Hoffnung für Ungarn

Marsch des
Lebens
Das InfoMagazin
Heft 3|10.2014
100 Märsche des Lebens
in Deutschland
Hoffnung für Ungarn
Antisemitismus im gegenwärtigen Sprachgebrauch
Seite 4
Seite 10
Seite 14
2 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Grußwort
Ilan Mor
Israelischer Botschafter Ungarn
Als Botschafter Israels in Ungarn, der auch viele Jahre als Botschafter in Deutschland gelebt hat, habe ich im
April diesen Jahres an einer Marsch des Lebens-Veranstaltung in Budapest teilgenommen. Angesichts des wachsenden Antisemitismus in Europa und in Ungarn heutzutage begrüßen wir diese deutsche Initiative, deren Ziel es
ist, durch die schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit den Weg in die Zukunft zu weisen. Der Marsch des
Lebens ist ein leuchtendes Vorbild und ein Lichtblick in den dunklen Zeiten, denen wir gegenüberstehen. Mögen
viele diesem Beispiel folgen!
Inhalt
Editorial - 3
100 Märsche des Lebens in Deutschland – jetzt noch registrieren! - 4
Auschwitz – Dresden – Berlin - 6
Holocaustüberlebende in Deutschland - 7
Juden fliehen aus Europa - 8
600 Menschen bei Pro-Israel-Demo - 9
Hoffnung für Ungarn - 10
Die Aufarbeitung in Ungarn geht weiter; Begegnungen in Israel - 11
Peter Kardos: „Seelische Wiedergutmachung nach 70 Jahren“ - 12
Märsche des Lebens außerhalb Europas - 13
Antisemitismus im gegenwärtigen Sprachgebrauch - 14
Termine - 16
Was ist ein Marsch des Lebens?
Der Marsch des Lebens entstand im Jahr 2007. Innerhalb von sieben Jahren wurde aus einer kleinen Gebetswanderung
eine Bewegung, an der zehntausende Menschen in über achtzig Städten und zwölf Ländern beteiligt waren. Die Bewegung
beinhaltet alles, was wir in den vergangenen Jahren über die Decke des Schweigens lernen durften: Die persönliche Aufarbeitung der Familiengeschichte, die Frage nach dem Erbe der Täter- und Opfergenerationen des Holocaust und das gemeinsame
Bekenntnis von Juden und Christen gegen den modernen Antisemitismus unserer Zeit und für Israel. Der Marsch des Lebens
steht mit seiner Botschaft für:
1. Das Erinnern – damit der Holocaust niemals in Vergessenheit geraten kann;
2. Die Versöhnung – besonders zwischen Nachkommen der Täter- und Opfergeneration;
3. Das Bekenntnis – zu Israel und ein „Nie wieder!“ gegen den modernen Antisemitismus.
IMPRESSUM
Herausgeber: TOS Dienste Deutschland e.V., Nonnenstr. 17, 04229 Leipzig | Gesamtleitung und V.i.S.d.P.: Jobst Bittner
Redaktion: Jobst Bittner, Heinz Reuss, Florian Kubsch, Carmen Matussek | Grafik: Hannah Dißelhorst | Bildrechte: TOS Dienste Deutschland Archiv (falls nicht anders angegeben)
Material und Texte aus dem „Marsch des Lebens InfoMagazin“ dürfen auch auszugsweise nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers verwendet werden.
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 3
Editorial
Jobst Bittner
Marsch des Lebens Initiator
Liebe Freunde,
nach der Abschlussveranstaltung des Marsch des Lebens in Ungarn vor dem Parlament kam ein alter Mann
weinend auf mich zu: „Vielen Dank, dass Sie das hier in Ungarn machen! Sie wissen nicht, wie ermutigend
das für uns Juden ist.“ Er gehörte zu den Juden, die im Winter 1944 an genau der Stelle, an der wir standen,
in die Donau geworfen wurden. Damals holten die Pfeilkreuzler, die ungarischen Nationalsozialisten, hunderte
Männer, Frauen und Kinder aus den Häusern und Waisenhäusern. Am Fluss mussten sie ihre Schuhe ausziehen und in das eiskalte Wasser springen. Die Exekutoren erschossen die Ertrinkenden, nur wenige überlebten
diese grausame Tragödie. Der Mann, der mir gegenüberstand, war einer von ihnen. „Hier hat die Donau mich
wieder zurückgegeben“, erzählte er. „Ich konnte mich mit letzter Kraft aus dem Wasser ziehen.“
Seine Geschichte hat mich betroffen gemacht. 70 Jahre nach dem Pogrom muss dieser Mann nun wieder antisemitische Bedrohung erleben. Der Marsch des Lebens war für ihn ein Zeichen, dass sein Leid in dieser Zeit,
in der man sich wieder an Judenhass zu gewöhnen scheint, nicht vergessen ist. Ich bin davon überzeugt, dass
wir die Zeit nutzen müssen, in der Holocaustüberlebende noch ihre Geschichten erzählen können.
Wussten Sie, dass Israel laut Umfragen für die Deutschen zu den unbeliebtesten Staaten der Welt zählt? Wir
beobachten das Wiedererstarken des Antisemitismus nicht nur in Ungarn oder Frankreich – es geschieht vor
unserer eigenen Tür.
In Deutschland sollen in über hundert Städten Märsche des Lebens stattfinden. Wir sind dankbar für eine breite
Unterstützung und gute Zusammenarbeit mit den lokalen Organisatoren. In dieser Ausgabe berichten wir davon.
Wir möchten Sie ermutigen, in Ihrer Stadt einen Marsch des Lebens durchzuführen. Die Größe der Veranstaltung und die Teilnehmerzahl sind dabei nicht entscheidend. Helfen Sie in einer Zeit, in der man sich auch in
Deutschland wieder an Antisemitismus zu gewöhnen scheint, mit Ihrem Engagement ein sichtbares Zeichen für
die Zukunft zu setzen!
Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen
Jobst Bittner
Sie können dieses InfoMagazin abonnieren:
www.marschdeslebens.org, [email protected] oder Tel. 07071-360920.
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Jetzt noch
registrieren!
Die Planungen für den „Marsch des
Lebens in meiner Stadt“ laufen auf
Hochtouren: 70 Jahre, nachdem die
Todesmärsche 1944/45 die Straßen in
ganz Deutschland mit Blut tränkten,
werden dieselben Straßen nun zu Orten der Erinnerung, der Versöhnung
und des Bekenntnisses zu Israel.
