Flüchtlingspolitische Nachrichten

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Flüchtlingspolitische Nachrichten
Juni 2015
1. Flüchtlingspolitik Köln und Region
1.1 Kölner Aktionsbündnis #türauf
#türauf Benefiz-Flüchtlings-Matinee, am Sonntag, 28.
Juni 2015 - 11:00 Uhr Kölner Philharmonie
Wir berichteten in der letzten Ausgabe bereits über das
Aktionsbündnis
#türauf
(siehe
auch
http://www.tuerauf.org/).
„Zum musikalischen Finale der #türauf-Aktion 2015 - eine
Woche nach dem Weltflüchtlingstag - findet in der Kölner
Philharmonie ein Benefizkonzert zugunsten der Kölner
Flüchtlingshilfe e.V. statt. Die Besucher erwartet ein vielfältiges Programm aus Musik und Wortbeiträgen moderiert von Bettina Böttinger und Pfarrer Hans Mörtter. Mit
dabei sind das Gürzenich-Orchester, der Flüchtlingschor
der Josef-Metternich-Musikschule Hürth, der Chor der
Oper Köln, die Bläck Fööss und die Sängerinnen Mariana
Sadowska und Inge Sagemüller. Der Eintritt kostet 25
Euro. Karten können bereits auf der Webseite der Philharmonie
bestellt
werden:
www.koelnerphilharmonie.de/veranstaltung/116352/“
1.2 Stadt Köln: Betreuungsverbände und
Wohnungsamt identifizieren besonders schutzbedürftige Personengruppen und deren Bedürfnisse
Nach Auffassung der Stadt Köln sollen die Sozialarbeiter/innen des Sozialen Dienstes des Amtes für Wohnungswesen sowie die sozialpädagogischen Fachkräfte
der Betreuungsverbände für die Umsetzung der EUAufnahmerichtlinie hinsichtlich der Identifizierung besonders schutzbedürftiger Personengruppen und der Feststellung ihrer Bedürfnisse zuständig sein.
Laut Antwort der Stadt Köln auf die Anfrage der PiratenGruppe „Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie in Köln:
Bestandsaufnahme und Heim-TÜV notwendig?“ für die
Sitzung des Ausschusses Soziales und Senioren vom
28.05.2015 kann mit der Umsetzung der Anforderungen
der EU-Aufnahmerichtlinie „erst nach der Ankunft der
Asylbewerber in den städtischen Notaufnahmen bzw. in
den Wohnobjekten oder Hotel- und Beherbergungsbetrieben durch sozialpädagogische Fachkräfte des Sozialen Dienstes oder der beauftragten Betreuungsträger (v.a.
DRK) begonnen werden. Auch vor diesem Hintergrund
wurde 2014 die sozialpädagogische Betreuung optimiert
und der Betreuungsschlüssel im Bereich der Flüchtlingssozialarbeit angepasst.“
Hintergrund ist sind die Schutzvorschriften der bis August
2015 umzusetzenden EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU
für besonders schutzbedürftige Personen und die daraus
resultierenden Verpflichtungen für Deutschland. Art. 21
EUAufnahmerichtlinie 2013/33/EU bestimmt, dass die
Mitgliedstaaten die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen
1
– wie Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende
mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere
Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt
erlitten haben, wie z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien –
zu berücksichtigen haben. Zur Gewährleistung dieser
Berücksichtigung haben die Mitgliedstaaten nach Art. 22
bei der Aufnahme eines Antragstellers oder einer Antragstellerin zu beurteilen, ob jener/jene besondere Bedürfnisse hat und welcher Art diese Bedürfnisse sind.
Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. bestreitet, dass in der
Stadt Köln ein entsprechendes Identifizierungs- und
Feststellungsverfahren besteht.
Nach Auffassung des Kölner Flüchtlingsrates e.V. müssen bei der Identifizierung besonders schutzbedürftiger
Personen insbesondere folgende Grundsätze eingehalten
werden:
· Die Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit
von Personen, die internationalen Schutz beantragen, muss zum frühestmöglichen Zeitpunkt
und in einem für die Betroffenen verständlichen
und transparenten Verfahren erfolgen.
· Über die besondere Schutzbedürftigkeit einer
schutzsuchenden Person darf nicht nur anhand
(mündlicher oder schriftlicher) Berichte von Betroffenen entschieden werden, sondern die Behörden sind verpflichtet, eigenständig zu ermitteln, ob Fluchtgründe oder Fluchtumstände vorliegen, die die besondere Schutzbedürftigkeit
wahrscheinlich erscheinen lassen.
