Politik: Gestaltung von nachhaltigem Wachstum

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Es gilt das gesprochene Wort -
Staatssekretär Dr. Friedrich Kitschelt
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Politik: Gestaltung von nachhaltigem Wachstum
Eingangsimpuls bei der Tagung des MISEREOR-Unternehmerforums
17.04.2015, 11:30 Uhr, Bonn
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Sehr geehrter Msgr. Spiegel,
sehr geehrte Frau Gabriele Kotulla (Telekom),
sehr geehrte Frau Prof. Zahrnt (BUND-Ehrenvorsitzende),
sehr geehrter Herr Prof. von Hauff (TU Kaiserslautern),
sehr geehrter Herr Michael Wedell (Metro Group),
sehr geehrter Herr Michael Stein (Desso Group BV.),
sehr geehrte Frau Susanne Bergius (Moderation),
sehr geehrte Damen und Herren,
haben Sie herzlichen Dank für die Einladung an diesem
schönen Frühlingstag.
Es ist mir eine große Freude heute hier in Vertretung von
Bundesminister Dr. Gerd Müller, von dem ich Sie übrigens
sehr herzlich grüßen soll, beim MISEROR Unternehmerforum
zu sprechen.
Zu einem Thema, dass uns schon jetzt und - ich bin sicher - in
Zukunft noch viel mehr bewegen wird: nachhaltiges
Wachstum.
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 Ich denke, wir alle hier sind uns einig, dass wir mehr
Nachhaltigkeit benötigen, dass wir die Grenzen unseres
einen Planeten stärker respektieren müssen.
 Ich nehme an, wir sind uns auch noch alle weitgehend
einig, dass wir Wachstum benötigen – zumindest in vielen
Teilen der Welt.
 Nur wie dieses Wachstum aussehen soll, in welchen
Bereichen wir wachsen sollten, da gehen die Meinungen
weit auseinander.
Prof. von Hauff, Sie haben die verschiedenen
Perspektiven ja in Ihrem Vortrag sehr anschaulich
dargestellt.
Um es vorweg zu nehmen: Für mich persönlich ist klar, dass wir
weiterhin in vielen Staaten Wachstum brauchen.
Und zwar eines, das allen Menschen ein Leben in Würde
ermöglicht und das gleichzeitig globale ökologische Systeme
bewahrt.
Oder auf neudeutsch: Ein Wachstum, dass people-centred
and planet sensetive ist.
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Was wir brauchen, ist ein Wachstum, das im besten Wortsinne
enkeltauglich ist.
Denn das ist die Aufgabe unserer Generation: eine
lebenswerte Zukunft für alle Menschen weltweit und die
kommenden Generationen schaffen.
Das Leitbild dafür kann meines Erachtens nur die sozialökologische Marktwirtschaft sein, in der alle drei Teile
gleichbedeutend sind – sozial, ökologisch und Markt.
Oder wie Ludwig Erhardt sagte: „Wohlstand ist eine
Grundlage, aber kein Leitbild für die Lebensgestaltung“.
In der sozial-ökologischen Marktwirtschaft steht der Mensch
im Mittelpunkt mit samt seinen schöpferischen Fähigkeiten
und Entfaltungsmöglichkeiten - auf dem Fundament der
christlichen Soziallehre.
Es bedeutet auch, dass wir Chancengerechtigkeit anstreben –
und zwar für alle Menschen - überall auf der Welt. Dass wir
gemeinsam Verantwortung für unsere eine Welt
übernehmen.
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Ein Wachstum in diesem Werteverständnis gelingt nicht gegen
Unternehmen wie viele Kritiker meinen – ein solches
Wachstum gelingt nur mit ihnen.
Umso mehr freue ich mich, dass wir uns heute bei der
deutschen Telekom zusammen kommen, die schon seit vielen
Jahren in vielen Bereichen ihrer unternehmerischen
Verantwortung gerecht wird.
Gemeinsam mit Ihnen – Vertretern der Kirchen, der
Zivilgesellschaft und der Wissenschaft – die sich alle den
Möglichkeiten und Herausforderungen für nachhaltiges
Wachstum tagtäglich, aber aus ganz verschiedenen
Perspektiven widmen.