Den offiziellen Startpunkt dafür bildet
der Marsch des Lebens von Gliwice
(Polen) nach Auschwitz am 17./18.
Januar 2015. Bereits davor finden
im Oktober 2014 drei Märsche in
Kassel, Hagen und Emden statt.
Insgesamt sind bisher 16 einzelne
Märsche fest geplant mit Veranstaltungen in etwa 50 Städten. Interessenten aus 60 weiteren Städten sind
registriert. Den Schlusspunkt setzt
dann eine Veranstaltungsreihe in
Berlin am 9./10. Mai 2015.
Ermutigende Multiplikationstage und viele Initiativen
Beim Marsch des Lebens Multiplikationstag in Dresden kamen einige
Teilnehmer auf die Mitarbeiter zu.
2008 hatten sie am großen Marsch
des Lebens in den neuen Bundesländern teilgenommen. „Das hat
unser Leben verändert“, sagten sie.
Jetzt wollen sie in ihren Städten in
Süd-Sachsen eigene Märsche des
Lebens veranstalten. Insgesamt drei
Multiplikationstage fanden in den
letzten Wochen mit insgesamt 150
Teilnehmern statt, neben Dresden
auch in Hannover und München.
Dabei stand neben Vermittlung
von Know-How auch Beratung und
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geistliche Ermutigung
im Mittelpunkt.
An vielen Orten ist die
Planung der Märsche
schon sehr konkret. In Bayern
werden drei größere Märsche
auf den Hauptrouten der Todesmärsche von und nach Dachau
stattfinden. Am Marsch des Lebens aus nördlicher Richtung
(Hersbruck) wird bereits seit zwei
Jahren gearbeitet. Für die Märsche
aus südlicher Richtung (Mühldorf)
und Westen (Augsburg) bilden sich
gerade Teams. Im Norden sind
größere Märsche aus Hamburg
und Lübeck geplant, in Hannover
und weiteren Städten formieren
sich Arbeitsgruppen, die Märsche
durchführen werden. Neben vielen Initiativen in Sachsen gibt es
in Süd-Brandenburg eine Gruppe,
die auf der Route des „vergessenen Todeszugs“ einen Marsch des
Lebens durchführen möchte. Auch
in Nordrhein-Westfalen, wo zuletzt
in Privatinitiative ein Marsch in Paderborn stattgefunden hat, gibt es
Interessenten in Düsseldorf, Köln
und weiteren Städten.
Das Zeitfenster nutzen –
Zeichen setzen
Viel Zeit bleibt nicht mehr, die Erlebnisse der Holocaustüberlebenden von ihnen persönlich zu hören:
Schätzungen gehen derzeit von
noch rund 500.000 jüdischen Holocaustüberlebenden weltweit aus,
ca. 200.000 davon leben in Israel,
120.000
in den USA.
Jedes Jahr nimmt ihre Zahl
mit steigender Geschwindigkeit ab. Die jüngsten von
ihnen haben die Grauen der
Konzentrationslager und Ghettos als Kinder erlebt und sind nun
Mitte siebzig. Die älteste bekannte
Holocaustüberlebende starb im Alter von 110 Jahren im Februar 2014
in London. In Deutschland organisieren sie sich häufig in Vereinen,
wie z. B. „Phönix aus der Asche. Die
Überlebenden der Hölle des Holocaust e. V.“ Nach Jahrzehnten des
Schweigens wollen viele nun ihre
Geschichten erzählen, sie haben
Bücher geschrieben und sprechen
an Schulen.
Das Ziel des Marsch des Lebens ist
es, Holocaustüberlebende zu ehren
und mit ihnen zusammen ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus
zu setzen. Genauso wichtig sind bei
jedem Marsch außerdem die Bekenntnisse der Nachfahren der deutschen Tätergeneration, die die Decke
des Schweigens über der Schuld in
ihren Familien zerbrechen. Ihre Bitte
um Vergebung kann die Gräueltaten
nicht ungeschehen machen, jedoch
haben zahlreiche Märsche des Lebens gezeigt, dass dadurch Herzen
geheilt werden können.
Informationen, wie Sie den
Marsch des Lebens in Ihrer Stadt
durchführen können, finden Sie im
Informationsfenster rechts.
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 5
Erfahrungsbericht von MDLOrganisator Nikolaus Bleimeir (Augsburg):
„Bei der Organisation eines Marsch
des Lebens sind die Gleise schon
gelegt und man muss eigentlich
nur den Zug zusammenstellen und
das Segel aufziehen, so dass der
Wind des Heiligen Geistes das Unternehmen vorwärts treiben kann.“
Mit dieser Einstellung gingen wir
als Israel-Kreis Augsburg mit einem
Organisationsteam von elf Personen an die Arbeit. Wir hatten beim
ersten Marsch des Lebens Multiplikationstag in Tübingen von der Vision der 100 Märsche in Deutschland
gehört und waren uns schnell einig,
dass wir einen Marsch in Augsburg
organisieren sollten. Aufgrund von
früheren positiven Erfahrungen mit
dem Dienst der TOS war ich mir gewiss, dass sie auch die Vision des
Marsch des Lebens konsequent
weiterverfolgen und nicht unter
dem geistlichen Druck vorzeitig aufgeben oder abbrechen würden. So
war es für uns als kleines Team in
Augsburg leicht, unter ihrer Vision
und Leiterschaft mit den Planungen
zu beginnen.
Bald erhielten wir breite Zustimmung seitens der Israelischen Kultusgemeinde Augsburg-Schwaben.
Zu zwei Informationsabenden mit
Harald Eckert und später mit Jobst
Bittner als Referenten luden wir In-
teressierte ein und machten den
Marsch in der Stadt bekannt. Mit
den Spenden an diesen Abenden
wurden nicht nur alle Ausgaben gedeckt, sondern auch noch ein stattlicher Betrag an Holocaustüberlebende in Israel und Augsburg
überwiesen.
Der MDL Augsburg fand schließlich
am 19. und 20. Oktober 2013 mit
ca. 300 Teilnehmern statt. Viele Teilnehmer, sowohl jüdische als auch
nicht-jüdische, wurden tief in ihren
Herzen berührt und gingen glücklich und verändert nach Hause.
„Was bei diesem Marsch geschehen ist, hat Auswirkungen, die bis in
die Ewigkeit reichen“, war der Kommentar einer Teilnehmerin.
