Aussergewöhnlich - Fechten in Weinheim

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02.04.15 22:28
Andere
Einfach außergewöhnlich
Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolgs darin, nicht zu viel nachzudenken.
In den wichtigen Momenten auszublenden, wie groß die Möglichkeiten sind.
Wie nah das Traumziel eigentlich ist.
Text und Bilder von
Anja Treiber und Simon Hofmann
Für Fechter sind die Olympischen Spiele das Tor zur Welt. Die einmalige Chance, ihren
Sport und sich selbst einem Millionenpublikum zu zeigen. Wenn alles perfekt läuft,
dann könnte es in naher Zukunft vielleicht einen Olympioniken aus Weinheim geben.
Die Chancen stehen nicht schlecht.
Bei den deutschen Meisterschaften in Tauberbischofsheim schlidderte Georg Dörr nur
haarscharf am Titel vorbei. Noch war der Ex-Weltmeister Peter Joppich zu stark. Doch
der 20-jährige Fechter der TSG 1862 brachte den Altmeister beim 11:15 im Halbfinale
einmal mehr gehörig ins Schwitzen. DM-Bronze soll für den Mann aus BirkenauHornbach nur eine Zwischenstation sein. Das wichtigste Werkzeug des Erfolgs außer
Talent, Trainingsfleiß und Konzentration ist vor allem eines: Geduld.
Georg Dörr ficht seit seinem sechsten Lebensjahr, hat das parallel betriebene
Handballspiel beim TSV Birkenau schnell eingestellt. Seit dieser Zeit ist er auch mit
Mark Perelman befreundet. Und das richtig dick.
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Der Sohn von TSG-Trainer Aleksandr Perelman und Dörr, beide Jahrgang 1994, sind
von klein auf Trainingspartner und merkten schnell, dass sie die gleiche Wellenlänge
haben. Nicht nur menschlich. Fechten ist ein außergewöhnlicher Sport. Doch die
beiden jungen Männer sind keineswegs extravagant. Sie sind ganz normale 20-Jährige,
die gerne Partys feiern, mal einen Trinken gehen und bei ihren Reisen um die Welt
nach dem Wettkampf auch mal abends unterwegs sind.
"Früher, als wir noch jünger waren, mussten wir uns heimlich aus dem Zimmer
schleichen. Inzwischen hat auch unser Trainer akzeptiert, dass wir sind, wie wir sind",
sagt Dörr. Lässige Typen, die besonders gut sind in dem, was sie tun und trotzdem
ihren Freiraum brauchen. "Man muss eine gute Mischung finden. Schließlich würden
wir uns ja selbst bestrafen, wenn wir Tausende Kilometer fahren, ohne dann etwas
vom Ort gesehen zu haben, den wir bereisen."
Herausragende DM
Sportlich ist Dörr noch einen Schritt voraus, doch auch Mark Perelman ("Da muss ich
noch etwas nachziehen") machte bei der DM mit Platz acht auf sich aufmerksam. Die
drei Jahre jüngeren TSG-Fechter Ciarán Veitenheimer (11.) und Felix Klein (28.)
stehen bereits in den Startlöchern. Das bewies nicht zuletzt die Finalteilnahme als
Mannschaft, wo sich Weinheim in der Besetzung Dörr, Veitenheimer, Luis und Felix
Klein nur hauchdünn mit 40:45 dem OFC Bonn geschlagen geben musste. Die TSG
1862 darf sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, dass ein Eigengewächs der
Weinheimer Talentschmiede Mitglied im Nationalkader der Aktiven wird.
Dieses Ziel haben natürlich auch Georg Dörr und Mark Perelman. Die beiden Freunde
haben nicht nur ihre Leidenschaft fürs Fechten gemeinsam. Sie kennen und schätzen
sich seit 14 Jahren, vor einem Jahr zogen sie auch zusammen in eine WG nach
Mannheim. Anzutreffen sind sie dort nur selten. Morgens Frühsport, vormittags an die
Uni, dann schnell was essen - viele Kohlenhydrate. Wenn einer kocht, dann ist das
Mark Perelman. "Das macht mir Spaß, zusammengewürfelt ist schnell was." Danach
geht es manchmal wieder zur Vorlesung, immer jedoch täglich zum Training in die
Halle, den Kraftraum, zur Massage oder an den Olympiastützpunkt. Drei bis vier
Stunden wird geschwitzt. Der Tagesablauf ist durchgetaktet. "Meist sind wir nur zum
Schlafen hier", sagt Dörr und sein Kumpel Perelman nickt. Und das auch nur an
Wochentagen. Die Wochenenden sind für Wettkämpfe in aller Welt reserviert. Denn
noch wichtiger als deutsche Meisterschaften und Ranglistenturniere sind
Weltcupturniere gegen internationale Konkurrenz, an der die jungen Sportler weiter
wachsen können. Demnächst dürfen die Freunde zu den erstmals vom Europäischen
Olympischen Komitee veranstalteten Europaspielen reisen. 20 Sportarten suchen im
aserbaidschanischen Baku vom 12. bis 28. Juni ihre Besten.
