- Es gilt das gesprochene Wort - Staatssekretär Dr. Friedrich Kitschelt Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Politik: Gestaltung von nachhaltigem Wachstum Eingangsimpuls bei der Tagung des MISEREOR-Unternehmerforums 17.04.2015, 11:30 Uhr, Bonn 2 Sehr geehrter Msgr. Spiegel, sehr geehrte Frau Gabriele Kotulla (Telekom), sehr geehrte Frau Prof. Zahrnt (BUND-Ehrenvorsitzende), sehr geehrter Herr Prof. von Hauff (TU Kaiserslautern), sehr geehrter Herr Michael Wedell (Metro Group), sehr geehrter Herr Michael Stein (Desso Group BV.), sehr geehrte Frau Susanne Bergius (Moderation), sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie herzlichen Dank für die Einladung an diesem schönen Frühlingstag. Es ist mir eine große Freude heute hier in Vertretung von Bundesminister Dr. Gerd Müller, von dem ich Sie übrigens sehr herzlich grüßen soll, beim MISEROR Unternehmerforum zu sprechen. Zu einem Thema, dass uns schon jetzt und - ich bin sicher - in Zukunft noch viel mehr bewegen wird: nachhaltiges Wachstum. 3 Ich denke, wir alle hier sind uns einig, dass wir mehr Nachhaltigkeit benötigen, dass wir die Grenzen unseres einen Planeten stärker respektieren müssen. Ich nehme an, wir sind uns auch noch alle weitgehend einig, dass wir Wachstum benötigen – zumindest in vielen Teilen der Welt. Nur wie dieses Wachstum aussehen soll, in welchen Bereichen wir wachsen sollten, da gehen die Meinungen weit auseinander. Prof. von Hauff, Sie haben die verschiedenen Perspektiven ja in Ihrem Vortrag sehr anschaulich dargestellt. Um es vorweg zu nehmen: Für mich persönlich ist klar, dass wir weiterhin in vielen Staaten Wachstum brauchen. Und zwar eines, das allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht und das gleichzeitig globale ökologische Systeme bewahrt. Oder auf neudeutsch: Ein Wachstum, dass people-centred and planet sensetive ist. 4 Was wir brauchen, ist ein Wachstum, das im besten Wortsinne enkeltauglich ist. Denn das ist die Aufgabe unserer Generation: eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen weltweit und die kommenden Generationen schaffen. Das Leitbild dafür kann meines Erachtens nur die sozialökologische Marktwirtschaft sein, in der alle drei Teile gleichbedeutend sind – sozial, ökologisch und Markt. Oder wie Ludwig Erhardt sagte: „Wohlstand ist eine Grundlage, aber kein Leitbild für die Lebensgestaltung“. In der sozial-ökologischen Marktwirtschaft steht der Mensch im Mittelpunkt mit samt seinen schöpferischen Fähigkeiten und Entfaltungsmöglichkeiten - auf dem Fundament der christlichen Soziallehre. Es bedeutet auch, dass wir Chancengerechtigkeit anstreben – und zwar für alle Menschen - überall auf der Welt. Dass wir gemeinsam Verantwortung für unsere eine Welt übernehmen. 5 Ein Wachstum in diesem Werteverständnis gelingt nicht gegen Unternehmen wie viele Kritiker meinen – ein solches Wachstum gelingt nur mit ihnen. Umso mehr freue ich mich, dass wir uns heute bei der deutschen Telekom zusammen kommen, die schon seit vielen Jahren in vielen Bereichen ihrer unternehmerischen Verantwortung gerecht wird. Gemeinsam mit Ihnen – Vertretern der Kirchen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft – die sich alle den Möglichkeiten und Herausforderungen für nachhaltiges Wachstum tagtäglich, aber aus ganz verschiedenen Perspektiven widmen. Lassen Sie mich dem eine politische Sichtweise hinzufügen – genauer gesagt eine entwicklungspolitische. • Seit 1950 hat sich die Weltbevölkerung versiebenfacht. • Dabei ist es gelungen, dass heute über sechs Milliarden ausreichend zu essen haben. 