04 SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL ✍ Story Wettlauf zum Nordpol Der Sylter Reeder Sven Paulsen wurde zu einer Expedition eingeladen, die er nicht mehr vergessen wird. Denn es galt, im Wettlauf mit anderen Teams, den Nordpol zu erreichen. Eine irre Strapaze. Jeder Schritt ein Kraftakt: Sich im Eismeer zu bewegen ist mehr als mühselig. FOTOS: LEYNAUD/ADLER-SCHIFFE VON MICHAEL STITZ „Du musst dich ständig bewegen. Wenn du nur eine Viertelstunde stehst, kühlst du total aus. Das hältst du nicht durch.“ Sven Paulsen erzählt von einer Tour, die er anders eingeschätzt hat, als sie dann tatsächlich ablief. „Nicht so hart, nicht so extrem.“ Der Sylter Reeder (Adler-Schiffe) mit Kapitänspatent und einer gewissen Portion Neugier und sportlichem Ehrgeiz war Teilnehmer des sogenannten Mamont Cup. Initiiert wurde dieser Cup von Frederik Paulsen jr., dem international tätigen Pharmaunternehmer mit tiefer und sehr gepflegter familiärer Bindung zur Insel Föhr. Dort kennt man Paulsen vor allem als ebenso großzügigen wie kenntnisreichen Stifter des vor wenigen Jahren eröffneten Museums der Westküste. Paulsen engagiert sich darüber hinaus mit seiner Ferring-Stiftung für Umweltprojekte und hier im Besonderen für die Erforschung der Pole. Der Mamont Cup soll für die faszinierende, aber bedrohte Natur der Pole sensibilisieren. Der Cup, der einerseits Expedition und andererseits Wettkampf sein soll, lehrt die Teilnehmer aber auch die Achtung vor den Kräften und eigenen Gesetzen dieser entlegenen, rauen Region. Als Sven Paulsen zu dem Wettlauf zum Nordpol eingeladen wurde, war ihm nicht klar, worauf er sich einlassen würde. „Be- Sonnabend, 9. Mai 2015 reits in 2013 hatte ich die Gelegenheit, den geographischen Südpol in der Antarktis zu besuchen, die Eindrücke haben mich bewogen etwas zum Erhalt der einzigartigen Polarregionen beizutragen.“ Doch der Südpol mit seinen festen Landmassen lässt sich leichter begehen. Am Nordpol dagegen beherrschen gewaltige Eisfelder das Bild, in denen sich das Eis ständig bewegt und zu zwei bis drei Meter hohen Bergen aufgetürmt werden, die man überwinden muss. Sven Paulsen hatte sich mit täglichem Lauftraining auf die Expedition vorbereitet. Doch was ihm dann abverlangt wurde, trieb ihn an seine körperlichen Grenzen. „Täglich werden etwa acht Stunden gelaufen“, schreibt er in einer ersten Mail vom Nordpol. „Schwierig hierbei sind einerseits der Schlitten, den man hinterherzieht, sowie das Umfeld. Man läuft über Packeis hinweg, das ständig in Bewegung ist. Dadurch bilden sich oft meterhohe Wälle, die mit Skiern und Schlitten überwunden werden müssen. Anschließend folgen dann Eisflächen, die mit Schnee belegt sind. Das Wetter wechselt innerhalb weniger Stunden. Und gelaufen wird bei jedem Wetter. Der Wind war nie unter BF 6 (Beaufortskala, eine 13-teilige Skala zur Klassifikation von Windgeschwindigkeit. Anm. d. R.) in der Regel bei ca. 7, teilweise auch 8 und mehr. Dadurch werden die Außentemperaturen von Minus 20 bis 25 Grad deutlich verstärkt. Während des Laufens öffnet man an den Seiten der Spezialjacken die Ventilationsschlitze, damit Schweiß abgeführt wird, der ansonsten bei Stillstand gefriert und einen Eispanzer auf der Haut bilden kann.“ Die Kälte ist aber nur eine Herausfor- 05 derung, „auf die man sich auch nicht vorbereiten kann.“ Zu der Kälte kommt die Sicht. Denn „zwischendurch gibt es whiteout, das heißt, es besteht nur Sicht auf wenige Meter – alles ist weiß, man muss eng zusammenbleiben, um sich nicht zu verlieren. Daneben müssen offene Spalten zwischen Eisschollen überwunden werden, für bis zu circa einem Meter breite Spalten (Leads) geht das über eine be- Erschöpft: Sven Paulsen und Christian Roeloffs von Föhr. stimmte Technik mit den Skiern. Wenn es breiter ist, muss der Bereich umlaufen werden und das kann Stunden dauern und die Gruppe vom Kurs abbringen.“ Der Mamont Cup gilt als „einer der härtesten Wettbewerbe der Welt“ . Dabei werden vier Gruppen mit je fünf Teilnehmern in einer gleichen Distanz vor dem Nordpol ausgesetzt und müssen den geografischen Nordpol zu Fuß erreichen. Die Gruppen sind gemischt mit zwei Profis und drei Laien. Jeder erhält eine Polar- Erinnerung an eine Expedition: Das Team von Sven Paulsen hat den Nordpol erreicht – wie einst der legendäre Frederik A. Cook. ausrüstung, die bis Minus 50 Grad schützt. Weitere Ausrüstung wird im Schlitten (Pulka) mitgeführt. Dazu gehören insbesondere Tagesrationen Trockennahrung, Schlafsack, Thermomatte und Ersatzkleidung. Das Gehen in den Schneemassen ist für die untrainierten Expeditionsteilnehmer eine extreme Belastung. „Ungefähr alle anderthalb Stunden wird eine Pause von circa zehn Minuten gemacht, länger ist nicht möglich, da man sofort auskühlt. Man kann sich nur durch ständige Bewegung warmhalten, bei noch so dicker Kleidung. Der Trinkkonsum ist enorm, alle 1,5 Stunden circa 0,5 Liter Tee oder Wasser aus der mitgeführten Thermoskanne.