Zivilgesellschaft heute MitBlick nach... Capacity

#27
Frühjahr
2015
Zivilgesellschaft heute
Die freie Kulturszene Kroatiens und
taktische Netzwerke
Deutsch-polnische Versöhnung
MitBlick nach...
The Voice of Civil Society in Armenia
Syria in Transit
NGO-Szene in Bulgarien
Capacity Building
Online-PlattformTeachSurfing.org
und DesignThinking
Фестиваль –
Festival auf Ukrainisch
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
MitOst versteht sich als Netzwerk von Mitgliedern, Alumni
und Partnern, von Denkern und Aktivisten. Die Zusammenarbeit und der Austausch in diesem Netzwerk basiert
auf geteilten Werten und ist geprägt von Vertrauen und der
Kultur eines lebendigen Dialogs. In diesem Heft beschreiben
Teodor Celakoski und Waldemar Czachur, welches Potential
gegenseitiges Vertrauen und der Dialog für den gesellschaftlichen Wandel haben. Teodor Celakoski, Kulturmanager
und Aktivist, reflektiert über die Entwicklung der freien Kulturszene Kroatiens von einer Sammlung isolierter Akteure
hin zu einem taktischen Netzwerk, das transsektoral agiert
und Kultur als Labor für sozialen Wandel versteht. Waldemar Czachur schaut zurück auf die deutsch-polnische Versöhnung. Er schreibt, wie durch gut ausgerichtete Anstrengungen, Mut und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge
Partnerschaften entstehen können. Die beiden Beiträge sind
ein Plädoyer für das Verstehen des Anderen, das Finden
einer gemeinsamen Sprache und für Orte an denen eine
lebendige Kultur des Dialogs gepflegt wird.
MitBlick begleitet sechs junge Fotografen auf ihrer Reise
durch Europa auf der Suche nach „ArtBridges“ zwischen
Grenzen, Identitäten und Konflikten. Und folgt Jon Davis
und Vural Kamel in syrisch-türkische Grenzgebiete.
Gemeinsam entwickelten sie im Rahmen von TANDEM –
Turkey-EU das Projekt „Syria in Transit“. Diana Chobanyan
schreibt für uns über die Stimmen der Zivilgesellschaft in
Armenien. Rozalina Laskova, Yanina Taneva und Svetozar
Gradev geben in einem Interview Einblicke in die NGOSzene Bulgariens.
In der Rubrik Capacity Building stellen wir die Plattform
TeachSurfing.org vor und wenden uns dem Thema Design
Thinking zu. Die Softwareentwicklerin Miganoush Magarian erzählt von ihrem Selbstversuch: Als „TeachSurfer“ bot
sie auf dem MitOst-Festival in Novi Sad einen Workshop
über „DesignThinking“ an. Mit „We are not too old to play
games in the streets!“ gibt Iva Tašić einen sehr persönlichen
Einblick in die Netzwerkarbeit der Alumni.
Wir stellen die MitOst-Gremien 2014/15 vor: den Vorstand
und den Projektbeirat. Und wir geben einen Überblick über
die Mitgliederprojekte. In diesem Jahr wollen wir das Internationale MitOst-Festival in der Ukraine feiern. Ivanna
Chupak stellt das Festivalteam und die Festivalstadt IvanoFrankivsk vor. Neben dem Festival arbeitet das Team in der
Ukraine auch an einem Herzensprojekt – der „Khata Maysternya“. Gemeinsam bauen sie in den ukrainischen Karpaten ein altes Holzhaus zu einem Begegnungsort aus.
Viel Vergnügen beim Lesen wünschen
Ester Tóth (Vorstand)
Darius Polok (Geschäftsführung)
und Laura Werling (Redaktion)
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MitOst-Magazin
Inhaltsverzeichnis
Internationales MitOst-Festival –
Von Novi Sad nach Ivano-Frankivsk
Festivalrückblick – Der Tag vor dem Festivalbeginn 4
Mitgliederstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Фестиваль – Festival auf Ukrainisch . . . . . . . . . . . . . . 8
Khata-Maysternya: Ort der Traumverwirklichung . . . 10
Internationaler Dialog und transsektorale
Zuammenarbeit – Zivilgesellschaft heute . . . . . . . . . 12
Netzwerke als Laboratorien für soziale Innovationen 13
Europa – Kontinent der Versöhnung? . . . . . . . . . . . . . . 16
Dialogue for Change . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Partner auf Augenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
MitBlick nach... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Independent Caucasus Partners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
The Voice of Civil Society in Armenia . . . . . . . . . . . . . . 21
Art Bridges: Grenzen – Identitaten – Konflikte . . . . . . 22
Syria in Transit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Edition NGO-Szene: Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Capacity Building . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
We are not too old to play in the streets! . . . . . . . . . . . . 35
Werde TeachSurfer auf deinen Reisen . . . . . . . . . . . . . . 36
Encourage wild ideas – Design Thinking . . . . . . . . . . . 38
Redrawing stories from the past . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Advocate Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
За границей – Über Grenzen hinweg . . . . . . . . . . . . . . 42
MitOst – Vereinsjahr im Überblick
Vorstand und Projektbeirat 2014/15 . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Mitgliederprojekte 2013/14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Расскажи мне сказку – Erzähl mir ein Märchen . . . . 50
Autoren dieser Ausgabe
Oleksandra Bienert, Diana Chobanyan, Ivanna Chupak,
Waldemar Czachur, Jon Davis, Teona Dalakishvilli, Elisabeth Desta, Olga Diatel, Jean-Félix Fayolle, Svetozar
Gradev, Ludwig Henne, Gretta Hohl, Josephine Kretschmer, Rozalina Laskova, Miganoush Magarian, David
Mirvelashvili, Natalia Pavlenko, Darius Polok, Elena Shadrina, Maria Shamaeva, Ljiljana Šotra, Yanina Taneva,
Iva Tašić, Laura Werling
Anmerkung der Redaktion
In den Texten werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit nicht immer sowohl die männlichen als auch die
weiblichen Formen verwendet. Gemeint sind aber stets
alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.
MitOst-Magazin
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Der Tag vor dem Festivalbeginn –
Ablenkung durch physische Arbeit
Unter dem Motto „Imagine the Balkans“ kam im serbischen Novi Sad zum 12. Internationalen
MitOst-Festival wieder eine bunte Mischung zusammen: Philosophen, Regisseure und Urbanisten trafen auf Musiker und DesignThinker, Alumni auf aktive Kulturmanager und Lektoren.
Das Team Novi Sad und die Organisatorin Ljiljana Šotra haben wunderbare Festivaltage für
über 250 Teilnehmer gestaltet und dafür vorab kräftig in die Hände gespuckt. Ein Rückblick von
Ljiljana Šotra.
Es ist Dienstag, der 30. September 2014, ein Tag vor dem
Festivalbeginn. Wir treffen uns im Kineska Cetvrt, nicht
um zu entspannen oder die letzten Kleinigkeiten zu
regeln, sondern um tatsächlich zu schuften. Ich habe einen
Hammer und ein Kilo Nägel dabei. Weiße Holzpaletten
sollen in vierzig Minuten geliefert werden. Marko soll
schon seit zwanzig Minuten da sein. Wir sind es gewohnt,
dass Marko sich verspätet. Aber er ist der Chef und wir
brauchen sein Okay. Sein Mitarbeiter ist ja da, der ist aber
schlecht gelaunt. Wir schaffen es trotzdem, ihn davon zu
überzeugen, uns Getränke zu verkaufen. Auf meiner Dose
kalten Erfrischungsgetränks steht: „Wake me up when it's
all over!“. Wie passend.
Dabei geht jetzt erst alles los. Und wir sollten unseren letzten
Tag vor dem Beginn des Festivals wohl anders nutzen. Aber
für Wünsche haben wir keine Zeit. Jetzt geht es ans Schie4
MitOst-Magazin
ben der Holzpaletten. Hin und her. Das Tragen hoch auf die
Galerie. Dann hämmern wir und schlagen auf die Nägel.
Wir werkeln vor uns hin, immer noch auf Marko wartend.
Nach zwei Stunden ist Marko dann tatsächlich da, um sein
Okay zu geben, für das, was wir da zusammenbauen. Also:
Wir dürfen weiter werkeln. Nur; wie weiter? Kurze Pause.
Überlegen. Ein neuer Versuch mit Schieben und Hämmern.
Wir kaufen noch mehr Handwerkszeug. Schließlich entscheiden wir uns, es so zu lassen, wie es ist. So wie wir es
uns vorgestellt haben, sieht es nicht aus. Professionell gebaut
ist es auch nicht. Aber wir können damit leben. Unsere
Gäste hoffentlich auch. Der Blick auf die Uhr sagt uns, wir
arbeiten seit fünf Stunden. Fünf Stunden ohne Panikattacken. Panikattacken und Aufregung wegen morgen. Jetzt,
nach der Ablenkung durch unser Bauprojekt, wird uns
doch bewusst – morgen geht es wirklich los! Ich denke, wäre
ich doch in den fünf Stunden lieber zum Friseur gegangen.
Oder schlafen. Sicher werden wir in den nächsten Tagen
nicht zum Schlafen kommen. Wie sehr mir Schlaf fehlt,
kann ich an diesem Tag gar nicht erahnen. Es ist an der Zeit,
das gerade aufgebaute Paradebeispiel unserer Improvisationskünste zu verlassen. Den Hammer nehme ich mit – wer
weiß, wozu ich ihn noch brauchen kann. Am Abend bringen
sich das Team Novi Sad und das Team Berlin gegenseitig auf
den aktuellen Stand der Dinge. Es wird auch der Versuch
unternommen, die nächsten Tage einigermaßen zu planen,
obwohl wir alle aus Erfahrung schon wissen – es wird nicht
viel nach Plan laufen. Aber daran werden wir auch unseren
Spaß haben. Schließlich soll ja unsere serbische Flexibilität
unter Beweis gestellt werden. Wir haben nämlich ganz viele
klischeehafte Floskeln, die eingesetzt werden können, wenn
was schief geht. Und die kamen zum Einsatz, denn natürlich ging Einiges schief. Wir hoffen aber, unsere Gäste haben
davon so wenig gemerkt wie möglich.
Rückblickend stelle ich fest – den Tag vor dem Festivalbeginn habe ich eigentlich richtig genossen. Er ist mir im
Bewusstsein geblieben. Die Festivaltage selbst flogen an mir
vorbei, als wären es fünf Stunden gewesen, und nicht fünf
Tage voller Programm. Ist es ein Paradox, ohne Schlaf wie
im Schlaf zu sein? Ich weiß es nicht. Ich denke noch einmal
an die Botschaft auf der roten Dose meines Erfrischungsgetränks „Wake me up when it's all over!“ und muss schmunzeln.
Unsere Bilanz: Wir hatten Spaß. Wir hatten die Hände voll
zu tun. Nicht alles war perfekt. Und doch war es ein einmaliges und schönes Festival. Und wir waren sehr gerne die
Gastgeber.
MitOst-Magazin
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Agata Maziarz (Polen)
“For me the MitOst-Festival is one of the tastiest
pieces of the MitOst cake. During this time you are
learning everything about the achievements and
results of a whole year at many useful and nice presented workshops. You can meet old friends or make
new ones and, also, it is a good time to widen your
perception and knowledge. This festival is a time for
inspirations, meetings, celebrating/celebrations and
new ideas. It's also a good lesson about giving and
taking, because it's made by participants for participants. The MitOst-Festival is about people
who are aware about the powerful meaning
of real contact and sharing experiences.”
Christian Rabl
(Deutschland/Republik
Moldau)
„Für mich war das Festival eine sehr
schöne und bereichernde Erfahrung.
Als neues Mitglied habe ich die Vereinsarbeit und die Mitgliederversammlung als
ungemein spannend und intensiv erlebt.
Besonders gut haben mir die Workshops
und die gemeinsamen Abende im Café
Izba gefallen, an denen ich interessante
neue Menschen kennengelernt habe.“
Mohamed Elsherkawy
(Ägypten)
“I have learned, enjoyed, get
to know a lot of friends and I
came back to my country
with love, strength,
peace and hope
to return next
year. Thank
you MitOst!“
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MitOst-Magazin
Mischa Badasyan (Deutschland)
„MitOst steht für Vielfalt und Partizipation. Ich habe mich gefreut, eine
Vielfalt von Ideen und Menschen beim
letzten Festival erleben zu können –
eine Vielfalt, die ich auch in Serbien
entdecken kann, in der Kultur und den
Sprachen des Landes.“
Victoria Hepting (Deutschland)
„Als ich erfahren habe, dass das
MitOst-Festival auf dem Balkan stattfindet, habe ich mich sofort dran gesetzt
meinen Balkantrip samt Festival zu
planen. Die Reise hat sich auf jeden
Fall gelohnt! Ich habe sehr viele
positive Eindrücke über die Region
gewonnen und ein paar Tage
voller spannender Diskussionen
und netten Begegnungen in Novi
Sad erlebt.“
Vanja Brcan (Serbien)
„This year's MitOst-Festival
gave me an unique opportunity to experience Novi Sad,
my hometown, from a different
point of view. Especially
I was impressed by the
binding energy, new and
old friendships and the
enthusiastic atmosphere.
On this way, I want to
thank the whole team for
making the festival possible.“
Tina Oparnica (Team Novi Sad)
„Es war wunderbar, so viele Menschen aus so vielen Ländern in Novi
Sad willkommen heißen zu dürfen. Das schönste Gefühl war, dass
unser Wunsch, eine entspannte und herzliche Atmosphäre zu
schaffen, in Erfüllung gegangen ist. Die Offenheit der Novi
Sader als auch die der Festivalteilnehmer um einander kennenzulernen, sich auszutauschen und gemeinsam zu feiern,
haben mich durch die fünf Tage getragen. Vielen Dank dafür!“
MitOst-Magazin
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Фестиваль – Festival auf Ukrainisch
Die Ukraine ist in aller Munde. Kultur, Bildung – ein Festival – dies ist wahrscheinlich das
Letzte, woran man derzeit bei diesem krisengeschüttelten Land denkt. Und doch hat sich ein
Team aus der ukrainischen Stadt Ivano-Frankivsk für die Ausrichtung des 13. Internationalen
MitOst-Festivals beworben. Ivanna und Vitaliy Chupak und Olga Diatel laden gemeinsam mit
MitOst 2015 in die Ukraine ein. Von Ivanna Chupak und Olga Diatel.
Seit Januar 2014 stellen uns die Ereignisse in der Ukraine dieser Stadt bleiben werde. Als ich die Krim verlassen habe,
immer wieder vor die Frage: Sind die Dinge, die wir jetzt stellte sich mir die Frage: Wohin? Die Stimmung auf den
tun, notwendig? Was braucht unser Heimatland, was brau- Straßen Ivano-Frankivsks hat mir gefallen und die Stadt
chen die Menschen, die in diesem Land zu Hause sind, am selbst auch. Sie erinnert mich sogar ein bisschen an Simferonötigsten? Nach vielen Tagen des Grübelns, nach vielen pol auf der Krim, wo ich bisher lebte. Viele meiner Freunde
Gesprächen mit den Menschen um uns herum, nach vielem wohnen hier, Freunde, die ich liebe und sehr schätze, die
„In-sich-Hineinhören“, begannen wir zu verstehen, dass es mich aufgefangen haben in den Krisenzeiten und mit denen
richtig ist, genau das zu tun, was wir selbst für nötig halten. ich in Zukunft arbeiten möchte. Dieser Freundeskreis kann
Wie angespannt die Situation im Land und die Situation sich nun auch MitOst-Festival-Team nennen. Gemeinsam
der Menschen auch ist, das Leben geht trotzdem weiter. wollen wir das Festival in der Ukraine ausrichten. GleichDas jährliche Internationale MitOst-Festival zu Gast in zeitig arbeiten wir seit einigen Monaten an einem weiteren
der Ukraine? Gerade jetzt? In so einer angespannten und Projekt, der Khata-Maysternya. Damit erfüllen wir uns
kritischen Situation? Ja! Wir wollen Frieden, wir wollen einen Herzenswunsch: Wir bauen gemeinsam eine Hütte
Dialog und wir wollen neue Lösungen für unser Land, in den Karpaten aus. Es ist schon jetzt ein Ort, an dem wir
für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Und wir zusammen kommen können. Später sollen dort auch Semiwollen zeigen, dass es möglich ist! Deswegen möchten wir nare stattfinden.“
die interessierten, kreativen und klugen Menschen aus dem
MitOst-Netzwerk genau hierher einladen und gemeinsam „Ich bin in Ivano-Frankivsk geboren“, erzählt Vitaly Chupak.
das MitOst-Festival feiern. Wir leben in Ivano-Frankivsk, „Hier ist das Zentrum meines Lebens. Meine Familie lebt
einer Stadt im Westen der Ukraine am Rande der Karpa- hier, meine Arbeit ist hier. Ich bin Musiker. Nach Auftritten. Seit einigen Monaten ist diese Stadt für uns aus vielerlei ten meiner Band in der Region wurden wir auch bald auf
Gründen ein neuer Lebensmittelpunkt. Ein Gedanke ver- nationaler Ebene erfolgreich und viele Reisen folgten. Es
bindet uns, ein Team aus jungen engagierten Erwachsenen. zieht mich immer nur für kurze Zeit aus Ivano-Frankivsk
Wir alle sind der Meinung, dass das Zentrum der Welt dort fort, ich komme jedes Mal gerne wieder zurück. In meiner
Heimatstadt entdecke ich stets etwas Neues. Außerdem
ist, wo wir sind.
liebe ich es selbst Neues in Ivano auszuprobieren. Ich habe
Olga Diatel erzählt: „Ich bin im Frühjahr 2014 nach Ivano- zum Beispiel ein Hostel eröffnet. In dem Hostel sind alle
Frankivsk gezogen. Noch weiß ich nicht, wie lange ich in willkommen, hier spiegelt sich die Vielfalt Ivanos wider. Ich
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MitOst-Magazin
biete alle drei Monate eine Literaturresidenz für junge ukrainische Autoren an. Sie leben dann kostenfrei in dem Hostel.
In Ivano und in der Region haben sie die Möglichkeit, sich
ganz auf ihre Arbeit und ihr Schreiben zu konzentrieren.“
Ivanna Chupak kam das erste Mal im Sommer 2009 nach
Ivano-Frankivsk: „Die Stadt meinte es sehr gut mit mir und
empfing mich mit viel Sonne, viel Grün, mit freundlichen
Menschen. Mir gefiel, dass die Menschen hier purer und
ehrlicher sind als in Kiew oder Lviv. Doch Ivano-Frankivsk
wird vom Rest der Welt, so wie viele andere Provinzstädte
im heutigen Galizien, kaum wahrgenommen. Dabei leben
hier so viele talentierte Persönlichkeiten und kulturelle
Angebote sind allgegenwärtig. Schon bei meinem ersten
Besuch überkam mich das Gefühl, dass die Stadt wohl
eine Rolle in meinem Leben spielen wird. Und so kam es
auch: In den letzten Jahren kam ich immer wieder nach
Ivano, besuchte Freunde und wunderbare Menschen, die
hier lebten. Vor zehn Monaten wurde Ivano-Frankivsk zu
meinem neuen Lebensort. Ich entdecke jeden Tag mehr von
dieser Stadt und möchte gerne andere Leute daran teilhaben lassen.“
Geht man auf den Marktplatz, den Rynok, bekommt man
wohl den besten Eindruck von der Stadt und seinen Bürgern. In der Sonne zeigt sich Ivano von seiner besten Seite.
Die Architektur der Häuser lässt die österreichisch-ungarische und auch die polnische Geschichte der Stadt erahnen.
Zwischen zahlreichen Dächern mit großen Fenstern blitzen
Kirchturmspitzen auf. Ein wunderbarer Anblick.
Gegründet wurde die Stadt von der polnischen Adelsfamilie Potocki. Sie benannten sie nach einem ihrer Söhne,
Stanislau, auf Polnisch: Stanislawow. Damit begann die
Geschichte der Stadt und ihrer historischen Stadtnamen:
Stanislawiw, Stanislau, Stanislew, Ivano-Frankivsk, Sztanyiszló.
Die Menschen wurden hier schon früh zu Weltbürgern,
ohne die Stadt je verlassen zu müssen. Das liegt an der
lebendigen Geschichte der Stadt und der Region. Mehr als
einmal wurden hier Grenzen aufgehoben und neu gesetzt,
viele verschiedene Völker leben hier. Die multikulturelle
Geschichte und das reiche kulturelle Erbe von Ivano-Frankivsk finden sich heute in der Literatur- und Musikszene
der Stadt wieder. Eine sehr spannende und gute Basis für
das 13. Internationale MitOst-Festival.
Ivanna Chupak meint zum Schluss: „Ivano-Frankivsk ist
nicht meine Heimatstadt, doch denke ich immer mit viel
Wärme an Ivano. An die Altstadt mit ihren zahlreichen
Cafés, Bücherläden, Springbrunnen und Denkmälern. An
die Parks, in denen so viele Eltern mit Kinderwagen spazieren gehen. Die Stadt schenkt mir Sicherheit und Hoffnung.
Ich wünsche mir, dass bald alle Menschen in jeder Stadt
in der Ukraine diese Ruhe und diesen Frieden genießen
können. Nun wartete das große Kino „Lumiere“ im Herzen
der Stadt auf eine mögliche Verwandlung in die Festivalzentrale 2015.“
5 Gründe, warum man Ivano-Frankivsk
besuchen sollte:
1. Ivano-Frankivsk ist eine Literaturstadt. Von hier
stammen viele bekannte moderne ukrainische
Schriftsteller, zum Beispiel Jurij Andruchowytsch,
Taras Prochasko und Halyna Petrosanyak. In
den 90er Jahren prägten sie eine neue literarische
Richtung, das „Stanislauer Phänomen“. Apropos
Literatur – im Stadtzentrum finden sich zahlreiche kleine Bücherläden, fast alle 100 Meter gibt es
einen zu entdecken – so viele wie wohl in keiner
anderen ukrainischen Stadt.
2. Die Karpaten sind ganz nah. Die Stadt ist das
Tor zu dieser wunderbaren Bergwelt. Ivano-Frankivsk ist die letzte Stadt vor den Karpaten – im
Winter steigen die Menschen aus den Zügen mit
Skiern aus, im Sommer mit ihren Wanderrucksäcken. Nach zwei Stunden Fahrt mit Auto, Bus oder
Zug gelangt man in die beeindruckende, geheimnisvolle Welt der Karpaten.