6 • Seit 1990 ist die Zahl der Hungernden weltweit um knapp 40 Prozent gesunken. • Während 1991 noch 811 Mio. Menschen in extremer Armut lebten sind es heute noch 375 Mio. Man kann die Entwicklungen so erzählen – als Erfolgsgeschichte. Man kann aber auch auf die vor uns liegenden Herausforderungen verweisen – und die sind nach wie vor gewaltig: • Noch immer hungern über 800 Millionen Menschen. • Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger – fast 1000 allein während ich hier spreche; 8,8 Millionen Menschen jährlich. • Täglich sterben 17.000 Kinder unter fünf Jahren. Weil sie nie genug zu essen hatten. Oder keine Chance auf eine Impfung. 7 Oder nehmen sie die natürlichen Ressourcen: • 17% des Amazonas sind bereits durch Waldzerstörung verloren, weitere 17% bereits geschädigt. • Was wird passieren, wenn 2050 tatsächlich bis zu 40% des Amazonas vernichtet sein sollten? 40% des wichtigsten Kohlendioxidspeichers unseres Planeten? Zudem intensivieren wir dort, wo wir Fortschritte haben, auch die Nutzung unserer Ressourcen: Bis 2050 brauchen wir so 40% mehr Wasser, 50% mehr Energie und 80% mehr Nahrung. Man könnte sagen: das ist der normale Lauf der Dinge. Entwicklung dauert nun einmal, hat Nebenwirkungen und verläuft nicht linear. In vielen Systemen, ob Ökologie, Wirtschaft, Politik, sind Prozesse nicht linear. Problematisch wird es aber immer dann, wenn wir gewisse Punkte erreichen, ab dem positive Entwicklungen nicht mehr möglich sind. 8 Bei den Klimaänderungen diskutieren wir genau solche kritischen Schwellen. Die Gefahr besteht darin, dass sich Gesellschaften möglicherweise nur unter intensivsten Maßnahmen an die drastischen Klimaveränderungen anpassen können. Und diese Möglichkeiten stehen nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung. Wetterextreme werden dann vor allem die ohnehin strukturschwachen Regionen und Bevölkerungen in Bedrängnis bringen. Prof von Hauff, Sie beschäftigen sich ja unter anderem auch intensiv mit Indien. Ich habe dort selbst in den 90er Jahren ein landwirtschaftliches Projekt im Himalaya geleitet. Wie sich der Klimawandel auf das indische Monsunregime auswirkt und wie sich die Menschen daran anpassen können, das ist dort eine Frage ums Überleben. Und nicht nur dort: Wenn Entwicklungen letztlich als irreversibel wahrgenommen werden, dann können daraus leicht große Flüchtlingsströme erwachsen, die angrenzende Regionen destabilisieren und dort wiederum die 9 Möglichkeiten von Wohlstand und stabiler Entwicklung verringern. Die G7-Außenminister haben diese Woche genau darauf hingewiesen. Wie schaffen wir also angesichts dieser Herausforderungen eine Welt ohne Hunger, eine Welt, in der alle Menschen in Würde leben? Ich meine: • durch Investitionen und Innovationen, die Wachstum schaffen, • durch gemeinsamen politischen Willen, • Und durch einen Paradigmenwechsel zu mehr Nachhaltigkeit, der alle Politikfelder durchdringt. Bleiben wir zuerst beim Wachstum: Für viele gilt Nullwachstum als weg zur Entlastung der Umwelt. Das verkennt, dass Wachstum unabdingbare Voraussetzung für soziale Wohlfahrt ist. 10 Lord Stern sagte dazu kürzlich: „Wachstum auf der einen und Klima auf der anderen Seite auszuspielen ist nutzlos. [Er benutze ein viel drastischeres Wort]. Denn es wird nicht helfen, Armut zu überwinden und Klimawandel zu managen“. Und beides kann mir als