Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Bürokratieabbau Doppelleu Starker Franken Alexis P. Lautenberg Nassim Taleb Die jungunternehmen Kinderfreund Das Abstimmungsverhalten unserer Nationalräte Seite 4 Lokaltermin bei einem «SEF.High Potential KMU» S eite 9 Einschätzungen aus Tourismus und Industrie Seite 12 Warnung vor europapolitischen Illusionen Seite 13 Warum falsche Entscheidungen schmerzen sollten Seite 14 Lego-CEO Die Wachstumsinitiative Jorgen Knudstorp im sef4kmu Exklusivinterview Seite 19 14 Auf den Punkt gebracht Warum das Komplizierte der Feind des Guten ist Umwege kosten Zeit. Aber sie lohnen sich, wenn am Ende eine einfache Lösung steht. Ohne Reduktionsleistung könnten wir nicht einmal eine Strasse überqueren. Wir müssen zuerst das Wesentliche aus der Flut der anstürmenden Informationen filtern. Die Reduktion bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Sie ist ein Überlebensprinzip, ein wissenschaftliches, ein ästhetisches und nicht zuletzt ein ökonomisches Prinzip. Benedikt Weibel * «Suche den Kern des Problems. Konzentriere dich darauf. Schneide alles andere mit dem Rasiermesser ab.» Wilhelm von Ockham, ein englischer Theologe und Philo soph des Hochmittelalters, hat diese glas klare Handlungsanweisung vor 700 Jahren formuliert. «Occam’s Razor» ist im angel sächsischen Sprachbereich ein stehender Begriff geblieben. Wie aber wird der Kern des Problems gefun den? Es brauche dazu «le Coup d’Œil», meint ein halbes Jahrtausend später Carl von Clausewitz, der Begründer der Lehre von der Strategie. Das sei die Kunst, aus einer un übersehbaren Menge von Informationen die für einen Entscheid relevanten Elemente zu erkennen. Daniel Goleman, der Autor des Bestsellers «EQ. Emotionale Intelligenz», um schreibt es so: «Just one cognitive ability distinguished star performers from average: pattern recognition, the ‹big-picture› thinking.» In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Premium-Partner sind zwei Ökonomen unabhängig voneinander und von zwei verschiedenen Seiten her auf das gleiche Phänomen gestossen. Der Deut sche Hermann Heinrich Gossen entwickelte die Lehre vom abnehmenden Grenznutzen, der Italiener Vilfredo Pareto entdeckte die asymmetrische Verteilung vieler Variablen, sowohl in der Natur wie im sozialen Bereich. Die 80/20-Regel Beide Phänomene lassen sich in einer ge krümmten Kurve darstellen. Ihre Interpretati on besagt, dass sich mit 20 Prozent Input 80 Prozent des Outputs erzielen lässt. Die Angel sachsen haben dafür den bildhaften Ausdruck «the low hanging fruit effect» geprägt. In eine ähnliche Richtung weisen die Studien des amerikanischen Psychologen Gary Klein. Er hat im Auftrag des US-Verteidigungsminis teriums Entscheidungen in Extremsituationen untersucht. Zu diesem Zweck hat er Feuer wehrkommandanten im Einsatz beobachtet und ihre Entscheide anhand von Interviews analysiert. Aufgrund des Zeitdruckes erfolgten diese Entscheide intuitiv. Dabei werden kon krete Situationen mit Mustern verglichen, welche aufgrund von Erfahrungen im Gedächt nis gespeichert sind. Intuition, so Klein, kom me keineswegs einfach aus «dem Bauch». Bei seinen Analysen ist er zum Schluss ge kommen, dass es für einen Kommandanten entscheidend sei, seine Absichten so knapp wie möglich zu beschreiben. Je mehr Einzel heiten einbezogen würden, umso weniger sei zu erkennen, was wirklich wichtig sei. Neu ist diese Erkenntnis nicht, wie der be rühmte Satz zeigt, der gleich mehreren Geis Quelle: Shutterstock tesgrössen, unter ihnen auch Goethe, zuge schrieben wird: «Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen hatte ich keine Zeit.» Er bringt die Thematik auf den Punkt. Kurz, prägnant und einfach ist wirkungsvoller als kompliziert. Aber auch viel aufwendiger. Erst wenn man die Komplexität begriffen hat, ist man in der Lage, den Kern des Problems zu erfassen und die Lösung zu definieren. Einfachheit ist nicht einfach, sie muss hart erarbeitet werden. Steve Jobs hat mit seinem Credo «Simplicity is the highest level of sophistication» Apple zur wertvollsten Unternehmung der Welt gemacht. Klare Linien und Proportionen Ende 19. Jahrhunderts erfasste die Bewegung, alles Überflüssige zu entfernen, auch die Ar chitektur. Der österreichische Architekt Adolf Loos war mit seiner radikalen Losung «Weg mit dem Ornament» der Impulsgeber für ein äusserst einflussreiches künstlerisches Expe riment: das Staatliche Bauhaus in Weimar. Dort fanden neben Künstlern wie Klee und Kandinski die besten Architekten der Zeit zusammen. Obwohl das Bauhaus von den Nazis nach nur 13 Jahren geschlossen wur de, sind klare Proportionen und Linien noch heute stilbestimmend. Der Design-Fanatiker Steve Jobs war bekennender Bauhaus-An hänger. Apple-Produkte sind Zeugnisse der Bauhaus-Ästhetik. «Simplify!» steht über dem SEF 2015. Dieser kategorische Imperativ steht in der Tradition von Ockhams Rasiermesser und der Forde rung von Adolf Loos, auf alles Ornamentale zu verzichten. Das ist dringender denn je. Wir erleben eine Umwälzung, die nur mit der industriellen Revolution vergleichbar ist; nur dass alles viel schneller abläuft und die Kom plexität exponentiell wächst. Die Reduktion auf das Wesentliche wird entsprechend wichtiger und anspruchsvoller. Der Fluch des Wissens Und doch tun wir uns immer wieder schwer damit. Ein Hindernis ist der «Fluch des Wis sens». Je tiefer wir in die Komplexität einer Sache eindringen, desto mehr Überwindung braucht es, sich auf wenige Hebel zu kon zentrieren. Reduktion erfordert Mut und ist nie risikolos. «Fokusangst» bezeichnet einen Zustand, der vor dem konsequenten Ge brauch von Ockhams Rasiermesser zurück schreckt. Nur ist die Verzettelung der Kräfte noch viel riskanter. Im Volksmund heisst es etwa: «Er sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr». In der Bürosprache nennt man solche Menschen Mikromanager. Sie können wertvolle Arbeit leisten, aber als Feldherren im Sinne von Clausewitz sind sie mangels Coup d’Œuil ungeeignet. Die grössten Simplify-Verhinderer sind in dessen die Bürokraten, und die sitzen nicht nur beim Staat. Je grösser die Institution, desto stärker die Versuchung, allerhand Stä be aufzubauen. «Klugscheisserabteilungen», wie sie despektierlich genannt werden. Sie kosten viel und hindern die Linie daran, sich mit dem Wesentlichen zu befassen. Auch hier sollte man Ockhams Rasiermesser stets in der Hinterhand haben. Glücklich sind in sofern die KMU: Sie können sich derlei schlicht nicht leisten. Führungskräfte in Grossunternehmen können sich derweil Mary Barra, die neue Chefin von General Motors, zum Vorbild nehmen. Als sie noch Personal chefin war, hat sie einen 15-seitigen Dress code auf zwei Worte reduziert: angemessene Kleidung. Die Wirtschaft wird dem SEF zu Dank verpflichtet sein, wenn die Teilnehmerin nen und Teilnehmer nach der diesjährigen Veranstaltung mit gestärktem d’Œuil und geschärftem Rasiermesser in ihre Unterneh men zurückkehren. * Benedikt Weibel war von 1993 bis 2006 Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bundesbahnen und Autor des Buches «Simplicity. Die Kunst, die Komplexität zu reduzieren». Swiss Economic FOrum Das 17. Swiss Economic Forum (SEF) findet am 4. / 5. Juni 2015 im Congress Centre Kursaal in Interlaken statt. Am grössten Wirt schaftsanlass in der Schweiz nehmen 1350 Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Wissen schaft, Politik und Medien teil. Unter dem Veranstaltungsmotto «Simplify – Meistern von Komplexität» bietet das SEF eine Plattform für einen branchenübergreifenden Dialog über Einfachheit als Erfolgsfaktor. Das Programm umfasst Vorträge, Podiumsdiskussionen sowie praxisorientierte Breakout Sessions mit rund 60 Referierenden. Zudem wird mit dem Swiss Economic Award 2015 der bedeutendste Preis für Jungunternehmen vergeben. www.swisseconomic.ch Twitter: #SEF2015 Hier folgt der Seitentitel 2 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Regulierung Standortwahl Neue Märkte Kostendruck Internationale Konkurrenz Auslagerung Let’s talk. Was immer Ihre künftigen unternehmerischen Herausforderungen sein mögen: Wir arbeiten schon heute an den Lösungen, die Sie morgen brauchen werden. © UBS 2015. Alle Rechte vorbehalten. Wir wünschen Ihnen gute Gespräche und neue Erkenntnisse am SEF. www.ubs.com/kmu 20471 SIFF Ad NZZ Sonderbailage 291x440mm 15-4-27.indd 1 ab 4/27/2015 1:54:17 PM Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage SEF.2015 3 Inspiration, Information und Motivation Die Keynote-Referenten des Swiss Economic Forum 2015 Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wird das 17. Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken eröffnen. Anschliessend werden Referenten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft das Konferenzthema «Simplify – Meistern von Komplexität» diskutieren. Alle Beiträge werden vom Schweizer Fernsehen live übertragen. Saraina von Grünigen Simonetta Sommaruga Bundespräsidentin, Vorsteherin EJPD SRFinfo, 4. Juni 2015, 13.45 Uhr Sergio P. Ermotti CEO UBS Group AG Die ausgebildete Pianistin Simonetta Sommaruga betrat in den 1990er-Jahren das politische Parkett. Zwischen 1997 und 2005 war sie Gemeinderätin in Köniz, von 1999 bis 2003 Nationalrätin und anschliessend bis 2010 Stände rätin. Sie war Mitglied und Vizepräsidentin in unterschiedlichen Kommissionen sowie Vizepräsidentin der Schweizer Delegation beim Parlamentarierkomitee der EFTA-Länder. Im September 2010 wurde sie in den Bundesrat gewählt. Seit dem 1. November 2010 ist sie Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Zuvor war Simonetta Sommaruga ab 1993 Geschäftsfüh rerin der Stiftung für Konsumentenschutz, von 2000 bis 2010 deren Präsiden tin. Simonetta Sommaruga wurde 1960 in Zug geboren. Peter Bofinger Mitglied Sachverständigenrat SRFinfo, 4. Juni 2015, 16.30 Uhr Als einer von fünf Wirtschaftsweisen begutachtet Peter Bofinger die ökonomische Entwicklung von Deutschland und lehrt als Professor an der Universität Würzburg. Bereits 1978 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stab des Sachverständigen rats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er habilitierte 1990 an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität in Saar brücken. Zwei Jahre später wurde er Ordentlicher Professor an der Universität Würzburg, wo er von Oktober 2003 bis September 2004 das Amt des Ersten Vi zepräsidenten innehatte. Im März 2004 wurde er zum Wirtschaftsweisen berufen. Peter Bofinger forscht schwerpunktmässig zur Reform des internationalen Finanz systems und zur Eurokrise, zu New Economic Thinking und Managed Floatings. Linda Yueh Britisch-chinesische ökonomin SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr In ihrer eigenen Fernsehsendung «Talking Business with Linda Yueh» geht die Chefkorrespondentin von BBC wirtschaftlichen Trends auf den Grund. Sie un tersucht den makroökonomischen Kontext der Finanzkrise, die Treiber von Wachstum, Globalisierung sowie aufkommende Märkte und deren Entwicklung. Linda Yueh wurde in Taiwan geboren, wuchs in den USA auf und besuchte mehrere Eliteuniversitäten. Sie hat einen zweifachen Doktortitel in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Ihr Spezialgebiet liegt in der chinesischen Wirtschaft. Linda Yueh unterrichtet an der London Business School, ist Gastprofessorin an der Universität in Peking und leitet das «China Growth Centre» der Universität Oxford. Severin Schwan CEO F. Hoffmann-La Roche AG SRFinfo, 5. Juni 2015, 9.25 Uhr Seit 1993 ist Severin Schwan für das Healthcare-Unternehmen Roche tätig. Das Unternehmen erwirtschaftet einen Umsatz von 47 Milliarden Franken und be schäftigt 87 000 Mitarbeitende. Roche ist heute das weltweit grösste Biotech nologieunternehmen, führend in der In-vitro-Diagnostik und der grösste Her steller von Krebsmedikamenten. Die unterschiedlichen Funktionen führten Severin Schwan von der Abteilung Finanzen bis zur Diagnostics Division, die er von 2006 bis 2008 als CEO führte. 2008 wurde Severin Schwan CEO der Roche-Gruppe. Severin Schwan wurde 1967 in Österreich geboren. Der pro movierte Jurist studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an den Uni versitäten Innsbruck, Oxford und York. Marc-André Cornu CEO Cornu SA SRFinfo, 5. Juni 2015, 11.10 Uhr Seit drei Generationen pflegt die Familie Cornu die traditionelle Bäckerkunst. Die Dorfbäckerei wurde 1934 durch André Cornu gegründet. Anfang der 60erJahre übernimmt sein Sohn, Paul-André, die Bäckerei. Er baut das Familienun ternehmen aus und erstellt das Fundament des Grossbetriebes. Heute sind es speziell konzipierte, automatische Anlagen, welche die Handgriffe des Bäcker meisters vollziehen. Unter der Leitung von Marc-André Cornu entwickelt sich das Unternehmen noch immer und verfolgt seine Expansion im In- und Ausland. Die Cornu SA verarbeitet pro Jahr den Ertrag von Weizenland in der Grösse von umgerechnet 1030 Hektaren, was einer Fläche von 1442 Fussballfeldern ent spricht. Cornu SA beschäftigt 340 Mitarbeitende. SRFinfo, 4. Juni 2015, 14.45 Uhr Als CEO der UBS-Gruppe hält Sergio P. Ermotti die Fäden der führenden Schweizer Bank und des grössten globalen Vermögensverwalters in der Hand. 1960 in Luga no geboren und aufgewachsen, startete er seine berufliche Laufbahn bereits mit 15 Jahren mit einer Banklehre. Seine steile Karriere führte den Tessiner von der Cornèr Bank in Lugano über Merrill Lynch bis zur UniCredit in Mailand. Im April 2011 wurde Sergio P. Ermotti in die UBS-Konzernleitung berufen. Bis November 2011 war er Chairman und CEO der UBS Group Europe, Middle East and Africa. Im Herbst 2011 wurde er vom Verwaltungsrat zum CEO des Unternehmens ernannt. Sergio P. Ermotti verfügt über das eidgenössische Diplom als Bankfachexperte und ist Absolvent des Advanced Management Program der University of Oxford. Noreena Hertz Britische Ökonomin SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr Mit 19 Jahren schloss sie ihr Studium ab. Mit 23 Jahren beriet sie Russland in Bezug auf die Wirtschaftsreform. Mit 29 Jahren arbeitete sie mit den Regierungen von Israel, Ägypten, Palästina und Jordanien im Nahost-Friedensprozess. Heute, mit 47 Jahren, ist Noreena Hertz mehrfache Bestseller-Autorin, Professorin an mehreren Universitäten und berät CEOs und Präsidenten in wirtschaftlichen, geo politischen und technologischen Trends. Seit mehr als zwei Jahrzehnten zählen Noreena Hertz’ Wirtschaftsprognosen als vorausschauend. In ihrem jüngsten Buch «The Silent Takeover» prognostizierte sie, dass unregulierte Märkte und grosse Finanzinstitute ernsthafte globale Folgen mit sich bringen würden. 2005 sagt sie im Bestseller «The Debt Threat» die Finanzkrise von 2008 voraus. Ulrike Malmendier Deutsch-Amerikanische ökonomin SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr Die in Deutschland geborene Ulrike Malmendier zählt zu den fünf Prozent der am meisten zitierten Ökonominnen. 2013 erhielt die damals 39-Jährige als erste Frau die begehrte Auszeichnung «Fischer Black Prize» für Ökonomen unter 40 Jahren. Ulrike Malmendier promovierte in Jura und Wirtschaft und unterrichtet seit 2006 als Wirtschaftsprofessorin an der US-Eliteuniversität Berkeley. Sie gilt als Expertin für Verhaltensforschung, Unternehmensfinanzierung und Wirtschaftsrecht. Unter anderem untersuchte sie die Entscheidungsfindung von Unternehmern und Ma nagern. Aus den Ergebnissen lässt sich ein Katalog von wichtigen Erkenntnissen für die Praxis ableiten. Dieser kann mithelfen, gefährliche Entwicklungen oder Konstellationen in einem Unternehmen oder Konzern frühzeitig zu erkennen. Thomas Seiler CEO, Leiter Marketing und Vertrieb u-blox SRFinfo, 5. Juni 2015, 10.45 Uhr U-blox, der Chipdesigner aus Thalwil, wächst rasant: Trotz Preiszerfall in der Branche gelingt es dem Unternehmen seit Jahren, seine Rentabilität zu verbessern. Das Spinoff der ETH Zürich wurde 1997 gegründet und schreibt seit dem Börsengang 2007 schwarze Zahlen. Seit 2002 wird u-blox vom Maschinenbauingenieur und MBAAbsolvent Thomas Seiler geführt, der nebst seiner Funktion als CEO auch Leiter Marketing und Vertrieb ist. Die Firma bietet Industriekunden Halbleiterchips, Module und Software, die für die drahtlose Datenübertragung und für die geografische Ortung Verwendung finden. U-blox hat Niederlassungen in 15 Ländern auf fünf Kontinenten und beschäftigt mehr als 450 Mitarbeitende. 2014 erwirtschaftete das börsenkotier te Technologieunternehmen einen Umsatz von rund 270 Millionen Franken. Ratan Naval Tata Chairman Tata Group SRF 1, 5. Juni 2015, 15.30 Uhr Der indische Manager Ratan Tata wurde 1937 in Mumbai als Sohn einer parsischen Industriellen-Familie geboren und ist Urenkel des Konzerngrün ders der Tata-Gruppe. Er studierte Architektur und Bauingenieurwesen und hält einen Abschluss in Management von der Harvard Business School. Nach seinem Studium übernahm Ratan Tata das Konzernglomerat der 1874 ge gründeten Tata Group. Ab 1991 baute er den Konzern kontinuierlich aus und strukturierte das Unternehmen um. Die Tata-Gruppe beschäftigt heute rund 455 000 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2014 einen Jahresumsatz von 138 Milliarden US-Dollar. Das «Fortune Magazine» wählte Ratan Tata im November 2007 zu den 25 einflussreichsten Unternehmern der Welt. SEF.2015 4 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Wenn es auch ohne geht Bürokratie und Regulierungsabbau im Nationalrat Die Auswertung von politnetz.ch zeigt: Die Simplifyer sitzen in der FDP und der CVP. Auszeit vom Informations-Rodeo unserer Zeit wieder einmal mit den wichtigen Dingen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befassen will, stellt unweigerlich fest: Die Dinge sind kompliziert geworden. Kaum ein Thema, das ohne Vorwissen verständlich ist, kaum eine Frage, die einfache Antworten vermuten lässt. Alles ist komplex, jede Information ist mit fünf weiteren verhängt, jedes Thema potenziell Patrick Marty Wer heute eine Zeitung aufschlägt (oder an klickt) und sich nach einer vielleicht längeren gross und ohne Experten kaum noch be herrschbar. «Simplify!» lautet also das Motto der Stunde. Was Wunder, verfangen da die entsprechen den Parolen der Politiker bei Bürgern und Unternehmen ganz gut. Alle wollen sie ver einfachen, Hürden abbauen, reduzieren, Themen für Bürger zugänglich machen, Unternehmen entlasten. Ranking nach Personen | Top 10 Politnetz.ch, das Informations- und Diskus sionsportal zur Schweizer Politik, hat genau er hingeschaut und den individuellen Simp lify-Score unserer Nationalräte und Nationalrätinnen ermittelt und dabei Erstaun liches und weniger Erstaunliches festgestellt. Ermittelt wurde der Score anhand einer Auswertung von 24 Abstimmungen zu Ge schäften im Nationalrat während der laufen den Legislatur, die allesamt Deregulierungen oder eine bestimmte Form von Bürokratie abbau zum Ziel hatten (siehe Rankings unten). Zunächst: Der Gesamtscore des Nationalra tes ist positiv. Marco Schwarzenbach von politnetz.ch dazu: «Die grosse Kammer stimmt Geschäften, die bürokratieabbauend oder -deregulierend wirken, grundsätzlich zu.» Ranking nach Fraktionen FDP | ZH FDP | GE BDP | ZH FDP | AG CVP | SG CVP | BL CVP | SG CVP | SG CVP | LU CVP | TI Dreimal FDP, einmal BDP und sechsmal CVP, so setzten sich die Top 10 des Simplify-Rankings zusammen. Das Ranking beruht auf einer Auswertung von 24 Abstimmungen im Nationalrat im Rahmen der 49. Legislatur zu politischen Geschäften mit «Simplify-Charakter». Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wurden solche Vorhaben identifiziert, deren erklärtes Ziel beispielsweise Deregulierungen zugunsten der Wirtschaft oder ein allgemeiner oder spezifischer Bürokratieabbau war. Die Punktezahl der Nationalrätinnen und Nationalräte ergibt sich aus deren Stimmverhalten, gemessen an der Sollvorgabe: «Simplify-freundliches» Stimmverhalten wurde mit einem Punkt belohnt, Stimmen gegen mehr Simplify wurden mit einem Minuspunkt bestraft. Stimmenthaltungen und Abwesenheiten im Rat wurden nicht bewertet. Im Ranking der Fraktionen liegt die FDP (14,9), gemessen an der durchschnittlich erreichten Punktzahl pro Sitz im Nationalrat, knapp vor der CVP/EVP (14,5) und der BDP (12,8). Am anderen Ende der Skala liegt erwartungsgemäss die SP mit einem Score von –4,8. Schlagwortprotokoll Staatsquote Komplexität Bürokratieabbau Überregulierung Kompetenzausbau Privatisierung Liberalisierung Lesebeispiel: Das Wort «Regulierung» kommt unter den untersuchten Begriffen in den offiziellen Wortprotokollen am häufigsten vor. Das Wort «Kompetenzausbau» am wenigsten häufig. Wahlfreiheit Deregulierung Regulierung Vereinfachung Einfachheit Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage An der Spitze stehen mit 22 Punkten und damit einem konsequent «Simplify-freund lichen» Abstimmungsverhalten Doris Fiala, FDP, aus Zürich, und Hugues Hiltpold, FDP, aus Genf. Die Fraktion der FDP weist mit 14,9 überdies den höchsten Durchschnittsscore pro Person auf, gefolgt von der CVP/EVPFraktion mit 14,5. Letztere stellt mit sechs Vertretern aus den eigenen Reihen den Hauptharst an Simplifyern in den Top 10. Auffallend ist trotz Ungleichverteilung im Nationalrat die starke Präsenz der Frauen in den Top 10. Sie stellen nebst Doris Fiala mit Rosmarie Quadranti, Lucrezia Meier-Schatz, Elisabeth Schneider und Ida Glanzmann die Hälfte der grössten Simplifyer in der Schwei zer Politik. Am anderen Ende der Skala be finden sich die Vertreter der SP. Sie belegen gleich alle Plätz der Flop 10. Das bedeutet: Im Rahmen der untersuchten Abstimmungen haben sie den angepeilten Deregulierungen mehrheitlich nicht zugestimmt. Änderte sich dieses Bild, wenn auch die Ab stimmungen aus dem Ständerat berücksich tigt würden? «Die Abstimmungsdaten aus dem Ständerat können wir erst seit der Früh jahrsession 2014 erheben. Die Daten flossen also nicht in die Auswertung mit ein. Ange sicht der leichten Übervertretung der CVP im Stöckli und der Mindervertretung der SVP dürften sich die Ergebnisse aus dem Natio nalrat aber akzentuieren und die CVP zusam men mit der FDP als die grossen SimplifyerFraktionen bestätigen», meint Schwarzenbach. Und die SVP? Sie spielt für einmal keine zentrale Rolle, ihre Mitglieder zeigen weder ein ausgeprägtes Verhalten in die eine noch in die andere Richtung. Immerhin beträgt die durchschnittliche Punktezahl 9,6 und ist damit positiv. Zu erklären ist dieses Abschneiden einerseits mit den vielen Sonderregelungen, welche die SVP für ihre Stammwählerschaft herausschlägt und andererseits mit den protektionistischen Tendenzen der ehemaligen Bauern- und Gewerbepartei. Diese wirken sich in der Konsequenz regulierend aus und führen so zu einem bescheideneren Simplify-Score. SEF.2015 Erlasse der Bundesversammlung (BV) 164 Bundesgesetze 110 Bundesbeschlüsse 207 Einfache Bundesbeschlüsse 22 Verordnungen der BV 503 Total Erlasse (Legislatur 48, 2007 bis 2011) 345 Total Erlasse (Legislatur 42, 1983 bis 1987) 5 M Ranking nach Geschlecht F 61 Frauen im NR 139 Männer im NR Durchschnittliche Punktzahl: 5,05 Durchschnittliche Punktzahl: 8,21 63,79% erreichen eine positive Punktzahl 80% erreichen eine positive Punktzahl Nationalrätinnen weisen im Durchschnitt einen Simplify-Score von 5,1 auf, wobei die maximale Punktzahl 24 beträgt. Die Frauen im Parlament liegen damit hinter ihren männlichen Kollegen zurück, deren Durchschnittswert auf 8,2 zu liegen kommt. Immerhin knapp 64 Prozent der Nationalrätinnen weisen einen positiven Punktestand auf. Auffallend: In den Top 10 sind gleich viele Frauen wie Männer vertreten. Seitenzahl Amtliches Bulletin Seit dem Jahr 2000 steigt die Seitenzahl des Amtlichen Bulletins von National- und Ständerat kontinuierlich. Der Höchststand wurde letztes Jahr erreicht mit 10 892 Seiten. Der Zuwachs in den letzten 14 Jahren beträgt somit über 80 Prozent. Infografiken: Tim Engel / Quellen: politnetz.ch, parlament.ch ANZEIGE R evolutionäR, dieseR K aKao. Für unsere neuen Truffes «CUBA – auténtica colección de trufas gran cru» verwenden wir eine überaus feine Kakaosorte aus dem Osten Kubas. Jetzt probieren. www.spruengli.ch/shop Hier folgt der Seitentitel 6 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage tels arho f n i m n au r Se Meh spiratio m / n .co mit I land MyS er witz n iratio insp Hotel Pilatus-Kulm, Whitepod Eco-Luxury Kriens, Hotel,Luzern-Vierwaldstättersee Les Giettes, Wallis Alles ausser gewöhnlich. Grimsel Hospiz – Õ Historisches Alpinhotel Guttannen, Berner Oberland Am türkisblauen Stausee in einer spektakulär kargen Alpenlandschaft verblüfft das stylisch umgebaute ehe malige Hospiz Ästheten, Naturfreunde und Genussmenschen. 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Eine Ge sellschaft muss dafür sorgen, dass die Grund lagen unseres Zusammenlebens fair sind, dass sozialverträgliche Rahmenbedingungen für alle gelten. Regulierungen sorgen für den Schutz von Eigentum, für Sicherheit im Innern und gegen aussen. Regulierung sichert Wett bewerb, schützt die Umwelt und einiges mehr. Die Frage ist: Wie viel Regulierung ist sinnvoll? Die ordentliche Rechtssammlung des Bundes hat in den letzten 10 Jahren um fast ein Vier tel auf 66 000 Seiten zugenommen. 2012 wurden Spitzenwerte von 140 neuen Seiten pro Woche erreicht. Das Regelwerk des Bas ler Ausschusses zu den Eigenkapitalvorschrif ten von Banken umfasste 1988 in «Basel I» noch 30 Seiten, 2004 in «Basel II» bereits 347 Seiten und 2010 in «Basel III» sogar über 600 Seiten. Viele der heutigen Regulierungen haben na türlich einen Hintergrund. Die Finanzbranche etwa hat sich in der Vergangenheit Fehler geleistet, die geradezu nach einer stärkeren Regulierung gerufen haben. Das ist unbestrit ten. Was mir jedoch Sorgen bereitet: Die Regulierungsdichte hat in den vergangenen Jahren in allen Bereichen massiv zugenom men. Studien zeigen, dass sich die adminis trativen Lasten für unsere KMU in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben und dass ein Kleinunternehmen mit 20 Mitarbeitenden pro Monat über 55 Stunden Aufwand betreiben muss, um nur den wichtigsten gesetzlichen Regulierungen zu genügen. Da stelle ich mir die Frage: Was soll das? Wertschöpfend kann eine solche Fülle an Regulierung nicht sein. Bedrohte Wettbewerbsfähigkeit Im Wettbewerbsindex des World Economic Forum nennen Unternehmer mittlerweile staatliche Bürokratie als eines der wichtigsten Probleme in der Schweiz. Dies erklärt auch, weshalb die Schweiz im «Doing Business Report» der Weltbank, der Kosten und Nutzen von Regulierungen in 190 Volkswirtschaften untersucht, seit 2005 um 9 Plätze auf Rang 20 abgerutscht ist. Die Kosten neuer Regelwerke sind enorm. Alleine bei UBS haben uns zusätzliche Regu lierungen 2013 und 2014 über eine Milliarde Schweizer Franken gekostet. So viel mussten wir investieren, um weltweit alle regulatori schen Anforderungen in unseren Strukturen, Prozessen und IT-Systemen abzubilden. 2015 fällt erneut ein dreistelliger Millionenbetrag an. Der Bundesrat schätzt die jährlichen Re gulierungskosten von Unternehmen in 13 ausgewählten staatlichen Handlungsfeldern auf über 10 Milliarden Franken. Hochrech nungen des Schweizerischen Gewerbever bandes gehen sogar von Gesamtkosten in Höhe von rund 50 Milliarden Franken oder zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Massiv steigende Kosten sind aber nur eine Folge übermässiger oder falsch angesetzter Staatseingriffe. Sie wirken sich auch auf das Verhalten von Bürgern und Wirtschaftsakteu ren aus. Die Menschen reagieren auf regula torische Eingriffe eben oft anders, als sich die Politik das vorstellt. Wenn ein Gastwirt berich tet, dass er sich nicht mehr getraut, seine Mayonnaise auf Grund der Vorschriften selbst herzustellen, sondern aus Sicherheitsüberle gungen lieber auf Fertigmayonnaise zurück greift, obwohl seine Gäste die Qualität seiner «Hausprodukte» höher einstufen, dann gibt mir das schon zu denken, weil hier kreativer Gestaltungsspielraum verloren geht. Unsinnige Regulierungen wie diese und über mässige Bürokratie lähmen Innovation und Unternehmertum. Unser Reichtum beruht auf einem liberalen Arbeitsmarkt, einer offenen Volkswirtschaft, einer soliden Fiskalpolitik und einem hervorragenden Bildungssystem, also einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das Innovation, Unternehmertum und die Verantwortung des Einzelnen fördert. Damit haben wir bisher gut gelebt. Wenn wir nun statt führend in Innovation, führend im Erfinden von Regulierungen werden wollen, dann schaden wir der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und letztlich uns allen. KMU besonders betroffen Gerade für das Publikum am Swiss Economic Forum hat das Thema Regulierung höchste Relevanz, da KMU durch administrative und «Zusätzliche Regulierungen kosteten die UBS in den letzten zwei Jahren über eine Milliarde Schweizer Franken», sagt Lukas Gähwiler, Chef der UBS in der Schweiz. Quelle: ZVG regulatorische Hürden überproportional be lastet werden. Wo gibt es aktuell Handlungsbedarf? Bei den Stempelsteuern und den Verrechnungs steuern haben wir seit langem einen Stand ortnachteil, der sich nun aber durch zusätzli che Regulierungen massiv verschlechtert. Bei der Arbeitszeiterfassung haben wir uns eine Regulierung geleistet, die einen klaren Rückschritt bedeutet. Das neuste Regelwerk steht am 14. Juni mit der Erbschaftssteuerinitiative zur Abstimmung. Würde sie angenommen, hätte dies schwer wiegende Folgen für die Zukunft unserer mittelständischen Wirtschaft. Wir haben es also selbst in der Hand, Überregulierungen Einhalt zu gebieten. Reduzieren wir Bürokra tie und Bevormundung, fördern wir klassische hiesige Erfolgswerte wie Eigenverantwortung und ein gesundes Unternehmertum! Zuversichtlich stimmt, dass die Zeichen der Zeit erkannt werden – vom Bundesrat wie von den bürgerlichen Parteien, die eine ge meinsame Initiative angekündigt haben, um die Wirtschaft von administrativen Lasten zu befreien. Jetzt müssen auch Taten folgen. Dabei müssen wir alle am gleichen Strick ziehen und auch grössere Themen anpacken, wie die Vereinfachung der Mehrwertsteuer. Und wir müssen über neuartige Ansätze nachdenken. 66 000 Seiten Gesetze und Verordnungen allein auf Bundesebene schei nen mir genug, um die Spielregeln für Wirt schaft und Gesellschaft festzulegen. Warum nicht analog zu der so erfolgreichen Schul denbremse eine Regulierungsbremse ein führen? Denn eine gesunde Wirtschaft schafft Arbeitsplätze, Einkommen, Wohlstand und Sicherheit. Eine übermässige Regulie rung bewirkt das Gegenteil. Mit Blick aufs Ganze Klima, Internet und Alterung: Wo die Zukunft neue Risiken birgt Die kollektive Absicherung individueller Risiken ist Teil des Lebens. Versicherungen betreffen uns als Privatpersonen, Konsumenten, Arbeitnehmer, Unternehmer und Bürger. Ein Versicherungskonzern hat deshalb die Pflicht, sich mit der gesellschaftlichen Realität von morgen schon heute auseinanderzusetzen. Severin Moser * Bevor der Blick in die Zukunft geht, eine kleine Reise in die Vergangenheit: Vor 125 Jahren wurde die Allianz in Berlin ge gründet – am 5. Februar 1890 durch Wil helm von Finck und Carl von Thieme. Auch wenn uns der Erfolg des Unternehmens stolz macht, sind wir als Versicherungsunterneh men auch bescheiden und nachdenklich geblieben. Denn in dieser historisch gesehen eigentlich recht kurzen Zeitspanne hat sich die Gesellschaft weltweit fundamental ver ändert: rasanter technologischer und me dizinischer Fortschritt, Globalisierung, Kli mawandel, Digitalisierung und der demografische Wandel, um ein paar Schlag worte zu nennen. Veränderungen, die auch uns als Versicherungsunternehmen betref fen, denn wir schützen die Menschen vor den Risiken und Unsicherheiten, welche mit dem Fortschritt weiter gestiegen sind. Innovation und weiterer technischer Fort schritt werden sowohl unsere Lebenserwar tung als auch die Lebensqualität weiter steigen lassen. Weltweit wird sich die Anzahl von Menschen über 65 Jahren bis 2050 verdreifachen – auf dann 1,5 Milliarden. Gleichzeitig pendelt sich die Anzahl junger Menschen im gleichen Zeitraum bei rund 1,3 Milliarden ein. Der demografische Wan del verändert die Altersstruktur unserer Gesellschaft also massiv. Über die Auswir kungen, die dieser Trend beispielsweise für die private und öffentliche Altersvorsorge mit sich bringt, wurde bereits viel geschrie ben und geforscht. Schrumpfende Bevölkerung Die alternde und gleichzeitig schrumpfende Bevölkerung wird vor allem in den westlichen Industrienationen einen erheblichen Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit haben. Es muss also verstärkt Aufmerk samkeit auf die Frage gelenkt werden, wie Unternehmen künftig mit einer alternden und zum Teil schrumpfenden Belegschaft umgehen werden. Manche Länder wie die Schweiz oder Schweden sind sehr erfolg reich darin, die erwerbsfähige Bevölkerung zwischen 25 und 54 Jahren in den Arbeits markt zu integrieren. 2013 standen in beiden Ländern mehr als 90 Prozent dieser Altersgruppe dem Arbeitsmarkt zur Verfü gung. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäu schen, dass auch hierzulande der Fachkräf temangel weiter zunehmen wird. Für die Unternehmen wird es also verstärkt darauf ankommen, den Fachkräftebedarf durch junge Nachwuchskräfte und gezielte Zu wanderung zu decken und in die Aus- und Weiterbildung der älteren Mitarbeitenden zu investieren, um auch künftig wettbewerbs fähig zu bleiben. Gleichzeitig muss der Fo kus verstärkt auf flexiblere Arbeitszeitmo delle gerichtet werden, um dem steigenden Bedürfnis nach einer verbesserten WorkLife-Balance entgegenzukommen; ein As pekt, der auch für die sogenannte Genera tion Y, also der zwischen 1980 und 1995 Geborenen, bereits eine grosse Rolle spielt. Rasant verändern werden sich aber auch das Verhalten und die Bedürfnisse der Kon sumenten, denn sie leben immer gesünder und sie werden länger leben als jemals zuvor. Halten wir uns einmal vor Augen, dass inzwischen − unter anderem in Zürich − daran geforscht wird, menschliche Organe wie die Haut mithilfe eines 3D-Druckers aus Originalzellen zu replizieren. Digitale Arm bänder, die unsere Schritte zählen und un seren Schlaf vermessen, können uns dabei unterstützen, ein bewussteres und damit gesünderes Leben zu führen. Was bedeutet das für die solidarische Versicherung von Krankheitsrisiken? Mehr als die Hälfte der Konsumausgaben fallen in vielen westlichen Ländern bereits heute auf die Generation der über 50-Jäh rigen – die sogenannten Babyboomer. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die ältere Generation von heute von der im Jahr 2030 hinsichtlich Konsumverhalten und Aktivitäten noch einmal deutlich unterschei den wird. Der Umgang mit neuen Techno logien und dem Internet wird immer selbst verständlicher. Neue Technologien werden uns dabei helfen, bis ins hohe Alter mobil zu sein. So erwarten Allianz-Experten, dass Länger und gesünder leben: Das Konsumentenverhalten wird sich verändern. selbstfahrende Autos bereits in zehn Jahren zum normalen Strassenbild gehören. Aber wer haftet bei Unfällen mit autonomen Fahr zeugen? Und wenn es der Hersteller ist: Wie sieht die Police aus, die ihn versichert? Mit anderen Worten: Wir als Versicherer sind gefordert, den Wandel aktiv mitzugestalten und Antworten auf die Risiken, aber auch Chancen der Zukunft zu finden. Auf der einen Seite natürlich über moderne und bedarfs gerechte Versicherungs- und Vorsorgelösun gen für unsere Kunden. Auf der anderen Seite aber auch, indem wir unserer gesell schaftlichen Verantwortung gerecht werden und mit allen Anspruchsgruppen einen Quelle: ZVG lösungsorientierten Dialog über die künftigen Herausforderungen suchen. Beim Kampf gegen die steigenden Kosten des Klimawan dels ist es zum Beispiel sinnvoll, über neue Siedlungskonzepte nachzudenken. Hier hilft uns wieder der Blick in die Vergan genheit. Denn gemeinsam mit unseren Kun den, der Wissenschaft und anderen Organi sationen haben wir in 125 Jahren viel Wissen für Risikolösungen aufgebaut; ein Wissen, das uns und unsere Kunden bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützt. * Severin Moser ist CEO der Allianz Suisse. SEF.2015 8 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Gute Ideen finden Kapital 2014 haben Schweizer Startups über 450 Millionen Franken gesammelt Investitionssumme pro Kanton ZH 129,4 Mio. CHF BS 40 Mio. CHF SZ 4,5 Mio. CHF VD 200,8 Mio. CHF GR 4,4 Mio. CHF GE 60,8 Mio. CHF TI 4,6 Mio. CHF Übrige Schweiz zusammen 12,7 Mio. CHF Hoch hinaus: Die Investitionssummen pro Kanton zeigen, dass die Waadt und Genf mehr Risikokapital angezogen haben als alle anderen Kantone zusammen. Die Schweizer Gründer- und Jungunternehmerszene floriert. Eine Schlüsselstellung nehmen Investoren ein, die den Startups in der Früh- und Expansions phase Risikokapital zur Verfügung stellen. Stefan Kyora Geld brauchen alle Gründerinnen und Grün der. Es müssen Büros gemietet, Betriebsmit tel gekauft und Lieferanten bezahlt werden. Wenn die eigenen Ersparnisse nicht reichen, bohren die angehenden Unternehmer Freun de, Bekannte und Familienmitglieder an. Der Angelsachse spricht von «friends, fools and familiy». In den allermeisten Fällen bleibt es bei dieser Form der finanziellen Unterstüt zung. Sie muss reichen bis zum Erreichen der Gewinnschwelle. Geht das Geld vorher aus, wird die Übung abgebrochen. Es sei denn, dem Gründer gelingt es, externes Ei genkapital einzusammeln; bei ehemaligen Unternehmern (Business Angels) oder pro fessionellen Venture-Capital-Fonds. Diese Investoren glauben an das Projekt und rech nen sich Chancen aus, ihren finanziellen Einsatz in einem Zeitraum zwischen zwei und zehn Jahren zu vervielfachen. Grundsätzlich finden solche Transaktionen in allen Branchen statt; gehäuft jedoch dort, wo ein hoher Innovationsdruck dafür sorgt, dass neue und verbesserte Produkte rasch einen markanten Marktanteil erreichen; namentlich in der Informationstechnologie (ICT), in der Bio- und Medizinaltechnik (Life Sciences) sowie neuerdings auch in der Umwelttechnik. Einen Überblick über das Finanzierungsge schehen in der Schweiz liefert der Swiss Venture Capital Report 2014, herausgegeben vom Newsportal startupticker.ch in Zusam menarbeit mit dem Investorenverband SECA. Am meisten Geld floss im vergangenen Jahr in Startups aus den beiden Life-SciencesBranchen Medizinaltechnik und Biotech; insgesamt rund 350 Millionen Franken, was rund drei Vierteln des in der Schweiz inves tierten Venture Capitals entspricht. Gründe für dieses Übergewicht gibt es einige und sie haben alle damit zu tun, dass die Biotech/Pharma-Industrie beziehungsweise die Medizinaltechnik in der Schweiz eine grosse Reife aufweisen. Was die Biotechno logie betrifft, so haben mit Novartis und Roche zwei der weltgrössten Player ihren Hauptsitz in der Schweiz. Eine erhebliche internationale Ausstrahlung hat auch die einheimische Medtechbranche; ausserdem stellt sie mit Hansjörg Wyss – Synthes − oder Willy Michel – Ypsomed− herausragen de und beispielgebende Gründerpersön lichkeiten. Rückgang bei ICT Ganz anders in der ICT-Branche. In der In formatik ist die Schweiz von Klein- und Kleinstfirmen geprägt. Viele Unternehmen sind zudem auf den Binnenmarkt ausgerich tet, weil für eine kraftvolle internationale Expansion die Spezialisten fehlen. Entspre chend machten die Investments in ICT-Firmen im vergangenen Jahr nur 19 Prozent der Gesamtsumme aus. Damit liegt schon zum zweiten Mal in Folge ein Rückgang vor. Die insgesamt investierte Summe sank von 92 Millionen auf 86,3 Millionen Franken. Auffällig ist die Verteilung der investierten Gelder nach Regionen. Zürich liegt klar vorn mit 43 Finanzierungsrunden, gefolgt von der Waadt mit 21. Insgesamt haben die beiden führenden Kantone an Gewicht gewonnen. Betrug ihr Anteil am Total der Finanzierungs runden 2013 noch 59 Prozent, waren es 2014 70 Prozent. Der Grund für die wachsende Distanz zwi schen Zürich und der Waadt auf der einen, und dem Rest der Schweiz auf der anderen Seite ist die ETH Zürich beziehungsweise die École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). Gemäss Studien entfernen sich junge Hightech-Gründer durchschnittlich 20 Kilo meter von der Hochschule, an der sie ihre Ausbildung genossen haben. Insofern er staunt es nicht, dass die ETH-Standortkan tone Zürich und Waadt im Ranking weit vorne liegen. Erstaunlich ist jedoch, dass in puncto Finan zierungsvolumen die Waadt mit 200,8 Milli onen Franken erstmals vor Zürich liegt. Der Startup- und Finanzierungsboom am Genfer see hat zweifellos mehrere Treiber, der wich tigste heisst jedoch Patrick Aebischer. Dem EPFL-Präsidenten ist es in den letzten 15 Jahren gelungen, die kleine Schwester der ETH Zürich unter den besten Universitäten Quelle: eigene Darstellung / ©Monika Hunácková / www.fotolia.com der Welt zu etablieren. Gleichzeitig hat er es geschafft, akademische Exzellenz und Aus richtung an den Bedürfnissen der Industrie unter einen Hut zu bringen. Dynamische Ballungsräume Ganz generell hat sich die Konzentration auf die starken Kantone weiter verstärkt. Startups aus den vier Kantonen Waadt, Zürich, Genf und Basel-Stadt generierten insgesamt 431 Millionen Franken. Dies sind 94 Prozent der insgesamt geflossenen Gelder. 