12.03.2015 Palliative Sedierung SVEN CLAßEN FACHARZT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN PALLIATIVMEDIZIN, RETTUNGSDIENST, REISEMEDIZIN, GERIATRIE WEITERBILDUNGSBEFUGTER FÜR PALLIATIVMEDIZIN U. ALLGEMEINMEDIZIN Palliativkurs Kiel Palliative Sedierung Dr. med. Sorglos Palliativmediziner © Sven Claßen 1 12.03.2015 Palliative Sedierung palliative Sedierung versus Euthanasie: „Bei der Euthanasie ist die Intention, den Patienten zu töten. Das Vorgehen besteht darin, ein tödliches Medikament zu verabreichen und das erfolgreiche Ergebnis ist der sofortige Tod. Die Intention von palliativer Sedierung ist es, unerträgliches Leiden zu lindern. Das Vorgehen besteht darin, ein bewusstseinsdämpfendes Medikament zur Symptomkontrolle einzusetzen und das erfolgreiche Ergebnis dieser Maßnahme ist die Linderung der belastenden Symptome…“ (Positionspapier der European Association for Palliative Care). Palliative Sedierung © Sven Claßen keine andere Therapiemöglichkeit hat eine Aussicht auf Linderung des unerträglichen Leides des Patienten steht am Ende frustraner Therapieversuche die frustranen Therapieversuche müssen nachvollziehbar sein (Dokumentation!!!) nach erfolgter Aufklärung muss das Einverständnis des Patienten (und der Angehörigen?) erfolgt sein die Überwachung des sedierten Patienten hat ständig personell abgedeckt zu sein 2 12.03.2015 Palliative Sedierung Wie viel Leid ist einem Menschen zumutbar? Wird das Sterben normierbar? Abgrenzung zur Beihilfe zum Suizid und der aktiven Sterbehilfe? Entsteht ein sozialer Druck auf Sterbende, ihr Sterben handbarer zu machen? Palliative Sedierung -unerträgliches Leid- …Unerträgliches Leid ist die individuell und subjektiv empfundene Intensität von Symptomen oder Situationen, deren andauerndes Empfinden bzw. Erleben so belastend ist, dass sie von einem Patienten nicht akzeptiert werden kann…* …Bei nicht verbal kommunikationsfähigen Patienten kann die Einschätzung von Angehörigen und/oder Begleitern zur Beurteilung der Leidensakzeptanz herangezogen werden…** * De Graeff A, Dean M Palliative Sedation Therapy in the Last Weeks of Life: A Literature Review and Recommendations for Standards J Palliat Med. 2007,10:67-85 ** Müller-Busch HC, Radbruch L, Strasser F, Voltz R Empfehlungen zur Palliativen Sedierung DMW 2006, 131: 2733-2736 © Sven Claßen 3 12.03.2015 Palliative Sedierung -therapierefraktäre Symptome …sind solche, bei denen alle Behandlungsmöglichkeiten unter Einsatz kompetenter interdisziplinärer Palliativmedizin versagt haben, oder bei denen gezielte palliative Maßnahmen nicht innerhalb eines annehmbaren Zeitrahmens zum Einsatz kommen können bzw. die unter Berücksichtigung der Lebenssituation und des Erkrankungszustandes nur unter nicht zumutbaren Belastungen behandelt werden könnten. De Graeff A, Dean M Palliative Sedation Therapy in the Last Weeks of Life: A Literature Review and Recommendations for Standards J Palliat Med. 2007,10:67-85 ...sind Symptome, wenn andere mögliche Behandlungen nicht erfolgreich waren oder durch Teamkonsens auf der Grundlage wiederholter und aufmerksamer Beurteilung erfahrener Experten eingeschätzt werden kann, dass keine Methode im Rahmen der zeitlichen Rahmenbedingungen zur Linderung zur Verfügung steht bzw. aus einem möglichen Vorgehen dem Patienten kein günstiges Nutzen-SchadenVerhältnis erwächst. Cherny und Portenoy, J Palliative Care 1994 Palliative Sedierung medizinisch begründbare Indikation für Sedierung (mutmaßlicher) Patientenwille