Entwicklungspolitiker nicht egal ein. Wir haben in der Entwicklungspolitik noch kein Rezept, wie man Volkswirtschaften wachsen lässt. Beispiel Afrika: Von den zehn wachstumsstärksten Ländern weltweit liegen sechs auf unserem afrikanischen Nachbarkontinent. Gleichzeitig entwickeln sich insbesondere in Subsahara Afrika Volkswirtschaften auch sehr langsam, oder verzeichnen Rückschritte. Aktuelles Beispiel ist Westafrika: Die Ebola-Epidemie hat nicht nur über 10.000 Menschen das Leben gekostet. Sie hat auch die Entwicklungsfortschritte einer ganzen Region um viele Jahre zurückgeworfen. Was wir kennen, sind verschiedene Indizien, um Wachstum zu stimulieren. Um am Beispiel Westafrika zu bleiben: 11 • wir müssen schnell das Vertrauen der Unternehmen zurückgewinnen; • wir müssen die Gesundheitssysteme zu stärken, um neue Ausbrüche zu vermeiden. Die psychologische Komponente für Investoren ist dabei nicht zu unterschätzen. • Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Von Infrastruktur bis zur Antragsdauer, ein Unternehmen zu gründen, und • Wir brauchen regional angepasste Innovationen, die die Wirtschaft effizienter machen. An all diesen Stellschrauben arbeitet im Übrigen die deutsche Entwicklungspolitik. Das setzt zweitens voraus, dass die Akteure in unseren Partnerländern auch den Willen für ein Wachstum haben, das allen zu Gute kommt. 12 Wir werden keine längerfristigen Erfolge haben, ohne ein klares und glaubwürdiges Bekenntnis der politischen und wirtschaftlichen und - ich füge hinzu - auch der gesellschaftlichen Eliten – wie Religionsführern. Das bedeutet aber auch, dass die Eliten bei uns in den Industrieländern auch den Willen haben und sich nicht von Rückschlägen – wie aktuell in Westafrika – entmutigen lassen. Drittens müssen alle Aktivitäten von Beginn an auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Nachhaltigkeit muss das Gestaltungsprinzip von Entwicklung, ja all unseres Handelns sein. Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen: ökonomisch, sozial, ökologisch und kulturell. • Die ökologische Dimension, die die Bewahrung der Schöpfung und die Klimaschutz in den Mittelpunkt rückt; • die soziale Dimension, die soziale Ungleichheiten, eine wirtschaftliche Grundsicherung und globale Standards zum Thema hat; 13 • die ökonomische Dimension, mit dem Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit, um beständiges, qualitatives Wachstum zu erreichen, mit dem Fokus auf menschenwürdige Beschäftigung und auf ein neues Wohlstandsverständnis; • und ich füge hinzu: die politisch-kulturelle Dimension, die den ganzen Menschen mit seinen Rechten und Werten in den Blick nimmt. Ich bin davon überzeugt, dass uns Menschen über scheinbare Kultur- und Religionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Wertegrundlage verbindet. Wir mögen uns nicht alle einig sein, wer uns geschaffen hat. Vielleicht nicht einmal, ob wir geschaffen wurden. Aber wir wissen alle tief in uns, - dass die Menschenwürde unantastbar ist, - dass jeder Mensch politische und soziale Rechte hat, - dass Minderheiten geschützt werden müssen und - dass auch unsere Mitmenschen ein gutes Leben haben sollten. 