NZZ Sonderbund SEF.2015 (PDF 7MB)

Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Bürokratieabbau
Doppelleu
Starker Franken
Alexis P. Lautenberg
Nassim Taleb
Die jungunternehmen
Kinderfreund
Das Abstimmungsverhalten
unserer Nationalräte Seite 4
Lokaltermin bei einem
«SEF.High Potential KMU» S eite 9
Einschätzungen aus Tourismus
und Industrie
Seite 12
Warnung vor europapolitischen
Illusionen
Seite 13
Warum falsche Entscheidungen
schmerzen sollten Seite 14
Lego-CEO
Die
Wachstumsinitiative
Jorgen Knudstorp im
sef4kmu Exklusivinterview
Seite 19
14
Auf den Punkt gebracht
Warum das Komplizierte der Feind des Guten ist
Umwege kosten Zeit. Aber sie lohnen sich, wenn am Ende eine einfache Lösung steht.
Ohne Reduktionsleistung könnten
wir nicht einmal eine Strasse
überqueren. Wir müssen zuerst
das Wesentliche aus der Flut der
anstürmenden Informationen
filtern. Die Reduktion bestimmt
unsere Wahrnehmung und unser
Handeln. Sie ist ein Überlebensprinzip, ein wissenschaftliches,
ein ästhetisches und nicht zuletzt
ein ökonomisches Prinzip.
Benedikt Weibel *
«Suche den Kern des Problems. Konzentriere
dich darauf. Schneide alles andere mit
dem Rasiermesser ab.» Wilhelm von
Ockham, ein englischer Theologe und Philo­
soph des Hochmittelalters, hat diese glas­
klare Handlungsanweisung vor 700 Jahren
formuliert. «Occam’s Razor» ist im angel­
sächsischen Sprachbereich ein stehender
Begriff ge­­blieben.
Wie aber wird der Kern des Problems gefun­
den? Es brauche dazu «le Coup d’Œil», meint
ein halbes Jahrtausend später Carl von
Clause­witz, der Begründer der Lehre von der
Strategie. Das sei die Kunst, aus einer un­
übersehbaren Menge von Informationen die
für einen Entscheid relevanten Elemente zu
erkennen. Daniel Goleman, der Autor des
Bestsellers «EQ. Emotionale Intelligenz», um­
schreibt es so: «Just one cognitive ability
distinguished star performers from average:
pattern recognition, the ‹big-picture› thinking.»
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Premium-Partner
sind zwei Ökonomen unabhängig voneinander
und von zwei verschiedenen Seiten her auf
das gleiche Phänomen gestossen. Der Deut­
sche Hermann Heinrich Gossen entwickelte
die Lehre vom abnehmenden Grenznutzen,
der Italiener Vilfredo Pareto entdeckte die
asymmetrische Verteilung vieler Variablen,
sowohl in der Natur wie im sozialen Bereich.
Die 80/20-Regel
Beide Phänomene lassen sich in einer ge­
krümmten Kurve darstellen. Ihre Interpretati­
on besagt, dass sich mit 20 Prozent Input 80
Prozent des Outputs erzielen lässt. Die Angel­
sachsen haben dafür den bildhaften Ausdruck
«the low hanging fruit effect» geprägt.
In eine ähnliche Richtung weisen die Studien
des amerikanischen Psychologen Gary Klein.
Er hat im Auftrag des US-Verteidigungsminis­
teriums Entscheidungen in Extremsituationen
untersucht. Zu diesem Zweck hat er Feuer­
wehrkommandanten im Einsatz beobachtet
und ihre Entscheide anhand von Interviews
analysiert. Aufgrund des Zeitdruckes erfolgten
diese Entscheide intuitiv. Dabei werden kon­
krete Situationen mit Mustern verglichen,
welche aufgrund von Erfahrungen im Gedächt­
nis gespeichert sind. Intuition, so Klein, kom­
me keineswegs einfach aus «dem Bauch».
Bei seinen Analysen ist er zum Schluss ge­
kommen, dass es für einen Kommandanten
entscheidend sei, seine Absichten so knapp
wie möglich zu beschreiben. Je mehr Einzel­
heiten einbezogen würden, umso weniger sei
zu erkennen, was wirklich wichtig sei.
Neu ist diese Erkenntnis nicht, wie der be­
rühmte Satz zeigt, der gleich mehreren Geis­
Quelle: Shutterstock
tesgrössen, unter ihnen auch Goethe, zuge­
schrieben wird: «Entschuldigen Sie, dass ich
Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen
kurzen hatte ich keine Zeit.» Er bringt die
Thematik auf den Punkt. Kurz, prägnant und
einfach ist wirkungsvoller als kompliziert. Aber
auch viel aufwendiger. Erst wenn man die
Komplexität begriffen hat, ist man in der Lage,
den Kern des Problems zu erfassen und die
Lösung zu definieren. Einfachheit ist nicht
einfach, sie muss hart erarbeitet werden.
Steve Jobs hat mit seinem Credo «Simplicity
is the highest level of sophistication» Apple
zur wertvollsten Unternehmung der Welt
gemacht.
Klare Linien und Proportionen
Ende 19. Jahrhunderts erfasste die Bewegung,
alles Überflüssige zu entfernen, auch die Ar­
chitektur. Der österreichische Architekt Adolf
Loos war mit seiner radikalen Losung «Weg
mit dem Ornament» der Impulsgeber für ein
äusserst einflussreiches künstlerisches Expe­
riment: das Staatliche Bauhaus in Weimar.
Dort fanden neben Künstlern wie Klee und
Kandinski die besten Architekten der Zeit
zusammen. Obwohl das Bauhaus von den
Nazis nach nur 13 Jahren geschlossen wur­
de, sind klare Proportionen und Linien noch
heute stilbestimmend. Der Design-Fanatiker
Steve Jobs war bekennender Bauhaus-An­
hänger. Apple-Produkte sind Zeugnisse der
Bauhaus-Ästhetik.
«Simplify!» steht über dem SEF 2015. Dieser
kategorische Imperativ steht in der Tradition
von Ockhams Rasiermesser und der Forde­
rung von Adolf Loos, auf alles Ornamentale
zu verzichten. Das ist dringender denn je.
Wir erleben eine Umwälzung, die nur mit der
industriellen Revolution vergleichbar ist; nur
dass alles viel schneller abläuft und die Kom­
plexität exponentiell wächst. Die Reduktion
auf das Wesentliche wird entsprechend
wichtiger und anspruchsvoller.
Der Fluch des Wissens
Und doch tun wir uns immer wieder schwer
damit. Ein Hindernis ist der «Fluch des Wis­
sens». Je tiefer wir in die Komplexität einer
Sache eindringen, desto mehr Überwindung
braucht es, sich auf wenige Hebel zu kon­
zentrieren. Reduktion erfordert Mut und ist
nie risikolos. «Fokusangst» bezeichnet einen
Zustand, der vor dem konsequenten Ge­
brauch von Ockhams Rasiermesser zurück­
schreckt. Nur ist die Verzettelung der Kräfte
noch viel riskanter. Im Volksmund heisst es
etwa: «Er sieht vor lauter Bäumen den Wald
nicht mehr». In der Bürosprache nennt man
solche Menschen Mikromanager. Sie können
wertvolle Arbeit leisten, aber als Feldherren
im Sinne von Clausewitz sind sie mangels
Coup d’Œuil ungeeignet.
Die grössten Simplify-Verhinderer sind in­
dessen die Bürokraten, und die sitzen nicht
nur beim Staat. Je grösser die Institution,
desto stärker die Versuchung, allerhand Stä­
be aufzubauen. «Klugscheisserabteilungen»,
wie sie despektierlich genannt werden. Sie
kosten viel und hindern die Linie daran, sich
mit dem Wesentlichen zu befassen. Auch
hier sollte man Ockhams Rasiermesser stets
in der Hinterhand haben. Glücklich sind in­
sofern die KMU: Sie können sich derlei
schlicht nicht leisten. Führungskräfte in
Grossunternehmen können sich derweil Mary
Barra, die neue Chefin von General Motors,
zum Vorbild nehmen. Als sie noch Personal­
chefin war, hat sie einen 15-seitigen Dress­
code auf zwei Worte reduziert: angemessene
Kleidung. Die Wirtschaft wird dem SEF zu
Dank verpflichtet sein, wenn die Teilnehmerin­
nen und Teilnehmer nach der diesjährigen
Veranstaltung mit gestärktem d’Œuil und
geschärftem Rasiermesser in ihre Unterneh­
men zurückkehren.
* Benedikt Weibel war von 1993 bis 2006 Vorsitzender der Geschäfts­leitung
der Schweizerischen Bundesbahnen und Autor des Buches «Simplicity.
Die Kunst, die Komplexität zu reduzieren».
Swiss Economic FOrum
Das 17. Swiss Economic Forum (SEF) findet
am 4. / 5. Juni 2015 im Congress Centre
Kursaal in Interlaken statt. Am grössten Wirt­
schaftsanlass in der Schweiz nehmen 1350
Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Wissen­
schaft, Politik und Medien teil. Unter dem
Veranstaltungsmotto «Simplify – Meistern von
Komplexität» bietet das SEF eine Plattform für
einen branchenübergreifenden Dialog über
Einfachheit als Erfolgsfaktor. Das Programm
umfasst Vorträge, Podiumsdiskussionen sowie
praxisorientierte Breakout Sessions mit rund
60 Referierenden. Zudem wird mit dem Swiss
Economic Award 2015 der bedeutendste Preis
für Jungunternehmen vergeben.
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Twitter: #SEF2015
Hier folgt der Seitentitel
2
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Regulierung
Standortwahl
Neue Märkte
Kostendruck
Internationale
Konkurrenz
Auslagerung
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Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
SEF.2015
3
Inspiration, Information und Motivation
Die Keynote-Referenten des Swiss Economic Forum 2015
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga wird das 17. Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken eröffnen. Anschliessend
werden Referenten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft das Konferenzthema «Simplify – Meistern von Komplexität»
diskutieren. Alle Beiträge werden vom Schweizer Fernsehen live übertragen.
Saraina von Grünigen
Simonetta Sommaruga
Bundespräsidentin, Vorsteherin EJPD
SRFinfo, 4. Juni 2015, 13.45 Uhr
Sergio P. Ermotti
CEO UBS Group AG
Die ausgebildete Pianistin Simonetta Sommaruga betrat in den 1990er-Jahren
das politische Parkett. Zwischen 1997 und 2005 war sie Gemeinderätin in
Köniz, von 1999 bis 2003 Nationalrätin und anschliessend bis 2010 Stände­
rätin. Sie war Mitglied und Vizepräsidentin in unterschiedlichen Kommissionen
sowie Vizepräsidentin der Schweizer Delegation beim Parlamentarierkomitee
der EFTA-Länder. Im September 2010 wurde sie in den Bundesrat gewählt. Seit
dem 1. November 2010 ist sie Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements. Zuvor war Simonetta Sommaruga ab 1993 Geschäftsfüh­
rerin der Stiftung für Konsumentenschutz, von 2000 bis 2010 deren Präsiden­
tin. Simonetta Sommaruga wurde 1960 in Zug geboren.
Peter Bofinger
Mitglied Sachverständigenrat
SRFinfo, 4. Juni 2015, 16.30 Uhr
Als einer von fünf Wirtschaftsweisen begutachtet Peter Bofinger die ökonomische
Entwicklung von Deutschland und lehrt als Professor an der Universität Würzburg.
Bereits 1978 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stab des Sachverständigen­
rats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er habilitierte 1990
an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität in Saar­
brücken. Zwei Jahre später wurde er Ordentlicher Professor an der Universität
Würzburg, wo er von Oktober 2003 bis September 2004 das Amt des Ersten Vi­
zepräsidenten innehatte. Im März 2004 wurde er zum Wirtschaftsweisen berufen.
Peter Bofinger forscht schwerpunktmässig zur Reform des internationalen Finanz­
systems und zur Eurokrise, zu New Economic Thinking und Managed Floatings.
Linda Yueh
Britisch-chinesische ökonomin
SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr
In ihrer eigenen Fernsehsendung «Talking Business with Linda Yueh» geht die
Chefkorrespondentin von BBC wirtschaftlichen Trends auf den Grund. Sie un­
tersucht den makroökonomischen Kontext der Finanzkrise, die Treiber von
Wachstum, Globalisierung sowie aufkommende Märkte und deren Entwicklung.
Linda Yueh wurde in Taiwan geboren, wuchs in den USA auf und besuchte
mehrere Eliteuniversitäten. Sie hat einen zweifachen Doktortitel in Rechts- und
Wirtschaftswissenschaften. Ihr Spezialgebiet liegt in der chinesischen Wirtschaft.
Linda Yueh unterrichtet an der London Business School, ist Gastprofessorin an
der Universität in Peking und leitet das «China Growth Centre» der Universität
Oxford.
Severin Schwan
CEO F. Hoffmann-La Roche AG
SRFinfo, 5. Juni 2015, 9.25 Uhr
Seit 1993 ist Severin Schwan für das Healthcare-Unternehmen Roche tätig. Das
Unternehmen erwirtschaftet einen Umsatz von 47 Milliarden Franken und be­
schäftigt 87 000 Mitarbeitende. Roche ist heute das weltweit grösste Biotech­
nologieunternehmen, führend in der In-vitro-Diagnostik und der grösste Her­
steller von Krebsmedikamenten. Die unterschiedlichen Funktionen führten
Severin Schwan von der Abteilung Finanzen bis zur Diagnostics Division, die er
von 2006 bis 2008 als CEO führte. 2008 wurde Severin Schwan CEO der
Roche-Gruppe. Severin Schwan wurde 1967 in Österreich geboren. Der pro­
movierte Jurist studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an den Uni­
versitäten Innsbruck, Oxford und York.
Marc-André Cornu
CEO Cornu SA
SRFinfo, 5. Juni 2015, 11.10 Uhr
Seit drei Generationen pflegt die Familie Cornu die traditionelle Bäckerkunst. Die
Dorfbäckerei wurde 1934 durch André Cornu gegründet. Anfang der 60erJahre übernimmt sein Sohn, Paul-André, die Bäckerei. Er baut das Familienun­
ternehmen aus und erstellt das Fundament des Grossbetriebes. Heute sind es
speziell konzipierte, automatische Anlagen, welche die Handgriffe des Bäcker­
meisters vollziehen. Unter der Leitung von Marc-André Cornu entwickelt sich das
Unternehmen noch immer und verfolgt seine Expansion im In- und Ausland. Die
Cornu SA verarbeitet pro Jahr den Ertrag von Weizenland in der Grösse von
umgerechnet 1030 Hektaren, was einer Fläche von 1442 Fussballfeldern ent­
spricht. Cornu SA beschäftigt 340 Mitarbeitende.
SRFinfo, 4. Juni 2015, 14.45 Uhr
Als CEO der UBS-Gruppe hält Sergio P. Ermotti die Fäden der führenden Schweizer
Bank und des grössten globalen Vermögensverwalters in der Hand. 1960 in Luga­
no geboren und aufgewachsen, startete er seine berufliche Laufbahn bereits mit
15 Jahren mit einer Banklehre. Seine steile Karriere führte den Tessiner von der
Cornèr Bank in Lugano über Merrill Lynch bis zur UniCredit in Mailand. Im April
2011 wurde Sergio P. Ermotti in die UBS-Konzernleitung berufen. Bis November
2011 war er Chairman und CEO der UBS Group Europe, Middle East and Africa. Im
Herbst 2011 wurde er vom Verwaltungsrat zum CEO des Unternehmens ernannt.
Sergio P. Ermotti verfügt über das eidgenössische Diplom als Bankfach­experte und
ist Absolvent des Advanced Management Program der University of Oxford.
Noreena Hertz
Britische Ökonomin
SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr
Mit 19 Jahren schloss sie ihr Studium ab. Mit 23 Jahren beriet sie Russland in
Bezug auf die Wirtschaftsreform. Mit 29 Jahren arbeitete sie mit den Regierungen
von Israel, Ägypten, Palästina und Jordanien im Nahost-Friedensprozess. Heute,
mit 47 Jahren, ist Noreena Hertz mehrfache Bestseller-Autorin, Professorin an
mehreren Universitäten und berät CEOs und Präsidenten in wirtschaftlichen, geo­
politischen und technologischen Trends. Seit mehr als zwei Jahrzehnten zählen
Noreena Hertz’ Wirtschaftsprognosen als vorausschauend. In ihrem jüngsten Buch
«The Silent Takeover» prognostizierte sie, dass unregulierte Märkte und grosse
Finanzinstitute ernsthafte globale Folgen mit sich bringen würden. 2005 sagt sie
im Bestseller «The Debt Threat» die Finanz­krise von 2008 voraus.
Ulrike Malmendier
Deutsch-Amerikanische ökonomin
SRFinfo, 4. Juni 2015, 17.30 Uhr
Die in Deutschland geborene Ulrike Malmendier zählt zu den fünf Prozent der am
meisten zitierten Ökonominnen. 2013 erhielt die damals 39-Jährige als erste Frau
die begehrte Auszeichnung «Fischer Black Prize» für Ökonomen unter 40 Jahren.
Ulrike Malmendier promovierte in Jura und Wirtschaft und unterrichtet seit 2006
als Wirtschaftsprofessorin an der US-Eliteuniversität Berkeley. Sie gilt als Expertin
für Verhaltensforschung, Unternehmensfinanzierung und Wirtschaftsrecht. Unter
anderem untersuchte sie die Entscheidungsfindung von Unternehmern und Ma­
nagern. Aus den Ergebnissen lässt sich ein Katalog von wichtigen Erkenntnissen
für die Praxis ableiten. Dieser kann mithelfen, gefährliche Entwicklungen oder
Konstellationen in einem Unternehmen oder Konzern frühzeitig zu erkennen.
Thomas Seiler
CEO, Leiter Marketing und Vertrieb u-blox
SRFinfo, 5. Juni 2015, 10.45 Uhr
U-blox, der Chipdesigner aus Thalwil, wächst rasant: Trotz Preiszerfall in der Branche
gelingt es dem Unternehmen seit Jahren, seine Rentabilität zu verbessern. Das Spinoff der ETH Zürich wurde 1997 gegründet und schreibt seit dem Börsengang 2007
schwarze Zahlen. Seit 2002 wird u-blox vom Maschinenbauingenieur und MBAAbsolvent Thomas Seiler geführt, der nebst seiner Funktion als CEO auch Leiter
Marketing und Vertrieb ist. Die Firma bietet Industriekunden Halbleiterchips, Module
und Software, die für die drahtlose Datenübertragung und für die geografische Ortung
Verwendung finden. U-blox hat Niederlassungen in 15 Ländern auf fünf Kontinenten
und beschäftigt mehr als 450 Mitarbeitende. 2014 erwirtschaftete das börsenkotier­
te Technologieunternehmen einen Umsatz von rund 270 Millionen Franken.
Ratan Naval Tata
Chairman Tata Group
SRF 1, 5. Juni 2015, 15.30 Uhr
Der indische Manager Ratan Tata wurde 1937 in Mumbai als Sohn einer
parsischen Industriellen-Familie geboren und ist Urenkel des Konzerngrün­
ders der Tata-Gruppe. Er studierte Architektur und Bauingenieurwesen und
hält einen Abschluss in Management von der Harvard Business School. Nach
seinem Studium übernahm Ratan Tata das Konzernglomerat der 1874 ge­
gründeten Tata Group. Ab 1991 baute er den Konzern kontinuierlich aus
und strukturierte das Unternehmen um. Die Tata-Gruppe beschäftigt heute
rund 455 000 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2014 einen Jahresumsatz
von 138 Milliarden US-Dollar. Das «Fortune Magazine» wählte Ratan Tata
im November 2007 zu den 25 einflussreichsten Unternehmern der Welt.
SEF.2015
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Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Wenn es auch ohne geht
Bürokratie und Regulierungsabbau im Nationalrat
Die Auswertung von politnetz.ch
zeigt: Die Simplifyer sitzen in der
FDP und der CVP.
Auszeit vom Informations-Rodeo unserer Zeit
wieder einmal mit den wichtigen Dingen in
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befassen
will, stellt unweigerlich fest: Die Dinge sind
kompliziert geworden. Kaum ein Thema, das
ohne Vorwissen verständlich ist, kaum eine
Frage, die einfache Antworten vermuten lässt.
Alles ist komplex, jede Information ist mit fünf
weiteren verhängt, jedes Thema potenziell
Patrick Marty
Wer heute eine Zeitung aufschlägt (oder an­
klickt) und sich nach einer vielleicht längeren
gross und ohne Experten kaum noch be­
herrschbar.
«Simplify!» lautet also das Motto der Stunde.
Was Wunder, verfangen da die entsprechen­
den Parolen der Politiker bei Bürgern und
Unternehmen ganz gut. Alle wollen sie ver­
einfachen, Hürden abbauen, reduzieren,
Themen für Bürger zugänglich machen,
Unternehmen entlasten.
Ranking nach Personen | Top 10
Politnetz.ch, das Informations- und Diskus­
sionsportal zur Schweizer Politik, hat genau­
er hingeschaut und den individuellen Simp­
lify-Score unserer Nationalräte und
Nationalrätinnen ermittelt und dabei Erstaun­
liches und weniger Erstaunliches festgestellt.
Ermittelt wurde der Score anhand einer
Auswertung von 24 Abstimmungen zu Ge­
schäften im Nationalrat während der laufen­
den Legislatur, die allesamt Deregulierungen
oder eine bestimmte Form von Bürokratie­
abbau zum Ziel hatten (siehe Rankings unten).
Zunächst: Der Gesamtscore des Nationalra­
tes ist positiv. Marco Schwarzenbach von
politnetz.ch dazu: «Die grosse Kammer
stimmt Geschäften, die bürokratieabbauend
oder -deregulierend wirken, grundsätzlich
zu.»
Ranking nach Fraktionen
FDP | ZH
FDP | GE
BDP | ZH
FDP | AG
CVP | SG
CVP | BL
CVP | SG
CVP | SG
CVP | LU
CVP | TI
Dreimal FDP, einmal BDP und sechsmal CVP, so setzten sich die Top 10 des Simplify-Rankings zusammen. Das Ranking
beruht auf einer Auswertung von 24 Abstimmungen im Nationalrat im Rahmen der 49. Legislatur zu politischen Geschäften
mit «Simplify-Charakter». Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wurden solche Vorhaben identifiziert, deren erklärtes Ziel
beispielsweise Deregulierungen zugunsten der Wirtschaft oder ein allgemeiner oder spezifischer Bürokratieabbau war.
Die Punktezahl der Nationalrätinnen und Nationalräte ergibt sich aus deren Stimmverhalten, gemessen an der Sollvorgabe:
«Simplify-freundliches» Stimmverhalten wurde mit einem Punkt belohnt, Stimmen gegen mehr Simplify wurden mit einem
Minuspunkt bestraft. Stimmenthaltungen und Abwesenheiten im Rat wurden nicht bewertet.