3. Ivano-Frankivsk ist eine Stadt für junge Unternehmer mit neuen Ideen und Geschäftsmodellen.
Ein Beispiel: „23 Restaurants“, ein Netzwerk von
Gastronomieeinrichtungen. Ein junges Team hat in
diesem Rahmen bereits zehn Läden eröffnet. Jeder
mit einem besonderen Stil, passend dazu Menü
und Einrichtung. Sie begannen 2014 mit der Eröffnung von „Urban Space“. Die Gründung wurde
durch Crowdfunding finanziert und jeder konnte
einen finanziellen Beitrag leisten. Das Besondere
an „Urban Space“: Der Gewinn des Restaurants
kommt ehrenamtlichen, sozialen und kulturellen
Projekten zu Gute, die die Entwicklung der Stadt
fördern.
4. Ivano-Frankivsk ist auch eine Musikstadt. Nach
Lviv und Kiev kann man hier auf viele junge ukrainische Musiker und Bands treffen – Perkalaba, Flit,
Koralli, Patronytschi, Zvit Kulbaby etc.
5. Für alle, die historische Geschichten und Mythen
mögen, finden sich zahlreiche historische Spuren:
von der Suche nach der Burg, der Symmetrie der
„idealen“ Stadt, bis zu den aktuellen Lebensgeschichten der Einwohner Ivano-Frankivsk während
des Maidans im Winter 2013 und 2014.
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MitOst-Magazin
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Khata-Maysternya:
Ort der Traumverwirklichung
Gebirgsnebel, Morgenfrische, Karpatenluft und heißer Kaffee. Menschen mit einer offenen
Seele und ein gemütlicher Ort im ukrainischen Teil der Karpaten: Eine Gruppe junger Menschen erfüllt sich gemeinsam einen Traum. Sie bauen eine Hütte in den Bergen zu einem
Begegnungsort aus. Von Ivanna Chupak und Olga Diatel.
Was gibt es Besseres, als am frühen Morgen aufzustehen,
aus dem Haus in den Hof zu gehen, taufrischen Morgennebel und den Ausblick über die Berge zu genießen? Man
atmet die frische Gebirgsluft ein und nimmt aus einer uralten Tasse einen Schluck heißen Kaffee. Dieser Moment ist
herrlich und das Leben fühlt sich wunderbar und gelungen
an. Die Initiatoren von Khata-Maysternya kennen dieses
Gefühl allzu gut. Die Berge in den Karpaten, südlich von
Ivano-Frankivsk, sind ihre zweite Heimat geworden. Hier
bauen sie gemeinsam eine Hütte aus: die Khata-Maysternya.
Alles beginnt bei einem Treffen der Trainer von Maysternya, einem Kooperationsprogramm des Theodor-HeussKollegs, im Juni 2013. Der Wunsch, einen eigenen Ort für
Seminare zu haben, kommt auf. Am liebsten an einem Ort
in den Bergen. Alona Karavai und Ivanna Chupak sponnen schon vor sechs Jahren über eine Seminarhütte, Olga
Diatel wollte seit langem einen Begegnungsort auf der Krim gründen und
Bohdan wollte eine Hütte für sich und
seine Frau in den Karpaten bauen.
Wer den Traum zuerst träumte, ist
nicht klar. Klar ist, jeder für sich
würde seinen Traum nicht allein verwirklichen können. Ein gemeinsames
Projekt könnten sie jedoch realisieren,
vielleicht eine Hütte, ein Begegnungsort in den Bergen?
Freundschaft und eine gemeinsame Vision. Sie wollen nicht
nur über ihre Träume sprechen, sondern sie verwirklichen
und leben.
Ein Jahr nach der Gründung besteht die Khata-Maysternya-Gruppe aus zwanzig Leuten. Beide, die Hütte und die
Gruppe, wachsen und entwickeln sich immer weiter. Das
Projekt ist einzigartig, denn auch die Einwohner des Dorfes
sind an dem Aufbau des Projekts beteiligt. Die Gruppe
glaubt an Synergien nach dem Prinzip 1+1=3. Und so bauen
alle mit und helfen, wo sie können. Seit sechs Monaten bringen die jungen Leute Leben in die Hütte. Die Renovierungsarbeiten sind in vollem Gange. Immer sind Menschen da –
für ein paar Tage oder Wochen – und arbeiten ehrenamtlich. Zusammen mit Handwerkern reparieren sie, kleiden
Böden und Wände aus, installieren Rohre, malern, arbeiten
im Garten und kochen. Sie verbringen hier Zeit mit ihren
Freunden und Familien.
„Wenn mein Gehirn von den vielen
Informationen übervoll ist, wenn
meine Augen müde vom LaptopBildschirm sind, wenn Skype lebendige Gespräche nicht mehr ersetzen
kann, dann packe ich ein paar Sachen
zusammen und fahre auf die Khata“,
erzählt Anna Mygal. „Dort kann ich
allein und mit Freunden die Natur
genießen und ganz praktisch arbeiAlona ist überzeugt: „Es ist ein alter
ten. Dort finde ich etwas sehr EinfaTraum, und Träume sollen verwirk- Khata-Maysternya
ches und Echtes – das, was ich so oft
licht werden.“ Das Team aus Trai- www.facebook.com/KhataMaysternya
in großen Städten und im virtuellen
www.maysternya.org
nern plant zuerst viel per E-Mail. Sie
Raum vermisse.“ Auch Taras Kovalttauschen sich über Skype aus. Alle
schuk meint: „Seit Langem habe ich
leben in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Städ- mir so einen Ort wie die Khata im Gebirge gewünscht.
ten. Sie treffen sich auf Seminaren und irgendwann doch Es ist eine wunderbare Mischung aus ganz praktischem
immer öfter in den Bergen zu den Renovierungsarbeiten Engagement und Erholung.“ Das Gefühl mit den eigenen
an einem Haus. Nach einer langen Suche und Besichtigun- Händen etwas zu schaffen, macht glücklich, erzählen sie,
gen in vielen Gebirgsdörfern in den Karpaten findet die und die Aussicht auf die Berge ist sehr erholsam. Ganz im
Gruppe eine Hütte – ihre Hütte – die Khata-Maysternya. Hier und Jetzt sein, das ist es auch, was sie in den Bergen der
Die Gruppe mietet die Khata auf Partnerschaftsbasis. Jeder Karpaten finden.
investiert so viel er kann und geben möchte. Gemeinsam
erwirtschaftet die Gruppe das Geld für die ersten nötigen Die Hütte soll schon bald die ersten Seminargruppen beherRenovierungsarbeiten. Die Khata-Maysternya ist im ukra- bergen können. Menschen verschiedener Kulturen und
inischen Dorf Babyn gelegen, nahe Ivano-Frankivsk. Das Länder, mit unterschiedlichen Perspektiven und HeranHolzhaus steht im Land der Huzulen. Seit sechs Jahren gehensweisen an das Leben und an die Arbeit, sollen hier
steht es leer und wartete auf die Maysternya-Gruppe. Sie
zusammenkommen. Die Gruppe um Ivanna, Alona und
kommen aus der Ukraine, Polen und Belarus. Sie verbindet Olga glaubt daran, dass solche Begegnungen Potentiale
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MitOst-Magazin
bergen und Ideen dadurch schneller verwirklicht werden
können – genauso wie ihre Khata: „Ich liebe Menschen mit
offener Seele und gemütliche Orte. Ich möchte eine nette
Atmosphäre schaffen und sie genießen“, sagt Julia Kniupa.
„Ich träume davon, dass in unsere Khata-Maysternya die
Wärme und das Licht von Menschen kommen werden, die
glauben, die nicht gleichgültig sind, die lernen und sich
entwickeln möchten.“ Eine offene Einladung geht an alle
MitOst-Mitglieder und Mitdenker. Herzlich eingeladen in
die Khata-Maysternya sind alle, die Offenheit und Toleranz, interkulturellen Dialog und Humor schätzen. „Ich
bin begeistert von den Menschen und ihrer Arbeit hier. Sie
stecken so viel Herzblut in die Khata“, schwärmt Natalia
Trambovetska. „Sie haben mich angesteckt und ich will
meinen Beitrag zur Verwirklichung des Khata-Traums leisten.“ Ehrenamtliche Helfer wie Natalia sind willkommen,
genauso wie kreative Lösungen und interessante Ideen für
die Khata, Spenden und Materialien.
Khata-Maysternya
Khata-Maysternya will be a meeting point for creativity, education and ecology. The renovation process started and from March 2015 on groups will
be hosted, alumni can visit and set up meetings and
help to build up Khata-Maysternya.
Maysternya
Maysternya is a programme for young people from
Ukraine, Poland and Belarus. The programme is
realised by the Theodor-Heuss-Kolleg in partnership with several NGOs in Ukraine and in Poland.
More information at www.maysternya.org.
MitOst-Magazin
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Internationaler Dialog und transsektorale
Zusammenarbeit – Zivilgesellschaft heute
MitOst wurde 1996 gegründet in der festen Überzeugung, eine Überwindung der Spaltung
Europas und die Festigung einer demokratischen Kultur seien notwendig und möglich. Wir
setzten uns deshalb zum Ziel, die Völkerverständigung und Bildung, insbesondere in Mittelund Osteuropa, zu fördern. Die optimistische und visionäre Kraft, die uns damals Flügel verlieh und uns verband, scheint heute verbraucht zu sein, angesichts der drohenden Spaltung
Europas und des Krieges in der Ukraine.
Doch der Einsatz für Dialog und Verständigung zwischen
den Nachbarn in Europa ist heute so brisant und notwendig
wie damals. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir als
Zivilgesellschaft neuen Herausforderungen gegenüberstehen und unsere Rolle neu definieren müssen, wenn es um
Dialog, Bildung und demokratische Gesellschaft geht. Wir
wollen diese Diskussion anstoßen und beginnen mit einem
Rückblick auf das, was die Zivilgesellschaft in den letzten
20 Jahren erreicht hat.
Waldemar Czachur schreibt, anlässlich des 20. Jahrestags
der Versöhnungsmesse, über Kreisau/Krzyżowa in Polen
als symbolträchtigen Ort der „Verständigung der Völker“.
Die deutsch-polnische Versöhnung ist das gemeinschaftliche Werk mündiger und mutiger Bürger aus Polen, aus
der DDR und der BRD. Mit ihren Aktionen haben sie zur
Überwindung der Tragödie des Zweiten Weltkrieges beigetragen und Verständnis für die Perspektive des Nachbarn
auf beiden Seiten geschaffen. Nach Kreisau lud auch MitOst
Studenten aus Mittel- und Osteuropa zu internationalen
Seminaren ein. Prinzipien einer lebendigen Demokratie wurden vermittelt, das bürgerschaftliche Engagement
gefördert und stets auch das Verständnis für die Perspektive des Nachbarn gestärkt.
Teodor Celakoski erzählt von der Entwicklung der unabhängigen Kulturorganisationen in Kroatien. Der Weg in
die Selbstständigkeit der Szene wurde geprägt durch die
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MitOst-Magazin
Abgrenzung von einem zentralistischen Staat, der für sich
die Deutungshoheit für Kunst und Kultur innehatte, und
von der reinen Kommerzialisierung der Kunst durch die
Kräfte der Marktwirtschaft. Die Organisationen der freien
Kulturszene Kroatiens agieren heute in taktischen Netzwerken und positionieren sich als gleichberechtigte Partner
der Verwaltung, Politik und der Wirtschaft bei der Entwicklung von sozialen Innovationen.
Auch MitOst versteht seine Rolle immer stärker als Intermediär. Unsere Aktivitäten setzen zunehmend auf das Potential der transsektoralen Zusammenarbeit und die Stärke
der Ko-Kreation. Wir nehmen uns zunehmend als Partner
in einem Netzwerk wahr, das als gesellschaftlicher Akteur
Innovationen hervorbringt und damit zu einer lebendigen
Zivilgesellschaft beiträgt.
In unserem Selbstverständnis heißt es: „Wir setzen uns
(…) für eine lebendige Zivilgesellschaft und kulturelle wie
sprachliche Vielfalt in Europa und seinen Nachbarregionen ein.“ Welche Rolle spielt der Verein heute und in der
Zukunft, als eine europaweit vernetzte und aktive zivilgesellschaftliche Organisation? Mit diesem Schwerpunktthema begeben wir uns – gemeinsam mit unseren Mitgliedern und Partnern – auf die Suche nach der Mission von
MitOst. Welchen Herausforderungen wir uns heute und
in der Zukunft stellen, sind nicht zuletzt Fragen für das
nächste MitOst-Camp.
Netzwerke als Laboratorien
für soziale Innovationen
Teodor Celakoski ist Kulturarbeiter und Aktivist, Initiator und Mitgründer des kroatischen
Netzwerks „Clubture“, der Kampagne „Pravo na Grad“ (Recht auf Stadt) und eine Leitfigur
der kroatischen Kulturszene. In einem Gespräch erzählt er wie sich die freie Kulturszene
Kroatiens seit den 1990er Jahren entwickelt. Teodor berichtet von dem Aufbau eines starken
und transsektoralen Netzwerks, das heute gesellschaftlich und politisch wirksame Aktivitäten und Kampagnen hervorbringt, soziale Innovationen und einen positiven Wandel in der
Gesellschaft bewirkt hat. Getrieben wird Teodor von seiner Überzeugung, dass Akteure des
Kultursektors Transformationsprozesse im Sinne des Gemeinwohls mitgestalten sollten, das
Gemeinwohl als großes Ziel im Blick behalten sollten. Heute inspiriert das Netzwerk „Clubture“ Kulturschaffende weit über die Grenzen Kroatiens hinaus.
Teodor Celakoski wurde 2014 mit dem ECF Princess Margriet Award ausgezeichnet. Das Interview führte Milica Ilic
im März 2014 in Zagreb. In diesem Artikel wurden Auszüge des Gesprächs ins Deutsche übersetzt. Das komplette
Interview „Building on Previous Achievements – A converstaion with Teo Celakoski“ wird in der Publikation „Another Europe – 15 Years Capacity Building with Cultural Initiatives in the EU Neighbourhood“ by Philipp Dietachmair
& Milica Ilic (ed.), European Cultural Foundation, Amsterdam, 2015 veröffentlicht.
Wie alles begann
„Meine Arbeit und mein Engagement im Kulturbereich
sind eng verbunden mit der Geburt unabhängiger Kulturinitiativen in Kroatien. Ende der 1980er Jahre, mit dem
Zerfall Jugoslawiens, entwickelten neue Akteure der Zivilgesellschaft unabhängige Kulturinitiativen parallel zu der
vorherrschenden institutionalisierten und repräsentativen
Kultur. Mit diesen Initiativen stießen diese Akteure die Entwicklung einer vollkommen neuen subkulturellen Szene in
Kroatien an. Der Krieg sowie die Bildung und der Aufbau
eines Nationalstaates etablierten eine Art Notstandslogik:
Die Kulturszene fungierte einzig in der Rolle eines Staatsdieners, welcher der Legitimation und zum Aufbau des
neues Staats beitrug. Die institutionalisierte Kulturszene
war somit in der ihr zugeteilten Rolle der nationalen Identitätsstiftung gefangen. Lediglich einige Festivals, gegründet in den 1980er Jahren, die nie institutionalisiert wurden,
trugen noch Spuren von anderen und differenzierteren
Formen von Kultur – freier Kultur. Allerdings waren sie in
gewisser Weise ein Ergebnis der Toleranz des überkommenen Systems in der neuen Hegemonie, was sie wiederum zu
Verbündeten und Akteuren innerhalb des neuen Systems
machte.
Ende der 1990er war der Krieg vorüber und die innerstaatlichen Bemühungen um Aufbau und Ausbau des Staatssystems ließen nach. Als Reaktion auf die kulturelle Isolation
der vorangegangenen Jahre tauchten die ersten Initiativen
auf und begaben sich auf die Suche nach neuen kulturellen
Inhalten. Im Kulturbereich waren tatsächlich viele Themen
und Formate gar nicht mehr vorhanden. Wer sich nach
ihnen sehnte, konnte sich nur selbst helfen und musste
diese Themen aufgreifen und mit Inhalt füllen. Zu dieser
Zeit entstanden das „Autonome Kulturzentrum Attack!“ 1
oder „Mocvara“. Diese Orte waren einerseits eine Reaktion
auf die inhaltsleere Kultur der vorherigen Jahre, andererseits eine Reaktion auf den politischen Zeitgeist.
Vor diesem Hintergrund gründeten auch wir das „MaMa“ 2
und das „Multimedia Institut“. Uns gibt es jetzt seit 15
Jahren. Wir haben in dieser Zeit viel ausprobiert und Erfahrungen gesammelt. Dabei war es uns immer wichtig, schon
bestehende Ressourcen zu nutzen. Das wurde zu unserem
Charakteristikum und bestimmt bis heute unser Schaffen.“
Namensgebung als politischer Akt
Zu Beginn unserer Arbeit haben wir bewusst von „unabhängiger Kultur“ gesprochen, in dem Bewusstsein, dass
gerade dieser Begriff Kritik hervorrufen könnte. Uns war
es wichtig damit das Verständnis für die Bedeutung unserer Aktivitäten und den Kontext unserer Arbeit zu schärfen. Fachsprachlich müsste es wohl „Non-Profit-Kultur
außerhalb öffentlicher Kulturorganisationen“ lauten, aber
diese Beschreibung fanden wir unpassend. Unser Ziel bei
der Namensgebung war eine dynamische, politische Positionierung unabhängig und jenseits von Staat und Markt.
Wir forderten die Unabhängigkeit der Kultur von Staat und
Wirtschaft und diesen Anspruch haben wir bis heute. In
diesem Kontext sind Gemeinnützigkeit und ein nicht-kommerzieller Anspruch sehr wichtige Aspekte unserer Arbeit.
Dies führte zu einer sehr intensiven gemeinschaftlichen
Arbeit innerhalb des Netzwerks „Clubture“ 3 und prägte die
Arbeit und Kollaboration mit Akteuren in weiteren werteorientierten Bereichen, wie beispielsweise dem Engagement
für Menschenrechte oder gegen Globalisierung, entschieden mit. Unsere Unabhängigkeit erlaubte uns selbst zu
bestimmen, mit welchen Themen wir arbeiten, auf welche
Herausforderungen wir aufmerksam machen, welche
Lösungsansätze gesellschaftlicher Herausforderungen wir
MitOst-Magazin
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Foto: Tomislav Medak, Ne damo Varšavsku! :: Bandića na referendum :: Teodor Celakoski, CC BY 2.0
unterstützen. Daher war unsere Wahl der Terminologie
schon ein politischer Akt an sich. „Unabhängige Kultur“
ist aus dieser Perspektive keine generische, sondern eine
politische Kategorie, definiert durch die Umstände und den
Zeitgeist, in der er entstanden ist.
Clubture – Ein neuartiges Netzwerk
Auf die Etablierung freier Kulturinitiativen und einer
unabhängigen Kulturszene in Kroatien folgte die Erkenntnis, dass die extreme Zentralisierung im Land eine systematische Zusammenarbeit von Kulturschaffenden sowie
Organisationen landesweit unmöglich machte. Als die
unabhängige Kulturszene also ihre ersten Schritte machte,
erkannten wir, dass das Teilen und Weitertragen unserer
(Kultur-)Programme über die Hauptstadtgrenzen hinaus
möglich ist, und dass der Peer-to-Peer-Austausch dafür
eine sehr geeignete Methode ist. Wir beschlossen daraufhin, ein Netzwerk zu etablieren – kein repräsentatives
Organ der Kulturorganisationen der darstellenden und
bildenden Künste, sondern ein interdisziplinäres Netzwerk. Es sollte primär dem Programmaustausch dienen,
basierend auf Peer-to-Peer-Kollaborationen. Mit unseren
Organisationen, dem „Multimedia Institut“ und „MaMa“,
gemeinsam mit „Attack!“ und „Mocvara“, gründeten wir
das partizipative Netzwerk „Clubture“. Damit schufen wir
einen Rahmen, in dem das Aushandeln der Bedingungen
einer Zusammenarbeit, definiert durch einen gemeinsamen, beratenden und direkten demokratischen Entscheidungsprozess, möglich war. Das Netzwerk selbst verpflichtete seine Mitglieder gleichzeitig nicht dazu, Kollaborationen einzugehen, sondern ermöglichte Kollaboration durch
Projekte. So wuchs „Clubture“ sehr schnell. Es beteiligen
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MitOst-Magazin
sich mittlerweile mehr als 100 Organisationen und arbeiten an Peer-to-Peer-Kollaborationen.
Heute ist „Clubture“ sowohl für die Programmarbeit als
auch für die Themenanwaltschaft für gesellschaftliche
und politische Prozesse/Herausforderungen verantwortlich. Mit „Clubture“ als Netzwerk können wir sehr schnell
auf konkrete politische Momente reagierte. Im Jahr 2004
zum Beispiel führte die neu eingesetzte Regierung ein
komplett intransparentes Gesetzgebungsverfahren ein.
Durch dieses sollten die wichtigsten Gremien und Ausschüsse, die über finanzielle Förderung der Kulturszene
in Kroatien und die Finanzierung der unabhängigen Kulturszene, entschieden, abgeschafft werden. Innerhalb von
24 Stunden mobilisierten wir unser Netzwerk. Wir brachten tatsächlich mehr als hundert Menschen dazu, in das
Ministerium einzudringen. Die Regierung war daraufhin
gezwungen den Prozess noch einmal zu überdenken. Sie
akzeptierten unsere Forderungen und die Finanzierung
der unabhängigen Kulturszene wurde fortgesetzt. Durch
die jahrelange, sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit in
dem von uns geschaffenen Netzwerk konnten wir uns sehr
schnell organisieren und reagieren.
Entscheidungsprozesse in taktischen Netzwerken
Bei „Clubture“ definieren wir Entscheidungsprozesse
durch eine bestimmte Methode, auf die wir uns vorher
einigen und die wir gemeinsam festlegen. Natürlich gibt
es immer auch Auseinandersetzungen, Reibungen und
Frustrationsmomente. Jedoch ermöglicht uns diese Form
der Konsensbildung eine lebendige Zusammenarbeit, bei
der das Wichtigste die aktive Beteiligung aller Netzwerk-
mitglieder ist. Gemeinschaften, die sich im Sinne eines taktisch agierenden Kollektivs verstehen, verhalten sich nach
der Logik der Auseinandersetzung. Welche Mitstreiter
sich beteiligen, also welche Parteien in einem bestimmten
Prozess involviert sind, ist nicht vordefiniert. Daraus ergeben sich zwangsläufig immer Verhandlungen, um einen
gemeinsamen Nenner zu finden und die gemeinsame Basis
zu definieren. Und diese führen wiederum immer wieder
zu neuen internen politischen Konstellationen innerhalb des Kollektivs. Mit diesem Prozess, mit dem ständigen Aushandeln über gemeinsame Ziele, Strategien und
methodische Umsetzung unserer Aktivitäten, schaffen
wir einen sehr vertrauensvollen Raum für alle Beteiligten.
Arbeitet ein Kollektiv über Jahre hinweg so zusammen wie
wir, so spricht sich das herum und bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen. Vor allem in einer Gesellschaft, wo
diese Art von Zusammenarbeit nicht der Norm entspricht.
