Meine Facebook-Freunde sind doof. I like Die FDP macht

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Hummler
Standpunkte
24. Mai 2015 | sonntagszeitung.ch
Die andere Sicht von Peter Schneider
Chirurgischer
Eingriff
RTVG? Findi
guet! Isch mini
Idee gsii.
Bei den Geschwüren, welche sich in den
menschlichen Körper einnisten, unterscheidet
man zwischen «gutartigen» und «bösartigen»
Wucherungen. Was unterscheidet sie von
lebenswichtigen Organen? Ihre Funktion. Sie
nützen nichts, sondern verursachen allenfalls
Schaden, im schlechtesten Falle die Auszehrung
des Wirts. Für den nicht medizinischen Laien gilt
als Kriterium zur Definition der Bösartigkeit die
Eigenschaft des ungezügelten Wachstums und
der Ausbreitung im Körper. Wenn möglich,
versucht man durch chirurgische Eingriffe,
Bestrahlung oder Chemotherapie bösartige
Krebsgeschwüre zu zerstören oder ihnen
wenigstens die Nahrungszufuhr abzuschneiden.
Der Schweizer Stimmbürger hat es in der
Hand, am kommenden Abstimmungstermin von
Mitte Juni über die Nahrungszufuhr gegenüber
einem Gebilde zu bestimmen, von dem man nicht
recht weiss, inwieweit es noch lebensnotwendiges
Organ ist oder sich zu einem Geschwür entwickelt hat. Was ganz klar ist: Für die Wahrnehmung
der effektiven «Service public»-Funktionen ist die
SRG schon lange bei weitem zu gross. Was auch
klar ist: Mit der geplanten Kopfsteuer wird ein
Instrument geschaffen,
das die finanzielle
Nahrungsmittelzufuhr
unkontrollierbar macht.
Weshalb? Weil man die
beiden Gruppen von
Belasteten systematisch
gegeneinander ausspielen kann. Entlastung der
Haushalte bei Höherbelastung der Wirtschaft,
so wie bei der aktuellen
Vorlage, oder dasselbe
auch einmal mit umgekehrten Vorzeichen – aber einfach so, dass immer
eine Mehrheit von Zufriedenen hergestellt werden
kann. Entscheidungsinstanz wäre die Verwaltung
beziehungsweise der Bundesrat. Wer würde im
Sinne von Checks und Balances dagegenhalten
wollen oder können? Niemand.
«Das Volk
spürt:
Die Befürworter
sind von
der SRG
abhängig»
Die Stimmung gegenüber der RTVG-Vorlage hat
umgeschlagen. Der Grund für die wahrscheinliche Ablehnung liegt im allgemeinen Unbehagen
einer Organisation gegenüber, die in vielerlei Hinsicht die Eigenschaften eines ziemlich bösartigen
Geschwürs angenommen hat. Die guten Seiten
unserer Staatsmedienanstalt wurden im Abstimmungskampf so penetrant in den Vordergrund
geschoben, dass man Begriffe wie «Service public» und «nationale Klammerfunktion» kaum mehr
hören mag. Angebliche Gutartigkeit, im Übermass
zur Schau gestellt, vermag die Fragwürdigkeit des
Gebildes nicht mehr zu verdecken. Das Volk
spürt, dass allzu viele Befürworter der Kopfsteuervorlage vor allem deshalb dafür sind, weil sie
kaum anders können: weil sie in direkter oder indirekter Abhängigkeit zur SRG stehen. So etwa
die privaten Radio- und Fernsehbetreiber, die von
einer «Katastrophe» sprechen, würde die Vorlage
abgelehnt. Kunststück – auch sie hängen längst
am Tropf des Gebildes. Nichts Schöneres als die
Aussicht auf Partizipation an einer unkontrollierbaren Nahrungszufuhrpipeline! Oder all jene, die in
der byzantinischen Genossenschaftsstruktur der
SRG ein Jöbli innehaben. Oder die vielen Anwärterinnen und Anwärter auf National- und Ständeratssitze im kommenden Herbst: SRG-Sendeminuten sind für sie Gold wert; da will man es
sich nicht verderben! Oder der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, dessen Vorstand angeblich vom Swisscom-Chef Loosli zur Ja-Parole
gedrängt worden sei. Swisscom und SRG sind
durch den «Service public» eng verbandelt.
Die Kopfsteuervorlage hat sich zum Bio-Marker
gegen ein Gebilde gemausert, das dem gesunden
Menschenverstand zu Recht Angst einflösst. Zu
viel Macht wurde hierzulande noch nie geduldet.
Konrad Hummler ist Verfasser der «Bergsicht»
und Strategieberater mehrerer Firmen.
Einen geilen Spot
hat sich der
Gewerbeverband
da ausgedacht.