14 Diese Werte sind das Fundament, das wir für nachhaltige Entwicklung nutzen können. Meine Damen und Herren, für einen solchen Paradigmenwechsel werden wir uns alle verändern müssen. Sie – ich – wir alle gemeinsam. Wir brauchen ein neues Denken und wir brauchen ein neues Handeln, und zwar vom Staat, von der Privatwirtschaft und von jedem Einzelnen von uns. In den Entwicklungsländern, in den aufstrebenden Schwellenländern und selbstverständlich und wahrlich nicht zuletzt auch in den Industrieländern. Gerade wir, die wohlhabenden Industrienationen, müssen dieser Verantwortung in besonderem Maße gerecht werden. Europa, die USA und Japan, ein Fünftel der Weltbevölkerung, produziert 2/3 der Verschmutzung beanspruchen vier Fünftel der Ressourcen unseres Planeten und besitzen vier Fünftel des Reichtums. 15 Würden alle Menschen auf der Erde nach den gleichen Wachstums- und Konsummustern leben, dann bräuchten wir bereits heute drei Planeten Erde. Ein solcher Lebensstil von wenigen auf Kosten vieler wird keine Zukunft für uns alle bereithalten. Sie alle kennen aus Ihren eigenen persönlichen Erfahrungen die konkreten Beispiele. Da wir heute bei der Telekom zu Gast sind, möchte ich es am Beispiel der Mobiltelefone illustrieren. Moderne Handys bestehen zu ungefähr 40 Prozent aus Metallen. Beispielsweise aus Tantal, das aus Coltanerz gewonnenen wird. Coltan wird in Afrika, vor allem in der Demokratischen Republik Kongo, oftmals unter teils absolut inakzeptablen menschenunwürdigen Bedingungen - vielfach in Kinderarbeit - gefördert. Zudem zerstört die Ausbeutung der Bodenschätze große Flächen des Regenwaldes – und damit beispielsweise auch den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Handys schließlich 16 zusammenbauen, erhalten oft einen Lohn, der nicht zur Existenzsicherung ihrer Familien reicht. Gleichzeitig werben die großen Mobilfunkanbieter mit dem Slogan „Jedes Jahr ein neues Smartphone“. Das führt dazu, dass in jeder Sekunde weltweit 55 Handys verkauft werden. Es wird geschätzt, dass etwa 83 Millionen Handys in deutschen Schubladen liegen. Wenn diese dann schließlich entsorgt werden, verursacht das wiederrum Kosten und ökologische Risiken. Ich habe dieses Beispiel heute sehr bewusst gewählt, denn mir ist sehr gut bewusst, dass die z.B. Telekom viel im Bereich CSR tut. Mit ihrer Sozialcharta übernehmen Sie Verantwortung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Telekom ist seit vielen Jahren Mitglied der „Initiative Conflict-Free Sourcing Initiative“, um Konfliktrohstoffe zu identifizieren und deren Bezug zu verhindern. Wenn wir dahin kommen, dass alle in ihrer Branche sich solchen Standards verschreiben, wäre das ein Riesenschritt in die richtige Richtung. 17 Oder nehmen Sie ein Beispiel aus der Textilwirtschaft: Für die Herstellung einer Jeans werden bis zu 10.000 l Wasser verbraucht! Noch gravierender ist der Energieaufwand. Vom Baumwollfeld bis ins Geschäft hat eine normale Jeans um die 50.000 Kilometer zurückgelegt, immer auf der Suche nach dem billigsten Anbieter. 50.000 Kilometer – das ist einmal um die ganze Welt und dann noch zweimal über den Atlantik. Und das alles, damit der Discounter sie bei uns für 9,90 € anbieten kann. Die Näherinnen in Bangladesch oder in anderen Ländern erhalten davon übrigens kaum mehr als 20 Cent. Wir können nicht weitermachen mit einer solchen „Wegwerf“und „Alles-Muss-Neu“-Mentalität. Wir können nicht dauerhaft ignorieren, dass unser Planet Grenzen hat. Und wir können auch nicht dauerhaft auf Kosten anderer billig konsumieren. Der Philosoph Vittorio Hösle, der von Papst Franziskus an die Päpstliche Akademie berufen wurde, hat daraus einen klaren Schluss gezogen. 