Abstracts - Ruhr-Universität Bochum

Abstracts Symposium „Deutschunterricht und Migration“ (8. & 9. Mai 2015, Ruhr‐Universität Bochum) Dr. Katrin Späte (Universität Münster) „wer SEHNSUCHT kennt goethe“ Schule, Sprache und Staat aus soziologischer Sicht In meinem Vortrag untersuche ich die empirisch nicht belegte These, dass ein staatlich gesteuertes Schulwesen die wichtigste Institution zur Sicherung sozialer Kohäsion sei, indem darüber sowohl die Herausbildung als auch die Vermittlung einer den Nationalstaat stützenden Kultur geleistet werde, die sich vor allem auf die Sicherung einer Spracheinheitlichkeit stütze. Vor dem Hintergrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland ist diese soziologische Annahme allerdings kritisch zu prüfen. Karim Fereidooni (Pädagogische Hochschule Heidelberg) Linguizismus: Sprach(ge/ver)bote im Lehrerzimmer. Diskriminierungserfahrungen von Lehrkräften ‚mit Migrationshintergrund‘ unter besonderer Berücksichtigung der Sprache Karim Fereidooni präsentiert in seinem Vortrag quantitative und qualitative Ergebnisse seiner Dissertation zu „Diskriminierungserfahrungen von Lehrkräften ‚mit Migrationshintergrund‘ im deutschen Schulwesen“. Besondere Berücksichtigung erfahren die Befunde zu sprachlicher Diskriminierung, indem zunächst auf das Konzept des Linguizismus eingegangen wird, bevor unterschiedliche Formen der sprachlichen Diskriminierung dargestellt werden. Prof. Dr. Carolin Rotter (Universität Duisburg‐Essen) „Sie wissen, wie es ist, Deutsch zu lernen“ – biografisches Kapital von Lehrkräften mit Migrationshintergrund?! Seit dem Nationalen Integrationsplan im Jahr 2007 wurden Lehrkräfte mit Migrationshintergrund als besondere Ressource von der Bildungspolitik entdeckt. U. a. besteht die Erwartung, dass diese Lehrkräfte eine größere Sensibilität für Schwierigkeiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund bei der Beherrschung der deutschen Sprache haben. Im Rahmen des Vortrags wird diese Hoffnung aus professionstheoretischer Perspektive auf der Grundlage von Interviewmaterial aus dem Projekt „Berufliche Fremd‐ und Selbstkonzepte von Lehrkräften mit Migrationshintergrund“ kritisch diskutiert. Prof. Dr. Ursula Neumann, Dr. Dagmar Knorr (Universität Hamburg) „Sprachliches Selbstverständnis von mehrsprachigen Studierenden im (Deutsch)Unterricht“ „Wenn ich schreibe, benutze ich alle meine Sprachen. Sie sind gleichzeitig in meinem Kopf“, sagt Joana, nach ihrem sprachlichen Selbstverständnis beim Schreiben gefragt. Im Vortrag präsentieren wir die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung bei Studierenden, die Lehrerin oder Lehrer werden wollen und sich mit ihrer Mehrsprachigkeit auseinandersetzen. Ausgehend von der These, dass der monolinguale Habitus der deutschen Schule (Gogolin) so wirkmächtig ist, dass auch mehrsprachig aufgewachsene Jugendliche diese Orientierung auf Einsprachigkeit in der Bildung teilen, fragen wir nach den Praxen dieser Studierenden in ihrem Studienalltag. Des Weiteren zeigen wir die Ergebnisse einer Analyse, die aus einem Korpus an Daten gezogen wurde, die in der „Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit“ des Universitätskollegs der Universität Hamburg bei der Beratung von Studierenden durch Studierende angefallen sind. So können wir zeigen, in welchen Phasen des wissenschaftlichen Schreibens – beim Planen, Recherchieren, Notizen machen, Entwürfe Schreiben und die Endfassung Erstellen – die verschiedenen Sprachen eine je spezifische Rolle spielen, sei es, dass sie ausgeblendet oder gezielt herangezogen werden. Dr. des. Matthias Jakubanis (Universität Osnabrück) „Der Stellenwert des Deutschunterrichts für Migranten/innen: Legitimationsprobleme und Chance “ Die migrationsbedingte Heterogenität und der Wandel im medialen Nutzungsverhalten stellen die Fachdidaktik und den Deutschunterricht vor neue Herausforderungen im Umgang mit Literatur. Auf Grundlage einer empirischen Studie zur literarischen Sozialisation von Jugendlichen mit einem türkischen Migrationshintergrund werden die Konstruktionsmechanismen literarischer Bildung bei Gymnasiasten/innen angesichts einer veränderten Bevölkerungsstruktur vorgestellt. Es kann anhand von narrativen Interviews und sozialwissenschaftlich‐hermeneutischen Auswertungsmethoden dargelegt werden, wie sich neue Funktionalisierungen sowie Gratifikationen des Lesens ergeben, welchen Stellenwert der Komplex von Literatur und Lesen im Deutschunterricht für gesellschaftliche Integrationsprozesse besitzt und welche Konsequenzen für die Literaturdidaktik und den schulischen Deutschunterricht hieraus erwachsen. Dr. Dominique Rauch oder Projektkollegen (DIPF Bildungsforschung Frankfurt am Main) Förderung von Lesekompetenz bei Türkisch-Deutsch bilingualen Grundschülern
Abstract folgt.