· Das Vorbringen einer besonderen Schutzbedürftigkeit muss in jeder Phase des Asylverfahrens geltend gemacht werden können. Entsprechende
Hilfsangebote müssen jederzeit in Anspruch genommen werden können.
· Für die Identifizierung besonders schutzbedürftiger
Personen müssen – zusammen mit den Flüchtlingsberatungsstellen – Begutachtungsinstrumente entwickelt und angewandt werden, die internationalen Standards genügen.
Hinsichtlich der Gesundheitsversorgung
schutzbedürftiger Personengruppen
besonders
· muss sichergestellt werden, dass besonders
schutzbedürftige Asylsuchende einen ungehinderten Zugang zur medizinischen Versorgung
erhalten, einschließlich einer erforderlichenfalls
geeigneten psychologischen Betreuung und Therapie;
· sollte die Stadt Köln bedarfsgerechte und spezialisierte Angebote zur gesundheitlichen und zur
psychosozialen Betreuung ausbauen und entsprechend des Bedarfes finanziell ausstatten.
Hinsichtlich der Unterbringung schutzbedürftiger Personengruppen ist insbesondere sicherzustellen, dass
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· ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden;
· das Kindeswohl vorrangig berücksichtigt wird;
· in den Unterkünften geeignete (personelle bzw.
bauliche) Maßnahmen ergriffen werden, um
Übergriffe, geschlechtsbezogene Gewalt und
Belästigungen zu verhindern;
· eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften,
Sammelcontainern usw. nur dann erfolgen darf,
wenn die Prüfung sowohl der besonderen
Schutzbedürftigkeit als auch der entsprechenden
Bedürfnisse keine Hinweise auf andere Formen
der Unterbringung zulässt.
Die Stadt Köln hat die Entscheidung der Unterbringung
einer besonders schutzbedürftigen Person in eine Gemeinschaftsunterkunft entsprechend zu begründen.
1.3 Projekt „Fahrräder für Flüchtlinge“
IN VIA Köln e.V. informiert über das Projekt „Fahrräder für Flüchtlinge“:
„Mit dem Projekt ‚Fahrräder für Flüchtlinge‘ unterstützen
wir Flüchtlinge, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Denn die Möglichkeit, mobil zu sein, hat eine große
Bedeutung für die Integration: Da Flüchtlinge keinen Anspruch auf Fahrkarten für die öffentlichen Verkehrsmittel
haben, ist das Rad oft die einzige Möglichkeit der Fortbewegung.
Wir unterstützen Kölner Flüchtlinge, indem wir Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen verkehrstaugliche Fahrräder und Zubehör für ein sicheres Radfahren schenken.
Bei Bedarf können sie einen Fahrradkurs absolvieren,
denn das Radfahren in einer Großstadt will gelernt sein.
Nebenbei lernen sie die Domstadt näher kennen.
Bisher wurden uns 132 brauchbare Fahrräder gespendet,
von denen bis jetzt bereits 34 Fahrräder von der Radstation am Kölner HBF fahrbereit und verkehrssicher aufbereitet wurden. Wir konnten davon auch schon 12 Fahrräder im Rahmen unserer Projekte an Flüchtlinge verteilen.
Von diesen 12 Flüchtlingen haben 6 über das Projekt
‚Chance – Bleiberecht am Rhein‘ erfolgreich die Fahrradschule bei Anke Prinz absolviert. Weitere Fahrradschulen
sind geplant (Termine stehen noch nicht fest).
·Fahrräder für Flüchtlinge können über Träger,
Wohnheime, Initiativen, etc. bei IN VIA beantragt
werden (Antragsformular auf der Homepage des
Kölner Flüchtlingsrates oder bei Lisa Radtke anfragen). Die Anträge werden dann bei IN VIA gesammelt und sobald genügend Anträge vorliegen, bringen die Mitarbeitenden der Radstation
die Räder zu den gewünschten Orten.