Lassen Sie mich dem eine politische Sichtweise hinzufügen –
genauer gesagt eine entwicklungspolitische.
• Seit 1950 hat sich die Weltbevölkerung
versiebenfacht.
• Dabei ist es gelungen, dass heute über sechs
Milliarden ausreichend zu essen haben.
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• Seit 1990 ist die Zahl der Hungernden weltweit
um knapp 40 Prozent gesunken.
• Während 1991 noch 811 Mio. Menschen in
extremer Armut lebten sind es heute noch 375
Mio.
Man kann die Entwicklungen so erzählen – als
Erfolgsgeschichte.
Man kann aber auch auf die vor uns liegenden
Herausforderungen verweisen – und die sind nach wie vor
gewaltig:
• Noch immer hungern über 800 Millionen Menschen.
• Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger – fast
1000 allein während ich hier spreche; 8,8 Millionen
Menschen jährlich.
• Täglich sterben 17.000 Kinder unter fünf Jahren. Weil
sie nie genug zu essen hatten. Oder keine Chance auf
eine Impfung.
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Oder nehmen sie die natürlichen Ressourcen:
• 17% des Amazonas sind bereits durch
Waldzerstörung verloren, weitere 17% bereits
geschädigt.
• Was wird passieren, wenn 2050 tatsächlich bis
zu 40% des Amazonas vernichtet sein sollten?
40% des wichtigsten Kohlendioxidspeichers
unseres Planeten?
Zudem intensivieren wir dort, wo wir Fortschritte haben, auch
die Nutzung unserer Ressourcen: Bis 2050 brauchen wir so
40% mehr Wasser, 50% mehr Energie und 80% mehr
Nahrung.
Man könnte sagen: das ist der normale Lauf der Dinge.
Entwicklung dauert nun einmal, hat Nebenwirkungen und
verläuft nicht linear.
In vielen Systemen, ob Ökologie, Wirtschaft, Politik, sind
Prozesse nicht linear. Problematisch wird es aber immer
dann, wenn wir gewisse Punkte erreichen, ab dem positive
Entwicklungen nicht mehr möglich sind.
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Bei den Klimaänderungen diskutieren wir genau solche kritischen
Schwellen.
Die Gefahr besteht darin, dass sich Gesellschaften möglicherweise
nur unter intensivsten Maßnahmen an die drastischen
Klimaveränderungen anpassen können.
Und diese Möglichkeiten stehen nicht allen Menschen
gleichermaßen zur Verfügung. Wetterextreme werden dann vor allem
die ohnehin strukturschwachen Regionen und Bevölkerungen in
Bedrängnis bringen.
Prof von Hauff, Sie beschäftigen sich ja unter anderem auch intensiv
mit Indien. Ich habe dort selbst in den 90er Jahren ein
landwirtschaftliches Projekt im Himalaya geleitet.
Wie sich der Klimawandel auf das indische Monsunregime
auswirkt und wie sich die Menschen daran anpassen können, das ist
dort eine Frage ums Überleben.
Und nicht nur dort: Wenn Entwicklungen letztlich als
irreversibel wahrgenommen werden, dann können daraus
leicht große Flüchtlingsströme erwachsen, die angrenzende
Regionen destabilisieren und dort wiederum die
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Möglichkeiten von Wohlstand und stabiler Entwicklung
verringern. Die G7-Außenminister haben diese Woche genau
darauf hingewiesen.
Wie schaffen wir also angesichts dieser Herausforderungen
eine Welt ohne Hunger, eine Welt, in der alle Menschen in
Würde leben?
Ich meine:
• durch Investitionen und Innovationen, die Wachstum
schaffen,
• durch gemeinsamen politischen Willen,
• Und durch einen Paradigmenwechsel zu mehr
Nachhaltigkeit, der alle Politikfelder durchdringt.
Bleiben wir zuerst beim Wachstum:
Für viele gilt Nullwachstum als weg zur Entlastung der Umwelt.
Das verkennt, dass Wachstum unabdingbare Voraussetzung
für soziale Wohlfahrt ist.