Im Ranking der Fraktionen liegt die FDP (14,9), gemessen an der durchschnittlich
erreichten Punktzahl pro Sitz im Nationalrat, knapp vor der CVP/EVP (14,5) und
der BDP (12,8). Am anderen Ende der Skala liegt erwartungsgemäss die SP mit
einem Score von –4,8.
Schlagwortprotokoll
Staatsquote
Komplexität
Bürokratieabbau
Überregulierung
Kompetenzausbau
Privatisierung
Liberalisierung
Lesebeispiel: Das Wort «Regulierung» kommt unter den untersuchten Begriffen in den offiziellen
Wortprotokollen am häufigsten vor. Das Wort «Kompetenzausbau» am wenigsten häufig.
Wahlfreiheit
Deregulierung
Regulierung
Vereinfachung
Einfachheit
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
An der Spitze stehen mit 22 Punkten und
damit einem konsequent «Simplify-freund­
lichen» Abstimmungsverhalten Doris Fiala,
FDP, aus Zürich, und Hugues Hiltpold, FDP,
aus Genf. Die Fraktion der FDP weist mit 14,9
überdies den höchsten Durchschnittsscore
pro Person auf, gefolgt von der CVP/EVPFraktion mit 14,5. Letztere stellt mit sechs
Vertretern aus den eigenen Reihen den
Hauptharst an Simplifyern in den Top 10.
Auffallend ist trotz Ungleichverteilung im
Nationalrat die starke Präsenz der Frauen in
den Top 10. Sie stellen nebst Doris Fiala mit
Rosmarie Quadranti, Lucrezia Meier-Schatz,
Elisabeth Schneider und Ida Glanzmann die
Hälfte der grössten Simplifyer in der Schwei­
zer Politik. Am anderen Ende der Skala be­
finden sich die Vertreter der SP. Sie belegen
gleich alle Plätz der Flop 10. Das bedeutet:
Im Rahmen der untersuchten Abstimmungen
haben sie den angepeilten Deregulierungen
mehrheitlich nicht zugestimmt.
Änderte sich dieses Bild, wenn auch die Ab­
stimmungen aus dem Ständerat berücksich­
tigt würden? «Die Abstimmungsdaten aus
dem Ständerat können wir erst seit der Früh­
jahrsession 2014 erheben. Die Daten flossen
also nicht in die Auswertung mit ein. Ange­
sicht der leichten Übervertretung der CVP im
Stöckli und der Mindervertretung der SVP
dürften sich die Ergebnisse aus dem Natio­
nalrat aber akzentuieren und die CVP zusam­
men mit der FDP als die grossen SimplifyerFraktionen bestätigen», meint Schwarzenbach.
Und die SVP? Sie spielt für einmal keine
zentrale Rolle, ihre Mitglieder zeigen weder
ein ausgeprägtes Verhalten in die eine noch
in die andere Richtung. Immerhin beträgt die
durchschnittliche Punktezahl 9,6 und ist
damit positiv. Zu erklären ist dieses
Abschneiden einerseits mit den vielen
Sonderregelungen, welche die SVP für ihre
Stammwählerschaft herausschlägt und
andererseits mit den protektionistischen
Tendenzen der ehemaligen Bauern- und
Gewerbepartei. Diese wirken sich in der
Konsequenz regulierend aus und führen so
zu einem bescheideneren Simplify-Score.
SEF.2015
Erlasse der
Bundesversammlung (BV)
164
Bundesgesetze
110
Bundesbeschlüsse
207
Einfache Bundesbeschlüsse
22
Verordnungen der BV
503
Total Erlasse
(Legislatur 48, 2007 bis 2011)
345
Total Erlasse
(Legislatur 42, 1983 bis 1987)
5
M
Ranking nach Geschlecht
F
61 Frauen im NR
139 Männer im NR
Durchschnittliche
Punktzahl: 5,05
Durchschnittliche
Punktzahl: 8,21
63,79% erreichen eine
positive Punktzahl
80% erreichen eine
positive Punktzahl
Nationalrätinnen weisen im Durchschnitt einen Simplify-Score von 5,1 auf, wobei
die maximale Punktzahl 24 beträgt. Die Frauen im Parlament liegen damit hinter
ihren männlichen Kollegen zurück, deren Durchschnittswert auf 8,2 zu liegen
kommt. Immerhin knapp 64 Prozent der Nationalrätinnen weisen einen positiven
Punktestand auf. Auffallend: In den Top 10 sind gleich viele Frauen wie Männer
vertreten.
Seitenzahl Amtliches Bulletin
Seit dem Jahr 2000 steigt die Seitenzahl des Amtlichen Bulletins von National- und Ständerat kontinuierlich.
Der Höchststand wurde letztes Jahr erreicht mit 10 892 Seiten. Der Zuwachs in den letzten 14 Jahren beträgt
somit über 80 Prozent.
Infografiken: Tim Engel / Quellen: politnetz.ch, parlament.ch
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Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
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Bis Ende Jahr will das Departement für Wirtschaft, Bildung und
Forschung konkrete Vorschläge zur
administrativen Entlastung der Unternehmen vorlegen. Höchste Zeit,
findet Lukas Gähwiler, Chef der
UBS in der Schweiz, und schlägt in
Analogie zur Schuldenbremse eine
Regulierungsbremse vor.
Lukas Gähwiler
Wir brauchen Regeln. Ohne Regeln können
Menschen nicht zusammenleben. Eine Ge­
sellschaft muss dafür sorgen, dass die Grund­
lagen unseres Zusammenlebens fair sind,
dass sozialverträgliche Rahmenbedingungen
für alle gelten. Regulierungen sorgen für den
Schutz von Eigentum, für Sicherheit im Innern
und gegen aussen. Regulierung sichert Wett­
bewerb, schützt die Umwelt und einiges mehr.
Die Frage ist: Wie viel Regulierung ist sinnvoll?
Die ordentliche Rechtssammlung des Bundes
hat in den letzten 10 Jahren um fast ein Vier­
tel auf 66 000 Seiten zugenommen. 2012
wurden Spitzenwerte von 140 neuen Seiten
pro Woche erreicht. Das Regelwerk des Bas­
ler Ausschusses zu den Eigenkapitalvorschrif­
ten von Banken umfasste 1988 in «Basel I»
noch 30 Seiten, 2004 in «Basel II» bereits
347 Seiten und 2010 in «Basel III» sogar über
600 Seiten.
Viele der heutigen Regulierungen haben na­
türlich einen Hintergrund. Die Finanzbranche
etwa hat sich in der Vergangenheit Fehler
geleistet, die geradezu nach einer stärkeren
Regulierung gerufen haben. Das ist unbestrit­
ten. Was mir jedoch Sorgen bereitet: Die
Regulierungsdichte hat in den vergangenen
Jahren in allen Bereichen massiv zugenom­
men. Studien zeigen, dass sich die adminis­
trativen Lasten für unsere KMU in den letzten
zehn Jahren verdoppelt haben und dass ein
Kleinunternehmen mit 20 Mitarbeitenden pro
Monat über 55 Stunden Aufwand betreiben
muss, um nur den wichtigsten gesetzlichen
Regulierungen zu genügen. Da stelle ich mir
die Frage: Was soll das? Wertschöpfend kann
eine solche Fülle an Regulierung nicht sein.
Bedrohte Wettbewerbsfähigkeit
Im Wettbewerbsindex des World Economic
Forum nennen Unternehmer mittlerweile
staatliche Bürokratie als eines der wichtigsten
Probleme in der Schweiz. Dies erklärt auch,
weshalb die Schweiz im «Doing Business
Report» der Weltbank, der Kosten und Nutzen
von Regulierungen in 190 Volkswirtschaften
untersucht, seit 2005 um 9 Plätze auf Rang
20 abgerutscht ist.
Die Kosten neuer Regelwerke sind enorm.
Alleine bei UBS haben uns zusätzliche Regu­
lierungen 2013 und 2014 über eine Milliarde
Schweizer Franken gekostet. So viel mussten
wir investieren, um weltweit alle regulatori­
schen Anforderungen in unseren Strukturen,
Prozessen und IT-Systemen abzubilden. 2015
fällt erneut ein dreistelliger Millionenbetrag
an. Der Bundesrat schätzt die jährlichen Re­
gulierungskosten von Unternehmen in 13
ausgewählten staatlichen Handlungsfeldern
auf über 10 Milliarden Franken. Hochrech­
nungen des Schweizerischen Gewerbever­
bandes gehen sogar von Gesamtkosten in
Höhe von rund 50 Milliarden Franken oder
zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts aus.
Massiv steigende Kosten sind aber nur eine
Folge übermässiger oder falsch angesetzter
Staatseingriffe. Sie wirken sich auch auf das
Verhalten von Bürgern und Wirtschaftsakteu­
ren aus. Die Menschen reagieren auf regula­
torische Eingriffe eben oft anders, als sich die
Politik das vorstellt. Wenn ein Gastwirt berich­
tet, dass er sich nicht mehr getraut, seine
Mayonnaise auf Grund der Vorschriften selbst
herzustellen, sondern aus Sicherheitsüberle­
gungen lieber auf Fertigmayonnaise zurück­
greift, obwohl seine Gäste die Qualität seiner
«Hausprodukte» höher einstufen, dann gibt
mir das schon zu denken, weil hier kreativer
Gestaltungsspielraum verloren geht.
Unsinnige Regulierungen wie diese und über­
mässige Bürokratie lähmen Innovation und
Unternehmertum. Unser Reichtum beruht auf
einem liberalen Arbeitsmarkt, einer offenen
Volkswirtschaft, einer soliden Fiskalpolitik und
einem hervorragenden Bildungssystem, also
einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem,
das Innovation, Unternehmertum und die
Verantwortung des Einzelnen fördert.
Damit haben wir bisher gut gelebt. Wenn wir
nun statt führend in Innovation, führend im
Erfinden von Regulierungen werden wollen,
dann schaden wir der Wettbewerbsfähigkeit
unseres Landes und letztlich uns allen.
KMU besonders betroffen
Gerade für das Publikum am Swiss Economic
Forum hat das Thema Regulierung höchste
Relevanz, da KMU durch administrative und
«Zusätzliche Regulierungen kosteten die UBS in den letzten zwei Jahren über eine Milliarde
Schweizer Franken», sagt Lukas Gähwiler, Chef der UBS in der Schweiz.
Quelle: ZVG
regulatorische Hürden überproportional be­
lastet werden.
Wo gibt es aktuell Handlungsbedarf? Bei
den Stempelsteuern und den Verrechnungs­
steuern haben wir seit langem einen Stand­
ortnachteil, der sich nun aber durch zusätzli­
che Regulierungen massiv verschlechtert.
Bei der Arbeitszeiterfassung haben wir uns
eine Regulierung geleistet, die einen klaren
Rückschritt bedeutet.
Das neuste Regelwerk steht am 14. Juni mit
der Erbschaftssteuerinitiative zur Abstimmung.
Würde sie angenommen, hätte dies schwer­
wiegende Folgen für die Zukunft unserer
mittelständischen Wirtschaft. Wir haben es
also selbst in der Hand, Überregulierungen
Einhalt zu gebieten. Reduzieren wir Bürokra­
tie und Bevormundung, fördern wir klassische
hiesige Erfolgswerte wie Eigenverantwortung
und ein gesundes Unternehmertum!
Zuversichtlich stimmt, dass die Zeichen der
Zeit erkannt werden – vom Bundesrat wie
von den bürgerlichen Parteien, die eine ge­
meinsame Initiative angekündigt haben, um
die Wirtschaft von administrativen Lasten zu
befreien. Jetzt müssen auch Taten folgen.
Dabei müssen wir alle am gleichen Strick
ziehen und auch grössere Themen anpacken,
wie die Vereinfachung der Mehrwertsteuer.
Und wir müssen über neuartige Ansätze
nachdenken. 66 000 Seiten Gesetze und
Verordnungen allein auf Bundesebene schei­
nen mir genug, um die Spielregeln für Wirt­
schaft und Gesellschaft festzulegen. Warum
nicht analog zu der so erfolgreichen Schul­
denbremse eine Regulierungsbremse ein­
führen? Denn eine gesunde Wirtschaft
schafft Arbeitsplätze, Einkommen, Wohlstand
und Sicherheit. Eine übermässige Regulie­
rung bewirkt das Gegenteil.
Mit Blick aufs Ganze
Klima, Internet und Alterung: Wo die Zukunft neue Risiken birgt
Die kollektive Absicherung
individueller Risiken ist Teil des
Lebens. Versicherungen betreffen uns als Privatpersonen,
Konsumenten, Arbeitnehmer, Unternehmer und Bürger. Ein Versicherungskonzern hat deshalb die
Pflicht, sich mit der gesellschaftlichen Realität von morgen schon
heute auseinanderzusetzen.
Severin Moser *
Bevor der Blick in die Zukunft geht, eine
kleine Reise in die Vergangenheit: Vor
125 Jahren wurde die Allianz in Berlin ge­
gründet – am 5. Februar 1890 durch Wil­
helm von Finck und Carl von Thieme. Auch
wenn uns der Erfolg des Unternehmens stolz
macht, sind wir als Versicherungsunterneh­
men auch bescheiden und nachdenklich
geblieben. Denn in dieser historisch gesehen
eigentlich recht kurzen Zeitspanne hat sich
die Gesellschaft weltweit fundamental ver­
ändert: rasanter technologischer und me­
dizinischer Fortschritt, Globalisierung, Kli­
mawandel, Digitalisierung und der
demografische Wandel, um ein paar Schlag­
worte zu nennen. Veränderungen, die auch
uns als Versicherungsunternehmen betref­
fen, denn wir schützen die Menschen vor
den Risiken und Unsicherheiten, welche mit
dem Fortschritt weiter gestiegen sind.
Innovation und weiterer technischer Fort­
schritt werden sowohl unsere Lebenserwar­
tung als auch die Lebensqualität weiter
steigen lassen. Weltweit wird sich die Anzahl
von Menschen über 65 Jahren bis 2050
verdreifachen – auf dann 1,5 Milliarden.
Gleichzeitig pendelt sich die Anzahl junger
Menschen im gleichen Zeitraum bei rund
1,3 Milliarden ein. Der demografische Wan­
del verändert die Altersstruktur unserer
Gesellschaft also massiv. Über die Auswir­
kungen, die dieser Trend beispielsweise für
die private und öffentliche Altersvorsorge
mit sich bringt, wurde bereits viel geschrie­
ben und geforscht.
Schrumpfende Bevölkerung
Die alternde und gleichzeitig schrumpfende
Bevölkerung wird vor allem in den westlichen
Industrienationen einen erheblichen Einfluss
auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit
haben. Es muss also verstärkt Aufmerk­
samkeit auf die Frage gelenkt werden, wie
Unternehmen künftig mit einer alternden
und zum Teil schrumpfenden Belegschaft
umgehen werden. Manche Länder wie die
Schweiz oder Schweden sind sehr erfolg­
reich darin, die erwerbsfähige Bevölkerung
zwischen 25 und 54 Jahren in den Arbeits­
markt zu integrieren. 2013 standen in
beiden Ländern mehr als 90 Prozent dieser
Altersgruppe dem Arbeitsmarkt zur Verfü­
gung.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäu­
schen, dass auch hierzulande der Fachkräf­
temangel weiter zunehmen wird. Für die
Unternehmen wird es also verstärkt darauf
ankommen, den Fachkräftebedarf durch
junge Nachwuchskräfte und gezielte Zu­
wanderung zu decken und in die Aus- und
Weiterbildung der älteren Mitarbeitenden zu
investieren, um auch künftig wettbewerbs­
fähig zu bleiben. Gleichzeitig muss der Fo­
kus verstärkt auf flexiblere Arbeitszeitmo­
delle gerichtet werden, um dem steigenden
Bedürfnis nach einer verbesserten WorkLife-Balance entgegenzukommen; ein As­
pekt, der auch für die sogenannte Genera­
tion Y, also der zwischen 1980 und 1995
Geborenen, bereits eine grosse Rolle spielt.
Rasant verändern werden sich aber auch
das Verhalten und die Bedürfnisse der Kon­
sumenten, denn sie leben immer gesünder
und sie werden länger leben als jemals
zuvor. Halten wir uns einmal vor Augen, dass
inzwischen − unter anderem in Zürich −
daran geforscht wird, menschliche Organe
wie die Haut mithilfe eines 3D-Druckers aus
Originalzellen zu replizieren. Digitale Arm­
bänder, die unsere Schritte zählen und un­
seren Schlaf vermessen, können uns dabei
unterstützen, ein bewussteres und damit
gesünderes Leben zu führen. Was bedeutet
das für die solidarische Versicherung von
Krankheitsrisiken?
Mehr als die Hälfte der Konsumausgaben
fallen in vielen westlichen Ländern bereits
heute auf die Generation der über 50-Jäh­
rigen – die sogenannten Babyboomer.
Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich
die ältere Generation von heute von der im
Jahr 2030 hinsichtlich Konsumverhalten und
Aktivitäten noch einmal deutlich unterschei­
den wird. Der Umgang mit neuen Techno­
logien und dem Internet wird immer selbst­
verständlicher. Neue Technologien werden
uns dabei helfen, bis ins hohe Alter mobil
zu sein. So erwarten Allianz-Experten, dass
Länger und gesünder leben: Das Konsumentenverhalten wird sich verändern.
selbstfahrende Autos bereits in zehn Jahren
zum normalen Strassenbild gehören. Aber
wer haftet bei Unfällen mit autonomen Fahr­
zeugen? Und wenn es der Hersteller ist: Wie
sieht die Police aus, die ihn versichert?
Mit anderen Worten: Wir als Versicherer sind
gefordert, den Wandel aktiv mitzugestalten
und Antworten auf die Risiken, aber auch
Chancen der Zukunft zu finden. Auf der einen
Seite natürlich über moderne und bedarfs­
gerechte Versicherungs- und Vorsorgelösun­
gen für unsere Kunden. Auf der anderen
Seite aber auch, indem wir unserer gesell­
schaftlichen Verantwortung gerecht werden
und mit allen Anspruchsgruppen einen
Quelle: ZVG
lösungsorientierten Dialog über die künftigen
Herausforderungen suchen. Beim Kampf
gegen die steigenden Kosten des Klimawan­
dels ist es zum Beispiel sinnvoll, über neue
Siedlungskonzepte nachzudenken.
Hier hilft uns wieder der Blick in die Vergan­
genheit. Denn gemeinsam mit unseren Kun­
den, der Wissenschaft und anderen Organi­
sationen haben wir in 125 Jahren viel
Wissen für Risikolösungen aufgebaut; ein
Wissen, das uns und unsere Kunden bei
der Bewältigung dieser Herausforderungen
unterstützt.
* Severin Moser ist CEO der Allianz Suisse.
SEF.2015
8
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Gute Ideen finden Kapital
2014 haben Schweizer Startups über 450 Millionen Franken gesammelt
Investitionssumme pro Kanton
ZH
129,4 Mio. CHF
BS
40 Mio. CHF
SZ
4,5 Mio. CHF
VD
200,8 Mio. CHF
GR
4,4 Mio. CHF
GE
60,8 Mio. CHF
TI
4,6 Mio. CHF
Übrige Schweiz zusammen
12,7 Mio. CHF
Hoch hinaus: Die Investitionssummen pro Kanton zeigen, dass die Waadt und Genf mehr Risikokapital angezogen haben als alle anderen Kantone zusammen. Die Schweizer Gründer- und
Jungunternehmerszene floriert.
Eine Schlüsselstellung nehmen
Investoren ein, die den Startups
in der Früh- und Expansions­
phase Risikokapital zur
Verfügung stellen.
Stefan Kyora
Geld brauchen alle Gründerinnen und Grün­
der. Es müssen Büros gemietet, Betriebsmit­
tel gekauft und Lieferanten bezahlt werden.
Wenn die eigenen Ersparnisse nicht reichen,
bohren die angehenden Unternehmer Freun­
de, Bekannte und Familienmitglieder an. Der
Angelsachse spricht von «friends, fools and
familiy». In den allermeisten Fällen bleibt es
bei dieser Form der finanziellen Unterstüt­
zung. Sie muss reichen bis zum Erreichen
der Gewinnschwelle. Geht das Geld vorher
aus, wird die Übung abgebrochen. Es sei
denn, dem Gründer gelingt es, externes Ei­
genkapital einzusammeln; bei ehemaligen
Unternehmern (Business Angels) oder pro­
fessionellen Venture-Capital-Fonds. Diese
Investoren glauben an das Projekt und rech­
nen sich Chancen aus, ihren finanziellen
Einsatz in einem Zeitraum zwischen zwei und
zehn Jahren zu vervielfachen.
Grundsätzlich finden solche Transaktionen in
allen Branchen statt; gehäuft jedoch dort, wo
ein hoher Innovationsdruck dafür sorgt, dass
neue und verbesserte Produkte rasch einen
markanten Marktanteil erreichen; namentlich
in der Informationstechnologie (ICT), in der
Bio- und Medizinaltechnik (Life Sciences)
sowie neuerdings auch in der Umwelttechnik.
Einen Überblick über das Finanzierungsge­
schehen in der Schweiz liefert der Swiss
Venture Capital Report 2014, herausgegeben
vom Newsportal startupticker.ch in Zusam­
menarbeit mit dem Investorenverband SECA.
Am meisten Geld floss im vergangenen Jahr
in Startups aus den beiden Life-SciencesBranchen Medizinaltechnik und Biotech;
insgesamt rund 350 Millionen Franken, was
rund drei Vierteln des in der Schweiz inves­
tierten Venture Capitals entspricht.
Gründe für dieses Übergewicht gibt es einige
und sie haben alle damit zu tun, dass die
Biotech/Pharma-Industrie beziehungsweise
die Medizinaltechnik in der Schweiz eine
grosse Reife aufweisen. Was die Biotechno­
logie betrifft, so haben mit Novartis und
Roche zwei der weltgrössten Player ihren
Hauptsitz in der Schweiz. Eine erhebliche
internationale Ausstrahlung hat auch die
einheimische Medtechbranche; ausserdem
stellt sie mit Hansjörg Wyss – Synthes −
oder Willy Michel – Ypsomed− herausragen­
de und beispielgebende Gründerpersön­
lichkeiten.
Rückgang bei ICT
Ganz anders in der ICT-Branche. In der In­
formatik ist die Schweiz von Klein- und
Kleinstfirmen geprägt. Viele Unternehmen
sind zudem auf den Binnenmarkt ausgerich­
tet, weil für eine kraftvolle internationale
Expansion die Spezialisten fehlen. Entspre­
chend machten die Investments in ICT-Firmen
im vergangenen Jahr nur 19 Prozent der
Gesamtsumme aus. Damit liegt schon zum
zweiten Mal in Folge ein Rückgang vor. Die
insgesamt investierte Summe sank von 92
Millionen auf 86,3 Millionen Franken.