18 Er sagt, die Universalisierbarkeit sei das Prinzip der modernen Ethik. Wenn also unser Lebensstil nicht universalisierbar ist, dann heißt das nichts anderes, als dass er unmoralisch ist. Es geht uns also etwas an, ob unser Wirtschaften, unser Konsum in anderen Ländern soziale oder Umweltprobleme schafft. Meine Damen und Herren, Wachstum darf kein Selbstzweck sein, sondern muss immer Mittel für ein besseres Leben sein. Nachhaltigkeit heißt, bereit zu sein, Wachstum und Wohlstand auf der Grundlage unserer Werte neu zu definieren. „Bewahren“ und „Entwickeln“ sind dann keine Gegensätze, sie greifen vielmehr ineinandergreifen. Kein bedenkenloser Konsum, sondern überlegt und fair. In unserem ur-eigensten Interesse müssen wir dafür sorgen, dass die Wirkungen unserer Handlung „verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, wie Hans Jonas in seinem ‚Prinzip Vernunft’ schreibt. 19 Es geht darum, Wohlstand und unser Verständnis davon umzubauen, nicht Wohlstand abzubauen. Meine Damen und Herren, Die deutsche G7-Präsidentschaft hat genau deswegen den Leitgedanken „Nachhaltig Leben“. Bundeskanzlerin Merkel hat es in ihrer Regierungserklärung vor dem Parlament so ausgedrückt: "Alle Menschen auf der Welt sollen ein Leben in Würde führen können. Gleichzeitig müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen." Denn für mich ist klar, dass zuerst die Industrieländer in der Pflicht stehen, mit gutem Beispiel voranzugehen Das bedeutet: • Der Auftrag zu mehr Nachhaltigkeit richtet sich an uns alle – am Ende auch an Sie und mich ganz direkt. Ich habe es bereits erwähnt: Wie konsumieren wir? • Und: Entwicklungspolitische Themen stehen ganz oben auf unserer G7 Agenda. Ich meine, so prominent wie schon sehr lange nicht mehr. 20 • Und schließlich wollen wir Maßnahmen, die nicht der „Gewissensberuhigung“ dienen, sondern mit denen wir „konkrete Ergebnisse“ erzielen. Ich möchte das an drei zentralen Vorhaben unserer Präsidentschaft darstellen: (1) Wir setzen uns innerhalb der G7 für einen sichtbaren Beitrag zur Beendigung von Hunger ein. • Meines Erachtens ist es unstrittig, dass wir erstmals die Gelegenheit haben, extreme Armut und Hunger nicht nur weiter zu verringern, sondern zu beenden! Deshalb wird dies auch ein zentrales Ziel der sog. SDGs sein, der Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030. • Unsere Präsidentschaft werden wir daher nutzen, einen sehr substanziellen und quantifizierbaren Beitrag der G7 zur Erreichung dieses Zieles zu formulieren. Und dies als sichtbares Angebot vor dem UNSondergipfel im September. • Denn: Nachhaltige Entwicklung fängt genau hier an. Menschen grundlegendste Perspektiven zu geben und sie 21 überhaupt erst bereit zu machen, Bildungs- und berufliche Angebote wahrzunehmen, die später zu mehr Wachstum führen. • Viele Wissenschaftler sind sich einig: Investitionen zur Bekämpfung von Unterernährung - gerade von Kindern - sind ökonomisch sinnvoll und bringen die besten Entwicklungsergebnisse für das eingesetzte Geld. • Dabei werden wir auch sehr bewusst in den Blick nehmen, wie die Nahrungsmittel produziert werden. Auch hier geht nicht allein um ein „immer mehr“ sondern auch um „immer nachhaltiger“. (2) Berufliche Bildung und die Förderung von Frauen. Wir alle wissen: für einen nachhaltigen Wachstumspfad sind eine aktive und zugleich verantwortungsvolle Privatwirtschaft sowie ein lebendiges Unternehmertum unverzichtbar. 