Schritte zu einem Marsch des Lebens in meiner Stadt:
Phase I: Interessent – Sie interessieren sich für den Marsch des Lebens.
 Informieren Sie sich auf www.marschdeslebens.org über die Vision, lesen Sie Berichte von vergangenen
Märschen und abonnieren Sie unseren Newsletter. Sie finden Grundlagenartikel von Jobst Bittner sowie die
Ausgaben des InfoMagazins als PDF-Dokumente.
Phase II: Registrierung – Sie möchten sich unverbindlich für einen Marsch des Lebens
in Ihrer Stadt registrieren.
 Registrierungsformular 1 auf der Website ausfüllen. Damit stimmen Sie auch unseren Richtlinien zu. Sie erhalten per Mail Schulungsmaterial (Video- und Audiolinks zur praktischen und geistlichen Vorbereitung sowie
PDF-Unterlagen). Außerdem können Sie persönliche Beratung in Anspruch nehmen.
Phase III: Organisator – Sie möchten Ihren Marsch des Lebens verbindlich anmelden, können uns Termin,
Veranstalter und Kontaktdaten nennen.
 Füllen Sie das Registrierungsformular 2 aus. Wir machen Ihren Marsch auf der Website bekannt, so dass
sich andere anschließen können. Wir stehen Ihnen weiter beratend zur Seite, stellen das Logo sowie Vorlagen
für Flyer und Programmhefte zur Verfügung.
6 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Auschwitz – Dresden – Berlin
Besondere Veranstaltungen bilden das Grundgerüst der Vision von Märschen
des Lebens in 100 Städten. Am besten jetzt schon im Terminkalender vormerken!
Gliwice – Auschwitz (Polen):
16.01. -17.01.2015
Um den 17. Januar 1945 wurden aus
den Lagern in Auschwitz verschiedene Todesmärsche mit zehntausenden Menschen Richtung Westen
in Gang gesetzt – Tausende kamen
auf dem Weg brutal ums Leben.
Im damaligen Gleiwitz wurden die
Überlebenden dann auf Züge verladen und Richtung Westen weiter
deportiert. Der Marsch des Lebens
wird auf der umgekehrten Route
vom heutigen Gliwice nach Auschwitz führen. In Zusammenarbeit mit
vielen polnischen Kirchen und Gemeinden sowie der jüdischen Gemeinde in Polen wird er ein gemeinsames Zeichen für Aufarbeitung der
Vergangenheit, Versöhnung und gegen Antisemitismus setzen.
Dresden:
07.02.-08.02.2015
Berlin:
09.05.-10.05.2014
Wer die Erinnerungskultur Dresdens
nach 1945 studiert, stellt fest, dass
man sich gerne als „unschuldige
Kunst- und Kulturstadt“ verstand.
Nach der weitgehenden Zerstörung
durch alliierte Bomber frönte man
– wie auch in anderen deutschen
Städten – einem Opfermythos, der
die Verstrickungen der Dresdner
in die Verbrechen des Nationalsozialismus zu übertünchen schien.
Die geplanten Termine wurden ein
wenig verändert: Am 8.11.2014 findet zur Vorbereitung ein besonderer Gottesdienst statt. Beim Marsch
des Lebens, der nun im Februar
2015 durchgeführt wird, werden die
Teilnehmer in Form eines Sternmarsches von historischen Orten des
Holocaust in die Innenstadt gehen
und ein Zeichen für Erinnerung und
Versöhnung setzen. Organisiert wird
der Marsch von den Sächsischen Israelfreunden sowie Gemeinden und
Kirchen in Dresden.
Als Reichshauptstadt der NS-Zeit
soll Berlin der Endpunkt der gesamten Reihe von Märschen des
Lebens sein. Um den 70. Jahrestag
des Kriegsendes in Europa, vom
9. bis 10. Mai 2015, ist eine Veranstaltungsserie geplant, zu der alle
Organisatoren und Teilnehmer der
lokalen Märsche des Lebens herzlich eingeladen sind!
Karte und Liste von Todesmärschen in Deutschland im Winter und Frühjahr 1945
Im Internet herunterladen: http://www.marschdeslebens.org/v2/footer/mdl-in-meiner-stadt/
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 7
Holocaustüberlebende in Deutschland
Ihre Situation, Organisation und Bereitschaft, ihre Geschichten zu erzählen
„Es ist nicht einfach“, sagt Alex Heistver, der 1941 im
Ghetto in Kaunas geboren wurde, über die Situation der
Überlebenden in Deutschland. Heistver ist der Präsident
des Verbandes für Holocaustüberlebende aus der ehemaligen Sowjetunion, „Phönix aus der Asche“.
Offizielle Zahlen gibt es keine, und es ist schwer zu erfassen, wie viele Holocaustüberlebende heute noch in
Deutschland leben. Heistver schätzt, dass es momentan
900 bis 1000 Personen sind. Sein Verband zählt derzeit
knapp 450 Mitglieder. Sie alle haben Ghettos oder Konzentrationslager während des Nationalsozialismus überlebt. Ihre soziale Lage bezeichnet Heistver als schwierig. Die meisten Überlebenden der Shoah, die bedürftig
sind, erhalten vom Staat nur die normale Sozialhilfe. Für
teure Arzneien, die die traumatisierten Menschen häufig
benötigen, sei das zu wenig. Reisen in ihre Heimatländer
könne sich darüber hinaus kaum jemand leisten. Heistver berichtet, dass sich sein Verband sogar schon
mehrfach an die Regierung gewandt habe, um auf die
Zustände aufmerksam zu machen. Aber die Antwort sei
gewesen, dass das Geld reichen müsse.
Leider sind Heistver und auch andere jüdische Menschen in Deutschland immer noch und wieder verstärkt
mit Antisemitismus konfrontiert. „Viele Regierungen sind
fast blind für die braune Gefahr“, sagt Heistver. Er sieht
einen ansteigenden Antisemitismus bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen, was er auch an gewaltsamen
Übergriffen festmacht. Er selbst erhielt bereits einige
Drohanrufe und wurde des Öfteren antisemitisch beleidigt. Er bedauert, dass viele junge Leute Israel aufgrund
der Medienberichterstattung für einen aggressiven Staat
hielten.