nach Aufklärung medizinmoralisch und juristisch korrekte Sedierung © Sven Claßen 4 12.03.2015 Palliative Sedierung Ziel ist eine subjektiv erleichternde Symptomlinderung durch eine sorgfältige Dosierung und Titrierung bewusstseinsmindernder Medikamente. Erforderlich ist dabei eine engmaschige regelmäßige ärztliche Kontrolle der klinischen Situation und wiederholte Überprüfung, ob nicht andere Möglichkeiten zur Symptomlinderung angewendet werden können. De Graeff A, Dean M Palliative Sedation Therapy in the Last Weeks of Life: A Literature Review and Recommendations for Standards J Palliat Med. 2007,10:67-85 Müller-Busch HC, Radbruch L, Strasser F, Voltz R Empfehlungen zur Palliativen Sedierung DMW 2006, 131: 2733-2736 Palliative Sedierung -Häufigkeit und IndikationenIndikation Mittlere Häufigkeit Schwankungsbreite Dyspnoe 38 % 9- 74 % Schmerzen 22 % 6- 49 % Delir/ Agitation 39 % 21- 91 % Nausea/ Emesis 6% 3- 10 % Allgemeine Erschöpfung 20 % 2- 38 % Angst/ psychische Erschöpfung 21 % 2- 36 % Aus „Symptomkontrolle in der Palliativmedizin, Sittl R und Reckinger K © Sven Claßen 5 12.03.2015 Palliative Sedierung -Häufigkeit und Indikation- Quelle Pat.anzahl davon mit Sedierung Unruhe / Delir Dyspnoe Schmerz Angst Andere Ventafridda V et al. 1990 154 79 (52 %) 14 % 41 % 39 % k.A. 6% Morita T et al., 1996 143 61 (48 %) 33 % 49 % 39 % k.A. 10 % Ojeda M et al. 1997 448 85 (19 %) 37 % 74 % 6% k.A. 11 % Stone P et al., 1997 115 30 (26 %) 60 % 20 % 20 % 26 % 3% Morita T et al, 1999 157 70 (45 %) 42 % 41 % 13 % 2% 3% Porta-Sales J et al., 1999 486 112 (23 %) 23 % 26 % 26 % 36 % k.A. Fainsinger RL et al., 2000 387 100 (26 %) 61 % 26 % 7% 11 % 12 % Morita T et al, 2000 248 20 (8 %) 40 % 50 % 5% k.A. 5% Chiu TY et al 2001 246 70 (28 %) 43 % 10 % 23 % 7% k.A Caraceni A et al., 2002 101 58 (57 %) 29 % 43 % 2% 22 % 5% Müller-Busch HC et al, 2003 548 80 (15 %) 14 % 35 % 3% 40 % 9% Gesamt 3003 785 (26 %) 37 % 41 % 13 % 22 % 8% Palliative Sedierung Primäre Sedierung: Sedierende Medikamente (z.B. Benzodiazepine) Sekundäre Sedierung: Medikamente haben als Nebenwirkung sedierende Eigenschaften (z.B. Opioide) Ia: Intermittierende Sedierung: reversibel, z.B. nachts oder 2-3 Tage, Kräfte mobilisieren, Hirnödemabbau bei gleichzeitiger Flüssigkeitsretention, evtl. lebensverlängernd Ib: Kontinuierlich-oberflächliche Sedierung: im Prinzip reversibel, Pat. erweckbar II: kontinuierlich-tiefe Sedierung: Sedierung gewollt bis Eintritt des Todes nach Morita T et al. The Lancet 2001;358: 335-336 © Sven Claßen 6 12.03.2015 Palliative Sedierung begleitende Therapiemaßnahmen Stufe Ia und Ib: alle indizierten Maßnahmen fortführen (Indikation prüfen!) Stufe II: alle lebensverlängernden Therapien abbrechen (auch: Beatmung, Dialyse, kreislaufunterstützende Medikation, Antibiose, künstliche Ernährung/Hydrierung) gebotene „Passive Sterbehilfe“ Palliative Sedierung -Medikamentenbeispiele für Stadium IISubstanz Appl. Maximale Plasmakonz. HWZ Dosierung Initial (max.) Midazolam s.c. / i.v. i.v. 2,5 Min. 1,5-2,5 h 0,5-1,0 mg/h i.v. 1,0-2,0 mg/h s.c. (0,4 – 10 (15) mg/h (0,03-0,2 mg/kg KG/h)) Lorazepam oral 10-30-90 Min. 12-16 h 0,5 -2,5 mg, 4-6x/die Clonazepam s.c. 60- 240 Min. 20-60 h 2,0 mg, (8 mg/h s.c.) Diazepam rect., i.v. 30-90 Min. 20-100 h 5 -30 mg, 2x/die Levomepromazin s.c./ i.v. s.c. 30-90 Min. 15-30 h 25 mg, (2-12,5 mg/h) Propofol 1% i.v. 1,5- 2 Min. 0,5-1 h 10 – 20 mg=1,0-2,0 ml, (20-70 (280) mg/h; (0,3- 4,5 mg/kg KG/h)) n. jeweiliger Fachinfo