2013 hatte der Anteil dieser führenden Kantone lediglich 76 Prozent betra gen. In der deutschen und italienischen Schweiz liegt der Kanton Zürich mit investierten 129,4 Millionen Franken vorne; gefolgt von Basel-Stadt mit 40 Millionen Franken. Die übrigen drei be deutenden Kantone – Tessin, Schwyz und Grau bünden – totalisieren 13,5 Millionen Franken; ungefähr gleich viel wie 2013. Mio. CHF Ein Wort noch zu dem, was in der Sprache der Risikokapitalinvestoren «Exit» heisst. Die Rede ist vom Verkauf eines finanzierten Startups an eine Grossfirma oder via Börsengang an die Gemeinschaft der Anleger. 2014 kam es zum ersten Mal nach über zehn Jahren wieder zu Initial Public Offerings (IPO) von Schweizer Hightech-Startups an der SIX in Zürich. Es han delt sich um die Zürcher Biotechfirma Molecu lar Partners sowie die Tessiner Internetfirma Bravofly Rumbo Group. Die Zuger Auris Medical wählte für den Börsengang die New Yorker NASDAQ. Daneben fand eine ganze Reihe von Trades Sales an Grossfirmen statt. Nicht weni ger als elf Firmen gingen an amerikanische Käufer mit teilweise klingenden Namen wie Google oder Johnson & Johnson. Aber auch etablierte Unternehmen aus Kanada, Deutsch land, Russland und China sicherten sich via Übernahmen Technologien, die in der Schwei zer Startup-Szene entwickelt wurden. Mio. CHF 200 2012 2013 2014 500 400 150 300 100 200 50 100 0 Biotech Medtech Healthcare IT Investiertes Kapital in Schweizer Startups. 0 ICT Cleantech 2012 Quelle: eigene Darstellung Anzahl Finanzierungsrunden. 2013 2014 Quelle: eigene Darstellung SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 9 Überzeugende Wachstumsstrategie Warum die Winterthurer Jungbrauerei Doppelleu ein «SEF.High Potential KMU» ist Nicht nur Hightech-Firmen brauchen Wachstumskapital: Die junge Winterthurer Brauerei Doppelleu erhielt einen Leasingkredit über fünf Millionen Franken. Möglich machte es die Wachstumsinitiative SEF4KMU. Jost Dubacher Doppelleu-Chef Philip Bucher zeigt auf die Paletten neben der Abfüllanlage: «So kom men die Harassen raus: fixfertig für die Spedition.» 14 verschiedene Biere braut Bucher zurzeit. Ausschliesslich obergärige Spezialitätenbiere wie das India Pale Ale, ein Red Ale oder ein Ale, das den belgischen Trappistenbieren nachempfunden ist. Unter Brauern werden solche Spezialitäten als «Craftbeers», als handwerklich produ zierte Biere bezeichnet. In den USA haben sie bereits einen Marktanteil von gegen zehn Prozent, in der Schweiz liegt der entspre chende Wert erst zwischen zwei und drei Prozent, aber er wächst stark; wobei die Nachfrage bis vor wenigen Jahren praktisch ausschliesslich mit Importbieren gedeckt wurde. Beliebt ist beispielsweise das amerikanische Sierra Nevada Pale Ale; viele Jahre eines der persönlichen Favoriten von Philip Bucher. «Und irgendeinmal», erinnert er sich, «habe ich mich gefragt, weshalb wir solche Biere nicht auch in der Schweiz herstellen.» Der heute 41-jährige Maschineningenieur ETH stellte Marktrecherchen an und kam zum Schluss, dass nichts dagegen sprach. Er kündete seine gut dotierte Stelle als Mar ketingleiter des Sanitärkonzerns Geberit und bezog im September 2012 zusammen mit dem drei Jahre älteren Jörg Schönberg, bis dahin Vertriebsleiter bei einem Zürcher Online-Verlag, eine Produktionshalle im Winterthurer Osten. Von 2000 auf 15 000 Hektoliter Unterdessen ist die Rechnung aufgegangen. Im März 2013 verkauften die beiden Jung brauer die erste Ladung Bier. Im Verlauf des Jahres sind 2000 Hektoliter (hl) dazuge kommen und schon 2014 setzte Doppelleu gut sieben Mal mehr ab − nicht weniger als 14 000 hl. Produziert wird das Sortiment in der nagelneuen Brau- und Abfüllanlage, die erst seit wenigen Tagen voll in Betrieb ist. Fünf Millionen Franken hat das System gekostet und finanziert haben es Bucher und Schönberg mit einem Leasingkredit der UBS. «Normalerweise», weiss Philip Bucher, «bekommt man als Startup im dritten Ge schäftsjahr keinen Fünf-Millionen-Kredit». Dass es trotzdem klappte, hat er SEF4KMU, einer Wachstumsinitiative des Swiss Econo mic Forum (SEF), der UBS und der Allianz Suisse zu verdanken. Die Experten des SEF durchleuchteten Doppelleu, verliehen der Brauerei schliesslich das Label «High Poten tial KMU» und verschafften ihr so bei der UBS den Zugang zu einer massgeschneider ten Finanzierung. Ohne den Leasingdeal wäre es bei Doppelleu in den kommenden Mona ten eng geworden. «Wir hätten nicht mehr alle Kunden bedienen können», sagt Bucher. Und Lieferausfälle sind das Schlimmste, was einem Startup passieren kann. Führende Craftbeer-Brauerei Nun sind diese Sorgen vom Tisch. Doppel leu kann seine Stellung als führende Craftbeer-Brauerei der Schweiz weiter ausbauen. Schon heute sind 5 der 20 Mit arbeiter Vollzeit als Aussendienstler unter wegs. Die Absatzstrategie setzt auf zwei Kanäle; zum einen auf den Detailhandel, der die Spezialitätenbiere aus Winterthur in der ganzen Deutschschweiz führt; zum anderen auf den regionalen Getränkehandel, der neben den Endkunden auch den Fachhan del sowie die Gastronomie beliefert. «Abgesehen vom Rampenverkauf hier in Winterthur machen wir keinen Direktver trieb», sagt Philip Bucher. Freude an dieser strategischen Ausrichtung haben nament lich die Getränkehändler. Sie müssen nicht befürchten, im Erfolgsfall übergangen zu werden und übernehmen im Gegenzug die regionale Feinverteilung des DoppelleuSortiments. Die Folge: Doppelleu hatte nie hohe Inves titionen in die Lieferlogistik zu stemmen und konnte den Ausstoss mit vergleichsweise geringen finanziellen Lasten hochfahren: «Unser Geschäftsmodell ist ausgezeichnet skalierbar», sagt Jungbrauer Bucher; ein Aspekt des Geschäftsmodells, das auch den Experten des SEF gefallen habe. So kommt es, dass Schönberg und Bucher trotz der vergleichsweise hohen Schulden last im Geschäftsjahr 2015 zum ersten Mal schwarze Zahlen schreiben werden. Zumindest ein Teil des Ertrags wird wieder in den Ausbau der Produktionskapazität fliessen. Die jetzige Anlage hat einen ma ximalen Ausstoss von 35 000 hl. Mit zuge bauten Lagertanks könnte die Kapazität auf über 80 000 hl gesteigert werden. Philip Bucher: «Im Moment sind wir daran, die Baueingabe vorzubereiten.» Geniale Bieridee: Die Jungbrauer Jörg Schönberg (l.) und Philip Bucher. Quelle: ZVG Den Werkplatz Schweiz stärken Wie das Swiss Economic Forum mit Unternehmern und Partnern das Wachstum fördert Wegen der härter werdenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bauen das Swiss Economic Forum und seine Partner das Projekt SEF4KMU weiter aus. Ziel ist die Stärkung des Werkplatzes Schweiz nach dem Prinzip «Unternehmer für Unternehmer». Peter Stähli * Die anhaltende Frankenstärke und die Auswir kungen der Negativzinsen sind für viele Bran chen der Schweizer Wirtschaft herausfordernd. Die sich wandelnden Businessmodelle und der Preis- und Margendruck bedürfen einer noch stärkeren Innovationskraft, Flexibilität und Stei gerung der Produktivität. Für KMU und Jung unternehmen ist es in diesem schwierigen Umfeld wichtiger denn je, ihre Wachstumsstra tegie dauernd zu hinterfragen, anzupassen und erfolgreich umzusetzen. Unternehmer für Unternehmer Zusammen mit dem Gründungspartner UBS hat das Swiss Economic Forum (SEF) vor drei Jahren die Initiative SEF4KMU lanciert. Diese erlaubt es KMU und Jungunternehmen, ihre Wachstumspläne mit unabhängigen Experten und Unternehmern aus dem SEF-Netzwerk zu diskutieren und zu prüfen. Besonders erfolgreich war bisher der Ansatz, dass sich Unternehmer für Jungunternehmer und KMU engagieren und ihre langjährige Branchenerfahrung einbringen. In den vergangenen Jahren haben sich über 50 Unternehmer registriert, die sich als Experten und Sparringpartner zur Verfügung stellen. Dank ihnen können die Diskussionen um die Eck pfeiler der Unternehmensstrategien sehr pra xisorientiert und zielgerichtet geführt werden. Rund 300 KMU und Jungunternehmen haben sich im Verlauf der letzten beiden Jahre auf der SEF4KMU-Plattform gemeldet. Bei 70 Unter nehmen wurde eine vertiefte Strategieüberprü fung durchgeführt und ein Report erstellt. 26 Unternehmen wurden schliesslich mit einem Qualitätslabel ausgezeichnet. Der ganze Prozess von der Strategieüberprüfung bis zur Erteilung des Labels ist durch die SQS zertifi ziert und erfüllt einen hohen Qualitätsstandard. Im Rahmen von SEF4KMU konnten bisher über 55 Millionen Franken Wachstumskapital ver mittelt werden. Rund ein Viertel wurde dabei durch Fremdkapitalfinanzierungen der UBS abgedeckt, die anderen drei Viertel durch Ei genkapital von mehrheitlich über die UBS eingeführten Investoren. Die Allianz unterstützt die Unternehmen im Bereich des Risikoma nagements und mit auf Wachstumsbedürfnis se ausgerichteten Versicherungslösungen. Kräfte bündeln Vor dem Hintergrund schwieriger werdenden Rahmenbedingungen wird die Initiative SEF4KMU nun dank dem zusätzlichen En gagement der Partner Swissmem und Ins titut für Geistiges Eigentum (IGE) weiter ausgebaut. Auf einer Onlineplattform können sich interessierte Unternehmer, Investoren und Partner noch besser vernetzen und an der SEF4KMU-Initiative partizipieren. Ge meinsam mit den anderen Partnern ver spricht sich namentlich Swissmem, der Verband der Maschinen-, Metall-, und Elek troindustrie, davon eine nachhaltige Stärkung des Werk- und Denkplatzes Schweiz. * Peter Stähli ist Gründer und CEO des Swiss Economic Forum. www.sef4kmu.ch SEF.2015 10 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage «Verunsicherung in der Wirtschaft wächst» Wie der Bund dem drohenden Fachkräftemangel vorbeugen will Er leitet die Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. Der Ökonom Boris Zürcher über die möglichen Folgen der Masseneinwanderungsinitiative und die Vorteile eines liberalen Arbeitsmarktes. Interview: Jost Dubacher Sie kommen direkt aus Riga, wo eine europäische Konferenz von Arbeitsministern stattgefunden hat. Wie haben Sie sich dort als Schweizer gefühlt? Ausgezeichnet natürlich. Denn verglichen mit den meisten anderen europäischen Ländern, herrschen bei uns paradiesische Zustände. Wir haben praktisch Vollbeschäftigung und der Arbeitsmarkt ist ausserordentlich dynamisch. Woran machen Sie das fest? Es gibt eine Zahl, die mich fasziniert: In der Schweiz treten jedes Jahr rund 500 000 Menschen eine neue Stelle an; das sind fast 10 000 pro Woche. Die einen steigen intern auf, die anderen wechseln den Arbeitgeber und die dritten kehren aus einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit ins Erwerbsleben zurück. Es herrscht eine enorme Dynamik, und das spricht für den Elan unserer gesamten Wirtschaft. Trotzdem geht Ihnen die Arbeit nicht aus: Sie koordinieren die nationale Fachkräfteinitiative (FKI). Wo liegt das Problem? Lassen Sie sich mich kurz ausholen: Grund sätzlich hat die Schweiz einen ökonomischen Fussabdruck, der grösser ist als ihre Bevölke rung. Deshalb waren wir seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges praktisch konstant auf die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte an gewiesen; so auch nach der Stagnationsphase Anfang und Mitte der Neunzigerjahre. Damals setzte ein rasanter Strukturwandel ein. Die Volkswirtschaft bewegte sich innerhalb der internationalen Wertschöpfungspyramide nach oben. Die Folge war eine starke Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitnehmern … löhne immer noch unter dem Vorkrisenniveau liegen. Trotzdem hat das Volk die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) angenommen. Hat es mutwillig ein Erfolgsmodell verabschiedet? Erstaunlich ist auf jeden Fall, dass der Arbeits markt in den Diskussionen vor dem 9. Februar kaum eine Rolle spielte. Es ging vor allem um wahrgenommene Engpässe in der Infrastruktur wie knapper Wohnraum. … die der Abschluss des Abkommens über die Personenfreizügigkeit (PFZ) mit der EU befriedigte. Richtig. Lassen sich auf dem Arbeitsmarkt schon Folgen des neuen Verfassungsartikels 121a erkennen? Generell stellen wir fest, dass bei den Unterneh mern eine zunehmende Verunsicherung herrscht. Denn je nach Art und Weise der Um setzung der MEI wird es wohl zu einer mehr oder minder markanten Verschärfung des bereits angesprochenen Fachkräftemangels kommen. Was war der Vorteil der PFZ gegenüber dem vorher bestehenden Drei-Kreise-Modell? Der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften wurde neu von den Unternehmen und nicht mehr vom Staat gesteuert. Die PFZ war insofern eine liberale Lösung und sie hat ausgezeichnet funktioniert. Die Schweiz ist ohne grosse Schä den durch die Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 gekommen. Dies im Gegensatz zu den Mittelmeerländern, aber auch zu Ländern wie Grossbritannien, in denen die Durchschnitts Was geschieht, wenn die MEI strikt umgesetzt wird und sich ein Graben auftut zwischen dem Bedarf an Arbeitskräften und dem realen Angebot? In gewissen Branchen – zum Beispiel im Ge sundheitswesen – wären wir gezwungen, ent weder die Leistungen zu reduzieren oder die Produktivität zu erhöhen; wobei ich mir nicht sicher bin, wie die Bevölkerung auf eine «In dustrialisierung» von Spitälern und Heimen reagieren würde. ANZEIGE Boris Zürcher warnt: «Das Beschäftigungswachstum bei Staat und den staatsnahen Einrichtungen sollte nicht ungebremst weitergehen.» Wie sieht es bei den exportorientierten Branchen aus? Die Unternehmen müssten vermehrt dort in vestieren, wo es auch genügend Arbeitskräfte gibt: im Ausland. Wir sehen schon heute, dass die Investitionsneigung in der Schweiz sinkt. Dem will der Bundesrat mit der FKI, die auf eine verbesserte Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials abzielt, gegensteuern. Die FKI wurde bereits anderthalb Jahre vor der Abstimmung über die MEI gestartet. Was waren damals die Beweggründe? Wir stehen vor einer demografischen Umwäl zung. Ich selber habe Jahrgang 1964. Ich gehöre damit zur grössten Alterskohorte, die dieses Land je gesehen hat. Nach 1964 sind die Jahrgänge geschrumpft und haben sich auf tiefem Niveau eingependelt. Noch steht meine Generation mitten im Arbeitsprozess, aber das wird sich ändern. Wenn ich und meine Alters genossen in Pension gehen werden, wird das Land massiv an gut ausgebildeten Arbeitneh mern verlieren. Wie wichtig ist die FKI für den Bundesrat? Ich kann nur für das Eidgenössische Departe ment für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF sprechen: Bei uns gehört die FKI neben den Massnahmen zur Abmilderung der Folgen der Frankenstärke zu den wichtigsten Projekten; wobei die Annahme der MEI die Dringlichkeit noch einmal erhöht hat. PAX STEHT AUF BEIDE Private und Berufliche Vorsorge aus einer Hand. Die beste Lösung zu fairen Konditionen. Glaubwürdig, vorausschauend, direkt. Unsere Vorsorgeprodukte sind äusserst wettbewerbsfähig und exklusiv über unabhängige Vertriebspartner zu haben. Als Vertriebspartner sind Sie bei uns richtig gut aufgehoben. Wir betreuen Sie persönlich und bieten Ihnen genau das, was Ihre Kunden überzeugt: Vorsorge auf den Punkt gebracht. www.pax.ch/vertriebspartner-willkommen Was ist konkret im Tun? Wir haben vier Handlungsfelder identifiziert. Erstens die Höherqualifizierung der einheimi schen Arbeitskräfte, namentlich in den beson ders gefragten Bereichen Mathematik, Infor matik, Naturwissenschaften und Technik (MINT). Dazu kommt – zweitens− die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie; dann – drittens − die Schaffung guter Bedingungen zur Erwerbstätigkeit für ältere Arbeitnehmende sowie viertens die Förderung von Innovationen in besonders arbeitsintensiven Bereichen wie dem Gesundheitssektor. Wo steht man auf diesen vier Handlungsfeldern? Oder anders gefragt: Welche Projekte befinden sich bereits in der Umsetzung? Bereits verabschiedet ist der Bundesbeschluss über die Krippenfinanzierung. Das neue Berufs bildungs- und Weiterbildungsgesetz ist in der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) 2013 bis 2016 enthalten; es wird kommen. Weiter geht es etwa darum, die sogenannte Heiratsstrafe für Doppelverdie ner abzuschaffen. Klingt alles wenig spektakulär. Es gibt keine Wunderwaffe, mit der sich alle Inserate_143x218+3mm_alle 3 Sujet_de_05.15.indd 1 13.05.2015 14:59:44 Quelle: ZVG Ziele auf einmal erreichen liessen. Nehmen wir zum Beispiel die 500 000 Menschen in diesem Land, die keine überobligatorischen Abschlüs se vorweisen können. Sie bilden eine stille Begabungsreserve, die man aber nicht über Nacht aktivieren kann. Bei der FKI geht es um die Bündelung und Intensivierung von Mass nahmen bereits bestehender Initiativen; und zwar in enger Zusammenarbeit mit den Sozi alpartnern und den Kantonen. Die Statistik sagt, dass 70 Prozent des Beschäftigungszuwachses seit 2008 auf das Konto des Sozial-, Gesundheits- und Erziehungswesens sowie auf die öffentliche Verwaltung fielen. Wurde da nicht ein Fachkräftemangel auf Kosten des Steuerzahlers organisiert? Man muss sehen, dass wir in den letzten Jah ren eine Nettozuwanderung von 80 000 Per sonen hatten. Seit 2012 ist die Bevölkerung um einen mittelgrossen Kanton angewachsen. Dass damit auch die Ausgaben für Erziehung, Gesundheit und Verwaltung zunehmen, scheint mir logisch. In einem Punkt gebe ich Ihnen allerdings recht: Das Beschäftigungswachstum bei Staat und den staatsnahen Einrichtungen sollte nicht ungebremst weitergehen. Sonst entsteht auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine ungesunde Konkurrenz mit der privaten Wirt schaft. Gerade mittelständische Unternehmen beklagen eine Fehlsteuerung im Bildungswesen. Anstatt Informatiker und Techniker würden zu viele Sozial- und Geistes wissenschaftler ausgebildet. Ist da etwas dran? Es bringt meiner Meinung nach nichts, die akademischen Bildungsgänge gegeneinander auszuspielen. Die Schweiz kennt den Grundsatz der freien Studienwahl und sie ist gut gefahren damit. Ein anderer wiederkehrender Kritikpunkt aus Unternehmerkreisen ist die Maturitätsquote von über 20 Prozent. Namentlich die fertigende Industrie hat Mühe, ihre anspruchsvollen Lehrlingsstellen zu besetzen … Das Bildungswesen ist Sache der Kantone, nicht des Bundes. Grundsätzlich gilt aber auch hier, dass man in einer liberalen Gesellschaft nie manden zwingen kann, einen bestimmten Berufsweg einzuschlagen. Dazu kommt, dass wir trotz der vermeintlichen Akademiker schwemme kaum Akademikerarbeitslosigkeit haben. Die Wirtschaft scheint diese Leute zu brauchen. Das beweisen auch unsere Zahlen zu den Arbeitskräften, die Schweizer Unterneh men im Ausland rekrutieren: 60 Prozent dieser Leute verfügen über einen Bachelor oder Masterabschluss. Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage SEF.2015 11 «Das Ziel heisst Resilienz» Warum die BKW auf Energie- und Infrastrukturdienstleistungen setzt Für die Stromproduzenten ist die Energiewende nicht nur eine technische, sondern auch eine unternehmerische Herausforderung. BKW-Chefin Suzanne Thoma über schwankende Strompreise, Kundenorientierung und neue Geschäftsfelder in der Gebäudetechnik. Interview: Saraina von Grünigen Die Energiebranche hat schon einfachere Zeiten gesehen, jetzt beklagen viele die wachsende Komplexität des Marktes. Macht Ihnen das auch Sorgen? Sorgen ist vielleicht nicht der richtige Aus druck, aber wir machen uns natürlich Ge danken, wie wir mit Komplexität umgehen und daraus Nutzen ziehen können. Bei der BKW ist das diesjährige Konferenzthema des Swiss Economic Forum «Simplicity», eines der Kernthemen. Es gehört zu den Positionierungsstatements unserer Marke. Aber glauben Sie mir, für die Umsetzung braucht es eine Menge Energie und Geduld. Wo liegen die wesentlichen Hindernisse? Man sollte doch meinen, Einfachheit spricht allen aus dem Herzen. Das ist grundsätzlich richtig, aber auch eine Veränderung zur Einfachheit ist eine Ver änderung. Das bedeutet, man muss be währte Methoden und Vorgehensweisen umstellen und sich an neue Prozesse ge wöhnen. Zunächst einmal wird alles schein bar komplizierter. Das klingt nach Hausaufgaben für die Führungskräfte im Unternehmen. Eindeutig ja. Wir arbeiten intensiv daran. Wir müssen unsere Mitarbeitenden befähi gen und motivieren, mehr Verantwortung zu übernehmen. Unsere Führungskräfte werden diese Übernahme von Verantwor tung einfordern. Dafür müssen sie den Mitarbeitenden natürlich die notwendigen Freiräume gewähren. Für manche ist das ungewohnt. Die BKW baut sich gerade zu einem Energie- und Infrastrukturdienstleister um. Ist das der Königsweg, um wettbewerbsfähig zu bleiben? In dem komplexen und sich kurzfristig ver ändernden Umfeld, in dem wir uns bewegen, streben wir als Unternehmen Robustheit und Resilienz an. Schauen Sie sich die Strompreise an. Keines der uns bekannten Prognosemodelle hat eine so starke Abnah me der Grosshandelspreise vorausgesehen. Der Königsweg – wenn Sie so wollen – besteht darin, parallel zu den klassischen Geschäftsfeldern, neue Geschäftsfelder aufzubauen, die andere ökonomische Trei ber haben als der Strompreis. Dazu gehört es auch, unsere Abhängigkeit von kurzfris tigen politischen Entscheiden zu verringern. Da man die Produktion von Strom und das Netzgeschäft als Dienstleistung verstehen kann, bündeln wir die klassischen und die neuen Geschäftsfelder unter dem Begriff Energie- und Infrastrukturdienstleistungen. her denken, und zwar auch dann, wenn es sich um «High-Tech»-Produkte handelt. Gleichzeitig müssen wir unsere internen Prozesse und Strukturen auf Effektivität und Effizienz trimmen. Wir haben in den letzten zwei Jahren bei der BKW die Kosten schon stark gesenkt, aber wir haben noch Potenzial. Können Sie die neuen Energie- und Infrastrukturgeschäftsfelder etwas konkretisieren? Energie- und Infrastrukturdienstleistungen ist ein sehr breiter Begriff und es stellte sich die Frage, auf welche Segmente wir uns konzentrieren wollen. Wir haben vier zentrale Themenfelder gewählt, von denen wir überzeugt sind, dass wir grossen Kun dennutzen stiften können: Asset Manage ment im Bereich erneuerbare Energie, Inf rastruktur- und Netzdienstleistungen, dezentrale Energieproduktion und Kraft werksengineering. Insbesondere das Infra struktur- und Netzdienstleistungsgeschäft basiert auf unseren heutigen Tochterfirmen Arnold AG und ISP AG, die in diesem Seg ment schon sehr erfolgreich sind. Der Aufbau des Geschäftsfeldes Dienstleistungen erfolgt auch über die Akquisition von Unternehmen im Marktbereich Heizung, Lüftung, Klima und Sanitär, kurz HLKS. Warum interessiert sich die BKW für dieses Segment? HLKS ist die optimale Ergänzung zu unserem Dienstleistungsgeschäft, in dem wir 2014 bereits 300 Millionen Franken umgesetzt haben. Viele Gebäude und deren Energie versorgung müssen saniert werden. Wir haben erkannt, dass Gebäudetechnik, Gebäudeinfrastruktur, Eigenversorgung und Energieversorgung zusammenfliessen. Auf diesen Gebieten sind wir stark. Ausser dem folgen wir mit unserem Engagement im HLKS-Markt der Energiestrategie des Bundes. Effizienz ist dort einer der Schwerpunkte – und genau darum kümmern wir uns. Welches ist die grösste Herausforderung auf diesem Weg? Die Kundenorientierung. Wir müssen alles, was wir machen, konsequent vom Kunden Die BKW hat im Geschäftsjahr 2014 ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Was machen Sie besser als der Rest der Branche? Wir sehen trotz aller Schwierigkeiten in der Seit 2013 CEO der BKW: Suzanne Thoma. Quelle: ZVG aktuellen Marktsituation viele Chancen. Unser Verwaltungsrat hat schon früh einen Grundsatzentscheid zur Neupositionierung der BKW gefällt und eine darauf aufbauen de Strategie verabschiedet. Nun setzen wir alles daran, diese konsequent umzusetzen. Die ersten Resultate lassen sich sehen. Im Dienstleistungsbereich ist unser Umsatz um 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist es uns gelungen, die Kosten signifikant zu senken. ANZEIGE Generation Y: Chance und Herausforderung zugleich. Unsere Gesellschaft verändert sich rasant. Die Allianz passt sich den veränderten Bedürfnissen an. Mit zukunftsorientierten Lösungen, damit dieser Wandel für Sie zur Chance wird. Hoffentlich Allianz versichert. allianz.ch/kmu SEF_GenerationY_NZZ_Sonderbeilage_4c_291x218_ss.indd 1 06.05.15 09:16 SEF.2015 12 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Im Banne des Frankens Der 15. Januar 2015 und seine Folgen für Politik und Wirtschaft Die Schweiz hat eine starke Währung, weil ihre Unternehmen in der Lage sind, sich immer wieder neu zu erfinden. Langfristig funktioniert diese typisch schweizerische Erfolgsformel aber nur, wenn sich auch die Politik ihrer Verantwortung bewusst ist und für attraktive Rahmenbedingungen sorgt. Eric Scheidegger * Der 15. Januar 2015 markiert einen denk würdigen Einschnitt in der Schweizer Wirt schaftsgeschichte: Die Schweizerische Nati onalbank (SNB) verkündet die Aufhebung des Mindestkurses von 1,20 Franken pro Euro; zugleich senkt sie den Negativzins für Gutha ben auf den Girokonten. Die Devisenmärkte reagierten heftig auf diese im Grundsatz ab sehbare, aber zum damaligen Zeitpunkt den noch überraschende Entscheidung. Die Bör senverluste sind schon seit längerem wieder korrigiert; ungewiss bleibt jedoch, wie die über 560 000 Unternehmen im Land auf die Wech selkursverschiebungen regieren werden. Si cher ist nur eines: Die Schweizer Wirtschaft wird mit einer starken Heimwährung umzu gehen haben – und umzugehen wissen. Die Wirtschaftspolitik muss ihr dazu die bestmög lichen Rahmenbedingungen bieten. Ein starker Schweizer Franken gehört ebenso zur modernen Schweiz wie die hochgradige Exportorientierung der Wirtschaft; er prägt gewissermassen die «Swissness» der Volks wirtschaft. In den letzten hundert Jahren leg te die Währung gegenüber den massgebenden Währungen beeindruckend zu. 1914 war der US-Dollar gut 5 Franken, das britische Pfund 25 Franken wert. Der stete Aufstieg der Schweizer Währung ging Hand in Hand mit der finanzpolitischen Disziplin und monetären Stabilität, welche das Land seit vielen Jahren als «sicheren Hafen» prägen – und in Zeiten der internationalen Unsicherheit regelmässig auch fordern. Unter dem Strich ist eine solide Währung jedoch nicht Bürde, sondern Aus zeichnung der Standortattraktivität. Nur starke Volkswirtschaften haben starke Währungen. Schmerzliche Anpassungen Natürlich sind allzu abrupte Aufwertungsschü be der Währung eine besondere Herausforde rung. Wenn ein ohnehin schon starker Franken zum Euro innert Kürze um deutlich über zehn Prozent im Wert steigt, bedeutet dies zwangs läufig eine starke Verschlechterung der Kon kurrenzfähigkeit Schweizer Unternehmen. Die unerlässliche Anpassung an die neuerlich erstarkte Heimwährung wird nicht ohne schmerzliche Folgen sein. Vermehrte Meldun gen über Firmenverlagerungen oder -schlies sungen sind zu erwarten. Die Beschäftigungs entwicklung wird in den nächsten Monaten in verschiedenen Regionen eingetrübt bleiben. Genau genommen handelt es sich bei der zurzeit beklagten Frankenstärke um eine Schwäche des Euro. Die Aufwertung des Fran Konstanter Aufwärtstrend: Der Franken spricht für die Attraktivität des Standorts Schweiz. Quelle: ZVG kens gegenüber dem US-Dollar oder dem britischen Pfund hält sich in Grenzen. Trotzdem bleibt die Geldpolitik der SNB für die weitere Wechselkurs- und Wirtschaftsentwicklung relevant; wobei deren Aufgabe durch das in ternationale Tiefzinsumfeld und die prognos tizierte negative Teuerung für die nächsten zwei Jahre markant erschwert wird. Deshalb ist auch die Wirtschaftspolitik gefordert. Die wichtigste, wenn auch politisch unbeque me Devise lautet: Den unabwendbaren Struk turwandel nicht aufhalten. Bei einer anhalten den ausgeprägten Frankenstärke werden die meisten Exportsektoren in den nächsten Jahren einen intensiven Anpassungsprozess durchlaufen müssen. Erfahrungsgemäss wer den dabei vor allem diejenigen exportorien tierten Wirtschaftsaktivitäten aus dem Markt gedrängt, welche in der Schweiz eine verhält nismässig geringe Wertschöpfung erzielen oder schon heute wenig wettbewerbsfähige Leistungen erbringen. Dies ist kein Grund, die Zukunft düster zu sehen: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sehr viele Unter nehmen in der Lage sind, sich wiederholt neu zu erfinden. Darin liegt die Innovationskraft der Schweizer Wirtschaft. Hilfe zur Selbsthilfe Schöpferische Anpassung setzt jedoch be trieblichen Spielraum voraus. Die Wirtschafts politik muss deshalb den Firmen Bewegungs freiheit lassen, um die notwendigen Anpassungen am Hartwährungsstandort Schweiz vorzunehmen. Auch die Sozialpartner müssen dafür gegenseitiges Verständnis auf bringen. Selbst wenn die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten ansteigen sollte, muss der politischen Versuchung nach staat lichen Eingriffen in den Arbeitsmarkt wider standen werden. Der Schutz der Arbeitneh menden ist solid, bei unvermeidlichen Entlassungen hilft eine leistungsfähige Arbeits losenversicherung. Und schliesslich muss die Politik – gerade angesichts der ungewissen Kursentwicklung des Frankens − dringender denn je am Erhalt der attraktiven Rahmenbedingungen arbei ten: am verlässlichen Rechtsrahmen als Gegenstück zur administrativen Belastung und der beklagten Häufung wirtschaftskriti scher Volksinitiativen; am Erhalt der bilate ralen Abkommen mit der EU; an der Stärkung des Wettbewerbs in den binnenwirtschaftlich orientierten Branchen; an der nachhaltigen Finanzpolitik; an der Offenheit gegenüber neuen Technologien; an der Weiterentwicklung der hochwertigen (Forschungs-)Infrastruktur. Die Liste liesse sich verlängern. Wichtig im Wahljahr 2015 ist jedoch weniger die Lancie rung möglichst umfangreicher «Offensiven»; diese haben kurzfristig wenig Aussicht auf Umsetzung. Entscheidend wird sein, dass die Politik in ausgewählten Schwerpunktdossiers wie der Unternehmenssteuerreform III, der Aktienrechtsrevision oder bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative Augen mass für den Erhalt der guten Rahmenbedin gungen zeigt. Im Bewusstsein um die gegen wärtige Verunsicherung ist es entscheidend, mit politisch wegweisenden Entscheidungen das Vertrauen der Unternehmen und ihren Mitarbeitenden sowie der Investoren zu stärken. * Eric Scheidegger, Seco, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik. «Management by hope wäre fatal» Drei Schweizer Wirtschaftsführer zur Frankenaufwertung Zwischen Investitionsstopp und Innovationsoffensive: Industrie und Tourismus sind vom starken Franken besonders betroffen. Saraina von Grünigen Leister AG Bucher Industries Christiane Leister, Inhaberin und Präsidentin Verwaltungsrat Anzahl Mitarbeitende: 680, davon 460 in der Schweiz Philip Mosimann, CEO Anzahl Mitarbeitende: 12 000, davon 1000 in der Schweiz 50 % Export-Anteil in Euro-Länder 30 % Export-Anteil in US-Dollar-Länder 80 % Export-Anteil in Euro-Länder 15 % Export-Anteil in US-Dollar-Länder Tourismusdirektion Engadin St. Moritz Ariane Ehrat, Torusimusdirektorin Anzahl Mitarbeitende: 60 Über 50 % ausländische Kunden, davon 42 % aus den Euro-Ländern Inwiefern sind Sie vom Entscheid der Schweizerischen Nationalbank vom 15. Januar 2015 betroffen? Die Leister-Gruppe exportiert 98 Prozent aller Produkte, die in der Schweiz hergestellt werden, in mehr als 100 Länder. Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt von folgenden Faktoren ab: vom Franken-Wechselkurs, vom Lohnniveau der Schweiz im Vergleich zum Euro- und US-Dollar-Raum und von den Emerging Markets sowie administrativen Auflagen und Regu lierungen in der Schweiz. Wir verfolgen weiterhin eine Vor wärtsstrategie mit Wachstumszielen und müssen die Produk tivität erhöhen. Den grössten Teil des Umsatzes von Bucher Industries machen wir in Fremdwährungen. Die Umrechnung in Schweizer Franken drückt den Umsatz um rund 10 Prozent und das Betriebsergeb nis um 15 Prozent. Beim Ergebnis sind auch die einmaligen Neubewertungen von Lager und Debitoren enthalten. Hinzu kommt der schwierig zu beziffernde Wert durch Preiskonzessi onen. Aufgrund der beschränkten Grösse unserer Produktions stätten in der Schweiz reduziert sich die Betriebesgewinnmarge um nur 0,5 Prozent-Punkte. Die Tourismusdestination Engadin St. Moritz hat im letzten Winter die Folgen des Entscheides der Nationalbank gespürt – dies trotz einem ausgezeichneten Start im Dezember sowie guten Ostertagen. Wir rechnen mit einem, nach 2011, weiteren Rückgang von Gästen aus den EuroLändern. Gleichzeitig dürfte der Anteil der in den letzten Jahren zurückgewonnenen Schweizer Gäste wieder zurückgehen. Welche Massnahmen haben Sie eingeleitet? Aktuell stellen wir keinen Einbruch bei unseren Aufträgen fest, da wir unseren Kunden je nach Land Währungsrabatte von bis zu einem zweistelligen Prozentsatz gewähren. Damit wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern können, haben Pro jekte mit Effizienzsteigerung höchste Priorität. Unsere Mitar beitenden haben sich bereit erklärt, freiwillig die Arbeitszeit zu erhöhen. Von unseren Lieferanten erwarten wir sofortige Massnahmen für wettbewerbsfähige Preise im Einkauf. Als Sofortmassnahmen haben wir einen Investitions- und Personalstopp verfügt. Freigaben in beiden Bereichen erfol gen ausschliesslich durch den Konzern-CEO. Im Bereich der Kommunalfahrzeuge sind knapp 200 Personen von einer Arbeitszeiterhöhung von 40 auf 43,75 Stunden pro Woche ohne Anpassung der Löhne betroffen. Wir hoffen, diese Mehrleistung – oder zumindest einen Teil davon – mit einer Prämie kompensieren zu können. Gemeinsam mit den Leistungsträgern haben wir bereits anläss lich der Eurokrise im 2011 attraktive Produkte eingeführt. Aktu ell haben wir On-Top-Massnahmen lanciert, die insbesondere die Schweizer Gäste ansprechen. Es gilt nach wie vor, die Preis vorteile mit Angeboten wie «Bergbahnen inklusive» und «Hotel und Skipass» zu kommunizieren. Wir wollen die erfolgreiche Märkte-Diversifikation fortsetzen, ohne den Schweizer Markt zu vernachlässigen. Die Gastfreundschaft hat grösste Bedeutung. Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Frankenstärke für die Schweiz und Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein? Die Aufwertung des Schweizer Frankens führt zu einer relevanten Ergebnisreduktion. Die Einstellung neuer Mitarbeitenden und Investitionen werden sorgfältig auf deren Notwendigkeit geprüft und erfolgen bevorzugt für neue Wachstumsbereiche. Aufgrund der Währungsrabatte können wir unsere globale Marktführerschaft halten bzw. ausbauen. Zukünftige Standorte für weitere Wachs tumsprojekte werden unter Berücksichtigung der aktuellen Situ ation in der Schweiz auch für andere Länder geprüft. Wir rechnen mit einem Eurokurs im Bereich der Parität mit dem Schweizer Franken. Nach dem Quantitative easing (QE) der EZB sind leider keine Anstrengungen der Euro-Länder bezüglich der dringendst notwendigen Strukturreformen auszumachen. Die Warnungen des EZB-Präsidenten Draghi, dass QE nur wirkt, wenn die Regierungen ihre Hausaufgaben machen, blieb bisher ohne jede Wirkung. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns dieser Situation anzupassen. «Management by hope» wäre fatal. Wenn der Kurs unterhalb der bisherigen Untergrenze bleibt, wird vor allem in den Euro-Ländern die Wahrnehmung der Schweiz als teures Ferienland weiter bekräftigt. Die Touris musorganisation Engadin St. Moritz bearbeitet 17 Märkte; dies ermöglicht, verschiedene Markt-Schwerpunkte zu set zen. Eine konkrete Prognose für den kommenden Sommer ist zurzeit noch nicht möglich: Die Gäste buchen immer kurzfristiger. Realistischer Wunschkurs: 1,05 bis 1,10 Eurokurs; 0,95 Dollarkurs 1,10 bis 1,15 Eurokurs; 0,90 bis 0,95 Dollarkurs 1,10 bis 1,15 Eurokurs; 0,95 Dollarkurs SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 13 Sackgasse oder Weggabelung? Ein Plädoyer für den bilateralen Weg Alexis P. Lautenberg leitete die Schweizerische Mission bei der Europäischen Union und war massgeblich an der Aushandlung der bilateralen Verträge beteiligt. Er warnt vor einem europapolitischen «Doppelfehler». Alexis P. Lautenberg Seit dem schweizerischen Antrag auf einen Assoziationsvertrag mit der damaligen EWG, anno 1961, entwickelt sich das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union (EU) in Wellen. Die Bestimmungsfaktoren dieser Wellen sind dabei erstens die innere Dyna mik der europäischen Konstruktion, zweitens die Entwicklung des globalen Umfelds, drit tens die handelspolitische Vernetzung der schweizerischen Wirtschaft sowie viertens unsere nationale Befindlichkeit. Brüche gab es in dieser Wellenbewegung selten, aber es gab sie: Das Nein des Volkes zum EWR-Beitritt vom Dezember 1992 stell te einen ersten solchen Bruch dar. Dieser wurde gemeistert, indem in Gestalt des ersten Pakets der Bilateralen ein Ausweg gefunden wurde. Es war als Provisorium gedacht, wurde dann aber zum System. Die EU-Seite forderte immer wieder die Er gänzung der Abkommen durch einen insti NZZ.pdf 1 15.04.15 tutionellen Rahmen. Darauf wurde seitens der Schweiz von einem gewissen Zeitpunkt an eingegangen. Die Annahme der Massen einwanderungsinitiative (MEI) hat diesen Verhandlungsprozess bis auf weiteres aus gehebelt. Deshalb ist die Schweiz nun einmal mehr mit der Frage konfrontiert, wie der bestmög liche Zugang zum europäischen Binnen markt mit einem akzeptablen Einschnitt in die eigene Souveränität zu vereinbaren ist. So klar dieser «trade-off» auch sein mag, so wichtig scheint, diese Frage im Lichte der oben erwähnten Bestimmungsfaktoren zu diskutieren. Wenig kompromissbereite EU Zum Ersten lehrt uns nämlich die Erfahrung, dass die EU genauso wie früher die Euro päische Gemeinschaft (EG) in Phasen inne rer Spannungen wenig geneigt ist, auf spezifische Bedürfnisse ihrer Partner ein zugehen. Wenn die Institutionen zudem mit konkreten Abspaltungsrisiken konfrontiert sind, wie gegenwärtig im Vereinigten Königreich, wird ihr Spielraum noch weiter reduziert. Das globale Umfeld weist, zweitens, ein wachsendes Mass an Instabilität auf. Daraus ergeben sich neue Bedrohungsfaktoren, die unsere immer komplexeren Gesellschaften in höchstem Masse verwundbar machen. Drittens wird – bei allen erfolgreichen An strengungen unserer Wirtschaft, sich global auszurichten und zu diversifizieren – der europäische