Die Kontinuität unserer Bemühungen, unsere Beharrlichkeit und die Qualität unserer Arbeit über eine sehr lange
Zeitspanne hinweg haben uns zu einem ernstzunehmenden Partner gemacht, trotz unserer schwächeren politischen Position. Heute arbeiten wir beispielsweise mit
Gewerkschaften zusammen, die eine wesentlich stärkere
wirtschaftliche und politische Stellung innehaben. Institutionen schätzen unsere Arbeit und erkennen den Wert der
Zusammenarbeit an.
Recht auf Stadt – Kultur als Experimentierfeld für
soziale Innovationen
Die Festlegung, Politik im Rahmen von politischen Ereignissen genau vorhersagen zu können, widerspricht unserem politischen Denken. Politik wird immer auch durch
unplanbare Ereignisse beeinflusst. Es existiert eine Art
Spontanität. Damit meine ich nicht so sehr den Einfluss von
Individuen oder Gruppen, sondern eher den Einfluss von
Situationen und Umständen. Viele Dinge passieren zufällig. Genau aus diesem Grund betrachte ich die Idee, eine
Revolution zu planen, mit großer Skepsis. Mich überzeugt
eher eine taktische Herangehensweise. Du musst Situationen und Momente erkennen und darauf reagieren können,
sozusagen die Gelegenheit beim Schopfe packen. Du musst
schnell die richtige Antwort auf den Moment finden. Vertrauen ist hierfür eines der wichtigsten Instrumente. (…)
Das Modell des taktischen Netzwerks illustriert diesen
Ansatz meiner Meinung nach. Taktische Netzwerke haben
eine starke soziale und politische Agenda und sind oft
transsektoral. Sie setzen auf mittel- und langfristige Partnerschaften, nicht auf kurzfristige Projektpartnerschaften
und setzen sich stets mit der eigenen Struktur auseinander.
Die von uns ins Rollen gebrachte Initiative und Kampagne
„Pravo na grad“ 4 (Das Recht auf Stadt) verdeutlicht diese
Wirksamkeit. „Pravo na grad“ ist eine Kampagne gegen den
wirtschaftlichen Missbrauch des öffentlichen Raums, gegen
kurzfristig gedachte Politik und gegen intransparente Entscheidungsprozesse im Rahmen der Stadtentwicklung von
Zagreb. (…) Wir brachten Organisationen aus dem Kultur-,
Jugend- und Umweltbereich, Architekten und Stadtplaner,
Personen des öffentlichen Interesses, Entscheidungsträger, Ökonomen, Aktivisten und Einzelpersonen zusammen. „Pravo na grad“ zeigt die Form der Zusammenar-
beit in einem taktischen Netzwerk sehr beispielhaft. Hier
arbeiten diejenigen zusammen, die auf organisatorischer
Ebene in den jeweiligen Organisationen tätig sind, die sich
finanziell, logistisch oder mit ihrer Expertise einbringen
und die Gruppe der Aktivisten auf verschiedenen Ebenen,
Geschwindigkeiten und mit unterschiedlich viel Engagement zusammen. Das ermöglicht eine sehr solide und
dynamische Struktur. Mit dieser vielschichtigen Struktur
konnten wir über 50 Aktionen umsetzen. Es begann mit der
Mobilisierung der unabhängigen Kulturszene, doch schnell
entwickelte sich daraus eine breit gefächerte Bewegung,
in der weitere Akteure und Bürger aktiv wurden. Diese
Initiative hat vier sehr neuartige und wirksame Ansätze:
Durch Peer-to-Peer-Kollaboration werden in einem Kollektiv gemeinsam Entscheidungen getroffen und Aktivitäten
geplant. Durch die Entstehung hybrider Organisationsformen werden Koalitionen zwischen Aktivisten und Institutionen geschaffen. Dies ermöglicht ein Umdenken, hin zu
partizipatorischen Prozessen, wenn es um Entscheidungen
im gesellschaftlichen Sinne und um das Allgemeingut geht.
Und wir haben ein taktisches Netzwerk geformt, das über
sektoralen Grenzen hinausgeht. In unserem Netzwerk verhandeln wir ständig über das, was getan werden muss und
wie es getan werden kann. Wir setzen uns kontinuierlich
mit neuen, aktuellen Herausforderungen des Systems und
mit den Bedürfnissen der Menschen, die in diesem System
leben, auseinander.
Indem wir immer wieder auf Vorhandenes aufbauen, sind
wir heute im Stande, Einfluss auf das Staatssystem und,
für uns noch viel wichtiger, Einfluss auf sein Verständnis
von Gemeinwohl zu nehmen. Wir sind beispielsweise in
der Lage zu hinterfragen, wie viel Einfluss die Regierung
in unserem Land auf Allgemeingut und öffentliche Mittel
hat. In diesem Kontext kann Kultur als Laboratorium und
Experimentierfeld für Transformationsprozesse dienen,
denn Kultur bietet die Möglichkeit zu spielen und auszuprobieren, sie ist wenig limitiert und bietet Raum für Prototypen und Neuerungen.
Veränderungsprozesse und gesellschaftlicher Wandel
werden nicht von allein angestoßen, wenn sich nicht diejenigen verantwortlich fühlen, die sich am Rand der Politik und Ökonomie befinden. Die Zeit ist reif für proaktive
Formate, die alle Ebenen einbinden und zusammenbringen,
um diesen Wandel zu bewirken. Für mich liegt die Antwort
in der Einrichtung und in der Ermächtigung transsektoraler Kollektive. Sie sollten Veränderungsprozesse anstoßen
und die Anwaltschaft für einen positiven Wandel übernehmen. Auf europäischer Ebene sollte es auch so ein taktisches Netzwerk geben, eine Plattform für kleine und große
Player. Institutionen, Organisationen sowie Intellektuelle
und Aktivisten müssen einbezogen werden. Die Aufgabe
aller Beteiligten sollte darin bestehen, gemeinsam Forderungen für das Gemeinwohl zu formulieren und diese in
die Politik zu tragen.
www.attack.hr
www.mi2.hr
3
www.clubture.org
4
www.pravonagrad.org
1
2
MitOst-Magazin
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Europa – Kontinent der Versöhnung?
Am 12. Oktober 2012 meldete das Norwegische Nobelkomitee, dass der Friedensnobelpreis
2012 an die Europäische Union (EU) vergeben wird, mit der Begründung: „Die Union und
ihre Vorgänger haben über sechs Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung
beigetragen. Seit 1945 ist diese Versöhnung Wirklichkeit geworden. Das furchtbare Leiden
im Zweiten Weltkrieg zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europa. Über 70 Jahre hatten
Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar. Das zeigt, wie historische Feinde durch gut ausgerichtete
Anstrengungen und den Aufbau gegenseitigen Vertrauens enge Partner werden können“. Ein
Artikel von Waldemar Czachur.
Waldemar Czachur führt die Bundeskanzlerin, Angela Merkel und die polnische Premierministerin Ewa Kopacz durch die Ausstellung.
Foto: Adam Symonowicz, Deutsch-Polnisches Jugendwerk
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Die deutsch-französische Versöhnung ist zum Gründungsmythos der Europäischen Union geworden, zu einem Friedensprojekt als eine kluge, mutige und vor allem politische
Antwort freier Europäer auf die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges. Die heutige Europäische Union wäre aber
auch ohne die deutsch-polnische Versöhnung kaum denkbar, denn sie steht ebenso für die Überwindung der Nachkriegsteilung Europas.
geworden ist, in dem sich auch die Dynamik des Umbruchsjahres 1989 und die deutsch-polnische Werte- und Interessengemeinschaft äußern. Polen will Freiheit und ein demokratisches Nachbarland im Westen. Deutschland will Einheit
und ein demokratisches Nachbarland im Osten, das auch zu
Europa gehört. Die Überwindung der Teilung Europas, die
mit der deutsch-polnischen Versöhnung einhergeht, wird
zum Motor der weiteren europäischen Integration.
Drei Tage nach der Öffnung der Berliner Mauer, von der
Bundeskanzler Helmut Kohl am ersten Tag seines lange
geplanten, ersten Besuches in Polen erfährt, und den er
auch für ein paar Stunden unterbricht, kommt es in polnischem Krzyżowa, ehemals Kreisau zu einer Versöhnungsmesse. Kreisau mit dem Erbe des „Kreisauer Kreises“, einer
deutschen Oppositionsgruppe gegen den Nationalsozialismus, sollte das feste Fundament für die deutsch-polnische
Versöhnung darstellen. Während des Gottesdienstes auf
dem ehemaligen Gut von der Familie von Moltke wird der
Friedensgruß zwischen dem ersten nichtkommunistischen
Ministerpräsident Polens Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl ausgetauscht. Ein spontaner Friedensgruß, der zum Symbol der deutsch-polnischen Versöhnung
Die deutsch-polnische Versöhnung ist aber anders als die
deutsch-französische. Sie ist nicht die Antwort mutiger
Staatsmänner, sondern die Antwort mutiger Bürger aus
Polen, aus der DDR und der BRD auf die Tragödie des Zweiten Weltkrieges. Kreisau, und somit die deutsch-polnische
Versöhnung, steht für den Mut von einigen Menschen, die
es geschafft haben, das eigene Trauma aus dem Zweiten
Weltkrieg zu überwinden und sich der Feindseligkeit unter
den Völkern zu entziehen. Von einem langen und beschwerlichen Weg dieser Menschen aus Polen und Deutschland
erzählt die Ausstellung „Mut und Versöhnung“, die in Kreisau am 20. November 2014 von der polnischen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz und der deutschen Bundeskanzlerin
Angela Merkel eröffnet wurde.
MitOst-Magazin
Die Ausstellung zeigt in aller Deutlichkeit, dass eine Versöhnung als langer und mühsamer Annäherungsprozess
nur dann gelingen kann, wenn er von der Bürgergesellschaft mit mutigen und kreativen Initiativen gepflegt wird.
Eine Annäherung zwischen zwei verfeindeten Nationen,
beziehungsweise Ländern, besteht aber keinesfalls nur
darin, dass die politischen Interessen gleich sind. Um sich
zu versöhnen, sich auch psychologisch anzunähern, muss
man sich besser verstehen. Um sich aber besser verstehen
zu können, braucht es eine gemeinsame Sprache, die nicht
nur das beschreiben kann, was das Verbindende in Zukunft
sein soll. Eine Sprache, die vor allem Verständnis für die
unterschiedlichen Perspektiven auf vergangene tragische
Ereignisse schafft, sodass die Erinnerung daran nicht mehr
Wunden aufreißt, sondern verbindet. Diese gemeinsame
Sprache findet man nur dann, wenn eigene Positionen überschritten und eine Dialog-Gemeinschaft geformt werden
kann.
Kreisau ist heute nicht nur ein Symbol der deutsch-polnischen Versöhnung, Kreisau ist vielmehr ein lebendiger Ort,
wo viele Menschen, auch aus Ländern mit einer komplizierten Nachbarschaftsgeschichte, versuchen können, eine
gemeinsame Sprache für das bisher Trennende zu finden.
MitOst e.V. ist auch ein Teil der Geschichte von Kreisau
und umgekehrt. 1997, 1998 und 1999 hat MitOst junge
Studierende aus Mittel- und Osteuropa zu internationalen
Seminaren eingeladen und in Workshops für die Medien-
Kreisau/Krzyżowa. Foto: Adam Symonowicz, Deutsch-Polnisches Jugendwerk
arbeit und für die Prinzipien der Demokratie sensibilisiert.
Das, was die Teilnehmer nach kurzer Zeit verband, war die
Überzeugung, dass das Ziel einer demokratischen Kultur
nicht im Gewinnen von Konfliktsituationen, sondern im
verständigen Zuhören und der Aufrechterhaltung des Dialogs besteht. Es mag sich vielleicht allzu pathetisch anhören
und der Eindruck entstehen, die Stimmung der MitOstSeminare in Kreisau würde idealistisch nachkonstruiert
werden – dieses ist aber nicht der Fall. Von den Seminaren
sind viele Menschen verändert nach Hause gefahren. Hier
ist auch das Konzept für das Theodor-Heuss-Kolleg entwickelt worden. Somit ist ein Stück von dem Erbe des Deutschen Widerstandes und der deutsch-polnischen Versöhnung in die Arbeit von MitOst eingeflossen. Wie gut, dass
diese Arbeit in den unruhigen Nachbarländern des Trägers
des Friedensnobelpreises fortgesetzt wird.
Konflikte innerhalb und in der Nachbarschaft der heutigen
EU sind für Politiker und Akteure der Zivilgesellschaft eine
große Herausforderung. Sie können aber zugleich als eine
enorme Chance für Europa genutzt werden. Denn durch
kluge und mutige Lösungen liefert Europa seinen Bürgern
genug Argumente, warum der Frieden für Generationen,
die den Zweiten Weltkrieg oder den Kommunismus nicht
erlebt haben, tatsächlich einen besonderen Wert darstellt.
Auch hier muss eine gemeinsame Sprache in der politischen
Kommunikation gefunden werden, damit der Dialog miteinander stattfinden kann.
Waldemar Czachur, Teilnehmer des MitOst-Seminars 1998
in Kreisau, 2000 – 2002 Beisitzer, 2002 – 2003 2. Vorsitzender im MitOst-Vorstand, wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Germanistischen Institut der Universität Warschau, Kurator der Ausstellung „Mut und Versöhnung“.
Odwaga i Pojednanie – Mut und Versöhnung
„Mut und Versöhnung“ ist Titel der ständigen Freilichtausstellung in Kreisau/Krzyżowa. Sie entstand
anlässlich des 25. Jahrestages der Versöhnungsmesse, die am 12. November 1989 auf dem ehemaligen Gut der Familie von Moltke in Kreisau stattgefunden hat.
Mehr Informationen unter
www.odwagaipojednanie.pl/de.
MitOst-Magazin
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Dialogue for Change
Während dieser Text geschrieben wird, ist nicht absehbar, welche Konsequenzen der Krieg in
der Ukraine nach sich zieht. Absehbar ist, dass die künftigen Herausforderungen in der Ukraine nicht nur militärischer oder wirtschaftlicher Art sein werden. Um einer gesellschaftlichen
Spaltung und möglichen Traumata des Krieges entgegenzuwirken, müssen die bürgerschaftliche Verantwortung für das Gemeinwesen und die Aufrechterhaltung einer demokratischen
Gesellschaft gestärkt werden. Dies kann gelingen durch strategisch angelegte Partnerschaften
zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Der kooperativen Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft stehen viele Faktoren
entgegen. Die Scheu vieler Menschen, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, ist dabei sicherlich die größte Blockade.
Aber auch die fehlende Bereitschaft der Verwaltung, strategische Partnerschaften einzugehen und nach neuen gesellschaftlichen Funktionen für Institutionen aus der Sowjetzeit zu suchen, erschwert gemeinschaftliches Handeln.
Hinzu kommt auf beiden Seiten die fehlende Erfahrung mit
transsektoralen Kooperationen.
Schon heute übernehmen zivilgesellschaftliche Akteure die
Anwaltschaft für gesellschaftliche Herausforderungen. Sie
sind Fürsprecher eines positiven sozialen Wandels und der
Chancengleichheit. Mit ihren Vorhaben setzen sie Impulse
für eine Nachkriegsgesellschaft in der Ukraine. Ihre Expertise ist der Schlüssel für mehr Transparenz, Partizipation
und innovative Lösungsansätze.
Es gilt, diese Impulse des bürgerschaftlichen Engagements
und der transsektoralen Zusammenarbeit zu stärken und
übertragbar zu machen. Hier fehlt eine Plattform für den
gesamtukrainischen Austausch über Visionen, Werte, Strategien und Know-How. Und es fehlen verlässliche Kontakte
zu Partnern in Europa und in Russland, die die ukrainischen NGOs in diesem Prozess begleiten und ihre Erfah18
MitOst-Magazin
rungen über transsektorale Zusammenarbeit und die Einbindung der Zivilgesellschaft in gesellschaftsrelevante Entscheidungen mit ihren ukrainischen Kollegen teilen.
Genau hier setzt das neue Programm „Dialogue for Change“
an: Es wird gemeinsam von MitOst und Інша Освіта (Insha
Osvita) durchgeführt und vom Auswärtigen Amt unterstützt. Mit dreizehn Werkstätten, sogenannten „Maysternyas“, werden für junge Erwachsene in vielen ukrainischen
Regionen auf lokaler Ebene Möglichkeiten für zivilgesellschaftliches Engagement und kulturelle Bildung sowie die
Auseinandersetzung mit Geschichte gefördert. Multiplikatoren der nicht-formalen Bildung werden als „Community
Developer“ qualifiziert. Mit dem „UkraineLab“ entsteht ein
landesweites Netzwerk für zivilgesellschaftliche Organisationen. Hier treffen sich „Akteure des Wandels“. Sie unterstützen sich gegenseitig bei Konfliktbearbeitungen und
Netzwerktreffen. Ermöglicht werden Hospitationen und
Fortbildungen in „Capacity Development“. Auf europäischer Ebene entstehen so zwölf langfristige Partnerschaften zwischen ukrainischen und europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen im Rahmen des Programms
TANDEM. Die Tandem-Partner führen gemeinsam Projekte für „Community Development“ und „Kultur des
demokratischen Dialogs“ durch und werden in das europaweite TANDEM-Netzwerk eingebunden.
Partner auf Augenhöhe
Die deutsch-ukrainischen Beziehungen erleben auf zivilgesellschaftlicher Ebene gerade einen
Aufschwung. Dadurch treten einige Lücken in dieser Zusammenarbeit zutage. Oleksandra
Bienert analysiert diese Tendenzen in ihrem Artikel „Die deutsch-ukrainischen Beziehungen
auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Stand und Verbesserungsvorschläge“, der in den UkraineAnalysen Nr. 148 (24.03.2015) erschien. In Auszügen veröffentlichen wir ihren Artikel hier und
zeigen Beispiele auf, wie sich die partnerschaftliche Zusammenarbeit entwickeln sollte.
Aus einem historischen Zusammenhang heraus existieren in
Deutschland viele NGOs, die im Bereich humanitäre Hilfe
für die Ukraine arbeiten. (…) Etwas geringer ist die Zahl
der NGOs, die sich der Demokratisierung in der Ukraine
widmen, es gibt sie aber auch. Außerdem gibt es eine kleine
Zahl deutsch-ukrainischer Projekte, die die Reformprozesse
in der Ukraine unterstützen. Einen wichtigen Beitrag leisten zudem bereits bestehende Städtepartnerschaften. Beim
Überblick über die deutsch-ukrainische Zusammenarbeit
stößt man (…) auf die beinahe vollständige Abwesenheit
von Konsolidierungs-, Koordinierungs- und Vernetzungsstrukturen für diese Zusammenarbeit. In Deutschland
fehlt ganz offensichtlich eine Stelle, die zum einen Kontakte
vermitteln und zum anderen bei der deutsch-ukrainischen
Zusammenarbeit nachsteuern könnte. (…)
Festzuhalten ist aber, dass zurzeit besonders viele und gute
Projekte stattfinden und dass neue zivilgesellschaftliche
Partnerschaften zwischen der Ukraine und Deutschland
gebildet werden. (…) Folgende Beispiele lassen sich derzeit
vorschlagen, um die Richtung anzuzeigen, in die Unterstützung gehen sollte: Erstens ist eine (weitere) Professionalisierung der NGO-Vertreter durch Austausch und Wissenstransfer notwendig (…). Wichtig wäre es, zum einen deren
Aktivitäten zu unterstützen und zu professionalisieren
und zum anderen den Multiplikatoren Werkzeuge an die
Hand zu geben, die diese dann in die Ukraine hineintragen können. (…) Zweitens bedarf auch das sich zurzeit stark
wandelnde Verhältnis von Zivilgesellschaft und Regierung
der Unterstützung – das hieße, den Austausch zum Thema
Kommunikation von Zivilgesellschaft und Regierung
sowie die Förderung des Dreiergesprächs zwischen Regierung, Zivilgesellschaft und internationalen Förderern zu
unterstützen. (…) In der Ukraine muss ein Bewusstsein
für die Wirksamkeit der politischen Beteiligung einzelner
Bürger erst noch geschaffen werden; hier wären bspw. BestPractice-Beispiele aus anderen europäischen Ländern hilfreich. Dabei wäre es ebenso wichtig, die Professionalisierung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes – inklusive
der Polizei – nicht zu vergessen. Notwendig wäre es auch,
auf einen Wissenstransfer an lokale Multiplikatoren zu
achten, damit diese das Wissen in Zukunft selbst ins Land
tragen können. Ebenso entscheidend ist es, sowohl einen
unabhängigen, qualitativ hochwertigen und sich nicht an
(Gegen-)Propaganda orientierenden Journalismus im Land
zu stärken als auch die Öffentlichkeitsarbeit von NGOs,
damit deren Arbeit der Gesellschaft besser vermittelt wird.
(…)
Eine sehr wesentliche Aufgabe ist es zurzeit, die bereits
bestehende Zusammenarbeit gründlich zu analysieren und
in Deutschland eine Stelle zur Koordinierung und Konsolidierung dieser Partnerschaft zu schaffen, die auf Lücken im
Dialog mit aktiven NGOs eingehen könnte, um sie zu bearbeiten und ggf. zu schließen. Um die bestehende Zusammenarbeit zu erweitern, bräuchte man eine Struktur bzw.
ein Forum (…).
Bei allen Aktivitäten in der Ukraine empfiehlt es sich, vor
allem in die Regionen zu gehen und – nicht minder wichtig – den ukrainischen Partnern auf Augenhöhe zu begegnen. Ein Vorschlag wäre hierzu: Alle Partner, auf deutscher
wie auf ukrainischer Seite, müssen darauf bei der Zusammenarbeit achten und lernen, ihre Projekte gemeinsam zu
erarbeiten – wenn es tatsächlich eine Partnerschaft geben
soll. Die Ukrainer müssten ihre deutschen Partner dann
rechtzeitig auf „paternalistische Anfälle“ aufmerksam
machen und sie zu verstehen versuchen, bei den deutschen
Partnern wären dagegen Geduld und besondere Sensibilität gefragt. Dabei geht es nicht darum, die Ukrainer als
primäre Kenner der Ukraine zu betrachten – was sie nicht
unbedingt sein müssen – es gilt aber zu lernen, dem Partner mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Dies
kann man nur, wenn man die Ukraine bzw. die ukrainische Zivilgesellschaft als Subjekt versteht und wahrnimmt.
Eine Absage an den Paternalismus bedeutet ebenso, dass
sich die deutschen Akteure – was dringend angeraten ist –
stärker mit der Situation in der Ukraine und ihrer (Vor-)
Geschichte vertraut machen, um sich für die Ukraine als
Subjekt zu interessieren und das Land nicht weiterhin als
Objekt zu betrachten. Sobald das geschieht, wird die Frage,
„wie wir dem Land helfen können“, automatisch durch die
Frage, „wie wir den Austausch vertiefen können“, ersetzt
werden. Damit dies passiert, bedarf es eines hohen Wissenstands zur Ukraine und eines hohen Grads an Selbstreflexion über das eigene Handeln.
