a k t u e l l Menschliche Schicksale in der Archivbox: Im „Centre de documentation et de recherche sur l’enrôlement forcé“ werden Dokumente und Gegenstände aufbewahrt, die das Schicksal der Zwangsrekrutierten widerspiegeln. Sie sind eine wichtige Quelle für Historiker wie Eva Maria Klos. Foto: Gerry Huberty Vor 70 Jahren schlug für das von NS-Deutschland besetzte Luxemburg eine Schicksalsstunde. Mit Streik- und Protestaktionen antwortete das Land auf die Ankündigung der braunen Machthaber, die Dienstpflicht in der Wehrmacht auf die luxemburgische Jugend auszudehnen. Das Aufbegehren wurde brutal unterdrückt, die „Zwangsrekrutierung“ nahm ihren Lauf – ein Trauma, das die Generation der „Jongen“ nachhaltig geprägt hat. Im Schatten der Erinnerung 16 36/2012 a k t u e l l R E P O R T A G E JEAN-LOUIS SCHEFFEN CDREF-Direktor Steve Kayser in der Dauerausstellung des „Mémorial de la Déportation“, die im Erdgeschoss des Hollericher Bahnhofs zu sehen ist. [email protected] K aum größer als ein Schuhkarton sind sie, die grauen Archivboxen, die im alten Hollericher Bahnhof ganze Regale füllen. Hinter ihrer Beschriftung mit nüchternen Zahlen und Buchstaben verstecken sich menschliche Schicksale: Stellungsbefehle, Feldpostbriefe, Fotos, rotweiß-blaue Armbinden, Totenbilder, sogar ein Militärdolch – Dokumente und Objekte, die wie Relikte einer Vergangenheit wirken, die dem Vergessen anheim zu fallen droht. Das „Centre de documentation et de recherche sur l’enrôlement forcé“ (CDREF), 2005 ins Leben gerufen, hat die Aufgabe, die Erinnerung an das schreckliche Leid, das Tausenden von Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg widerfuhr, zu bewahren und künftigen Generationen zugänglich zu machen. Dass es gerade hier seinen Sitz hat, ist kein Zufall: Vom Hollericher Bahnhof fuhr der Zug ab, der am 18. Oktober 1942 rund 2 000 junge Luxemburger ins „Altreich“ zur militärischen Ausbildung und von dort an die Front brachte. Viele weitere Konvois sollten folgen. Foto: Gerry Huberty Widerstand und Repression. Die Lage an der Ostfront seit dem Kriegswinter 1941/42 hatte das Oberkommando der Wehrmacht dazu gedrängt, neue Rekruten heranzuziehen, und dies nicht bloß mehr im „Altreich“. Elsässer, Lothringer und Luxemburger gerieten nun in den Sog der Kriegsmaschinerie. Auf einer kurzfristig für Sonntag, den 30. August 1942 in den Limpertsberger Ausstellungshallen einberufenen Großkundgebung informierte NSDAP-Gauleiter Simon, „Chef der Zivilverwaltung im Lande Luxemburg“, seine Zuhörer über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Zugleich bekamen sämtliche Einberufenen – in einer ersten Phase die Geburtsjahrgänge 1920-24 – die deutsche Staatsangehörigkeit „verliehen“. Ein eklatanter Bruch der Haager Landkriegsordnung, die festschrieb, dass es „untersagt (ist), die Bevölkerung eines besetzten Gebiets zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten“ (Art. 45). Für die Luxemburger war es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Einige von ihnen hatten vielleicht auch die Flugblätter der Widerstandsorganisationen gelesen, die Wind von der Sache bekommen hatten und zum „Generalstreik“ gegen die Besatzer aufriefen. Ausgangspunkt der Unruhen war Wiltz, wo am frühen Morgen des 31. August die Arbeiter der Lederfabrik den Dienst verweigerten und mit anderen Bürgern im Protestzug durch die Straßen der Ortschaft zogen. Kritischer für das Regime von Gauleiter Simon dürfte die Tatsache gewesen sein, dass auch die kriegswichtige Hüttenindustrie an den Standorten Düdelingen, Differdingen, Esch/Alzette und Schifflingen von mehrstündigen Arbeitsniederlegungen erfasst wurde. Anderenorts schlossen sich Schüler und ihre