Binnenraum auf Jahre hinaus unser wichtigster Absatzmarkt und Lieferant bleiben. Viertens, hat sich, ähnlich wie im Vereinig ten Königreich, die europapolitische Debat te auch in der Schweiz etwas von der Realität entfernt. Immer häufiger wird die EU als dysfunktional perzipiert, was zum Anlass genommen wird, «sich von Europa zu distanzieren». Eine kohärente Auseinandersetzung mit der Schnittstelle zwischen gegenwärtiger Blo ckierung und zukünftiger Ausgestaltung unseres Verhältnisses zur EU bedarf einiger Referenzpunkte. So reizvoll es scheinen mag, im Rausch der Abrechnung mit «Brüs sel» für einen Neubeginn zu plädieren, soll te nichtsdestotrotz die unausweichliche Realität akzeptiert werden, dass der volle Zugang zum Binnenmarkt nur mittels der Übernahme entsprechend harmonisierter Gesetzgebung möglich ist. So gesehen stellen das bilaterale und das sektorielle Modell das niedrigste Niveau einer Integrationsform dar. Das sektorielle Modell soll nun mittels des von der EU an gestrebten institutionellen Rahmenabkom mens die bilateralen Integrationsabkommen ergänzen. Der Hauptunterschied zum bisher verfolgten Ansatz besteht einerseits in der 14:15 ANZEIGE Gut aufgehoben in die Energiezukunft Mit massgeschneiderten Energie- und Infrastrukturdienstleistungen der BKW C M Y CM MY CY CMY K www.bkw.ch grundsätzlichen Übernahme der bestehen den Rechtsbasis eines gegebenen Sektors durch die Schweiz sowie anderseits in der laufenden Weiterentwicklung dieser Rechts basis, wozu auch die Einrichtung einer von beiden Seiten akzeptierten Streitschlich tungsinstanz gehört. Selbstverständlich liegt es weiterhin an der Schweiz, zu entscheiden, für welche Sektoren sie ein derartiges Ver hältnis einzugehen wünscht. Zugang zum Binnenmarkt Weniger weitgehende Kooperationsmodali täten sind durchaus möglich, führen aber alle zur klassischen Drittlands-Beziehung. Dabei gilt es insbesondere zu bedenken, dass sogar ein angepasstes Freihandelsab kommen den Zugang zum rechtsharmoni sierten Binnenmarkt nur teilweise gewähr leistet. Folglich muss man sich fragen, ob das erreichte Niveau des bilateralen Ver hältnisses – ergänzt durch einen darauf zugeschnittenen Institutionellen Rahmen sowie eine eurokompatible MEI-Umsetzung – nicht einem völligen Bruch des bisher verfolgten Ansatzes mit unbekanntem Aus gang vorzuziehen ist. Dem Charme eines völligen Neubeginns zum Trotz dürfte im schweizerischen politischen System der entscheidende Durchhaltewille sowie in der EU die Bereitschaft fehlen, sich auf einen sich über Jahre hinziehenden Ein ehemaliger Diplomat spricht Klartext: Quelle: ZVG Alexis P. Lautenberg. Prozess mit unbestimmtem Ausgang einzu lassen. Schliesslich muss festgehalten werden, dass die Personenfreizügigkeit bei allem Ver ständnis für deren wahrgenommenen Un zulänglichkeiten während der letzten zwölf Jahre einer der wichtigsten Wachstumsfak toren unseres Landes war. Wollen wir also wirklich den Doppelfehler begehen, in einer Zeit, in der wir noch wettbewerbsfähiger werden müssen, auf die entscheidenden personellen Ressourcen zu verzichten und uns zeitgleich ohne Zwang den Zugang zum europäischen Binnenmarkt erschweren? SEF.2015 14 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Es muss wehtun Ich gewinne oder du verlierst: die Unmoral der Schlaumeier Ökonomen wie Bürokraten, Analysten wie Redaktoren, Politiker wie Banker: Sie alle trachten nach grösstmöglichem Gewinn, ohne für allfällige Schäden zu haften. Leben wir in einer Gesellschaft von Profiteuren? Nassim Nicholas Taleb und Constantine Sandis Die Chancen, wohlüberlegt zu handeln, stei gen deutlich, wenn wir uns mit unserem Nichtwissen auseinandersetzen. Daher ist es für unser persönliches und soziales Leben – von Gesundheits- und Sicherheitsmass nahmen bis zu Politik und Glücksspiel – von höchster Wichtigkeit, dass wir uns mit un serer Ignoranz befassen. Wie aber sollen wir in Anbetracht der ganzen Ungewissheit han deln, die verbleibt, nachdem wir uns unseres Nichtwissens bewusst geworden sind? Von entscheidender Bedeutung ist das Kon zept des «Skin in the Game», des Riskierens der eigenen Haut – zumal in einer komplexen und undurchsichtigen Welt, in der die einen die anderen ständig in Extremrisikosituatio nen mithineinziehen. Gerade in solch opaken Systemen voller Unvorhersagbarkeit haben die Leute heute jedoch Anreiz und Gelegen heit, ihre eigene Haut zu retten, anstatt sie aufs Spiel zu setzen: Zahllose Akteure pro fitieren heute von allfälligen positiven Ent wicklungen, können sich aber im Falle einer negativen Entwicklung schadlos aus der Affäre ziehen. Für die heutige Zeit sind folgende Grundpro bleme – und Gegenmittel – auszumachen: ➤ Entscheidungsträger und Politiker: In einem dezentralen System, etwa einer Stadtgemeinde, werden die Leute gewöhn lich von ihrem Schamgefühl davon abgehal ten, anderen durch ihre Fehler Schaden zuzufügen. In einem grossen, zentralistischen System hingegen sind die Fehlerquellen nicht so augenfällig. Excel-Tabellen lösen bei nie mandem Scham aus. Scham als Sanktion ist ein Faktor, der sehr für kleine, lokale, persönliche und dezentrale (staatliche oder geschäftliche) Organisationen spricht und gegen grosse, nationale oder multinationale, anonyme und zentralistische. Im Fall, dass Letztere versagen, zahlt ja die Allgemeinheit die Kosten und nicht der Schuldige. Das führt entweder zu nationalen und internationalen Verschuldungsmassnahmen zum Schaden künftiger Generationen oder zu Austerität. Diese Argumente gegen Big-GovernmentModelle dürfen indes nicht mit libertären Standardargumenten gegen einen Staat verwechselt werden, der die Wohlfahrt seiner Bürger sicherstellt. Sie gelten nur in Fällen, wo dies in zentralistischer Weise geschieht, sodass Verantwortliche sich hinter bürokra tischer Anonymität verstecken können. Viel besser ist auf Gemeindeebene ein kommu nitaristischer Ansatz: Wo sich «Skin in the Game» nicht durchsetzen lässt, sollte das System geändert werden, um Fehlerfolgen abzumildern. ➤ Anreizstrukturen für Firmenmanager: In diesem Bereich liegt ein wesentliches Missverständnis vor. Entgegen der öffentli chen Wahrnehmung sind Firmenmanager keine Unternehmer. Sie sind nicht, was man Agenten des Kapitalismus nennen könnte. In den USA machten Investoren auf dem Aktienmarkt zwischen 2000 und 2013 je nach Rechenweise bis zu 2 Billionen Dollar weniger Gewinn, als wenn sie ihre Mittel als Bargeld behalten oder in Staatsanleihen angelegt hätten. Man sollte denken, dass Manager für Verluste einstehen, da sie ja nach dem Incentive-System bezahlt werden. Weit gefehlt: Es herrscht eine irrationale und unethische Asymmetrie vor. Aufgrund der in ihren Verträgen enthaltenen Aktienoptionen erhielten Manager in der erwähnten Zeitpe riode mehr als 400 Milliarden Dollar als Vergütung. Wenn ein Manager Geld verliert, muss er seinen Bonus nicht zurückzahlen oder mit einem negativen Bonus – einem Malus – für den Verlust geradestehen. Die in die Vergütung von Firmenmanagern ein gebaute kostenlose Zusatzoption (wir nennen sie «Optionalität») kann nur dadurch beseitigt werden, dass man Verluste teilweise auf die Manager umlegt. ➤ Wirtschaftswissenschafter: Der Grund dafür, dass ökonomische Modelle nicht auf die Wirklichkeit passen, liegt darin, dass Ökonomen niemals für ihre Fehler zur Ver antwortung gezogen werden. Solange sie es den Zeitschriftenredakteuren recht machen oder oberflächlich korrekte Veröffentlichun gen vorlegen, wird an ihrer Arbeit nichts bemängelt. Das führt dazu, dass wir ohne die geringste empirische oder mathemati sche Begründung Modelle wie die Portfolio Nassim Taleb: «Sag den Leuten nicht, was du denkst – sag, was du in deinem Portfolio hast.» theorie und ähnliche Methoden benutzen. Eine Lösung bestünde darin, Ökonomen davon abzuhalten, Praktiker zu unterrichten. Allein deshalb, weil sie auch dann im System verbleiben, wenn sie Risiken verursachen, die andere gefährden. Das bringt uns wieder zu dezentralen Systemen, in denen Entschei dungen auf lokaler Ebene durch kleinere Einheiten getroffen werden und daher kein dringender Bedarf für die Hinzuziehung von Ökonomen besteht. ➤ Prognostiker: Vorhersagen im sozioöko nomischen Bereich funktionieren nicht. Pro gnostiker nehmen selten Schaden durch ihre Vorhersagen. Wir wissen jedoch, dass Men schen aufgrund numerischer Vorhersagen höhere Risiken eingehen. Man müsste folg lich danach fragen – und auch einzig be rücksichtigen –, wie der Prognostiker ge handelt (was er in seinem Portfolio hat) oder auf welches zukünftige Handeln er sich verpflichtet hat. Es ist unethisch, andere in Gefahr zu bringen, ohne für mögliche Schä den selbst einzustehen. Hinzu kommt, dass Prognostiker mit binären Variablen arbeiten, sprich mit «wahr» oder «unwahr», und die allgemeinen Fehlannahmen in Bezug auf Extremereignisse ausnutzen. Sie haben An reize, häufiger recht zu haben als unrecht, wohingegen jemand mit «Skin in the Game» kein Problem damit hat, häufiger falsch als richtig zu liegen, wenn nur die Gewinne hoch genug sind. Mit anderen Worten: Prognos tiker haben einen Anreiz, informationelle Schieflagen auszunutzen. Eine schlichte Lösung wäre: Prognostiker sollten den Vari ablen, die sie vorhersagen, selbst ausgesetzt sein. Sie sollten dem Diktum unterworfen sein: «Sag den Leuten nicht, was du denkst – sag, was du in deinem Portfolio hast.» Offenbar schaden Vorhersagen den Men schen, insofern sie durch den psychologi schen Ankereffekt («Anchoring») unsere Risikobereitschaft erhöhen. Alles Handeln ist in unterschiedlichem Aus mass dem Zufall ausgesetzt und muss ent sprechend bewertet werden. Wenn wir ein Risiko eingehen, können wir uns nicht von der Verantwortung für die Auswirkungen auf andere befreien. Wir können uns nicht hinter Quelle: REX – Shutterstock der Maske von Erwartung, Absicht, Unwissen, Zufall oder Ungewissheit verstecken. Um das Hauptargument noch einmal zu wiederholen: Asymmetrie ist unmoralisch, wenn es darum geht, Risiken einzugehen, ohne «Skin in the Game» zu haben. Systeme, die als «too big to fail» eingeschätzt werden, ermutigen uns nicht nur zu solcher Asymmetrie, sondern machen sie sogar zur Bedingung. Beim vorliegenden Text handelt es sich um die übersetzte, gekürzte und redigierte Fassung eines 2014 unter dem Titel «The Skin in the Game Heuristic for Protection against Tail Events» in der «Review of Behavioral Economics» erschienenen Aufsatzes. Der Essay ist in deutscher Überset zung zuerst in der Autorenzeitschrift «Schweizer Monat» www.schweizer monat.ch, erschienen. Nassim Taleb Nassim Nicholas Taleb ist Trader und Profes sor für Risikoforschung am Polytechnischen Institut der New York University. Er ist Autor der Bestseller «Anti-Fragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen» (Knaus, 2013) und «Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» (DTV, 2010). Überraschung mit Ansage Zum Mindestkurs-Entscheid der Schweizerischen Nationalbank Nassim Nicolas Talebs Aufstieg in die Riege der Bestsellerautoren beruht auf der Metapher des schwarzen Schwans. Überlegungen von René Scheu, Philosoph und Herausgeber der liberalen Autorenzeitschrift «Schweizer Monat». René Scheu Schwarze Schwäne – ja, es gibt die Tiere tat sächlich. Und nein, die meisten hätten das nicht gedacht. Das Bild des schwarzen Schwans verwendet Taleb, um seltene, disruptive Ereig nisse zu kennzeichnen, die drei Bedingungen erfüllen. Sie stellen sich – erstens – dem Be obachter als absolut überraschend dar; sie haben – zweitens – gigantische Auswirkungen, die ganze Theorien, Vermögen oder Branchen kollabieren lassen; und sie werden – drittens – nachträglich so rationalisiert, als hätten sich die Dinge letztlich gar nicht anders zutragen können. Die bekanntesten «schwarzen Schwä ne» aus der jüngeren Vergangenheit sind 9/11, Fukushima und – je nach Ansicht – die globa le Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. War nun die Aufhebung der Anbindung des Frankens an den Euro ein solcher schwarzer Schwan, wie viele Verbandsvertreter, Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre gemutmasst haben? Und liegen also vice versa all jene falsch, die nun im Brustton der Überzeugung behaup ten, sie hätten es schon immer gewusst? Zunächst lässt sich festhalten, dass die Anbin dung des Frankens an den Euro kein singuläres Ereignis darstellt – zuletzt orientierte sich der Franken im Jahre 1978 an einer fremden Wäh rung, und zwar an der damaligen deutschen Mark. Der Mindestkurs ist mithin ein übliches Mittel moderner Geldpolitik. Sind die Folgen des SNB-Entscheids drama tisch? Das kommt auf die Perspektive an. Tou rismus und Exportindustrie leiden zweifellos unter der Aufhebung des Mindestkurses. Aller dings bedarf es hier einer differenzierten Be trachtung. Denn Währungsrisiken lassen sich absichern – durch Termingeschäfte. Viele Un ternehmer und Firmen haben das selbstver ständlich auch getan. Sie agieren in einem unwirtlichen Umfeld und wissen, dass sie ihren Erfolg nicht von einer einzigen Zentralinstanz abhängig machen können – in diesem Fall: dem Präsidenten der SNB. Und erweist sich der Befund, die Aufhebung des Mindestkurses habe sich ebenso vorher sehen lassen wie die Einführung desselben, als bloss nachträgliche Konstruktion? Die Entwick lung der Ereignisse zwischen 2011 und 2015 lässt sich aufgrund der bestehenden Archivla ge gut rekonstruieren. In seiner Ansprache vom 6. September 2011 sagt Thomas Jordan: «Die Nationalbank toleriert ab sofort keinen EuroFranken-Kurs unter Einszwanzig.» Ein klares Statement. Und wie immer schiebt der Präsident relativierend nach: «Falls die Wirtschaftsaus sichten (...) es erfordern, wird die Nationalbank weitere Massnahmen ergreifen.» Weitere Mass nahmen sind stets eine Option. Die SNB hält sich stets alle Optionen offen – diese Relativie rung definiert geradezu den Sinn ihres Auftrags. In den Jahren 2012, 2013 und 2014 bekräftigt Thomas Jordan stets den Willen, den Mindest kurs zu verteidigen – und beharrlich schiebt er relativierend nach: «Bei Bedarf wird die Natio nalbank unverzüglich weitere Massnahmen ergreifen.» Am 5. Januar 2013 wiederholt Thomas Jordan in einem Interview mit dem Schweizer Fernse hen dreimal: «Der Mindestkurs ist absolut zen tral.» War es also ein Paukenschlag, als der Präsident am 15. Januar 2015 vor die Medien trat und jenen Entscheid begründete, der für alle angeblich überraschend kam – die Aufhe bung des Mindestkurses? Selbstverständlich nicht. Thomas Jordan muss behaupten, der Mindestkurs sei zentral, bis er behauptet, er sei nicht mehr zentral. Genau so funktioniert mo derne Geldpolitik. In der anschliessenden Diskussion mit den Medienvertretern erläutert er sogar in maxima ler Offenheit die Methodik, die sich um ein einziges Wort dreht: «Überraschung». Er führt aus: «Der Ausstieg aus einer solchen Politik erfolgt überraschend; genauso wie der Einstieg überraschend war, muss zwangsläufig auch der Ausstieg aus einer Mindestkurspolitik über raschend erfolgen.» Was heisst das? Einstieg in den und Ausstieg aus dem Mindestkurs waren kalkulierbare Überraschungen – also keine Überraschungen. Niemand kann wissen, wann die Entscheide fallen (ausser die Entscheider selbst). Aber alle können zu jeder Zeit wissen, dass sie fallen werden. Es reicht dazu vollends, dem Präsiden ten wirklich zuzuhören. Darum aufgepasst – auch die Wiedereinführung eines Mindestkur ses ist eine Option! Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage SEF.2015 15 «Eine tolle intellektuelle Herausforderung» Seit 15 Jahren Juror des Swiss Economic Award: Marketingprofessor Hans Peter Wehrli An der Uni Zürich lehrt Hans Peter Wehrli Studierende, Kundenbeziehungen zu gestalten. Als Jurymitglied des Swiss Economic Award beurteilt er Jungfirmen. Worauf er achtet und was seiner Meinung gar nicht geht. Interview: Saraina von Grünigen Sie sind Verwaltungsratspräsident von zwei börsenkotierten Firmen, von Belimo und Swiss Prime Site. Was interessiert Sie an Jungfirmen? Grundsätzlich fasziniert mich die Figur des Unternehmers. Er ist ein «go-between»; er schafft Verknüpfungen zwischen Innovationen, Investoren, Lieferanten und Kunden. Ein Jung unternehmer baut diese Verknüpfungen neu auf und ein innovativer Jungunternehmer sucht sogar nach neuen Wegen, diese Verknüpfun gen herzustellen. Das interessiert mich. Sie sind seit 15 Jahren Jurymitglied. Wie hat sich das Kandidatenfeld in dieser Zeit verändert? Jung, dynamisch und kreativ waren die Be werber schon immer. Trotzdem glaube ich, dass das Niveau der Anmeldungen gestiegen ist. Wesentliche Treiber sind die Ausbildung und das Internet. Dieses schafft eine noch nie dagewesene Transparenz über das welt weite Marktgeschehen. Das hilft, die eigene Geschäftsidee zu schärfen und die eigene Position am Markt noch genauer herauszu arbeiten. Facts and figures 300 Jungunternehmen haben sich für den SEF.Award 2015 beworben. Dies bedeutet eine Steigerung über die letzten Jahre von rund 30 Prozent. Worauf achtet ein Marketingexperte bei einer Firmenpräsentation? Gerade technologieorientierte Unternehmer sind oft zu sehr von ihrer Einzigartigkeit überzeugt. Dabei lautet die alles entschei dende Frage nicht, was ich anzubieten habe, sondern was der Kunde davon hat. Darauf muss die Präsentation eine glaubwürdige Antwort geben können. 30 % Beeindruckt von der Kreativität der Schweizer Jungunternehmer: Hans Peter Wehrli. Was verstehen Sie darunter? Die Darlegung der Fakten muss plausibel sein, die Inhalte müssen zueinander passen. Ein zweiter Punkt ist die Selbsteinschätzung des Unternehmers: Er sollte zeigen, dass er sich als Teil eines Teams begreift, und er sollte seine Stellung in diesem Team sehr genau kennen. Was geht gar nicht? Ein anmassender Auftritt. Aussagen über die eigene Person, die erkennbar fragwürdig sind, kommen bei keiner Jury auf der Welt gut an. Glauben Sie, dass die präsentierenden Kandidaten von Ihrem Feedback profitieren? (lacht) Man hofft als Professor immer, dass die Menschen lernwillig sind. Aber im Ernst: Ich bin überzeugt, dass ein Jungunternehmer davon profitieren kann, wenn er von einer erfahrenen Jury gespiegelt wird. Was nehmen Sie aus den Jurysitzungen jeweils mit? Ich fühle mich jedes Mal herausgefordert. Man hat immer wieder die Tendenz, sich in der gleichen Box zu bewegen. Die Mitarbeit in der Jury zwingt mich, über den eigenen Quelle: ZVG Tellerrand hinauszuschauen. Ich denke mich in Projekte hinein, die mir sonst nie begeg nen würden. Gibt es einen Unternehmer, der Sie in den letzten Jahren besonders beeindruckt hat? Besonders gern erinnere ich mich an Thomas Binggeli, den Gründer von «Thömus». Die Idee, auf einem Bauernhof Fahrräder zu verkaufen, ist vielleicht nicht so spektakulär. Toll war aber, wie es Binggeli angepackt hat; wie er es ver standen hat, seine Idee zu inszenieren und zu emotionalisieren. der Bewerbungen kommen durchschnittlich aus der Westschweiz. 