Auffällig ist die Verteilung der investierten
Gelder nach Regionen. Zürich liegt klar vorn
mit 43 Finanzierungsrunden, gefolgt von der
Waadt mit 21. Insgesamt haben die beiden
führenden Kantone an Gewicht gewonnen.
Betrug ihr Anteil am Total der Finanzierungs­
runden 2013 noch 59 Prozent, waren es 2014
70 Prozent.
Der Grund für die wachsende Distanz zwi­
schen Zürich und der Waadt auf der einen,
und dem Rest der Schweiz auf der anderen
Seite ist die ETH Zürich beziehungsweise die
École polytechnique fédérale de Lausanne
(EPFL). Gemäss Studien entfernen sich junge
Hightech-Gründer durchschnittlich 20 Kilo­
meter von der Hochschule, an der sie ihre
Ausbildung genossen haben. Insofern er­
staunt es nicht, dass die ETH-Standortkan­
tone Zürich und Waadt im Ranking weit
vorne liegen.
Erstaunlich ist jedoch, dass in puncto Finan­
zierungsvolumen die Waadt mit 200,8 Milli­
onen Franken erstmals vor Zürich liegt. Der
Startup- und Finanzierungsboom am Genfer­
see hat zweifellos mehrere Treiber, der wich­
tigste heisst jedoch Patrick Aebischer. Dem
EPFL-Präsidenten ist es in den letzten 15
Jahren gelungen, die kleine Schwester der
ETH Zürich unter den besten Universitäten
Quelle: eigene Darstellung / ©Monika Hunácková / www.fotolia.com
der Welt zu etablieren. Gleichzeitig hat er es
geschafft, akademische Exzellenz und Aus­
richtung an den Bedürfnissen der Industrie
unter einen Hut zu bringen.
Dynamische Ballungsräume
Ganz generell hat sich die Konzentration auf die
starken Kantone weiter verstärkt. Startups aus
den vier Kantonen Waadt, Zürich, Genf und
Basel-Stadt generierten insgesamt 431 Millionen
Franken. Dies sind 94 Prozent der insgesamt
geflossenen Gelder. 2013 hatte der Anteil dieser
führenden Kantone lediglich 76 Prozent betra­
gen. In der deutschen und italienischen Schweiz
liegt der Kanton Zürich mit investierten 129,4
Millionen Franken vorne; gefolgt von Basel-Stadt
mit 40 Millionen Franken. Die übrigen drei be­
deutenden Kantone – Tessin, Schwyz und Grau­
bünden – totalisieren 13,5 Millionen Franken;
ungefähr gleich viel wie 2013.
Mio. CHF
Ein Wort noch zu dem, was in der Sprache der
Risikokapitalinvestoren «Exit» heisst. Die Rede
ist vom Verkauf eines finanzierten Startups an
eine Grossfirma oder via Börsengang an die
Gemeinschaft der Anleger. 2014 kam es zum
ersten Mal nach über zehn Jahren wieder zu
Initial Public Offerings (IPO) von Schweizer
Hightech-Startups an der SIX in Zürich. Es han­
delt sich um die Zürcher Biotechfirma Molecu­
lar Partners sowie die Tessiner Internetfirma
Bravofly Rumbo Group. Die Zuger Auris Medical
wählte für den Börsengang die New Yorker
NASDAQ. Daneben fand eine ganze Reihe von
Trades Sales an Grossfirmen statt. Nicht weni­
ger als elf Firmen gingen an amerikanische
Käufer mit teilweise klingenden Namen wie
Google oder Johnson & Johnson. Aber auch
etablierte Unternehmen aus Kanada, Deutsch­
land, Russland und China sicherten sich via
Übernahmen Technologien, die in der Schwei­
zer Startup-Szene entwickelt wurden.
Mio. CHF
200
2012
2013
2014
500
400
150
300
100
200
50
100
0
Biotech
Medtech
Healthcare IT
Investiertes Kapital in Schweizer Startups. 0
ICT
Cleantech
2012
Quelle: eigene Darstellung
Anzahl Finanzierungsrunden.
2013
2014
Quelle: eigene Darstellung
SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
9
Überzeugende Wachstumsstrategie
Warum die Winterthurer Jungbrauerei Doppelleu ein «SEF.High Potential KMU» ist
Nicht nur Hightech-Firmen
brauchen Wachstumskapital:
Die junge Winterthurer Brauerei
Doppelleu erhielt einen
Leasingkredit über fünf Millionen
Franken. Möglich machte es die
Wachstumsinitiative SEF4KMU.
Jost Dubacher
Doppelleu-Chef Philip Bucher zeigt auf die
Paletten neben der Abfüllanlage: «So kom­
men die Harassen raus: fixfertig für die
Spedition.» 14 verschiedene Biere braut
Bucher zurzeit. Ausschliesslich obergärige
Spezialitätenbiere wie das India Pale Ale,
ein Red Ale oder ein Ale, das den belgischen
Trappistenbieren nachempfunden ist.
Unter Brauern werden solche Spezialitäten
als «Craftbeers», als handwerklich produ­
zierte Biere bezeichnet. In den USA haben
sie bereits einen Marktanteil von gegen zehn
Prozent, in der Schweiz liegt der entspre­
chende Wert erst zwischen zwei und drei
Prozent, aber er wächst stark; wobei die
Nachfrage bis vor wenigen Jahren praktisch
ausschliesslich mit Importbieren gedeckt
wurde.
Beliebt ist beispielsweise das amerikanische
Sierra Nevada Pale Ale; viele Jahre eines der
persönlichen Favoriten von Philip Bucher.
«Und irgendeinmal», erinnert er sich, «habe
ich mich gefragt, weshalb wir solche Biere
nicht auch in der Schweiz herstellen.» Der
heute 41-jährige Maschineningenieur ETH
stellte Marktrecherchen an und kam zum
Schluss, dass nichts dagegen sprach. Er
kündete seine gut dotierte Stelle als Mar­
ketingleiter des Sanitärkonzerns Geberit und
bezog im September 2012 zusammen mit
dem drei Jahre älteren Jörg Schönberg,
bis dahin Vertriebsleiter bei einem Zürcher
Online-Verlag, eine Produktionshalle im
Winterthurer Osten.
Von 2000 auf 15 000 Hektoliter
Unterdessen ist die Rechnung aufgegangen.
Im März 2013 verkauften die beiden Jung­
brauer die erste Ladung Bier. Im Verlauf des
Jahres sind 2000 Hektoliter (hl) dazuge­
kommen und schon 2014 setzte Doppelleu
gut sieben Mal mehr ab − nicht weniger
als 14 000 hl. Produziert wird das Sortiment
in der nagelneuen Brau- und Abfüllanlage,
die erst seit wenigen Tagen voll in Betrieb
ist. Fünf Millionen Franken hat das System
gekostet und finanziert haben es Bucher
und Schönberg mit einem Leasingkredit
der UBS.
«Normalerweise», weiss Philip Bucher,
«bekommt man als Startup im dritten Ge­
schäftsjahr keinen Fünf-Millionen-Kredit».
Dass es trotzdem klappte, hat er SEF4KMU,
einer Wachstumsinitiative des Swiss Econo­
mic Forum (SEF), der UBS und der Allianz
Suisse zu verdanken. Die Experten des SEF
durchleuchteten Doppelleu, verliehen der
Brauerei schliesslich das Label «High Poten­
tial KMU» und verschafften ihr so bei der
UBS den Zugang zu einer massgeschneider­
ten Finanzierung. Ohne den Leasingdeal wäre
es bei Doppelleu in den kommenden Mona­
ten eng geworden. «Wir hätten nicht mehr
alle Kunden bedienen können», sagt Bucher.
Und Lieferausfälle sind das Schlimmste, was
einem Startup passieren kann.
Führende Craftbeer-Brauerei
Nun sind diese Sorgen vom Tisch. Doppel­
leu kann seine Stellung als führende
Craftbeer-Brauerei der Schweiz weiter
ausbauen. Schon heute sind 5 der 20 Mit­
arbeiter Vollzeit als Aussendienstler unter­
wegs.
Die Absatzstrategie setzt auf zwei Kanäle;
zum einen auf den Detailhandel, der die
Spezialitätenbiere aus Winterthur in der
ganzen Deutschschweiz führt; zum anderen
auf den regionalen Getränkehandel, der
neben den Endkunden auch den Fachhan­
del sowie die Gastronomie beliefert.
«Abgesehen vom Rampenverkauf hier in
Winterthur machen wir keinen Direktver­
trieb», sagt Philip Bucher. Freude an dieser
strategischen Ausrichtung haben nament­
lich die Getränkehändler. Sie müssen nicht
befürchten, im Erfolgsfall übergangen zu
werden und übernehmen im Gegenzug die
regionale Feinverteilung des DoppelleuSortiments.
Die Folge: Doppelleu hatte nie hohe Inves­
titionen in die Lieferlogistik zu stemmen und
konnte den Ausstoss mit vergleichsweise
geringen finanziellen Lasten hochfahren:
«Unser Geschäftsmodell ist ausgezeichnet
skalierbar», sagt Jungbrauer Bucher; ein
Aspekt des Geschäftsmodells, das auch den
Experten des SEF gefallen habe.
So kommt es, dass Schönberg und Bucher
trotz der vergleichsweise hohen Schulden­
last im Geschäftsjahr 2015 zum ersten Mal
schwarze Zahlen schreiben werden.
Zumindest ein Teil des Ertrags wird wieder
in den Ausbau der Produktionskapazität
fliessen. Die jetzige Anlage hat einen ma­
ximalen Ausstoss von 35 000 hl. Mit zuge­
bauten Lagertanks könnte die Kapazität auf
über 80 000 hl gesteigert werden. Philip
Bucher: «Im Moment sind wir daran, die
Baueingabe vorzubereiten.»
Geniale Bieridee: Die Jungbrauer Jörg Schönberg (l.) und Philip Bucher.
Quelle: ZVG
Den Werkplatz Schweiz stärken
Wie das Swiss Economic Forum mit Unternehmern und Partnern das Wachstum fördert
Wegen der härter werdenden
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bauen das Swiss Economic Forum und seine Partner das
Projekt SEF4KMU weiter aus. Ziel
ist die Stärkung des Werkplatzes
Schweiz nach dem Prinzip
«Unternehmer für Unternehmer».
Peter Stähli *
Die anhaltende Frankenstärke und die Auswir­
kungen der Negativzinsen sind für viele Bran­
chen der Schweizer Wirtschaft herausfordernd.
Die sich wandelnden Businessmodelle und der
Preis- und Margendruck bedürfen einer noch
stärkeren Innovationskraft, Flexibilität und Stei­
gerung der Produktivität. Für KMU und Jung­
unternehmen ist es in diesem schwierigen
Umfeld wichtiger denn je, ihre Wachstumsstra­
tegie dauernd zu hinterfragen, anzupassen und
erfolgreich umzusetzen.
Unternehmer für Unternehmer
Zusammen mit dem Gründungspartner UBS
hat das Swiss Economic Forum (SEF) vor drei
Jahren die Initiative SEF4KMU lanciert. Diese
erlaubt es KMU und Jungunternehmen, ihre
Wachstumspläne mit unabhängigen Experten
und Unternehmern aus dem SEF-Netzwerk zu
diskutieren und zu prüfen. Besonders erfolgreich
war bisher der Ansatz, dass sich Unternehmer
für Jungunternehmer und KMU engagieren und
ihre langjährige Branchenerfahrung einbringen.
In den vergangenen Jahren haben sich über 50
Unternehmer registriert, die sich als Experten
und Sparringpartner zur Verfügung stellen. Dank
ihnen können die Diskussionen um die Eck­
pfeiler der Unternehmensstrategien sehr pra­
xisorientiert und zielgerichtet geführt werden.
Rund 300 KMU und Jungunternehmen haben
sich im Verlauf der letzten beiden Jahre auf der
SEF4KMU-Plattform gemeldet. Bei 70 Unter­
nehmen wurde eine vertiefte Strategieüberprü­
fung durchgeführt und ein Report erstellt.
26 Unternehmen wurden schliesslich mit einem
Qualitätslabel ausgezeichnet. Der ganze
Prozess von der Strategieüberprüfung bis zur
Erteilung des Labels ist durch die SQS zertifi­
ziert und erfüllt einen hohen Qualitätsstandard.
Im Rahmen von SEF4KMU konnten bisher über
55 Millionen Franken Wachstumskapital ver­
mittelt werden. Rund ein Viertel wurde dabei
durch Fremdkapitalfinanzierungen der UBS
abgedeckt, die anderen drei Viertel durch Ei­
genkapital von mehrheitlich über die UBS
eingeführten Investoren. Die Allianz unterstützt
die Unternehmen im Bereich des Risikoma­
nagements und mit auf Wachstumsbedürfnis­
se ausgerichteten Versicherungslösungen.
Kräfte bündeln
Vor dem Hintergrund schwieriger werdenden
Rahmenbedingungen wird die Initiative
SEF4KMU nun dank dem zusätzlichen En­
gagement der Partner Swissmem und Ins­
titut für Geistiges Eigentum (IGE) weiter
ausgebaut. Auf einer Onlineplattform können
sich interessierte Unternehmer, Investoren
und Partner noch besser vernetzen und an
der SEF4KMU-Initiative partizipieren. Ge­
meinsam mit den anderen Partnern ver­
spricht sich namentlich Swissmem, der
Verband der Maschinen-, Metall-, und Elek­
troindustrie, davon eine nachhaltige Stärkung
des Werk- und Denkplatzes Schweiz.
* Peter Stähli ist Gründer und CEO des Swiss Economic Forum.
www.sef4kmu.ch
SEF.2015
10
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
«Verunsicherung in der Wirtschaft wächst»
Wie der Bund dem drohenden Fachkräftemangel vorbeugen will
Er leitet die Direktion für Arbeit
beim Staatssekretariat für
Wirtschaft Seco. Der Ökonom
Boris Zürcher über die möglichen
Folgen der Masseneinwanderungsinitiative und die Vorteile
eines liberalen Arbeitsmarktes.
Interview: Jost Dubacher
Sie kommen direkt aus Riga, wo eine europäische Konferenz von Arbeitsministern
stattgefunden hat. Wie haben Sie sich dort
als Schweizer gefühlt?
Ausgezeichnet natürlich. Denn verglichen mit
den meisten anderen europäischen Ländern,
herrschen bei uns paradiesische Zustände.
Wir haben praktisch Vollbeschäftigung
und der Arbeitsmarkt ist ausserordentlich
dynamisch.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt eine Zahl, die mich fasziniert: In der
Schweiz treten jedes Jahr rund 500 000
Menschen eine neue Stelle an; das sind fast
10 000 pro Woche. Die einen steigen intern
auf, die anderen wechseln den Arbeitgeber und
die dritten kehren aus einer vorübergehenden
Arbeitslosigkeit ins Erwerbsleben zurück. Es
herrscht eine enorme Dynamik, und das spricht
für den Elan unserer gesamten Wirtschaft.
Trotzdem geht Ihnen die Arbeit nicht aus:
Sie koordinieren die nationale Fachkräfteinitiative (FKI). Wo liegt das Problem?
Lassen Sie sich mich kurz ausholen: Grund­
sätzlich hat die Schweiz einen ökonomischen
Fussabdruck, der grösser ist als ihre Bevölke­
rung. Deshalb waren wir seit dem Ende des
Zweiten Weltkrieges praktisch konstant auf die
Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte an­
gewiesen; so auch nach der Stagnationsphase
Anfang und Mitte der Neunzigerjahre. Damals
setzte ein rasanter Strukturwandel ein. Die
Volkswirtschaft bewegte sich innerhalb der
internationalen Wertschöpfungspyramide nach
oben. Die Folge war eine starke Nachfrage nach
höher qualifizierten Arbeitnehmern …
löhne immer noch unter dem Vorkrisenniveau
liegen.
Trotzdem hat das Volk die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) angenommen. Hat es
mutwillig ein Erfolgsmodell verabschiedet?
Erstaunlich ist auf jeden Fall, dass der Arbeits­
markt in den Diskussionen vor dem 9. Februar
kaum eine Rolle spielte. Es ging vor allem um
wahrgenommene Engpässe in der Infrastruktur
wie knapper Wohnraum.
… die der Abschluss des Abkommens über
die Personenfreizügigkeit (PFZ) mit der EU
befriedigte.
Richtig.
Lassen sich auf dem Arbeitsmarkt schon
Folgen des neuen Verfassungsartikels 121a
erkennen?
Generell stellen wir fest, dass bei den Unterneh­
mern eine zunehmende Verunsicherung
herrscht. Denn je nach Art und Weise der Um­
setzung der MEI wird es wohl zu einer mehr
oder minder markanten Verschärfung des bereits
angesprochenen Fachkräftemangels kommen.
Was war der Vorteil der PFZ gegenüber dem
vorher bestehenden Drei-Kreise-Modell?
Der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften
wurde neu von den Unternehmen und nicht
mehr vom Staat gesteuert. Die PFZ war insofern
eine liberale Lösung und sie hat ausgezeichnet
funktioniert. Die Schweiz ist ohne grosse Schä­
den durch die Weltwirtschaftskrise der Jahre
2008 und 2009 gekommen. Dies im Gegensatz
zu den Mittelmeerländern, aber auch zu Ländern
wie Grossbritannien, in denen die Durchschnitts­
Was geschieht, wenn die MEI strikt umgesetzt wird und sich ein Graben auftut zwischen dem Bedarf an Arbeitskräften und
dem realen Angebot?
In gewissen Branchen – zum Beispiel im Ge­
sundheitswesen – wären wir gezwungen, ent­
weder die Leistungen zu reduzieren oder die
Produktivität zu erhöhen; wobei ich mir nicht
sicher bin, wie die Bevölkerung auf eine «In­
dustrialisierung» von Spitälern und Heimen
reagieren würde.
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Boris Zürcher warnt: «Das Beschäftigungswachstum bei Staat und den staatsnahen
Einrichtungen sollte nicht ungebremst weitergehen.» Wie sieht es bei den exportorientierten
Branchen aus?
Die Unternehmen müssten vermehrt dort in­
vestieren, wo es auch genügend Arbeitskräfte
gibt: im Ausland. Wir sehen schon heute, dass
die Investitionsneigung in der Schweiz sinkt.
Dem will der Bundesrat mit der FKI, die auf eine
verbesserte Ausschöpfung des inländischen
Arbeitskräftepotenzials abzielt, gegensteuern.
Die FKI wurde bereits anderthalb Jahre vor
der Abstimmung über die MEI gestartet.
Was waren damals die Beweggründe?
Wir stehen vor einer demografischen Umwäl­
zung. Ich selber habe Jahrgang 1964. Ich
gehöre damit zur grössten Alterskohorte, die
dieses Land je gesehen hat. Nach 1964 sind
die Jahrgänge geschrumpft und haben sich auf
tiefem Niveau eingependelt. Noch steht meine
Generation mitten im Arbeitsprozess, aber das
wird sich ändern. Wenn ich und meine Alters­
genossen in Pension gehen werden, wird das
Land massiv an gut ausgebildeten Arbeitneh­
mern verlieren.
Wie wichtig ist die FKI für den Bundesrat?
Ich kann nur für das Eidgenössische Departe­
ment für Wirtschaft, Bildung und Forschung
WBF sprechen: Bei uns gehört die FKI neben
den Massnahmen zur Abmilderung der Folgen
der Frankenstärke zu den wichtigsten Projekten;
wobei die Annahme der MEI die Dringlichkeit
noch einmal erhöht hat.
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Was ist konkret im Tun?
Wir haben vier Handlungsfelder identifiziert.
Erstens die Höherqualifizierung der einheimi­
schen Arbeitskräfte, namentlich in den beson­
ders gefragten Bereichen Mathematik, Infor­
matik, Naturwissenschaften und Technik (MINT).
Dazu kommt – zweitens− die Verbesserung
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie; dann
– drittens − die Schaffung guter Bedingungen
zur Erwerbstätigkeit für ältere Arbeitnehmende
sowie viertens die Förderung von Innovationen
in besonders arbeitsintensiven Bereichen wie
dem Gesundheitssektor.
Wo steht man auf diesen vier Handlungsfeldern? Oder anders gefragt: Welche Projekte befinden sich bereits in der Umsetzung?
Bereits verabschiedet ist der Bundesbeschluss
über die Krippenfinanzierung. Das neue Berufs­
bildungs- und Weiterbildungsgesetz ist in der
Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung
und Innovation (BFI) 2013 bis 2016 enthalten;
es wird kommen. Weiter geht es etwa darum,
die sogenannte Heiratsstrafe für Doppelverdie­
ner abzuschaffen.
Klingt alles wenig spektakulär.
Es gibt keine Wunderwaffe, mit der sich alle
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Quelle: ZVG
Ziele auf einmal erreichen liessen. Nehmen wir
zum Beispiel die 500 000 Menschen in diesem
Land, die keine überobligatorischen Abschlüs­
se vorweisen können. Sie bilden eine stille
Begabungsreserve, die man aber nicht über
Nacht aktivieren kann. Bei der FKI geht es um
die Bündelung und Intensivierung von Mass­
nahmen bereits bestehender Initiativen; und
zwar in enger Zusammenarbeit mit den Sozi­
alpartnern und den Kantonen.
Die Statistik sagt, dass 70 Prozent des Beschäftigungszuwachses seit 2008 auf das
Konto des Sozial-, Gesundheits- und Erziehungswesens sowie auf die öffentliche
Verwaltung fielen. Wurde da nicht ein Fachkräftemangel auf Kosten des Steuerzahlers
organisiert?
Man muss sehen, dass wir in den letzten Jah­
ren eine Nettozuwanderung von 80 000 Per­
sonen hatten. Seit 2012 ist die Bevölkerung
um einen mittelgrossen Kanton angewachsen.
Dass damit auch die Ausgaben für Erziehung,
Gesundheit und Verwaltung zunehmen, scheint
mir logisch. In einem Punkt gebe ich Ihnen
allerdings recht: Das Beschäftigungswachstum
bei Staat und den staatsnahen Einrichtungen
sollte nicht ungebremst weitergehen. Sonst
entsteht auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine
ungesunde Konkurrenz mit der privaten Wirt­
schaft.
Gerade mittelständische Unternehmen
beklagen eine Fehlsteuerung im Bildungswesen. Anstatt Informatiker und Techniker
würden zu viele Sozial- und Geistes­
wissenschaftler ausgebildet. Ist da etwas
dran?
Es bringt meiner Meinung nach nichts, die
akademischen Bildungsgänge gegeneinander
auszuspielen. Die Schweiz kennt den Grundsatz
der freien Studienwahl und sie ist gut gefahren
damit.