Tobias Stark (Universität Hamburg) Kontextualisierungsoperationen beim literarischen Textverstehen – ein Vergleich zwischen aktiviertem Vorwissen in Rezeptionsprozessen und erwartetem Vorwissen in Unterrichtsmaterialien Anhand ausgewählter Leseprozessanalysen wird gezeigt, welche Rolle das Vorwissen von SchülerInnen der 9. Klasse mit türkischer Migrationsgeschichte bei ihrem Umgang mit ausgewählten Texten spielt. Diesen Ergebnissen wird gegenübergestellt, wie in Unterrichtsmaterialien zu denselben Textbeispielen (zum Teil ganz andere) Wissenskontexte erwartet und vorausgesetzt werden. So lässt sich exemplarisch zeigen, welche umfassende Bedeutung die Wissensaktivierung für den Textverstehensprozess hat und welche Probleme dies für die Konzeption von Aufgaben im Deutschunterricht mit sich bringt. Laura Henrici (Universität Münster) Schriftliches Argumentieren im Deutschunterricht - eine besondere Herausforderung für
SchülerInnen mit Migrationshintergrund? Schreiben und Schriftlichkeit gelten als eine besondere Herausforderung für SchülerInnen mit Migrationshintergrund. Bisher gibt es jedoch wenige systematische Erkenntnisse dazu, worin genau diese Schwierigkeiten tatsächlich bestehen und wie sie sich in den Schreibprodukten der SchülerInnen mit Migrationshintergrund zeigen. In dem Vortrag soll zunächst eine Bestimmung des Argumentierens aus funktional‐pragmatischer Perspektive gegeben werden. Argumentieren wird also in seiner Charakteristik als spezifische sprachliche Handlung beschrieben. Die typischen argumentativen Textsorten des Deutschunterrichts sollen dazu in Beziehung gesetzt und vorhandene Undurchsichtigkeiten der Funktionalität des schriftlichen Argumentierens im Deutschunterricht aufgezeigt werden, die für alle SchülerInnen zu Schwierigkeiten führen könnten. Überlegungen zu möglichen spezifischen Schwierigkeiten von SchülerInnen mit Migrationshintergrund beim schriftlichen Argumentieren schließen sich an. Es werden dann am Beispiel eines Textkorpus von SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund der Klassenstufe 8 an einer Haupt‐ und Realschule, das meinem laufenden Dissertationsprojekt zugrunde liegt, exemplarische Analysen vorgestellt. Dabei geht es um die Fragen, aus welchen sprachlichen Teilhandlungen sich die argumentativen Texte der verschiedenen Schülergruppen zusammensetzen und welche sprachlichen Mittel sie zu deren Realisierung, z.B. zum Anführen von Argumenten oder zum Einbringen der Gegenposition, verwenden. Dabei zeigt sich, dass neben dem Migrationshintergrund die Schulform ein mindestens ebenso relevanter Faktor für Unterschiede zwischen den Schreibprodukten der SchülerInnen zu sein scheint. Benjamin Walter (Universität Osnabrück) Lesen Migranten und Migrantinnen Anderes und - anders? Zum Leseverhalten und zur