1500 Arbeitsstunden setzt die Jury im dreistufigen, SQS-zertifizierten Bewerbungsverfahren ein. 17 Jahre wird der Swiss Economic Award bereits im Rahmen des Swiss Economic Forum verliehen. ANZEIGE Heute schon an morgen gedacht? zuehlke.com SEF.2015 16 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage «Das Monopol ist längst Vergangenheit» Die Swisscom positioniert sich als Treiber der Digitalisierung Die Informations- und Telekommunikationsindustrie ist im Umbruch. Swisscom-CEO Urs Schaeppi über technische Trends, neue Geschäftsfelder und den Vorwurf, den Markt zu dominieren. Abdeckung und der höchsten durchschnitt lichen Geschwindigkeit im Hochbreitband bereich. Digitalisierte Prozesse durchdringen immer mehr Bereiche unseres Lebens. Als Gegentrend melden sich heute vermehrt sogenannte «Offliner» zu Wort. Klinken Sie sich persönlich auch mal aus dem Netz aus? Ich schalte zwar meine Kommunikationsge räte nicht aus, doch es gibt sicher auch Momente, wo ich ungestört sein will, sei es in einem Gespräch, beim Biken oder Ski fahren. Unterwegs arbeiten zu können und auch im Notfall erreichbar zu sein, gibt ja gleichzeitig viele Freiheiten. Entscheidend ist, dass man seine Erreichbarkeit und Kom munikation bewusst steuert. Wie richtet sich Swisscom auf die neuen Herausforderungen aus? Die rasche Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft führt dazu, dass sich das mo bile Datenvolumen alle 12 Monate verdop pelt. Im Festnetz verdoppelt es sich alle 16 Monate. Das stellt enorme Anforderungen an unser Netz, das wir laufend erweitern und ausbauen. Wir investieren 2015 alleine in der Schweiz 1,75 Milliarden Franken; den Grossteil in die Aufrüstung des Mobilfunk netzes mit 4G/LTE und in den Ausbau des Glasfasernetzes. Damit geben wir pro Kopf der Einwohner dreimal mehr Geld aus als andere Netzbetreiber. Die Investitionen von Swisscom und der Konkurrenten führen dazu, dass die Schweiz die höchsten Pro-KopfInvestitionen der OECD aufweist. Wir treiben die Digitalisierung permanent voran und leisten so auch einen wertvollen Beitrag zur langfristigen Stärkung der Volkswirtschaft. Wir wollen unseren Kunden das Beste in der vernetzten Welt bieten – immer und überall. Die Telekommunikationsindustrie hat sich rasant entwickelt. Trotzdem setzte die Swisscom 2014 mit 11,7 Milliarden Franken kaum mehr um als bei ihrer Gründung vor 16 Jahren. Ist die Zeit bei Ihnen stehen geblieben? Im Gegenteil. Die Telekom- und IT-Welt hat sich massiv gewandelt und ein Grossteil unseres heutigen Geschäfts existierte 1998 noch gar nicht. Unsere Kunden bekommen für ihr Geld viel mehr Leistung als damals. Die Digitalisierung und auch das Internet der Dinge führen zu enormen Umwälzungen. Augenfällig ist etwa das Smartphone, das in nur acht Jahren die Welt verändert hat. Und die Entwicklung schreitet weiter voran: So stehen tiefgreifende Veränderung der Geschäftsmodelle, Strukturen und Prozesse in Unternehmen an. Stichworte dazu sind etwa die dritte industrielle Revolution, die Sharing Economy oder das fahrerlose Auto. Swisscom wird in der Schweiz mitunter ihre Marktdominanz vorgeworfen. Sie sind im Visier der Wettbewerbshüter. Beunruhigt Sie das? Das Monopol ist längst Vergangenheit, wir kämpfen heute in allen Märkten gegen star ke Mitbewerber. Es gibt in der Schweiz drei voneinander unabhängige Mobilfunknetze, praktisch flächendeckend auch Kabelnetze, in Städten zudem weitere Netze etwa von Elektrizitätswerken, dazu Dutzende von Dienstanbietern. Bei den Onlinediensten stehen wir ausserdem in einem internatio nalen Wettbewerb mit Weltkonzernen wie Apple, Microsoft, Facebook oder Google; wobei ich in diesem Zusammenhang auf eine für uns ungünstige Asymmetrie hinweisen möchte: Diese global agierenden Mitbewer ber nutzen mit Anwendungen wie WhatsApp (Facebook) oder iMessage (Apple) unsere Netze, müssen aber nicht in deren Unterhalt und Ausbau investieren. Damit steigt auch unsere Abhängigkeit von den neuen Technologien. Die Bedeutung der Informations- und Kom munikationstechnologien für die Wirtschaft und unser gesamtes gesellschaftliches Le ben nimmt tatsächlich weiter zu: Ein Inter netanschluss ist heute genauso unverzicht bar wie die Versorgung mit Wasser und Strom. Ohne Datenverbindungen kommt es zum Crash, funktioniert die Energie- oder Verkehrssteuerung nicht mehr, ist die Be zahlung im Shop nicht mehr möglich, findet der Techniker seinen Auftraggeber nicht und kann der Arzt nicht mehr vom Patienten erreicht werden. Kritisiert wird auch das vergleichsweise hohe Schweizer Preisniveau im internationalen Vergleich. Wie entgegnen Sie? Obwohl wir in der Schweiz höhere Kosten − etwa für den Netzbau − haben, gehören wir bei den Preisen für Festnetz- und Mo bilfunk-Breitband bei Nutzern mit mittlerem Bedarf weltweit zum unteren Mittelfeld. Zu dem sinken die Preise permanent. Die Preis erosion in unserem Schweizer Kerngeschäft schlug bei uns in den letzten Jahren mit jeweils mehreren 100 Millionen Franken zu Buche; allein 2014 waren es 360 Millionen, davon 170 Millionen als Folge von RoamingPreissenkungen. Die kürzliche Lancierung von Infinity plus mit Roaming inklusive in Westeuropa und der EU wird Swisscom im Jahr über 100 Millionen Franken kosten. Swisscom-Kunden sparen im Ausland mit unserer Kommunikations-App iO zusätzlich. Interview: Saraina von Grünigen Ist also künftig alles und jeder permanent und überall online? Das stimmt für viele schon heute, privat und im Geschäft. Doch bewegen wir uns auch oft noch in einer Offline-Welt. In Zukunft werden Menschen, Prozesse, Daten und Geräte noch viel besser vernetzt sein. Jeder wird jederzeit von überall her auf seine per sönlichen und beruflichen Daten und An wendungen zugreifen können. Wo steht die Schweiz bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich? Die Schweiz gehört in die Spitzengruppe der digitalisierten Länder: Seit 2010 hat sich die Internetnutzung mit dem Smartphone ver dreifacht und in den letzten beiden Jahren die Nutzung per Tablet beinahe verdoppelt. Die Schweiz liegt auf Augenhöhe mit Sin gapur, USA, Hongkong oder Südkorea. In Europa ist sie das Land mit der höchsten Sie investieren viel, gleichzeitig sinken die Preise. Wie ist da Wachstum möglich? Wir suchen neue Geschäfte in angrenzenden Bereichen, also Dienste, die auf schnellen Internetverbindungen basieren. Das ist uns in den letzten Jahren beispielsweise mit TVAngeboten sehr gut gelungen. Innert acht Jahren haben wir über eine Million Kunden in einem für uns völlig neuen Gebiet gewon nen, und so den TV-Markt aufgemischt. Wir haben zeitversetztes Fernsehen lanciert, jede Sendung kann aufgenommen werden. Schon heute ist quasi jeder sein eigener TV-Direk tor. Auch beim TV stehen wir übrigens nicht nur den Kabelnetzanbietern in der Schweiz gegenüber, sondern globalen Playern, die Swisscom-CEO Urs Schaeppi: «Stillstand wäre für uns ein Rückschritt.» internetbasierte Dienste anbieten. Da wir schon früh neue Inhalte – zum Beispiel LiveSport auf Abruf − entwickelt haben, können wir uns mit lokalen Inhalten am Markt diffe renzieren. Wo sehen Sie künftige Wachstumsfelder? Chancen werden sich bei internetbasierten Services wie Suchdiensten ergeben; oder bei der Vermarktung von Werbung. Deshalb haben wir die Local-Gruppe vollständig über nommen und wollen den globalen Mitbewer bern einen starken Schweizer Anbieter ge genüberstellen. Viel Potenzial sehen wir ausserdem in der Heimvernetzung, im Ener giebereich, im Gesundheitsmarkt oder bei Branchenlösungen für die Finanzindustrie. Im Gesundheitsbereich zum Beispiel bieten wir inzwischen umfassende Dienstleistungen für die Vernetzung von Leistungserbringern sowie für das Gesundheitsmanagement von Privatpersonen an. Unser Angebot reicht von einem Online-Gesundheitsdossier bis hin zu Abrechnungsleistungen und mobilen Kran kenakten für Spitäler. Damit ist Swisscom ein wichtiger Anbieter von vernetzten Ge sundheitslösungen im Schweizer Markt. Gerade wenn es um intime Gesundheitsdaten geht, herrscht bei vielen Menschen ein gewisses Misstrauen gegenüber digitalen Lösungen. Haben Sie Verständnis dafür? Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles andere nichts. Um die Kapazitäten zu erhöhen, haben wir 2014 in Bern ein neues Rechenzentrum eröffnet. Es zählt zu den modernsten Europas; sämtliche Daten, die dort abgelegt werden, bleiben auch dort. Welche Lösungen sind in der Heimvernetzung noch möglich? Auch im privaten Bereich werden immer mehr intelligente Netzwerke mit angeschlos senen Sensoren installiert. Um die Sicherheit zu Hause zu erhöhen, lassen sich Bewe gungsmelder, HD-Kameras, Feuer- und Wassermelder ans Netz hängen; so kann die häusliche Sicherheitstechnik via Smartpho nes, Computer oder Tablet gesteuert werden. Ein anderes Beispiel ist unser intelligentes Stromspeicher-Netzwerk: Es gestattet dem Nutzer, den Verbrauch seiner Wärmepumpen, Elektroheizungen oder Boiler über das Inter net zu regeln. Bei Geschäftskunden hatte Swisscom den Ruf, Projekte unkoordiniert, mit ungeklärten Zuständigkeiten, anzugehen. Nehmen Sie diese Kritik ernst? Telekommunikation und IT waren früher komplett unterschiedliche Geschäftsfelder, bei uns wie auch bei unseren Kunden. Das hat sich mit der Digitalisierung geändert. Um die Schlagkraft im Geschäftskunden bereich zu erhöhen, die Konvergenz aktiv voranzutreiben und Cloud-basierte Lösun gen aus einer Hand anzubieten, haben wir 2014 das Telekommunikations- und ITGrosskundengeschäft im Bereich Grossun ternehmen gebündelt. Damit gehören wir zu den grössten integrierten ICT-Anbietern der Schweiz. Noch ein Blick nach Süden. Die Konjunktur in Italien läuft schleppend. Steht Ihre italienische Tochter Fastweb zum Verkauf? Nein, der italienische Markt ist zwar aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage sehr an spruchsvoll, dennoch entwickelt sich Fastweb gut. Das Unternehmen zählte im Jahr 2014 über zwei Millionen Breitbandkunden und gewann Marktanteile. Wir sehen Potenzial und bauen auch in Italien das Ultrabreitband netz weiter aus. Bis Ende 2016 werden wir Quelle: ZVG rund 7,5 Millionen Wohnungen und Geschäf te beziehungsweise 30 Prozent der italieni schen Bevölkerung erschliessen. Letzten Januar gab die Nationalbank den Frankenmindestkurs auf, Ihr Mitbewerber Sunrise ging vor kurzem an die Börse und der andere Mitbewerber Orange hat einen neuen Namen. Wie reagieren Sie darauf? Unser Umfeld ist in der Tat noch anspruchs voller geworden, die Konkurrenz ist aktiv und wir kämpfen um jeden Kunden. Stillstand wäre in unserem Umfeld ein Rückschritt. Wir sind überzeugt, mit unserer Strategie gut aufgestellt zu sein und bringen laufend neue Angebote auf den Markt. Wir haben erst kürzlich mit unserem Angebot Infinity plus, das einen Grossteil des Roaming inkludiert, eine deutliche Duftmarke gesetzt. Der star ke Franken tangiert die ganze Wirtschaft: Mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses kommen viele Schweizer Firmen, die auch unsere Kunden sind, unter Kostendruck. Wir nehmen diese «customer pain» sehr ernst. Ich muss jedoch betonen, dass unsere Kos ten zum allergrössten Teil in Schweizer Fran ken anfallen und wir deshalb nur wenig Spielraum haben. Was halten Sie von der Forderung, der Bund solle seine Mehrheit an Swisscom abgeben? Ein logischer nächster Schritt? Es ist eine politische Frage, ob der Bund seine Mehrheit an Swisscom abgeben soll. Wir haben heute den unternehmerischen Spielraum, den wir brauchen. Unser Aktio nariat braucht viel Weitsicht, denn unsere erwähnten, sehr hohen Investitionen lohnen sich erst in einer langfristigen Perspektive. Entscheidend ist, dass unser Hauptaktionär die Strategie und die Investitionsrisiken län gerfristig mitträgt. SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 17 Forschung und Industrie unter einem Dach Der Schweizerische Innovationspark macht Fortschritte Der «PARK innovAARE» im aargauischen Villigen ist Teil des vom Bund initiierten nationalen Innovationsparks. Zur Trägerschaft gehört auch das Paul Scherrer Institut (PSI). Direktor Joël Mesot erklärt, was dahinter steckt. Interview: Saraina von Grünigen Was hat Sie dazu bewogen, sich beim Schweizerischen Innovationspark zu engagieren? In den sieben Jahren, die ich nun schon Direktor des PSI bin, habe ich unser Portfo lio immer besser kennengelernt. Dabei wur de mir klar, dass da ein riesiges Potenzial schlummert, das noch nicht ausgenutzt wird, von dem aber die Wirtschaft stark profitieren könnte. Wir dachten zunächst zusammen mit der Standortgemeinde Villigen an die Realisierung einer Hightechzone und hatten diese Idee schon recht weit verfolgt. Dann kam die Ausschreibung für den Schweizeri schen Innovationspark und uns war gleich klar, dass ein «PARK innovAARE» komple mentär zu anderen potenziellen Standorten wäre und dem Schweizerischen Innovations park dadurch einen echten Mehrwert bringen würde. Zudem würde ein Label «Teil des Schweizerischen Innovationspark» unserer Physiker mit Sinn für die Wirtschaft: PSIQuelle: PSI Direktor Joël Mesot. Hightechzone eine erhöhte internationale Sichtbarkeit in Wirtschaftskreisen geben. Das PSI ist eine nationale Forschungseinrichtung und gehört zum ETH-Bereich. Beim «PARK innovAARE» hat jedoch der Kanton Aargau die Federführung inne. Ein Widerspruch? Absolut nicht. Die Ausschreibung sah vor, dass die Bewerbungen von den Kantonen einge reicht werden müssen. Der Aargau verfolgt mit seinem Programm Hightech Aargau das Ziel, den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen auf der einen und den Hochschulen beziehungsweise For schungseinrichtungen auf der anderen Seite, zu fördern. Der «PARK innovAARE» setzt genau an diesem Punkt an und fördert den Technologietransfer zwischen Forschung und Industrie durch die Kombination von Spitzen forschung und industrieller Innovationstätigkeit unter einem Dach. Auch das PSI wäre ohne die Unterstützung des Kantons Aargau nicht das PSI, das wir sind. Der Kanton hat uns in den letzten Jahren mit substanziellen finanzi ellen Beiträgen unterstützt, sei es bei der Weiterentwicklung der medizinischen Pro tonentherapie oder dem Bau unseres neuen Röntgenlasers SwissFEL. Auch der «PARK innovAARE» wird dazu beitragen, dass sich das PSI positiv weiterentwickelt. Im Kanton Aargau gibt es schon einen Technopark, wieso braucht es dann noch den «PARK innovAARE»? Die Zielgruppe ist eine andere. Technoparks stellen typischerweise Jungunternehmen kos tengünstige Mieträume und zentrale Dienst leistungen zur Verfügung. Die Zielgruppe eines Innovationsparks besteht hingegen primär aus arrivierten Unternehmen. Könnten Sie da etwas spezifischer werden? Welche Art von Unternehmen sollen sich idealerweise im «PARK innovAARE» ansiedeln? Das PSI verfolgt das Ziel, seine Aktivitäten im Bereich des Wissenschafts- und Technologie transfers noch weiter auszubauen. Deshalb wünschen wir uns, dass sich hier Unternehmen mit intensivem Forschungsbedarf ansiedeln, die von einer unmittelbaren räumlichen Nähe zu unseren Spitzenforschungsanlagen und Fachleuten profitieren. Schon heute unterhält das PSI über 1000 aktive Kooperationen mit der Industrie, weltweit und in der Schweiz. Im «PARK innovAARE» sehe ich ein Instrument, mit dem das PSI vermehrt seine gesellschaft liche Verantwortung wahrnehmen kann, Er gebnisse aus Forschung und Entwicklung der Industrie zur Verfügung zu stellen. Warum ist es in einer globalisierten Welt überhaupt noch notwendig, Tür an Tür zu arbeiten? Ja, das ist wirklich ein Phänomen. Trotz welt weiter digitaler Vernetzung und den heutigen technologischen Möglichkeiten stelle ich im mer wieder fest, dass die örtliche Nähe zwi schen akademischer und industrieller For schung eine wesentliche Rolle spielt. Die Trägerschaft des «PARK innovAARE» ist sehr breit abgestützt. Warum? In der Tat, neben der Wirtschaft, dem Kanton, dem PSI und der Fachhochschule Nordwest schweiz sind auch die beiden Standortgemein den Villigen und Würenlingen Träger des «PARK innovAARE». Dabei wurde bewusst die Rechts form einer Aktiengesellschaft gewählt, um den Trägern eine aktive Rolle bei der strategischen und inhaltlichen Ausrichtung des «PARK innov AARE» zu ermöglichen. Der Park soll sich am Markt ausrichten. Das Ganze ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für eine hervorragend verlaufene, intensive Zusammenarbeit von Politik, Forschung und Wirtschaft. Bereits jetzt sind acht Grossunternehmen und 20 KMU so vom Vorhaben überzeugt, dass sie sich auch finanziell engagieren. Für mich ist der «PARK innovAARE» eine reale Chance, die Innovati onskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz nachhaltig zu sichern. Innovationspark Schweiz Im «revidierten Bundesgesetz über die För derung von Forschung und Innovation» (FIFG) vom 14. Dezember 2012 hat der Bund die Rahmenbedingungen für die Errichtung eines Schweizerischen Innovationsparks definiert. Er soll als eine Plattform für Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungsein richtungen dienen. Der Park ist dezentral und in Form eines Netzwerkes organisiert. Neben den beiden Hub-Standorten um die ETH Zü rich und die EPF Lausanne gibt es derzeit noch zwei Netzwerkstandorte: den Schweizer Innovationspark Region Nordwestschweiz (SIP NWCH) sowie den «PARK innovAARE», der direkt beim Paul Scherrer Institut PSI, auf dem Gebiet der aargauischen Gemeinde Villigen entsteht. «PARK innovAARE» wird im Sommer 2015 seine operative Tätigkeit auf nehmen. ANZEIGE BE TO P | BE N AT UR A L | BE H A P P Y | BE T R A D I T I O N A L | BE 2 B Theatersaal, Kursaal Interlaken DORT TAGEN, WO SICH DIE SCHWEIZER WIRTSCHAFT TRIFFT. Nicht zufällig ist Interlaken Austragungsort des Swiss Economic Forums: Das ist modernste Architektur und Infrastruktur gepaart mit historischem Flair und spektakulärer Kulisse. Alle Kongress-, Tagungs- und Eventangebote auf unserer Website. madeinbern.com SEF.2015 18 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Small Talk mit grossen Effekten Wie Beziehungsbroker die Stärken der Besten bündeln Ein tragfähiges Beziehungsnetz im Betrieb, in der Branche und darüber hinaus ist gut für die persönliche Karriere. Aber auch Unternehmen profitieren von informellen Netzwerken: Sie führen zu schnelleren und besseren Lösungen. Frank Arnold * Jede dritte Führungskraft hat kein berufliches Netzwerk – dies ergab eine Umfrage der deut schen Executive-Search-Beratungsfirma Bau mann unter 300 Managern. Dabei gaben 27 Prozent der Frauen und 37 Prozent der Männer an, dass sie über keine nennenswer ten beruflichen Kontakte verfügen. Dies über rascht umso mehr, als nach einer Studie von IBM bis zu 60 Prozent des beruflichen Erfolgs auf Beziehungen und Kontakte zurückzuführen sind. Wen wir kennen und wer uns kennt, entscheidet nicht nur über die Laufbahn und die beruflichen Chancen, sondern auch dar über, wie schnell und gut unternehmerische Probleme gelöst werden können. Schon in den 1970er-Jahren fand der USSoziologe Mark Granovetter heraus, dass 56 Prozent der Ingenieure in Boston ihren Arbeits platz aufgrund einer persönlichen Empfehlung erhalten hatten. Das Bemerkenswerte daran: Bei 84 Prozent der Befragten ging diese Emp fehlung auf Personen zurück, die sie nur sel ten getroffen hatten. Entscheidend waren also nicht enge Freunde, sondern entfernte Be kannte – Granovetter nannte dies die «Stärke schwacher Bindungen». Wirksame Bindungen aufzubauen und ein tragfähiges Netzwerk in der eigenen Branche, aber auch darüber hinaus, zu etablieren, gilt heute als unumstrittener Business- und Karrierebeschleuniger. Networking wurde in den letzten Jahren zur strategischen Aufgabe von Führungskräften. Ziel ist nicht nur der ständige Ausbau der eigenen Kontakte und Verflechtungen, sondern auch das Bekannt machen und Vernetzen von Dritten; so wird man zum Beziehungsbroker. Dabei geht es primär nicht um den eigenen Nutzen, sondern um den Nutzen für die anderen. Das festigt das Netzwerk und lässt es zum Anziehungs punkt für andere werden. Lernen von den Besten Nach Meinung des langjährigen Chefs von General Electric (GE), Jack Welch, ist es immer ein Zeichen besonderer Kompetenz, wenn sich Führungskräfte mit Mitarbeitern und anderen Stakeholdern umgeben, die besser und schlau er sind als sie selbst. Wann immer GE in einer schwierigen Situation war, holte er sich Rat: «Ich rief die besten und engagiertesten Leute zusammen, die ich auf allen Ebenen des Un ternehmens – und manchmal auch ausserhalb – finden konnte. Und ich bat sie unmissver ständlich um ihre offene Meinung. Es kam mir darauf an, dass das Problem von allen mög lichen Seiten vorbehaltlos angegangen wurde, damit wir anschliessend gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen konnten.» Gezielte Suche nach Stärken Gute Netzwerker zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Stärken von Menschen produk tiv machen, entsprechend zielen Stellenbe setzungen, Auftragsvergaben oder auch Empfehlungen immer darauf ab, die Stärken Dritter zu nutzen. Als Mitarbeiter sollte man ein Gebiet finden, auf dem man wirklich Be merkenswertes leistet und sich dann mit Leuten in Kontakt bringen, die diese Stärke in ihrem Team oder ihrem Netzwerk brauchen. Ob ein Mensch in ein persönliches Netzwerk passt, hängt auch von dessen Integrität ab. Integrität alleine reicht zwar nicht aus, um etwas zu leisten, fehlt sie aber, kann sie durch nichts aufgewogen werden. Für Jack Welch war die Frage nach der Integrität einer Per son daher immer die erste, die er sich bei Personalentscheidungen und Empfehlungen stellte. Kaum jemand hat ein so grosses, tragfähiges und wirksames Netzwerk aufgebaut wie Klaus Schwab, der Gründer des World Economic Forum. Das US-Magazin «Forbes» hat Schwab ANZEIGE Machen Sie kurzen Prozess mit langen Prozessen. Das Leben wird einfacher in der digitalen Welt und eröffnet Ihrem Business neue Chancen. Wir begleiten Sie. Willkommen im Land der Möglichkeiten. Lassen Sie sich inspirieren: www.swisscom.ch/digitalisation Businessbeschleuniger Networking: Kontakte knüpfen gilt heute als strategische Aufgabe. als den Mächtigsten im Zusammenführen der Mächtigen bezeichnet. Sein Einsatz zeigt beispielhaft, welche Chancen darin liegen, die Tatkraft der Besten zu bündeln. Das ist etwas, was jeder Manager in seinem Verant wortungsbereich praktisch umsetzen kann und sollte. Die Vorteile für Organisationen liegen ganz klar auf der Hand: ➤ Lösungen können in kürzerer Zeit entstehen, weil die Erfahrung und das Wissen der besten Leute innerhalb des Unternehmens und auch ausserhalb der Organisation zusammengeführt und genutzt werden. ➤ Durch mehr bereichsübergreifenden Dialog entsteht ein besseres Verständnis der Prob leme und Chancen in den jeweiligen Bereichen. ➤ Durch bereichsübergreifende Vernetzung Quelle: ZVG wird eine effektive Willensbildung und Ent scheidungsfindung möglich. ➤ Das in der Organisation vorhandene De tailwissen der Entscheider und Wissensträger wird umfassend genutzt. ➤ Die Umsetzung anspruchsvoller Vorhaben gelingt leichter, weil die Schlüsselpersonen einbezogen wurden und sie die Umsetzung in der Folge vorantreiben. Angesichts dieser Vorteile verwundert es nicht, dass «Forbes» Klaus Schwab in die Liste der einflussreichsten Personen der Welt aufnahm. Wer anderen hilft, ihr Netzwerk zu erweitern, wird als Folge sein Netzwerk um spannende Persönlichkeiten bereichert bekommen. * Frank Arnold ist Bestsellerautor und leitet die Unternehmensberatung ARNOLD Management in Zürich. SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 19 «Legosteine bleiben unser Hauptprodukt» Wie sich Lego immer wieder neu erfindet Als Jorgen Knudstorp 2004 das Ruder bei Lego übernahm, fuhr der Konzern einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe ein. Heute steht die Gruppe wieder blendend da. Das Erfolgsgeheimnis: die Fokussierung auf das Kerngeschäft. Interview: Stefan Kyora Herr Knudstorp, als Sie 2004 den CEOPosten bei Lego übernahmen, befand sich das Unternehmen in der schwersten Krise der Unternehmensgeschichte. Was lief damals falsch? Lego hatte damals die strategische Orien tierung verloren. Mit den Legosteinen selbst schrieb man Verluste und die Idee war, dass Wachstum und Gewinn nur ausserhalb des Kerngeschäfts erreicht werden könnten. Das führte zu Motivationsproblemen bei den Mitarbeitenden. 2014 hat Lego einen Umsatz von vier Milliarden Franken und einen Reingewinn von fast einer Milliarde Franken erzielt, wobei der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 13 und der Gewinn sogar um 15 Prozent gestiegen ist. Gegenüber 2004 wurde der Umsatz mehr als vervierfacht. Die Gruppe ist wieder kerngesund. Wie haben Sie diesen erstaunlichen Turnaround erreicht? Wichtig war es, die Identität des Unterneh mens neu zu formen. Dabei ging es darum, das Potenzial der Legosteine aufzuzeigen. Heute glauben die Mitarbeiter wieder an unser Kernprodukt. Und was haben Sie konkret im Unternehmen verändert? Eine Gruppe von Massnahmen richtete sich auf die operative Disziplin. Vor allem aber musste sich das Unternehmen in Sachen Innovation stark verbessern. Wie kann ein Unternehmen innovativ sein, dessen Kernprodukt seit 1958 das Gleiche ist? Unsere Klötzchen muss man als eine Art Betriebssystem sehen. Die Steine sind wirklich seit über 50 Jahren die gleichen und Sie können noch heute einen Stein der ersten Serie problemlos mit neuen Klötzchen zusammenstecken. Auf der Ba sis dieses «Betriebssystems» lancieren wir Produkte, die einen frischen und anspre chenden Eindruck machen. Sie müssen den Kindern als etwas erscheinen, was sie noch nie zuvor gesehen haben. Solche Neuheiten machen den Grossteil unseres Programms aus: 60 Prozent unseres An gebots besteht jedes Jahr aus neuen Pro dukten. Aktuelle Beispiele sind die neuen Ninjago-Sets, die wir dieses Jahr lanciert haben oder neue Lego-Themen wie die Lego-Elfen, die wir ebenfalls 2015 auf den Markt gebracht haben. Welche Innovationsstrategie steht hinter diesem grossen Output? Um unserem Anspruch zu genügen, das Lego-System kontinuierlich zu erneuern und zu globalisieren, sind wir darauf angewie sen, den neuesten Trends und den Inter essen der Kinder gerecht zu werden. Le gosteine sind universell ansprechend, und wir werden auch weiterhin unser Produkt und unsere Marke auf globale und nicht auf lokale Angebote ausrichten. Derzeit haben wir mehr als 200 Designer, die Mehrheit von ihnen ist in Billund basiert. Sie entwickeln mehr als 300 neue Produkte jedes Jahr. Sie haben es angesprochen: Letztlich müssen die neuen Produkte den Kindern gefallen. Was tun Sie, um dieses sicherzustellen? Eine Massnahme ist ein ethnografischer Ansatz. Lego-Mitarbeiter leben eine Zeit lang in Familien mit Kindern in Europa, Asien oder Amerika. Sie gewinnen so einen ungefilterten Eindruck von den Gewohn heiten und Interessen der Kinder. Diese Methode ist besonders geeignet, um lang fristige Trends zu erkennen. Einige unserer Innovationen planen wir über mehrere Jahre, deswegen müssen wir auch solche Trends vorhersehen können. Wie wehrt sich Lego gegen den Vormarsch der elektronischen Spiele? Wir müssen uns gar nicht gegen den Vormarsch wehren – wir sehen die Digi talisierung als eine grosse Chance. LegoVideospiele gehören heute zu den beliebtesten Titeln weltweit und bieten Kindern die Möglichkeit, das physische und das digitale Spiel zu vereinen. Kinder un terscheiden ja nicht zwischen dem Spiel mit realen Gegenständen und virtuellen Welten – für sie bedeutet beides einfach zu spielen. Deswegen ist es für uns auch notwendig, Lego-Spielerlebnisse auf allen Plattformen anzubieten, die für Kinder re levant sind. Generell wollen wir digitale Inhalte schaffen, die Kinder dazu inspirie ren und motivieren, Geschichten rund um die eigene Fantasie zu schaffen und zu teilen. Dabei verfolgen wir natürlich die Entwicklung von Videospielen und elektro nischen Geräten und versuchen, diese zu integrieren, wo immer diese das LegoSpielerlebnis bereichern. Bedeutet die Digitalisierung für Lego sogar eine Wachstumschance? Unsere wichtigsten Produkte werden aus Legosteinen bestehen. Aber schon heute tragen digitale Produkte wesentlich zu unserem Erfolg bei. Wir betrachten die Digitalisierung als eine Möglichkeit, unser Kerngeschäft mit den traditionellen Lego steinen auszuweiten und noch spannen dere und attraktivere Spielmöglichkeiten zu schaffen. Lego-CEO Jorgen Knudstorp: «Wir erreichen mit unseren Produkten rund 85 Millionen Kinder.» der Tat einen wichtigen Fokus unserer Wachstumsstrategie. Im vergangenen Jahr haben wir einen neuen regionalen Haupt sitz in Shanghai eröffnet und den Grund stein für eine Fabrik in Jiaxing gelegt. Schon vorher hat der Absatz unserer Produkte in China stark zugenommen. 2013 wuchs er etwa um 50 Prozent gegenüber dem Vor jahr. Die Lego-Niederlassung in Shanghai wird sich unter anderem mit Marketing, HR, IT, dem operativen Geschäft, aber na türlich auch mit Marktforschung und dem Studium der Bedürfnisse der Konsumenten beschäftigen. Wir haben aber nicht nur in China ein solches regionales Headoffice eröffnet, sondern auch eines in London. Familie Kristiansen und die Schweiz Warum? Wir haben das Ziel, unsere Aktivitäten zu globalisieren und deswegen legen wir be sonderen Wert darauf, eine Belegschaft aufzubauen, die durch Vielfältigkeit ge kennzeichnet ist. Aus diesem Grund haben wir heute neben dem Hauptsitz in Däne mark vier Hauptniederlassungen in China, in Grossbritannien und schon länger in Singapur und an der amerikanischen Ost küste. In allen diesen Niederlassungen sind auch Topmanager präsent. Gegründet wurde Lego 1932 von Ole Kirk Kristiansen. Heute gehört Lego zu 25 Prozent der Lego-Stiftung und zu 75 Prozent KIRKBI, der Holdinggesellschaft der Familie Kristi ansen. Die Familie hat traditionell enge Beziehungen zur Schweiz. KIRKBI hat denn auch ein Büro in Baar mit 12 Mitarbeitenden. Neben dem Engagement bei Lego übernimmt die Holding langfristig ausgerichtete Minderheitsbeteiligungen an anderen Unternehmen. Zum Portfolio gehört etwa das global agierende Dienstleistungsunternehmen ISS. Zudem ist KIRKBI als Immobilieninvestor in Geschäftsliegenschaften aktiv. Sowohl bei Beteiligun gen an Unternehmen als auch bei Immobilien setzt KIRKBI auf die Schweiz. Hinzu kommt das Hotel Valbella Inn in der Lenzerheide. Das Engagement im Bündner Wintersportort hat ebenfalls mit den persönlichen Schweiz-Kontakten der Familie zu tun. Lego hat lange Zeit selbst produziert, dann die Herstellung teilweise outgesourct und anschliessend wieder auf Insourcing gesetzt. Wie sieht die Strategie heute aus? Wir besitzen und betreiben unsere eigenen Fabriken. Unsere Strategie besteht darin, die Produktion jeweils in der Nähe der grossen Märkte zu haben. Wir haben jüngst an mehreren Standorten die Kapazitäten Regional gesehen bietet derzeit vor allem Asien ein grosses Wachstumspotenzial. Was tun Sie, um es zu erschliessen? Asien und insbesondere China bilden in ausgebaut. Im März 2014 konnten wir eine neue, grössere Fabrik in Ungarn einweihen, die einen älteren Betrieb am gleichen Standort ersetzt. Im September haben wir ein neues, zusätzliches Produktionsgebäu de in Tschechien eingeweiht und ausser dem haben wir namhafte Summen in unseren Standort in Mexiko, aber auch hier in Billund getätigt. Gemessen am Ausstoss ist Billund übrigens immer noch unser grösster Produktionsstandort. Damit dürfte auch der Personalbestand gestiegen sein. Absolut. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Angestellten von knapp 13 000 auf knapp 14 000. Welche weiteren Ausbauschritte werden derzeit realisiert? Anfang April haben wir den Grundstein für einen Produktionsbetrieb in China gelegt. Die Fabrik in Jiaxing, rund 100 Kilometer von Shanghai entfernt, soll im Jahr 2017 den Betrieb aufnehmen und dann 1500 Personen beschäftigen. Produziert wird ausschliesslich für den regionalen Markt und nach denselben Standards, die auch für alle anderen Fabriken gelten. Dazu gehören auch unsere Vorgaben in Sachen Umweltschutz. Legosteine sind im Prinzip einfach nachzuahmen. Was unternehmen Sie gegen Kopien? Ich bin überzeugt, dass kein anderes Kon struktionsspielzeug auf dem Markt eine ähnliche Vielfalt und Komplexität aufweist wie unser System. Wir konzentrieren uns auf unsere Produkte und deren Weiterent Quelle: ZVG wicklung und Verbesserung. Aber für uns ist auch wichtig, dass Konsumenten nicht irregeführt werden, wenn sie meinen, ein hochwertiges und sicheres Lego-Produkt zu kaufen, und wir unternehmen alles, um dies sicherzustellen. Sie haben bei Lego viel erreicht. Sie führen das Unternehmen schon seit über zehn Jahren als CEO. Eine lange Zeit für einen Topmanager, der ursprünglich von McKinsey kam. Was macht für Sie die Arbeit heute noch spannend? Zum einen sehe ich grosse Chancen für weiteres Wachstum. Wir erreichen heute rund 85 Millionen Kinder mit unseren Pro dukten. Aber es gibt natürlich noch viel mehr Kinder auf der Welt. Hinzu kommen die Trends, von denen wir gesprochen ha ben, zum Beispiel die Digitalisierung. Dann haben wir mit der KIRKBI Holding einen finanziell starken Besitzer, was uns erlaubt, die Chancen auch anzugehen. Und auf der anderen Seite dient die Arbeit für ein Unternehmen wie Lego auch einer sinn vollen Sache. Das ist eine wirklich sehr gute Mischung. Sie haben die Besitzerfamilie angesprochen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Mehrheitsaktionär Kjeld Kirk Kristiansen? Für Kjeld Kristiansen ist die Firma wie ein Kind. Ich denke, ein wichtiger Grund für den Erfolg von Lego in den vergangenen zehn Jahren ist, dass ich das Vertrauen der Familie gewinnen konnte. Uns sind ähnliche Werte wichtig. Und über die Jah re hat wohl auch Kjeld Kristiansen hier und da etwas von mir gelernt. SEF.2015 20 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Vorsprung durch Erfahrung Der Umgang mit «Digital Natives» als Prüfstein für die Unternehmenskultur Smartphones, Internet der Dinge und Social Media verändern die Märkte. Junge Firmen entwickeln in kurzer Zeit neue Dienstleistungen und bedrohen damit etablierte Anbieter. Doch der digitale Wandel bietet auch für Unternehmen mit langjähriger Geschichte grosse Chancen; dazu müssen sie agil und schnell werden. Thomas Memmel * Uber stellt die Taxibranche auf den Kopf; und zwar mit einer Dienstleistung, die es schon lange gibt: Man bringt Fahrgäste ge gen Bezahlung von einem Ort zum anderen. Neu ist hingegen das Geschäftsmodell: Über eine App vermittelt Uber private Fahrer; da mit kostet der Dienst halb so viel wie eine konventionelle Taxifahrt. Rechtlich bewegt sich Uber zwar im Graubereich, aber das Beispiel zeigt, welche Chancen der digitale Wandel bietet. Wer Internet, Smartphones oder Social Media nutzt, kann in kurzer Zeit und ohne grosse Investitionen neue Ange bote auf den Markt bringen und damit eta blierten Unternehmen ihre Position streitig machen. So ist im Finanzbereich zum Bei spiel Lendico dabei, sich als Konkurrent von Kreditinstituten zu etablieren. Das deutsche Unternehmen wirbt mit dem Slogan «Geld braucht keine Bank» und verbindet private Kreditnehmer mit Anlegern über das Internet. Die Aussage «Wer sich nicht mit dem digi talen Wandel auseinandersetzt, ist übermor gen tot» mag provokant erscheinen. Sie dürfte aber in etlichen Fällen zutreffen. Denn die Kunden von heute möchten jederzeit und von überall her ihren Kontostand abfragen, im Zug Kleider bestellen oder Tickets per SMS reservieren. Dabei erwarten sie einen Topservice. Um vorne mit dabei zu sein, müssen die Unternehmen auf allen Kanälen ein attraktives Kundenerlebnis bieten; das Stichwort heisst Multi-Channel-Lösungen mit hohem Komfort. Manche Branchenführer machen es vor: Die Kunden von Swisscom beispielsweise können per App oder Computer ihre Abos selber verwalten und jederzeit den Stand der Kosten einsehen. Online- und Offline kanäle verschmelzen. Der Kunde hat über all die gleichen Möglichkeiten: auf dem Handy oder Tablet, am Computer, im Shop und im Callcenter. Roadmap in die digitale Welt So gross die Chancen sind, so gross sind auch die Herausforderungen. Wer in die digitale Welt seiner Kunden eintauchen will, sollte den Wandel sorgfältig planen und eine Roadmap erarbeiten. An erster Stelle steht dabei eine Standortbestimmung: Welche Chancen bieten sich uns? Welche neuen Dienstleistungen könnten unsere Marktstel lung gefährden? Das Ziel besteht darin, eine hohe innere Handlungsbereitschaft zu er reichen. Das Unternehmen soll fähig werden, in kurzer Zeit innovative Dienstleistungen oder neue Geschäftsmodelle auszurollen. Damit sind Veränderungen verbunden, die das gesamte Unternehmen betreffen. Die Mitarbeitenden müssen umdenken und ler nen, mit den sogenannten «Digital Natives» umzugehen; eine andere Unternehmenskul tur, neue Prozesse und Infrastruktur oder sogar andere Organisationsstrukturen wie die Ausgründung von Startups sind gefragt. «Altlasten» sind konsequent infrage zu stellen und abzubauen. Denn die Märkte bewegen sich schnell und die Innovations zyklen werden immer kürzer. Die Trümpfe der Etablierten Change-Prozesse brauchen Zeit, doch ge rade diese fehlt. Das ist eine der grössten Herausforderungen für etablierte Unterneh men. Junge Firmen sind in der digitalen Welt entstanden, ihre Strukturen sind per se auf Agilität und Schnelligkeit ausgelegt. Doch etablierte Unternehmen haben auch Vortei le gegenüber Startups: Dank ihrer langjäh rigen Erfahrung kennen sie ihre Märkte und Die Uhr tickt: Wer den digitalen Wandel verschläft, hat verloren. Kunden; sie haben schon etliche Krisen bewältigt. Entscheidend ist, dass das Ma nagement die Chancen rechtzeitig erkennt und die digitale Strategie gezielt umsetzt. Dass dies gelingen kann, zeigt die Automo bilbranche: ihr Geschäftsmodell ist seit 130 Jahren, Autos zu verkaufen. Doch heute braucht es intelligente Mobilitätskonzepte und Studien zeigen, dass der Traum vom eigenen Auto an Bedeutung verliert. Konzerne wie BMW oder Daimler nutzen diese Entwicklung als Chance. Anstatt nur Fahrzeuge zu verkaufen, bieten sie zusätz lich ein Pay-per-Use-Modell. Der Kunde bucht den gewünschten Wagen per Internet Quelle: ZVG oder App. Damit lässt sich dann auch das Fahrzeug öffnen. So schaffen die Anbieter ein neues Kundenerlebnis. Der Kunde fährt verschiedene Modelle seines Lieblingsher stellers, den Kombi beim Einkauf und den schnittigen Sportwagen bei der Spritzfahrt am Sonntag; eine Dienstleistung, die dem heutigen Bedürfnis nach Individualität und Flexibilität entspricht. Das Beispiel zeigt: Der digitale Wandel bietet auch etablierten Un ternehmen grosse Chancen. Risiken birgt er für diejenigen, die ihn verschlafen. * Thomas Memmel ist Partner und Mitglied der Geschäftsleitung der Zühlke Engineering AG. ANZEIGE Gastfreundschaft, so einzigartig wie unsere Landschaft. Wir transportieren Schweizer Gastfreundschaft in die ganze Welt hinaus. Erleben Sie unseren persönlichen Service, die ausgezeichnete regionale Küche und das komplett ache Bett in der SWISS Business. So wird jede Geschäftsreise zum erholsamen Genuss. Erfahren Sie mehr auf swiss.com 050_300_AirA340_291x218_NZZ_Special_SEF 1 28.04.15 07:59 SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 21 Zum Beispiel der Gecko Einfach genial: Bioniker transferieren Meisterleistungen der Natur in den Alltag Die Wissenschaft der Bionik orientiert sich an natürlichen Gegebenheiten. Pflanzen, Tiere oder auch der Mensch können als biologische Vorbilder fungieren. Bioniker betrachten deren Fähigkeiten und setzen sie in Anwendungen für den Menschen um. Vom Gecko haben sie schon viel gelernt. Patricia Piekenbrock «Bionik» ist ein Kunstbegriff, der sich aus den Worten «Biologie» und «Technik» zusam mensetzt. Obwohl es auf den ersten Blick einfach klingt, steckt viel Know-how dahin ter. In der Bionik geht es nicht darum, Ergebnisse der Evolution einfach nachzu bauen. Vielmehr werden Errungenschaften, welche die Natur im Laufe vieler Millionen Jahre hervorgebracht und perfektioniert hat, als Ideenpool genutzt. Ein Gecko zum Beispiel ist in der Lage, mü helos Felswände zu erklimmen. Sein Gewicht stemmt er mit einem einzigen Füsschen, wobei selbst spiegelglatte senkrechte Ober flächen für ihn kein Hindernis darstellen. Das Reptil kann kopfüber hängend verharren und sich ausruhen. Diese beneidenswerte Leicht füssigkeit, über die zum Teil auch Spinnen oder Insekten verfügen, kommt nicht durch die Verwendung von Klebstoff, Saugnäpfen oder Häkchen zustande. An der Unterseite der Geckozehen befinden sich vielmehr Lamellenstrukturen mit Millio nen feinster Härchen, die an der Spitze etwa hundertfach aufgespalten