u. Brausewein C, et al. Arzneimitteltherapie in der Palliativmed., 1. Aufl. 2005 © Sven Claßen 7 12.03.2015 Palliative Sedierung -MidazolamMidazolam subcutan intravenös Initialdosis 1,0 – 2,0 (-5,0) mg 0,5 – 1 mg Wirkbeginn nicht bekannt 1 Minute Wirkmaximum nicht bekannt 4-5 Minuten Wirkdauer eines Bolus nicht bekannt 15- 80 Minuten Erhaltungsdosis 0,4 – 10 (15) mg/h (0,03-0,2 mg/kgKG/h) 0,4 – 10 (15) mg/h (0,03-0,2 mg/kgKG/h) Nebenwirkungen paradoxe Reaktionen, insbesondere bei geriatrischen Patienten möglich, RR-Abfall, Schmerzen an der Injektionsstelle, anterograde Amnesie Palliative Sedierung -Propofol- © Sven Claßen Propofol intravenös Initialdosis 10-20 mg alle 5-15 Minuten um 10 mg steigern bis gewünschte Sedierungstiefe erreicht Wirkbeginn 30 Sekunden Wirkmaximum 2-4 Minuten Wirkdauer eines Bolus 2-4 Minuten Erhaltungsdosis 20-70 (280) mg/h; (0,3- 4,5 mg/kgKG/h) Nebenwirkungen Schmerzen der Injektionsstelle (v.a. bei peripher liegenden und kleinkalibrigen Venenverweilkanülen), RR-Abfall, Husten 8 12.03.2015 Palliative Sedierung -oberflächliche Sedierung- Stadium I b: Ziel ist es den Patienten müde, schläfrig bis schlafend einzustellen, die verbale Kommunikationsfähigkeit soll dabei erhalten bleiben Palliative Sedierung -kontinuierlich tiefe SedierungStadium II Ramsey-Score (modif. N. Habibi und Coursin) 6 Agitiertheit 5 Prombte Reaktion auf Namensnennung in normaler Lautstärke 4 Lethargische Reaktion auf Namensnennung in normaler Lautstärke 3 Reagiert nur nach lauter oder wiederholter Ansprache 2 Reagiert nur auf leichtes Anstoßen oder Rütteln 1 Reagiert nicht auf leichtes Anstoßen oder Rütteln 0 Keine Reaktion auf Reize Ziel ist es, den Score 1 zu erreichen, der Score 0 ist zu unterlassen (=Koma/Narkose) © Sven Claßen 9 12.03.2015 Palliative Sedierung Die Häufigkeit der Anwendung einer palliativen Sedierung hat in den letzten Jahren zugenommen (von 1995 (7%) bis 2002 (19%)). Derzeit schwanken die Angaben zur Anwendung der palliativen Sedierung weltweit zwischen 1-88 % (!?). Die Anforderung durch die Patienten hat sich im gleichen Zeitraum von 19 % auf 34 % fast verdoppelt. Die Indikation zur palliativen Sedierung wird zunehmend wegen psychischer Symptomatiken gestellt („existentielles Leiden“) nach Müller-Busch et. Al, BMC 2003 Palliative Sedierung -Indikationen Schmerzen/Atemnot (häufigste Indikationen)* Delir (kommend häufigste Indikation?) Massive Blutungen Gastrointestinale Symptome (panische oder existentielle) Angst „terminal restlessness“ Agitation Verwirrung/ Konfusion Muller-Busch et. Al, BMC 2003 *Morita 2004 Support Care Cancer © Sven Claßen 10 12.03.2015 Palliative Sedierung = Lebensverkürzung? Einen wissenschaftlichen Beleg gibt es hierfür nicht, aber viele Hinweise, dass die palliative Sedierung keine Lebensverkürzung darstellt, tendentiell sogar eine Lebensverlängerung Stone P, Phillips C et al. Palliat Med 1997 Cowan JD, Walsh: Terminal sedation in palliative medicine Definition and review of the literature. Support Care Cancer 2001 Chiu TW, Hu WY. Sedation for refractery symptoms of terminal cancer patients in Taiwan. J Symptome Manag 2001 Hardy, Lancet, 2000 Krakauer, Oncologist 2000 Morita, J Palliative Care 1999 Morita J Pain Symptome Manag 2001 Sykes Arch Intern Med 2003 Ventafridda J Palliative Care 1990 Man muss nicht unbedingt das Licht des anderen Ausblasen, um das eigene Licht leuchten zu lassen. Phil Bosmanns © Sven Claßen 11
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