Ein anderer wiederkehrender Kritikpunkt
aus Unternehmerkreisen ist die Maturitätsquote von über 20 Prozent. Namentlich
die fertigende Industrie hat Mühe, ihre
anspruchsvollen Lehrlingsstellen zu
besetzen …
Das Bildungswesen ist Sache der Kantone, nicht
des Bundes. Grundsätzlich gilt aber auch hier,
dass man in einer liberalen Gesellschaft nie­
manden zwingen kann, einen bestimmten
Berufsweg einzuschlagen. Dazu kommt, dass
wir trotz der vermeintlichen Akademiker­
schwemme kaum Akademikerarbeitslosigkeit
haben. Die Wirtschaft scheint diese Leute zu
brauchen. Das beweisen auch unsere Zahlen
zu den Arbeitskräften, die Schweizer Unterneh­
men im Ausland rekrutieren: 60 Prozent dieser
Leute verfügen über einen Bachelor oder
Masterabschluss.
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
SEF.2015
11
«Das Ziel heisst Resilienz»
Warum die BKW auf Energie- und Infrastrukturdienstleistungen setzt
Für die Stromproduzenten ist
die Energiewende nicht nur
eine technische, sondern auch
eine unternehmerische Herausforderung. BKW-Chefin Suzanne
Thoma über schwankende
Strompreise, Kundenorientierung
und neue Geschäftsfelder in der
Gebäudetechnik.
Interview: Saraina von Grünigen
Die Energiebranche hat schon einfachere Zeiten gesehen, jetzt beklagen viele
die wachsende Komplexität des Marktes. Macht Ihnen das auch Sorgen?
Sorgen ist vielleicht nicht der richtige Aus­
druck, aber wir machen uns natürlich Ge­
danken, wie wir mit Komplexität umgehen
und daraus Nutzen ziehen können. Bei der
BKW ist das diesjährige Konferenzthema
des Swiss Economic Forum «Simplicity»,
eines der Kernthemen. Es gehört zu den
Positionierungsstatements unserer Marke.
Aber glauben Sie mir, für die Umsetzung
braucht es eine Menge Energie und Geduld.
Wo liegen die wesentlichen Hindernisse? Man sollte doch meinen, Einfachheit
spricht allen aus dem Herzen.
Das ist grundsätzlich richtig, aber auch eine
Veränderung zur Einfachheit ist eine Ver­
änderung. Das bedeutet, man muss be­
währte Methoden und Vorgehensweisen
umstellen und sich an neue Prozesse ge­
wöhnen. Zunächst einmal wird alles schein­
bar komplizierter.
Das klingt nach Hausaufgaben für die
Führungskräfte im Unternehmen.
Eindeutig ja. Wir arbeiten intensiv daran.
Wir müssen unsere Mitarbeitenden befähi­
gen und motivieren, mehr Verantwortung
zu übernehmen. Unsere Führungskräfte
werden diese Übernahme von Verantwor­
tung einfordern. Dafür müssen sie den
Mitarbeitenden natürlich die notwendigen
Freiräume gewähren. Für manche ist das
ungewohnt.
Die BKW baut sich gerade zu einem
Energie- und Infrastrukturdienstleister
um. Ist das der Königsweg, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
In dem komplexen und sich kurzfristig ver­
ändernden Umfeld, in dem wir uns bewegen,
streben wir als Unternehmen Robustheit
und Resilienz an. Schauen Sie sich die
Strompreise an. Keines der uns bekannten
Prognosemodelle hat eine so starke Abnah­
me der Grosshandelspreise vorausgesehen.
Der Königsweg – wenn Sie so wollen –
besteht darin, parallel zu den klassischen
Geschäftsfeldern, neue Geschäftsfelder
aufzubauen, die andere ökonomische Trei­
ber haben als der Strompreis. Dazu gehört
es auch, unsere Abhängigkeit von kurzfris­
tigen politischen Entscheiden zu verringern.
Da man die Produktion von Strom und das
Netzgeschäft als Dienstleistung verstehen
kann, bündeln wir die klassischen und die
neuen Geschäftsfelder unter dem Begriff
Energie- und Infrastrukturdienstleistungen.
her denken, und zwar auch dann, wenn es
sich um «High-Tech»-Produkte handelt.
Gleichzeitig müssen wir unsere internen
Prozesse und Strukturen auf Effektivität
und Effizienz trimmen. Wir haben in den
letzten zwei Jahren bei der BKW die Kosten
schon stark gesenkt, aber wir haben
noch Potenzial.
Können Sie die neuen Energie- und Infrastrukturgeschäftsfelder etwas konkretisieren?
Energie- und Infrastrukturdienstleistungen
ist ein sehr breiter Begriff und es stellte
sich die Frage, auf welche Segmente wir
uns konzentrieren wollen. Wir haben vier
zentrale Themenfelder gewählt, von denen
wir überzeugt sind, dass wir grossen Kun­
dennutzen stiften können: Asset Manage­
ment im Bereich erneuerbare Energie, Inf­
rastruktur- und Netzdienstleistungen,
dezentrale Energieproduktion und Kraft­
werksengineering. Insbesondere das Infra­
struktur- und Netzdienstleistungsgeschäft
basiert auf unseren heutigen Tochterfirmen
Arnold AG und ISP AG, die in diesem Seg­
ment schon sehr erfolgreich sind.
Der Aufbau des Geschäftsfeldes Dienstleistungen erfolgt auch über die Akquisition von Unternehmen im Marktbereich
Heizung, Lüftung, Klima und Sanitär, kurz
HLKS. Warum interessiert sich die BKW
für dieses Segment?
HLKS ist die optimale Ergänzung zu unserem
Dienstleistungsgeschäft, in dem wir 2014
bereits 300 Millionen Franken umgesetzt
haben. Viele Gebäude und deren Energie­
versorgung müssen saniert werden. Wir
haben erkannt, dass Gebäudetechnik,
Gebäudeinfrastruktur, Eigenversorgung
und Energieversorgung zusammenfliessen.
Auf diesen Gebieten sind wir stark. Ausser­
dem folgen wir mit unserem Engagement im
HLKS-Markt der Energiestrategie des Bundes.
Effizienz ist dort einer der Schwerpunkte –
und genau darum kümmern wir uns.
Welches ist die grösste Herausforderung
auf diesem Weg?
Die Kundenorientierung. Wir müssen alles,
was wir machen, konsequent vom Kunden
Die BKW hat im Geschäftsjahr 2014 ein
sehr gutes Ergebnis erzielt. Was machen
Sie besser als der Rest der Branche?
Wir sehen trotz aller Schwierigkeiten in der
Seit 2013 CEO der BKW: Suzanne Thoma.
Quelle: ZVG
aktuellen Marktsituation viele Chancen.
Unser Verwaltungsrat hat schon früh einen
Grundsatzentscheid zur Neupositionierung
der BKW gefällt und eine darauf aufbauen­
de Strategie verabschiedet. Nun setzen wir
alles daran, diese konsequent umzusetzen.
Die ersten Resultate lassen sich sehen. Im
Dienstleistungsbereich ist unser Umsatz um
20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist es
uns gelungen, die Kosten signifikant zu
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SEF.2015
12
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Im Banne des Frankens
Der 15. Januar 2015 und seine Folgen für Politik und Wirtschaft
Die Schweiz hat eine starke
Währung, weil ihre Unternehmen
in der Lage sind, sich immer wieder neu zu erfinden. Langfristig
funktioniert diese typisch schweizerische Erfolgsformel aber nur,
wenn sich auch die Politik ihrer
Verantwortung bewusst ist und
für attraktive Rahmenbedingungen sorgt.
Eric Scheidegger *
Der 15. Januar 2015 markiert einen denk­
würdigen Einschnitt in der Schweizer Wirt­
schaftsgeschichte: Die Schweizerische Nati­
onalbank (SNB) verkündet die Aufhebung des
Mindestkurses von 1,20 Franken pro Euro;
zugleich senkt sie den Negativzins für Gutha­
ben auf den Girokonten. Die Devisenmärkte
reagierten heftig auf diese im Grundsatz ab­
sehbare, aber zum damaligen Zeitpunkt den­
noch überraschende Entscheidung. Die Bör­
senverluste sind schon seit längerem wieder
korrigiert; ungewiss bleibt jedoch, wie die über
560 000 Unternehmen im Land auf die Wech­
selkursverschiebungen regieren werden. Si­
cher ist nur eines: Die Schweizer Wirtschaft
wird mit einer starken Heimwährung umzu­
gehen haben – und umzugehen wissen. Die
Wirtschaftspolitik muss ihr dazu die bestmög­
lichen Rahmenbedingungen bieten.
Ein starker Schweizer Franken gehört ebenso
zur modernen Schweiz wie die hochgradige
Exportorientierung der Wirtschaft; er prägt
gewissermassen die «Swissness» der Volks­
wirtschaft. In den letzten hundert Jahren leg­
te die Währung gegenüber den massgebenden
Währungen beeindruckend zu. 1914 war der
US-Dollar gut 5 Franken, das britische Pfund
25 Franken wert. Der stete Aufstieg der
Schweizer Währung ging Hand in Hand mit
der finanzpolitischen Disziplin und monetären
Stabilität, welche das Land seit vielen Jahren
als «sicheren Hafen» prägen – und in Zeiten
der internationalen Unsicherheit regelmässig
auch fordern. Unter dem Strich ist eine solide
Währung jedoch nicht Bürde, sondern Aus­
zeichnung der Standortattraktivität. Nur starke
Volkswirtschaften haben starke Währungen.
Schmerzliche Anpassungen
Natürlich sind allzu abrupte Aufwertungsschü­
be der Währung eine besondere Herausforde­
rung. Wenn ein ohnehin schon starker Franken
zum Euro innert Kürze um deutlich über zehn
Prozent im Wert steigt, bedeutet dies zwangs­
läufig eine starke Verschlechterung der Kon­
kurrenzfähigkeit Schweizer Unternehmen. Die
unerlässliche Anpassung an die neuerlich
erstarkte Heimwährung wird nicht ohne
schmerzliche Folgen sein. Vermehrte Meldun­
gen über Firmenverlagerungen oder -schlies­
sungen sind zu erwarten. Die Beschäftigungs­
entwicklung wird in den nächsten Monaten in
verschiedenen Regionen eingetrübt bleiben.
Genau genommen handelt es sich bei der
zurzeit beklagten Frankenstärke um eine
Schwäche des Euro. Die Aufwertung des Fran­
Konstanter Aufwärtstrend: Der Franken spricht für die Attraktivität des Standorts Schweiz. Quelle: ZVG
kens gegenüber dem US-Dollar oder dem
britischen Pfund hält sich in Grenzen. Trotzdem
bleibt die Geldpolitik der SNB für die weitere
Wechselkurs- und Wirtschaftsentwicklung
relevant; wobei deren Aufgabe durch das in­
ternationale Tiefzinsumfeld und die prognos­
tizierte negative Teuerung für die nächsten
zwei Jahre markant erschwert wird. Deshalb
ist auch die Wirtschaftspolitik gefordert.
Die wichtigste, wenn auch politisch unbeque­
me Devise lautet: Den unabwendbaren Struk­
turwandel nicht aufhalten. Bei einer anhalten­
den ausgeprägten Frankenstärke werden die
meisten Exportsektoren in den nächsten
Jahren einen intensiven Anpassungsprozess
durchlaufen müssen. Erfahrungsgemäss wer­
den dabei vor allem diejenigen exportorien­
tierten Wirtschaftsaktivitäten aus dem Markt
gedrängt, welche in der Schweiz eine verhält­
nismässig geringe Wertschöpfung erzielen
oder schon heute wenig wettbewerbsfähige
Leistungen erbringen. Dies ist kein Grund, die
Zukunft düster zu sehen: Die vergangenen
Jahre haben gezeigt, dass sehr viele Unter­
nehmen in der Lage sind, sich wiederholt neu
zu erfinden. Darin liegt die Innovationskraft
der Schweizer Wirtschaft.
Hilfe zur Selbsthilfe
Schöpferische Anpassung setzt jedoch be­
trieblichen Spielraum voraus. Die Wirtschafts­
politik muss deshalb den Firmen Bewegungs­
freiheit lassen, um die notwendigen
Anpassungen am Hartwährungsstandort
Schweiz vorzunehmen. Auch die Sozialpartner
müssen dafür gegenseitiges Verständnis auf­
bringen. Selbst wenn die Arbeitslosigkeit in
den kommenden Monaten ansteigen sollte,
muss der politischen Versuchung nach staat­
lichen Eingriffen in den Arbeitsmarkt wider­
standen werden. Der Schutz der Arbeitneh­
menden ist solid, bei unvermeidlichen
Entlassungen hilft eine leistungsfähige Arbeits­
losenversicherung.
Und schliesslich muss die Politik – gerade
angesichts der ungewissen Kursentwicklung
des Frankens − dringender denn je am Erhalt
der attraktiven Rahmenbedingungen arbei­
ten: am verlässlichen Rechtsrahmen als
Gegenstück zur administrativen Belastung
und der beklagten Häufung wirtschaftskriti­
scher Volksinitiativen; am Erhalt der bilate­
ralen Abkommen mit der EU; an der Stärkung
des Wettbewerbs in den binnenwirtschaftlich
orientierten Branchen; an der nachhaltigen
Finanzpolitik; an der Offenheit gegenüber
neuen Technologien; an der Weiterentwicklung
der hochwertigen (Forschungs-)Infrastruktur.
Die Liste liesse sich verlängern. Wichtig im
Wahljahr 2015 ist jedoch weniger die Lancie­
rung möglichst umfangreicher «Offensiven»;
diese haben kurzfristig wenig Aussicht auf
Umsetzung. Entscheidend wird sein, dass die
Politik in ausgewählten Schwerpunktdossiers
wie der Unternehmenssteuerreform III, der
Aktienrechtsrevision oder bei der Umsetzung
der Masseneinwanderungsinitiative Augen­
mass für den Erhalt der guten Rahmenbedin­
gungen zeigt. Im Bewusstsein um die gegen­
wärtige Verunsicherung ist es entscheidend,
mit politisch wegweisenden Entscheidungen
das Vertrauen der Unternehmen und ihren
Mitarbeitenden sowie der Investoren zu stärken.
* Eric Scheidegger, Seco, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik.
«Management by hope wäre fatal»
Drei Schweizer Wirtschaftsführer zur Frankenaufwertung
Zwischen Investitionsstopp und
Innovationsoffensive: Industrie
und Tourismus sind vom starken
Franken besonders betroffen.
Saraina von Grünigen
Leister AG
Bucher Industries
Christiane Leister,
Inhaberin und Präsidentin Verwaltungsrat
Anzahl Mitarbeitende: 680, davon
460 in der Schweiz
Philip Mosimann, CEO
Anzahl Mitarbeitende: 12 000, davon
1000 in der Schweiz
50 % Export-Anteil in Euro-Länder
30 % Export-Anteil in US-Dollar-Länder
80 % Export-Anteil in Euro-Länder
15 % Export-Anteil in US-Dollar-Länder
Tourismusdirektion Engadin St. Moritz
Ariane Ehrat, Torusimusdirektorin
Anzahl Mitarbeitende: 60
Über 50 % ausländische Kunden,
davon 42 % aus den Euro-Ländern
Inwiefern sind Sie vom Entscheid
der Schweizerischen Nationalbank
vom 15. Januar 2015 betroffen?
Die Leister-Gruppe exportiert 98 Prozent aller Produkte, die
in der Schweiz hergestellt werden, in mehr als 100 Länder.
Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt von folgenden Faktoren
ab: vom Franken-Wechselkurs, vom Lohnniveau der Schweiz
im Vergleich zum Euro- und US-Dollar-Raum und von den
Emerging Markets sowie administrativen Auflagen und Regu­
lierungen in der Schweiz. Wir verfolgen weiterhin eine Vor­
wärtsstrategie mit Wachstumszielen und müssen die Produk­
tivität erhöhen.
Den grössten Teil des Umsatzes von Bucher Industries machen
wir in Fremdwährungen. Die Umrechnung in Schweizer Franken
drückt den Umsatz um rund 10 Prozent und das Betriebsergeb­
nis um 15 Prozent. Beim Ergebnis sind auch die einmaligen
Neubewertungen von Lager und Debitoren enthalten. Hinzu
kommt der schwierig zu beziffernde Wert durch Preiskonzessi­
onen. Aufgrund der beschränkten Grösse unserer Produktions­
stätten in der Schweiz reduziert sich die Betriebesgewinnmarge
um nur 0,5 Prozent-Punkte.
Die Tourismusdestination Engadin St. Moritz hat im letzten
Winter die Folgen des Entscheides der Nationalbank
gespürt – dies trotz einem ausgezeichneten Start im
Dezember sowie guten Ostertagen. Wir rechnen mit einem,
nach 2011, weiteren Rückgang von Gästen aus den EuroLändern. Gleichzeitig dürfte der Anteil der in den letzten
Jahren zurückgewonnenen Schweizer Gäste wieder
zurückgehen.
Welche Massnahmen haben Sie
eingeleitet?
Aktuell stellen wir keinen Einbruch bei unseren Aufträgen fest,
da wir unseren Kunden je nach Land Währungsrabatte von
bis zu einem zweistelligen Prozentsatz gewähren. Damit wir
unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern können, haben Pro­
jekte mit Effizienzsteigerung höchste Priorität. Unsere Mitar­
beitenden haben sich bereit erklärt, freiwillig die Arbeitszeit
zu erhöhen. Von unseren Lieferanten erwarten wir sofortige
Massnahmen für wettbewerbsfähige Preise im Einkauf.
Als Sofortmassnahmen haben wir einen Investitions- und
Personalstopp verfügt. Freigaben in beiden Bereichen erfol­
gen ausschliesslich durch den Konzern-CEO. Im Bereich der
Kommunalfahrzeuge sind knapp 200 Personen von einer
Arbeitszeiterhöhung von 40 auf 43,75 Stunden pro Woche
ohne Anpassung der Löhne betroffen. Wir hoffen, diese
Mehrleistung – oder zumindest einen Teil davon – mit einer
Prämie kompensieren zu können.
Gemeinsam mit den Leistungsträgern haben wir bereits anläss­
lich der Eurokrise im 2011 attraktive Produkte eingeführt. Aktu­
ell haben wir On-Top-Massnahmen lanciert, die insbesondere
die Schweizer Gäste ansprechen. Es gilt nach wie vor, die Preis­
vorteile mit Angeboten wie «Bergbahnen inklusive» und «Hotel
und Skipass» zu kommunizieren. Wir wollen die erfolgreiche
Märkte-Diversifikation fortsetzen, ohne den Schweizer Markt zu
vernachlässigen. Die Gastfreundschaft hat grösste Bedeutung.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen
der Frankenstärke für die Schweiz
und Ihr Unternehmen in den
nächsten zwölf Monaten ein?
Die Aufwertung des Schweizer Frankens führt zu einer relevanten
Ergebnisreduktion. Die Einstellung neuer Mitarbeitenden und
Investitionen werden sorgfältig auf deren Notwendigkeit geprüft
und erfolgen bevorzugt für neue Wachstumsbereiche. Aufgrund
der Währungsrabatte können wir unsere globale Marktführerschaft
halten bzw. ausbauen. Zukünftige Standorte für weitere Wachs­
tumsprojekte werden unter Berücksichtigung der aktuellen Situ­
ation in der Schweiz auch für andere Länder geprüft.
Wir rechnen mit einem Eurokurs im Bereich der Parität mit dem
Schweizer Franken. Nach dem Quantitative easing (QE) der EZB
sind leider keine Anstrengungen der Euro-Länder bezüglich der
dringendst notwendigen Strukturreformen auszumachen. Die
Warnungen des EZB-Präsidenten Draghi, dass QE nur wirkt, wenn
die Regierungen ihre Hausaufgaben machen, blieb bisher ohne
jede Wirkung. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns
dieser Situation anzupassen. «Management by hope» wäre fatal.
Wenn der Kurs unterhalb der bisherigen Untergrenze bleibt,
wird vor allem in den Euro-Ländern die Wahrnehmung der
Schweiz als teures Ferienland weiter bekräftigt. Die Touris­
musorganisation Engadin St. Moritz bearbeitet 17 Märkte;
dies ermöglicht, verschiedene Markt-Schwerpunkte zu set­
zen. Eine konkrete Prognose für den kommenden Sommer
ist zurzeit noch nicht möglich: Die Gäste buchen immer
kurzfristiger.
Realistischer Wunschkurs:
1,05 bis 1,10 Eurokurs; 0,95 Dollarkurs
1,10 bis 1,15 Eurokurs; 0,90 bis 0,95 Dollarkurs
1,10 bis 1,15 Eurokurs; 0,95 Dollarkurs
SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
13
Sackgasse oder Weggabelung?
Ein Plädoyer für den bilateralen Weg
Alexis P. Lautenberg leitete die
Schweizerische Mission bei der
Europäischen Union und war
massgeblich an der Aushandlung
der bilateralen Verträge beteiligt.
Er warnt vor einem europapolitischen «Doppelfehler».
Alexis P. Lautenberg
Seit dem schweizerischen Antrag auf einen
Assoziationsvertrag mit der damaligen EWG,
anno 1961, entwickelt sich das Verhältnis
der Schweiz zur Europäischen Union (EU) in
Wellen. Die Bestimmungsfaktoren dieser
Wellen sind dabei erstens die innere Dyna­
mik der europäischen Konstruktion, zweitens
die Entwicklung des globalen Umfelds, drit­
tens die handelspolitische Vernetzung der
schweizerischen Wirtschaft sowie viertens
unsere nationale Befindlichkeit.
Brüche gab es in dieser Wellenbewegung
selten, aber es gab sie: Das Nein des Volkes
zum EWR-Beitritt vom Dezember 1992 stell­
te einen ersten solchen Bruch dar. Dieser
wurde gemeistert, indem in Gestalt des
ersten Pakets der Bilateralen ein Ausweg
gefunden wurde. Es war als Provisorium
gedacht, wurde dann aber zum System.
Die EU-Seite forderte immer wieder die Er­
gänzung der Abkommen durch einen insti­
NZZ.pdf
1
15.04.15
tutionellen Rahmen. Darauf wurde seitens
der Schweiz von einem gewissen Zeitpunkt
an eingegangen. Die Annahme der Massen­
einwanderungsinitiative (MEI) hat diesen
Verhandlungsprozess bis auf weiteres aus­
gehebelt.
Deshalb ist die Schweiz nun einmal mehr
mit der Frage konfrontiert, wie der bestmög­
liche Zugang zum europäischen Binnen­
markt mit einem akzeptablen Einschnitt in
die eigene Souveränität zu vereinbaren ist.
So klar dieser «trade-off» auch sein mag,
so wichtig scheint, diese Frage im Lichte
der oben erwähnten Bestimmungsfaktoren
zu diskutieren.