Lehrer, Geschäftsleute, Handwerker, Bauern und Beamte in unterschiedlicher Form den Protestaktionen an, die auch an den folgenden beiden Tagen nicht abklangen. Blutrote Plakate verkündeten in den ersten Septembertagen 1942 die Todesurteile gegen die vermeintlichen Anführer des Streiks. Zunächst überrascht, schlug der Gauleiter mit aller Macht zurück. Der Ausnahmezustand wurde über Luxemburg verhängt und ein Standgericht eingesetzt, das in wenigen Tagen 20 Personen wegen „aufrührerischen Streiks und Sabotage“ zum Tode verurteilte. Ein weiteres Todesurteil folgte kurz danach, und rund 125 weitere Personen wurden festgenommen und zum Teil in ein Konzentrationslager überstellt. Die streikenden Schüler wurden in ein Umerziehungslager gesteckt, die Familienangehörigen der „Rädelsführer“ in den Osten „umgesiedelt“. Foto: LW-Archiv 18 T E L ECR A N 36/2012 Schwere Entscheidung. Die Wehrpflicht, die der Streik nicht verhindern konnte, wenn er auch ein wichtiges Zeichen setzte, wurde nun mit dem sechsmonatigen, paramilitärischen Reichsarbeitsdienst, zu dem junge Luxemburger und Luxemburgerinnen seit 1941 verpflichtet waren, verknüpft. Spätestens dann, wenn der Betroffene den Stellungsbefehl in Händen hielt, musste er eine schwere Entscheidung treffen. Sollte er für die „Preisen“ in den Kampf ziehen, auf die Verbündeten des eigenen Volkes schießen, für Hitler töten und für das verbrecherische Nazi-Regime sein eigenes Leben fern der Heimat riskieren? Die Alternative konnte nur im Untertauchen oder der Flucht bestehen, doch auch dies war ein gefährliches Unterfangen, denn Kriegsdienstverweigerung wurde mit äußerster Härte - der Todesstrafe oder aber hohen Zuchthausstrafen – geahndet. Mehr noch: Wer sich dem Wehrdienst entzog, riskierte, dass die Angehörigen nach dem perfiden Prinzip der „Sippenhaft“ zur Rechnung gezogen oder im Rahmen der Umsiedlungsaktionen nach Osteuropa verschleppt wurden. Etwa 15 000 Jugendliche waren theoretisch von der Wehrpflicht betroffen. Tatsächlich einberufen wurden etwa 10 200 junge Männer der Jahrgänge 1920 bis 1927. Etwa 3 500 Luxemburger entzogen sich dem Dienst in den Armeen des „Dritten Reichs“. 1 200 von ihnen verweigerten den Kriegsdienst von vornherein, als „Refraktäre“ tauchten sie unter oder verließen mit Hilfe der Widerstandsorganisationen das Land in Richtung Frankreich, um sich im „Maquis“ oder im Dienste der Alliierten zu engagieren. Unzählige „Jongen“ konnten sich im Land verstecken, wo sie Unterschlupf im Elternhaus, bei Verwandten, Freunden oder anderen hilfsbereiten Landsleuten fanden. Auf Dachböden, in Kellern, Verschlägen, in Kirchen, Erzgalerien und abgelegenen Waldstücken entstanden Verstecke, die für viele dieser jungen Männer manchmal auf Monate zum beengten Zuhause wurden – immer in der Angst lebend, dass das Versteck auffliegen würde. Um sie zu versorgen, gingen viele Luxemburger in dieser Zeit erhebliche Risiken ein. Manche zahlten dafür mit dem Leben. Zeugen des Grauens. Wer dem Stellungsbefehl Folge leistete, nahm sich oft vor, bei der ersten Gelegenheit zu fliehen. Der „Heimaturlaub“ bot dafür die größte Versuchung, zumal der a k t u e l l R E P O R T A Am 18. Oktober 1942 fuhr vom Bahnhof Hollerich der erste Zug mit rund 2 000 zwangsrekrutierten Luxemburgern nach Deutschland ab. Viele weitere sollten bis Juli 1944 folgen. G E Foto: LW-Archiv Im „Reichsarbeitsdienst“ mussten Jugendliche – seit 1941 auch junge Luxemburger und Luxemburgerinnen – „gemeinnützige“ Arbeiten im Dienste Deutschlands leisten. Die Ausbildung hatte aber vor allem militärischen Charakter. Foto: General Patton Memorial Museum Zwangsrekrutierte hier auf die bestehenden Netze der Widerstandsorganisationen