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Lord Stern sagte dazu kürzlich: „Wachstum auf der einen und
Klima auf der anderen Seite auszuspielen ist nutzlos. [Er
benutze ein viel drastischeres Wort]. Denn es wird nicht helfen,
Armut zu überwinden und Klimawandel zu managen“.
Und beides kann mir als Entwicklungspolitiker nicht egal ein.
Wir haben in der Entwicklungspolitik noch kein Rezept, wie
man Volkswirtschaften wachsen lässt.
Beispiel Afrika: Von den zehn wachstumsstärksten Ländern
weltweit liegen sechs auf unserem afrikanischen
Nachbarkontinent. Gleichzeitig entwickeln sich insbesondere
in Subsahara Afrika Volkswirtschaften auch sehr langsam,
oder verzeichnen Rückschritte.
Aktuelles Beispiel ist Westafrika: Die Ebola-Epidemie hat nicht
nur über 10.000 Menschen das Leben gekostet. Sie hat auch
die Entwicklungsfortschritte einer ganzen Region um viele
Jahre zurückgeworfen.
Was wir kennen, sind verschiedene Indizien, um Wachstum
zu stimulieren. Um am Beispiel Westafrika zu bleiben:
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• wir müssen schnell das Vertrauen der Unternehmen
zurückgewinnen;
• wir müssen die Gesundheitssysteme zu stärken, um
neue Ausbrüche zu vermeiden. Die psychologische
Komponente für Investoren ist dabei nicht zu
unterschätzen.
• Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Von
Infrastruktur bis zur Antragsdauer, ein Unternehmen zu
gründen, und
• Wir brauchen regional angepasste Innovationen, die die
Wirtschaft effizienter machen.
An all diesen Stellschrauben arbeitet im Übrigen die deutsche
Entwicklungspolitik.
Das setzt zweitens voraus, dass die Akteure in unseren
Partnerländern auch den Willen für ein Wachstum haben, das
allen zu Gute kommt.
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Wir werden keine längerfristigen Erfolge haben, ohne ein
klares und glaubwürdiges Bekenntnis der politischen und
wirtschaftlichen und - ich füge hinzu - auch der
gesellschaftlichen Eliten – wie Religionsführern.
Das bedeutet aber auch, dass die Eliten bei uns in den
Industrieländern auch den Willen haben und sich nicht von
Rückschlägen – wie aktuell in Westafrika – entmutigen lassen.
Drittens müssen alle Aktivitäten von Beginn an auf
Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.
Nachhaltigkeit muss das Gestaltungsprinzip von
Entwicklung, ja all unseres Handelns sein.
Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen: ökonomisch, sozial,
ökologisch und kulturell.
•
Die ökologische Dimension, die die Bewahrung der
Schöpfung und die Klimaschutz in den Mittelpunkt rückt;
•
die soziale Dimension, die soziale Ungleichheiten, eine
wirtschaftliche Grundsicherung und globale Standards
zum Thema hat;
13
•
die ökonomische Dimension, mit dem Fokus auf
Wettbewerbsfähigkeit, um beständiges, qualitatives
Wachstum zu erreichen, mit dem Fokus auf
menschenwürdige Beschäftigung und auf ein neues
Wohlstandsverständnis;
•
und ich füge hinzu: die politisch-kulturelle Dimension,
die den ganzen Menschen mit seinen Rechten und Werten
in den Blick nimmt.
Ich bin davon überzeugt, dass uns Menschen über
scheinbare Kultur- und Religionsgrenzen hinweg eine
gemeinsame Wertegrundlage verbindet. Wir mögen uns
nicht alle einig sein, wer uns geschaffen hat. Vielleicht
nicht einmal, ob wir geschaffen wurden. Aber wir wissen
alle tief in uns,
- dass die Menschenwürde unantastbar ist,
- dass jeder Mensch politische und soziale Rechte hat,
- dass Minderheiten geschützt werden müssen und
- dass auch unsere Mitmenschen ein gutes Leben haben
sollten.
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Diese Werte sind das Fundament, das wir für
nachhaltige Entwicklung nutzen können.
Meine Damen und Herren,
für einen solchen Paradigmenwechsel werden wir uns alle
verändern müssen. Sie – ich – wir alle gemeinsam.
