Breschnew-Doktrin à l`américaine

Breschnew-Doktrin à l`américaine
Von Willy Wimmer
Leonid lebt---Breschnew ante portas
Bei der Gedenkveranstaltung im Reichstag zum 8. Mai 1945 zeigte das Deutsche Fernsehen
leere Sitzreihen. Jetzt ist das im Deutschen Bundestag ein gewohntes Bild, für das es gute
Gründe gibt. Das wissen vor allem diejenigen, die gewöhnlich mit Häme darüber berichten.
Am 8 Mai 2015 war das höchst ungewöhnlich, weil bei Veranstaltungen dieser Art selbst die
Bundestagsverwaltung durch gut gekleidete Mitarbeiter sicherstellt, daß entsprechende Bilder
über vollständige Anteilnahme das Haus verlassen. Wußten die Angeordneten, was sie mit
den Reden erwarten würde? Bei dem Einheitsbrei der Qualitätsmedien, der uns seit Jahr und
Tag vorgesetzt wird, um das deutsche Volk in Wallung gegen Moskau zu bringen, ist bei der
nachträglichen Kommentierung der Reden doch auffallend, wie intensiv diese mit
„umstritten“ belegt worden sind. Das hätte man vorher wissen können. Nicht nur Professoren
zeichnen sich, wie jüngst eine bekannte Wiener Journalistin festgestellt hat, dadurch aus, daß
sie bei geschichtlichen Ereignissen, die Jahrzehnte zurückliegen, jedenfalls Anstand zeigen,
während in der Gegenwart es Zeitgenossen schwer fällt, Rückgrat zu beweisen.
War es das, was die Abgeordneten davon abhielt, ins Plenum zu gehen? Oder ist es in diesen
Tagen einfach zu viel, was ihnen und dem ganzen deutschen Volk zugemutet wird? Den
wenigsten von ihnen wird dabei durch den Kopf gegangen sein, wie dramatisch sich die
Zeiten geändert haben, alleine wenn sie an den Roten Platz in Moskau und die demonstrative
Abwesenheit der westlichen kalten und heißen Krieger bei der zu erwartenden Militärparade,
denken würden. Wie haben sich doch auf dem Roten Platz die Bilder geändert. Vor Jahr und
Tag wurden dort Musikkorps der Deutschen Bundeswehr von einem begeisterten Publikum
willkommen geheißen. Nach dem Elend der Kriege war es ungewöhnlich, wie herzlich die
Kommentatoren auf dem Roten Platz die deutschen Soldaten begrüßten und wie sie es sich
nicht nehmen ließen, die jahrhundertealte gute Zusammenarbeit zwischen Russen und
Deutschen hervorzuheben. Und heute? Welchen Auftrag hatte der Herr Bundespräsident bei
seiner „Waffen-und Einsatzrede“ vor gut einem Jahr in München?
Haben die Abgeordneten, die es vorgezogen haben, in den Restaurants des
Reichstagsgebäudes, in ihren Büros oder gar zu Hause zu bleiben, nicht mehr über das Herz
gebracht, sich die Regierungsbank anzusehen und sich die Titelblätter amerikanischer
Nachrichtenmagazine über die Frau Bundeskanzlerin als die angeblich mächtigste Frau der
Welt zu Herzen zu nehmen? Und diese Titelbilder mit der deutschen Wirklichkeit zu
vergleichen? Selbst in der souveränitätsbeschränkten Bonner Republik wurde zu keinem
Zeitpunkt so unter Beweis gestellt, wie ohnmächtig ein deutscher Regierungschef vorgeführt
werden sollte. Seit 2008 ist offenkundig, daß die amerikanische NSA in Deutschland und
Europa macht, was sie will. Wir müssen sogar den Eindruck hinnehmen, daß der eigene BND
von den Freunden gekidnappt worden sein könnte, um gnadenlos hinter alles zu kommen, was
sich abschöpfen läßt. Wer hat dabei noch den Bundeskanzler Helmut Schmidt vor Augen, der
die gefährliche sowjetische Raketenrüstung im Bündnis zum Unwillen vieler zum Thema
machen konnte? Oder Helmut Kohl, der sein zehn-Punkte-Programm unter dem
Gesichtspunkt der nationalen Interessen formulierte und vorher nicht im oval office
antichambriert hatte?
Heute hat vorgeführte Ohnmacht einen Namen und den trägt leider unsere Bundeskanzlerin.