Erstveröffentlichung unter dem Titel „Die deutschukrainischen Beziehungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Stand und Verbesserungsvorschläge“
von Oleksandra Bienert in den Ukraine-Analysen
Nr. 148 (24.03.2015).
www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/
UkraineAnalysen148.pdf
MitOst-Magazin
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MitBlick nach...
Über aktuelle Entwicklungen in den MitOst-Ländern berichten wir in „MitBlick ...“. In dieser
Ausgabe blicken wir nach Armenien, Syrien und Bulgarien.
Armenien war zuletzt nur noch selten in den Hauptnachrichten. Zuletzt aufgrund der strategischen Partnerschaft
mit Russland, die die ökonomische Abhängigkeit des Landes
spiegelte und das Land nun auch in eine gewisse Distanz
zum Nachbarn Georgien brachte. Wie sieht es heute mit
der Zivilgesellschaft in Armenien aus? Welche Stimmen
kommen in ihr zu Wort? Und vor allem: Wie stark ist die
Stimme der armenischen Zivilgesellschaft? Diana Chobanyan engagiert sich für das Kooperationsprogramm des
Theodor-Heuss-Kollegs EcoLab und schildert ihre Eindrücke über die Entwicklung der armenischen Zivilgesellschaft.
Auf der Suche nach „ArtBridges“ zwischen Grenzen, Identitäten und Konflikten reisten sechs junge Fotografen durch
Europa. Wir begleiten sie durch Griechenland, Mazedonien,
Albanien, Montenegro und den Kosovo. In Kurzaufnahmen
erzählen sie von ihren Eindrücken.
In Syrien führten die friedlichen Proteste Anfang 2011 zu
einem bis heute andauernden Bürgerkrieg. Die Vereinten
Nationen geben an, dass vom März 2011 bis April 2014
191.396 Menschen getötet wurden. Rund 2,6 Millionen Syrer
mussten aus ihrem Land fliehen und mehr als 9 Millionen
sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Das Tandem Jon
Davis und Vural Tarla dokumentiert mit „Syria in Transit“
die Wege einiger syrischer Flüchtlinge. Jon Davis schreibt
von den Besuchen in der türkischen Grenzstadt Gaziantep
und erzählt eine von vielen, vielen Geschichten, die ihn
selbst quer durch Europa führte.
Zu den Grundprinzipien von MitOst zählt die enge Zusammenarbeit mit lokalen Partnern bei der Durchführung von
Programmen und Projekten. Im MitOst-Kosmos gibt es viele
Organisationen und NGOs, mit denen wir immer wieder
zusammenarbeiten, manche von ihnen sind institutionelle
Mitglieder bei MitOst. Wir wollen Gründern und Mitarbeitern dieser NGOs eine Stimme geben, ihre Geschichten erfahren. Wir gehen deswegen der wollen wissen wie NGO-Arbeit
in anderen Ländern auf den Grund und versuchen zu erfahren, vor welchen Herausforderungen die Zivilgesellschaft und
die Akteure der NGOs stehen. Dazu stellen wir ein Land und
drei Perspektiven vor. In diesem Heft erzählen Rozalina Laskova, Yanina Taneva und Svetozar Gradev über ihre Arbeit
in Bulgarien. Alle drei sind in unterschiedlichen Organisationen aktiv. Sie geben auch einen Überblick über die veränderte
Wahrnehmung von NGOs in der bulgarischen Gesellschaft.
Die folgenden Artikel wurden von den Autoren in englischer
Sprache verfasst. Wir haben nicht alle ins Deutsche übersetzt. Damit kommen wir dem Wunsch der Mitglieder nach
Mehrsprachigkeit entgegen.
From Joint Civic Education
to Independent Caucasus Partners
In 2010 MitOst and the Theodor-Heuss-Kolleg started with
the coopration programme “Getting Involved” in the Caucasus. In 2012 the activities were broadened under the roof
of “Joint Civic Education”. Supported mainly by the Federal
Foreign Office each year around 100 persons from Armenia,
Azerbaijan, Georgia, South-Eastern Anatolia in Turkey and
the Northern Caucasus in Russia were empowered to create
a change in their societies. Furthermore the cross-border
format “Social Leader Forum” connected and qualified
more experienced actors from civil society, administration
and politics in these regions.
of the Theodor-Heuss-Kolleg and the “Social Leader Forum”
will be independent programmes. Why? Firstly, the funding
of the Federal Foreign Office expires. Secondly, the partners
in the Caucasus are ready to assume more responsibility.
During several meetings the programme coordinators developed strategies, talked to potential donors and thought of
innovations like integrating social entrepreneurship, alumni
associations and co-operations with universities. From now
on it will be “EcoLab” in Armenia, “Time for Development”
in Azerbaijan, “New Horizons” in Russia, “Take the Chance”
in Turkey and “Diversity School” in Georgia.
In 2014 alone, were around 122 participants, 46 projects “Each of the programmes is critically and robustly engaged
and more than 1.400 beneficiaries within the regional pro- in raising generations of young people who try and solve
grammes and activities in the Caucasus. But things are chang- some of the issues of contemporary significance in their
ing: From 2015 on the five country cooperation programmes countries.” (Diana, EcoLab)
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MitOst-Magazin
The Voice of Civil Society in Armenia
We are living in an increasingly globalised world, where walls are crumbling and falling every
day. The fall of barriers between nations exposes us to global diversity and variety. We need
to embrace this multiculturalism and human variety in order to keep up with the rest of the
global community. Globalisation and technical advancements have undoubtedly accelerated
and improved the way we vote, protest, learn and live. These developments have led to the
strengthening of civil society in almost all parts of the world. By Diana Chobanyan.
In Armenia, the voice of civil
society is becoming louder
and more confident, thus contributing to democratic governance, transparency and participatory politics. The unrestricted voice of Armenian
civil society can now be heard
on the streets of Yerevan, in
marzes (regions of Armenia)
and all over social media platforms. The vestige of Soviet authoritarian and paternalistic
political processes is however unfortunately still evident in
Armenia. Its consequence is ruthless and shocking social
injustice, and persistent violation of human rights and
democratic values resulting in social apathy and emigration.
In the current situation, education and empowerment of
the young generation is one of the best recipes for bringing
about positive change. In order to be active members of the
global community, young people need to be well informed
about global challenges, respectful of other cultural and
religious practices, and have a decent understanding of
their role as change-makers in our society.
RA Ministry of Education and Science introduced a reform
called “Education Quality and Relevance” to develop the
post-Soviet educational system in newly-independent
Armenia. The reform responded to outdated educational
standards and textbooks, inconsistencies in assessment,
and the predominance of teacher-centred teaching methods 1. In 2000, the RA Ministry of Education and Science
decided to amend the state curricula for secondary education by adding “human rights, civic education, and state
and law”. Starting with 2001 these “legal block” subjects
were taught in secondary school for eighth to tenth grades 2.
Studies have shown that civic education is no longer an
abstract subject that teachers struggle to comprehend. The
Ministry of Education and Science has introduced informative and useful textbooks and thematic trainings/seminars
for teachers. Nonetheless, the subjects they have introduced
fail to equip students with civic skills, emphasizing only
the knowledge of rights and responsibilities. The Citizen’s
Awareness and Participation in Armenia Survey (IFES,
2003) confirms that young adults (18 – 25 years old) are not
1 Tovmasyan & Thoma, 2008
2 Gyulbudaghyan, Petrosyan, Tovmasyan & Zohrabyan, 2007, p. 21
only less interested and involved in politics but also have
a lower level of civic participation that those aged 26 and
above. It can therefore be concluded that there is a gap in
the civic education of the young people in Armenia which
consequently leads to low social consciousness and awareness and an even lower level of civic activism.
The Ministry has acknowledged the need for high-quality
civic instruction which would fill the gap in civic education
in the Armenian context. Nevertheless, it has failed to take
adequate measures and, as a result, young Armenians lack
civic competencies and skills. Fortunately, the civil sector
has taken over and started offering civic trainings, courses
and seminars which combine civic “knowledge” with its
practical application. These educational measures use synergies from formal and non-formal education to deliver
breath-taking content. The hallmark of these courses is that
they not only enhance the learners’ knowledge about civil
society, but also shape learners’ civic competencies and promote active citizenship and democratic values. EcoLab, the
active citizenship project that I coordinate is a vivid illustration of how an NGO project can empower and educate
young people more efficiently than the school curriculum
on civic education. I myself am a “product” of EcoLab,
which provided the civic education that the educational
system did not.
Overall, I am hopeful that similar projects, which nurture
learners’ civic literacy and emphasize such core concepts as
democracy, rights and responsibilities, will be offered more
widely. Also, I hope that by that time the Ministry of Education will appreciate both independent and autonomous
learning and higher civic participation, and include both in
its comprehensive list of educational objectives.
EcoLab
Diana Chobanyan is part of the coordination team
of EcoLab. EcoLab is an cooperation programme of
the Theodor-Heuss-Kolleg. EcoLab empowers young
Armenians to change their local community by fostering sustainable development. Participants implement their own projects in small teams in their cities
and villages. These projects focus on sustainable local
economy, non-formal education and community
mobilisation.
More information at theodor-heuss-kolleg.de.
MitOst-Magazin
21
Art Bridges Europe:
Grenzen – Identitäten – Konflikte
Teo, David, Josephine, Niklas, Jean-Félix und Jérémie, sechs Fotografen aus Georgien, Deutschland und Frankreich, steigen im Sommer 2014 in Nantes in einen 20 Jahre alten Renault
Espace, liebevoll Grand Ma genannt. Sie sind auf der Suche nach Geschichten über Identität,
Grenzen und Konflikte in Europa. Die Bilder ihrer Reise zeigen sie in ihren Heimatstädten
Tbilissi, Saarbrücken und Nantes, die gleichzeitig Partnerstädte sind. Sie dokumentieren ihre
Erlebnisse auf dem Blog artbridgeseurope.wordpress.com. Ein Artikel von Teona Dalakishvilli,
Jean-Félix Fayolle, David Mirvelashvili und Josephine Kretschmer.
Die Gruppe startet im französischen Nantes, fährt durch
Deutschland, danach geht es in Richtung Osteuropa bis in
die rumänische Hauptstadt Bukarest. Von dort aus fahren
sie über Bulgarien und den Balkan wieder zurück nach
Saarbrücken. Wir begleiten die jungen Fotografen und
Grand Ma durch Griechenland, Mazedonien, Albanien,
Montenegro und den Kosovo.
Zurück in die EU
Das Überqueren der Grenze in die EU von türkischer Seite
aus gestaltet sich etwas schwierig. Unsere georgischen
Teammitglieder sind nicht willkommen. Die griechischen
Grenzbeamten fragen uns nach dem Ziel der Reise. Jedes
Detail wird überprüft. Selbst das Schengenvisum in ihren
Pässen schützt sie nicht vor erneutem Nachfragen und
Prüfen der georgischen Pässe. Das Misstrauen kommt wohl
daher, dass in Griechenland eine große georgische Gemeinschaft lebt, davon einige auch illegal. Wir erzählen von
unserem Projekt und allmählich wird das Gesicht und der
Ton des Grenzbeamten milder und wir dürfen schlussendlich passieren. Wir fahren in Richtung Alexandropolis. Die
Grenznähe der griechischen Stadt ist deutlich zu spüren.
Viele Türken kommen über das Wochenende her oder ver22
MitOst-Magazin
bringen ihre Ferien hier. Als wir auf die Karte sehen, fällt
unser Blick auf „Makedonien“, eine Region im Nordosten
Griechenlands. Die Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien 1991 entfachte einen
Konflikt zwischen Griechenland und Mazedonien um den
Namen, denn beide Länder beanspruchen ihn für sich.
Griechenland befürchtet Gebietsansprüche auf die griechische Region Mazedonien. Mazedonien hingegen argumentiert mit der historischen Bezeichnung für das Gebiet,
in dem der Staat liegt, daher läge es nahe den Namen zu
verwenden. Aus Namensübereinstimmungen mit der griechischen Region lassen sich jedoch keine Gebietsansprüche ableiten. Trotzdem gipfelte der Streit 1994/95 in einem
Embargo Griechenlands gegen Mazedonien. Da bis heute
keine Lösung für den Konflikt gefunden wurde, trägt die
offizielle Landesbezeichnung den Zusatz: Republik Mazedonien.
Makedonija/Mazedonien
Wir sind auf der Suche – wie eigentlich immer – nach einer
kleinen Stadt oder einem Dorf, nach Freunden, die uns für
eine Nacht bei sich aufnehmen. Nur so sind wir ganz nah
am Leben dran und können den Geschichten unserer Gast-
nen Kameradisplays sofort begutachtet. Sie wollen uns und
unsere Kameras gar nicht mehr gehen lassen. Einige Roma
sprechen deutsch. Sie erzählen uns von ihrem Leben in
Deutschland oder von ihren Verwandten dort. Manche von
ihnen verdienen sich Geld mit dem Sammeln von Müll und
Flaschen. Nur selten bekommen sie einen „richtigen“ Job.
Die Roma haben sich etwas außerhalb der Stadt angesie- Ihr Leben ist mühsam und hart, und scheint doch so herzdelt. Sie haben weder fließend Wasser und noch Strom. Die lich und lebenslustig. Unsere Antwort auf ihre Frage, ob
Kinder gehen nicht in die Schule und nur wenige Erwach- wir uns solch ein Leben vorstellen könnten, lautet dennoch:
sene haben einen Job. Die Einwohner von Kavadarci begeg- „Nein, definitiv nicht.“
nen ihnen misstrauisch, gehen ihnen aus dem Weg oder
ignorieren einfach ihre Existenz. Für sie sind sie lediglich Wir können Mazedonien nicht verlassen ohne noch einmal
Diebe und Banausen. Statt dieser Ignoranz wünschen wir zu den Roma zurückzukehren und uns bei ihnen zu bedanuns, dass die Bewohner von Kavadarci einmal versuchen, ken. Wir haben ihnen einige Fotos ausgedruckt und schenihre Augen nicht vor der Realität der Roma zu verschließen ken sie ihnen. Strahlende Gesichter sind der Dank. Wir
und einen Blick für ihre Nachbarn zu haben, für die Wasser wissen, dass dies nur eine Kleinigkeit ist, die wir für sie
und Brot nicht selbstverständlich sind, ganz zu schweigen tun können. Nach zwei wundervollen Tagen verlassen wir
von der Ausbildung ihrer Kinder. An unserem ersten Tag in Kavadarci und fahren weiter.
Kavadarci besuchen wir die viel diskutierte Roma-Siedlung.
Es ist uns selten passiert, dass wir so herzliche und lebendige Gezuar! (Cheers in Albanien)
Menschen getroffen haben. In der Siedlung lärmen überall Unsere erste Station in Albanien ist Durres. Eine KüstenKinder. Mit unseren Kameras sind wir gleich willkommen. stadt voller Touristen und Menschen mit den unterschiedUnsere Aufnahmen werden von den Kindern auf den klei- lichsten Hintergründen. Auf der Straße schnappen wir alle
geber über Land und Leute lauschen. So auch in Mazedonien. Wir besuchen Freunde im mazedonischen Kavadarci
und werden von ihrer Familie eingeladen. Schnell bemerken wir, dass unsere Gastgeber von einer Gruppe Roma verunsichert sind, die am Rand von Kavadarci lebt.
MitOst-Magazin
23
möglichen Sprachen auf, sehr oft jedoch Italienisch. Wir
erfahren, dass viele Albaner nach Italien ziehen und wir
deshalb in Durres viel Italienisch hören. Nachdem uns
unser Gastgeber begrüßt hat, schlagen wir unsere Zelte
etwas außerhalb von Durres auf. Er warnt uns, nicht nach
22 Uhr auszugehen, denn die Mafia geht um.
Am nächsten Tag wollen wir vom Norden Albaniens in den
Kosovo fahren. Kurz vor der Grenze entscheiden wir uns,
kurz in einem Dorf anzuhalten. Wir wollen schnell ein
paar Bilder machen. Unser Plan ändert sich: Wir werden
zum Tee eingeladen. Auf den Tee folgt Rakya. Der Dorfälteste hat ihn selbst hergestellt und schenkt uns zur Verkostung ein. Wir lernen all seine Kinder und Kindeskinder
kennen. Obwohl sie weit verstreut in anderen Städten und
Ländern leben, kehren sie jeden Sommer nach Albanien
zurück. Das Dorf wird lebendig und laut. Die meisten der
jungen Leute wollen in die weite Welt, sie wollen weg aus
Albanien. Sie sehen ihre Chancen in Europa. Der Dorfäl-
24
MitOst-Magazin
teste lädt uns ein, noch zu bleiben. Wir wollen weiter, denn
wir sind am nächsten Tag zum Filmfestival „Dokufest“ in
Prizren im Kosovo eingeladen. Die Einladung des Dorfältesten auszuschlagen, wäre unhöflich, also einigen wir
uns darauf am nächsten Tag noch ein paar Stunden bei der
Familie zu verbringen. Erst dann werden wir nach Prizren
weiterfahren. Mit den Kindern schauen wir zu, wie Rakya
gemacht wird und gehen im Anschluss wandern. Beim
Abendessen lauschen wir den Geschichten der Dorfbewohner, erfahren mehr über die Traditionen und genießen
den wunderbaren Ausblick. Am Ende fahren wir dann
doch nicht nach Prizren. Es ist unmöglich schon Abschied
zu nehmen, denn die Menschen hier sind so herzlich und
gastfreundlich. Also bleiben wir noch eine weitere Nacht.
Die Albaner mögen die Kosovaren, erzählen sie uns, denn
sie sind vom gleichen Menschenschlag wie die Albaner.
Das haben wir schon von Freunden im Kosovo gehört.
Großvater erzählt uns von der politischen Vergangenheit
Albaniens. Viele seiner früheren Freunde sind heute Poli-
tiker. Er glaubt, dass sich der Kosovo und Albanien eines
Tages zu einem neuen Staat verbinden werden. Es ist ein
regnerischer Tag als wir uns von unseren neuen Freunden verabschieden. Wir alle hoffen, dass wir eines Tages
zurückkehren werden. Wir fahren weiter in den Kosovo
und von dort aus nach Montenegro.
Montenegro
Wir überqueren die Grenze zwischen dem Kosovo und
Montenegro, die hier direkt durch die Berge verläuft. Der
Checkpoint ist wahrscheinlich einer der höchsten, den wir
auf unserer Reise passieren. Wie an allen Grenzen auf dem
Balkan sehen wir auch hier Hinweisschilder gegen den
Schwarzhandel. Glaubt man den Schildern, so haben alle
Staaten dem Schmuggel den Kampf angesagt, doch noch
immer ist er ein großes Problem. Dieses Mal werden nicht
nur unsere Ausweise, sondern auch unser gesamtes Gepäck
kontrolliert. Als die Beamten nicht fündig werden, dürfen
wir die Grenze passieren. Das war einfach!
Der Weg zu unserem nächsten Ziel Pljevlja, einer Grenzstadt im Norden Montenegros, gestaltet sich schwieriger,
denn wir kommen wieder an eine Grenze. Anstelle durch
Montenegro zu fahren, haben wir versehentlich eine Straße
genommen, die uns durch Serbien führen wird. Beim
Abstempeln unserer Pässe erfahren nicht nur wir, sondern auch der Grenzbeamte, dass Georgier auch mit einem
Schengenvisum nicht nach Serbien einreisen dürfen. Unsere
Stempel werden wieder ungültig gemacht. Und wir suchen
uns einen anderen Weg, um nach Pljevlja zu gelangen.
Dort angekommen, zeigen uns unsere Gastgeber Vladan
und seine Freunde ihre Stadt. Sie erzählen uns die
Geschichte ihrer Heimat. Pljevlja liegt nur 12 Kilometer
von der serbischen Grenze entfernt. Die meisten Einwohner bezeichnen sich hier als Serben. Wir sehen lateinische
und kyrillische Buchstaben. Wir bemerken serbische Klöster neben Kirchen, Überbleibsel des Osmanischen Reichs.
Die Stadt ist klein und doch sehr vielfältig. Die Menschen
hier leben trotz ihrer Unterschiede friedlich miteinander.
Unsere Gastgeber erzählen uns: „Das Osmanische Reich
hat die Kultur stark beeinflusst: von der lokalen Küche über
religiöse Einstellungen bis hin zum Zusammenleben zwischen Frauen und Männern.“ Uns fällt auf, dass die Stadt
sehr grün ist. Dennoch ist die Luft stark verschmutz. Dies
liegt an dem großen Kraftwerk, gleich hinter den Grünanlagen. Immer wieder demonstrieren junge Menschen
für stärkeren Umweltschutz und gegen die hohe Luftverschmutzung.
Wir hören eine sehr interessante Geschichte über Novi
Pazar, eine serbische Stadt nahe der Grenze. Die Stadt gilt
heute als das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der
Muslime, denn die meisten Einwohner dort sind Muslime.
Es schwelt jedoch ein Konflikt mit unterschiedlichen Interessen: Die Stadtväter wollen Autonomie für ihre Stadt, doch
Serbien sieht sich durch diese Forderung in seiner Souveränität bedroht. Dieses Beispiel zeigte uns, dass trotz der
stabilen Situation auf dem Balkan, kulturelle und politische
Dynamik die Region prägen.
MitOst-Magazin
25
Syria in Transit
Syria in Transit is a photography, sound and video exhibition which documents both the stories of Syrians remaining on the edge of war in Turkey and those attempting the dangerous
journey across Europe to the UK. Since the conflict began in April 2011, over three million
Syrians have fled their country. Over a third have been forced to cross the border into neighbouring Turkey, where they now work in fields and factories, living in temporary tent cities,
cheap hotels and vacant buildings. They wait in the hope that they can soon return home
and rebuild the lives they left. Others, however, choose to undertake the long and dangerous
journey into Europe. Their route over land and sea, from detention camps to police cells, and
through a litany of European cities, is always driven by the hope that a better future is waiting
for them in the United Kingdom. By Jon Davis.
Vural and I first met in Izmir in May 2013 as Turkey erupted
in protests against the destruction of Istanbul’s main park.
It was here, amongst our evenings of Raki and tear gas, that
our friendship and desire to work together was formed. It
was a collaboration born out of the political upheaval spiralling out of the Gezi Park protests but also, more importantly,
the humanitarian crisis playing out in Syria and Turkey’s
role in welcoming over a million Syrians fleeing the conflict
which has engulfed their country for more than three years.
Over the following year and a half Vural and I worked on
Syria in Transit.
It is the story of two borders: the Turkish-Syrian border and
the France-UK border. The former is an escape route for
over a million Syrians fleeing the conflict in hope of finding safety in their neighbouring country. The latter is the
final border on a long and dangerous journey across Europe.