Wir brauchen ein neues Denken und wir brauchen ein neues
Handeln, und zwar vom Staat, von der Privatwirtschaft und von
jedem Einzelnen von uns.
In den Entwicklungsländern, in den aufstrebenden
Schwellenländern und selbstverständlich und wahrlich nicht
zuletzt auch in den Industrieländern.
Gerade wir, die wohlhabenden Industrienationen, müssen
dieser Verantwortung in besonderem Maße gerecht werden.
Europa, die USA und Japan, ein Fünftel der
Weltbevölkerung, produziert 2/3 der Verschmutzung
beanspruchen vier Fünftel der Ressourcen unseres
Planeten und besitzen vier Fünftel des Reichtums.
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Würden alle Menschen auf der Erde nach den gleichen
Wachstums- und Konsummustern leben, dann bräuchten wir
bereits heute drei Planeten Erde.
Ein solcher Lebensstil von wenigen auf Kosten vieler wird
keine Zukunft für uns alle bereithalten.
Sie alle kennen aus Ihren eigenen persönlichen Erfahrungen
die konkreten Beispiele.
Da wir heute bei der Telekom zu Gast sind, möchte ich es am
Beispiel der Mobiltelefone illustrieren.
Moderne Handys bestehen zu ungefähr 40 Prozent aus
Metallen. Beispielsweise aus Tantal, das aus Coltanerz
gewonnenen wird. Coltan wird in Afrika, vor allem in der
Demokratischen Republik Kongo, oftmals unter teils absolut
inakzeptablen menschenunwürdigen Bedingungen - vielfach
in Kinderarbeit - gefördert.
Zudem zerstört die Ausbeutung der Bodenschätze große
Flächen des Regenwaldes – und damit beispielsweise auch
den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Berggorillas.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Handys schließlich
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zusammenbauen, erhalten oft einen Lohn, der nicht zur
Existenzsicherung ihrer Familien reicht.
Gleichzeitig werben die großen Mobilfunkanbieter mit dem
Slogan „Jedes Jahr ein neues Smartphone“.
Das führt dazu, dass in jeder Sekunde weltweit 55 Handys
verkauft werden. Es wird geschätzt, dass etwa 83 Millionen
Handys in deutschen Schubladen liegen. Wenn diese dann
schließlich entsorgt werden, verursacht das wiederrum Kosten
und ökologische Risiken.
Ich habe dieses Beispiel heute sehr bewusst gewählt, denn mir
ist sehr gut bewusst, dass die z.B. Telekom viel im Bereich
CSR tut. Mit ihrer Sozialcharta übernehmen Sie
Verantwortung entlang der gesamten
Wertschöpfungskette. Die Telekom ist seit vielen Jahren
Mitglied der „Initiative Conflict-Free Sourcing Initiative“, um
Konfliktrohstoffe zu identifizieren und deren Bezug zu
verhindern.
Wenn wir dahin kommen, dass alle in ihrer Branche sich
solchen Standards verschreiben, wäre das ein Riesenschritt
in die richtige Richtung.
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Oder nehmen Sie ein Beispiel aus der Textilwirtschaft:
Für die Herstellung einer Jeans werden bis zu 10.000 l Wasser
verbraucht! Noch gravierender ist der Energieaufwand. Vom
Baumwollfeld bis ins Geschäft hat eine normale Jeans um die
50.000 Kilometer zurückgelegt, immer auf der Suche nach
dem billigsten Anbieter. 50.000 Kilometer – das ist einmal um
die ganze Welt und dann noch zweimal über den Atlantik.
Und das alles, damit der Discounter sie bei uns für 9,90 €
anbieten kann. Die Näherinnen in Bangladesch oder in
anderen Ländern erhalten davon übrigens kaum mehr als 20
Cent.
Wir können nicht weitermachen mit einer solchen „Wegwerf“und „Alles-Muss-Neu“-Mentalität.
Wir können nicht dauerhaft ignorieren, dass unser Planet
Grenzen hat. Und wir können auch nicht dauerhaft auf Kosten
anderer billig konsumieren.
Der Philosoph Vittorio Hösle, der von Papst Franziskus an die
Päpstliche Akademie berufen wurde, hat daraus einen klaren
Schluss gezogen.
