitkomPräsidiumsmitglied Winfried Holz auf der Hannovermesse. Gleichzeitig hielten 80 Prozent der Befragten die eigene Branche aber noch für zu zögerlich bei Industrie 4.0, die sich bis 2025 durchsetzen soll. Als Risiken werden neben der Datensicherheit fehlende Normen und Standards gesehen. Die EU will sich für einheitliche Normen stark machen. Leichter Zuwachs Bundeskanzlerin Angela Merkel und Indiens Ministerpräsident Narendra Modi begutachten auf der Hannovermesse unter dem Beifall von erläuterte, entwickelt sich die Espelkamper Unternehmensgruppe nach dem Rekordumsatz von 547 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr weiter positiv. Für 2014/15 erwartet er einen erneuten Zuwachs von unter fünf Prozent. Die Investitionen bewegen sich auf dem vorjährigen Rekordniveau von 44 Millionen Euro. Harting beschäftigt heute in zwölf Produktionsstätten und 42 Vertriebsgesellschaften weltweit knapp 4000 Mitarbeiter. Besuch aus Indien, dem diesjährigen Partnerland der Hannovermesse, erhielt gestern auch der Messestand von »It’s OWL«. Nach Auskunft von Herbert Weber, dem Geschäftsführer des Spitzenclus- Dietmar Harting (links) und Philipp Harting (rechts) einen Steckverbinder des Unternehmens aus Espelkamp. Foto: Oliver Schwabe ters, kamen die Gäste auf Vermittlung des Bundesforschungsministeriums. Allerdings sei Indien nicht das einzige Land, das sich in größerem Stil für das Spitzencluster interessiere. So hätten sich unter anderem auch Delegationen aus Korea, Japan, Frankreich, Dänemark und Finnland auf dem 600 Quadratmeter großen OWL- Miele arbeitet bei intelligenten Hausgeräten mit Microsoft zusammen Miele macht es möglich: Wer sich künftig sein Essen in einem elektronischen Kochbuch auswählt, kann sich das Programmieren des Backofens sparen. Auf dem Microsoft-Messestand zeigen die Gütersloher in Hannover, wie es gehen kann. Der Kunde entscheidet sich auf der Miele-Website für ein Gericht, das er kochen möchte. Danach muss er nur noch das Gewicht und eventuell die gewünschte Garstufe (blutig, medium, durch) eingeben und die entsprechenden Daten an den Backofen schicken. Dieser ermittelt automatisch das richtige Programm und die Backzeit. Zwischendurch kann der Gastgeber auf Knopfdruck Backzeit und Temperatur im Backofen bzw. Braten abfragen. Nach Auskunft von Miele-Produktmanager Bert Plonus und Maik Schwarze (Microsoft), arbeiten die Unternehmen auch bei anderen Projekten für die Zukunft des »Smart Home« zusammen. Das Online-Kochbuch kann den Miele-Backofen programmieren. Messestand angesagt. »Die Internationalisierung unserer Arbeit nimmt Fahrt auf«, freut sich Weber. Gerade in diesem Jahr verfolge man das besondere Ziel, Kontakte ins Ausland zu knüpfen – nicht nur in Hannover, sondern auch auf Messen im Ausland. Neben internationalen Delegationen haben sich auch prominente Politiker bei »It’s OWL« angesagt. Nach NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin wird sich heute Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft, über Industrie 4.0 und das ostwestfälische Spitzencluster informieren. Viele der am OWL-Stand ausstellenden Firmen sind Technologieführer wie Beckhoff, Boge, Claas, DMG Mori Seiki, KEB, Lenze, Miele, Phoenix Contact, Wago, Weidmüller und erstmals Böllhoff. Einige sind zusätzlich noch mit einem eigenen Messestand auf der traditionellen deutschen Industriemesse. »Für sie ist ihre Präsenz am Spitzencluster-Stand auch ein Bekenntnis zur Technologieregion Ostwestfalen-Lippe«, sagt Weber. Nach einem Produktionsplus 2014 sind die deutschen Maschinenbauer wegen des Ukraine-Konflikts und mangelnder Investitionslaune in Deutschland für das laufende Jahr nur verhalten optimistisch. Erwartet werde ein Produktionszuwachs von zwei Prozent, sagte der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinenund Anlagenbau (VDMA), Reinhold Festge. Für Rückenwind beim Verkauf deutscher Maschinen im Ausland sorgten aber die moderat anziehende Weltkonjunktur und der schwache Euro. Das Vorantreiben von Industrie 4.0 werde bis 2018 zu 10 000 zusätzlichen hochqualifizierten Arbeitsplätzen in Deutschland führen, sagte Festge. Gesucht würden Ingenieure in der Informatik, Software-Designer sowie Automatisierungstechniker. Preis für Innovation Der Innovationspreis »Hermes Award« ist gestern an die Wittenstein AG (Baden-Württemberg) verliehen worden. Bundesforschungsminsiterin Johanna Wanka sprach von einer herausragenden Entwicklungsleistung. Das Unternehmen erhielt den Preis für sein Hochleistungsgetriebe »Galaxie« mit dynamisierten Einzelzähnen. Das Getriebe verbraucht weniger Energie bei einem höheren Wirkungsgrad. Es eignet sich für den Einsatz in Werkzeugmaschinen, Robotern, Windenergieanlagen und Textilmaschinen. Die geschützte Produktion Quantensprung bei Boge Lemgoer Fraunhofer-Zentrum arbeitet an Sicherheitsmechanismen Bielefelder Weltneuheit soll Kompressoren-Markt revolutionieren Hannover/Lemgo (WB/in). Berichte wie der über einen HackerAngriff der Terroristen vom »Islamischen Staat« auf eine Unternehmenswebsite rütteln die Wirtschaft auf. »Sie könnten sogar den Siegeszug von Industrie 4.0 abbremsen«, meint Prof. Jürgen Jasperneite. Der Leiter des FraunhoferAnwendungszentrums IOSB-INA in Lemgo und sein Kollege Dr. Holger Flatt vom Bereich »Eingebettete Systeme für die Automation« zeigen auf der Hannovermesse Sicherheitslösungen, die von Fraunhofer in Lippe und Karlsruhe entwickelt wurden. Jasperneite zufolge würden die Gefahren in einem vernetzten Produktionssystem immer noch unterschätzt. Schließlich könne ein Hacker nicht nur Schaden in der Produktion anrichten, sondern unter Umständen auch Infrastruktur in den Bereichen Energie- und Wasserversorgung stilllegen. Dazu brauche es noch nicht einmal eine Schadsoftware. Es genüge, dass Anlagen künstlich in kurzen Zeitabständen eingeschaltet oder hochgefahren werden, um falsche Reaktionen zum Beispiel in einem Kraftwerk auszulösen. Zum Schutz reiche nicht mehr Jürgen Jasperneite (links) und Holger Flatt entwickeln Lösungen zum Schutz der digitalisierten Industrie vor Attacken. Foto: Schwabe aus, irgendwo eine sichere Firewall einzurichten. Vielmehr müssten eine Vielzahl unterschiedlicher Sicherheitsmaßnahmen an unterschiedlichen Stellen zum Einsatz kommen. In Hannover zeigen die Fraunhofer-Experten die virtuelle Überwachung einer umfangreichen Produktionsanlage. Einige der Sicherheitstechniken seien in Zusammenarbeit auch mit ostwestfälischen Unternehmen und dem Spitzencluster »It’s OWL« entwickelt worden. Als Beispiel erläutert Flatt den Messebesuchern den in Lemgo entwickelten »Secure Plug & Work«. An einer Maschine oder Anlage montiert, stellt er sicher, dass kein Unbefugter in das System eindringt, um womöglich an einer ganz anderen Stelle Informationen abzufischen oder Schaden anzurichten. Flatts Aufgabe ist es, den Bereich »Security and safety engineering« als Ansprechpartner auch für die mittelständische Industrie in OWL aufzubauen. »Da entwickeln wir eine Kernkompetenz«, sagt Jasperneite. Sollte ein solches Labor, wie es in Hannover vorgestellt wird, bei der neuen Smart Factory in Lemgo installiert werden, bedeute dies schnell eine Investition in sechsstelliger Höhe. Lemgo und Karlsruhe sind innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft verantwortlich für den Bereich Automatisierungstechnik. Hannover/Bielefeld (WB/in). Für den Luftdruck-Spezialisten Boge markiert die Hannovermesse einen Paradigmenwechsel. Erstmals seit Einführung der Schraubenkompressoren 1973 könnte eine neue Technologie die Branche durcheinanderwirbeln. Für Thorsten Meier, Geschäftsführer des Bielefelder Unternehmens, ist der High Speed Turbo (HST) »mit Sicherheit die intelligenteste Lösung, ölfrei Druckluft zu erzeugen«. Begeistert zählt er die Vorteile auf: Der HST sei nur etwa halb so groß wie der übliche Schrauben- oder Kolbenkompressor, wiege nur noch ein Drittel, verbrauchte bei den ersten Pilotversuchen 30 Prozent weniger Energie und erzeuge einen um zehn Dezibel geringeren Lärmpegel. Welche Nachteile die neue Technologie habe, beantwortete der geschäftsführende Gesellschafter Wolf D. Meier-Scheuven gestern kurz und knapp: „Keinen!“ Sogar der Preis sei niedriger. Das Besondere: Beim HST ist die von einem Magnetmotor getriebefrei angetriebene Antriebswelle luftgelagert. Erzeugt wird der Luftdruck von je einem Impeller aus Titan an den beiden Enden der Welle. Das geschieht ohne Einsatz von Öl. Der Turbinenantrieb habe sich in anderen Bereichen längst bewährt. Meier: »Was einst die Luftfahrt beflügelt hat, bringt jetzt die Druckluft auf Touren.« Die Idee für den »technologischen Quantensprung« hatte ein koreanischer Tüftler. Er sei jedoch gescheitert, sie industriell nutzbar umsetzen, sagt Meier-Scheuven. Boge habe die Patente gekauft und in 15 Monaten zur Produktionsreife weiterentwickelt. Auch in dieser Hinsicht sei die »Weltneuheit« patentrechtlich geschützt. Alles in allem investierte das Familienunternehmen mehr als zehn Millionen Euro in die neue Technologie. Meier-Scheuven ist überzeugt, dass der HST spätestens 2016 zu mehr Umsatz und zu Neueinstel- lungen führt. Für die neue Technologie will Boge sogar in die Motorenproduktion einsteigen, voraussichtlich im Werk in Großenhain bei Dresden. Auch ohne den HST läuft das Geschäft derzeit gut. Wie 2014 konnte Boge laut MeierScheuven auch in diesem Jahr bislang einen zweistelligen Umsatzzuwachs erzielen. Das erste Quartal sei blendend verlaufen. Seit kurzem ziehe sogar der südeuropäische Markt an. Zuletzt erwirtschaftete Boge einen Umsatz von 125 Millionen Euro. Von den 650 Mitarbeitern arbeiten etwa 400 am Stammsitz in Bielefeld. Geschäftsführender Gesellschafter Wolf D. Meier-Scheuven (rechts) und Geschäftsführer Thorsten Meier mit der Innovation HST. Foto: Schwabe
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