22 Um dieser Ressource zu aktivieren, können wir es uns nicht leisten, einen klugen Kopf zu verlieren, ganz zu schweigen von ganzen Teilen der Gesellschaft. Für Frauen bestehen allerdings noch viele Hürden, so dass sie häufig nicht vollständig in den formalen Arbeitsmarkt integriert sind, übrigens sowohl in G7 als auch in Entwicklungsländern. Deshalb hat die Bundeskanzlerin die berufliche Bildung von Frauen, ganz besonders die Förderung von Unternehmerinnen zu einem Schwerpunkt unserer Präsidentschaft gemacht. Ein stärkerer Zugang von Frauen zu beruflicher Qualifizierung ist für die Entwicklung eines Landes von großer Bedeutung. Denn: der berufliche Erfolg von Frauen ist unmittelbar entwicklungsfördernd, investieren doch Frauen wesentlich mehr Geld in die Gesundheit und Bildung ihrer Familien als Männer und damit wiederum in die Voraussetzungen von Wachstum. 23 Die G7 werden sich verpflichten, bis 2030 ein Drittel mehr Frauen in Entwicklungsländern beruflich auszubilden. Die G7-Staaten werden zudem die sieben Women Empowerment Principles von UN und Global Compact auf höchster Ebene unterstützen. Auch Sie können das übrigens mit Ihrer Unterschrift tun. (3) Soziale und ökologische Standards in Lieferketten Unser dritter entwicklungspolitischer Schwerpunkt verdeutlicht den Nachhaltigkeitsgedanken im nachhaltigen Wachstum – und das er sich an uns alle richtet. Damit die Arbeiterinnen und Arbeiter, die z.B. unsere Kleidung produzieren, auch davon leben können, oder ihre Kinder zur Schule schicken können, dafür brauchen wir Mindeststandards für Arbeits-, Gesundheits-, und Umweltschutz. 24 Deswegen hat Bundesminister Dr. Gerd Müller letzten Herbst ein Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet – zusammen mit vielen Vorreitern der Branche. Ihr Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR zählt hier ebenfalls zu den Vorreitern der ersten Stunde. Wofür ich Ihnen nochmals ausdrücklich danken möchte. Im Textilbündnis verpflichten sich Unternehmen, Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und die Bundesregierung auf Sozial- und Umweltstandards bei der Produktion unserer Kleidung. Und dies vom Baumwollfeld bis zum Bügel. Inzwischen zählen wir knapp 70 Mitglieder. Gerade die großen Unternehmen waren anfangs zögerlich. Ich bin aber sehr zuversichtlich, das Bündnis sehr bald auf eine noch breitere Basis zu stellen. Dabei ist die Textilindustrie nur ein Beispiel für globale Lieferketten. Es muss uns über einzelne Sektoren hinaus gelingen, in einer globalisierten Weltwirtschaft nachhaltig zu wirtschaften. 25 Dies ist auch Aufgabe und Verantwortung von Unternehmen. Die Wirtschaft auf Dauer ein bisschen „nachhaltig“ zu verpacken wird auf Dauer nicht überzeugen. Der Vertreter eines großen Unternehmens, das dem Bündnis noch nicht beigetreten ist, sagt: „Was man Minister Müller lassen muss, ist: Die gesamte – wirklich die gesamte – Branche bewegt sich. Unternehmen, die sich bisher kaum engagiert haben, fragen nun: Was können und müssen wir tun? Das gab es so vorher nicht.“ Gleichzeitig unterstützen wir die Konsumenten in Deutschland, nachhaltig produzierte Kleidung zu erkennen. Immer mehr Menschen wollen wissen, wo ihr T-Shirt genäht wurde, unter welchen Bedingungen die Baumwolle angebaut wurde, oder ob die Kaffeebauern einen fairen Preis gezahlt bekommen. Deshalb hat mein Ministerium das Informations-Portal „Siegelklarheit“ ins Netz gebracht - in Abstimmung mit anderen Ministerien. 