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Er sagt, die Universalisierbarkeit sei das Prinzip der
modernen Ethik. Wenn also unser Lebensstil nicht
universalisierbar ist, dann heißt das nichts anderes, als dass
er unmoralisch ist.
Es geht uns also etwas an, ob unser Wirtschaften, unser
Konsum in anderen Ländern soziale oder Umweltprobleme
schafft.
Meine Damen und Herren,
Wachstum darf kein Selbstzweck sein, sondern muss immer
Mittel für ein besseres Leben sein.
Nachhaltigkeit heißt, bereit zu sein, Wachstum und
Wohlstand auf der Grundlage unserer Werte neu zu
definieren. „Bewahren“ und „Entwickeln“ sind dann keine
Gegensätze, sie greifen vielmehr ineinandergreifen.
Kein bedenkenloser Konsum, sondern überlegt und fair.
In unserem ur-eigensten Interesse müssen wir dafür sorgen,
dass die Wirkungen unserer Handlung „verträglich sind mit der
Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, wie Hans
Jonas in seinem ‚Prinzip Vernunft’ schreibt.
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Es geht darum, Wohlstand und unser Verständnis davon
umzubauen, nicht Wohlstand abzubauen.
Meine Damen und Herren,
Die deutsche G7-Präsidentschaft hat genau deswegen den
Leitgedanken „Nachhaltig Leben“.
Bundeskanzlerin Merkel hat es in ihrer Regierungserklärung
vor dem Parlament so ausgedrückt: "Alle Menschen auf der
Welt sollen ein Leben in Würde führen können. Gleichzeitig
müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen."
Denn für mich ist klar, dass zuerst die Industrieländer in der
Pflicht stehen, mit gutem Beispiel voranzugehen
Das bedeutet:
• Der Auftrag zu mehr Nachhaltigkeit richtet sich an uns alle
– am Ende auch an Sie und mich ganz direkt.
Ich habe es bereits erwähnt: Wie konsumieren wir?
•
Und: Entwicklungspolitische Themen stehen ganz oben
auf unserer G7 Agenda. Ich meine, so prominent wie
schon sehr lange nicht mehr.
20
•
Und schließlich wollen wir Maßnahmen, die nicht der
„Gewissensberuhigung“ dienen, sondern mit denen wir
„konkrete Ergebnisse“ erzielen.
Ich möchte das an drei zentralen Vorhaben unserer
Präsidentschaft darstellen:
(1) Wir setzen uns innerhalb der G7 für einen sichtbaren
Beitrag zur Beendigung von Hunger ein.
•
Meines Erachtens ist es unstrittig, dass wir erstmals die
Gelegenheit haben, extreme Armut und Hunger nicht
nur weiter zu verringern, sondern zu beenden! Deshalb
wird dies auch ein zentrales Ziel der sog. SDGs sein, der
Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030.
•
Unsere Präsidentschaft werden wir daher nutzen, einen
sehr substanziellen und quantifizierbaren Beitrag der
G7 zur Erreichung dieses Zieles zu formulieren.
Und dies als sichtbares Angebot vor dem UNSondergipfel im September.
•
Denn: Nachhaltige Entwicklung fängt genau hier an.
Menschen grundlegendste Perspektiven zu geben und sie
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überhaupt erst bereit zu machen, Bildungs- und berufliche
Angebote wahrzunehmen, die später zu mehr Wachstum
führen.
•
Viele Wissenschaftler sind sich einig: Investitionen zur
Bekämpfung von Unterernährung - gerade von Kindern
- sind ökonomisch sinnvoll und bringen die besten
Entwicklungsergebnisse für das eingesetzte Geld.
•
Dabei werden wir auch sehr bewusst in den Blick nehmen,
wie die Nahrungsmittel produziert werden. Auch hier
geht nicht allein um ein „immer mehr“ sondern auch um
„immer nachhaltiger“.
(2) Berufliche Bildung und die Förderung von Frauen.
Wir alle wissen: für einen nachhaltigen Wachstumspfad sind
eine aktive und zugleich verantwortungsvolle
Privatwirtschaft sowie ein lebendiges Unternehmertum
unverzichtbar.