Between these two borders are many other borders. Some
are imperceptible, their only marker the changing language
on the road signs, while others are far more treacherous and
can only be traversed by swimming a river, sailing across
open sea in a small boat with a 150 other desperate souls, or
covering yourself in oil and climbing under a lorry.
In December 2013 I visited Vural in Gaziantep in southeastern Turkey. With a population of one and a half million, Gaziantep is the sixth-largest city in the country and
a growing centre for industry, textiles, and agriculture.
Only 60 miles from the Syrian border, it has attracted tens
of thousands of Syrians who are seeking safety, work and
a place to live. It is not difficult to see the effects; Syrians
can be seen at the side of the road collecting rubbish to sell,
they are working in cafes and factories and filling the cheap
hotels and vacant buildings. And outside the city are the
tent cities, thousands of temporary white tents which have
become permanent homes.
Of all Syria’s neighbours, Turkey has done the most to
secure the protection of refugees. However, with the
increasing strain on resources, changes in the government’s
use of terminology clearly hint that they perceive their displaced neighbours as transitory visitors. Initially referred to
as “guests”, the Turkish government has since awarded Syrians “temporary protected status”. However, with increasing
26
MitOst-Magazin
numbers of refugees crossing the border, the government is
now attempting to limit those who can cross without official
documents. All this has led to the creation of over 20 camps
along the border, yet over 70 percent of Syrians in Turkey
are living undocumented in urban areas. As the conflict
continues and IS makes further gains across the border,
Turkey is rapidly losing its ability to protect and provide for
the sheer number of refugees flooding into its territory.
During my visit, Vural and I spent some time at the official
border crossing talking to the Syrians who were waiting for
family members to cross, drinking tea and warming our
hands and feet over an open fire. There was a long line of
trucks and lorries queuing to cross the border. We were told
that they don’t actually enter Syria but unload their goods
in a buffer zone where they will be collected by Syrian truck
drivers and then distributed throughout the country. A
steady flow of Syrians was crossing in both directions on
foot and, after what appeared to be only a cursory glance at
their passports, those entering Turkey were quickly herded
into packed waiting taxis which would ferry them to the
centre of Kilis.
Later we walked into the fields on a track running parallel to the border. In the hundred metres between us and
Syria were olive trees, a minefield and a two-metre high
fence. Border zones are always liminal spaces where people
pass from one state to another; here a new informal border
crossing has been created for those who don’t have passport.
Despite the presence of the Turkish military, hundreds of
Syrians cross the border each day, by climbing either over
the fence or through its many gaps and holes. It’s clear that,
whilst the Turkish authorities don’t officially allow this form
of illegal entry, in 2013 they were unwilling to use further
force to prevent it. Vural tells me that, with the increasing
threat from IS, the border is now heavily patrolled, with the
military stopping any attempting to cross illegally.
As we were leaving, we saw two teenage brothers with their
two sisters jump out of the back of a white pickup truck on
the Syrian side of the border. They found a gap in the fence
and came running, zigzagging into Turkey with tears and
fear in their eyes. We shouted at them to stay on a rough
small path which led out of the minefield. When they
This map documents the journeys of five Syrians –
Hassan, Firas, Ammar, Marios and Abed.
Hassan —— · —— · —— · —— · —— · —— · —— · ——
Idlib > Bab al-Hawa > Istanbul > Athens > Catania > Rome > Milan > Paris > Lille > Calais
Firas · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·
Bab al-Hawa > Gaziantep > Istanbul > Athens >
Rome > Sicily > Rome > Austria > Italy > France
> Geneva > Basel > Luxembourg > Antwerp >
Amsterdam > Hamburg > Berlin > Hamburg >
Augsburg > Copenhagen > Stockholm > Malmo
> Germany > Belgium > Calais
Ammar —— —— —— —— —— —— —— —— —— ——
Damascus > Istanbul > Izmir > Athens > Copenhagen > Paris > Calais Marios – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – · – ·
Aleppo > Kilis > Gaziantep > Antakya > Istanbul
> Athens > Crete > Rome > Milan > Nice > Paris
> Calais > Dusseldorf > Berlin > Hamburg >
Bremen > Calais > London > Wakefield > Middlesbrough > Dungavel House
Abed — — — — — — — — — — — — — — — — — —
Damascus > Beirut > Cairo > Alexandria > Cairo
> Gaziantep
MitOst-Magazin
27
reached us we told them that they were safe; their tears
stopped and smiles spread across their faces. They got
into a taxi which had suddenly appeared behind us and
headed off to the main road towards Kilis.
In the UK, however, the plight of Syrian refugees seems
like a distant tragedy, a story in a newspaper rather than
a humanitarian crisis played out on our doorstep. This is
partly due to the reluctance of the British government to
welcome Syrian refugees (it has set a quota at 500, preferring to offer financial aid), but also due to the fact that our
border has been effectively outsourced to France. Calais
has become our de facto border zone. It is here, at one
of the world’s most famous migrant bottle necks, where
over a thousand Sudanese, Eritrean, Afghan and Syrian
migrants have become stuck.
Since the Sangatte refugee camp was closed in 2002,
migrants arriving in Calais have been offered very few
professional services; thousands sleep in the streets, in
parks and in tarpaulin tents known as “jungles”. They
are helped by some local residents and activists but are
often arrested by the police. Every day they walk out to
the port or Eurotunnel and try to scale the fence, hide
under a lorry or sneak onto a train, all in the attempt to
reach the UK.
In our two visits to Calais, Vural and I met a number
of Syrians attempting to reach the UK. All had begun
their long and dangerous journey in Turkey, ‘the door’ to
Europe, and the names of the European cities that they
had visited rolled off their tongues in long litanies. Their
stories were all shockingly similar and familiar; exploitation and racism were common, and kindness was hard to
find. It was in Calais that we met Marios, a young man
with an easy, affable manner and excellent English. He,
like everyone else, was trying to get to England but when
he said “see you in London” as we parted you could see in
his eyes that he meant it.
“Syria in Transit” is a collaboration between British producer Jon Davis (LIFT) and Turkish photographer Kemal Vural Tarlan in the framework of
TANDEM Turkey – EU. Through their extensive
research in Turkey, Calais and the UK, Jon and
Vural reveal the hope and desperation of lives lived
in transit. It was exhibited at Rich Mix and Balfron
Open Studios Season in London in September. It
will be exhibited at Kirkayak Art Centre in Gaziantep in November 2014.
More information at www.tandemexchange.eu.
28
MitOst-Magazin
Two months later I had a call from Marios telling me that
he was in an immigration removal centre near London.
In the following months, he was moved to two further
detention centres, one near Gatwick Airport, the other
in Wakefield, whilst the UK Home Office attempted to
deport him to Greece or Italy where he had previously
been arrested. After several months Marios was given a
room in a house in Middlesbrough where he hoped to
build a new life. Yet at the beginning of August, the UK
Home Office sent Marios to his third detention centre,
Dungavel House in South Lanarkshire, Scotland. This
time he has been issued a plane ticket to France.
This is just one of the many stories that Vural and I uncovered from the millions of refugees in transit, in and on the
fringes of Syria and the UK. It is clear that, as the conflict
continues with increasing violence and the country fractures further, their temporary displacement is becoming
a permanent limbo, a transitory existence with no known
destination in sight.
Edition NGO-Szene: Bulgarien
Sie arbeiten für unterschiedliche NGOs in Bulgarien. Rozalina Laskova, Yanina Taneva und
Svetozar Gradev schauen auf ihre eigene Arbeit und die Entwicklungen der NGOs in Bulgarien.
Sie reflektieren über die Bürgerprotestbewegung der letzten Jahre und deren Auswirkungen
auf die NGOs im Land. Sie schauen gemeinsam in die Zukunft Bulgariens.
Svetozar Gradev
Rozalina Laskova
Yanina Taneva
Hintergrund: Ökonom und Ingenieur
Interessen: Projektmanagement,
Nachhaltige Entwicklung, Ökonomie
und Internationale Beziehungen
Die größte Herausforderung der
letzten Monate für dich: Die Vorbereitung von zwei Projekten in der
Donauregion gefördert durch EEA
Grants und Norway Grants.
Hintergrund: Geschäftsführerin der
Iliev Dance Art Foundation in Sofia,
freiberufliche Kulturmanagerin und
Beraterin zu Themen wie Kultur- und
Kreativindustrien, EU-Finanzierung,
Social Entrepreneurship und kulturelle Bildung
Interessen: Kunst, Medien und
Demokratie, (Social) Innovation,
Führung
Die größte Herausforderung der
letzten Monate für dich: Den
größtmöglichen Nutzen aus meiner
Teilnahme an einem großen, transatlantischen Leadership Development
Programm – dem Marshall Memorial
Fellowship der GMF – zu ziehen.
Hintergrund: Medien, Kulturanthropologie, Psychodrama und angewandte Theaterwissenschaften
Interessen: Kollektive Intelligenz,
Bürger, die ihre Kreativität in die Tat
umsetzen
Die größte Herausforderung der
letzten Monate für dich: Der Versuch
kommunale und staatliche Verwaltung in Vorhaben einzubeziehen und
deren Verständnis für die Bedeutung
der Worte „Zusammenarbeit“ und
„Innovation“ zu schärfen.
Organisation: Novo Badeste (auf
deutsch „Neue Zukunft“).
Aktivitäten: Mit der Stärkung von
jungen Erwachsenen und deren
Gemeinschaften setzt sich Novo
Badeste für nachhaltige Entwicklung
und die nachhaltige Nutzung von
Ressourcen ein.
Größe: 100 Mitglieder
Ort: Burgas, Bulgarien
Aktiv seit: 2007
Motivation eine NGO zu gründen:
Die Entwicklung einer aktiven
Zivilgesellschaft in Bulgarien, die
Stärkung des Umweltbewusstseins
durch Projektarbeit, Partnerschaften
und Einbindung von Entscheidungsträgern, und die Identifikation mit
europäischen Werten und Ideen in
der Bulgarischen Gesellschaft zu
stärken.
Organisation:
Iliev Dance Art Foundation
Aktivitäten: Tanzkunst – Tanztraining, Community-Projekte und
-produktionen
Größe: Klein, aber eine der aktivsten
Kulturorganisationen in Bulgarien.
Ort: Sofia, Bulgarien
Aktiv seit: 2008
Motivation eine NGO zu gründen:
Die Notwendigkeit professionelle
Tanzausbildung zu fördern und zu
verbessern sowie die Tanzkunstszene
in Bulgarien nach Weltstandards zu
entwickeln.
Organisation: Ideas Factory
Aktivitäten: Soziale Innovation,
Social Innovation Challenge, Changemakers Academy, Forum Theater,
Baba Residence
Ort: Sofia und Plovdiv, Bulgarien
Aktiv seit: 2007
Motivation eine NGO zu gründen:
Themen, die ungehört sind, eine
Stimme geben. Zugleich wollen wir
neue Methoden finden, ihnen zu
begegnen und mit ihnen umzugehen.
MitOst-Magazin
29
Novo Badeste Bike Parade „Together we can make a difference“
Hatten die Proteste in Bulgarien von 2013 Auswirkung
auf den NGO-Sektor?
Yanina: Es wurde deutlich, dass viele NGOs an den realen
Bedürfnissen und Interessen unserer Gesellschaft vorbei
wirken. Diese Entwicklung hat den erfrischenden Effekt,
dass die Rolle von NGOs in der Gesellschaft in Bulgarien
überdacht wird. Mir stellte sich in diesem Zusammenhang
die Frage, welche Rolle NGOs heute einnehmen, wenn
Menschen selbst fähig sind sich über Social Media Kanäle
schnell und effizient zu organisieren.
Wie in den meisten osteuropäischen Ländern, bildete sich
in den 1990er Jahren in Bulgarien ein NGO-Sektor mit korrupten Strukturen. Dadurch litt das Ansehen von NGOs
in der Bevölkerung. Heute formt sich der Sektor neu und
organisch und es bildet sich eine starke und parteienunabhängige Zivilgesellschaft. Sie existiert unabhängig vom
NGO-Sektor. Diese Entwicklung zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel durch die Bürger selbst angestrebt werden
muss, nicht durch einen bestimmten Sektor.
Rozalina: Die Protestbewegung hat einen Teil der Bulgarischen Gesellschaft – einzelne Menschen, Aktivisten und
NGOs – zusammengebracht und ihr Engagement über die
aktuellen Proteste hinaus aktiviert. Viele NGOs wurden
ermutigt, ihre Stimme zu erheben. Die Zivilgesellschaft
und NGOs wurden trotz dieser positiven Effekte nicht nur
gestärkt. Es gab auch Kampagnen in den Medien, die diese
Entwicklung sehr negativ darstellten.
Svetozar: Ein positiver Effekt ist, dass Politiker nun Respekt
und vielleicht auch etwas Angst vor der Zivilgesellschaft in
Bulgarien haben. Sie nehmen den Einfluss der Menschen
ernster. Die Protestbewegung in Bulgarien hat Einfluss auf
die Entwicklung politischer Strukturen im Land. Akteure
aus dem NGO-Sektor werden zunehmend von der Politik
eingeladen, sich an Debatten zu beteiligen.
Yanina: Nicht zuletzt haben die Menschen hier verstanden,
dass sie gemeinsam mehr erreichen können, gerade wenn es
darum geht, wie in Bulgarien, ein politisches und korruptes System zu verändern. Es bildeten sich Koalitionen verschiedener Interessensgruppen. Der Antrieb der Leute liegt
darin, dass sie sich durch die Politiker nicht gut vertreten
30
MitOst-Magazin
fühlen. Wie in vielen anderen Ländern auf der Welt, sind ist
auch in Bulgarien die Mehrheit der Bevölkerung nicht im
Parlament vertreten und somit von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.
In welchen Bereichen engagieren sich NGOs?
Rozalina: Ich würde sagen, in den Bereichen Umweltschutz,
Sozialfürsorge, Jugend und Bildung sowie im Kulturbereich
sind die NGOs hierzulande sehr aktiv.
Svetozar: Ich habe einen ähnlichen Eindruck. Es gibt viele
Aktivitäten rund um Umweltschutz, Sport und Kultur und
im sozialen Bereich. Es beschäftigen sich auch viele NGOs
mit Sinti und Roma.
Yanina: In den letzten Jahren hat das Thema Umweltschutz
tausende Menschen mobilisiert. Eine Bewegung engagierter
Bürger, die sich für die Reformierung unseres Bildungssystems einsetzt, hat sich gebildet. Grundsätzlich sind bulgarische NGOs in Bereichen der Sozialfürsorge sehr aktiv. Sie
übernehmen Aufgaben, die eigentlich durch den Staat getragen werden sollten. Ein Beispiel dafür: das Engagement in
Kinder- und Waisenheimen. Diese Institutionen sind ein
unmenschliches Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten.
Neue Themen sind Migration und das Recht von Migranten,
die mit den Konflikten im Nahen Osten aufgekommen sind.
Die Flüchtlingsbewegung löste eine unglaubliche und sehr
wichtige Debatte innerhalb der Gesellschaft aus und führte
auch zu Meinungspolarisierung in Bezug auf die Rechte
von ethnischen sowie religiösen Minderheiten, die seit Jahrhunderten in Bulgarien leben. Im Zuge dessen gründeten
sich viele neue Initiativen.
Welche Themen sind unpopulär?
Svetozar: Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen. Meiner Meinung nach auch Sozialunternehmertum.
Yanina: Das Gesundheitssystem, welches nicht zuletzt verantwortlich ist für viele Menschenrechtsverletzungen, und
der fehlende Zugang zum Gesundheitswesen. Tabuisiert
wird auch die Thematik Armut und ihre Wurzeln sowie
Homosexualität und die Kontrolle über die Verwendung
von öffentlichen Geldern.
konnten beispielsweise mehrere Nationalparks vor Baumaßnahmen bewahrt werden. Ein Erfolgsmoment für
mich persönlich war, als Novo Badeste von der Europäischen Kommission 2013 einen Preis im Rahmen der Sustainable Urban Mobility Campaign „DO THE RIGHT MIX“
gewann.
Gibt es regionale oder spezielle Herausforderungen,
denen die NGOs in Bulgarien begegnen?
Rozalina: Viele Organisationen neigen dazu, zu reagieren und nicht zu agieren. Statt Lösungsvorschläge und
konstruktive Ideen anzubieten oder gute Lösungsansätze
zu unterstützen, werden sie nur aktiv gegen bestimmte
Entscheidungen oder gesellschaftliche Probleme. NGOs
bewegen sich in Bulgarien in einem unsicheren rechtlichen
Raum. Die Beschneidung der Meinungs- und Pressefreiheit
in Bulgarien macht deutlich, in welchem Rahmen NGOs
sich oftmals mit ihren Aktivitäten bewegen. Zudem gibt
es keine nachhaltige Finanzierung durch den Staat. Es gibt
keinen Wettbewerb um staatliche Förderungen.
Yanina: Die Medien sind an einem Ort konzentriert, es
gibt Zensur und einen Mangel an Förderprogrammen im
Gegensatz zum Wachstum des Sektors. Innovative Vorhaben brauchen Förderungen im Rahmen von 2.000 bis
20.000 Euro an Stelle einer Projektförderung von 250.000
Euro. Der Mehrwert wäre viel höher, auf Bedürfnisse in den
Regionen könnte besser reagiert werden.
Svetozar: Herausforderungen, wie Umweltverschmutzung,
der Aufbau einer starken Zivilgesellschaft, Arbeitslosigkeit
und auch Integration der Roma und Sinti werden in den
Teilregionen Bulgariens oft nicht wahrgenommen. Im Mittelpunkt steht die Hauptstadt. Das liegt wohl an daran, dass
dort auch die Politik gemacht wird.
Rozalina: Mir fällt auf, dass Fragen rund um das Älterwerden und alte Menschen vernachlässigt werden. In allen
Bereichen gibt es unbeliebte Themen. NGOs tendieren
oft dazu auf akute Probleme und Herausforderungen zu
reagieren und eher „sichtbare“ Themen in ihrer Arbeit aufzugreifen.
Was ist die größte Errungenschaft für den NGO-Sektor in
Bulgarien in den letzten Jahren?
Yanina: Gerechtigkeit, im rechtlichen Sinne, und Umweltbelange sind öffentliche Angelegenheiten. In den letzten
Jahren ist das Bewusstsein und das Verständnis dafür ist
gewachsen.
Rozalina: Wir ringen um mehr Mitspracherecht in politischen Prozessen und Entscheidungsprozessen. Wir sind
dabei nicht immer erfolgreich, es ist aber auch eine wirklich große Herausforderung. In den letzten Jahren wurden
immer wieder politische Entscheidungen überdacht und
letztendlich neu verhandelt auf Grund der Proteste und
Aktionen von NGOs. Das ist ein echter Erfolg. Dass unsere
Aktivitäten etwas bewirken macht Hoffnung und es stärkt
die Zivil Gesellschaft in Bulgarien. Es wurde auch eine Strategie für die Entwicklung von Organisationen der Zivilgesellschaft auf Regierungsebene erarbeitet, nur wurde sie bis
heute nicht wirklich umgesetzt.
Svetozar: Die Proteste haben etwas bewirkt. Dank ihrer
Wie ist die Haltung der bulgarischen Bevölkerung gegenüber NGOs?
Yanina: NGOs, die sich durch ausländische Mittel finanzieren, stehen dem Vorwurf gegenüber, auch ausländische
Interessen zu vertreten. Diese Haltung ist nicht mehr weit
verbreitet, existiert aber.
Rozalina: Vor ein paar Jahren kam es häufig vor, dass Parteien oder Unternehmen Stiftungen und andere Organisationen gründeten, um Projektmittel bei der EU zu beantragen, die dann nicht für die geplanten Vorhaben eingesetzt
wurden. Das hat Misstrauen geschaffen. Wenn heute Stiftungen Initiative oder Projekte starten, sind die Menschen
noch immer skeptisch. Jedoch ist die Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Dritten Sektor Zusehens besser und
differenzierter. Die Änderungen auf der nationalen Ebene
im Rahmen der EU-Förderprogramme schaffen bessere
Kontrollen und höhere Transparenz, wo und wie die Gelder
eingesetzt werden.
Svetozar: Das sehe ich auch so. Diese Art von NGOs,
gegründet auf den Interessen von Politikern, Parteien oder
Unternehmen, führte nicht zu einer Entwicklung einer
Zivilgesellschaft oder einem positiven gesellschaftlichen
Wandel. Jetzt gibt es unabhängige Organisationen, die von
der Bevölkerung unterstützt werden. Im Moment vor allem
durch ehrenamtliche Hilfe. Der Finanzkrise geschuldet, ist
eine sehr geringe finanzielle Unterstützung.
MitOst-Magazin
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Ideas Factory, EMPATHEAST 2014, Workshop by Ralf Bohlke about Community-led actions, Foto by Mariya Angelova
Wächst das zivilgesellschaftliche Engagement innerhalb
der Bevölkerung?
Rozalina: Immer mehr Leute investieren ihre Zeit in ehrenamtliches Engagement. Sie sind aktiv in ihren Gemeinden,
engagieren sich für NGOs oder beteiligen sich an gesellschaftlichen Bewegungen. Diese Beobachtung macht mich
sehr glücklich.
Yanina: Die Menschen bestehen stärker darauf, ihre Gesellschaft, ihr Land mitzugestalten. Diese Entwicklung ist nicht
nur in Bulgarien zu beobachten. Die politischen Entscheidungsträger der letzten 70 Jahre haben daran gearbeitet,
dass die Bulgaren heute wenig Vertrauen in Politik haben.
In einem System, das so kaputt ist, ist dies die richtige Haltung und ihr Aktivismus ist eine absolut richtige Antwort
darauf.
Wer ist in die Aktivitäten deiner NGO involviert?
Svetozar: Wir beziehen Ehrenamtliche der Jugendarbeit
ein. Wir binden auch Entscheidungsträger und Politiker auf
lokaler sowie regionaler Ebene ein. Bei unseren Aktivitäten
sind meist junge Leute involviert. Das hängt immer vom
Projekt und den jeweiligen Zielgruppen ab. Repräsentanten
unserer Partnerorganisationen beteiligen sich auch.
Yanina: Unsere Changemakers aus dem Changmakers
Network und natürlich die Mitarbeiter und alle ehrenamtlichen Helfer arbeiten mit uns zusammen. Involviert sind
NGOs, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Dazu
kommen Medienvertreter und das Netzwerk um die „European Capital of Culture 2019 – Plovdiv“, sowie Zielgruppen,
mit denen unsere Alumni arbeiten und interagieren.
Rozalina: Die meisten Menschen sind mit unserer Vision
und unseren Aktivitäten verbunden, zum Beispiel die
Tänzer selbst, ihre Familien oder auch Teilnehmer unserer
Programme sowie Menschen, die Kunst und Tanz mögen.
zwanzig junge Ehrenamtliche mit.