Der nordkoreanische Führer Kim Jong-un spricht am TV zu seinem Volk
Foto: Keystone
Die FDP macht mit einer Ohrfeige
für die SVP den Weg frei für eine Lösung
Philipp Müller verabschiedet sich von Einwanderungskontingenten. Deutlicher könnte die Wende
der Wirtschaftspartei nicht sein, sagt Denis von Burg
Von der Droh-Rhetorik hat sich
FDP-Chef Philipp Müller noch
nicht verabschiedet. Man werde
sogar eine Kündigung der Personenfreizügigkeit ins Auge fassen,
sagt er – in der Hoffnung, der EU
doch noch Einwanderungskontingente abzutrotzen. Die Hoffnung
stirbt zuletzt. Gross ist sie trotzdem nicht. Umso aufsehenerregender, nachhaltiger und – wie sich
einmal herausstellen dürfte – von
entscheidender Bedeutung ist indes Philipp Müllers Worst-CaseAngebot einer «europakompatiblen Option» zur Umsetzung der
Masseneinwanderungsinitiative.
Und das gleich mehrfach. Müller wurde bis jetzt immer nachge-
Denis von Burg,
Leitung Redaktion Bundeshaus
sagt, er halte aus Angst vor der SVP
an einer wortgetreuen Umsetzung
der Masseneinwanderungsinitiative fest.
Ausgerechnet dieser FDP-Präsident macht jetzt den Weg frei für
eine Lösung ohne Kontingente und
gegen die SVP. Deutlicher könnte
eine Wende nicht sein.
Und sie wird zweifelsohne Folgen haben: Die FDP ist immer
noch die führende Wirtschaftspartei. Ohne deren Einverständnis,
die Einwanderungskontingente
fallen zu lassen, hätte sich in Sachen Europa in Bern nichts bewegt.
Seit heute aber ist eine «europakompatible» Lösung politisch
salonfähig und in einer Volksab-
stimmung wahrscheinlich auch
mehrheitsfähig. Es waren FDPWähler, die der Einwanderungsinitiative letztlich zum Durchbruch
verholfen haben. Und nur mit deren Hilfe lässt sie sich wieder revidieren.
Spektakulär ist auch, dass Philipp Müller sich entgegen mancher
Voraussage getraut, den Europakurs vor den Wahlen festzulegen.
Müller sieht offensichtlich die
Chance, damit zu punkten. Und
er zeigt damit, wohin die FDP gehören soll, nämlich zu jenen politischen Kräften im Land, die bereit
sind, weiter für die pragmatische
Öffnung gegenüber der EU zu
kämpfen.
Schweiz—5
Meine Facebook-Freunde
sind doof. I like
Andrea Bleicher dachte, sie werde durch die sozialen Medien zur Menschenhasserin.
Jetzt applaudiert sie der Selbstdarstellung
Meine Facebook-Freunde sind
doof. Ein Gedanke, den ich jahrelang hegte. Manchmal im Stillen,
manchmal äusserte ich ihn empört.
Wie nur, fragte ich mich, konnten
Leute, die eigentlich ganz vernünftig erschienen, sich in den sozialen Medien so entblöden?
Da war der Lokalpolitiker – ein
ehemaliger, wirklich netter Arbeitskollege –, der dumpfe Sinnsprüche veröffentlichte. Wie «Manche Menschen sind wie Wolken:
Wenn sie sich verziehen, wird der
Tag schöner».
Der Medienprofessor, der Bilder aus seinem Schlafzimmer publizierte. Der Kollege, der seine
Midlife-Crisis fotografisch festhielt
Andrea Bleicher,
stv. Chefredaktorin
und die Welt daran teilnehmen
liess, als er in diversen Umkleidekabinen zu enge Kleidungsstücke
anprobierte.
Ich war überzeugt, dass Facebook mich zur Menschenhasserin
machen würde. Nun, ich irrte.
Mein Sinneswandel setzte ein,
als immer öfter sehr lange und
meist sehr langweilige Artikel erschienen, die eindringlich dazu rieten, doch bitte offline zu gehen,
weil Facebook a) reine Zeitverschwendung ist, b) blöde macht
und c) den Niedergang der
Menschheit bedeutet .
Wenn verkniffen der Weltuntergang gepredigt wird, lohnt es
sich oft, die Ursachen für die ver-
meintlich drohende Apokalypse
zu hinterfragen. Vielfach handelt
es sich bei den angeblichen Sünden um Dinge, die viel Freude machen. Ich weiss das, ich bin schliesslich katholisch.
So betrachtete ich fortan auf
Facebook Sonnenuntergänge,
staunte über Sixpacks, Verlobte,
Ferienhäuser. Ich lachte über Lebensweisheiten und interessierte
mich für geteilte Lieblingsartikel.
Meine Freunde hatten aus ihrer
Welt ein Kunstwerk gemacht.
Manches banal, manches genial.
Ich applaudierte ihrer Selbstdarstellung. Meine FacebookFreunde sind doof. Stimmt. I like.
Gesellschaft—45