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Um dieser Ressource zu aktivieren, können wir es uns nicht
leisten, einen klugen Kopf zu verlieren, ganz zu schweigen von
ganzen Teilen der Gesellschaft.
Für Frauen bestehen allerdings noch viele Hürden, so dass sie
häufig nicht vollständig in den formalen Arbeitsmarkt
integriert sind, übrigens sowohl in G7 als auch in
Entwicklungsländern.
Deshalb hat die Bundeskanzlerin die berufliche Bildung von
Frauen, ganz besonders die Förderung von
Unternehmerinnen zu einem Schwerpunkt unserer
Präsidentschaft gemacht.
Ein stärkerer Zugang von Frauen zu beruflicher
Qualifizierung ist für die Entwicklung eines Landes von großer
Bedeutung.
Denn: der berufliche Erfolg von Frauen ist unmittelbar
entwicklungsfördernd, investieren doch Frauen wesentlich
mehr Geld in die Gesundheit und Bildung ihrer Familien als
Männer und damit wiederum in die Voraussetzungen von
Wachstum.
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Die G7 werden sich verpflichten, bis 2030 ein Drittel mehr
Frauen in Entwicklungsländern beruflich auszubilden.
Die G7-Staaten werden zudem die sieben Women
Empowerment Principles von UN und Global Compact auf
höchster Ebene unterstützen. Auch Sie können das übrigens
mit Ihrer Unterschrift tun.
(3) Soziale und ökologische Standards in Lieferketten
Unser dritter entwicklungspolitischer Schwerpunkt verdeutlicht
den Nachhaltigkeitsgedanken im nachhaltigen Wachstum –
und das er sich an uns alle richtet.
Damit die Arbeiterinnen und Arbeiter, die z.B. unsere Kleidung
produzieren, auch davon leben können, oder ihre Kinder zur
Schule schicken können, dafür brauchen wir
Mindeststandards für Arbeits-, Gesundheits-, und
Umweltschutz.
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Deswegen hat Bundesminister Dr. Gerd Müller letzten
Herbst ein Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet –
zusammen mit vielen Vorreitern der Branche.
Ihr Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR zählt hier ebenfalls zu
den Vorreitern der ersten Stunde. Wofür ich Ihnen nochmals
ausdrücklich danken möchte.
Im Textilbündnis verpflichten sich Unternehmen,
Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und die Bundesregierung
auf Sozial- und Umweltstandards bei der Produktion unserer
Kleidung. Und dies vom Baumwollfeld bis zum Bügel.
Inzwischen zählen wir knapp 70 Mitglieder. Gerade die
großen Unternehmen waren anfangs zögerlich. Ich bin aber
sehr zuversichtlich, das Bündnis sehr bald auf eine noch
breitere Basis zu stellen.
Dabei ist die Textilindustrie nur ein Beispiel für globale
Lieferketten. Es muss uns über einzelne Sektoren hinaus
gelingen, in einer globalisierten Weltwirtschaft nachhaltig zu
wirtschaften.
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Dies ist auch Aufgabe und Verantwortung von
Unternehmen. Die Wirtschaft auf Dauer ein bisschen
„nachhaltig“ zu verpacken wird auf Dauer nicht überzeugen.
Der Vertreter eines großen Unternehmens, das dem Bündnis
noch nicht beigetreten ist, sagt: „Was man Minister Müller
lassen muss, ist: Die gesamte – wirklich die gesamte –
Branche bewegt sich. Unternehmen, die sich bisher kaum
engagiert haben, fragen nun: Was können und müssen wir tun?
Das gab es so vorher nicht.“
Gleichzeitig unterstützen wir die Konsumenten in Deutschland,
nachhaltig produzierte Kleidung zu erkennen.
Immer mehr Menschen wollen wissen, wo ihr T-Shirt genäht
wurde, unter welchen Bedingungen die Baumwolle angebaut
wurde, oder ob die Kaffeebauern einen fairen Preis gezahlt
bekommen.
Deshalb hat mein Ministerium das Informations-Portal
„Siegelklarheit“ ins Netz gebracht - in Abstimmung mit anderen
Ministerien.
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Mit der dazugehörigen Handy-App können Sie die
verschiedenen Siegel auf ihre Aussagekraft hin direkt im Laden
überprüfen.