Wenn Sie Fahrräder für Flüchtlinge beantragen
möchten oder Informationen bezüglich einer
Fahrradschule benötigen, melden Sie sich bitte
bei:
IN VIA Köln e.V., Lisa Radtke, 0221-4728-870, [email protected]
2
·Wenn Sie ein Rad oder Zubehör spenden wollen
(dringend benötigen wir zur Zeit Helme, Schlösser und Herrenräder), dann melden Sie sich bitte
direkt bei der:
Radstation am Hauptbahnhof Köln, 0221-1397-190, [email protected]“
1.4 Integrationsrat beschließt „Runden
Tisch Gesundheit für Flüchtlinge“
Auf Anregung der Ausländerrechtlichen Beratungskommission der Stadt Köln beschloss der Integrationsrates in
seiner Sitzung am 09.03.2015 einstimmig:
„Der Integrationsrat beauftragt die Verwaltung, einen
Runden Tisch zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen einzurichten. Dieser Runde Tisch soll in regelmäßigen Abständen sowohl die allgemeinmedizinische Grundversorgung als auch die Facharztversorgung inkl. psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlungsformen
beraten.“
Der Beschluss wurde im Rahmen der Beratungen zum
Interkulturellen Maßnahmeprogramm getroffen.
2. Berichte
2.1 Stellungnahme des Kölner Flüchtlingsrat e.V: Faire Asylverfahren statt Sonderverfahren für Flüchtlinge aus den
Staaten des westlichen Balkans !
Das Thema „Flüchtlinge“ ist weiterhin so präsent in den
Medien wie lange nicht mehr. Und während einerseits
erfreuliche neue Netzwerke und Unterstützungsangebote
aus der Zivilbevölkerung für Flüchtlinge entstehen, treibt
die Politik energisch die Einteilung der Flüchtlinge in „gute/ echte Flüchtlinge“ und „falsche/ Wirtschaftsflüchtlinge“
voran. Allen voran bekräftigte Bundesinnenminister de
Maizière letzte Woche erneut, dass Asylsuchende
aus den Staaten des westlichen Balkans in einem gesonderten Verfahren, dem „Balkanverfahren“, behandelt
werden sollen. Kern des Konzeptes: die AsylbewerberInnen sollen bis zu ihrer „absehbaren Abschiebung“ in den
Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Dies soll
die Kommunen entlasten. Die somit nicht einmal verheimlichte Aushebelung des Grundrechts auf Asyl für bestimmte Herkunftsländer, wird regelmäßig mit den niedrigen Anerkennungszahlen in den Asylverfahren durch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begründet. Doch
ist das „Balkanverfahren“ überhaupt noch ein rechtsstaatliches Verfahren?
Während Asylanträge von „Nicht-Balkan-Flüchtlingen“
zum Teil über Monate nicht registriert werden, behandelt
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylverfahren von Flüchtlingen aus dem westlichen Balkan, z.B.
Kosovo priorisiert, mit dem Ziel der schnellstmöglichen
Ablehnung. Nur so ist es zu erklären, dass z.B. Flüchtlinge aus dem Kosovo noch am gleichen Tag der Anhörung
ihren ablehnenden Bescheid bekommen, während andere AsylantragstellerInnen zum Teil Monate bis Jahre auf
ihre Bescheide warten. Eine individuelle Prüfung der
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Asylanträge ist für Asylbewerber aus den Westbalkanstaaten derzeit nicht mehr gewährleistet. Vor den daraus
resultierenden Folgen warnte bereits am 09.05.2015 die
Rechtsberaterkonferenz in ihrer Pressemitteilung. Hier
heißt es: „Es sei dringend erforderlich, in die Asylverfahren zu investieren. Dies aber nicht, um schneller abzuschieben, sondern um die Qualität der Verfahren zu verbessern und denen, die Schutz brauchen, schneller Sicherheit zu geben.“
Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. hat in konkreten Einzelfällen systematische Mängel an den derzeit beschleunigten
Asylverfahren festgestellt, mit zum Teil verheerenden
Auswirkungen für die betroffenen Menschen.
Ein systematischer Mangel ist z.B. die quasi automatische Ablehnung als offensichtlich unbegründet. Hier spielt
eine Rolle, dass die Verfahren so schnell durchgeführt
werden. Klienten berichten, dass die ausgefüllten Bescheide mit der Entscheidung "offensichtlich unbegründet" dem Entscheider schon vorlagen, bevor die Anhörung überhaupt begonnen wurde; die Anhörung habe
daraus bestanden, in den fertigen Bescheid einige Absätze einzufügen.