Yanina: Unser Team besteht aus sieben Leuten. Unser
Changemakers-Netzwerk besteht aus über hundert Alumni.
In den letzten drei Jahren begleiteten uns zehn Praktikanten und mehr als sechzig Ehrenamtliche haben sich beteiligt.
Rozalina: Wir haben drei festangestellte und etwa fünfzehn externe Mitarbeiter, die regelmäßig mit uns an der
Umsetzung von Projekten arbeiten. Für unterschiedliche
Kampagnen und Projekte arbeiten jedes Jahr in etwa zehn
bis fünfzehn Ehrenamtliche bei uns und drei bis fünf Hospitanten.
Seid ihr mit euren Themen Alleingänger oder habt ihr
viele Mitstreiter?
Svetozar: Bei all unseren Vorhaben setzen wir auf die
Zusammenarbeit mit Partnern und Förderern. Das gibt
uns die Möglichkeit der größtmöglichen Unterstützung
unserer Vorhaben, durch Know-How, Austausch und, auch
sehr wichtig, Feedback und konstruktive Kritik für unsere
Arbeit.
Yanina: Wir haben es geschafft, Teil eines guten und großen
Netzwerks zu werden, was sich jeden Tag auszahlt. Partnerschaften, Koalitionen und Netzwerke sind für gesellschaftliche Veränderungen unerlässlich, im Alleingang kann man
das nicht bewirken. Eine unserer letzten Bemühungen war
das Projekt EMPATHEAST, für das wir mehr als 40 Partner
gewinnen konnten.
Rozalina: In Bulgarien gibt es glücklicherweise viele aktive
Organisationen, die ihr Arbeitsfeld den Darstellenden
Künsten widmen. Genau wie wir engagieren sie sich in der
Kulturpolitik, bemühen sich die bestehenden Strukturen
zu verbessern oder zu verändern, auch in Kooperation mit
Ministerien und anderen staatlichen Behörden.
Wie viele Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer sind an Mit wem arbeitet ihr zusammen?
eure NGO gebunden?
Svetozar: Wir haben regionale und internationale PartSvetozar: Für Novo Badeste arbeiten im Moment fünf Leute ner, andere Organisationen und auch Behörden wie zum
und die Organisation wird von drei Leuten gesteuert – den Beispiel das Youht Information Centre, Thracian Society
Vorstandsmitgliedern. An der konkreten Umsetzung unse- „Exarch Antim I“, Ideas Factory, Veloevolution, National
rer Projekte, Aktivitäten und Kampagnen arbeiten etwa Cycling Association oder das Czech Centrum Sofia. Auf
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MitOst-Magazin
Iliev Dance Art Foundation, Team-Bild
Ideas Factory, EMPATHEAST 2014, Foto by Mariya Angelova
internationaler Ebene arbeiten wir mit EUROCITIES, dem
Regional Environmental Center Romania, dem Regional
Environmental Center Turkey, dem Caucasian House –
Georgia und natürlich mit MitOst.
Yanina: Wir haben ein gutes internationales Netzwerk
in Europa und in Afrika, natürlich auch auf dem Balkan.
Unsere Partner sind Romania – Art Fusion, Balkans –
SEEYN, London – LEAD International, wir haben Partner
in Tansania, Uganda, Ghana und im Senegal, um nur einige
zu nennen.
Rozalina: Das hängt ganz von dem jeweiligen Projekt und
der Initiative ab. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen
Partnern von der America for Bulgaria Foundation oder der
Amerikanischen Botschaft über Gemeinden und Städte wie
Sofia und Burgas bis hin zu Institutionen wie Theatern und
Kunstschulen zusammen. Gemeinschaftsprojekte führen
wir ebenso mit anderen NGOs und Organisationen in Bulgarien, die im Bereich Darstellende Kunst tätig sind.
men. Wir laden sie ein, gemeinsam an gesellschaftlichen
Veränderungen zu arbeiten. Ich bin überzeugt, dass wir
neue Formen des Zusammenkommens dringend brauchen.
Rozalina: In Bulgarien ist das im Moment sehr üblich.
Glücklicherweise haben sich in unserem Arbeitsfeld Kooperationen zwischen beispielsweise Kulturorganisationen und
Bildungseinrichtungen etabliert.
Seid ihr Teil eines etablierten Netzwerks?
Yanina: Wir sind in unserem Teil der Welt gut eingebunden
in Netzwerke. In den Bereichen Social Impact und Social
Innovation kann das Netzwerk in Osteuropa aber noch
stärker und verzweigter werden.
Svetozar: Wir sind Mitglied bei MitOst und dem Bulgarian Bicycle Netzwerk. Im Moment arbeiten wir daran, in
Bulgarien auch ein Netzwerk von Social Entrepreneurs und
Innovatoren zu etablieren.
Rozalina: Ja, wir sind Teil verschiedener informeller Netzwerke für Darstellende Künste (performing arts) in Bulgarien. Auf europäischer Ebene ist das noch nicht der Fall. Da
möchten wir gerne hin.
Wie verbreitet sind transsektorale Kooperationen?
Svetozar: Wir arbeiten eng mit regionalen Behörden
zusammen und streben bei jedem unserer Projekte eine
gemeinsame Implementierung an.
Yanina: Das ist eines unserer größten Anliegen. Wir arbeiten viel mit der Workshop-Methode „World Café“. Dabei
bringen wir verschiedene Akteure aus der Verwaltung,
Kultur und Kunst, Jugendarbeit und den Medien zusam-
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Svetozar: Wir implementieren Projekte. Für diese beantragen wir Fördergelder bei verschiedenen Programmen in
Bulgarien und bei der EU.
Yanina: Wir finanzieren uns über Stiftungsgelder einer
amerikanischen Stiftung, durch öffentliche Gelder und EUMittel. Wir erhalten auch Spenden. Etwa 8 bis 12 Prozent
unserer Einnahmen erwirtschaften wir selbst durch eigene
Dienstleistungen.
Rozalina: Wir finanzieren uns über Projektmittel, die meist
von größeren ausländischen Organisationen und Kulturinstitutionen oder Botschaften kommen. Dazu kommen
kleine Budgets aus kommunalen Töpfen und Spenden von
Privatpersonen. Einen Teil der Mittel erwirtschaften wir
selbst.
Mit welchen Herausforderungen seid ihr konfrontiert?
Svetozar: Wir wollen kontinuierlich unsere Arbeit ausbauen und für eine sichere und zukunftsfähige Finanzierung sorgen. Unser Ziel ist es, auf Maßnahmen und politische Entscheidungen in unserer Region Einfluss nehmen zu
können. Das verlangt eine Menge an kreativen Ideen und
professioneller Entwicklung.
Yanina: Intern sehe ich Wachstum als eine schöne, aber
auch unberechenbare Herausforderung vor der wir stehen.
Als externen Faktor, der uns herausfordert, sehe ich Skepsis und Anti-Kampagnen, die einem in diesen Zeiten doch
auch entgegenschlagen, wenn man im NGO-Sektor tätig ist.
Rozalina: Langfristig gesehen wird unsere größte Herausforderung die stabile Finanzierung unserer Aktivitäten sein
und das Wachstum sowie die Belastbarkeit unserer Organisationsstrukturen.
MitOst-Magazin
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Capacity Building
MitOst verbindet engagierte Menschen zu einem vielfältigen und offenen Netzwerk. Über
kulturelle, sprachliche und politische Grenzen hinweg wollen wir den Austausch über neue
Methoden fördern Erfahrungen teilen und Wissen zugänglich machen. In unserem Netzwerk
kommen auch Alumni verschiedener Stiftungsprogramme zusammen. Sie tauschen ihre Erfahrungen und Expertise aus und planen gemeinsame Projekte. In Belgrad spielten die Alumni
des Theodor-Heuss-Kollegs auf der Straße. Sie probierten sich im „Adventures Education
Gaming“. Iva Tašić schreibt darüber, warum wir nie zu alt sind, um in den Straßen zu spielen.
Diversity Dynamics, das neue Handbuch aus dem Theodor-Heuss-Kolleg, wendet sich dem Thema Diversitätsbewusstsein zu. Wie können wir mit Diversität in Seminaren,
Projekten und Programmen umgehen? Welche Rolle spielt
Diversitätsbewusstsein im gesellschaftlichen Engagement?
Das Handbuch gibt theoretische und praktische Einblicke.
Wir stellen euch die Online-Plattform TeachSurfing vor. Sie
bringt weltweit Menschen, die ihre Erfahrungen, Wissen
und Kultur mit anderen teilen wollen, mit gemeinnützigen
Einrichtungen zusammen. Von Englisch-Unterricht in Brasilien bis zu Organisationsentwicklung in Georgien ist alles
möglich. Miganoush Magarian entwickelte die Plattform
mit und engagiert sich damit für weltweite Vernetzung von
MitOst Edtion
Neu erschienen: Diversity Dynamics – Activating the
Potential of Diversity in Trainings
Ein Handbuch aus dem Theodor-Heuss-Kolleg für Trainerinnen und Trainer. Das Handbuch unterstützt Experten in
der non-formalen Bildung dabei, Diversitätsbewusstsein in
Trainings und im gesellschaftlichen Engagement zu entwickeln.
“Let’s discuss identities and beliefs. Listen to other perspectives and be surprised that things can be seen in a totally
different way. Let’s try to understand the mechanisms and
structures through which discrimination and exclusion
work: in civil society, on economical levels, but also in our
direct surroundings, our own organizations, or the seminar
group. Let’s incorporate diversity consciousness into our
seminars, projects, and civil involvement. Let’s develop attitudes that embrace diversity and find best-practice mechanisms as well as new structures of collaboration that allow
us to meet one another eye-to-eye. Let’s develop diversity!”
Ein Handbuch, entwickelt vom Theodor-Heuss-Kolleg in
Kooperation mit Working Between Cultures. Eine OnlineVersion ist in der Mediathek auf mitost.org zu lesen. Die
Druckausgabe kann gegen Übernahme der Versandkosten
unter [email protected] bestellt werden.
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MitOst-Magazin
Reisenden und Einheimischen und den Zugang von Bildung. In einem Selbstversuch bot sie als TeachSurferin den
Workshop „DesignThinking“ beim MitOst-Festival in Novi
Sad an. Passend dazu stellen wir die Methode Design Thinking vor. Ursprünglich wurden mit dieser Methode Produkte und Services entwickelt. Heute wird Design Thinking
immer häufiger angewendet, um Probleme ganzheitlich
und nutzerorientiert zu lösen. Kernelemente sind Kollaboration, Kreativität, Diversität, Empathie und Prototyping.
Menschen unterschiedlicher Disziplinen kommen in einem
kreativitätsfördernden Umfeld zusammen. Gemeinsam
entwickeln sie – oft unkonventionelle – Ideen und Lösungsansätze zu bestimmten Fragestellungen.
Alumni Network: We are not too old to
play in the streets!
In late September 2014, Theodor-Heuss-Kolleg’s alumni met in Belgrade, Serbia. The adventure education game in the streets of the city took a magical turn of events. By Iva Tašić.
altogether. However, we decided to move to another place.
And this is where the magic happened.
We restarted the game just next to the Danube River, more
excited and louder than we were during the first attempt.
Passers-by were stopping, wondering what was going on. An
older couple seemed particularly interested; the man started shouting suggestions at us, every one more complicated
but more creative than the previous one. We made two extra
holes in the net so they could join the game. Contrasting our
principle to find one reliable way to go through the net and
use it over and over, they insisted on finding new and unique
solutions for each and every hole in the net. The adrenaline
rush was compelling. For those of us like me, who are not
used to physical challenges in everyday life, it felt simply
amazing to find ourselves in a situation like this, pushing
both our bodies and our minds beyond their comfort zones.
As we finished the task, we all burst out cheering as one.
And then the man said: “Hey, I own a free climbing gym just
around the corner. What are your plans for tonight?” Thus
our adventure education workshop took an unexpected
turn. We spent the next two hours learning about the basics
of free climbing, trying out different techniques and exercises. The man was as excited to have us there as we were to
be there. We were captivated, listened to him talk passionately about his sport, describing the incomparable feeling of
the rock under your fingertips while you’re climbing your
way up, knowing that no human hand touched it before.
At the Theodor-Heuss-Kolleg’s alumni meeting in Belgrade,
we were to attend a workshop on adventure education. The
story that followed lived up to the expectations set by its title.
A group of roughly ten people, we set out to find a convenient place to set up a net made of rope needed for our small
adventure game. The task was simple: the net would have
as many holes as participants, some of them easier to go
through than others. Working as a team, we were supposed
to go from one side of it to the other, one by one, without
touching the rope.
First we set up the net just in front of our hostel in Belgrade’s
old town. The passions were high as we were trying to figure
out the task – up until the moment when an old lady in front
of whose window we were situated came out and started
yelling at us – not for being too loud, but simply because
“we were too old to be playing games outside”. After a brief
row resulting in us being forced to leave, the group spirit
reached a low point. I even considered leaving the workshop
In the aftermath, I was surprised to find out that people
who hadn’t participated didn’t share our enthusiasm about
the whole event; moreover, they were astonished about my
excitement, knowing that I usually don’t get carried away
with things of this sort. At that moment I fully realized that
something indeed magical had happened.
Von Alumni für Alumni
Bei MitOst verbinden sich Alumni internationaler Stiftungsprogramme zu einem Netzwerk. Die
Almunigruppen tauschen Wissen aus, bilden sich
weiter und pflegen ihre Kontakte. MitOst unterstützt die Gruppen dabei, geeignete Formate und
Veranstaltungen zu entwickeln und durchzuführen.
Für Almuniaktivitäten können Fördermittel beantragt werden.
Alle Informationen unter www.mitost.org.
MitOst-Magazin
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Teilen macht Spaß –
Werde TeachSurfer auf deinen Reisen
Miganoush Magarian und Gretta Hohl sind Softwareentwicklerinnen und haben gemeinsam
das Projekt TeachSurfing.org ins Leben gerufen. Die Plattform bringt weltweit Menschen, die
ihre Erfahrungen, Wissen und Kultur mit anderen teilen wollen, mit gemeinnützigen Einrichtungen zusammen. Miganoush stellte dieses globale Netzwerk aus Wissensspendern und
Wissenssuchenden, und die Arbeitsmethode „Design Thinking“ in einem Workshop beim 12.
Internationalen MitOst-Festival in Novi Sad vor. Ein Artikel von Miganoush Magarian. Aus dem
Englischen von Gretta Hohl.
Stell dir vor, du möchtest eine neue Fähigkeit erlernen oder
Einblick in ein neues Thema gewinnen. Vielleicht möchtest
du lernen, wie man eine Website baut oder eine Fundraising-Kampagne startet. Vielleicht interessiert dich wie du
Tische für dein Klassenzimmer herstellen kannst oder wie
du ein Basketball-Team trainierst. Wäre es nicht toll, wenn
ein Experte auf dem Gebiet zu dir kommt und dir genau
das beibringt? Stell dir vor, Menschen gehen auf Reisen und
geben ihr Wissen und ihre Expertise überall da weiter wo
es auf ihrer Reiseroute gerade benötigt wird. Im Gegenzug
erleben sie vor Ort die einheimischen Menschen und lernen
deren Sprache, deren Kultur und Traditionen aus einem
unverfälschten Blickwinkel kennen.
Weltweit herrscht ein großer Bedarf in Schulen, Universitäten, Gemeinschaften und ehrenamtlichen Organisationen,
an dieser – persönlichen und informellen – Form von Wissens- und Kulturaustausch. Dennoch fehlte bis heute eine
passende Lösung, welche einfach und flexibel die Freiwilligen mit passenden Einrichtungen direkt verbindet. Deshalb
haben wir die Plattform TeachSurfing.org entwickelt. Dort
können sich Menschen die etwas teilen möchten einfach
vernetzen. Ich selbst nutze die Plattform regelmäßig, denn
ich suche immer wieder nach Möglichkeiten mein Wissen
und meine Fähigkeiten Anderen zu vermitteln.
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MitOst-Magazin
Beruflich bin ich Softwareentwicklerin für innovative ITLösungen. Bei meiner Arbeit probiere ich ständig neue Entwicklungsmethoden aus und teste neue Ideen. Bei der Entwicklung von neuer Software arbeite ich zum Beispiel sehr
oft mit der Methode Design Thinking, die es ermöglicht
über den Tellerrand hinaus zu blicken und so innovative
und sehr nutzerfreundliche Lösungen zu finden. Design
Thinking kann vielfältig und fachunabhängig, zum Beispiel auch bei der Arbeit von ehrenamtlichen Organisationen eingesetzt werden. Neue zukunftsfähige Lösungen für
heutige gesellschaftliche Probleme können dabei geschaffen
werden. Meine Erfahrungen mit dieser Methode wollte ich
deshalb gerne mit Interessierten mittels TeachSurifng.org
teilen.
Die perfekte Gelegenheit bot sich beim Internationalen
MitOst-Festival in Novi Sad. Dort wollte ich Design Thinking in einem Workshop vorstellen. Die Teilnehmenden
sollten sich die Methode zu Eigen machen indem sie Design
Thinking direkt im Workshop anwenden. Gerade weil ich
mit der Methode regelmäßig arbeite, hielt ich einen professionellen Design-Thinking-Coach für eine größere Teilnehmerzahl für wichtig. Um einen geeignete Coach zu finden
der mich bei dem Workshop begleiten kann, nutzte ich
TeachSurfing.org.
MitOst legte ein Profil für das Festival auf TeachSurfing an,
mit einem Gesuch für einen Design-Thinking-Coach. Das
Gesuch verbreitete sich in der TeachSurfing-Community,
die es wiederrum in ihre eigenen Netzwerke wie zum Beispiel an Universitäten verbreitete. Der Aufruf mit der Suche
nach einem Coach für das Festivalprogramm war veröffentlicht.
Noch am selben Tag meldete sich Mito bei mir. Mito ist
Produktdesigner und professioneller Design-ThinkingCoach. Er teilt mit Begeisterung sein Wissen, wenn es
einem sozialen Zweck dient. Zum Zeitpunkt des Festivals
war er zufälligerweise unweit entfernt, in der slowenischen
Stadt Ljubljana, und reiste gerne als TeachSurfer zum Festival nach Novi Sad an. Ich traf Mito das erste Mal einen Tag
vor dem Workshop. Unsere Begeisterung dafür Wissen mit
anderen zu teilen, schweißte uns von Anfang an zusammen.
Bei der Vorbereitung für den Workshop fühlte es sich so
an, als würden wir schon lange wie ein eingespieltes Team
zusammen arbeiten. Der Workshop war ein voller Erfolg
und TeachSurfing hatte sich bewährt.
Seit einem halben Jahr ist die Plattform online und schon
jetzt gibt es eine Gemeinschaft von mehr als 800 TeachSurfern aus über 100 Ländern. Ich bin überzeugt, dass TeachSurfing eine neue Form von Kulturaustausch ermöglicht.
Bist du auf der Suche nach einem Experten für dein gemeinnütziges Projekt, in deiner Schule, deiner Universität oder
Gemeinschaft? Oder Möchtest du dein Wissen für einen
guten Zweck, während einer Reise oder in deiner Nachbarschaft weitergeben? Dann werde Teil der TeachSurfingGemeinschaft und gestalte mit uns zusammen ein kostenfreies, weltweites Netzwerk für Kultur- und Wissensaustausch.
teachsurfing.org
TeachSurfing is an educational and cultural
exchange revolution. It connects individuals passionate to share their skills for social cause, while
traveling the world or locally in their home town.
Through the web application individuals can create
a profile and add their location, travel plan and
skills ranging from hobbies to professional expertise. On the other hand, members of schools, universities, communities or non-profit organizations can
report their community’s learning needs and invite
experts to run a workshop or make inspiring educational speeches.
MitOst-Magazin
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Encourage wild ideas – Design Thinking
Design Thinking ist eine Methode zur Entwicklung innovativer Lösungen für Fragen und Herausforderungen in
allen Lebensbereichen. David Kelley, Gründer der Design
Agentur IDEO, entwickelte die Methode. Dabei arbeiten
Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und mit
verschiedenen Fähigkeiten gemeinsam an einer Fragestellung. Im Mittelpunkt stehen das Erforschen von Schnittstellen unterschiedlicher Meinungen und Perspektiven und
das Lernen durch Anwenden. Empathie ist dabei eines der
wichtigsten Werkzeuge. Denn nur wer die Bedürfnisse und
die Motivation von Menschen kennt und versteht, kann
kann für ihre Probleme und Herausforderungen die besten
Lösungen entwickeln. Somit stehen bei diesem lösungsorientierten Beteiligungsverfahren die betroffenen Menschen
im Fokus. Ideen werden nicht nur diskutiert, sondern in
Prototypen umgesetzt. Der schnellste Weg zur Innovation:
Fehlermachen und daraus lernen.
Leitfaden für Design Thinking, 11 wichtige Regeln:
Quelle: Design Thinking in der Praxis von Juergen Erbeldingen und Thomas Ramge
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MitOst-Magazin
Team: Das optimale Team besteht aus Menschen, die hinsichtlich ihrer Expertise, Herkunft, Nationalität und kulturellen Zugehörigkeit sehr unterschiedlich sind. Ziel ist eine
möglichst große Vielfalt an Perspektiven.
Verstehen – Beobachten – Sichtweise – Ideenfindung –
Prototyping – Test
Verstehen: Das Arbeitsfeld wird definiert. Das Team entwickelt ein gemeinsames Verständnis, was die eigentliche
Herausforderung ist. Es versucht diese in ihren Elementen,
wie Akteure, Situation, Gestaltungsmöglichkeiten, zu verstehen. Es geht darum die richtigen Fragen zu stellen.
Beobachten: Das Team erforscht die Herausforderung. Es
begibt sich in die Erlebniswelt der Akteure und sammelt
Erkenntnisse sowie rahmengebende Faktoren für die zu
lösende Herausforderung.
Sichtweise: Alle gesammelten Eindrücke kommen nun
zusammen. Die Herausforderung wird aus verschiedenen
Perspektiven betrachtet. Oftmals wird dabei eine fiktive
Person beschrieben, die für die Zielgruppe steht, anhand
derer man sehr konkret beschreiben kann. Das Kernproblem wird identifiziert und in einer ganz konkreten Fragestellung formuliert.
Ideenfindung: Für das definierte Problem werden mit Kreativitätstechniken aus der Ideenvielfalt des Teams so viele
Ideen wie möglich gesponnen. Dabei ist alles erlaubt und
alle Ideen, egal wie wild sie sind, werden gesammelt. Im
Anschluss werden sie auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft. Möglichweise werden sie sogar kombiniert. Daraus
ergeben sich passende qualitativ hochwertige Lösungen.
Prototyping: Die Ideen werden getestet und damit greifbar
gemacht. Prototypen sind praktisch erfahrbar und greifbar, das können Collagen, Konstruktionen oder Events sein.