und die Solidarität seiner Landsleute zählen konnte. In den Augen der Wehrmachtjustiz waren die etwa 2 300 Luxemburger, die sich der deutschen Kriegsmaschinerie nach ihrem – erzwungenen – Fahneneid entzogen, „Deserteure“, die mit allerhärtesten Strafen zu rechnen hatte, was auch in vielen Fällen eintrat. Die Möglichkeit, von der Front zu desertieren und zum Feind überzulaufen, war zudem mit sehr hohen Risiken verbunden, denn die Gefahr, dabei vom Gegner oder den eigenen Leuten unter Beschuss genommen zu werden, war sehr groß. Im Krieg ist sowieso alles ganz anders, als es sich Tausende Kilometer entfernt und viele Jahre nach dem Geschehen in nüchtern-analytischer Sprache zu Papier bringen lässt. Ganz besonders, wenn dieser Krieg so barbarisch ist, wie es im Zweiten Weltkrieg vor allem an den Frontabschnitten im Osten Wenn der Jugendliche die Vorladung zur Musterung für den Reichsarbeitsdienst und die Wehrmacht in Händen hielt, wusste er, dass er vor der schwersten Entscheidung seines Lebens stand. und Südosten Europas der Fall war. In den meisten der vielen Berichte von Zwangsrekrutierten, die seit 1945 in Buchform oder als Interviews veröffentlicht worden sind, werden die Kampfhandlungen im Vergleich zu den anderen Kapiteln kurz abgehandelt. Manchmal mit dem expliziten Hinweis, dass der Erzähler sich an verschiedene Szenen im Detail lieber nicht mehr erinnern möchte. Foto: Sammlung A. Heiderscheid Ab und zu schimmert das Grauen des allgegenwärtigen Todes zwischen den Zeilen durch. Alptraumhafte Erlebnisse, die schon deutsche Landser zu verdrängen suchen, die für den Zwangsrekrutierten aber noch in einer ganz anderen Weise traumatisch sein können: Denn für ihn war der Gegner kein Feind, sondern eigentlich ein Verbündeter. Und doch musste auch er sich der Logik des Krieges fügen: Man tötet, um nicht selbst getötet zu werden. Und man wird vielleicht Zeuge (wenn nicht sogar gezwungener Teilnehmer) von KriegsT E L ECR A N 36/2012 19 a k t u e l l R E P O R T A Ein Bild mit Symbolwert, auch wenn es (wahrscheinlich) keinen Luxemburger zeigt. Dem Debakel an der Ostfront fielen zahllose Zwangsrekrutierte zum Opfer, andere kehrten schwer verletzt, krank oder verstümmelt zurück. Foto: LW-Archiv Manche Zwangsrekrutierte führten versteckt Armbinden oder andere Erkennungszeichen mit sich, die sie als Luxemburger ausweisen sollten. Doch oft kam der Tod unvermittelt, wie die von Granatsplittern stammenden Löcher zeigen. Foto: LW-Archiv/Nachlass F. Regenwetter verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, wie die deutsche Wehrmacht sie vielfach an der Ostfront und auf dem Balkan begangen hat. zu sprechen oder ihre Erinnerungen niederzuschreiben. Andere haben das bis heute nicht fertig gebracht. Verheerende Bilanz. Wer nicht getötet oder schwer verletzt – vom allgemeinen Rahmen der Zwangsrekrutierung bis zu Einzelschicksalen – ist das Ziel des „Centre de documentation et de recherche sur l’enrôlement forcé“. Als Dokumentations- und Forschungszentrum („mit bescheidenen personellen Mitteln“, wie Direktor Steve Kayser betont) leistet die dem Staatsminister unterstellte Einrichtung einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungsarbeit. Zum einen wurde ein bereits beachtliches Archiv aufgebaut, das sowohl offizielle Akten wie auch persönliche Schriftstücke und Gegenstände von Zwangsrekrutierten aufbewahrt. Der Bestand soll eines Tages über die offizielle Internetseite www. secondeguerremondiale.public.lu einsehbar gemacht werden, auf der bereits der Katalog der 3 000 Bände umfassenden Bibliothek des CDREF konsultiert werden kann. wurde, und auch keine Möglichkeit sah, die Seiten zu wechseln (der Kontakt zur Heimat