Bei diesem Verfahren werden die individuellen Gründe,
die zum Verlassen des Landes geführt haben und die
nicht im wirtschaftlichen Bereich liegen, derart lückenhaft
und auf der Grundlage der Vorentscheidung aufgenommen, dass sie teilweise unverständlich sind und mit der
Lebensgeschichte der Betroffenen nichts mehr zu tun
haben. Unabhängig vom Vortrag wird geschlossen, dass
"das Vorgetragene unglaubwürdig und nur zum Zweck
der Asylantragstellung erdacht" wurde.
Kriegsfolgen wie familiäre Konflikte nach Aufnahme von
Kriegswaisen, stigmatisierte Frauen nach Vergewaltigungen im Krieg, und kriegstraumatisierte Familienmitglieder,
die Gewalt ausüben und nur notdürftig in den psychiatrischen Kliniken des Kosovo behandelt werden,
sind möglicherweise kein Asylgrund - dass kein fluchtauslösendes Ereignis vorgelegen habe und deshalb die Ablehnung als offensichtlich unbegründet gerechtfertigt sei,
ist jedoch zynisch und verharmlost die Schwierigkeiten
einer Gesellschaft nach einem (vergessenen) Krieg ohne
Wiederaufbauhilfen als "wirtschaftliche Gründe und
Gründe, die ausgedacht wurden, um Asyl in Deutschland
zu bekommen". Die Einzelfälle, die oft die Folgen des
Krieges gut zwei Jahrzehnte später schildern, werden in
ihrer Individualität nicht wahrgenommen und als Lebensschicksal herabgewürdigt. Das wird der Situation im Kosovo und den Einzelfällen nicht gerecht.
Eine Reihe der nun eingereisten Flüchtlinge aus dem
Kosovo hatten vor über 15 Jahren Schutz in Deutschland
gesucht und waren dann freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt. Es handelt sich um Personen, die damals, bevor
eine Bleiberechtsregelung getroffen wurde, an einer dauerhaften Perspektive in Deutschland gehindert worden
waren und sich gezwungenermaßen zur Rückkehr entschlossen hatten. Diese Personengruppe reist z. B. mit
Kontakten zu alten Arbeitgebern und guten Deutschkenntnissen ein, könnten sich mühelos wieder in den
deutschen Arbeitsmarkt integrieren und wären bei vorhandener Asylverfahrensberatung nicht in ein Asylverfahren mit dem notwendigen Ausgang als offensichtlich unbegründet gegangen. Durch die o. u. Ablehnung werden
sie stigmatisiert und an einer erneuten Einreise gehindert.
Für Personen, die unter schweren psychischen Störungen
leiden und aufgrund der Behandlung eine Aufenthaltsper-
3
spektive in Deutschland haben könnten, ist es wiederum
schwierig, diese Behandlungsnotwendigkeit überhaupt
bescheinigt zu bekommen. Sie gehen in eine Anhörung,
ohne Beratung, ob es sinnvoll wäre, sich auf diese humanitären Abschiebehindernisse zu beschränken, werden o.
u. abgelehnt und müssen, wenn sie sich in Behandlung
begeben, mit dem Vorwurf der Instrumentalisierung des
Gesundheitssystems leben, auch wenn wegen schwerer
Suizidalität lange Klinikaufenthalte notwendig sind. Insbesondere dort, wo in den Zentralen Unterbringungseinrichtungen noch keine Asylverfahrensberatung eingerichtet
ist, zeigt sich sehr deutlich, dass diese Flüchtlinge zu
wenig Möglichkeiten haben, ihre Rechte geltend zu machen und einzufordern. Eine angemessene Vorbereitung
auf das Asylverfahren ist unter diesen Umständen nicht
möglich.
Es zeigt sich der Mangel an Asylverfahrensberatung auch
darin, dass ein Teil der Betroffenen, bei frühzeitiger Beratung und Aufklärung, lediglich zielstaatsbezogene Abschiebehindernisse nach §60 Abs.7 AufenthG oder Duldungsgründe geltend gemacht hätte, statt in ein aussichtloses Asylverfahren zu gehen. Die Konsequenz der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“, mit den Folgen,
die dies demnächst haben wird, wären nicht eingetreten.