26 Mit der dazugehörigen Handy-App können Sie die verschiedenen Siegel auf ihre Aussagekraft hin direkt im Laden überprüfen. Das schafft Transparenz und ist auch in unserem entwicklungspolitischen Interesse. Denn wir sind überzeugt: wenn wir in den Industrieländern unserer Verantwortung nachkommen und „nachhaltig leben“, dann können wir auch Menschen in anderen Ländern ein besseres Leben ermöglichen. Genau diesen umfassenden Ansatz bringen wir in die G7 ein. Wir wollen unsere G7 Partner zur Schaffung für mehr Transparenz für die Verbraucher ermutigen. Gleichzeitig wollen wir die herstellenden Entwicklungsländer und dortigen Unternehmen unterstützen, z.B. ganz konkret beim Arbeitsoder Brandschutz. Ganz im Sinne von: Eine Welt unsere Verantwortung! Damit wird der „Frei-Handel“ schrittweise zum „Fair-Handel“. 27 Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, haben wir uns dicke Bretter in unserer G7 Präsidentschaft für nachhaltiges Wachstum und Nachhaltige Entwicklung vorgenommen. Eins ist klar: Wir werden diese Bretter nur gemeinsam bohren können: Als Regierungen, Privatunternehmen, Gewerkschaften, als Kirchen und gesellschaftliche Gruppen, und nicht zuletzt, wir alle und jeder und jede einzelne, als Kundinnen und Kunden. Was mich dabei ermutigt, ist das wachsende Bewusstsein der Menschen für diese Fragen und damit auch eine wachsende Nachfrage nach nachhaltig produzierten Gütern. Von diesem Bewusstsein war schon Adam Smith in seiner Theorie der ethischen Gefühle überzeugt, in der er schrieb, dass das moralisch richtige Handeln dem Menschen ein wahres inneres Bedürfnis sei. 28 War die wirtschaftswissenschaftliche Theorie lange Zeit vor allem davon geprägt, den Menschen als egoistischen Nutzenmaximierer zu sehen, und das in erster Linie im quantitativen oder monetären Sinn, so hat der FairnessGedanke inzwischen viel Beachtung gefunden. • Ist es inzwischen nicht ein ganz logischer Teil meiner Nutzenmaximierung, auf soziale und ökologische Qualität zu setzen und nicht allein auf Quantität? • Und ist nicht genau das ein Handeln nach unseren Werten und ethisch-moralischen Vorstellungen? Aufgabe unserer Politik ist es, das rationale Verhalten eines empathischen und auf Fairness bedachten nutzenmaximierenden Menschen zu unterstützen. Das Textilbündnis ist das sichtbarste Zeichen dieser Politik. Diese Politik findet sich auch in den SDGs, wie wir im September in New York verabschieden werden. Sie richten sich an Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen. 29 Wir werden uns ernsthaft Gedanken machen müssen: • wie wir in DEU nachhaltiges Wachstum erreichen; • wie wir z.B. systematisch Wirtschaftswachstum vom CO2-Verbrauch entkoppeln; • wie wir es schaffen, dass unser Elektroschrott nicht auf den Halden Ghanas die Umwelt und die Gesundheit der Menschen zerstört. Dazu werden wir systematisch unsere Anreizsysteme und Gesetze überprüfen müssen. Und wir werden uns von liebgewonnen Gewohnheiten lösen müssen. Mit der Überarbeitung der nat. Nachhaltigkeitsstrategie nimmt sich die BReg dem an. Wir werden sie klar auf die SDGs ausrichten und in praktische Regierungsarbeit übersetzen. Ein Beispiel: wir verpflichten uns als BReg, 50% der Textilien aus nachhaltiger Produktion zu beschaffen. 