Das schafft Transparenz und ist auch in unserem
entwicklungspolitischen Interesse.
Denn wir sind überzeugt: wenn wir in den Industrieländern
unserer Verantwortung nachkommen und „nachhaltig
leben“, dann können wir auch Menschen in anderen Ländern
ein besseres Leben ermöglichen.
Genau diesen umfassenden Ansatz bringen wir in die G7
ein. Wir wollen unsere G7 Partner zur Schaffung für mehr
Transparenz für die Verbraucher ermutigen. Gleichzeitig wollen
wir die herstellenden Entwicklungsländer und dortigen
Unternehmen unterstützen, z.B. ganz konkret beim Arbeitsoder Brandschutz.
Ganz im Sinne von: Eine Welt unsere Verantwortung!
Damit wird der „Frei-Handel“ schrittweise zum „Fair-Handel“.
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Meine Damen und Herren,
wie Sie sehen, haben wir uns dicke Bretter in unserer G7
Präsidentschaft für nachhaltiges Wachstum und
Nachhaltige Entwicklung vorgenommen.
Eins ist klar: Wir werden diese Bretter nur gemeinsam bohren
können: Als Regierungen, Privatunternehmen,
Gewerkschaften, als Kirchen und gesellschaftliche Gruppen,
und nicht zuletzt, wir alle und jeder und jede einzelne, als
Kundinnen und Kunden.
Was mich dabei ermutigt, ist das wachsende Bewusstsein der
Menschen für diese Fragen und damit auch eine wachsende
Nachfrage nach nachhaltig produzierten Gütern.
Von diesem Bewusstsein war schon Adam Smith in seiner
Theorie der ethischen Gefühle überzeugt, in der er schrieb,
dass das moralisch richtige Handeln dem Menschen ein
wahres inneres Bedürfnis sei.
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War die wirtschaftswissenschaftliche Theorie lange Zeit vor allem
davon geprägt, den Menschen als egoistischen
Nutzenmaximierer zu sehen, und das in erster Linie im
quantitativen oder monetären Sinn, so hat der FairnessGedanke inzwischen viel Beachtung gefunden.
• Ist es inzwischen nicht ein ganz logischer Teil meiner
Nutzenmaximierung, auf soziale und ökologische
Qualität zu setzen und nicht allein auf Quantität?
• Und ist nicht genau das ein Handeln nach unseren
Werten und ethisch-moralischen Vorstellungen?
Aufgabe unserer Politik ist es, das rationale Verhalten eines
empathischen und auf Fairness bedachten
nutzenmaximierenden Menschen zu unterstützen.
Das Textilbündnis ist das sichtbarste Zeichen dieser Politik.
Diese Politik findet sich auch in den SDGs, wie wir im
September in New York verabschieden werden. Sie richten
sich an Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen.
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Wir werden uns ernsthaft Gedanken machen müssen:
• wie wir in DEU nachhaltiges Wachstum erreichen;
• wie wir z.B. systematisch Wirtschaftswachstum vom
CO2-Verbrauch entkoppeln;
• wie wir es schaffen, dass unser Elektroschrott nicht auf
den Halden Ghanas die Umwelt und die Gesundheit der
Menschen zerstört.
Dazu werden wir systematisch unsere Anreizsysteme und
Gesetze überprüfen müssen.
Und wir werden uns von liebgewonnen Gewohnheiten lösen
müssen.
Mit der Überarbeitung der nat. Nachhaltigkeitsstrategie nimmt
sich die BReg dem an. Wir werden sie klar auf die SDGs
ausrichten und in praktische Regierungsarbeit übersetzen.
Ein Beispiel: wir verpflichten uns als BReg, 50% der Textilien
aus nachhaltiger Produktion zu beschaffen.
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In dem Maße, wie wir uns auch an die Ziele nachhaltiger
Entwicklung anpassen, in dem Maße wird Deutschland
selbst zum Entwicklungsland.
Und noch etwas wird deutlich: die SDGs werden wir nur
erreichen, wenn wir eine wahre globale Partnerschaft
eingehen. Verantwortung von allen für alle.