Wenig kompromissbereite EU
Zum Ersten lehrt uns nämlich die Erfahrung,
dass die EU genauso wie früher die Euro­
päische Gemeinschaft (EG) in Phasen inne­
rer Spannungen wenig geneigt ist, auf
spezifische Bedürfnisse ihrer Partner ein­
zugehen. Wenn die Institutionen zudem mit
konkreten Abspaltungsrisiken konfrontiert
sind, wie gegenwärtig im Vereinigten
Königreich, wird ihr Spielraum noch
weiter reduziert.
Das globale Umfeld weist, zweitens, ein
wachsendes Mass an Instabilität auf. Daraus
ergeben sich neue Bedrohungsfaktoren, die
unsere immer komplexeren Gesellschaften
in höchstem Masse verwundbar machen.
Drittens wird – bei allen erfolgreichen An­
strengungen unserer Wirtschaft, sich global
auszurichten und zu diversifizieren – der
europäische Binnenraum auf Jahre hinaus
unser wichtigster Absatzmarkt und Lieferant
bleiben.
Viertens, hat sich, ähnlich wie im Vereinig­
ten Königreich, die europapolitische Debat­
te auch in der Schweiz etwas von der
Realität entfernt. Immer häufiger wird die
EU als dysfunktional perzipiert, was zum
Anlass genommen wird, «sich von Europa
zu distanzieren».
Eine kohärente Auseinandersetzung mit der
Schnittstelle zwischen gegenwärtiger Blo­
ckierung und zukünftiger Ausgestaltung
unseres Verhältnisses zur EU bedarf einiger
Referenzpunkte. So reizvoll es scheinen
mag, im Rausch der Abrechnung mit «Brüs­
sel» für einen Neubeginn zu plädieren, soll­
te nichtsdestotrotz die unausweichliche
Realität akzeptiert werden, dass der volle
Zugang zum Binnenmarkt nur mittels der
Übernahme entsprechend harmonisierter
Gesetzgebung möglich ist.
So gesehen stellen das bilaterale und das
sektorielle Modell das niedrigste Niveau
einer Integrationsform dar. Das sektorielle
Modell soll nun mittels des von der EU an­
gestrebten institutionellen Rahmenabkom­
mens die bilateralen Integrationsabkommen
ergänzen. Der Hauptunterschied zum bisher
verfolgten Ansatz besteht einerseits in der
14:15
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Gut aufgehoben in
die Energiezukunft
Mit massgeschneiderten Energie- und
Infrastrukturdienstleistungen der BKW
C
M
Y
CM
MY
CY
CMY
K
www.bkw.ch
grundsätzlichen Übernahme der bestehen­
den Rechtsbasis eines gegebenen Sektors
durch die Schweiz sowie anderseits in der
laufenden Weiterentwicklung dieser Rechts­
basis, wozu auch die Einrichtung einer von
beiden Seiten akzeptierten Streitschlich­
tungsinstanz gehört. Selbstverständlich liegt
es weiterhin an der Schweiz, zu entscheiden,
für welche Sektoren sie ein derartiges Ver­
hältnis einzugehen wünscht.
Zugang zum Binnenmarkt
Weniger weitgehende Kooperationsmodali­
täten sind durchaus möglich, führen aber
alle zur klassischen Drittlands-Beziehung.
Dabei gilt es insbesondere zu bedenken,
dass sogar ein angepasstes Freihandelsab­
kommen den Zugang zum rechtsharmoni­
sierten Binnenmarkt nur teilweise gewähr­
leistet. Folglich muss man sich fragen, ob
das erreichte Niveau des bilateralen Ver­
hältnisses – ergänzt durch einen darauf
zugeschnittenen Institutionellen Rahmen
sowie eine eurokompatible MEI-Umsetzung
– nicht einem völligen Bruch des bisher
verfolgten Ansatzes mit unbekanntem Aus­
gang vorzuziehen ist.
Dem Charme eines völligen Neubeginns zum
Trotz dürfte im schweizerischen politischen
System der entscheidende Durchhaltewille
sowie in der EU die Bereitschaft fehlen, sich
auf einen sich über Jahre hinziehenden
Ein ehemaliger Diplomat spricht Klartext:
Quelle: ZVG
Alexis P. Lautenberg. Prozess mit unbestimmtem Ausgang einzu­
lassen.
Schliesslich muss festgehalten werden, dass
die Personenfreizügigkeit bei allem Ver­
ständnis für deren wahrgenommenen Un­
zulänglichkeiten während der letzten zwölf
Jahre einer der wichtigsten Wachstumsfak­
toren unseres Landes war. Wollen wir also
wirklich den Doppelfehler begehen, in einer
Zeit, in der wir noch wettbewerbsfähiger
werden müssen, auf die entscheidenden
personellen Ressourcen zu verzichten und
uns zeitgleich ohne Zwang den Zugang zum
europäischen Binnenmarkt erschweren?
SEF.2015
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Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Es muss wehtun
Ich gewinne oder du verlierst: die Unmoral der Schlaumeier
Ökonomen wie Bürokraten,
Analysten wie Redaktoren,
Politiker wie Banker: Sie alle
trachten nach grösstmöglichem
Gewinn, ohne für allfällige Schäden zu haften. Leben wir in einer
Gesellschaft von Profiteuren?
Nassim Nicholas Taleb und
Constantine Sandis
Die Chancen, wohlüberlegt zu handeln, stei­
gen deutlich, wenn wir uns mit unserem
Nichtwissen auseinandersetzen. Daher ist
es für unser persönliches und soziales Leben
– von Gesundheits- und Sicherheitsmass­
nahmen bis zu Politik und Glücksspiel – von
höchster Wichtigkeit, dass wir uns mit un­
serer Ignoranz befassen. Wie aber sollen wir
in Anbetracht der ganzen Ungewissheit han­
deln, die verbleibt, nachdem wir uns unseres
Nichtwissens bewusst geworden sind?
Von entscheidender Bedeutung ist das Kon­
zept des «Skin in the Game», des Riskierens
der eigenen Haut – zumal in einer komplexen
und undurchsichtigen Welt, in der die einen
die anderen ständig in Extremrisikosituatio­
nen mithineinziehen. Gerade in solch opaken
Systemen voller Unvorhersagbarkeit haben
die Leute heute jedoch Anreiz und Gelegen­
heit, ihre eigene Haut zu retten, anstatt sie
aufs Spiel zu setzen: Zahllose Akteure pro­
fitieren heute von allfälligen positiven Ent­
wicklungen, können sich aber im Falle einer
negativen Entwicklung schadlos aus der
Affäre ziehen.
Für die heutige Zeit sind folgende Grundpro­
bleme – und Gegenmittel – auszumachen:
➤ Entscheidungsträger und Politiker:
In einem dezentralen System, etwa einer
Stadtgemeinde, werden die Leute gewöhn­
lich von ihrem Schamgefühl davon abgehal­
ten, anderen durch ihre Fehler Schaden
zuzufügen. In einem grossen, zentralistischen
System hingegen sind die Fehlerquellen nicht
so augenfällig. Excel-Tabellen lösen bei nie­
mandem Scham aus. Scham als Sanktion
ist ein Faktor, der sehr für kleine, lokale,
persönliche und dezentrale (staatliche oder
geschäftliche) Organisationen spricht und
gegen grosse, nationale oder multinationale,
anonyme und zentralistische. Im Fall, dass
Letztere versagen, zahlt ja die Allgemeinheit
die Kosten und nicht der Schuldige. Das führt
entweder zu nationalen und internationalen
Verschuldungsmassnahmen zum Schaden
künftiger Generationen oder zu Austerität.
Diese Argumente gegen Big-GovernmentModelle dürfen indes nicht mit libertären
Standardargumenten gegen einen Staat
verwechselt werden, der die Wohlfahrt seiner
Bürger sicherstellt. Sie gelten nur in Fällen,
wo dies in zentralistischer Weise geschieht,
sodass Verantwortliche sich hinter bürokra­
tischer Anonymität verstecken können. Viel
besser ist auf Gemeindeebene ein kommu­
nitaristischer Ansatz: Wo sich «Skin in the
Game» nicht durchsetzen lässt, sollte das
System geändert werden, um Fehlerfolgen
abzumildern.
➤ Anreizstrukturen für Firmenmanager:
In diesem Bereich liegt ein wesentliches
Missverständnis vor. Entgegen der öffentli­
chen Wahrnehmung sind Firmenmanager
keine Unternehmer. Sie sind nicht, was man
Agenten des Kapitalismus nennen könnte.
In den USA machten Investoren auf dem
Aktienmarkt zwischen 2000 und 2013 je
nach Rechenweise bis zu 2 Billionen Dollar
weniger Gewinn, als wenn sie ihre Mittel als
Bargeld behalten oder in Staatsanleihen
angelegt hätten. Man sollte denken, dass
Manager für Verluste einstehen, da sie ja
nach dem Incentive-System bezahlt werden.
Weit gefehlt: Es herrscht eine irrationale und
unethische Asymmetrie vor. Aufgrund der in
ihren Verträgen enthaltenen Aktienoptionen
erhielten Manager in der erwähnten Zeitpe­
riode mehr als 400 Milliarden Dollar als
Vergütung. Wenn ein Manager Geld verliert,
muss er seinen Bonus nicht zurückzahlen
oder mit einem negativen Bonus – einem
Malus – für den Verlust geradestehen. Die
in die Vergütung von Firmenmanagern ein­
gebaute kostenlose Zusatzoption (wir nennen
sie «Optionalität») kann nur dadurch beseitigt
werden, dass man Verluste teilweise auf die
Manager umlegt.
➤ Wirtschaftswissenschafter: Der Grund
dafür, dass ökonomische Modelle nicht auf
die Wirklichkeit passen, liegt darin, dass
Ökonomen niemals für ihre Fehler zur Ver­
antwortung gezogen werden. Solange sie es
den Zeitschriftenredakteuren recht machen
oder oberflächlich korrekte Veröffentlichun­
gen vorlegen, wird an ihrer Arbeit nichts
bemängelt. Das führt dazu, dass wir ohne
die geringste empirische oder mathemati­
sche Begründung Modelle wie die Portfolio­
Nassim Taleb: «Sag den Leuten nicht, was du denkst – sag, was du in deinem Portfolio hast.»
theorie und ähnliche Methoden benutzen.
Eine Lösung bestünde darin, Ökonomen
davon abzuhalten, Praktiker zu unterrichten.
Allein deshalb, weil sie auch dann im System
verbleiben, wenn sie Risiken verursachen,
die andere gefährden. Das bringt uns wieder
zu dezentralen Systemen, in denen Entschei­
dungen auf lokaler Ebene durch kleinere
Einheiten getroffen werden und daher kein
dringender Bedarf für die Hinzuziehung von
Ökonomen besteht.
➤ Prognostiker: Vorhersagen im sozioöko­
nomischen Bereich funktionieren nicht. Pro­
gnostiker nehmen selten Schaden durch ihre
Vorhersagen. Wir wissen jedoch, dass Men­
schen aufgrund numerischer Vorhersagen
höhere Risiken eingehen. Man müsste folg­
lich danach fragen – und auch einzig be­
rücksichtigen –, wie der Prognostiker ge­
handelt (was er in seinem Portfolio hat) oder
auf welches zukünftige Handeln er sich
verpflichtet hat. Es ist unethisch, andere in
Gefahr zu bringen, ohne für mögliche Schä­
den selbst einzustehen. Hinzu kommt, dass
Prognostiker mit binären Variablen arbeiten,
sprich mit «wahr» oder «unwahr», und die
allgemeinen Fehlannahmen in Bezug auf
Extremereignisse ausnutzen. Sie haben An­
reize, häufiger recht zu haben als unrecht,
wohingegen jemand mit «Skin in the Game»
kein Problem damit hat, häufiger falsch als
richtig zu liegen, wenn nur die Gewinne hoch
genug sind. Mit anderen Worten: Prognos­
tiker haben einen Anreiz, informationelle
Schieflagen auszunutzen. Eine schlichte
Lösung wäre: Prognostiker sollten den Vari­
ablen, die sie vorhersagen, selbst ausgesetzt
sein. Sie sollten dem Diktum unterworfen
sein: «Sag den Leuten nicht, was du denkst
– sag, was du in deinem Portfolio hast.»
Offenbar schaden Vorhersagen den Men­
schen, insofern sie durch den psychologi­
schen Ankereffekt («Anchoring») unsere
Risikobereitschaft erhöhen.
Alles Handeln ist in unterschiedlichem Aus­
mass dem Zufall ausgesetzt und muss ent­
sprechend bewertet werden. Wenn wir ein
Risiko eingehen, können wir uns nicht von
der Verantwortung für die Auswirkungen auf
andere befreien. Wir können uns nicht hinter
Quelle: REX – Shutterstock
der Maske von Erwartung, Absicht, Unwissen,
Zufall oder Ungewissheit verstecken. Um das
Hauptargument noch einmal zu wiederholen:
Asymmetrie ist unmoralisch, wenn es darum
geht, Risiken einzugehen, ohne «Skin in the
Game» zu haben. Systeme, die als «too big
to fail» eingeschätzt werden, ermutigen uns
nicht nur zu solcher Asymmetrie, sondern
machen sie sogar zur Bedingung.
Beim vorliegenden Text handelt es sich um die übersetzte, gekürzte und
redigierte Fassung eines 2014 unter dem Titel «The Skin in the Game
Heuristic for Protection against Tail Events» in der «Review of Behavioral
Economics» erschienenen Aufsatzes. Der Essay ist in deutscher Überset­
zung zuerst in der Autorenzeitschrift «Schweizer Monat» www.schweizer­
monat.ch, erschienen.
Nassim Taleb
Nassim Nicholas Taleb ist Trader und Profes­
sor für Risikoforschung am Polytechnischen
Institut der New York University. Er ist Autor
der Bestseller «Anti-Fragilität: Anleitung für
eine Welt, die wir nicht verstehen» (Knaus,
2013) und «Der Schwarze Schwan: Die Macht
höchst unwahrscheinlicher Ereignisse» (DTV,
2010).
Überraschung mit Ansage
Zum Mindestkurs-Entscheid der Schweizerischen Nationalbank
Nassim Nicolas Talebs Aufstieg in
die Riege der Bestsellerautoren
beruht auf der Metapher des
schwarzen Schwans. Überlegungen von René Scheu, Philosoph
und Herausgeber der liberalen
Autorenzeitschrift «Schweizer
Monat».
René Scheu
Schwarze Schwäne – ja, es gibt die Tiere tat­
sächlich. Und nein, die meisten hätten das nicht
gedacht. Das Bild des schwarzen Schwans
verwendet Taleb, um seltene, disruptive Ereig­
nisse zu kennzeichnen, die drei Bedingungen
erfüllen. Sie stellen sich – erstens – dem Be­
obachter als absolut überraschend dar; sie
haben – zweitens – gigantische Auswirkungen,
die ganze Theorien, Vermögen oder Branchen
kollabieren lassen; und sie werden – drittens
– nachträglich so rationalisiert, als hätten sich
die Dinge letztlich gar nicht anders zutragen
können. Die bekanntesten «schwarzen Schwä­
ne» aus der jüngeren Vergangenheit sind 9/11,
Fukushima und – je nach Ansicht – die globa­
le Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff.
War nun die Aufhebung der Anbindung des
Frankens an den Euro ein solcher schwarzer
Schwan, wie viele Verbandsvertreter, Politiker
und Gewerkschaftsfunktionäre gemutmasst
haben? Und liegen also vice versa all jene falsch,
die nun im Brustton der Überzeugung behaup­
ten, sie hätten es schon immer gewusst?
Zunächst lässt sich festhalten, dass die Anbin­
dung des Frankens an den Euro kein singuläres
Ereignis darstellt – zuletzt orientierte sich der
Franken im Jahre 1978 an einer fremden Wäh­
rung, und zwar an der damaligen deutschen
Mark. Der Mindestkurs ist mithin ein übliches
Mittel moderner Geldpolitik.
Sind die Folgen des SNB-Entscheids drama­
tisch? Das kommt auf die Perspektive an. Tou­
rismus und Exportindustrie leiden zweifellos
unter der Aufhebung des Mindestkurses. Aller­
dings bedarf es hier einer differenzierten Be­
trachtung. Denn Währungsrisiken lassen sich
absichern – durch Termingeschäfte. Viele Un­
ternehmer und Firmen haben das selbstver­
ständlich auch getan. Sie agieren in einem
unwirtlichen Umfeld und wissen, dass sie ihren
Erfolg nicht von einer einzigen Zentralinstanz
abhängig machen können – in diesem Fall:
dem Präsidenten der SNB.
Und erweist sich der Befund, die Aufhebung
des Mindestkurses habe sich ebenso vorher­
sehen lassen wie die Einführung desselben, als
bloss nachträgliche Konstruktion? Die Entwick­
lung der Ereignisse zwischen 2011 und 2015
lässt sich aufgrund der bestehenden Archivla­
ge gut rekonstruieren. In seiner Ansprache vom
6. September 2011 sagt Thomas Jordan: «Die
Nationalbank toleriert ab sofort keinen EuroFranken-Kurs unter Einszwanzig.» Ein klares
Statement. Und wie immer schiebt der Präsident
relativierend nach: «Falls die Wirtschaftsaus­
sichten (...) es erfordern, wird die Nationalbank
weitere Massnahmen ergreifen.» Weitere Mass­
nahmen sind stets eine Option. Die SNB hält
sich stets alle Optionen offen – diese Relativie­
rung definiert geradezu den Sinn ihres Auftrags.
In den Jahren 2012, 2013 und 2014 bekräftigt
Thomas Jordan stets den Willen, den Mindest­
kurs zu verteidigen – und beharrlich schiebt er
relativierend nach: «Bei Bedarf wird die Natio­
nalbank unverzüglich weitere Massnahmen
ergreifen.»
Am 5. Januar 2013 wiederholt Thomas Jordan
in einem Interview mit dem Schweizer Fernse­
hen dreimal: «Der Mindestkurs ist absolut zen­
tral.» War es also ein Paukenschlag, als der
Präsident am 15. Januar 2015 vor die Medien
trat und jenen Entscheid begründete, der für
alle angeblich überraschend kam – die Aufhe­
bung des Mindestkurses? Selbstverständlich
nicht. Thomas Jordan muss behaupten, der
Mindestkurs sei zentral, bis er behauptet, er sei
nicht mehr zentral. Genau so funktioniert mo­
derne Geldpolitik.
In der anschliessenden Diskussion mit den
Medienvertretern erläutert er sogar in maxima­
ler Offenheit die Methodik, die sich um ein
einziges Wort dreht: «Überraschung». Er führt
aus: «Der Ausstieg aus einer solchen Politik
erfolgt überraschend; genauso wie der Einstieg
überraschend war, muss zwangsläufig auch
der Ausstieg aus einer Mindestkurspolitik über­
raschend erfolgen.»
Was heisst das? Einstieg in den und Ausstieg
aus dem Mindestkurs waren kalkulierbare
Überraschungen – also keine Überraschungen.
Niemand kann wissen, wann die Entscheide
fallen (ausser die Entscheider selbst). Aber alle
können zu jeder Zeit wissen, dass sie fallen
werden. Es reicht dazu vollends, dem Präsiden­
ten wirklich zuzuhören. Darum aufgepasst –
auch die Wiedereinführung eines Mindestkur­
ses ist eine Option!
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
SEF.2015
15
«Eine tolle intellektuelle Herausforderung»
Seit 15 Jahren Juror des Swiss Economic Award: Marketingprofessor Hans Peter Wehrli
An der Uni Zürich lehrt Hans
Peter Wehrli Studierende,
Kundenbeziehungen zu gestalten. Als Jurymitglied des Swiss
Economic Award beurteilt er
Jungfirmen. Worauf er achtet
und was seiner Meinung gar
nicht geht.
Interview: Saraina von Grünigen
Sie sind Verwaltungsratspräsident von
zwei börsenkotierten Firmen, von Belimo
und Swiss Prime Site. Was interessiert
Sie an Jungfirmen?
Grundsätzlich fasziniert mich die Figur des
Unternehmers. Er ist ein «go-between»; er
schafft Verknüpfungen zwischen Innovationen,
Investoren, Lieferanten und Kunden. Ein Jung­
unternehmer baut diese Verknüpfungen neu
auf und ein innovativer Jungunternehmer sucht
sogar nach neuen Wegen, diese Verknüpfun­
gen herzustellen. Das interessiert mich.
Sie sind seit 15 Jahren Jurymitglied. Wie
hat sich das Kandidatenfeld in dieser Zeit
verändert?
Jung, dynamisch und kreativ waren die Be­
werber schon immer. Trotzdem glaube ich,
dass das Niveau der Anmeldungen gestiegen
ist. Wesentliche Treiber sind die Ausbildung
und das Internet. Dieses schafft eine noch
nie dagewesene Transparenz über das welt­
weite Marktgeschehen. Das hilft, die eigene
Geschäftsidee zu schärfen und die eigene
Position am Markt noch genauer herauszu­
arbeiten.
Facts and figures
300
Jungunternehmen haben sich
für den SEF.Award 2015
beworben. Dies bedeutet eine
Steigerung über die letzten Jahre
von rund 30 Prozent.
Worauf achtet ein Marketingexperte bei
einer Firmenpräsentation?
Gerade technologieorientierte Unternehmer
sind oft zu sehr von ihrer Einzigartigkeit
überzeugt. Dabei lautet die alles entschei­
dende Frage nicht, was ich anzubieten habe,
sondern was der Kunde davon hat. Darauf
muss die Präsentation eine glaubwürdige
Antwort geben können.
30 %
Beeindruckt von der Kreativität der Schweizer Jungunternehmer: Hans Peter Wehrli.
Was verstehen Sie darunter?
Die Darlegung der Fakten muss plausibel
sein, die Inhalte müssen zueinander passen.
Ein zweiter Punkt ist die Selbsteinschätzung
des Unternehmers: Er sollte zeigen, dass er
sich als Teil eines Teams begreift, und er
sollte seine Stellung in diesem Team sehr
genau kennen.
Was geht gar nicht?
Ein anmassender Auftritt. Aussagen über die
eigene Person, die erkennbar fragwürdig
sind, kommen bei keiner Jury auf der Welt
gut an.
Glauben Sie, dass die präsentierenden
Kandidaten von Ihrem Feedback profitieren?
(lacht) Man hofft als Professor immer, dass
die Menschen lernwillig sind. Aber im Ernst:
Ich bin überzeugt, dass ein Jungunternehmer
davon profitieren kann, wenn er von einer
erfahrenen Jury gespiegelt wird.
Was nehmen Sie aus den Jurysitzungen
jeweils mit?
Ich fühle mich jedes Mal herausgefordert.
Man hat immer wieder die Tendenz, sich in
der gleichen Box zu bewegen. Die Mitarbeit
in der Jury zwingt mich, über den eigenen
Quelle: ZVG
Tellerrand hinauszuschauen. Ich denke mich
in Projekte hinein, die mir sonst nie begeg­
nen würden.