Eine gemeinsame Veranstaltung mit jungen Leuten der
Marsch des Lebens Bewegung im Januar 2014 bezeichnet er hingegen als „sehr, sehr bewegend“. Er erinnere
sich noch gut an die Ehrlichkeit und Herzlichkeit, mit der
die jungen Leute den Holocaustüberlebenden begegnet
seien. „Wäre es in anderen Ländern so wie heute Abend
hier, dann wäre das Schicksal der Welt ein anderes“,
zitiert er einen Teilnehmer der Veranstaltung. Der Kontakt mit den deutschen Jugendlichen bleibe nicht ohne
Auswirkungen auf die Überlebenden. Heistver sagt: „Es
macht sie jünger und gesünder, wenn sie ihre Geschichten erzählen können.“
Täglich sterben Holocaustüberlebende, und es wird nicht
mehr lange die Möglichkeit geben, ihre Geschichten zu
hören und sie kennenzulernen. Deshalb sollte die Gelegenheit zur Begegnung mit diesen kostbaren Menschen
gesucht werden. In einigen Jahren könnte es schon zu
spät dafür sein.
Holocaustüberlebendenverbände in Deutschland:
Child Survivors Deutschland e.V.
www.child-survivors-deutschland.de
[email protected]
Phönix aus der Asche.
Die Überlebenden der Hölle des Holocaust e.V.
www.holocaustonline.de
[email protected]
8 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Juden fliehen aus Europa
Trotz höchster Alarmstufe wird der wachsende Antisemitismus
in Europa nicht entschieden bekämpft
Der Antisemitismus in Europa hat dramatische Ausmaße
angenommen. Die Berichte über antisemitische Vorfälle haben in den letzten Jahren so stetig zugenommen,
dass sie zu einer Hintergrundmusik zu werden drohen,
die man allzu leicht überhören kann.
Dass jüdische Einrichtungen in ganz Europa rund um
die Uhr bewacht werden müssen, fällt nicht besonders
auf, denn das war immer schon so. Auch, dass die Juden zu Tausenden aus Frankreich, Ungarn, Schweden
und nun auch Belgien fliehen, scheint kaum jemanden
zu alarmieren. Auch in Deutschland steigt seit der unsäglichen Beschneidungsdebatte die Zahl der jüdischen
Bürger, die eine Auswanderung erwägen. Allein im letzten Jahr haben über 3.000 Juden Frankreich für immer
verlassen.1 Am Vorabend des Holocaustgedenktages
skandierten Demonstranten in Frankreich antisemitische
Parolen wie „Jude, verpiss dich! Frankreich gehört nicht
dir“ und leugneten den Holocaust. Die französische Polizei schätzte die Größe der Demonstration auf 17.000
Personen.2 Dass kürzlich zwei Juden in Paris in der Nähe
einer Synagoge angegriffen wurden und einer von ihnen
mit einem Schlagring krankenhausreif geprügelt wurde,
nahmen nur wenige wahr. Denn die Aufmerksamkeit der
Medien galt zu dieser Zeit einem Attentäter, der wenige
Stunden zuvor in Brüssel vier Menschen im Jüdischen
Museum erschossen hatte.
Wie bei den Anschlägen in Toulouse und Brüssel haben
gewalttätige Übergriffe auf Juden oft einen islamistischen Hintergrund. Das belegte bereits eine vom European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia in
Auftrag gegebene Studie 2003. Statt aber Maßnahmen
zu ergreifen, Gelder zur Verfügung zu stellen und diesen Antisemitismus zu erforschen und zu bekämpfen,
wurde die Studie verschämt unter Verschluss gehalten.3
Vielmehr schürte die EU antiisraelische und damit antisemitische Ressentiments, nicht zuletzt mit ihren 2013
verabschiedeten Richtlinien zum Wirtschafts- und Wissenschaftsboykott israelischer Firmen und Institutionen
in den umstrittenen Gebieten. Gleichzeitig wird der vom
Iran propagierte Vernichtungsantisemitismus bei den
Atomverhandlungen geflissentlich ignoriert.
Die jüngste Antisemitismusstudie der Anti-Defamation
League4 zeichnet ebenfalls ein düsteres Bild der Lage
in Europa. Insgesamt 27 Prozent aller Befragten stimmten signifikanten antisemitischen Vorurteilen zu. Der triumphale Einzug rechter Parteien ins Europaparlament
nach den letzten Wahlen ist ein weiteres Indiz für eine
besorgniserregende Entwicklung. Parteien wie die ungarische Jobbik, die französische Front National und die
griechische Goldene Morgenröte erhielten so viele Sitze
wie nie zuvor.
Betrachtet man diese Entwicklungen als Ganzes, erscheint die antisemitische Hintergrundmusik plötzlich als
ohrenbetäubender Lärm. Während die Juden in Europa
die Konsequenzen ziehen und in Massen ihre Heimatländer verlassen, schläft Europa weiter. Wo sind die 17.000,
die – anders als zuletzt in Frankreich – gegen Antisemitismus und für Israel aufstehen? Es ist höchste Zeit. Wir
laden Sie ein, beim nächsten Marsch des Lebens mit dabei zu sein.
http://www.focus.de/politik/ausland/rekordauswanderung-nach-israel-frankreichs-juden-fliehen-vor-zunehmendem-hass_id_3529461.html
1
2
http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/176876
3
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/antisemitismus-studie-unter-verschluss-1129004.html
http://www.adl.org/press-center/press-releases/anti-semitism-international/adl-global-100poll.html
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Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 9
600 Menschen bei Pro-Israel-Demo
Nie wieder Antisemitismus und Judenhass –
Solidarität mit Israel!
Auf Initiative des Marsch des Lebens veranstaltete das „Aktionsbündnis Solidarität mit Israel“ Ende Juli eine Demonstration gegen Antisemitismus in
Tübingen. Jobst Bittner, Stefan Kramer vom American Jewish Comitee, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und der Landrat Joachim Walter fanden deutliche Worte gegen den Judenhass auf deutschen Straßen, der die aktuellen militärischen Auseinandersetzungen zum Vorwand nimmt.
10 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Hoffnung für Ungarn
Beispiellose Einheit gegen Antisemitismus beim Marsch des Lebens in Ungarn
Der Marsch des Lebens in Ungarn Ende April 2014 führte auf der entgegengesetzten Route des ehemaligen Todesmarsches 250 km von Sopron nach Budapest. Unter den Teilnehmern waren zahlreiche ungarische und deutsche
Nachkommen von Wehrmachtsangehörigen, SS-Leuten, Polizisten und Verwaltungsangestellten, die am Holocaust
in Ungarn beteiligt gewesen waren. Sie waren gekommen, um die Decke des Schweigens über die Schuld ihrer
Vorfahren zu brechen.