“ Geschlafen wird in einem Gemeinschaftszelt (Biwak), das sehr schnell innerhalb von 15 Minuten aufgebaut werden muss, da ansonsten Auskühlung droht. „Sobald das Biwak aufgebaut ist, wird ein zweiflammiger Kocher entzündet, der zunächst innen erwärmt. Danach wird Wasser aus Schneeblöcken hergestellt, das für die Thermoskannen vorgesehen ist. Gegessen wird die Trockennahrung, die mit Heißwasser versetzt wird. Nach einer Stunde wird der Kocher gelöscht und man schläft im Schlafsack.“ Die Erschöpfung zeigt sich auch darin, dass der „Schlaf tief, fest und lang ist meistens 10 Stunden.“ Den Nordpol zu erreichen, gehört zu den großen Abenteuern der Menschheit. „Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war die geografische Erforschung der Erde weitgehend abgeschlossen, lediglich ein markanter Punkt des Globus war noch nie betreten worden: der Nordpol. Die Suche nach dem arktischen Gral hatte zahllose 06 SCHLESWIG-HOLSTEIN JOURNAL Todesopfer unter Forschern wie Abenteurern gefordert und wurde zu einer Kette von Tragödien und Dramen, zu einer endlosen Saga von Mut und Überheblichkeit, von Tapferkeit, Neid und Verrat“, schreibt Johannes Zeilinger in seinem Buch „Auf brüchigem Eis – Frederik A. Cook und die Eroberung des Nordpols“. über die gefährliche Expedition. „Das Erreichen des Pols hatte auch hohen symbolischen Wert. Es markierte den Endpunkt der kolonialen Expansion des weißen Mannes, der die Erde mit einem fiktiven Netz von Linien überzogen hatte. Groß war daher die Begeisterung der zivilisierten Welt, als vor gut 100 Jahren bekannt wurde, dass endlich auch diese Bastion gefallen war. Zwei Amerikaner hatten den Norpol, so die Meldungen, unabhängig voneinander betreten: Am 21. April 1908 der Arzt Frederick Albert Cook und am 6. April 1909 der Marineingenieur Robert Edwin Peary.“ Die Berichte und Fotografien, die auf den Expeditionen entstanden, wirken bis heute und veranlassen ............................................................. „Die Suche nach dem arktischen Gral hatte zahllose Todesopfer unter Forschern wie Abenteuern gefordert.“ Johannes Zeilinger Buchautor ............................................................. gern dazu, die eine oder andere Szene nachzustellen. Besonders die Situation, als Cook mit seinen Männern den Pol glaubt erreicht zu haben und neben dem Zelt steht sowie das Zeigen der Flagge gehören zum kollektiven Gedächtnis. So gefährlich, ja tödlich, die früheren Expeditionen waren, so abgesichert sind sie heute. Beim Mamont Cup soll es nicht um Leben und Tod gehen, schon um Grenzerfahrungen. Doch die erleben die Teilnehmer in Teams, die mit erfahrenen Bergsteigern und Tourenbegleitern besetzt sind. „Ohne Begleitung durch unsere beiden Profis, Christian Marlieve und Jean Gabin Leynaud, hätten wir es nie geschafft – unmöglich, wir wären wahrscheinlich schon am ersten Tag erfroren.“ Am 18. April 2015 um 4 Uhr nachts schreibt ein erschöpfter Sven Paulsen, „wir haben nach fünf Tagen Fußmarsch den geographischen Nordpol erreicht. Damit konnte unser Team die Bronzemedaille des Mamont Cup gewinnen. Zu unserem Team gehörten Christian Marlieve (Frankreich), Jean Gabriel Leynaud (Frankreich), Jonas Vibell (Hawaii), Christian Roeloffs (Föhr) und ich.“ Sie Gefährliche Momente: Um die Spalten zwischen den Eisschollen zu überbrücken, braucht es eine besondere Technik, bei der die Skier eingesetzt werden. hatten ihr Zelt aufgebaut, um dann auf den Helikopter zu warten, der sie wieder zurück nach Spitzbergen bringen sollte. Doch die Witterungsverhältnisse ließen das nicht zu. „Wir mussten dann leider noch zwei Tage ausharren, da wegen Schneesturms der Helikopter nicht landen konnte“. Dann geht es zurück in das russische Icecamp Barneo. Von dort bringt eine Antonow sie nach Longyear- byen auf Spitzbergen und von dort geht es weiter nach Oslo. Sven Paulsen sitzt wieder in seinem Büro auf Sylt und erzählt von der Reise, die so ganz anders verlief als er zunächst annahm. „Für mich war es eine der bisher größten körperlichen und mentalen Herausforderungen. Das bleibt unvergessen, das Verhältnis zu den unberechenbaren Naturgewalten hat sich für mich neu definiert.“ ●
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