sind. Dort sind sie nur noch rund 200 Nanometer (0,0000002 Meter) breit und werden anschmiegsam. Zwischen ihnen und dem jeweiligen Unter grund bilden sich sogenannte Van-der-WaalsKräfte: elektrostatische Anziehungskräfte zwischen den sich nähernden Molekülen. Der Gecko löst diese Haftkraft wieder, indem er seinen Fuss einfach unter einem bestimmten Winkel von der Oberfläche anhebt. Rückstandsfreie Haftung Bionik-Spezialisten aus Forschung und In dustrie gelang es, dieses natürliche Haft prinzip in eine Anwendung zu übertragen. Wissenschaftler der norddeutschen Christi an-Albrechts-Universität in Kiel entwickelten zusammen mit dem süddeutschen Unter nehmen Gottlieb Binder die Silikon-Folie Gecko Nanoplast. Sie ist etwa 0,34 Millime Vorbild für Haftfolien: Die Unterseite der Geckozehe. ter dick und auf der einen Seite mit rund 29 000 mikroskopischen Elementen pro Quadratzentimeter ausgestattet. Ähnlich wie Geckozehen bilden diese Elemente mit glat ten und ebenen Oberflächen Van-der-WaalsKräfte aus. So haften sie rückstandsfrei auf Materialien wie Glas, lackiertem Metall, Marmor, Keramik oder Kunststoff; selbst wenn der Untergrund feucht oder ölig ist. Der Automatisierungstechnik-Hersteller Fes to, dessen Stammhaus ebenfalls in Süd deutschland ist, realisierte mit Hilfe der Nanofolie sowie einem weiteren bionischen Kniff ein intelligentes Werkzeug für das na hezu energiefreie Greifen in der Produktion: den sogenannten NanoForceGripper. Er kann empfindliche Gegenstände mit glatten Ober flächen, etwa Displays von Mobiltelefonen, einfach aufnehmen und fixieren. Beim Ablegen des Greifguts kommt der «Fin Ray Effect» zum Zug; angelehnt an die Ana tomie einer Fischflosse. Wirkt Kraft auf die Flosse, wölbt sie sich in entgegengesetzter Richtung. Durch leichten Druck verformt sich Quelle: ZVG der Greifer von einer geraden zu einer gleich mässig gebogenen Fläche, sodass sein Auflagebereich schrumpft. Ähnlich wie ein Gecko, der sein Füsschen anhebt, schält sich das Werkzeug schlichtweg ab. Dabei ist we der mit Verschleiss noch Rückständen auf der Oberfläche zu rechnen. Erfolgsmodell Pilzkopfform Bioniker arbeiten mit Methoden aus den un terschiedlichsten Wissenschaften. Der Phy sikingenieur Lars Heepe, der Biophysiker Alexander Kovalev, der theoretische Physiker Alexander Filippov und der Biologe Stanislav Gorb der Uni Kiel entschlüsselten im vergan genen Jahr beispielsweise das Erfolgsmodell der natürlichen Haftung: die Pilzkopfform. Die Forscher stellten fest, dass sich diese Form auf der Nano-, Mikro- und Makroskala bei unterschiedlichen Organismen an Land und im Wasser entwickelt hat – bei pilzkopfför migen Bakterien, an Weinreben oder an tierischen Hafthaaren. «Die spezielle Kontaktgeometrie weist auf eine evolutionäre Anpassung der Organismen hin, die ihre Haftung immer weiter verbes sert», so Stanislav Gorb. Die interdisziplinär arbeitenden Bioniker untersuchten das Ab löseverhalten der winzigen pilzkopfförmigen Haftelemente der Geckofolie unter dem Mi kroskop bei einer Auflösung von 180 000 Bildern pro Sekunde. Dadurch kamen sie dem Geheimnis der Pilzkopfgeometrie auf die Spur: Sie sorgt für eine gleichmässige Spannungs verteilung zwischen Untergrund und Haft element. Auf dieser Wissensbasis lassen sich nun bereits bestehende Haftstrukturen wei terentwickeln und optimieren. Bereits heute gibt es eine Fülle erfolgreicher bionischer Beispiele – das Zehenspitzenge fühl der Geckos für optimale Haftung, das Ineinanderhaken von Klettenfrüchten für den Klettverschluss, die selbstreinigende Kraft der Lotusblüte für schmutzabweisende Waschbecken und Gebäudefassaden oder der geringe Strömungswiderstand von Hai fischhaut für Schwimmanzüge und Schiffe. Unternehmen der unterschiedlichsten Bran chen nutzen das Potenzial der Bionik: die Textil- und Beschichtungsindustrie, die Luftund Raumfahrt, die Bauindustrie, die Mikround Nanotechnologie oder auch die Automo bilindustrie. So stand etwa der Kofferfisch Pate für ein bionisches Konzeptfahrzeug mit komfortab lem Platzangebot für Insassen. Denn der Fisch weist trotz seines würfelähnlichen Rumpfs hervorragende Strömungseigenschaften auf. Das Wachstum von Bäumen oder menschli chen Knochen wird als lehrreiches Vorbild für den modernen technischen Leichtbau ge nutzt. Knochen beispielsweise sind weder hohl noch komplett ausgefüllt, sondern an den belasteten Stellen sinnvoll verstärkt. Von Fisch- oder Vogelschwärmen lassen sich wertvolle Informationen für die Kommunika tion von Maschinen gewinnen. Und der Elefantenrüssel weist einen Weg, wie die Robotik und die gefahrlose MenschMaschine-Kooperation von morgen aussehen können. HOFER BSW ANZEIGE Wir begrüssen Sie am Gipfeltreffen der Schweizer Wirtschaft und freuen uns auf starke Auftritte. Mit gezielter Standortförderung unterstützt der Kanton Bern unternehmerische Höchstleistungen. 944_700_INS_SEF_291x108mm_newspaper_Lay1.indd 1 www.berneinvest.com 24.03.15 15:21 22 Hier folgt der Seitentitel Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage Wir machen es einfach. www.helbling.ch Komplexe Herausforderungen sind für uns Alltag. Wir machen daraus Lösungen, die in jeder Hinsicht Mehrwert bieten: Marktvorsprung für den Anbieter, erhöhten Nutzen für den Anwender. Der Weg dorthin erfordert technisches Know-how, fachliche Kompetenz und individuellen Einsatz. Das Ziel ist einfach: Erfolg für unsere Kunden. Daran arbeiten wir täglich – mit Kopf, Herz und Tatkraft. Helbling Technik Innovation, together we do it Aarau Bern Wil SG Zürich München Boston Shanghai ■ ■ ■ ■ ■ ■ SEF.2015 Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage 23 Macht und Komplexität Vom intelligenten Umgang mit Unsicherheit «Man muss akzeptieren, dass die Menschen fliehen» Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) berät die deutsche Regierung und den Bundestag. Direktor Volker Perthes und sein Koautor Markus Kaim über die politischen Handlungsspielräume der grössten Volkswirtschaft Europas. Krieg gegen die Zivilbevölkerung: Warum der Irak und Syrien im Chaos versinken. Volker Perthes, Markus Kaim Interview: Jost Dubacher Wer glaubt, dass sich ein aussenpolitisches Programm für einen Zeitraum von beispiels weise 20 Jahren aufgrund heute relativ klar absehbarer Trends bestimmen lasse, sollte zunächst einmal auf die gleiche Zeitspanne zurückblicken. Um 1995 war tatsächlich einiges absehbar und einige Entwicklungen wurden eingeleitet, die für die deutsche Aussen- und Sicherheits politik auch heute noch relevant sind. Man denke etwa an die Erweiterungen von EU und Nato, das Ende der D-Mark, die allmähliche Umorientierung der Bundeswehr auf die Teil nahme an internationalem Krisenmanage ment, den Anspruch der mit dem MaastrichtVertrag gerade etablierten Europäischen Union, eine gemeinsame Aussen- und Sicher heitspolitik auf den Weg zu bringen und nicht zuletzt eine gestaltende Rolle in der östlichen und südlichen Nachbarschaft zu spielen. Aber kaum jemand dürfte erwartet haben, dass 2015 deutsche Truppen immer noch in Afghanistan engagiert sein könnten, dass schwache oder gescheiterte Staaten zu einer der wesentlichen Sicherheitsbedrohungen mutieren, dass China in diesem Zeitraum zur global zweitgrössten Wirtschaftsmacht auf gestiegen sein und Mitgliedstaaten der EU sich um Hilfen des Internationalen Währungs fonds – oder Chinas – bemühen würden. In einer durch zunehmende Komplexität, Ge schwindigkeit und «Grenzenlosigkeit» be stimmten globalen Umwelt wird ein intelligen ter Umgang mit Unsicherheiten und ungeplanten Entwicklungen immer mehr zur Erfolgsvoraussetzung gerade aussen- und sicherheitspolitischen Handelns. Dessen un geachtet dürften viele der heute ungelösten Aufgaben und unbeantworteten Herausforde rungen die deutsche und europäische Politik auch in den kommenden zwei Jahrzehnten begleiten. Viele Europäer fragen sich, was im Nahen Osten wirklich abläuft. Können Sie helfen? Der Nahe Osten, wie er seit rund 100 Jah ren – seit den Pariser Vorortsverträgen exis tiert –, ist Vergangenheit. Wir beobachten einen Ordnungszerfall auf allen Ebenen: Grenzen verschieben sich, Staaten lösen sich auf und moralische Standards werden ausser Kraft gesetzt. Was wir sehen, sind Zustände, wie sie in Mitteleuropa im 17. Jahrhundert, während des 30-jährigen Krieges, geherrscht haben: Es gibt stetig wechselnde Allianzen zwischen religiös motivierten Gruppen, regionalen staatlichen Autoritäten und Räuberbaronen. Abschied von Illusionen Das Jahr 2014 hat mit seinen Krisen und Konflikten, darunter die Ukraine-Krise und der Vormarsch des «Islamischen Staates», erneut die aussenpolitische Gestaltungskraft Deutschlands zum Thema gemacht. Offenbar haben die deutschen Entscheidungsträger und ein grosser Teil der Öffentlichkeit erkannt, dass Deutschland und Europa sich nicht mehr auf die Scheingewissheit einer immer enger in tegrierten Europäischen Union verlassen kann, die von Freunden umgeben ist und anderen Regionen als Modell dient. Viele Debattenbeiträge reduzieren die Frage nach der Rolle Deutschlands in der Welt jedoch auf die Instrumente der Aussenpolitik. Aus dieser Sicht erschöpft sich die Frage nach der deutschen Verantwortung darin, wie viele Sol daten Deutschland für internationales Krisen management entsendet und welchen finanzi ellen Beitrag es zur Behebung internationaler Probleme leistet. Wer aber über Deutschlands Rolle in der Welt reflektiert, muss sich mit den folgenden vier Dimensionen befassen. An erster Stelle steht die Frage nach der Reichweite des aussenpolitischen Gestal tungsanspruchs. Einerseits ist ein so vielfältig globalisiertes und international überdurch schnittlich vernetztes Land wie die Bundes republik auch von geografisch weit entfernten Entwicklungen betroffen. Gleichwohl wird Volker Perthes über den Nahen Osten Wohin des Weges? Deutschland 25 Jahre nach der Wiedervereinigung. Deutschland durch diese vitalen Interessen an globalen Entwicklungen nicht gleich zur globalen Ordnungsmacht. Stattdessen erstreckt sich der Radius, für den Berlin zuerst ordnungspolitische Verantwor tung tragen soll und kann, auf die euro-atlan tische Peripherie: auf Nordafrika, den Nahen Osten und auf die östliche Nachbarschaft. Hier stellen sich bereits viele, ja fast zu viele aussenpolitische Herausforderungen, die Deutschland unmittelbar betreffen. Mittelmacht Deutschland Es wäre deshalb richtig, wenn Deutschland sich in diesem Sinne bewusst als aktive Mit telmacht definiert. Eine solche bemüht sich darum, in ihrem internationalen Umfeld zu sammen mit anderen zur Problembearbeitung beizutragen – wohl wissend, dass nicht alle internationalen und globalen Probleme kurz fristig lösbar sind. Eine aktive Mittelmacht ist sich ihrer Stärken, aber auch der Grenzen ihrer Macht und ihres Einflusses bewusst. Im Gegensatz zu Staaten mit Grossmachtanspruch wissen die nationa len Entscheidungsträger, dass ihr Land allein zu klein ist für die globalisierte Welt, dass es auf multilaterale Zusammenarbeit angewiesen ist und dass es nicht überall eine führende Rolle spielen kann. Sie sind sich aber auch bewusst, dass ihr Land sich angesichts pro blematischer oder gefährlicher internationaler oder globaler Entwicklungen nicht einfach wegducken und sich schon gar nicht auf be stimmte funktionale Nischen beschränken kann. Stattdessen sollte Deutschland eine Führungs- und Mitführungsrolle anbieten, und zwar in Bereichen, in denen es besser als in anderen – oder besser als andere – zur Pro blemlösung beitragen kann. Die zweite Dimension aussenpolitischer Ver antwortung bezieht sich auf die Ideen und Initiativen, die Deutschland zur Regelung in ternationaler Fragen einbringt. Wichtig ist, eine klare Vorstellung von den eigenen Interessen zu haben, zu wissen, welche Ziele man errei chen möchte und kann, und andere für eine entsprechende Strategie zu gewinnen. Das verlangt zudem die Bereitschaft, notfalls auch die Kosten für die Durchsetzung dieser Ziele in Kauf zu nehmen. Beispiele für ein derartiges Engagement Deutschlands bieten die lang jährige Atom-Diplomatie gegenüber Iran und die deutschen Beiträge zum Umgang mit Russland und der Ukraine in den vergangenen Monaten. In beiden Fällen waren klare strategische Ziele und Ideen zur Konfliktbearbeitung sowie die Bereitschaft und Fähigkeit vorhanden, einen breiten Konsens zu schaffen, zögerliche Partner ins Boot zu holen und diesen, sofern es zur Lösung beitrug, die Führung zu über Quelle: ZVG lassen. In beiden Fällen zeigte sich die Füh rungs- und Mitführungsverantwortung Berlins auch in der Bereitschaft, Kosten zu überneh men, um die mit europäischen und internati onalen Partnern gemeinsam vertretenen Ziele in die Tat umzusetzen. Die dritte Facette aussenpolitischer Verant wortung ergibt sich aus der multilateralen Selbstbindung bundesrepublikanischer Aus senpolitik und aus der Tatsache, dass eine rein nationale Aussenpolitik den Anforderun gen einer globalisierten Weltpolitik kaum mehr gewachsen ist. Entscheidend für die deutsche Aussenpolitik ist die Frage nach den Partnern und internationalen Organisationen, mit denen beziehungsweise in denen Deutschland be stimmte Ziele zu verwirklichen sucht. Der Aufstieg neuer Mächte hat eine solche Neuorientierung in den vergangenen Jahren genauso notwendig gemacht wie die NSAAffäre oder die Krise des europäischen Inte grationsprozesses. Es reicht heute nicht mehr aus, einfach auf die Bedeutung der transat lantischen Beziehungen oder die EU als deut schen Handlungsrahmen zu verweisen. Je nach Politikfeld wird die deutsche Aussenpo litik immer wieder neu um geeignete und gestaltungswillige Partner werben müssen. Erst zuletzt stellt sich die Frage nach der vier ten Dimension aussenpolitischer Verantwor tung, nämlich den Instrumenten deutscher Aussenpolitik. Dazu gehört die gesamte Band breite der diplomatischen, militärischen, fi nanziellen und wirtschaftlichen Massnahmen, die der Bundesrepublik zur Verfügung stehen. Die jüngsten Debatten über die Herausforde rungen deutscher «Ordnungspolitik» weisen vor diesem Hintergrund in unterschiedliche Richtungen: Während die Politik von Bundes kanzlerin Angela Merkel und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine-Krise reflektierter, ja «erwachsener» im Sinne einer aktiven Mittelmachtrolle wirkt, scheinen die Debatten um die Bewaffnung der PeshmergaMilizen sowie die Ausbildungsmission im Nordirak eher aussenpolitischen Aktivismus zu suggerieren, dem klare Vorstellungen von Ordnung im Nahen Osten und Konfliktbear beitung – zumindest bislang – noch fehlen. Krise als Normalfall Unerwartete Entwicklungen und daher die Notwendigkeit, sich an veränderte Rahmen bedingungen anzupassen, werden für die deutsche Aussenpolitik auch weiterhin der Normalfall bleiben. Das verlangt den Ausbau nicht nur intellektueller, sondern auch insti tutioneller Fähigkeiten zur frühzeitigen Identifizierung von Risiken und zum Umgang mit dem Unerwarteten. Zudem wird die Fähigkeit erforderlich sein, externe Schocks auszuhalten. Lassen sich Schuldige ausmachen? Der Westen hat sicher nicht alles richtig ge macht, aber im Wesentlichen sind die Prob leme hausgemacht. Bis auf wenige Ausnah men – Tunesien zum Beispiel – sind die Staaten des Maghreb und der Levante reform unfähig. Jetzt zerbrechen sie unter einem angestauten inneren Druck. Was führt zu dieser Reformunfähigkeit? Es handelt sich um Elitenversagen. Was auch in den gebildeten Schichten fehlt, ist der Sinn für Inklusion, Partizipation und Rechtstaatlich keit. Deutlich wurde das unter anderem in Ägypten. Als die Muslimbrüder an die Macht kamen, dauerte es nicht lange und sie führten sich genauso undemokratisch auf wie das vom Volk abgewählte Mubarak-Regime. In Syrien und Irak herrscht Bürgerkrieg. Warum scheint hier kein Ende in Sicht? In beiden Fällen handelt es sich um ursprüng lich lokale Konflikte, die nun vom Antagonis mus zwischen Saudiarabien und dem Iran überlagert werden. In Syrien zum Beispiel unterstützt der Iran das Regime, weil dieses mit der schiitischen Hisbollah alliiert ist, was wiederum die Saudis bewegt, die innersyrische Opposition zu unterstützen. Ich würde nicht von einem Stellvertreterkrieg sprechen. Tat sache ist jedoch, dass weder der Iran noch Saudiarabien Syrien preisgeben wollen, und so dem Konflikt immer neue Energie zuführen. islamistischen Miliz, die ihr Wirken auf das paschtunische Stammesgebiet in Afghanistan und Pakistan beschränkt, einen universellen Anspruch hat. Der IS ist – anders als etwa Al-Qaida – ganz eindeutig auf die Bildung von staatlichen Strukturen aus. Er will ein neues Kalifat errichten und tritt so in Konkurrenz zu den bestehenden Territorialstaaten. Das Chaos in der Levante verursacht viel menschliches Elend. Die Menschen versuchen, nach Europa zu fliehen; oft auf dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Lässt sich dagegen etwas tun? Zunächst einmal muss man die Relationen sehen. Nach Süditalien gelangen täglich ei nige 100 Menschen. Innerhalb Syriens hin gegen sind schätzungsweise elf Millionen Menschen auf der Flucht. Wer besser ausge bildet und wohlhabend ist, versucht natürlich, das Land zu verlassen; vorwiegend Richtung Europa. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern; das muss man akzeptieren. Anderseits besteht in Europa ein politischer Konsens, dass man nicht jeden fluchtwilligen Syrer, Iraker oder Kurden hier aufnehmen kann. Was ist zu tun? Eine rundum befriedigende Lösung gibt es nicht. Wichtig scheint mir aber, dass man die Nachbarstaaten des Iraks und von Syrien stärkt. Namentlich der Libanon verdient un sere Unterstützung. Denn das Land mit seinen rund 4,5 Millionen Einwohnern hat bereits weit über eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Man stelle sich solche Ver hältnisse bei uns vor! Wie kann man sich eine solche Hilfe konkret vorstellen? Einige der Flüchtlingslager in Jordanien und Libanon haben über 100 000 Einwohner; es handelt sich um mittelgrosse Städte, die aber über keinerlei städtische Infrastruktur verfü gen. Warum baut Europa dort nicht Gymna sien und Hochschulen auf? Der grosse Profiteur scheint der Islamische Staat (IS) zu sein. Wie schätzen Sie dieses relativ neue Phänomen ein? Am ehesten lässt sich der IS mit den Taliban vergleichen; wobei er im Gegensatz zu dieser SWP-Direktor Volker Perthes. Dafür wird es in weiter steigendem Umfang Partner bedürfen. Hierbei können wir davon ausgehen, dass die Machtgewichte in der Welt sich in den kommenden zwei Jahrzehnten weiter verschieben, sich Macht aus unter schiedlichen und aus anderen Quellen speisen wird als heute und internationale Politik auch weiter durch eine Vielzahl von relevanten Ak teuren, von Konflikten und von Problemen bestimmt sein wird, die nur global, unter Einbeziehung einer wachsenden Zahl von «Stakeholdern» bearbeitet werden können. Wo immer Macht sich verschiebt, entstehen Turbulenzen, oft neue Konflikte, in jedem Fall Misstrauen und Unsicherheit, gleichzeitig aber auch neue Formen der Koordination und Kooperation. Da die deutschen Möglichkeiten zur Gestal tung der internationalen Politik operativ be grenzt sind und bleiben werden, wird die deutsche Aussenpolitik noch multilateraler sein müssen, nicht was ihren normativen Kern, aber was die Zahl und Form der verfügbaren Formate betrifft. Denn erst ein effektiver Mul tilateralismus, verbindliche, gemeinsame Regeln für die internationale Politik sowie ein koordiniertes, nachhaltiges Wachstum, das allein einer wachsenden Menschheit erlauben wird, friedlich zusammenzuleben, werden in positiver Weise den komparativen Vorteilen, über die Deutschland – nicht zuletzt als Wirt schaftsmacht und innovativer Technologieund Wissenschaftsstandort – verfügt, auch international Gewicht geben. Quelle: SWP Everybody‘s talking about IT security. 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