Zugang zum Beratungs- und Gesundheitssystem ist im
Vergleich zu Flüchtlingen, die Kommunen zugewiesen
werden, erheblich eingeschränkt. Dadurch, dass diese
Gruppe von Flüchtlingen nicht mehr in die Kommunen
zugewiesen wird, wird Verständnis und gesellschaftliches
Engagement für Menschen aus Krisengebieten bewusst
verhindert.
Schutzsuchende bleiben schutzlos
Schnellverfahren abgefertigt.
und
werden in
Der Kölner Flüchtlingsrat e.V. fordert faire und qualitativ
hochwertige Einzelfallprüfungen auch und gerade von
Asylsuchenden aus den westlichen Balkanstaaten! Die
derzeitige Behandlung in beschleunigten Sonderverfahren
wird den individuellen Fluchtgründen dieser Menschen in
keinster Weise gerecht.
2.2 Neuer ARW-Erlass zur Abschiebehaft
Den Erlass des Innenministeriums NRW vom 12.05.2015
"Implementierung einer speziellen Abschiebungshafteinrichtung in der ehemaligen JVA Büren" erhalten Sie hier:
http://koelner-fluechtlingsrat.de/neu/userfiles/pdfs/201505-12Abschiebungshaft.pdf
Anlage 1 erhalten Sie hier:
http://koelner-fluechtlingsrat.de/neu/userfiles/pdfs/201505-05Gesetz_Abschiebungshaft_NTW.pdf,
Anlage 2 dort:
http://koelner-fluechtlingsrat.de/neu/userfiles/pdfs/201505-05VO-Abschiebungshaft_NRW.pdf
2.3 Pro Asyl zu Mazedonien: Die Lunte
brennt bereits. PRO ASYL fordert erneut die sofortige Streichung Mazedo-
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niens von der Liste der Sicheren Herkunftsstaaten
In einer Pressemitteilung von Pro Asyl vom 22.05.2015
heißt es u.a.:
„Die Lage in Mazedonien ist brisant. Vor dem Hintergrund
aktueller Äußerungen des
Präsidenten der deutsch-mazedonischen Gesellschaft
und früheren Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministerium, Walter Kolbow (SPD), erneuert PRO ASYL
seine Forderung nach einer sofortigen Streichung Mazedoniens von der Liste der Sicheren Herkunftsstaaten.
Dies kann durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung geschehen. So sieht es § 29 a Abs. 3 Asylverfahrensgesetz vor.
Kolbow hatte sich mit einer eindeutigen Einschätzung zur
politischen Lage in Mazedonien zu Wort gemeldet. Demnach versucht der Regierungschef Mazedoniens, Nikola
Gruevski, sich dadurch an der Macht zu halten, dass er
ethnische Auseinandersetzungen schürt. Die Saarbrücker
Zeitung vom 19.05.2015 zitiert Kolbow mit den Worten:
‚Das ist eine Lunte, die nicht nur glimmt, sondern bereits
brennt.‘
Kolbow ist nicht der einzige, der die bewaffneten Auseinandersetzungen mit mehr als 20 Toten vor zwei Wochen
in der Stadt Kumanovo für eine möglicherweise von der
Regierung inszenierte Aktion hält, den „Versuch, einen
kleinen Krieg anzuzetteln, um von der Korruption im eigenen Bereich abzulenken“.
Die Bundesregierung ist gehalten, auf die spätestens jetzt
deutlich gewordene Unsicherheit Mazedoniens zu reagieren. Bei der Einstufung des Landes als Sicherer Herkunftsstaat hat man Hinweise zur Instabilität des Landes
ausgeblendet mit dem Ziel, mazedonische Asylsuchende
nach einem Schnellverfahren abschieben zu können.
Wenige Monate später erweist sich Mazedonien nun als
das sprichwörtliche Pulverfass mit brennender Lunte.
‚Auch von einer in der Flüchtlingspolitik von der Union
getriebenen Sozialdemokratie darf man wohl erwarten,
dass sie zur Selbstkorrektur in diesem so eindeutigen Fall
bereit ist und aus der Einschätzung ihres Mazedonienexperten Kolbow die Konsequenz zieht,‘ so Bernd Mesovic
von PRO ASYL. Dazu gehören neben der Streichung von
der Sichere-Herkunftsstaatenliste das Eintreten für eine
sofortige Deeskalation des Konfliktes, z.B. durch Vermittlungsbemühungen der EU. Wenn nicht schnell gehandelt
wird, dann können die Ereignisse in Mazedonien die Vorzeichen eines größeren politischen Konfliktes auf dem
Balkan sein, der in Zeiten eines sich entwickelnden neuen
kalten Krieges nicht nur in Mazedonien gewalttätige Formen der Konfliktaustragung befürchten lässt.