Hauptveranstaltung im Festsaal der jüdischen Gemeinde in Budapest
mit dem Vorsitzenden des Verbands der jüdischen Gemeinden in Ungarn Andras Heisler sowie dem deutschen Botschafter Dr. Matei Hoffmann. Der israelische Botschafter Ilan Mor bezeichnete den Marsch
des Lebens als ein Paradebeispiel für die Auseinandersetzung mit dem
Holocaust. Jobst Bittner wies auf die deutsche Verantwortung für den
ungarischen Holocaust hin. Antisemitismus in Ungarn könne jedoch nur
durch die Aufarbeitung der ungarischen Tätergeschichte überwunden
werden.
Open-Air-Veranstaltung mit dem Holocaustüberlebenden, Schriftsteller
und Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille György Konrad. Kirchenvertreter wie der katholische Bischof János Székely und der Vorsitzende des ungarischen Pfingstbundes Albert Pataky sprachen bei den
Veranstaltungen öffentliche Bußgebete für die Mitschuld der Kirchen
am Holocaust.
Zum Abschluss schloss sich der Marsch des Lebens dem „March of the
Living“ in Budapest mit 25.000 Teilnehmern an. Jobst Bittner sprach bei
der Hauptveranstaltung.
Frank und Bärbel Pfeiffer begleiteten als Nachfahren deutscher Täter
einen Zug der Erinnerung nach Auschwitz.
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 11
Die Aufarbeitung in Ungarn geht weiter
Nach dem Marsch des Lebens standen die Türen in vielen Gemeinden für eine Fortsetzung der Aufarbeitung
weit offen.
Mitte Juni besuchten knapp 20 Personen der Marsch des
Lebens Bewegung zehn Tage lang erneut zahlreiche Gemeinden, Schulen und Konferenzen in Györ, Debrecen
und Budapest. Nach dem Erzählen der eigenen Familiengeschichten seitens der deutschen Teilnehmer, jüdischer Musik und Tanz sowie Lehren über die Decke des
Schweigens gab es Raum für persönliche Gespräche.
Besonders bewegend waren die Begegnungen mit einzelnen Holocaustüberlebenden, die sich Zeit für ausführliche Interviews nahmen. Jeder einzelne betonte die
Bedeutung des Marsch des Lebens für seine eigene Person, für das jüdische Volk insgesamt und auch für Ungarn als Nation. Besonders entscheidend war für viele
der Überlebenden die Frage, ob auch die Ungarn ihre
Schuld bekennen und für ihren Anteil am Holocaust um
Vergebung bitten werden.
Begegnungen in Israel
Um sich mit Holocaustüberlebenden und deren Nachfahren zu treffen, machten sich im Juni knapp 60 Jugendliche der Marsch des Lebens Bewegung auf den
Weg nach Israel. Für viele der Überlebenden war es das
erste Mal, dass sie persönlich um Vergebung gebeten
wurden für all das Leid, das die Deutschen ihnen zugefügt hatten. Für beide Seiten waren diese Begegnungen
sehr bewegend. Außerdem traf die deutsche Gruppe
auch gleichaltrige Israelis, die oftmals trotz ihrer Jugend
noch unter den Folgen des Holocaust litten. 70 Jahre
nach dem Holocaust entstehen auf der Basis von Wahrheit, Verantwortung und Vergebung Freundschaften zwischen den Nachkommen der Täter und der Opfer.
Die Decke des Schweigens
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Die Decke des Schweigens, Best.-Nr. 880717,
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Zaslona Milczenia,
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Chanukka-Tage
hanukka-Tage Tübingen
hrend den Chanukka-Tagen wird besonders an die jüdische Gehichte in der Stadt erinnert. Verschiedene Referenten informieren
er Themen, die jüdisches Leben und Aufarbeitung des Nationalsolismus in Tübingen betreffen. Ebenso wird jeden Abend eine Kerze
s Chanukka-Leuchters angezündet.
ortrag
ie Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“
Matthias J. Becker
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Technische Universität Berlin
Institut für Sprache und Kommunikation
DFG-Projekt „Aktuelle Konzeptualisierungen
von Terrorismus“
Best.-Nr. 4110522 © 2014 TOS Medien
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hanukka
das jüdische Lichterfest bei dem an die Wiedereinweihung des
eiten Tempels in Jerusalem 164 v. Chr. erinnert wird. Mit dem chateristischen neuarmigen Leuchter, auf dem an acht Abenden Kerze
Kerze angezündet wird, ist Chanukka ein Zeichen für das Wiedertehen jüdischen Lebens und glaubens auch angesichts dunkler
mstände.
TüBiNgeN
2013
Jüdisch-Christliche Begegnungs- und kulturwoche
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im 21. Jahrhundert“ von Matthias J. Becker
Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert
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Handbuch zur persönlichen
Aufarbeitung
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12 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Peter Kardos: „Seelische Wiedergutmachung nach 70 Jahren“
Peter Kardos ist Oberrabbiner in Budapest und war Sprecher sowohl auf dem
Marsch des Lebens als auch auf dem March of the Living
märsche ausgingen, zu fliehen. Wir bekamen einen
Schweizer Schutzpass und lebten in einem sogenannten „Sternhaus“ im internationalen Ghetto im XIII. Bezirk. Die Schutzpässe waren nicht viel wert – wenn die
Pfeilkreuzler sie sahen, zerrissen sie die Pässe einfach.
So bekamen wir eines Tages den Befehl, an das Ufer
der Donau zu kommen. Meine Mutter war in Panik. Auf
dem Weg aber kam irgendein Kommandant, der sagte,
dass Familien mit Kindern wieder in ihre Häuser gehen
sollten. Was mit den anderen passiert ist, die mit uns zur
Donau gingen, weiß ich nicht.
Ich war acht Jahre alt, als die Deutschen nach Budapest
einmarschiert sind, und ich erinnere mich sehr genau an
diesen Tag. Es war ein sonniger, klarer Sonntagmorgen.