So kann der Lösungsansatz direkt getestet werden und
Schwachstellen können erkannt werden.
Test: Ist die Idee tatsächlich geeignet für die Zielgruppe?
Die Zielgruppe testet inwieweit der Prototype tatsächlich
hilfreich ist. Daraufhin kann das Konzept verfeinert werden
und die bestmöglichste Lösung gefunden werden.
Lass dich inspirieren und lerne von Erfahrungen engagierter Ehrenamtlicher,
Experten und Facilitators. Mehr Methoden und Werkzeuge unter
www.getting-involved.net
MitOst-Magazin
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Redrawing stories from the past
Mit dem Aussterben der letzten Zeitzeugen des Nationalsozialismus wird die Suche nach
neuen Konzepten des Erinnerns immer dringlicher. In Bildergeschichten erforschen Künstler
und Jugendliche die gemeinsame Vergangenheit. In Graphic Novels bringen sie die vergessenen Geschichten von Opfern des Nationalsozialismus‘ ans Licht. Mit Stift und Papier spüren
sie der Erinnerungskultur und den widersprüchlichen Narrativen in West- und Osteuropa nach.
Unter dem Dach von MitOst e.V. organisieren die Kultur- zeitgenössischer Kunst kommt in der Verhandlung von
manager Elisabeth Desta und Ludwig Henne das Projekt Geschichte und Erinnerungsdiskursen eine besondere
„Redrawing Stories from the Past“. Ziel ist es, eine bereits Rolle zu. Wichtige gesellschaftliche Debatten sind durch sie
über 70 Jahre zurückliegende Geschichte für Jugendliche angestoßen worden. Das Format der Graphic Novel wird in
noch heute greif- und fühlbar zu machen und damit auch den letzten Jahren besonders im Bereich der Geschichtsdiein Verständnis für gegenwärtige europäische Entwicklun- daktik mit Interesse verfolgt und weiterentwickelt1.
gen zu schaffen. Unter Leitung des anerkannten ComicTheoretikers und Historikers Ole Frahm und des Zeichners „Die Ursprünge des Comics, also die Abfolge einer
Sascha Hommer trafen die Künstler erstmals im April 2015 Geschichte in Bildern, gehen zurück bis in die Antike. Der
bei einem Workshop in Panevo, Serbien zusammen.
Comic an sich ist also keine neue Erfindung. Jedoch hat es,
besonders in Deutschland, sehr lange gedauert, bis eine
„Ich beschäftige mich seit langem mit dem Nationalsozialis- breite Öffentlichkeit und die Feuilletons erkannt haben,
mus und dem Holocaust. Und mit der Frage, wie man Ver- dass mit Comics nicht nur kurze, sondern auch lange, komgangenheit mit Mitteln der Kunst aufarbeiten kann. Mir ist plexe und schwierige Geschichten erzählt werden können“,
es ein Anliegen, jungen Künstlern die Möglichkeit zu geben, erklärt Elisabeth. „Die Vermittlung von geschichtlichen
sich intensiv mit der Komplexität des Nationalsozialismus Ereignissen, Traumata und verschütteten Realitäten lässt
und besonders mit der Perspektive der Opfer auseinander- sich im Format der Graphic Novel durch das Zusammenzusetzen“, erzählt Elisabeth von der Idee, das Format der spiel von Bild und Text in besonderer Weise darstellen, da
Graphic Novel und Erinnerungskultur in einem Projekt sie mehrere Erzählweisen in sich vereint. Im Text findet
zusammen zu bringen. „Zudem gibt es viele historische ein Nacheinander der Informationen statt, im Bild sind sie
Comics, in denen sich meines Erachtens die Autoren zu simultan zugegen, mehrere Zeitformen können somit verwenig Gedanken gemacht haben über das was sie erzählen eint werden. Dieses Gefüge überschreitet die rein lineare,
und vor allem wie sie es erzählen. Das Projekt schafft einen folgegebundene Narration, kann so mehrere Zeitebenen in
Rahmen, in dem sich Künstler untereinander, aber auch einem Raum darstellen und Widersprüche und Absurditämit uns und den Workshopleitern Ole Frahm und Sascha ten vermitteln.“
Hommer, austauschen und diskutieren können: „Wie gehe
ich mit historischem Material und Rechercheergebnissen Elisabeth Desta und Ludwig Henne wollen die vergessenen
um?“, „Was heißt es etwas „wahrheitsgemäß“ darzustellen Geschichten wieder ans Licht bringen: „Es macht einfach
und geht das überhaupt?“ oder „Wie kann ich etwas zeich- Spaß, gut gezeichnete und geschriebene Geschichten zu
nen, von dem ich kein Bild habe?“. Mir war es wichtig, dass lesen. Zudem wollen wir mit dem Projekt junge Comicdie Künstler mit diesen Fragen nicht alleine sind und wir Künstler fördern und unterstützen. Wir möchten die
diesen Prozess begleiten.“ Ludwig ergänzt: „Das Erinnern Geschichten von Opfern des Nationalsozialismus erneut
ist harte Arbeit und ein ständiges Diskutieren und Aufar- sichtbar machen. Denn die Bilder der Erinnerung verdichbeiten. Es verlangt nach dem Bewusstmachen. Tun wir das ten sich mehr und mehr auf ein paar wenige, die Komplexinicht, verschwindet die Geschichte irgendwann im Dun- tät dieser Zeit wird kaum dargestellt. Dem wollen wir entkeln. Mit dem Projekt wollen wir Jugendliche für das Thema gegentreten und mit unserem Projekt vergessene Geschichinteressieren und sie einbinden. Für sie ist es sehr weit weg. ten und Bilder dieser Zeit ans Licht bringen.“
Viele der Gymnasiasten in Panevo wissen nur wenig davon.
Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Comics und diese
Geschichten zusammen passen. Zu unserer Tagestour ins
Redrawing Stories from the Past
KZ Sajmište sind gleich einige Jugendliche mitgekommen.
Mitte Oktober 2015 wird die Publikation zum ProVier Jugendliche haben damit begonnen selber zu recherjekt veröffentlicht. Im Oktober findet eine Ausstelchieren und arbeiten nun an Geschichten. Wir begleiten sie
lung im AJZ in Chemnitz statt. Am 6. November
in den nächsten Monaten.“
folgt die Eröffnung der zweiten Ausstellung in der
Galerie im Saalbau in Berlin-Neukölln.
„Redrawing Stories from the Past“ geht der Frage nach,
welche künstlerischen Strategien und Möglichkeiten die
Graphic Novel – mit ihrem Zusammenspiel aus Bild und
Text – bietet, um das Gedenken an die Opfer des National- 1 Vgl. Réne Mounajed: Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von
sozialismus sichtbar zu machen und zu bewahren. Denn Geschichtscomics im Geschichtsunterricht. Peter Lang, 2009
40
MitOst-Magazin
Advocate Europe – Deine Idee für Europa
Europa gehört uns, den Bürgern. Uns gibt es von Reykjavik bis Ankara, von Lissabon bis
Helsinki, in Metropolen und in ländlichen Regionen: Individuen und Gruppen, die etwas verändern und innovative Europaarbeit betreiben wollen. Nur gemeinsam und über Disziplinen
und Denkschulen hinweg können wir Lösungen für unsere Herausforderungen finden.
Hast du eine Idee für Europa, die dich begeistert?
Wir laden dich ein, die Zukunft Europas zu gestalten.
Teile deine gemeinnützige Projektidee mit uns und ganz
Europa. Wir suchen Studierende oder Berufserfahrene;
solche mit jahrelanger Erfahrung, die nach einer neuen
Herausforderung suchen. Oder Neu- und Quereinsteiger,
die sich für das Thema begeistern. Wir freuen uns über
ungewöhnliche Partnerschaften über geografische, sprachliche oder kulturelle Grenzen hinweg.
Bis zu zwölf zukunftsweisende Vorhaben werden mit jeweils
bis zu 50.000 Euro gefördert. Zusätzlich steht der mit 5.000
Euro dotierte „Community Award“ zur Wahl, über den ausschlieslich von der Community entschieden wird.
Wir laden euch ein, euch auszutauschen und voneinander
zu lernen. Denn wir sind überzeugt: Ideen zu Europa, zu
unserem Zusammenhalt und unseren Werten, werden mehr,
wenn wir sie teilen. Wir wollen den Zusammenhalt und
die Handlungsfähigkeit Europas stärken. Zusammenhalt
entsteht, wenn die Menschen in Europa sich als Europäer
fühlen und die Vorteile der Gemeinschaft erleben.
„Advocate Europe“ ist ein jährlich stattfindender Ideenwettbewerb für innovative Vorhaben zum Thema Europa, realisiert von MitOst e.V. und Liquid Democracy e.V., gefördert
von der Stiftung Mercator. Gesucht sind unkonventionelle, Wir ermutigen euch zur Einreichung eurer Vorhaben für
transnationale Ideen zur Stärkung des Zusammenhalts der ein Europa, das von seinen Bürgern mitgestaltet wird, das
Zivilgesellschaft in Europa. „Advocate Europe“ ist offen für auf Weltoffenheit und Toleranz basiert, das Gerechtigkeit
engagierte Menschen, die Unterstützung und Anschubfi- und Chancengleichheit bietet, das die Rechte des Einzelnen
nanzierung suchen. Und ihre Ideen und Vorhaben in den schützt, das Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisFeldern politische Bildung, Austausch von Menschen und tet und Frieden sichert.
Ideen, Partizipation und Demokratie, innovative Formen
der Themenanwaltschaft, soziale Innovation sowie Kunst „Advocate Europe“ startete im Februar 2015. Im Herbst
und Kultur umsetzen wollen.
2015 geht der Ideenwettbewerb in eine weitere Runde.
Ein Netzwerk und 50.000 Euro für deine
zukunftsweisende Idee
Auf www.adovate-europe.eu können die Projektideen eingereicht, veröffentlicht, kommentiert und diskutiert werden.
MitOst-Magazin
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За границей – Über Grenzen hinweg
MitOst Hamburg engagierte sich im Rahmen vieler Projekte für grenzüberschreitende Begegnungen und Erfahrungen. Ziel ist es dabei Horizonte zu erweitern und Perspektiven zu wechseln.
Ausbruch aus der Zivilisation
Über die Grenzen hinweg anderen helfen und zugleich den
engen Grenzen der Zivilisation entkommen – mit dem
Workcamp im sibirischen Ergaki geht beides. Zusammen
mit Jugendlichen des Zentrums für Deutsche Kultur in
Minusinsk erneuerten und befestigten deutsche Teilnehmer
den Pfad des „Sibirischen Jägers“, sie frönten der Banja-Kultur inmitten einer grandiosen Naturkulisse. Später schnupperten sie in Gastfamilien russische Alltagsluft.
Velosophieren an der Elbe
Vor 25 Jahren wäre allein diese Idee verboten gewesen–
heute ist es weder Wahnsinn noch Utopie. Ganz selbstverständlich legten deutsche und russische Jugendliche im
Sommer die Strecke von Dresden nach Hamburg mit dem
Velo zurück. Die Grenzerfahrungen waren ganz andere, als
noch vor 25 Jahren. Entlang der Elbe wurde frei velosophiert,
bewegende Geschichten über das Leben am Fluss vor und
nach der Wende ausgetauscht, Freundschaften geschlossen
und gemeinsam ein Abenteuer bestanden. Maaaaschinaaa!
Was bestellt man in einem Grenzcafé?
Staatsgrenze, Toleranzgrenze, soziale Ausgrenzung,
Geschmacksgrenze, Zollgrenze, Kulturgrenze... die Grenzerfahrungen der Velosophen waren so wertvoll, dass eine
Initiativgruppe in Hamburg beschloss, im Worldcafé-Format ausführlich darüber zu diskutieren. An einem Cafétisch
kamen junge Menschen, Politiker, Vertreter des russischen
MitOst 2015
Ihr habt gewählt! Der MitOst-Vorstand
bleibt international.
Die Vorstandsmitglieder stammen aus Ungarn, Bulgarien, Russland, Polen und Deutschland.
In Novi Sad wurden Eszter Tóth und Rozalina Laskova zu den Vorsitzenden für das Vereinsjahr
2014/15 gewählt. Anja Kretzer wurde in ihrer Position als Schatzmeisterin wiedergewählt und
auch Elena Bobrovskaya bleibt weiterhin im Vorstand. Als neue Beisitzer treten in diesem Jahr
Marta Gawinek-Dagargulia und Sergei Shalamov in die Fußstapfen von den ausgeschiedenen
Vorstandsmitgliedern Katarzyna Lorenc und Olga Diatel.
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MitOst-Magazin
Generalkonsulats und der Wirtschaft mit Vereinsmitgliedern zusammen. Das Grenzcafé wird in Zukunft wieder
öffnen, damit der Dialog in Hamburg und über Hamburg
hinaus nicht abbricht.
Chapeau! Mobile_Roots im Grand Chapiteau
Mehr als 2.500 Menschen besuchten die von MitOst Hamburg mit verantwortete „Week of Partnership: Hamburg –
Dar es Salaam“ im September 2014. Zur selben Zeit kamen
beim deutsch-tansanischen Jugendaustausch ECHTZEIT
Mobile_Roots auf dem Gut Karlshöhe junge Erwachsene
zusammen. Sie diskutieren Mobilität und Migration, sprechen über kulturelle Wurzeln und soziale Identitäten. Dazu
luden sie Politiker beider Partnerstädte in ihr Mobile_home
ein. Bis zur Rückbegegnung in Dar es Salaam im März 2015
sammeln die ECHTZEITler in eigenen Projekten Erfahrungen und suchen Antworten auf ihre Fragen.
„Ich hätte gern mehr gesagt, aber die Sprachbarriere
hat mich gehindert.“
MitOst Hamburg
2010 gründete sich der Regionalverein MitOst Hamburg. Mit eigenen Ideen, Aktionen und Projekten
gestaltet der Verein Bildung und Jugendhilfe in der
Metropolregion Hamburg mit und trägt zur Völkerverständigung bei. Die Mitglieder von MitOst
Hamburg engagieren sich ehrenamtlich in Arbeitsgruppen.
Kontakt: [email protected]
www.mitost-hamburg.de
Sprachbarrieren sind dafür da, um überwunden
zu werden. Mit dem Sprachmittler-Workshop des
Netzwerks::Jugendarbeit::Hamburg::St. Petersburg bleibt
niemand sprachlos. Im November 2013 wurde das Fortbildungsprojekt ins Leben gerufen, um deutsche und russische Jugendliche auf den Austauschalltag vorzubereiten. Im
Juni 2014 ging es in die zweite Runde, um für das gemeinsame Jugendevent des Netzwerks bestens gerüstet zu sein.
Sprachmittler bekamen die Möglichkeit, eine klare Vorstellung zu entwickeln, wo die Grenzen ihrer Tätigkeit liegen,
was ihre Rolle ausmacht und in welchen Punkten sie sich
von den Teilnehmern, Organisatoren und Moderatoren bei
einer Begegnung unterscheiden, um eben diese zu bereichern. Das nächste deutsch-russische Jugendcamp ist für
August 2015 in Hamburg geplant, hier werden bis zu 300
Teilnehmer erwartet.
Vorstand 2014/15: Eszter Tóth lebt (oder ist auf dem Weg) zwischen Pécs, Budapest, Griesheim, Hamburg und Berlin. In Ungarn engagiert sie sich im Bereich
baukultureller Bildung. Mit ihrem Verein kultúrAktív schreibt sie Bücher für
Kinder über Städte, macht Projekte zu Architektur und Stadtentwicklung und
verbreitet Konzepte und Methoden der Stadtvermittlung. In Hamburg promoviert sie an der HafenCity Universität über die spielerischen Formen der Kinderbeteiligung in der Stadtplanung. In Berlin unterstützt sie seit 2010 die Vorstandsarbeit bei MitOst. Zur Ruhe kommt sie in Griesheim bei ihrem Mann Martin,
den sie auf dem Internationalen MitOst-Festival in Perm kennengelernt hat.
Vorstand 2014/15: Rozalina Laskova kommt aus Bulgarien und lebt in Sofia.
Sie studierte Jura in Berlin und in Sofia, und arbeitete für unterschiedliche bulgarische und deutsche Ministerien u.a. in den Bereichen Verwaltungsmodernisierung und Good Governance. Rozalina ist als freiberufliche Kulturmanagerin
und als Beraterin zu Themen wie Kultur- und Kreativindustrien, EU-Finanzierung, Social Entrepreneurship und kulturelle Bildung tätig. Ihren Weg zu MitOst
fand sie als Alumna des Carl Friedrich Goerdeler-Kolleg. 2013 wurde sie MitOstMitglied. Als 2. Vorstandsvorsitzende möchte sich Rozalina mit der Organisationsentwicklung und der strategischen Ausrichtung des Vereins beschäftigen.
Zudem möchte sie zu der weiteren Integration der relativ neuen Alumnigruppe
des Carl Friedrich Goerdeler-Kolleg beitragen.
MitOst-Magazin
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Regionalgruppen
Über das Jahr verteilt gibt es viele Möglichkeiten, andere Mitglieder zu treffen –
beim Internationalen MitOst-Festival, auf Planungskonferenzen, in Arbeitsgemeinschaften oder Projekten. Doch was passiert in der übrigen Zeit? Direkten
Anschluss im eigenen Umfeld bieten Regionalgruppen, die regelmäßige Treffs
und Aktionen organisieren. In Hamburg, Leipzig, Stuttgart und Tbilisi, Georgien haben aktive MitOstlerinnen und MitOstler bereits Ortsgruppen oder Regionalvereine gegründet. Falls ihr in einer dieser Städte wohnt – meldet euch und
macht mit! Es gibt auch die Möglichkeit eine neue Regionalgruppe aufzubauen.
BoschAlumniForum VI
Zum sechsten Mal lädt MitOst in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung
zum BoschAlumniForum ein. Im Mittelpunkt des jährlichen Forums steht der
persönliche und berufliche Austausch. In diesem Jahr freuen wir uns auf spannende Diskussionen rund um das Thema „Soziale Innovationen: Erfolgsfaktoren
ausloten“. Unter welchen Bedingungen entstehen soziale Innovationen? Wie entwickeln und verbreiten sie sich? Und welche Rolle spielen dabei gemeinnützige
Organisationen und Wirtschaft, öffentliche Verwaltung und Politik, Stiftungen
und andere Akteure? Alumni bringen ihre Expertise und die Erfahrungen ein
und tauschen sich mit Vertretern aus Praxis und Wissenschaft aus.
MitOst-Camp 2015
Einmal jährlich lädt MitOst seine Mitglieder ein, im Rahmen einer zweitätigen
Veranstaltung intensiv an der Vereinsentwicklung zu arbeiten, über aktuelle Herausforderungen zu diskutieren und nach innovativen Lösungen zu suchen. Alle
Mitglieder sind herzlich eingeladen, am 29. und 30. Mai in Berlin gemeinsam die
Zukunft von MitOst mitzugestalten. Mehr Informationen zu MitOst-Camp sind
unter mitost.org zu finden.
Vorstand 2014/15: Anja Kretzer ist in der Nähe von Würzburg geboren und
aufgewachsen. Sie studierte Russisch und Französisch auf Lehramt in Konstanz
am Bodensee, in Lyon und in Moskau. Nach Stationen als Kulturmanagerin
in Klaipėda in Litauen und später als Projektleiterin beim Deutsch-Russischen
Forum e.V. ist sie nun als freiberufliche Projekt- und Fördermittelmanagerin
tätig. Sie organisiert Konferenzen, begleitet Studienreisen und schreibt Projektanträge. Anja lebt und arbeitet in Berlin. Im vergangenen Vereinsjahr freute Anja
sich, in ihrem zweiten Jahr als Schatzmeisterin die Konsolidierung des Vereinsbudgets begleiten zu dürfen. Sie widmet sich außerdem den Themen Advocacy,
Fördermitgliedschaften und unternehmerisches Denken bei MitOst.
Vorstand 2014/15: Elena Bobrovskaya lebt in der sibirischen Stadt Krasnoyarsk.
Seit 2009 ist sie MitOst-Mitglied. Als Vorsitzende der russischen NGO Interra
arbeitet Elena in den Bereichen non-formale bürgerschaftliche Bildung und
internationaler Jugendaustausch. Mit ihrem Team führt sie auch das Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs „Von der Idee zur Aktion“ durch.
Als Vorstandsmitglied widmete sich Elena vor allem den Themen Institutionelle
Mitgliedschaft und Vernetzung von NGOs sowie weiteren strategischen Entwicklungen im Bereich Bürgerschaftliche Bildung. Wenn Elena nicht für MitOst
oder Interra unterwegs ist, verbringt sie ihre Zeit mit Familienausflügen und Flamenco tanzen.
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MitOst-Magazin
Ehrenamt bei MitOst – Projektarbeit
MitOst unterstützt das ehrenamtliche Engagement seiner Mitglieder in den
Bereichen Kulturaustausch, Völkerverständigung und Zivilgesellschaft. Mitgliederprojekte sind das Herz von MitOst, füllen das Vereinsleben mit Inhalten
und vernetzen die Mitglieder. Die Projekte werden im Rahmen von drei Formaten – Sprach- und Kulturprojekte, Kleinstprojekte und KlickOst – aus den
Mitgliedsbeiträgen finanziert. Darüber hinaus schreibt MitOst den Wettbewerb
kultur-imdialog.eu+ in Kooperation mit der Schering Stiftung aus. Im Vereinsjahr 2013/14 zwölf Mitgliederprojekte gefördert. Der fünfköpfige Projektbeirat
des Vereins berät die Mitglieder bei ihren Projektvorhaben, prüft die Projektanträge und vergibt die Fördermittel. In diesem Jahr begleiten Mechthild Schmidt,
Natalia Pavlenko, Ulrike Würz und Christopher Schumann alle MitOstler, die
ihre Ideen lebendig werden lassen wollen.
Sprach- und Kulturprojekte
MitOst fördert damit Vorhaben, die den Kulturaustausch und das zivilgesellschaftliche Engagement stärken.
Kleinstprojekte
Gute Projekte müssen nicht teuer sein. Mit diesem Format könnt ihr eure Ideen
schnell und unkompliziert umsetzen. Anträge können jederzeit eingereicht
werden.
KlickOst
ist unser Projektformat, bei dem die MitOst-Mitglieder per Mausklick entscheiden können, welche Aktion gefördert werden soll. KlickOst wird ein- bis zweimal im Jahr ausgeschrieben.
kultur-im-dialog.eu+
fördert eines oder mehrere größere Kulturprojekte, die sich mit individuellen
Erfahrungen und nationalen Transformationsprozessen in Europa und seinen
Nachbarregionen auseinandersetzen.
Ausschreibungen und Informationen zu den Fördermöglichkeiten sind auf
mitost.org zu finden.