30 In dem Maße, wie wir uns auch an die Ziele nachhaltiger Entwicklung anpassen, in dem Maße wird Deutschland selbst zum Entwicklungsland. Und noch etwas wird deutlich: die SDGs werden wir nur erreichen, wenn wir eine wahre globale Partnerschaft eingehen. Verantwortung von allen für alle. Das ist es, was wir brauchen um nachhaltiges Wachstum zu erzielen. Die Grundlage dafür ist die gemeinsame Wertebasis, die ich zu Beginn in der polit. Dimension der Nachhaltigkeit skizziert habe - eine globale Verantwortungsethik. Wir verfolgen deshalb eine Entwicklungspolitik „Made in Germany“, die auf diesen Werten aufbaut. Auf meinen Reisen – zuletzt nach Kambodscha und Vietnam – erlebe ich, dass wir weltweit mit Attributen assoziiert werden wie: • Freiräume für unternehmerisches Handeln, • Starke Sozialpartnerschaften 31 • eine klare Ordnungspolitik sowie die • enge Kooperation mit der Wirtschaft z.B. in der beruflichen Ausbildung. Kurz: mit unserer sozialen Marktwirtschaft. Wir nutzen diese besonderen Stärken Deutschlands, um mit guter Entwicklungspolitik gute Chancen für nachhaltige Wachstum und Entwicklung zu schaffen. Ich möchte hier nur die wichtigsten umreißen: - Unterstützung des rechtlichen Rahmen für nachhaltiges Wirtschaften; - Stärkung von Kleinst- und mittelständischen Unternehmen, um Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen; - Finanzielle Einbindung von armen Bevölkerungsgruppen - Verbesserung der marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen, um Wettbewerb in einem transparenten Umfeld mit klaren Regeln zu ermöglichen; 32 - Stärkung von Forschung und Entwicklung, um Innovationen zu ermöglichen; Insgesamt wurden dafür im vergangenen Jahr knapp 760 Millionen Euro zugesagt. Innovative Lösungsansätze für unsere Partner schaffen auch die zahlreichen Projekte unseres Programms developpp.de. Unsere Durchführungsorganisationen DEG, GIZ und sequa haben seit 1999 mehr als 1.700 Projekte gemeinsam mit der Privatwirtschaft in Entwicklung- und Schwellenländern durchgeführt. Über 60 Prozent der Mittel wurden dabei von den Unternehmen selbst eingebracht. Ihnen, meine Damen und Herren, eröffnet das neue Chancen auf neuen Märkten. Darüber hinaus hat die deutsche Entwicklungspolitik jahrzehntelange Erfahrung vor Ort. Diese Expertise können Sie nutzen. Im BMZ haben wir für Sie eine Servicestelle für die Wirtschaft eingerichtet, die allen interessierten Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite steht. 33 Um Sie noch besser zu unterstützen zu können, bauen wir diese Servicestelle momentan aus. Ab Mitte des Jahres finden Sie uns mit verstärkter Mannschaft direkt im Haus der Verbände in Berlin. Meine Damen und Herren, Genau heute, vor über 520 Jahren, hat Christoph Kolumbus die Erlaubnis und finanzielle Unterstützung erhalten für seine Suche nach einem Seeweg nach Indien. Genau zu Beginn einer solchen Reise befinden wir uns wieder. Die Gestaltung von nachhaltigem Wachstum bedeutet für mich, dass wir bei all unseren Aktivitäten Themen wie Ressourcenschutz sowie die Würde des Menschen viel stärker bedenken. Genau dieser Maxime folgt die deutsche Entwicklungspolitik. Sie, die Zivilgesellschaft, Kirchen und verantwortlich handelnde Wirtschaft wollen wir dafür als Verbündete. 34 Verbündete, die sich mit uns für eine gerechtere Welt engagieren. Globale Entwicklung und nachhaltiges Wachstum sind unsere gemeinsame Verantwortung. Dazu müssen wir Ideen entwickeln. Ideen entwickeln, wie wir die Welt von morgen besser nachhaltig und nachhaltig besser machen können. Ideen, wie wir alle gemeinsam auf diesem Planeten in Würde und Gerechtigkeit leben können. Dazu dient der heutige Tag und deswegen danke ich Ihnen nochmals sehr herzlich für die Einladung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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