Als wir die Jalousien öffneten und auf die Straße sahen,
waren dort überall die grauen Militärfahrzeuge mit Hakenkreuzen und Fahnen. Weil es Teil meiner Kindheit
war, habe ich diesen Tag und die Ereignisse, die darauf
folgten, damals nicht als besonders empfunden – es war
einfach so. Erst Jahre später fiel mir auf, dass es nicht
normal ist, dass man so jung seinen Vater verliert. Meinen Vater liebte ich am meisten. Er wurde in den Arbeitsdienst eingezogen und war dann auf dem Todesmarsch
nach Österreich. Nach dem Krieg kamen täglich Züge
am Bahnhof an, die die Überlebenden brachten. Ich
ging jeden Tag zum Bahnhof, mit einem Zigarettenhalter
aus Blech und Zigaretten. Damit wollte ich meinen Vater
empfangen, denn ich wusste, dass er gerne raucht. In
dieser Zeit kam ein Augenzeuge des Todesmarsches zu
meiner Familie, der erzählte, wie er gesehen hatte, dass
mein Vater in der Nähe der österreichischen Grenze erschossen wurde. Aber meine Mutter und meine Schwestern trauten sich lange Zeit nicht, es mir zu sagen. Und
so ging ich weiter täglich an den Bahnhof.
Zurück zur Zeit des Krieges: Meine Mutter schaffte
es, aus der Ziegelfabrik in Obuda, von wo die Todes-
Meine Großmutter lebte in einem Altenheim auf der anderen Seite der Donau. Als im Januar 1945 die Sowjets
die Pest-Seite schon erobert hatten, die Buda-Seite aber
noch in deutscher Hand war, bezahlte meine Mutter viel
Gold, um auf die andere Seite der Donau zu kommen
und nach dem Rechten zu sehen. Als sie ankam, räumten die Deutschen gerade Budapest – und meine Mutter
musste die exhumierte Leiche ihrer Mutter identifizieren,
die erst wenige Tage zuvor bei einem Massaker durch
die Pfeilkreuzler im Varosmajor-Park mit Maschinengewehrfeuer und Handgranaten ermordet worden war.
Im heutigen Ungarn haben wir Holocaustüberlebende
wieder Angst. Es ist für uns nicht erträglich, wenn die
gleichen Parolen und Sprüche wieder verwendet werden wie damals. Wir Holocaustüberlebende sind eine
seelisch und mental kranke Generation. Und genau
deshalb ist der Marsch des Lebens für uns seelische
Wiedergutmachung nach 70 Jahren. Ich möchte es
nicht übertreiben, aber er ist wie eine göttliche Sendung
für uns. Kann man sich vorstellen, dass die Nachfahren
der ungarischen Pfeilkreuzler und Massenmörder um
Verzeihung bitten? Seit 70 Jahren gibt es dafür kein Beispiel. Aber hier kommen Deutsche als Beispiel zu uns.
Es ist nicht so leicht, die Vergangenheit zu verarbeiten,
aber sie haben sich der eigenen Vergangenheit gestellt.
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 13
Märsche des Lebens außerhalb Europas
USA und Südamerika
Seit 2009 finden Märsche des Lebens jährlich in einer
wachsenden Anzahl von Städten in den USA unter dem
Namen „March of Remembrance“ statt.
»
Über 1.000 Teilnehmer waren allein zum March of Remembrance in Houston/Texas gekommen. Franziska Eckert,
die aus Tübingen angereist war, bat als Enkeltochter eines Mannes, der Ausbilder in einem SS-Trainingslager
gewesen war, die anwesenden Holocaustüberlebenden
und deren Nachkommen um Vergebung.
„Sie sind hierher gekommen,
um sicherzustellen, dass so
etwas nie wieder passiert.“
Nach der Veranstaltung in Meyerland liefen hunderte Teilnehmer drei Kilometer vom Godwin Park zur jüdischen
Gemeinde Beth Yeshurun und nahmen dort an der Yom
HaShoah Gedenkfeier des Holocaust Museums Houston teil. Die achtzigjährige Holocaustüberlebende Ruth
Steinfeld lief die gesamte Strecke mit und sagte: „Ich
bin diesen Weg gelaufen, weil er eine Bedeutung hat.
Es berührt mich sehr, all diese Leute zu sehen, die niemanden im Holocaust verloren haben, die den Schmerz
nicht kennen, den ich durchgemacht habe. Aber sie sind
trotzdem alle hierher gekommen, um sicherzustellen,
dass so etwas nie wieder passiert.”
„Der Marsch des Lebens in Houston hat mich bewegt“,
sagte auch Maya Kadosh, Vize-Konsul des israelischen
Generalkonsulats für den Südwesten, „Brücken der Verständigung zu bauen, wie diese christlichen Organisatoren es gemacht haben, ist der einzige Weg, um die Welt
vor einem weiteren Holocaust zu bewahren.”
Der Holocaustüberlebende Alex Pollak hatte bis zu
seinem achtzigsten Lebensjahr niemandem seine Geschichte erzählt. Das KZ, in dem sein Vater ermordet
Die Decke des KONFERENZ
Schweigens
mit Jobst Bittner und Team
14.-15.11.2014
TÜBINGEN
wurde, war eines der größten und grausamsten: Jesenovac in Kroatien. Bis heute ist es fast niemandem bekannt.
Alex Pollak erzählte seine Geschichte beim March of Remembrance zum ersten Mal in der Öffentlichkeit.
Paraguay: „Eine Fackel gegen Antisemitismus“
Am 27. April fand in Asunción, Paraguay ein Marsch
des Lebens statt. 300 Personen, Juden, Paraguayer
und deutsche Nachfahren der Nazitäter liefen vom historischen Bahnhof in Asunción zum neu eröffneten jüdischen Museum, um ein Zeichen der Solidarität mit Israel
zu setzen und auszudrücken, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passieren darf.
Der israelische Honorarkonsul bezeichnete die Veranstaltung als einen Moment, in dem „mehr als nur eine
Kerze angezündet wurde, um die Dunkelheit der Geschichte zu vertreiben. Wir haben heute eine leuchtende
Fackel gegen Antisemitismus angezündet.“
Weitere Informationen finden Sie unter
www.marchofremembrance.org
Seelsorgerliche Hilfe, wie man sich der Familienwahrheit stellen und Heilung empfangen kann.
Anmeldung: www.tos.info
oder unter Tel. 07071-360920
14 | Das Marsch des Lebens InfoMagazin
Antisemitismus
im gegenwärtigen Sprachgebrauch
Im Schulunterricht werden meist nur die NS-Propaganda und Songtexte rechtsextremer Rockbands behandelt. Aber antisemitischer Sprachgebrauch in
Deutschland teilt sich nicht immer so explizit mit.
Worten verfasst haben, können aktuelle Trends in der
Versprachlichung aufdecken und ein authentisches Bild
von gesellschaftlichen Verhältnissen erzeugen.