An die Spitze derer, die für die Herunternahme Mazedoniens von der Sichere-Herkunftsstaatenliste eintreten
müssten, hätte sich nach Auffassung von PRO ASYL
auch der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann zu setzen. Er war maßgeblich dafür verantwortlich,
dass
die
Ausdehnung
der
SichereHerkunftsstaatenregelung – auch auf Mazedonien – die
Zustimmung der Bundesländer gefunden hatte. Damit ist
die Korrektur der Fehlentscheidung, jedenfalls moralisch
gesehen, nicht allein Sache der Regierungskoalition.
Zum Hintergrund:
4
§ 29a Abs. 3 AsylVfG
(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in
Anlage II bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Herkunftsstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen
oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 3 Satz 1
des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate
nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.“
2.4 Pro Asyl zur europäischen Quotendebatte
In einer Presseerklärung von Pro Asyl vom 27.05.2015
heißt es u.a.:
„Als zu kurz gedacht kritisiert PRO ASYL Geschäftsführer
Günter Burkhardt den Vorschlag der EU-Kommission,
24.000 Flüchtlinge aus Italien und 16.000 aus Griechenland zunächst für 24 Monate gemäß einem Quotensystem zu verteilen.
Eine starre Verteilung nach einer Quote berücksichtigt
nicht die legitimen Interessen der Flüchtlinge. Flüchtlinge
fliehen in der Regel dorthin, wo Angehörige und Communities leben. Deutschland ist eines der Hauptzielländer, da
hier europaweit die höchste Zahl von Flüchtlingen aus
Syrien, Irak, und Afghanistan lebt: Über 130.000 Syrer,
rund 90.000 Iraker und rund 75.000 Afghanen leben z.T.
seit Jahren in Deutschland. In anderen EU-Staaten leben
weitaus weniger Menschen aus den genannten Staaten.
‚Kein Syrer, dessen Familie in Deutschland lebt, wird sich
freiwillig in Staaten wie Ungarn, Polen oder Estland verteilen lassen. Menschen dürfen nicht wie Stückgut in
Europa hin- und hergeschoben werden‘, forderte Günter
Burkhardt. Als Folge einer starren Verteilung würden
Flüchtlinge mit Hilfe von Schleppern weiterhin kreuz und
quer durch Europa reisen. Dies wäre keine Verbesserung
gegenüber dem jetzigen Dublin-System, dessen Scheitern immer deutlicher wird.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union reagieren
unangemessen auf die dramatische Situation in Staaten
wie Griechenland oder auch Italien. In Griechenland
kommen in diesen Tagen Tausende Flüchtlinge auf den
Ägäis-Inseln an. Noch nicht einmal eine Erstversorgung in
Form von Unterbringung, Kleidung und Nahrung ist gewährleistet. Die Europäische Kommission und die EUStaaten führen eine absurde realitätsferne Debatte und
streiten sich über den Quotenvorschlag. Minimale menschenrechtskonforme Aufnahmestrukturen existieren in
vielen EU-Staaten nicht. Das Gebot der Stunde wäre es,
im Süden Europas ankommende Flüchtlinge sofort und
konkret zu unterstützen. PRO ASYL fordert Deutschland
wie auch andere EU-Staaten auf, Flüchtlingen aus den
Randstaaten der EU die Weiterreise zu gestatten, insbesondere dann, wenn Verwandte in anderen EU-Staaten
leben.
PRO ASYL setzt sich gemeinsam mit dem Deutschen
Anwaltsverein, der Diakonie Deutschland, AWO, dem
Paritätischen, der Neuen Richtervereinigung und anderen
Organisationen dafür ein, dass die berechtigten Belange
der Flüchtlinge berücksichtigt werden und Flüchtlinge in
dem Land den Asylantrag stellen, das sie erreichen
möchten.“
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3. Entscheidungen
3.1 VG Oldenburg: Zuerkennung des subsidiären Schutzes für alleinerziehende Roma aus dem Kosovo
Im Urteil des VG Oldenburg vom 20.05.2015 Nr. 5 A
2507/14 heißt es u.a.:
„ Gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylVfG ist ein
Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm
in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Form
von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung droht. (…) Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland, in das abgeschoben
werden soll, können nur unter besonderen Voraussetzungen ausnahmsweise als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein. (…) Im Einzelfall
der Klägerin ist davon auszugehen, dass ein Ausnahmefall vorliegt, in dem im Falle einer Abschiebung in den
Kosovo aufgrund der für sie dort in ihrer konkreten Situation bestehenden schlechten humanitären Bedingungen
auch ohne zielgerichtete Verursachung durch den Staat
oder andere Akteure mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bestünde.