Gibt es einen Unternehmer, der Sie in
den letzten Jahren besonders beeindruckt
hat?
Besonders gern erinnere ich mich an Thomas
Binggeli, den Gründer von «Thömus». Die Idee,
auf einem Bauernhof Fahrräder zu verkaufen,
ist vielleicht nicht so spektakulär. Toll war aber,
wie es Binggeli angepackt hat; wie er es ver­
standen hat, seine Idee zu inszenieren und
zu emotionalisieren.
der Bewerbungen kommen
durchschnittlich aus der
Westschweiz.
1500
Arbeitsstunden setzt die Jury im
dreistufigen, SQS-zertifizierten
Bewerbungsverfahren ein.
17
Jahre wird der Swiss Economic
Award bereits im Rahmen des
Swiss Economic Forum
verliehen.
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Heute schon
an morgen gedacht?
zuehlke.com
SEF.2015
16
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
«Das Monopol ist längst Vergangenheit»
Die Swisscom positioniert sich als Treiber der Digitalisierung
Die Informations- und
Telekommunikationsindustrie
ist im Umbruch. Swisscom-CEO
Urs Schaeppi über technische
Trends, neue Geschäftsfelder
und den Vorwurf, den Markt
zu dominieren.
Abdeckung und der höchsten durchschnitt­
lichen Geschwindigkeit im Hochbreitband­
bereich.
Digitalisierte Prozesse durchdringen immer mehr Bereiche unseres Lebens. Als
Gegentrend melden sich heute vermehrt
sogenannte «Offliner» zu Wort. Klinken
Sie sich persönlich auch mal aus dem
Netz aus?
Ich schalte zwar meine Kommunikationsge­
räte nicht aus, doch es gibt sicher auch
Momente, wo ich ungestört sein will, sei es
in einem Gespräch, beim Biken oder Ski­
fahren. Unterwegs arbeiten zu können und
auch im Notfall erreichbar zu sein, gibt ja
gleichzeitig viele Freiheiten. Entscheidend
ist, dass man seine Erreichbarkeit und Kom­
munikation bewusst steuert.
Wie richtet sich Swisscom auf die neuen
Herausforderungen aus?
Die rasche Digitalisierung von Wirtschaft und
Gesellschaft führt dazu, dass sich das mo­
bile Datenvolumen alle 12 Monate verdop­
pelt. Im Festnetz verdoppelt es sich alle
16 Monate. Das stellt enorme Anforderungen
an unser Netz, das wir laufend erweitern und
ausbauen. Wir investieren 2015 alleine in
der Schweiz 1,75 Milliarden Franken; den
Grossteil in die Aufrüstung des Mobilfunk­
netzes mit 4G/LTE und in den Ausbau des
Glasfasernetzes. Damit geben wir pro Kopf
der Einwohner dreimal mehr Geld aus als
andere Netzbetreiber. Die Investitionen von
Swisscom und der Konkurrenten führen dazu,
dass die Schweiz die höchsten Pro-KopfInvestitionen der OECD aufweist. Wir treiben
die Digitalisierung permanent voran und
leisten so auch einen wertvollen Beitrag zur
langfristigen Stärkung der Volkswirtschaft.
Wir wollen unseren Kunden das Beste in der
vernetzten Welt bieten – immer und überall.
Die Telekommunikationsindustrie hat
sich rasant entwickelt. Trotzdem setzte
die Swisscom 2014 mit 11,7 Milliarden
Franken kaum mehr um als bei ihrer
Gründung vor 16 Jahren. Ist die Zeit bei
Ihnen stehen geblieben?
Im Gegenteil. Die Telekom- und IT-Welt hat
sich massiv gewandelt und ein Grossteil
unseres heutigen Geschäfts existierte 1998
noch gar nicht. Unsere Kunden bekommen
für ihr Geld viel mehr Leistung als damals.
Die Digitalisierung und auch das Internet
der Dinge führen zu enormen Umwälzungen.
Augenfällig ist etwa das Smartphone, das
in nur acht Jahren die Welt verändert hat.
Und die Entwicklung schreitet weiter voran:
So stehen tiefgreifende Veränderung der
Geschäftsmodelle, Strukturen und Prozesse
in Unternehmen an. Stichworte dazu sind
etwa die dritte industrielle Revolution, die
Sharing Economy oder das fahrerlose
Auto.
Swisscom wird in der Schweiz mitunter
ihre Marktdominanz vorgeworfen. Sie
sind im Visier der Wettbewerbshüter.
Beunruhigt Sie das?
Das Monopol ist längst Vergangenheit, wir
kämpfen heute in allen Märkten gegen star­
ke Mitbewerber. Es gibt in der Schweiz drei
voneinander unabhängige Mobilfunknetze,
praktisch flächendeckend auch Kabelnetze,
in Städten zudem weitere Netze etwa von
Elektrizitätswerken, dazu Dutzende von
Dienstanbietern. Bei den Onlinediensten
stehen wir ausserdem in einem internatio­
nalen Wettbewerb mit Weltkonzernen wie
Apple, Microsoft, Facebook oder Google;
wobei ich in diesem Zusammenhang auf eine
für uns ungünstige Asymmetrie hinweisen
möchte: Diese global agierenden Mitbewer­
ber nutzen mit Anwendungen wie WhatsApp
(Facebook) oder iMessage (Apple) unsere
Netze, müssen aber nicht in deren Unterhalt
und Ausbau investieren.
Damit steigt auch unsere Abhängigkeit
von den neuen Technologien.
Die Bedeutung der Informations- und Kom­
munikationstechnologien für die Wirtschaft
und unser gesamtes gesellschaftliches Le­
ben nimmt tatsächlich weiter zu: Ein Inter­
netanschluss ist heute genauso unverzicht­
bar wie die Versorgung mit Wasser und
Strom. Ohne Datenverbindungen kommt es
zum Crash, funktioniert die Energie- oder
Verkehrssteuerung nicht mehr, ist die Be­
zahlung im Shop nicht mehr möglich, findet
der Techniker seinen Auftraggeber nicht und
kann der Arzt nicht mehr vom Patienten
erreicht werden.
Kritisiert wird auch das vergleichsweise
hohe Schweizer Preisniveau im internationalen Vergleich. Wie entgegnen Sie?
Obwohl wir in der Schweiz höhere Kosten
− etwa für den Netzbau − haben, gehören
wir bei den Preisen für Festnetz- und Mo­
bilfunk-Breitband bei Nutzern mit mittlerem
Bedarf weltweit zum unteren Mittelfeld. Zu­
dem sinken die Preise permanent. Die Preis­
erosion in unserem Schweizer Kerngeschäft
schlug bei uns in den letzten Jahren mit
jeweils mehreren 100 Millionen Franken zu
Buche; allein 2014 waren es 360 Millionen,
davon 170 Millionen als Folge von RoamingPreissenkungen. Die kürzliche Lancierung
von Infinity plus mit Roaming inklusive in
Westeuropa und der EU wird Swisscom im
Jahr über 100 Millionen Franken kosten.
Swisscom-Kunden sparen im Ausland mit
unserer Kommunikations-App iO zusätzlich.
Interview: Saraina von Grünigen
Ist also künftig alles und jeder permanent
und überall online?
Das stimmt für viele schon heute, privat und
im Geschäft. Doch bewegen wir uns auch
oft noch in einer Offline-Welt. In Zukunft
werden Menschen, Prozesse, Daten und
Geräte noch viel besser vernetzt sein. Jeder
wird jederzeit von überall her auf seine per­
sönlichen und beruflichen Daten und An­
wendungen zugreifen können.
Wo steht die Schweiz bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich?
Die Schweiz gehört in die Spitzengruppe der
digitalisierten Länder: Seit 2010 hat sich die
Internetnutzung mit dem Smartphone ver­
dreifacht und in den letzten beiden Jahren
die Nutzung per Tablet beinahe verdoppelt.
Die Schweiz liegt auf Augenhöhe mit Sin­
gapur, USA, Hongkong oder Südkorea. In
Europa ist sie das Land mit der höchsten
Sie investieren viel, gleichzeitig sinken
die Preise. Wie ist da Wachstum möglich?
Wir suchen neue Geschäfte in angrenzenden
Bereichen, also Dienste, die auf schnellen
Internetverbindungen basieren. Das ist uns
in den letzten Jahren beispielsweise mit TVAngeboten sehr gut gelungen. Innert acht
Jahren haben wir über eine Million Kunden
in einem für uns völlig neuen Gebiet gewon­
nen, und so den TV-Markt aufgemischt. Wir
haben zeitversetztes Fernsehen lanciert, jede
Sendung kann aufgenommen werden. Schon
heute ist quasi jeder sein eigener TV-Direk­
tor. Auch beim TV stehen wir übrigens nicht
nur den Kabelnetzanbietern in der Schweiz
gegenüber, sondern globalen Playern, die
Swisscom-CEO Urs Schaeppi: «Stillstand wäre für uns ein Rückschritt.»
internetbasierte Dienste anbieten. Da wir
schon früh neue Inhalte – zum Beispiel LiveSport auf Abruf − entwickelt haben, können
wir uns mit lokalen Inhalten am Markt diffe­
renzieren.
Wo sehen Sie künftige Wachstumsfelder?
Chancen werden sich bei internetbasierten
Services wie Suchdiensten ergeben; oder
bei der Vermarktung von Werbung. Deshalb
haben wir die Local-Gruppe vollständig über­
nommen und wollen den globalen Mitbewer­
bern einen starken Schweizer Anbieter ge­
genüberstellen. Viel Potenzial sehen wir
ausserdem in der Heimvernetzung, im Ener­
giebereich, im Gesundheitsmarkt oder bei
Branchenlösungen für die Finanzindustrie.
Im Gesundheitsbereich zum Beispiel bieten
wir inzwischen umfassende Dienstleistungen
für die Vernetzung von Leistungserbringern
sowie für das Gesundheitsmanagement von
Privatpersonen an. Unser Angebot reicht von
einem Online-Gesundheitsdossier bis hin zu
Abrechnungsleistungen und mobilen Kran­
kenakten für Spitäler. Damit ist Swisscom
ein wichtiger Anbieter von vernetzten Ge­
sundheitslösungen im Schweizer Markt.
Gerade wenn es um intime Gesundheitsdaten geht, herrscht bei vielen Menschen
ein gewisses Misstrauen gegenüber digitalen Lösungen. Haben Sie Verständnis
dafür?
Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit
ist alles andere nichts. Um die Kapazitäten
zu erhöhen, haben wir 2014 in Bern ein
neues Rechenzentrum eröffnet. Es zählt zu
den modernsten Europas; sämtliche Daten,
die dort abgelegt werden, bleiben auch dort.
Welche Lösungen sind in der Heimvernetzung noch möglich?
Auch im privaten Bereich werden immer
mehr intelligente Netzwerke mit angeschlos­
senen Sensoren installiert. Um die Sicherheit
zu Hause zu erhöhen, lassen sich Bewe­
gungsmelder, HD-Kameras, Feuer- und
Wassermelder ans Netz hängen; so kann die
häusliche Sicherheitstechnik via Smartpho­
nes, Computer oder Tablet gesteuert werden.
Ein anderes Beispiel ist unser intelligentes
Stromspeicher-Netzwerk: Es gestattet dem
Nutzer, den Verbrauch seiner Wärmepumpen,
Elektroheizungen oder Boiler über das Inter­
net zu regeln.
Bei Geschäftskunden hatte Swisscom
den Ruf, Projekte unkoordiniert, mit ungeklärten Zuständigkeiten, anzugehen.
Nehmen Sie diese Kritik ernst?
Telekommunikation und IT waren früher
komplett unterschiedliche Geschäftsfelder,
bei uns wie auch bei unseren Kunden. Das
hat sich mit der Digitalisierung geändert.
Um die Schlagkraft im Geschäftskunden­
bereich zu erhöhen, die Konvergenz aktiv
voranzutreiben und Cloud-basierte Lösun­
gen aus einer Hand anzubieten, haben wir
2014 das Telekommunikations- und ITGrosskundengeschäft im Bereich Grossun­
ternehmen gebündelt. Damit gehören wir
zu den grössten integrierten ICT-Anbietern
der Schweiz.
Noch ein Blick nach Süden. Die Konjunktur in Italien läuft schleppend. Steht Ihre
italienische Tochter Fastweb zum Verkauf?
Nein, der italienische Markt ist zwar aufgrund
der schwierigen Wirtschaftslage sehr an­
spruchsvoll, dennoch entwickelt sich Fastweb
gut. Das Unternehmen zählte im Jahr 2014
über zwei Millionen Breitbandkunden und
gewann Marktanteile. Wir sehen Potenzial
und bauen auch in Italien das Ultrabreitband­
netz weiter aus. Bis Ende 2016 werden wir
Quelle: ZVG
rund 7,5 Millionen Wohnungen und Geschäf­
te beziehungsweise 30 Prozent der italieni­
schen Bevölkerung erschliessen.
Letzten Januar gab die Nationalbank den
Frankenmindestkurs auf, Ihr Mitbewerber
Sunrise ging vor kurzem an die Börse
und der andere Mitbewerber Orange hat
einen neuen Namen. Wie reagieren Sie
darauf?
Unser Umfeld ist in der Tat noch anspruchs­
voller geworden, die Konkurrenz ist aktiv und
wir kämpfen um jeden Kunden. Stillstand
wäre in unserem Umfeld ein Rückschritt. Wir
sind überzeugt, mit unserer Strategie gut
aufgestellt zu sein und bringen laufend neue
Angebote auf den Markt. Wir haben erst
kürzlich mit unserem Angebot Infinity plus,
das einen Grossteil des Roaming inkludiert,
eine deutliche Duftmarke gesetzt. Der star­
ke Franken tangiert die ganze Wirtschaft: Mit
der Aufhebung des Euro-Mindestkurses
kommen viele Schweizer Firmen, die auch
unsere Kunden sind, unter Kostendruck. Wir
nehmen diese «customer pain» sehr ernst.
Ich muss jedoch betonen, dass unsere Kos­
ten zum allergrössten Teil in Schweizer Fran­
ken anfallen und wir deshalb nur wenig
Spielraum haben.
Was halten Sie von der Forderung, der
Bund solle seine Mehrheit an Swisscom
abgeben? Ein logischer nächster Schritt?
Es ist eine politische Frage, ob der Bund
seine Mehrheit an Swisscom abgeben soll.
Wir haben heute den unternehmerischen
Spielraum, den wir brauchen. Unser Aktio­
nariat braucht viel Weitsicht, denn unsere
erwähnten, sehr hohen Investitionen lohnen
sich erst in einer langfristigen Perspektive.
Entscheidend ist, dass unser Hauptaktionär
die Strategie und die Investitionsrisiken län­
gerfristig mitträgt.
SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
17
Forschung und Industrie unter einem Dach
Der Schweizerische Innovationspark macht Fortschritte
Der «PARK innovAARE» im aargauischen Villigen ist Teil des vom
Bund initiierten nationalen Innovationsparks. Zur Trägerschaft
gehört auch das Paul Scherrer
Institut (PSI). Direktor Joël Mesot
erklärt, was dahinter steckt.
Interview: Saraina von Grünigen
Was hat Sie dazu bewogen, sich beim
Schweizerischen Innovationspark zu engagieren?
In den sieben Jahren, die ich nun schon
Direktor des PSI bin, habe ich unser Portfo­
lio immer besser kennengelernt. Dabei wur­
de mir klar, dass da ein riesiges Potenzial
schlummert, das noch nicht ausgenutzt wird,
von dem aber die Wirtschaft stark profitieren
könnte. Wir dachten zunächst zusammen
mit der Standortgemeinde Villigen an die
Realisierung einer Hightechzone und hatten
diese Idee schon recht weit verfolgt. Dann
kam die Ausschreibung für den Schweizeri­
schen Innovationspark und uns war gleich
klar, dass ein «PARK innovAARE» komple­
mentär zu anderen potenziellen Standorten
wäre und dem Schweizerischen Innovations­
park dadurch einen echten Mehrwert bringen
würde. Zudem würde ein Label «Teil des
Schweizerischen Innovationspark» unserer
Physiker mit Sinn für die Wirtschaft: PSIQuelle: PSI
Direktor Joël Mesot. Hightechzone eine erhöhte internationale
Sichtbarkeit in Wirtschaftskreisen geben.
Das PSI ist eine nationale Forschungseinrichtung und gehört zum ETH-Bereich.
Beim «PARK innovAARE» hat jedoch der
Kanton Aargau die Federführung inne. Ein
Widerspruch?
Absolut nicht. Die Ausschreibung sah vor, dass
die Bewerbungen von den Kantonen einge­
reicht werden müssen. Der Aargau verfolgt
mit seinem Programm Hightech Aargau das
Ziel, den Austausch und die Zusammenarbeit
zwischen den Unternehmen auf der einen
und den Hochschulen beziehungsweise For­
schungseinrichtungen auf der anderen Seite,
zu fördern. Der «PARK innovAARE» setzt
genau an diesem Punkt an und fördert den
Technologietransfer zwischen Forschung und
Industrie durch die Kombination von Spitzen­
forschung und industrieller Innovationstätigkeit
unter einem Dach. Auch das PSI wäre ohne
die Unterstützung des Kantons Aargau nicht
das PSI, das wir sind. Der Kanton hat uns in
den letzten Jahren mit substanziellen finanzi­
ellen Beiträgen unterstützt, sei es bei der
Weiterentwicklung der medizinischen Pro­
tonentherapie oder dem Bau unseres neuen
Röntgenlasers SwissFEL. Auch der «PARK
innovAARE» wird dazu beitragen, dass sich
das PSI positiv weiterentwickelt.
Im Kanton Aargau gibt es schon einen
Technopark, wieso braucht es dann noch
den «PARK innovAARE»?
Die Zielgruppe ist eine andere. Technoparks
stellen typischerweise Jungunternehmen kos­
tengünstige Mieträume und zentrale Dienst­
leistungen zur Verfügung. Die Zielgruppe eines
Innovationsparks besteht hingegen primär aus
arrivierten Unternehmen.
Könnten Sie da etwas spezifischer werden? Welche Art von Unternehmen sollen
sich idealerweise im «PARK innovAARE»
ansiedeln?
Das PSI verfolgt das Ziel, seine Aktivitäten im
Bereich des Wissenschafts- und Technologie­
transfers noch weiter auszubauen. Deshalb
wünschen wir uns, dass sich hier Unternehmen
mit intensivem Forschungsbedarf ansiedeln,
die von einer unmittelbaren räumlichen Nähe
zu unseren Spitzenforschungsanlagen und
Fachleuten profitieren. Schon heute unterhält
das PSI über 1000 aktive Kooperationen mit
der Industrie, weltweit und in der Schweiz. Im
«PARK innovAARE» sehe ich ein Instrument,
mit dem das PSI vermehrt seine gesellschaft­
liche Verantwortung wahrnehmen kann, Er­
gebnisse aus Forschung und Entwicklung der
Industrie zur Verfügung zu stellen.
Warum ist es in einer globalisierten Welt
überhaupt noch notwendig, Tür an Tür zu
arbeiten?
Ja, das ist wirklich ein Phänomen. Trotz welt­
weiter digitaler Vernetzung und den heutigen
technologischen Möglichkeiten stelle ich im­
mer wieder fest, dass die örtliche Nähe zwi­
schen akademischer und industrieller For­
schung eine wesentliche Rolle spielt.
Die Trägerschaft des «PARK innovAARE»
ist sehr breit abgestützt. Warum?
In der Tat, neben der Wirtschaft, dem Kanton,
dem PSI und der Fachhochschule Nordwest­
schweiz sind auch die beiden Standortgemein­
den Villigen und Würenlingen Träger des «PARK
innovAARE». Dabei wurde bewusst die Rechts­
form einer Aktiengesellschaft gewählt, um den
Trägern eine aktive Rolle bei der strategischen
und inhaltlichen Ausrichtung des «PARK innov­
AARE» zu ermöglichen. Der Park soll sich am
Markt ausrichten. Das Ganze ist aus meiner
Sicht ein gutes Beispiel für eine hervorragend
verlaufene, intensive Zusammenarbeit von
Politik, Forschung und Wirtschaft. Bereits jetzt
sind acht Grossunternehmen und 20 KMU so
vom Vorhaben überzeugt, dass sie sich auch
finanziell engagieren. Für mich ist der «PARK
innovAARE» eine reale Chance, die Innovati­
onskraft und Wettbewerbsfähigkeit der
Schweiz nachhaltig zu sichern.
Innovationspark Schweiz
Im «revidierten Bundesgesetz über die För­
derung von Forschung und Innovation» (FIFG)
vom 14. Dezember 2012 hat der Bund die
Rahmenbedingungen für die Errichtung eines
Schweizerischen Innovationsparks definiert.
Er soll als eine Plattform für Kooperationen
zwischen Unternehmen und Forschungsein­
richtungen dienen. Der Park ist dezentral und
in Form eines Netzwerkes organisiert. Neben
den beiden Hub-Standorten um die ETH Zü­
rich und die EPF Lausanne gibt es derzeit
noch zwei Netzwerkstandorte: den Schweizer
Innovationspark Region Nordwestschweiz (SIP
NWCH) sowie den «PARK innovAARE», der
direkt beim Paul Scherrer Institut PSI, auf
dem Gebiet der aargauischen Gemeinde
Villigen entsteht. «PARK innovAARE» wird im
Sommer 2015 seine operative Tätigkeit auf­
nehmen.
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SEF.2015
18
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Small Talk mit grossen Effekten
Wie Beziehungsbroker die Stärken der Besten bündeln
Ein tragfähiges Beziehungsnetz
im Betrieb, in der Branche und
darüber hinaus ist gut für die
persönliche Karriere. Aber auch
Unternehmen profitieren von
informellen Netzwerken: Sie
führen zu schnelleren und
besseren Lösungen.
Frank Arnold *
Jede dritte Führungskraft hat kein berufliches
Netzwerk – dies ergab eine Umfrage der deut­
schen Executive-Search-Beratungsfirma Bau­
mann unter 300 Managern. Dabei gaben
27 Prozent der Frauen und 37 Prozent der
Männer an, dass sie über keine nennenswer­
ten beruflichen Kontakte verfügen. Dies über­
rascht umso mehr, als nach einer Studie von
IBM bis zu 60 Prozent des beruflichen Erfolgs
auf Beziehungen und Kontakte zurückzuführen
sind. Wen wir kennen und wer uns kennt,
entscheidet nicht nur über die Laufbahn und
die beruflichen Chancen, sondern auch dar­
über, wie schnell und gut unternehmerische
Probleme gelöst werden können.
Schon in den 1970er-Jahren fand der USSoziologe Mark Granovetter heraus, dass 56
Prozent der Ingenieure in Boston ihren Arbeits­
platz aufgrund einer persönlichen Empfehlung
erhalten hatten. Das Bemerkenswerte daran:
Bei 84 Prozent der Befragten ging diese Emp­
fehlung auf Personen zurück, die sie nur sel­
ten getroffen hatten. Entscheidend waren also
nicht enge Freunde, sondern entfernte Be­
kannte – Granovetter nannte dies die «Stärke
schwacher Bindungen».