Vorstand 2014/15: Sergei Shalamov kommt aus Perm in Russland. Dort arbeitet er im Moment als Ingenieur für Flugzeugtechnik. Sergei war Kollegiat des
russischen Kooperationsprogramms des Theodor-Heuss-Kollegs „Engagement
täglich“ und ist seit 2011 ein Alumnus des Programms und Mitglied bei MitOst.
Zuletzt engagierte er sich als Alumnivertreter für GAKD. Als Mitglied des Vorstands möchte Sergei die Alumniarbeit mitbetreuen und MitOst für die Alumni
erreichbarer und attraktiver machen; vor allem für nichtdeutsche Muttersprachler.
Vorstand 2014/15: Marta Gawinek-Dagargulia stammt aus Warschau in Polen
und pendelt mit ihrer Familie zwischen Polen und Georgien. Sie ist seit 2006
Mitglied bei MitOst. Als Alumna des Theodor-Heuss-Kollegs arbeitet sie als
Mentorin und Trainerin für das Programm. Marta implementiert im Rahmen
von Actors of Urban Change das Projekt „OPEN HOUSE – meeting place for
Zugdidi“ in Zugdidi. Seit 2007 arbeitet Marta in Georgien und Polen in den
Bereichen Postkonflikt-Friedenskonsoldierung, Stadtentwicklung und Chancengleichheit. Marta möchte sich im Vereinsjahr dafür einsetzen, dass die Mitglieder aktiv in die Vereinsentwicklung eingebunden werden. Für sie ist es wichtig,
dass die Diversität der Vereinsmitglieder im Bezug auf Sprachen, kultureller und
nationaler Hintergründe auch im Vorstand und der Entwicklung des Vereins
repräsentiert sind.
MitOst-Magazin
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Federation of Urban Imagination
Bei dieser transeuropäischen Städtewanderung setzen Künstler, Architekten, Stadtplaner, Geografen und Gärtner aus Slowenien, Ungarn, Serbien und
Deutschland in Budapest, Leipzig und Novi Sad gemeinsam auf interdisziplinäre
Methoden. Sie schaffen im Stadtraum Orte für Aktivität und Begegnung. Mit
einem solchen kultursensiblen, partizipativen Ansatz stößt das Projekt transnationale Lernprozesse an.
Wo? Budapest/Ungarn, Leipzig/Deutschland, Novi Sad/Serbien
Wann? Juni bis Oktober 2014
Projektleitung: Anke Schilling
Kategorie: kultur-im-dialog.moe
Fördersumme: 9.000 Euro
Kunstraum „Euphoria“
Ein alter „Aktivistenraum“ bot Raum für alternative Kunst. „Euphoria“ förderte die freie Kommunikation und das gemeinsame Schaffen von Produkten
der modernen Kunst durch Amateure und professionelle Künstler. Unter dem
Motto: „Globale Welt: Einigkeit und Vielfalt“ fand ein zweiwöchiges Programm
mit Märkten, Workshops, Ausstellungen und Konzerten statt und lud zur Partizipation ein.
Wo? Berezniki, Russland
Wann? Februar 2014
Projektleitung: Evgenia Bukharinova
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 1.700 Euro
Расскажи мне сказку – Erzähl mir ein Märchen
In Sibirien leben viele verschiedene Völker: Armenier, Aserbaidschaner, Tadschiken, Kasachen, Georgier oder Chinesen. All diese Menschen bringen eine
unglaublich reiche Kultur mit. Wie macht man nun die Sibirier mit der Kultur
der anderen Völker bekannt? Das Projektteam sammelte Märchen der migrierten
Völker und Minderheiten in Sibirien. Die Sibirier lernen diese Märchen auf Märchenexpeditionen kennen. Eine Märchensammlung wird gestaltet und gedruckt.
Wo? Novosibirsk, Omsk, Tomsk, Krasnoyarsk, Russland
Wann? Februar bis November 2014
Projektleitung: Elena Shadrina
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 1.100 Euro
Projektbeirat 2014/15: Mechthild Schmidt kommt aus Deutschland und lebt
derzeit in Berlin. Bis Ende 2014 koordnierte sie in Belgrad das Zoran Djindjic
Stipendienprogramm. Sie sorgt innerhalb des Projektbeirats für die transparente
Kommunikation. Mechthild ist seit 2008 MitOst Mitglied und war als Lektorin
über das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung von 2007 bis 2009 in
Novi Pazar in Serbien.
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MitOst-Magazin
BelTour – Belarus InvestiGATED
Die Eishockey-WM 2014 steht vor den belarussischen Pforten! Zeit sich im Vorfeld der WM mit Stadt, Land und Leuten in und um Minsk zu beschäftigen. Wir
lernen es kennen, das Land der „Kartoffel“, das Land mit dem weltbekannten
Traktor „Беларус“, das Land, verschrien als die letzte Diktatur Europas. Ein Projekt zwischen touristischer Tauglichkeitsanalyse und verbreiteten Mythen über
ein Land mitten in Europa.
Wo? Minsk, Belarus
Wann? März 2014
Projektleitung: Alexander Wolf
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 1.900 Euro
Art Bridges
Teo, David, Josephine, Niklas, Jean-Félix und Jérémie, sechs Fotografen aus
Georgien, Deutschland und Frankreich, steigen im Juli in Nantes in ein Auto
und fahren damit durch Europa. Sie sind auf der Suche nach Geschichten über
Identität, Grenzen und Konflikte in Europa. Die Geschichten ihrer Reise und die
Bilder zeigen sie in ihren Heimatstädten – Tbilisi, Saarbrücken und Nantes. Auf
dem Blog artbridgeseurope.wordpress.com dokumentieren sie ihre Erlebnisse.
Wo? Nantes, France – Tbilisi, Georgien
Wann? Juni bis September 2014
Projektleitung: Teona Dalakishvili
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 960 Euro
Verkörpert
Auf der Kunstexpedition „Verkörpert“ besuchte das Projektteam gemeinsam
mit einer Künstlergruppe ukrainische, ungarische, deutsche, rumänische und
slowakische Dörfer Transkarpartiens. Sie untersuchten die traditionelle Kultur
vor Ort. Von der Expedition brachten sie Bilder von Ornamenten, gemalt auf
die Körper der Dorfbewohner, mit. Die Expeditionsbilder werden als Postkarten
gedruckt. Ein ArtBook wird gestaltet und Ausstellungen organisiert.
Wo? Transkarpatien, Ukraine
Wann? Mai bis August 2014
Projektleitung: Yulia Lashchuk
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 1.750 Euro
Projektbeirat 2014/15: Natalia Pavlenko lebt in Krasnoyarsk in Sibirien. 2010
nahm sie am russischen Kooperationsprogramm des Theodor-Heuss-Kollegs
„Von der Idee zur Aktion“ teil und arbeitet jetzt als Koordinatorin des Programms.
Seit 2012 ist Natalia Mitglied bei MitOst. Zwei Jahre lang arbeitete sie an der Pädagogischen Universität im Bereich Methodik und sechs Jahre für eine Produktionsfirma als Produzentin von Videos. Jetzt arbeitet Natalia für die russische
NGO Interra und organisiert Projekte des internationalen Jugendaustauschs.
MitOst-Magazin
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Perspektivy
Junge Menschen aus Deutschland und der Ukraine waren zu dem internationalen
Fotoworkshop „Perspektivy“ in Kiew eingeladen. Sie machten Fotos zum Thema
„Zivilgesellschaft und ziviler Ungehorsam“. Für das Projekt konnten in Kiew
sogar spontan zwei ukrainische Fotografen gewonnen werden. Im Anschluss
wurden die Werke in einer Ausstellung in Berlin präsentiert und zeigten die Perspektiven junger Erwachsenen zum Thema „Ziviler Ungehorsam in Osteuropa“.
Wo? Kiew, Ukraine, Berlin, Deutschland
Wann? August bis November 2014
Projektleitung: Sylwia Plonka
Kategorie: Sprache und Kultur
Fördersumme: 900 Euro
Munro Leipzig
Während der Debatte über Einwanderer und Asylbewerber schärfte das Projekt
„Munro Leipzig – Mein Leipzig“ den Blick für eine ganz andere Perspektive auf
die Stadt. Junge Roma zeigten mit Fotos und Video-Clips ihren Blick auf ihre
Heimat Leipzig, was ihnen besonders wichtig ist und was sie als Bürger Leipzigs
ausmacht. Im April wurden die Bilder anlässlich des Internationalen Tags der
Roma im Leipziger Rathaus ausgestellt.
Wo? Leipzig, Deutschland
Wann? März bis April 2014
Projektleitung: Petra Cagalj Sejdi
Kategorie: Kleinstprojekte
Fördersumme: 250 Euro
Leipziger MitOst-Salon
Der Leipziger MitOst-Salon ist eine Initiative von MitOst-Mitgliedern, die sich
im Vorfeld des 11. Internationalen MitOst-Festivals zusammengefunden haben.
In drei Salons in der ersten Jahreshälfte wurden nicht nur drei unterschiedliche
Regionen in den Fokus gerückt, sondern auch unterschiedliche multimediale
Formate genutzt.
Wo? Leipzig, Deutschland
Wann? April bis Juni 2014
Projektleitung: Elisa Satjukow
Kategorie: Kleinstprojekte
Fördersumme: 330 Euro
Projektbeirat 2014/15: Ulrike Würz kommt aus Deutschland, lebt und arbeitet
zurzeit in Warschau. Sie ist seit 2005 Mitglied und kennt den Verein aus ziemlich
vielen Perspektiven: als Alumnivertreterin, als Mitkoordinatorin des BoschAlumniForums, als Moderatorin der MitOst-Planungskonferenzen, als Organisatorin
von Festival-Workshops, und als Vorstand. Zu MitOst gekommen ist Ulrike als
Lektorin der Robert Bosch Stiftung. Beruflich hat sie mit Sprache und dem Lernen
von Sprachen zu tun. Die Mitgliederprojekte sind für sie der wichtigste Bereich im
Vereinsleben, in dem alle MitOstler ihre Ideen einbringen und auch verwirklichen
können. Nur so wird MitOst zu dem bunten und vielfältigen Verein, der er ist.
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MitOst-Magazin
Die unbekannte Stimme – Memoiren einer Russisch-Dolmetscherin
der Nürnberger Prozesse
Wurden Memoiren von Dolmetschern der Nürnberger Prozesse veröffentlicht,
so blieb der sowjetische Blickwinkel dabei weitestgehend vernachlässigt. Erst
2013 wurden die Memoiren der Russisch-Dolmetscherin Tatjana Stupnikova ins
Deutsche übersetzt und hierzulande zugänglich gemacht. Dazu fand ein Vortrag
mit Lesung in Berlin statt.
Wo? Berlin, Deutschland
Wann? August 2014
Projektleitung: Vivi Bentin
Kategorie: Kleinstprojekt
Fördersumme: 300 Euro
Professions
Wie viele junge Menschen träumen heute noch davon Bäcker, Krankenschwester
oder Tischler zu werden? Diese Berufe sind wenig populär unter jungen Erwachsenen, doch sehr wichtig für die Gesellschaft. Das Fotoprojekt setzte diese Berufsfelder in Szene. Junge Erwachsene nahmen erst an Fotoseminaren teil, um dann
die Menschen bei ihrer Arbeit mit der Kamera zu begleiten. Mehr Informationen
dazu gibt es auf dem Projekt-Blog aducation-crimea.blogspot.de.
Wo? Simferopol, Ukraine
Wann? März bis April 2014
Projektleitung: Anastasia Zhuravlova
Kategorie: KlickOst
Fördersumme: 435 Euro
Empower Yourself, Learn Your Rights!
Gemeinsam starteten junge Erwachsene aus Bergkarabach, eine Region zwischen Armenien und Aserbaidschan, eine Kampagne, um auf Menschenrechte
aufmerksam zu machen. In Workshops und mit Flashmobs zeigten sie, dass die
universell geltenden Menschenrechte nur Bestand haben können, wenn diese
auch tagtäglich eingefordert werden.
Wo? Stepanakert/Nagorno-Karabakh, Armenien
Wann? April bis Juni 2014
Projektleitung: Anush Ghavalyan
Kategorie: KlickOst
Fördersumme: 350 Euro
Projektbeirat 2014/15: Christopher Schumann ist in Bielefeld aufgewachsen,
lebt und arbeitet in Berlin. Er ist Mitgründer der Agentur greenstorming. Greenstorming hilft Organisationen bei der Vorbereitung und Durchführung von
Workshops oder Konferenzen, mit dem Anliegen ressourcenbewusst zu planen
und einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Zu
MitOst ist er als Alumnus aus dem Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung gekommen. Als Lektor war er 2000 bis 2001 in Ventspils in Lettland tätig.
Den Verein kennt er nicht nur aus der Mitgliederperspektive. Christopher war
auch drei Jahre lang im Vorstand bei MitOst.
MitOst-Magazin
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Расскажи мне сказку –
Erzähl mir ein Märchen
In Sibirien leben viele verschiedene Völker mit unterschiedlicher Herkunft. Sie stammen aus
Armenien, Aserbaidschan, Tadschikistan, Kasachstan, Georgien und China. All diese Menschen bringen eine unglaublich reiche Kultur aus ihren Ländern und Kulturkreisen mit. Doch
untereinander ist dieser Reichtum kaum bekannt. Zwischen den Volksgruppen findet wenig
Austausch statt. Wie macht man nun die Sibirier mit der Kultur der anderen Völker bekannt?
Mit einer Märchenexpedition! Von Elena Shadrina und Natalia Pavlenko.
Die Projektidee wurde bei einer Reise durch Europa geboren. Wir trafen auf Menschen mit den unterschiedlichsten
Hintergründen und lernten ihre Traditionen und die Werte
ihrer Kulturen kennen. Dafür sind wir sehr weit gereist.
Zurück in Sibirien wurde uns bewusst, dass direkt vor
unserer Haustür Menschen mit ebenso vielfältigen kulturellen Hintergründen leben, denn unsere Heimat ist eine
Vielvölkerregion. In Sibirien leben Armenier, Georgier,
Kasachen, Kirgisen, Deutsche und viele, viele mehr. Sie
alle bringen ihre Kultur und eigenen Traditionen mit. Und
wir wissen darüber nur sehr wenig. Daraus entstehen oft
Misstrauen und Ängste, die Klischees und stereotypes Denken schaffen. Nach unserer
Reise wollten wir das ändern. „Erzähl
mir ein Märchen“ das Projekt war
geboren. Wir wollten Märchen
sammeln von den verschiedenen Volksgruppen und
aus den unterschiedlichen
Kulturkreisen.
Märchen
erzählen uns Geschichten
und Weisheiten. Sie sind
generationenübergreifende
Kulturschätze und auch
heute noch bei Kindern und
Erwachsenen beliebt.
Wir begannen damit, unsere
Freunde nach ihren Lieblingsmärchen zu fragen, die ihrer Meinung nach die Werte und Kultur ihrer
Volksgruppe wiedergeben. Schließlich
fragten wir auch uns völlig unbekannte
Menschen unterschiedlicher Nationalitäten nach
ihren Märchen. Die einen übersetzten für uns Texte aus
ihrer Sprache und schickten sie uns, wieder wieder andere
Geschichten nahmen wir beim Erzählen auf. So füllten wir
unsere Märchensammlung nach und nach mit Geschichten.
Diese Sammlung wollten wir dann gerne veröffentlichen.
Uns kam die Idee, die Märchen für alle Interessierten vorzulesen, ganz wie früher. Wir hatten Glück, denn wir bekamen Unterstützung von professionellen Schauspielern, mit
denen wir das Vorlesen übten. Ganz leicht war das nicht:
Wir mussten viel wiederholen, Zungenbrecher aufsagen,
unsere Rede „putzen“. Und was haben wir unsere Betonung
geübt! Wir lernten das Lesen tatsächlich neu, ganz anders
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MitOst-Magazin
als in der Schule, denn ein gutes Märchen will auch gut vorgelesen werden.
Die Märchen wurden gesammelt und die Stimmen wurden
trainiert. Wir bereiteten uns auf unsere Märchenreise vor.
Erster Halt: Novosibirsk. Wir suchten uns einen angenehmen Ort in einem Park, machten es uns auf einer Wiese
bequem. Über unseren Köpfen befestigten wir an einem
Baum ein Schilde: „Hier werden Märchen vorgelesen“. Wir
luden die Leute ein, die gerade durch den Park spazierten
oder in der Sonne lagen. Zuerst waren sie misstrauisch und
zögerten, sie winkten ab und gingen mit besorgten Mienen schnell vorbei. Wir begannen
trotzdem einfach mit dem Vorlesen.
Und dann der erste Erfolg: Drei
Zuhörer gesellten sich zu uns und
lauschten den Märchen. Die
einen waren neugierig durch
unsere Anwesenheit geworden, die anderen folgten dem
Hinweis unseres Schilds.
Auf Zetteln waren die Titel
der Märchen geschrieben
und unsere Zuhörer konnten einen dieser Zettel auswählen. Bevor wir dann das
Märchen vorlasen, erzählten
wir von seinem Ursprung und
seinem kulturellen Hintergrund.
Das regte nach dem Vorlesen viele
Diskussionen an, ob denn nun wirklich traditionelle Werte der jeweiligen
Kultur und ihre Besonderheiten in den Märchen erwähnt wurden. So lasen wir nach und nach
alle Märchen unserer Sammlung vor.
Das Vorlesen war gar nicht so einfach. Immer wieder waren
unsere Hälse trocken. Unsere Worte verloren sich im Lärm
der Straße. Unsere Stimmen waren angestrengt. Und dabei
mussten wir doch immer noch an die richtige Betonung
denken, so wie wir es vorher so oft besprochen und geübt
hatten. Wir hatten trotzdem viel Vergnügen, mit diesem,
für uns neuen Format zu arbeiten. Wir waren mit unserer
ersten öffentlichen Lesung dann doch zufrieden. Und wir
hoffen, die Novosibirsker waren es auch.
Inspiriert und die Köpfe voller Gedanken, woran wir weiter
arbeiten könnten, fuhren wir weiter nach Tomsk, die zweite
Station auf unserer Expedition. Auch hier suchten wir uns
eine Wiese im Stadtzentrum. Diesmal kündigten wir im
Voraus unser Kommen und unsere Lesung in Tomsk an.
Und so erwarteten uns schon interessierte Zuhörer. Wir
fingen wieder an zu lesen. Passanten blieben stehen und
setzten sich zu unserer Gruppe dazu. Einige Märchen
besprachen wir länger, andere kürzer. In Tomsk redeten
wir nicht nur über die Kulturen, sondern auch über die
Besonderheiten in den unterschiedlich geprägten Küchen.
Die Tomsker waren sehr interessierte Zuhörer und hatten
Spaß am Diskutieren. Unsere Märchenzeit verging wie im
Flug. Wir beschlossen, auf jeden Fall wieder einmal nach
Tomsk zu reisen.
Eine außergewöhnliche Station auf unserer Märchenexpedition war die serbische Stadt Novi Sad. Im Rahmen des
Internationalen MitOst-Festivals lasen wir auch hier unsere
Märchensammlung vor. Obwohl wir so weit von zu Hause
weg waren, kam es hier zu spannenden Diskussionen. Unseren Zuhörern, mit ihren vielfältigen kulturellen Hintergründen, waren viele der Märchen bekannt. Sie erzählten
uns ihre eigenen, abgewandelten Versionen der Geschichten und wie sie die Märchen interpretierten.
Viele der Märchen und Erzählungen ähnelten sich trotz ihrer
unterschiedlichen kulturellen Herkunft. Die Helden, ihr
Handeln, ihre Werte und Weltanschauung zogen sich wie
ein roter Faden auf unserer Lesereise durch die Geschichten. Wir hoffen, dass die Menschen, denen wir begegneten,
durch sie ein bisschen näher gerückt sind. Wir selbst haben
uns Traditionen und Kulturen der Bevölkerungsgruppen in
Sibirien durch die Märchen sehr viel näher gebracht.
Unsere Märchenexpedition war sehr inspirierend und ziemlich unvorhersehbar. Die Märchensammlung gibt es nun
auch in einem Sammelband mit Illustrationen. Damit sie
nicht verloren gehen und weiter vorgelesen werden können.
Das Projekt „Erzähl mir ein Märchen“ inspiriert uns zur
Fortsetzung und auch zu neuen Ideen. Wir wünschen allen
viel Freude beim Lesen und Entdecken alter Märchen.
MitOst-Magazin
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Impressum
MitOst-Magazin #27 / Frühjahr 2015
Herausgeber:
MitOst e.V. – Verein für Sprach- und Kulturaustausch
in Mittel, Ost- und Südosteuropa
Verantwortlich:
Eszter Tóth, Vorstandsvorsitzende MitOst e.V.
Alt-Moabit 90, D-10559 Berlin
Redaktion: Laura Werling
Lektorat: Mary Dellenbaugh, Jana Sprakties
Gestaltung: Maxim Neroda
Auflage: 2000 St.
Geschäftstelle MitOst e.V.
Alt-Moabit 90
D-10559 Berlin
Tel.: +49 (0)30 31 51 74 70
Fax: +49 (0)30 31 51 74 71
[email protected]
www.mitost.org
Bildnachweis:
Cover: Constanze Flamme; Seite 2, 3: Siniša Trifunić;
Seite 4 – 7: Siniša Trifunić, Uta Protzmann, Serge
Kuznetsov; Seite 8: Denys Ovchar; Seite 11: Olga
Diatel, Andrij Volgin; Seite 12 Siniša Trifunić; Seite
14: Tomislav Medak (Ne damo Varšavsku! :: Bandića
na referendum :: Teodor Celakoski, CC BY 2.0); Seite
16, 17: Adam Synomonwicz (Deutsch-Polnischs
Jugendwerk); Seite 18 Olga Zarko; Seite 22 – 25: David
Mirvelashvili, Jérémie Lusseau, Jean-Félix Fayolle;
Seite 27, 28: Vural Kamel, Jon Davis; Seite 30, 31:
Novo Badeste; Seite 32: Mariya Angelova; Seite 33:
Mariya Angelova, Iliev Dance Art Foundation; Seite
42, 43: MitOst Hamburg; Seite 45 Onur Tahmaz, Uta
Protzmann; Seite 46 Federation of Urban Imagination
Coverbild:
Das Bild entstand beim Interim Meeting von TANDEM
Shaml in Berlin. Es zeigt Dorte Riemenschneider und
Ayham Abu Shaqra. Im Tandem realisierten sie das
Projekt „Open Gates“. Dorte und Ayham organisierten
Film-Workshops mit syrischen Flüchtlingen im Libanon.
Zudem zeigten sie Kurzfilme syrischer Filmemacher in
Berlin und Beirut.
Interesse an der Förderung von GrassrootsProjekten? Bewirb dich als MitOst-Mitglied mit
deiner eigenen Projektidee. Keine Zeit? Dann hilf
mit deiner Spende Projekte zu fördern.