Lesemotivation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Abstract folgt. Dr. Karl Esselborn (LMU München) „Neue Beispiele transkultureller Literatur in Deutschland“ Für die Bewältigung der Probleme von Migranten in Deutschland könnte die neuere deutschsprachige „Migrantenliteratur“ hilfreich sein. Sie hat sich allerdings seit der „Gastarbeiterliteratur“ der 1980er Jahre deutlich verändert: wurden zunächst vor allem der Verlust der Heimat und die Fremdheit der neuen Umwelt aus einer traditionellen Sicht homogener nationaler Identität behandelt, erweiterte sich die Thematik mit der Einbeziehung auch von Exilautoren aus Osteuropa oder Südamerika, von Asylanten und schließlich auch der langen Tradition der „deutschen“ Autoren aus fremden Ländern oder multikulturellen Regionen wie Adelbert von Chamisso, Elias Canetti, Paul Celan, Cyrus Atabay u.a. auf allgemeinere literarische Perspektiven. Besonders die zweite und dritte Generation der Immigranten entwickelte eine interkulturelle und teils mehrsprachige Identität und Literatur, die sich – wie die revoltierende Kanakster‐Generation – von der deutschen Gesellschaft wie von der eigenen Herkunft absetzte und sich zunehmend als Teil der internationalen Moderne der Grenzgänger zwischen den Kulturen verstand, wie sie im interkulturellen Diskurs über Migration, Multikulturalität und Postkolonialismus (von Edgar Said, Homi K. Bhabha, Eduard Glissant u.a.) als eine „neue Weltliteratur“ der Dezentrierung, hybriden Überschneidungen oder der Kreolisierung beschrieben wurde. Angesichts der gegenwärtig in der Öffentlichkeit sehr negativ diskutierten steigenden Immi‐
gration in Deutschland könnten hier wichtige Argumente und positive Bilder gefunden werden, die sozialpädagogisch und didaktisch für eine Auseinandersetzung mit problematischen Migrationserfahrungen und für eine Annäherung an die neue Kultur einzusetzen wären, wie dies bereits in vielen sprach‐ und literaturdidaktischen Konzepten und Unterrichtsmodellen für den Schulunterricht DaZ im Sinne einer „interkulturellen Erziehung“ erprobt wurde (Rösch, Brunner , Wintersteiner u.a.). Prof. Dr. Heidi Rösch (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) Postmigrantische Literaturdidaktik Ausgehend von einem kurzen Überblick über die Entwicklung postmigrantischer Literatur im deutschsprachigen Raum und inter‐, trans‐ oder anderer kultureller literaturdidaktischer Ansätze werden Lesarten, die sich für einen Literaturunterricht in der Migrationsgesellschaft eignen, an konkreten, z.T. in Unterrichtsprojekten erprobten Werkbeispielen (von Bilderbüchern über Rap‐Songs bis hin zu Romanen und Spielfilmen) für unterschiedliche Schulstufen vorgestellt. Dabei steht einerseits der Umgang mit Sprache/n und Zugehörigkeit/en in den Werken und ihrer Rezeption im Zentrum. Andererseits geht es darum, Lesarten mit postkolonialen Ansätzen zu verbinden und Verfahren wie critical whiteness oder empowerment in die Literaturdidaktik zu integrieren. Prof. Dr. Christian Dawidowski (Universität Osnabrück) Interkulturelles Lernen im Deutschunterricht der Sekundarstufen am Beispiel der Darstellung von Türken und der Türkei in Lehrbüchern seit 2009 Die vorliegende Untersuchung möchte an einem kleinen, exakt umrissenen Segment (Deutsch‐Lehrwerke Sek. I/II 2009‐2014) vorführen, wie eine methodisch abgesicherte germanistische Schulbuchanalyse nach Maßgabe einer gegenstands‐ und themenbezogenen Fragestellung verfahren kann. Dabei geht es um die Beantwortung der Frage, ob und wie Türken und die Türkei als Repräsentanten der größten Einwanderungskultur in Deutschland in diesen Lehrwerken dargestellt werden.