Wirksame Bindungen aufzubauen und ein
tragfähiges Netzwerk in der eigenen Branche,
aber auch darüber hinaus, zu etablieren, gilt
heute als unumstrittener Business- und
Karriere­beschleuniger. Networking wurde in
den letzten Jahren zur strategischen Aufgabe
von Führungskräften. Ziel ist nicht nur der
ständige Ausbau der eigenen Kontakte und
Ver­flechtungen, sondern auch das Bekannt­
machen und Vernetzen von Dritten; so wird
man zum Beziehungsbroker. Dabei geht es
primär nicht um den eigenen Nutzen, sondern
um den Nutzen für die anderen. Das festigt
das Netzwerk und lässt es zum Anziehungs­
punkt für andere werden.
Lernen von den Besten
Nach Meinung des langjährigen Chefs von
General Electric (GE), Jack Welch, ist es immer
ein Zeichen besonderer Kompetenz, wenn sich
Führungskräfte mit Mitarbeitern und anderen
Stakeholdern umgeben, die besser und schlau­
er sind als sie selbst. Wann immer GE in einer
schwierigen Situation war, holte er sich Rat:
«Ich rief die besten und engagiertesten Leute
zusammen, die ich auf allen Ebenen des Un­
ternehmens – und manchmal auch ausserhalb
– finden konnte. Und ich bat sie unmissver­
ständlich um ihre offene Meinung. Es kam mir
darauf an, dass das Problem von allen mög­
lichen Seiten vorbehaltlos angegangen wurde,
damit wir anschliessend gemeinsam nach
Lösungsmöglichkeiten suchen konnten.»
Gezielte Suche nach Stärken
Gute Netzwerker zeichnen sich dadurch aus,
dass sie die Stärken von Menschen produk­
tiv machen, entsprechend zielen Stellenbe­
setzungen, Auftragsvergaben oder auch
Empfehlungen immer darauf ab, die Stärken
Dritter zu nutzen. Als Mitarbeiter sollte man
ein Gebiet finden, auf dem man wirklich Be­
merkenswertes leistet und sich dann mit
Leuten in Kontakt bringen, die diese Stärke
in ihrem Team oder ihrem Netzwerk brauchen.
Ob ein Mensch in ein persönliches Netzwerk
passt, hängt auch von dessen Integrität ab.
Integrität alleine reicht zwar nicht aus, um
etwas zu leisten, fehlt sie aber, kann sie durch
nichts aufgewogen werden. Für Jack Welch
war die Frage nach der Integrität einer Per­
son daher immer die erste, die er sich bei
Personalentscheidungen und Empfehlungen
stellte.
Kaum jemand hat ein so grosses, tragfähiges
und wirksames Netzwerk aufgebaut wie Klaus
Schwab, der Gründer des World Economic
Forum. Das US-Magazin «Forbes» hat Schwab
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entsteht ein besseres Verständnis der Prob­
leme und Chancen in den jeweiligen Bereichen.
➤ Durch bereichsübergreifende Vernetzung
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wird eine effektive Willensbildung und Ent­
scheidungsfindung möglich.
➤ Das in der Organisation vorhandene De­
tailwissen der Entscheider und Wissensträger
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gelingt leichter, weil die Schlüsselpersonen
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dass «Forbes» Klaus Schwab in die Liste der
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Persönlichkeiten bereichert bekommen.
* Frank Arnold ist Bestsellerautor und leitet die Unternehmensberatung
ARNOLD Management in Zürich.
SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
19
«Legosteine bleiben unser Hauptprodukt»
Wie sich Lego immer wieder neu erfindet
Als Jorgen Knudstorp 2004
das Ruder bei Lego übernahm,
fuhr der Konzern einen Verlust
in dreistelliger Millionenhöhe
ein. Heute steht die Gruppe
wieder blendend da. Das
Erfolgsgeheimnis: die
Fokussierung auf das
Kerngeschäft.
Interview: Stefan Kyora
Herr Knudstorp, als Sie 2004 den CEOPosten bei Lego übernahmen, befand
sich das Unternehmen in der schwersten Krise der Unternehmensgeschichte.
Was lief damals falsch?
Lego hatte damals die strategische Orien­
tierung verloren. Mit den Legosteinen selbst
schrieb man Verluste und die Idee war, dass
Wachstum und Gewinn nur ausserhalb des
Kerngeschäfts erreicht werden könnten.
Das führte zu Motivationsproblemen bei
den Mitarbeitenden.
2014 hat Lego einen Umsatz von vier
Milliarden Franken und einen Reingewinn von fast einer Milliarde Franken
erzielt, wobei der Umsatz gegenüber
dem Vorjahr um 13 und der Gewinn
sogar um 15 Prozent gestiegen ist. Gegenüber 2004 wurde der Umsatz mehr
als vervierfacht. Die Gruppe ist wieder
kerngesund. Wie haben Sie diesen erstaunlichen Turnaround erreicht?
Wichtig war es, die Identität des Unterneh­
mens neu zu formen. Dabei ging es darum,
das Potenzial der Legosteine aufzuzeigen.
Heute glauben die Mitarbeiter wieder an
unser Kernprodukt.
Und was haben Sie konkret im Unternehmen verändert?
Eine Gruppe von Massnahmen richtete sich
auf die operative Disziplin. Vor allem aber
musste sich das Unternehmen in Sachen
Innovation stark verbessern.
Wie kann ein Unternehmen innovativ
sein, dessen Kernprodukt seit 1958 das
Gleiche ist?
Unsere Klötzchen muss man als eine Art
Betriebssystem sehen. Die Steine sind
wirklich seit über 50 Jahren die gleichen
und Sie können noch heute einen Stein
der ersten Serie problemlos mit neuen
Klötzchen zusammenstecken. Auf der Ba­
sis dieses «Betriebssystems» lancieren wir
Produkte, die einen frischen und anspre­
chenden Eindruck machen. Sie müssen
den Kindern als etwas erscheinen, was sie
noch nie zuvor gesehen haben. Solche
Neuheiten machen den Grossteil unseres
Programms aus: 60 Prozent unseres An­
gebots besteht jedes Jahr aus neuen Pro­
dukten. Aktuelle Beispiele sind die neuen
Ninjago-Sets, die wir dieses Jahr lanciert
haben oder neue Lego-Themen wie die
Lego-Elfen, die wir ebenfalls 2015 auf den
Markt gebracht haben.
Welche Innovationsstrategie steht hinter diesem grossen Output?
Um unserem Anspruch zu genügen, das
Lego-System kontinuierlich zu erneuern und
zu globalisieren, sind wir darauf angewie­
sen, den neuesten Trends und den Inter­
essen der Kinder gerecht zu werden. Le­
gosteine sind universell ansprechend, und
wir werden auch weiterhin unser Produkt
und unsere Marke auf globale und nicht auf
lokale Angebote ausrichten. Derzeit haben
wir mehr als 200 Designer, die Mehrheit von
ihnen ist in Billund basiert. Sie entwickeln
mehr als 300 neue Produkte jedes Jahr.
Sie haben es angesprochen: Letztlich
müssen die neuen Produkte den Kindern gefallen. Was tun Sie, um dieses
sicherzustellen?
Eine Massnahme ist ein ethnografischer
Ansatz. Lego-Mitarbeiter leben eine Zeit
lang in Familien mit Kindern in Europa,
Asien oder Amerika. Sie gewinnen so einen
ungefilterten Eindruck von den Gewohn­
heiten und Interessen der Kinder. Diese
Methode ist besonders geeignet, um lang­
fristige Trends zu erkennen. Einige unserer
Innovationen planen wir über mehrere
Jahre, deswegen müssen wir auch solche
Trends vorhersehen können.
Wie wehrt sich Lego gegen den Vormarsch der elektronischen Spiele?
Wir müssen uns gar nicht gegen den
Vormarsch wehren – wir sehen die Digi­
talisierung als eine grosse Chance. LegoVideospiele gehören heute zu den
beliebtesten Titeln weltweit und bieten
Kindern die Möglichkeit, das physische und
das digitale Spiel zu vereinen. Kinder un­
terscheiden ja nicht zwischen dem Spiel
mit realen Gegenständen und virtuellen
Welten – für sie bedeutet beides einfach
zu spielen. Deswegen ist es für uns auch
notwendig, Lego-Spielerlebnisse auf allen
Plattformen anzubieten, die für Kinder re­
levant sind. Generell wollen wir digitale
Inhalte schaffen, die Kinder dazu inspirie­
ren und motivieren, Geschichten rund um
die eigene Fantasie zu schaffen und zu
teilen. Dabei verfolgen wir natürlich die
Entwicklung von Videospielen und elektro­
nischen Geräten und versuchen, diese zu
integrieren, wo immer diese das LegoSpielerlebnis bereichern.
Bedeutet die Digitalisierung für Lego
sogar eine Wachstumschance?
Unsere wichtigsten Produkte werden aus
Legosteinen bestehen. Aber schon heute
tragen digitale Produkte wesentlich zu
unserem Erfolg bei. Wir betrachten die
Digitalisierung als eine Möglichkeit, unser
Kerngeschäft mit den traditionellen Lego­
steinen auszuweiten und noch spannen­
dere und attraktivere Spielmöglichkeiten
zu schaffen.
Lego-CEO Jorgen Knudstorp: «Wir erreichen mit unseren Produkten rund 85 Millionen Kinder.»
der Tat einen wichtigen Fokus unserer
Wachstumsstrategie. Im vergangenen Jahr
haben wir einen neuen regionalen Haupt­
sitz in Shanghai eröffnet und den Grund­
stein für eine Fabrik in Jiaxing gelegt. Schon
vorher hat der Absatz unserer Produkte in
China stark zugenommen. 2013 wuchs er
etwa um 50 Prozent gegenüber dem Vor­
jahr. Die Lego-Niederlassung in Shanghai
wird sich unter anderem mit Marketing,
HR, IT, dem operativen Geschäft, aber na­
türlich auch mit Marktforschung und dem
Studium der Bedürfnisse der Konsumenten
beschäftigen. Wir haben aber nicht nur in
China ein solches regionales Headoffice
eröffnet, sondern auch eines in London.
Familie Kristiansen und die Schweiz
Warum?
Wir haben das Ziel, unsere Aktivitäten zu
globalisieren und deswegen legen wir be­
sonderen Wert darauf, eine Belegschaft
aufzubauen, die durch Vielfältigkeit ge­
kennzeichnet ist. Aus diesem Grund haben
wir heute neben dem Hauptsitz in Däne­
mark vier Hauptniederlassungen in China,
in Grossbritannien und schon länger in
Singapur und an der amerikanischen Ost­
küste. In allen diesen Niederlassungen sind
auch Topmanager präsent.
Gegründet wurde Lego 1932 von Ole Kirk Kristiansen. Heute gehört Lego zu 25 Prozent
der Lego-Stiftung und zu 75 Prozent KIRKBI, der Holdinggesellschaft der Familie Kristi­
ansen. Die Familie hat traditionell enge Beziehungen zur Schweiz. KIRKBI hat denn auch
ein Büro in Baar mit 12 Mitarbeitenden. Neben dem Engagement bei Lego übernimmt
die Holding langfristig ausgerichtete Minderheitsbeteiligungen an anderen Unternehmen.
Zum Portfolio gehört etwa das global agierende Dienstleistungsunternehmen ISS. Zudem
ist KIRKBI als Immobilieninvestor in Geschäftsliegenschaften aktiv. Sowohl bei Beteiligun­
gen an Unternehmen als auch bei Immobilien setzt KIRKBI auf die Schweiz. Hinzu kommt
das Hotel Valbella Inn in der Lenzerheide. Das Engagement im Bündner Wintersportort
hat ebenfalls mit den persönlichen Schweiz-Kontakten der Familie zu tun.
Lego hat lange Zeit selbst produziert,
dann die Herstellung teilweise outgesourct und anschliessend wieder auf
Insourcing gesetzt. Wie sieht die Strategie heute aus?
Wir besitzen und betreiben unsere eigenen
Fabriken. Unsere Strategie besteht darin,
die Produktion jeweils in der Nähe der
grossen Märkte zu haben. Wir haben jüngst
an mehreren Standorten die Kapazitäten
Regional gesehen bietet derzeit vor allem
Asien ein grosses Wachstumspotenzial.
Was tun Sie, um es zu erschliessen?
Asien und insbesondere China bilden in
ausgebaut. Im März 2014 konnten wir eine
neue, grössere Fabrik in Ungarn einweihen,
die einen älteren Betrieb am gleichen
Standort ersetzt. Im September haben wir
ein neues, zusätzliches Produktionsgebäu­
de in Tschechien eingeweiht und ausser­
dem haben wir namhafte Summen in
unseren Standort in Mexiko, aber auch hier
in Billund getätigt. Gemessen am Ausstoss
ist Billund übrigens immer noch unser
grösster Produktionsstandort.
Damit dürfte auch der Personalbestand
gestiegen sein.
Absolut. Im vergangenen Jahr stieg die
Zahl der Angestellten von knapp 13 000
auf knapp 14 000.
Welche weiteren Ausbauschritte werden derzeit realisiert?
Anfang April haben wir den Grundstein für
einen Produktionsbetrieb in China gelegt.
Die Fabrik in Jiaxing, rund 100 Kilometer
von Shanghai entfernt, soll im Jahr 2017
den Betrieb aufnehmen und dann
1500 Personen beschäftigen. Produziert
wird ausschliesslich für den regionalen
Markt und nach denselben Standards, die
auch für alle anderen Fabriken gelten. Dazu
gehören auch unsere Vorgaben in Sachen
Umweltschutz.
Legosteine sind im Prinzip einfach
nachzuahmen. Was unternehmen Sie
gegen Kopien?
Ich bin überzeugt, dass kein anderes Kon­
struktionsspielzeug auf dem Markt eine
ähnliche Vielfalt und Komplexität aufweist
wie unser System. Wir konzentrieren uns
auf unsere Produkte und deren Weiterent­
Quelle: ZVG
wicklung und Verbesserung. Aber für uns
ist auch wichtig, dass Konsumenten nicht
irregeführt werden, wenn sie meinen, ein
hochwertiges und sicheres Lego-Produkt
zu kaufen, und wir unternehmen alles, um
dies sicherzustellen.
Sie haben bei Lego viel erreicht. Sie
führen das Unternehmen schon seit
über zehn Jahren als CEO. Eine lange
Zeit für einen Topmanager, der ursprünglich von McKinsey kam. Was
macht für Sie die Arbeit heute noch
spannend?
Zum einen sehe ich grosse Chancen für
weiteres Wachstum. Wir erreichen heute
rund 85 Millionen Kinder mit unseren Pro­
dukten. Aber es gibt natürlich noch viel
mehr Kinder auf der Welt. Hinzu kommen
die Trends, von denen wir gesprochen ha­
ben, zum Beispiel die Digitalisierung. Dann
haben wir mit der KIRKBI Holding einen
finanziell starken Besitzer, was uns erlaubt,
die Chancen auch anzugehen. Und auf der
anderen Seite dient die Arbeit für ein
Unternehmen wie Lego auch einer sinn­
vollen Sache. Das ist eine wirklich sehr
gute Mischung.
Sie haben die Besitzerfamilie angesprochen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Mehrheitsaktionär Kjeld Kirk Kristiansen?
Für Kjeld Kristiansen ist die Firma wie ein
Kind. Ich denke, ein wichtiger Grund für
den Erfolg von Lego in den vergangenen
zehn Jahren ist, dass ich das Vertrauen
der Familie gewinnen konnte. Uns sind
ähnliche Werte wichtig. Und über die Jah­
re hat wohl auch Kjeld Kristiansen hier und
da etwas von mir gelernt.
SEF.2015
20
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
Vorsprung durch Erfahrung
Der Umgang mit «Digital Natives» als Prüfstein für die Unternehmenskultur
Smartphones, Internet der Dinge
und Social Media verändern die
Märkte. Junge Firmen entwickeln
in kurzer Zeit neue Dienstleistungen und bedrohen damit
etablierte Anbieter. Doch der
digitale Wandel bietet auch für
Unternehmen mit langjähriger
Geschichte grosse Chancen;
dazu müssen sie agil und schnell
werden.
Thomas Memmel *
Uber stellt die Taxibranche auf den Kopf;
und zwar mit einer Dienstleistung, die es
schon lange gibt: Man bringt Fahrgäste ge­
gen Bezahlung von einem Ort zum anderen.
Neu ist hingegen das Geschäftsmodell: Über
eine App vermittelt Uber private Fahrer; da­
mit kostet der Dienst halb so viel wie eine
konventionelle Taxifahrt. Rechtlich bewegt
sich Uber zwar im Graubereich, aber das
Beispiel zeigt, welche Chancen der digitale
Wandel bietet. Wer Internet, Smartphones
oder Social Media nutzt, kann in kurzer Zeit
und ohne grosse Investitionen neue Ange­
bote auf den Markt bringen und damit eta­
blierten Unternehmen ihre Position streitig
machen. So ist im Finanzbereich zum Bei­
spiel Lendico dabei, sich als Konkurrent von
Kreditinstituten zu etablieren. Das deutsche
Unternehmen wirbt mit dem Slogan «Geld
braucht keine Bank» und verbindet private
Kreditnehmer mit Anlegern über das Internet.
Die Aussage «Wer sich nicht mit dem digi­
talen Wandel auseinandersetzt, ist übermor­
gen tot» mag provokant erscheinen. Sie
dürfte aber in etlichen Fällen zutreffen. Denn
die Kunden von heute möchten jederzeit und
von überall her ihren Kontostand abfragen,
im Zug Kleider bestellen oder Tickets per
SMS reservieren. Dabei erwarten sie einen
Topservice. Um vorne mit dabei zu sein,
müssen die Unternehmen auf allen Kanälen
ein attraktives Kundenerlebnis bieten; das
Stichwort heisst Multi-Channel-Lösungen
mit hohem Komfort.
Manche Branchenführer machen es vor: Die
Kunden von Swisscom beispielsweise
können per App oder Computer ihre Abos
selber verwalten und jederzeit den Stand
der Kosten einsehen. Online- und Offline­
kanäle verschmelzen. Der Kunde hat über­
all die gleichen Möglichkeiten: auf dem
Handy oder Tablet, am Computer, im Shop
und im Callcenter.
Roadmap in die digitale Welt
So gross die Chancen sind, so gross sind
auch die Herausforderungen. Wer in die
digitale Welt seiner Kunden eintauchen will,
sollte den Wandel sorgfältig planen und eine
Roadmap erarbeiten. An erster Stelle steht
dabei eine Standortbestimmung: Welche
Chancen bieten sich uns? Welche neuen
Dienstleistungen könnten unsere Marktstel­
lung gefährden? Das Ziel besteht darin, eine
hohe innere Handlungsbereitschaft zu er­
reichen. Das Unternehmen soll fähig werden,
in kurzer Zeit innovative Dienstleistungen
oder neue Geschäftsmodelle auszurollen.
Damit sind Veränderungen verbunden, die
das gesamte Unternehmen betreffen. Die
Mitarbeitenden müssen umdenken und ler­
nen, mit den sogenannten «Digital Natives»
umzugehen; eine andere Unternehmenskul­
tur, neue Prozesse und Infrastruktur oder
sogar andere Organisationsstrukturen wie
die Ausgründung von Startups sind gefragt.
«Altlasten» sind konsequent infrage zu
stellen und abzubauen. Denn die Märkte
bewegen sich schnell und die Innovations­
zyklen werden immer kürzer.
Die Trümpfe der Etablierten
Change-Prozesse brauchen Zeit, doch ge­
rade diese fehlt. Das ist eine der grössten
Herausforderungen für etablierte Unterneh­
men. Junge Firmen sind in der digitalen Welt
entstanden, ihre Strukturen sind per se auf
Agilität und Schnelligkeit ausgelegt. Doch
etablierte Unternehmen haben auch Vortei­
le gegenüber Startups: Dank ihrer langjäh­
rigen Erfahrung kennen sie ihre Märkte und
Die Uhr tickt: Wer den digitalen Wandel verschläft, hat verloren.
Kunden; sie haben schon etliche Krisen
bewältigt. Entscheidend ist, dass das Ma­
nagement die Chancen rechtzeitig erkennt
und die digitale Strategie gezielt umsetzt.
Dass dies gelingen kann, zeigt die Automo­
bilbranche: ihr Geschäftsmodell ist seit 130
Jahren, Autos zu verkaufen. Doch heute
braucht es intelligente Mobilitätskonzepte
und Studien zeigen, dass der Traum vom
eigenen Auto an Bedeutung verliert.
Konzerne wie BMW oder Daimler nutzen
diese Entwicklung als Chance. Anstatt nur
Fahrzeuge zu verkaufen, bieten sie zusätz­
lich ein Pay-per-Use-Modell. Der Kunde
bucht den gewünschten Wagen per Internet
Quelle: ZVG
oder App. Damit lässt sich dann auch das
Fahrzeug öffnen. So schaffen die Anbieter
ein neues Kundenerlebnis. Der Kunde fährt
verschiedene Modelle seines Lieblingsher­
stellers, den Kombi beim Einkauf und den
schnittigen Sportwagen bei der Spritzfahrt
am Sonntag; eine Dienstleistung, die dem
heutigen Bedürfnis nach Individualität und
Flexibilität entspricht. Das Beispiel zeigt: Der
digitale Wandel bietet auch etablierten Un­
ternehmen grosse Chancen. Risiken birgt
er für diejenigen, die ihn verschlafen.
* Thomas Memmel ist Partner und Mitglied der Geschäftsleitung der
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SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
21
Zum Beispiel der Gecko
Einfach genial: Bioniker transferieren Meisterleistungen der Natur in den Alltag
Die Wissenschaft der Bionik
orientiert sich an natürlichen
Gegebenheiten. Pflanzen, Tiere
oder auch der Mensch können als
biologische Vorbilder fungieren.
Bioniker betrachten deren
Fähigkeiten und setzen sie in
Anwendungen für den Menschen
um. Vom Gecko haben sie schon
viel gelernt.
Patricia Piekenbrock
«Bionik» ist ein Kunstbegriff, der sich aus
den Worten «Biologie» und «Technik» zusam­
mensetzt. Obwohl es auf den ersten Blick
einfach klingt, steckt viel Know-how dahin­
ter. In der Bionik geht es nicht darum,
Ergebnisse der Evolution einfach nachzu­
bauen. Vielmehr werden Errungenschaften,
welche die Natur im Laufe vieler Millionen
Jahre hervorgebracht und perfektioniert hat,
als Ideenpool genutzt.