Süddeutsche Zeitung/Burkhard Mohr
Viele fragen angesichts aktueller Diskussionen stirnrunzelnd, was diese oder jene Äußerung nun bitte mit Antisemitismus zu tun habe. Bei der Bewertung muss aber berücksichtigt werden, dass offenkundiger Antisemitismus
in diesem Land seit 1945 sanktioniert wird. Infolgedessen
bildeten sich indirekte Formen, sprachliche Vorsichtsmaßnahmen, die ein antisemitisch geprägtes Weltbild
kaschieren sollen. Leider ist Antisemitismus nach Auschwitz nicht einfach verschwunden, und er findet sich auch
nicht nur bei Randgruppen der Gesellschaft. Es handelt
sich seit eh und je um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Expertenbericht zu aktuellem Antisemitismus
von 2012 zeigte, dass ca. 20 Prozent der Deutschen ein
latent antisemitisches Weltbild aufweisen. Hier wurden
viele hellhörig, da das Bild eines toleranten, geläuterten
Deutschlands nicht mit Millionen Antisemiten vereinbar
ist. Aber auch diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen
– diese Studien beruhen auf Umfragen. Antisemitische
Äußerungen kommen aber hierzulande seit Jahrzehnten
auf subtile Weise daher, ohne dass bestimmte Schlüsselbegriffe oder Klischees bedient werden müssen. Das
macht sie so gefährlich, da sie keine Abwehr erzeugen
und mit ihnen judenfeindliche Gedanken salonfähig werden. Umfragen können solche impliziten Äußerungen
nicht berücksichtigen. Nur qualitative Detailstudien von
Texten, die Personen selbstmotiviert und mit eigenen
Ein Forscherteam von Prof. Monika Schwarz-Friesel an
der TU Berlin hat eine Studie vorgelegt, in der ca. 14.000
Mails und Briefe an den Zentralrat der Juden sowie an
die israelische Botschaft in Berlin ausgewertet wurden.1
Hierbei trat das erschreckende Ergebnis zutage, dass
über 60 Prozent der judeophoben Schreiben nicht aus
einem politisch extremistischen Umfeld stammen. Die
meisten Schreiben wurden von politisch gemäßigten,
sozioökonomisch etablierten und teils sehr gebildeten
Personen verfasst. Die übliche Strategie der Relativierung, die Antisemitismus lediglich in rechtsradikalen
oder islamisch geprägten Gruppen lokalisieren möchte, ist irreführend. Auch Analysen von Kommentaren auf
bürgerlichen Webseiten wie Die Zeit, Der Spiegel, Focus,
Frankfurter Rundschau usw. bestätigen diese Beobachtung. Allein der Blick in die Geschichte zeigt, dass es
nicht die Ungebildeten waren, die Antisemitismus in der
Gesellschaft etablierten, sondern Geistliche, Juristen,
»
„Man muss sich klar machen,
dass die Gewalt in den Köpfen
von Menschen und nicht auf
der Straße beginnt.”
Ärzte, Politiker, Journalisten, Philosophen und Künstler.
Das ist eine brisante Tatsache – man muss sich klar machen, dass die Gewalt in den Köpfen von Menschen und
nicht auf der Straße beginnt. Der Einstellungsantisemitismus war und ist immer wieder die Basis für konkrete
Gewalt gegenüber Juden gewesen. Die gegenwärtige
Präsenz von Judenfeindschaft in bürgerlichen bis hin zu
Das Marsch des Lebens InfoMagazin | 15
„man wird
das wohl
noch sagen
dürfen“
die
„Ostküstenlobby“
sehr gebildeten Kreisen ist demnach nichts
Verwunderliches, eher ein Beweis dafür, dass die
Aufklärungsbemühungen nach der Shoah nicht wirklich
erfolgreich waren, diese traurige Kontinuität zu brechen.
[…] der israelischen Regierung“, wobei Augstein ohne Begründung von islamistischen Zellen
auf Israel schließt,2 belegen die Verwendung de-realisierender Strategien seitens medialer Meinungsmacher.
Bei den Email- und Web-Analysen kamen folgende implizite Formen von verbalem Antisemitismus zum Vorschein,
in denen das Wort Jude gar nicht vorkommen muss: Anspielungen (die „Ostküsten-Lobby“), rhetorische Fragen
(„Wer möchte nun schon wieder den deutschen Staat erpressen?“), pseudorationale Argumente („das Verhalten
Israels macht Antisemitismus weltweit akzeptabel“) und
– mit Abstand die präsenteste Form im Diskurs – die mit
judeophoben Stereotypen aufgeladene Umwegreferenz
auf Israel („Israel schlachtet bedenkenlos Kinder ab“).
Was bei besagter Argumentation auffällt, ist die Gleichsetzung von Israelis und Juden. Die Bewertung der Rolle Israels im Nahostkonflikt dient als Begründung dafür,
dass beispielsweise auf Berliner Straßen Juden angegriffen werden. Selbst wenn Israel sich so verhalten würde,
wie es dem Land immer wieder nachgesagt wird, wäre
das keine Rechtfertigung für Gewalt gegen Juden überall
auf der Welt. Diese Gleichsetzung greift auch bei der Umwegreferenz. Zwar wird explizit auf Israel referiert, implizit
sind aber alle Juden gemeint. Warum steht Israel dermaßen im Fokus heutiger Antisemiten? Nach Auschwitz
und der Gründung Israels ist dieser Staat das wichtigste
Symbol jüdischen Überlebens und stellt damit automatisch eine Provokation für antisemitisch Denkende dar.
Schreiber aus verschiedensten Lagern gleichen sich hier
an. Aber auch im massenmedialen Diskurs taucht dieses
Feindbild auf: Phantasiekonstrukte, Verschwörungstheorien und realitätsferne Diffamierungen Israels sind nicht
nur in Foren und Kommentarbereichen, sondern auch in
den Artikeln von Spiegel und SZ (man denke an die Karikaturen zu Israel oder zu Mark Zuckerberg) zu finden.
Äußerungen wie „Sie folgen dem Gesetz der Rache“, wo
das Stereotyp der jüdischen Rachsucht reproduziert wird,
oder „Wem nützt solche Gewalt? [...] dieses Mal auch
Auch wenn sprachliche Gewalt überall anzutreffen ist, Juden mit Israel und Israel mit Gewalt assoziiert werden,
wird immer wieder von einem Kritiktabu gesprochen: Man
dürfe als Deutscher Israel und Juden nicht kritisieren.