Im Rio-Sichtungskader
Das Reisen hat in den letzten Monaten noch zusätzlich zugenommen, denn seit Dörr,
Perelman und Veitenheimer vom Bundestrainer im Sichtungskader beziehungsweise
Qualifikationsprogramm für Rio 2016 stehen, touren die Weinheimer Musketiere
zusammen mit Perspektivfechter Felix Klein von Turin und Bratislava über Barcelona
nach Havanna, zurück nach London, St. Petersburg und Shanghai.
"Wir reisen gern und ich bin total an anderen Kulturen interessiert", sagt Mark
Perelman, Student der Politikwissenschaft. Dass der Förderverein der TSG-Fechter, der
Hauptverein, die Abteilung und vor allem die Eltern die dabei entstehenden
Reisekosten aus eigener Tasche finanzieren müssen, versteht sich in der Randsportart
Fechten leider fast von selbst.
Setzt Euch dieses finanzielle Engagement noch zusätzlich unter Druck?
Georg Dörr: Nein, das muss man ausblenden können. Wenn wir das immer auf dem
Schirm hätten, würden wir nicht weit kommen. Im Wettkampf muss der Kopf frei sein.
Für Perelman und Dörr ist es die erste Saison bei den aktiven Fechtern. Unter diesem
Aspekt ist das Abschneiden bei der DM umso überragender. "Wir dürfen nichts
überbewerten. Um im Fechten Erfolg zu haben, braucht man vor allem Geduld.
Natürlich ist das Training wichtig, aber noch wichtiger ist es, so viel Praxis wie möglich
zu sammeln, um immer weiter dazuzulernen", sagt Georg Dörr.
Und Perelman fügt an: "Fechten, das ist quasi ein aktives Schachspiel, wie die
Kombination aus Boxen und Schach. Wenn du auf der Planche ungeduldig wirst, dann
nimmt dich dein Gegner auseinander." Nicht umsonst studiert er deshalb auch die
Konkurrenz und hält die Stärken und Schwächen der 30, 40 Besten der Welt in seinem
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Taktik-Notizbuch fest.
Überhaupt ist Perelman ein Freund der Regeln. Auch für die WG gibt es ein kleines
Büchlein. Sechs Seiten umfasst das Pamphlet. "Da stehen nicht viele Punkte drin. Aber
ein paar braucht es doch, damit das Zusammenleben hier klappt", sagt er und lacht
verschmitzt. Da kommt dann doch ein kleines bisschen der Papa durch, der als
ehemaliger ukrainischer Frauen-Nationaltrainer bei seinen Schützlingen extremen Wert
auf Disziplin legt: Beim Weinheimer Erfolgscoach ist das "Siezen" selbstverständlich
und Sitzen im Training geht gar nicht. Da wird auch der Sohn nicht ausgenommen. Die
Weinheimer Strenge ist Teil des Erfolgsrezepts.
Setzt sich die Perelman’sche Schule dann auch in der WG durch? Ist Mark der
Hausmeister?
Georg Dörr: Nein, nein. Mark ist ein ganz lässiger Typ, der immer einen lockeren
Spruch auf den Lippen hat. Und da wir eine klare Aufteilung beim Putzen der Zimmer
haben, gibt es keinen Streit. Außerdem: Inzwischen kennen wir uns so gut, da können
wir uns ganz gut die Meinung sagen, ohne dass einer beleidigt ist.
Apropos beleidigt: Wie ist es denn, wenn Ihr im Wettkampf aufeinandertrefft?
Mark Perelman: Wir kennen uns natürlich extrem gut, aber im Wettkampf ruht die
Freundschaft. Vor allem wenn es bei Weltcupturniern um Punkte geht, ist es natürlich
extrem schade. Selbstverständlich ärgere ich mich auch, wenn ich verliere. Aber
spätestens nach ein, zwei Stunden ist wieder alles normal.
Fechten ist demnach kein abendfüllendes Gesprächsthema?
Georg Dörr: Überhaupt nicht. Wir sprechen eher darüber, mit wem wir wann was
unternehmen. Und die Glotze läuft eigentlich auch ständig. Man muss auch mal
abschalten können und was ganz anderes tun.
Mark Perelman ficht zwar bei Meisterschaften für Neckarau, ist aber bei der TSG 1862
längst zu Hause. Dass die beiden in einem solch kleinen Verein wie in Weinheim den
ganz großen Sprung schaffen könnten, ist für sie kein Widerspruch. Ganz im Gegenteil:
"Wir haben hier alles was wir brauchen. Die Strukturen stimmen und mit Ciarán
Veitenheimer und den Kleins wachsen die nächsten starken Trainingspartner nach." An
der Uni bringt eine Sportkoordinatorin, die vielen Termine der beiden mit dem
Studieren in Einklang. "Solange wir studieren werden wir auch fechten. Mal sehen, wie
weit wir es so noch nach vorne schaffen."
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