Es ist die Ohnmacht aller Deutschen und reduziert sich nicht auf eine Person. Dieser Eindruck
wird noch dadurch verschlimmert, daß seitens des deutschen Regierungsspitzenpersonals der
Eindruck erweckt wird, endlich froh darüber zu sein, das Parlament in einer merkwürdigen
Aufklärungsfunktion zu sehen. Dabei quellen die Zeitungsseiten nur so von Berichten über,
wie nachhaltig das Kanzleramt eine Aufklärung torpediert. Die ganzen Jahre wurde eine
Ausspäh-Sau nach der anderen durch das Dorf gejagt und zu keinem Zeitpunkt hat man im
Kanzleramt es für nötig erachtet, nach dem Rechten zu sehen und sicherzustellen, daß die
eigene Verfassung gilt? Wie deppert muß man sich anstellen?
Breschnew sel. hat 1968 als er die nach ihm benannte Doktrin von der begrenzten
Souveränität der Staaten des Warschauer Paktes in Polen deklarierte, noch daran gedacht, bei
negativen Entwicklungen in den „Bruderstaaten“ sich ein sowjetisches Interventionsrecht
herausnehmen zu können. Da setzte selbst im damaligen Moskauer Denken ein gewisses
Eigenleben der Staaten des Warschauer Vertrages voraus. Heute scheint man im Weißen Haus
in Washington einen ganzen Flügel des imposanten Gebäudes nach Breschnew benennen zu
wollen und wir warten alle förmlich darauf, daß Präsident Obama oder Oberpräsident McCain
den ehemaligen Sowjetführer zum Säulenheiligen der westlich Allianz ernennen. Wie anders
sollte man das bewerten, was die Freunde sich beim Ausspähen ganzer Völker, darunter auch
des deutschen Volkes erlauben? NATO-Staaten spähen einander nicht aus? Weit gefehlt,
wenn man nicht nur Herrn Snowden glauben will. Die Menschen im Lande stellen sich schon
darauf ein, abgeschnüffelt zu werden und verhalten sich entsprechend. Das Denken der
Kaltenbrunners, Heydrichs und Mielkes feiert fröhliche Urstände.
Die amerikanischen Planungen stellen Breschnew weit in den Schatten, wie das Aushebeln
der europäischen und deutschen parlamentarischen Demokratie anbetrifft. TTIP soll das über
die berüchtigten Anwalts-Schiedsgerichte und die in der Öffentlichkeit diskutierte
Vorlagepflicht für beabsichtigte Gesetzesvorhaben sicherstellen. Wir dürfen dann zwar noch
Steuern zahlen oder bei immer größer werdender Altersarmut noch Konsumenten sein, aber
die Erinnerung an den Staatsbürger, gar den Staatsbürger in Uniform, das soll alles
verblassen. Nachdem man mit willigen Balten, Polen, Ukrainern und anderen einen neuen
Riegel zum Ausschluss der Russen aus Europa quer über den Kontinent errichtet hat, planiert
man die politischen Systeme in den westeuropäischen Staaten so nachhaltig, daß sie
amerikanischen ökonomischen und politischen Interessen nie mehr im Wege stehen werden.
Gleichzeitig läßt man in den baltischen Staaten und anderen, von der Ukraine ganz zu
schweigen, Politiker dergestalt von der Leine, daß einem angst und bange werden kann. Was
haben diese Leute eigentlich davon, den Eindruck zu erwecken, als könnten sie ein
militärisches Losschlagen gegen Moskau nicht schnell genug herbeisehnen? Haben Sie total
vergessen, daß sie und andere die heutige politische Landkarte in Europa dem Verhandeln mit
Moskau und nicht einem nuklearen Inferno zu verdanken haben? Wenn der Hitler-Stalin-Pakt
den Weg zum Krieg ermöglicht hat, dann gilt das auch für die maßlose Rhetorik in östlichen
Nachbarstaaten und der dort stattfindenden Ausbildung von Umsturzkräften.
Diese konsequent und über Jahrzehnte betriebene amerikanische Politik wird nicht betrieben,
ohne sich die Bundeswehr faktisch unter den Nagel zu reißen, wenn man an die Pläne der
großkoalitionären Regierung in Berlin denkt, ein Bundeswehr-Ermächtigungs-gesetz durch
das Parlament zu bringen. In der Bonner Republik sollte die Parlaments-Diskussion über
Spannungs-und Verteidigungsfall alle Einsatzfragen für die Bundeswehr einer vorherigen
öffentlichen Diskussion unterziehen. Ein Armeeverständnis von „Thron und Altar“ sollte es
nicht mehr geben. Diese öffentliche vorherige Preisgabe der eigenen Vorstellungen soll es
demnächst nicht mehr geben, wenn der NATO-Wille und damit der Wille des amerikanischen
Präsidenten dem Deutschen Bundestag vorgesetzt werden soll und Krieg oder Platzen der
NATO die Alternativen sind. Breschnew wird im Nachhinein eines Besseren zu belehren sein.
So, wie das in Washington gemacht wird, schafft man sich ein europäisches Vorfeld, dem
außer Parieren nichts anderes übrigbleibt. Schöne und neue Welt.