war nach der Befreiung Luxemburgs am 10. September 1944 völlig abgebrochen), geriet irgendwann mit dem Rest der stark dezimierten deutschen Truppen in alliierte Kriegsgefangenschaft. Dort musste er feststellen, dass sein Leidensweg noch lange nicht beendet war. Die meisten kamen in sowjetische Kriegsgefangenenlager, wo die Haftbedingungen katastrophal waren. Das Lager Nr. 788 bei der russischen Stadt Tambow, in dem luxemburgische, elsässische und lothringische Wehrmachtsoldaten interniert waren, wurde zum Gefängnis für 991 „Jongen“, von denen 166 an Erschöpfung, Entbehrung und Krankheit starben. Erst im Dezember 1945, ein halbes Jahr nach dem Kriegsende in Europa, kehrten sie in die Heimat zurück, wobei der Rücktransport weitere 50 Todesopfer forderte. Info Über die Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg, insbesondere Zwangsrekrutierung, Umsiedlung und Judenverfolgung informiert das „Mémorial de la Déportation“ im Hollericher Bahnhof. Allgemeine Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr. Gruppenbesichtigigungen können unter der Nummer 2478-8191 reserviert werden. Weitere Informationen, unter anderem über das Veranstaltungsprogramm des CDREF: www.secondeguerremondiale.lu Die Bilanz des Krieges aus luxemburgischer Sicht war verheerend, ganz besonders was die Verluste unter seiner männlichen Jugend anging. Von den rund 10 200 Zwangsrekrutierten kamen deren 2 848 um, 1 551 kehrten verstümmelt, versehrt oder krank nach Hause zurück. Krank in Körper und Seele, der besten Jahre ihres Lebens beraubt, vom Krieg und der Erinnerung an schreckliche Erlebnisse für immer gezeichnet. Sie versuchten, so gut und so schnell es ging, wieder in das normale Leben zurückzufinden. Viele brauchten Jahre, um über das Geschehene 20 T E L ECR A N 36/2012 Die Erinnerung bewahren. Die Aufarbeitung ihrer Geschichte Mit der Archivierung ist es aber nicht getan. Kayser wünscht sich, dass mehr junge Historiker Themen zur Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg aufarbeiten würden. So wie es zum Beispiel die Trierer Studentin Eva Maria Klos getan hat, die ihre Staatsexamensarbeit über die „Militärische Zwangsrekrutierung in Luxemburg (1942-1945) in der nationalen Erinnerungskultur“ schrieb. Um Erinnerung geht es auch beim Projekt PARTIZIP2, an dem das CDREF beteiligt ist (siehe Kasten). Ausstellungen, Vorträge und andere Veranstaltungen bietet das Dokumentationszentrum fast rund ums Jahr an. So nehmen Rekruten der Luxemburger Armee an einem Kurs über a k t u e l l R E P O R T A G E Steve Kayser bespricht mit CDREFDokumentalist Pierre Roderes (links), dem jungen Fotografen Paul Klensch und der Historikerin Nadine Geisler die Fotoausstellung „Auschwitz! Que faire après…“, die Anfang nächsten Jahres im „Mémorial de la Déportation“ gezeigt wird. die Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg teil, und regelmäßig vor der „Journée de la commémoration nationale“ im Oktober findet ein „Forum des Jeunes“ statt. Mit dem Erziehungsministerium wurde eine Konvention abgeschlossen, die die Basis für die Arbeit mit Schulklassen liefert. „Mit einem ‚Nie wieder!’-Aktivismus ist es nicht getan“, fordert Steve Kayser. Die Jugendlichen müssen sich in die Erinnerungsarbeit einbringen können, „als Akteure, nicht nur als Staffage bei Kranzniederlegungen“. Und das dürfte doch eigentlich gar nicht so schwer sein, denn die „Jongen“, die von 1942 bis 1945 ihrer besten Jahre beraubt wurden, waren zum Teil nicht älter als sie. ■ Foto: Megan Thill Forschungsprojekt PARTIZIP2 Vom Erleben zum Erinnern An was erinnert sich der Mensch, welches Bild der erlebten Geschichte hat er in seinem Kopf? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts, das an der Universität Luxemburg mit Unterstützung des „Fonds national de la recherche“ (FNR) durchgeführt wird. Das Projekt mit dem komplizierten Titel „Gesellschaftliche Partizipation und Identitätsbildung: Der Kampf um politische, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe in Luxemburg im europäischen Zusammenhang von den 1930er Jahren bis 1980 (PARTIZIP2)“ hat als zentrales Thema die Frage nach der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und ihre Bedeutung für die Identitätsbildung im Allgemeinen und die Nationsbildung im Besonderen. „Neben anderen Gruppen von Menschen, die unter Verfolgung und Krieg gelitten haben, untersucht PARTIZIP2 auch die zahlenmäßig größte Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus in Luxemburg, die in Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht zwangsrekrutierten Frauen und Männer“, so Professor Norbert Franz, der das Projekt koordiniert. wurde. „Es geht nicht darum, die Leute auszufragen, sondern sie möglichst frei über sich erzählen zu lassen, angefangen bei ihrer Kindheit und Jugend, ihrem familiären Hintergrund“, betont sie. Dabei spiele natürlich auch eine Rolle, dass die Interviewpartner in der Regel zwischen 80 und 90 Jahre alt seien. Interviews (etwa 60 sind geplant) mit Zeitzeugen bilden den Kern von PARTIZIP2. Sie werden von der deutschen Dokumentarfilmemacherin Loretta Walz geführt, die über langjährige Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt und unter anderem durch die Dokumentation „Die Frauen von Ravensbrück“ bekannt Fast in jedem Interview gebe es empfindliche Momente, hat Loretta Walz festgestellt: „Themen, über die es dem Interviewpartner schwer fällt zu sprechen. „Bei Zwangsrekrutierten ist das sehr unterschiedlich, manche erzählen frei über den Tod, die sittliche Verrohung und das Töten an der Front, andere sagen kaum Ein Alter, in dem auch das Gedächtnis abnimmt? „Das Langzeitgedächtnis alter Menschen ist meist erstaunlich gut, auch wenn sie sich vielleicht nicht mehr daran erinnern können, was sie gefrühstückt haben“, widerspricht Loretta Walz. „Genau genommen ist das für unsere Fragestellung auch nicht so sehr von Bedeutung“, ergänzt Norbert Franz. „Uns geht es nicht um historische Fakten, wie sie für die ‚Oral History’, die Geschichtsforschung auf der Basis mündlicher Quellen, wichtig sind. Uns interessiert, an was sich ein Mensch erinnert, und wie er das tut.“ Denn Erinnerung sei „auch ein Versuch der betreffenden Person, mit dem Erlebten umzugehen, bei Zwangsrekrutierten nicht zuletzt dem Spannungsfeld zwischen Kollaboration und Widerstand“. Bei der Aufzeichnung autobiographischer Erinnerungen gelte es vor allem die Würde des Gesprächspartners zu respektieren, sagt die Filmemacherin Loretta Walz. Foto: Knut Gerwers etwas dazu. Da muss man sehr einfühlsam vorgehen und die Würde des Gesprächspartners wahren.“ „Viele der von uns Befragten haben noch nie über diese Zeit erzählt und sind dankbar, dass sie nun erstmals die Gelegenheit erhalten“, sagt Vincent Artuso, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Auswertung der Interviews beteiligt ist. „Das kann schon mal sehr emotional werden, etwa wenn die Personen an längst zurückliegende Ereignisse wie etwa den Tod einer nahe stehenden Person zurückdenken.“ In einer nächsten Phase sollen auch weitere Interviews erschlossen und gesichert werden, wie sie zum Beispiel bereits in den 80er-Jahren das damalige Staatsarchiv durchführte. Das gesamte Material soll dann für Forschungs- und Lehrzwecke auf einer digitalen Plattform zur Verfügung gestellt werden. T E L ECR A N 36/2012 jls 21
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