Ein Gecko zum Beispiel ist in der Lage, mü­
helos Felswände zu erklimmen. Sein Gewicht
stemmt er mit einem einzigen Füsschen,
wobei selbst spiegelglatte senkrechte Ober­
flächen für ihn kein Hindernis darstellen. Das
Reptil kann kopfüber hängend verharren und
sich ausruhen. Diese beneidenswerte Leicht­
füssigkeit, über die zum Teil auch Spinnen
oder Insekten verfügen, kommt nicht durch
die Verwendung von Klebstoff, Saugnäpfen
oder Häkchen zustande.
An der Unterseite der Geckozehen befinden
sich vielmehr Lamellenstrukturen mit Millio­
nen feinster Härchen, die an der Spitze etwa
hundertfach aufgespalten sind. Dort sind sie
nur noch rund 200 Nanometer (0,0000002
Meter) breit und werden anschmiegsam.
Zwischen ihnen und dem jeweiligen Unter­
grund bilden sich sogenannte Van-der-WaalsKräfte: elektrostatische Anziehungskräfte
zwischen den sich nähernden Molekülen. Der
Gecko löst diese Haftkraft wieder, indem er
seinen Fuss einfach unter einem bestimmten
Winkel von der Oberfläche anhebt.
Rückstandsfreie Haftung
Bionik-Spezialisten aus Forschung und In­
dustrie gelang es, dieses natürliche Haft­
prinzip in eine Anwendung zu übertragen.
Wissenschaftler der norddeutschen Christi­
an-Albrechts-Universität in Kiel entwickelten
zusammen mit dem süddeutschen Unter­
nehmen Gottlieb Binder die Silikon-Folie
Gecko Nanoplast. Sie ist etwa 0,34 Millime­
Vorbild für Haftfolien: Die Unterseite der Geckozehe.
ter dick und auf der einen Seite mit rund
29 000 mikroskopischen Elementen pro
Quadratzentimeter ausgestattet. Ähnlich wie
Geckozehen bilden diese Elemente mit glat­
ten und ebenen Oberflächen Van-der-WaalsKräfte aus. So haften sie rückstandsfrei auf
Materialien wie Glas, lackiertem Metall,
Marmor, Keramik oder Kunststoff; selbst
wenn der Untergrund feucht oder ölig ist.
Der Automatisierungstechnik-Hersteller Fes­
to, dessen Stammhaus ebenfalls in Süd­
deutschland ist, realisierte mit Hilfe der
Nanofolie sowie einem weiteren bionischen
Kniff ein intelligentes Werkzeug für das na­
hezu energiefreie Greifen in der Produktion:
den sogenannten NanoForceGripper. Er kann
empfindliche Gegenstände mit glatten Ober­
flächen, etwa Displays von Mobiltelefonen,
einfach aufnehmen und fixieren.
Beim Ablegen des Greifguts kommt der «Fin
Ray Effect» zum Zug; angelehnt an die Ana­
tomie einer Fischflosse. Wirkt Kraft auf die
Flosse, wölbt sie sich in entgegengesetzter
Richtung. Durch leichten Druck verformt sich
Quelle: ZVG
der Greifer von einer geraden zu einer gleich­
mässig gebogenen Fläche, sodass sein
Auflagebereich schrumpft. Ähnlich wie ein
Gecko, der sein Füsschen anhebt, schält sich
das Werkzeug schlichtweg ab. Dabei ist we­
der mit Verschleiss noch Rückständen auf
der Oberfläche zu rechnen.
Erfolgsmodell Pilzkopfform
Bioniker arbeiten mit Methoden aus den un­
terschiedlichsten Wissenschaften. Der Phy­
sikingenieur Lars Heepe, der Biophysiker
Alexander Kovalev, der theoretische Physiker
Alexander Filippov und der Biologe Stanislav
Gorb der Uni Kiel entschlüsselten im vergan­
genen Jahr beispielsweise das Erfolgsmodell
der natürlichen Haftung: die Pilzkopfform. Die
Forscher stellten fest, dass sich diese Form
auf der Nano-, Mikro- und Makroskala bei
unterschiedlichen Organismen an Land und
im Wasser entwickelt hat – bei pilzkopfför­
migen Bakterien, an Weinreben oder an
tierischen Hafthaaren.
«Die spezielle Kontaktgeometrie weist auf
eine evolutionäre Anpassung der Organismen
hin, die ihre Haftung immer weiter verbes­
sert», so Stanislav Gorb. Die interdisziplinär
arbeitenden Bioniker untersuchten das Ab­
löseverhalten der winzigen pilzkopfförmigen
Haftelemente der Geckofolie unter dem Mi­
kroskop bei einer Auflösung von 180 000
Bildern pro Sekunde. Dadurch kamen sie dem
Geheimnis der Pilzkopfgeometrie auf die Spur:
Sie sorgt für eine gleichmässige Spannungs­
verteilung zwischen Untergrund und Haft­
element. Auf dieser Wissensbasis lassen sich
nun bereits bestehende Haftstrukturen wei­
terentwickeln und optimieren.
Bereits heute gibt es eine Fülle erfolgreicher
bionischer Beispiele – das Zehenspitzenge­
fühl der Geckos für optimale Haftung, das
Ineinanderhaken von Klettenfrüchten für den
Klettverschluss, die selbstreinigende Kraft
der Lotusblüte für schmutzabweisende
Waschbecken und Gebäudefassaden oder
der geringe Strömungswiderstand von Hai­
fischhaut für Schwimmanzüge und Schiffe.
Unternehmen der unterschiedlichsten Bran­
chen nutzen das Potenzial der Bionik: die
Textil- und Beschichtungsindustrie, die Luftund Raumfahrt, die Bauindustrie, die Mikround Nanotechnologie oder auch die Automo­
bilindustrie.
So stand etwa der Kofferfisch Pate für ein
bionisches Konzeptfahrzeug mit komfortab­
lem Platzangebot für Insassen. Denn der Fisch
weist trotz seines würfelähnlichen Rumpfs
hervorragende Strömungseigenschaften auf.
Das Wachstum von Bäumen oder menschli­
chen Knochen wird als lehrreiches Vorbild für
den modernen technischen Leichtbau ge­
nutzt. Knochen beispielsweise sind weder
hohl noch komplett ausgefüllt, sondern an
den belasteten Stellen sinnvoll verstärkt. Von
Fisch- oder Vogelschwärmen lassen sich
wertvolle Informationen für die Kommunika­
tion von Maschinen gewinnen. Und der
Elefantenrüssel weist einen Weg, wie die
Robotik und die gefahrlose MenschMaschine-Kooperation von morgen aussehen
können.
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SEF.2015
Mittwoch, 3. Juni 2015 · NZZ-Verlagsbeilage
23
Macht und Komplexität
Vom intelligenten Umgang mit Unsicherheit
«Man muss
akzeptieren, dass die
Menschen fliehen»
Die Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP) berät die deutsche
Regierung und den Bundestag.
Direktor Volker Perthes und sein
Koautor Markus Kaim über die
politischen Handlungsspielräume
der grössten Volkswirtschaft
Europas.
Krieg gegen die Zivilbevölkerung:
Warum der Irak und Syrien im
Chaos versinken.
Volker Perthes, Markus Kaim
Interview: Jost Dubacher
Wer glaubt, dass sich ein aussenpolitisches
Programm für einen Zeitraum von beispiels­
weise 20 Jahren aufgrund heute relativ klar
absehbarer Trends bestimmen lasse, sollte
zunächst einmal auf die gleiche Zeitspanne
zurückblicken.
Um 1995 war tatsächlich einiges absehbar
und einige Entwicklungen wurden eingeleitet,
die für die deutsche Aussen- und Sicherheits­
politik auch heute noch relevant sind. Man
denke etwa an die Erweiterungen von EU und
Nato, das Ende der D-Mark, die allmähliche
Umorientierung der Bundeswehr auf die Teil­
nahme an internationalem Krisenmanage­
ment, den Anspruch der mit dem MaastrichtVertrag gerade etablierten Europäischen
Union, eine gemeinsame Aussen- und Sicher­
heitspolitik auf den Weg zu bringen und nicht
zuletzt eine gestaltende Rolle in der östlichen
und südlichen Nachbarschaft zu spielen.
Aber kaum jemand dürfte erwartet haben,
dass 2015 deutsche Truppen immer noch in
Afghanistan engagiert sein könnten, dass
schwache oder gescheiterte Staaten zu einer
der wesentlichen Sicherheitsbedrohungen
mutieren, dass China in diesem Zeitraum zur
global zweitgrössten Wirtschaftsmacht auf­
gestiegen sein und Mitgliedstaaten der EU
sich um Hilfen des Internationalen Währungs­
fonds – oder Chinas – bemühen würden.
In einer durch zunehmende Komplexität, Ge­
schwindigkeit und «Grenzenlosigkeit» be­
stimmten globalen Umwelt wird ein intelligen­
ter Umgang mit Unsicherheiten und
ungeplanten Entwicklungen immer mehr zur
Erfolgsvoraussetzung gerade aussen- und
sicherheitspolitischen Handelns. Dessen un­
geachtet dürften viele der heute ungelösten
Aufgaben und unbeantworteten Herausforde­
rungen die deutsche und europäische Politik
auch in den kommenden zwei Jahrzehnten
begleiten.
Viele Europäer fragen sich, was im Nahen
Osten wirklich abläuft. Können Sie helfen?
Der Nahe Osten, wie er seit rund 100 Jah­
ren – seit den Pariser Vorortsverträgen exis­
tiert –, ist Vergangenheit. Wir beobachten
einen Ordnungszerfall auf allen Ebenen:
Grenzen verschieben sich, Staaten lösen sich
auf und moralische Standards werden
ausser Kraft gesetzt. Was wir sehen, sind
Zustände, wie sie in Mitteleuropa im
17. Jahrhundert, während des 30-jährigen
Krieges, geherrscht haben: Es gibt stetig
wechselnde Allianzen zwischen religiös
motivierten Gruppen, regionalen staatlichen
Autoritäten und Räuberbaronen.
Abschied von Illusionen
Das Jahr 2014 hat mit seinen Krisen und
Konflikten, darunter die Ukraine-Krise und der
Vormarsch des «Islamischen Staates», erneut
die aussenpolitische Gestaltungskraft
Deutschlands zum Thema gemacht. Offenbar
haben die deutschen Entscheidungsträger und
ein grosser Teil der Öffentlichkeit erkannt, dass
Deutschland und Europa sich nicht mehr auf
die Scheingewissheit einer immer enger in­
tegrierten Europäischen Union verlassen kann,
die von Freunden umgeben ist und anderen
Regionen als Modell dient.
Viele Debattenbeiträge reduzieren die Frage
nach der Rolle Deutschlands in der Welt jedoch
auf die Instrumente der Aussenpolitik. Aus
dieser Sicht erschöpft sich die Frage nach der
deutschen Verantwortung darin, wie viele Sol­
daten Deutschland für internationales Krisen­
management entsendet und welchen finanzi­
ellen Beitrag es zur Behebung internationaler
Probleme leistet. Wer aber über Deutschlands
Rolle in der Welt reflektiert, muss sich mit den
folgenden vier Dimensionen befassen.
An erster Stelle steht die Frage nach der
Reichweite des aussenpolitischen Gestal­
tungsanspruchs. Einerseits ist ein so vielfältig
globalisiertes und international überdurch­
schnittlich vernetztes Land wie die Bundes­
republik auch von geografisch weit entfernten
Entwicklungen betroffen. Gleichwohl wird
Volker Perthes über den Nahen Osten
Wohin des Weges? Deutschland 25 Jahre nach der Wiedervereinigung.
Deutschland durch diese vitalen Interessen
an globalen Entwicklungen nicht gleich zur
globalen Ordnungsmacht.
Stattdessen erstreckt sich der Radius, für den
Berlin zuerst ordnungspolitische Verantwor­
tung tragen soll und kann, auf die euro-atlan­
tische Peripherie: auf Nordafrika, den Nahen
Osten und auf die östliche Nachbarschaft.
Hier stellen sich bereits viele, ja fast zu viele
aussenpolitische Herausforderungen, die
Deutschland unmittelbar betreffen.
Mittelmacht Deutschland
Es wäre deshalb richtig, wenn Deutschland
sich in diesem Sinne bewusst als aktive Mit­
telmacht definiert. Eine solche bemüht sich
darum, in ihrem internationalen Umfeld zu­
sammen mit anderen zur Problembearbeitung
beizutragen – wohl wissend, dass nicht alle
internationalen und globalen Probleme kurz­
fristig lösbar sind.
Eine aktive Mittelmacht ist sich ihrer Stärken,
aber auch der Grenzen ihrer Macht und ihres
Einflusses bewusst. Im Gegensatz zu Staaten
mit Grossmachtanspruch wissen die nationa­
len Entscheidungsträger, dass ihr Land allein
zu klein ist für die globalisierte Welt, dass es
auf multilaterale Zusammenarbeit angewiesen
ist und dass es nicht überall eine führende
Rolle spielen kann. Sie sind sich aber auch
bewusst, dass ihr Land sich angesichts pro­
blematischer oder gefährlicher internationaler
oder globaler Entwicklungen nicht einfach
wegducken und sich schon gar nicht auf be­
stimmte funktionale Nischen beschränken
kann. Stattdessen sollte Deutschland eine
Führungs- und Mitführungsrolle anbieten, und
zwar in Bereichen, in denen es besser als in
anderen – oder besser als andere – zur Pro­
blemlösung beitragen kann.
Die zweite Dimension aussenpolitischer Ver­
antwortung bezieht sich auf die Ideen und
Initiativen, die Deutschland zur Regelung in­
ternationaler Fragen einbringt. Wichtig ist, eine
klare Vorstellung von den eigenen Interessen
zu haben, zu wissen, welche Ziele man errei­
chen möchte und kann, und andere für eine
entsprechende Strategie zu gewinnen. Das
verlangt zudem die Bereitschaft, notfalls auch
die Kosten für die Durchsetzung dieser Ziele
in Kauf zu nehmen. Beispiele für ein derartiges
Engagement Deutschlands bieten die lang­
jährige Atom-Diplomatie gegenüber Iran und
die deutschen Beiträge zum Umgang mit
Russland und der Ukraine in den vergangenen
Monaten.
In beiden Fällen waren klare strategische
Ziele und Ideen zur Konfliktbearbeitung sowie
die Bereitschaft und Fähigkeit vorhanden,
einen breiten Konsens zu schaffen, zögerliche
Partner ins Boot zu holen und diesen, sofern
es zur Lösung beitrug, die Führung zu über­
Quelle: ZVG
lassen. In beiden Fällen zeigte sich die Füh­
rungs- und Mitführungsverantwortung Berlins
auch in der Bereitschaft, Kosten zu überneh­
men, um die mit europäischen und internati­
onalen Partnern gemeinsam vertretenen
Ziele in die Tat umzusetzen.
Die dritte Facette aussenpolitischer Verant­
wortung ergibt sich aus der multilateralen
Selbstbindung bundesrepublikanischer Aus­
senpolitik und aus der Tatsache, dass eine
rein nationale Aussenpolitik den Anforderun­
gen einer globalisierten Weltpolitik kaum mehr
gewachsen ist. Entscheidend für die deutsche
Aussenpolitik ist die Frage nach den Partnern
und internationalen Organisationen, mit denen
beziehungsweise in denen Deutschland be­
stimmte Ziele zu verwirklichen sucht.
Der Aufstieg neuer Mächte hat eine solche
Neuorientierung in den vergangenen Jahren
genauso notwendig gemacht wie die NSAAffäre oder die Krise des europäischen Inte­
grationsprozesses. Es reicht heute nicht mehr
aus, einfach auf die Bedeutung der transat­
lantischen Beziehungen oder die EU als deut­
schen Handlungsrahmen zu verweisen. Je
nach Politikfeld wird die deutsche Aussenpo­
litik immer wieder neu um geeignete und
gestaltungswillige Partner werben müssen.
Erst zuletzt stellt sich die Frage nach der vier­
ten Dimension aussenpolitischer Verantwor­
tung, nämlich den Instrumenten deutscher
Aussenpolitik. Dazu gehört die gesamte Band­
breite der diplomatischen, militärischen, fi­
nanziellen und wirtschaftlichen Massnahmen,
die der Bundesrepublik zur Verfügung stehen.
Die jüngsten Debatten über die Herausforde­
rungen deutscher «Ordnungspolitik» weisen
vor diesem Hintergrund in unterschiedliche
Richtungen: Während die Politik von Bundes­
kanzlerin Angela Merkel und Aussenminister
Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine-Krise
reflektierter, ja «erwachsener» im Sinne einer
aktiven Mittelmachtrolle wirkt, scheinen die
Debatten um die Bewaffnung der PeshmergaMilizen sowie die Ausbildungsmission im
Nordirak eher aussenpolitischen Aktivismus
zu suggerieren, dem klare Vorstellungen von
Ordnung im Nahen Osten und Konfliktbear­
beitung – zumindest bislang – noch fehlen.
Krise als Normalfall
Unerwartete Entwicklungen und daher die
Notwendigkeit, sich an veränderte Rahmen­
bedingungen anzupassen, werden für die
deutsche Aussenpolitik auch weiterhin der
Normalfall bleiben. Das verlangt den Ausbau
nicht nur intellektueller, sondern auch insti­
tutioneller Fähigkeiten zur frühzeitigen
Identifizierung von Risiken und zum Umgang
mit dem Unerwarteten. Zudem wird die
Fähigkeit erforderlich sein, externe Schocks
auszuhalten.
Lassen sich Schuldige ausmachen?
Der Westen hat sicher nicht alles richtig ge­
macht, aber im Wesentlichen sind die Prob­
leme hausgemacht. Bis auf wenige Ausnah­
men – Tunesien zum Beispiel – sind die
Staaten des Maghreb und der Levante reform­
unfähig. Jetzt zerbrechen sie unter einem
angestauten inneren Druck.
Was führt zu dieser Reformunfähigkeit?
Es handelt sich um Elitenversagen. Was auch
in den gebildeten Schichten fehlt, ist der Sinn
für Inklusion, Partizipation und Rechtstaatlich­
keit. Deutlich wurde das unter anderem in
Ägypten. Als die Muslimbrüder an die Macht
kamen, dauerte es nicht lange und sie führten
sich genauso undemokratisch auf wie das
vom Volk abgewählte Mubarak-Regime.
In Syrien und Irak herrscht Bürgerkrieg.
Warum scheint hier kein Ende in Sicht?
In beiden Fällen handelt es sich um ursprüng­
lich lokale Konflikte, die nun vom Antagonis­
mus zwischen Saudiarabien und dem Iran
überlagert werden. In Syrien zum Beispiel
unterstützt der Iran das Regime, weil dieses
mit der schiitischen Hisbollah alliiert ist, was
wiederum die Saudis bewegt, die innersyrische
Opposition zu unterstützen. Ich würde nicht
von einem Stellvertreterkrieg sprechen. Tat­
sache ist jedoch, dass weder der Iran noch
Saudiarabien Syrien preisgeben wollen, und
so dem Konflikt immer neue Energie zuführen.
islamistischen Miliz, die ihr Wirken auf das
paschtunische Stammesgebiet in Afghanistan
und Pakistan beschränkt, einen universellen
Anspruch hat. Der IS ist – anders als etwa
Al-Qaida – ganz eindeutig auf die Bildung von
staatlichen Strukturen aus. Er will ein neues
Kalifat errichten und tritt so in Konkurrenz zu
den bestehenden Territorialstaaten.
Das Chaos in der Levante verursacht viel
menschliches Elend. Die Menschen versuchen, nach Europa zu fliehen; oft auf
dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Lässt sich dagegen etwas tun?
Zunächst einmal muss man die Relationen
sehen. Nach Süditalien gelangen täglich ei­
nige 100 Menschen. Innerhalb Syriens hin­
gegen sind schätzungsweise elf Millionen
Menschen auf der Flucht. Wer besser ausge­
bildet und wohlhabend ist, versucht natürlich,
das Land zu verlassen; vorwiegend Richtung
Europa. Daran wird sich auch in Zukunft nichts
ändern; das muss man akzeptieren.
Anderseits besteht in Europa ein politischer Konsens, dass man nicht jeden
fluchtwilligen Syrer, Iraker oder Kurden
hier aufnehmen kann. Was ist zu tun?
Eine rundum befriedigende Lösung gibt es
nicht. Wichtig scheint mir aber, dass man die
Nachbarstaaten des Iraks und von Syrien
stärkt. Namentlich der Libanon verdient un­
sere Unterstützung. Denn das Land mit seinen
rund 4,5 Millionen Einwohnern hat bereits
weit über eine Million syrische Flüchtlinge
aufgenommen. Man stelle sich solche Ver­
hältnisse bei uns vor!
Wie kann man sich eine solche Hilfe konkret vorstellen?
Einige der Flüchtlingslager in Jordanien und
Libanon haben über 100 000 Einwohner; es
handelt sich um mittelgrosse Städte, die aber
über keinerlei städtische Infrastruktur verfü­
gen. Warum baut Europa dort nicht Gymna­
sien und Hochschulen auf?
Der grosse Profiteur scheint der Islamische Staat (IS) zu sein. Wie schätzen Sie
dieses relativ neue Phänomen ein?
Am ehesten lässt sich der IS mit den Taliban
vergleichen; wobei er im Gegensatz zu dieser
SWP-Direktor Volker Perthes.
Dafür wird es in weiter steigendem Umfang
Partner bedürfen. Hierbei können wir davon
ausgehen, dass die Machtgewichte in der Welt
sich in den kommenden zwei Jahrzehnten
weiter verschieben, sich Macht aus unter­
schiedlichen und aus anderen Quellen speisen
wird als heute und internationale Politik auch
weiter durch eine Vielzahl von relevanten Ak­
teuren, von Konflikten und von Problemen
bestimmt sein wird, die nur global, unter
Einbeziehung einer wachsenden Zahl von
«Stake­holdern» bearbeitet werden können.
Wo immer Macht sich verschiebt, entstehen
Turbulenzen, oft neue Konflikte, in jedem Fall
Misstrauen und Unsicherheit, gleichzeitig aber
auch neue Formen der Koordination und
Kooperation.
Da die deutschen Möglichkeiten zur Gestal­
tung der internationalen Politik operativ be­
grenzt sind und bleiben werden, wird die
deutsche Aussenpolitik noch multilateraler
sein müssen, nicht was ihren normativen Kern,
aber was die Zahl und Form der verfügbaren
Formate betrifft. Denn erst ein effektiver Mul­
tilateralismus, verbindliche, gemeinsame
Regeln für die internationale Politik sowie ein
koordiniertes, nachhaltiges Wachstum, das
allein einer wachsenden Menschheit erlauben
wird, friedlich zusammenzuleben, werden in
positiver Weise den komparativen Vorteilen,
über die Deutschland – nicht zuletzt als Wirt­
schaftsmacht und innovativer Technologieund Wissenschaftsstandort – verfügt, auch
international Gewicht geben.
Quelle: SWP
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