Für diese Annahme spricht das Zusammentreten mehrerer Faktoren, die für sie die Schaffung und Erhaltung
einer Existenzgrundlage ausschließen. Die Klägerin ist
nicht nur dem Volke der Roma zugehörig, was für sich
genommen bereits – auch unter Hinweis auf die entsprechenden Ausführungen im Bericht des Auswärtigen Amtes vom 25. November 2014 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo (dort Seite
13) schwierige Lebensbedingungen und einen nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt bedeutet, sondern
hat auch ein 3-jähriges Kind, für dessen Wohl und Wehe
sie zu sorgen hat, ohne dass sie über familiäre oder verwandtschaftliche Unterstützung im Kosovo verfügt. Zudem hat sie – bis auf ihre ersten beiden Lebensjahre – ihr
gesamtes Leben in der Bundesrepublik Deutschland
verbracht, so dass sie mit der im Kosovo herrschenden
Lebenssituation und dem dortigen Kulturkreis kaum vertraut sein dürfte. Unter diesen Umständen erscheint es
beinahe als ausgeschlossen, dass sie – zumal als erst 24jährige Frau – in der Lage sein wird, sich im Kosovo zurecht zu finden und dort eine Existenzgrundlage für sich
und ihren Sohn aufbauen zu können.“
Das Urteil des VG Oldenburg finden Sie im Internet hier:
http://kölner-flüchtlingsrat.de/neu/download/2015-0520VG_Oldenburg.pdf
3.2 Bundesverwaltungsgericht erhöht Anforderungen bei Ermessenseinbürgerung
„Ausländer, die einen Antrag auf eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG)
stellen, müssen auch den Lebensunterhalt von im Ausland lebenden Familienangehörigen sichern können, um
eingebürgert zu werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 28. Mai entschieden (BVerwG
5
C 23.14). Kläger im Verfahren war ein 1972 geborener,
staatenloser Palästinenser, der 1997 zum ersten Mal in
die BRD eingereist und seit 2009 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Seit 2003 ist er mit einer Jordanierin
verheiratet, die mit den drei gemeinsamen Kindern in
Jordanien lebt. Seinen 2009 gestellten Antrag auf Ermessenseinbürgerung lehnte die Einbürgerungsbörde ab, da
er seit seiner Ankunft in Deutschland Geringverdiener sei
und den Lebensunterhalt seiner Ehefrau und minderjährigen Kinder im Falle eines Familiennachzugs nicht decken
könne. Seiner Klage gegen diese Entscheidung hatten
das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof
in München Recht gegeben und die Einbürgerungsbehörde zu einer erneuten Entscheidung aufgefordert. Das
Bundesverwaltungsgericht hob diese Urteile nun auf.
Anders als die Vorinstanzen kam es zu dem Schluss,
dass bei der Ermessenseinbürgerung – im Gegensatz zur
Anspruchseinbürgerung – auch der Lebensunterhalt im
Ausland lebender Familienangehöriger gesichert sein
müsse. Ausnahmen würden lediglich gelten, wenn eine
Einbürgerung in besonderem öffentlichen Interesse liege
oder besondere Härten damit vermieden werden. Ausländer, die alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung
(unter anderem Aufenthaltsdauer von acht Jahren, ausreichende Deutschkenntnisse, Straffreiheit, eigenständige
Lebensunterhaltssicherung für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige) erfüllen, haben einen Anspruch
auf Einbürgerung. Werden die Voraussetzungen hingegen nicht vollständig erfüllt, liegt es im Ermessen der
Behörden, über die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft zu entscheiden“
(aus: Migration & Bevölkerung, http://www.migrationinfo.de/artikel/2015-06-11/bundesverwaltungsgerichterhoeht-anforderungen-ermessenseinbuergerung, Zugriff
am 12.06.2015).