Das ist es, was wir brauchen um nachhaltiges Wachstum zu
erzielen. Die Grundlage dafür ist die gemeinsame
Wertebasis, die ich zu Beginn in der polit. Dimension der
Nachhaltigkeit skizziert habe - eine globale
Verantwortungsethik.
Wir verfolgen deshalb eine Entwicklungspolitik „Made in
Germany“, die auf diesen Werten aufbaut.
Auf meinen Reisen – zuletzt nach Kambodscha und Vietnam –
erlebe ich, dass wir weltweit mit Attributen assoziiert werden
wie:
• Freiräume für unternehmerisches Handeln,
• Starke Sozialpartnerschaften
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• eine klare Ordnungspolitik sowie die
• enge Kooperation mit der Wirtschaft z.B. in der beruflichen
Ausbildung.
Kurz: mit unserer sozialen Marktwirtschaft.
Wir nutzen diese besonderen Stärken Deutschlands, um mit
guter Entwicklungspolitik gute Chancen für nachhaltige
Wachstum und Entwicklung zu schaffen.
Ich möchte hier nur die wichtigsten umreißen:
- Unterstützung des rechtlichen Rahmen für nachhaltiges
Wirtschaften;
- Stärkung von Kleinst- und mittelständischen
Unternehmen, um Beschäftigungsmöglichkeiten zu
schaffen;
- Finanzielle Einbindung von armen Bevölkerungsgruppen
- Verbesserung der marktwirtschaftliche
Rahmenbedingungen, um Wettbewerb in einem
transparenten Umfeld mit klaren Regeln zu ermöglichen;
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- Stärkung von Forschung und Entwicklung, um
Innovationen zu ermöglichen;
Insgesamt wurden dafür im vergangenen Jahr knapp 760
Millionen Euro zugesagt.
Innovative Lösungsansätze für unsere Partner schaffen auch
die zahlreichen Projekte unseres Programms developpp.de.
Unsere Durchführungsorganisationen DEG, GIZ und sequa
haben seit 1999 mehr als 1.700 Projekte gemeinsam mit der
Privatwirtschaft in Entwicklung- und Schwellenländern
durchgeführt. Über 60 Prozent der Mittel wurden dabei von
den Unternehmen selbst eingebracht.
Ihnen, meine Damen und Herren, eröffnet das neue Chancen
auf neuen Märkten.
Darüber hinaus hat die deutsche Entwicklungspolitik
jahrzehntelange Erfahrung vor Ort.
Diese Expertise können Sie nutzen. Im BMZ haben wir für Sie
eine Servicestelle für die Wirtschaft eingerichtet, die allen
interessierten Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite steht.
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Um Sie noch besser zu unterstützen zu können, bauen wir
diese Servicestelle momentan aus. Ab Mitte des Jahres finden
Sie uns mit verstärkter Mannschaft direkt im Haus der
Verbände in Berlin.
Meine Damen und Herren,
Genau heute, vor über 520 Jahren, hat Christoph Kolumbus die
Erlaubnis und finanzielle Unterstützung erhalten für seine
Suche nach einem Seeweg nach Indien.
Genau zu Beginn einer solchen Reise befinden wir uns
wieder.
Die Gestaltung von nachhaltigem Wachstum bedeutet für
mich, dass wir bei all unseren Aktivitäten Themen wie
Ressourcenschutz sowie die Würde des Menschen viel stärker
bedenken.
Genau dieser Maxime folgt die deutsche Entwicklungspolitik.
Sie, die Zivilgesellschaft, Kirchen und verantwortlich handelnde
Wirtschaft wollen wir dafür als Verbündete.
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Verbündete, die sich mit uns für eine gerechtere Welt
engagieren. Globale Entwicklung und nachhaltiges
Wachstum sind unsere gemeinsame Verantwortung.
Dazu müssen wir Ideen entwickeln. Ideen entwickeln, wie wir
die Welt von morgen besser nachhaltig und nachhaltig
besser machen können.
Ideen, wie wir alle gemeinsam auf diesem Planeten in Würde
und Gerechtigkeit leben können.
Dazu dient der heutige Tag und deswegen danke ich Ihnen
nochmals sehr herzlich für die Einladung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.