Sonst werde man mit der Antisemitismuskeule bedroht.
Formulierungen wie „man wird das wohl noch sagen
dürfen“ erfreuen sich ausgesprochen großer Beliebtheit,
dankbar aufgegriffen von illustren Persönlichkeiten, die
als Stichwortgeber fungieren. Die Schreiber bezeichnen
ihre Meinungsäußerung als besorgte Israel-Kritik, dämonisieren aber Israel und stellen dessen Existenzrecht
grundsätzlich infrage. Sie leugnen und bagatellisieren
die Gefahr eines erneut zunehmenden Antisemitismus
oder deuten den Begriff Antisemitismus einfach um.
Die im kulturellen Gedächtnis vorliegenden judeophoben
Stereotype wurden durch die Sprache über Jahrhunderte hinweg bis heute wachgehalten. Anhaltende Projekte,
die nicht nur Randgruppen fokussieren, können Judenhass die Basis entziehen. Die Wissenschaft kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Werkzeuge an
die Hand gibt, um Äußerungen eindeutig zu klassifizieren
und Sensibilität für den Sprachgebrauch zu entwickeln.
1 Schwarz-Friesel, M./Reinharz, J., 2013. Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, New York: de Gruyter.
2 http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-der-wut-in-derislamischen-welt-a-856233.html.
Matthias Becker
studierte an der FU Berlin u.a. Philosophie und Romanistik.
Seit 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sprache
und Kommunikation an der TU Berlin. Schwerpunkt seiner Arbeit stellt
die kritische Metaphernanalyse sowie die Auseinandersetzung mit
modernem Antisemitismus dar.
Thema seines Dissertationsvorhabens ist die kontrastive Analyse israelfeindlicher Äußerungen in deutschen und britischen Webforen.
Termine 2014-2015
Kassel
Termin: 19. Oktober 2014
Veranstalter: Christen an der Seite Israels e.V.
Kontakt: Martin Lehmann und Hans-Jürgen Krug, E-Mail: [email protected]
Träger
Emden
Termin: 23. Oktober 2014
Veranstalter: Initiative Marsch des Lebens Emden
Kontakt: Diana Termöhlen, E-Mail: [email protected] und Gabriele Enderby,
Tel: 01520-267920, E-Mail: [email protected]
TOS Dienste Deutschland e.V.
Nonnenstraße 17, 04229 Leipzig
Tel: 07071-360920, Fax: 07071-36341
E-Mail: [email protected]
www.marschdeslebens.org
Hagen
Termin: 26. Oktober 2014
Veranstalter: Initiative Marsch des Lebens (Hagen)
Kontakt: Dr. Arnulf von Auer, E-Mail: [email protected]
Polen (Gliwice nach Auschwitz)
Termin: 17.-18. Januar 2015
Veranstalter: Polnische Kirchen und Gemeinden
Kontakt: Marsch des Lebens Büro, Tel: 07071-360920, E-Mail: [email protected]
Dresden
Termin: 7.-8. Februar 2015, Vorbereitungsgottesdienst: 8. November 2014
Veranstalter: Sächsische Israelfreunde mit Kirchen und Gemeinden in Dresden
Kontakt: www.marschdeslebens.org
Schwäbisch Hall
Termin: 4.-5. April 2015
Veranstalter: Abba-Stiftung.org
Kontakt: Lutz Huschmann, E-Mail: [email protected]
Nordhausen
Termin: 10.-11. April 2015
Veranstalter: Ev. Allianz Nordhausen, Kath. Gemeinde „Dom zum Heiligen Kreuz“
Kontakt: Erhard Wogatzki, Tel. 03631/982208, E-Mail: [email protected]
und Roswitha Melchior, Tel: 036331/30212, E-Mail: [email protected]
Spenden
Der Marsch des Lebens wird durch
Spenden finanziert.
Wenn Sie den Marsch des Lebens
unterstützen möchten, können Sie
Ihre Spende auf folgendes Konto
überweisen:
TOS Dienste Deutschland e.V.
Stichwort: Marsch des Lebens
Postbank Berlin
Konto: 533554100, BLZ: 100 100 10,
IBAN: DE86100100100533554100
BIC: PBNKDEFF
Unterstützer
Hamburg und Norddeutschland
Termin: 15.-19. April 2015
Veranstalter: Israelfreunde Norddeutschland
Kontakt: Michael Dierks, E-Mail: [email protected]
Jüdische Gemeinde
zu Berlin
Hohenstein-Ernstthal
Termin: 18.-19. April 2015
Veranstalter: Christian und Dagmar Lange (Mitglieder der „Sächsischen Israelfreunde e.V.“)
Kontakt: Dagmar und Christian Lange, [email protected], [email protected]
Hersbruck – Dachau
Termin: 23.-26. April 2015
Veranstalter: Gemeinden in Nürnberg/Fürth
Kontakt: Claudia Skibitzki und Christina Tietze, E-Mail: [email protected],
Tel: 0911-729712, www.hersbruckbisdachau.de
Helping Hand
Coalition
Jüdische
Gemeinschaft Polen
Phönix aus der Asche: Die Überlebenden
der Hölle des Holocaust e.V.
Fighters against
Nazism
Leubsdorf (Sachsen)
Termin: 25.-26. April 2015
Veranstalter: Kirchgemeinde Leubsdorf
Kontakt: Bernd Schieritz, E-Mail: [email protected], Tel: 037291-17371
Lübeck/Neustadt (Holstein)
Termin: 30. April - 2. Mai 2015
Veranstalter: Arbeitskreis Marsch des Lebens Lübeck-Ostholstein
Kontakt: Stefan Pache, E-Mail: [email protected]
Rosenheim
Termin: April 2015
Veranstalter: Gebetsinitiative „Jesaja 62“ der ICEJ
Kontakt: Leo und Gaby Hornedo, E-Mail: [email protected]
Polnischer Pfingstbund
Südlich um Chemnitz
Termin (voraussichtlich): 9.-10. Mai 2015
Veranstalter/Träger: Ev.-Luth. Marienkirchgemeinde Meinersdorf
Kontakt: Martina Nestler, E-Mail: [email protected]
Starnberger See
Termin: Sommer 2015
Veranstalter: Wort des Lebens e.V.
Kontakt: Monika Klotz, E-Mail: [email protected], www.wdl.de
Ölbaum Dienste
Polen für Jesus
Polnische Baptisten