- RTV Basel

Sport.Handball.
| Samstag, 18. April 2015 | Seite 41
Mit RTV-Goalie Pascal Stauber (35) verliert der Schweizer Handball ein Original
Ein ganz Grosser tritt ab
Von Fabian Kern
Herbst 1997, Pfaffenholz-Halle, gefühlte zwölf
Zuschauer. Mit dem HC Horgen, damals eine Spitzenmannschaft in der Nationalliga B, führten wir
den RTV Basel vor. Gegenstoss um Gegenstoss
wurde meinem bedauernswerten Gegenüber beim
brutalen 25:14 um die Ohren gehauen. Dieser war
offensichtlich ein ganz Junger mit einem ganz grossen Potenzial, der in jener höchst bescheidenen
Mannschaft allerdings drohte verheizt zu werden.
Sein Name: Pascal Stauber. Ich konnte damals noch
nicht wissen, dass sich unsere Wege im nächsten
Jahrzehnt immer wieder kreuzen würden. Als Gegner in der NLA und im Schweizer Cup sowie als
Mitspieler, Trainer und Schützling beim RTV Basel.
Wer in den letzten Jahren ein Spiel des
RTV Basel besuchte, war unweigerlich beeindruckt vom Schlussmann der Realturner – egal,
wie viel man mit Handball am Hut hat. Stauber
allein ist das Eintrittsgeld wert. Seine Ausstrahlung, seine Leidenschaft, seine Klasse bringen
Stimmung in jede noch so müde Partie. Er rennt
quer über den Platz, um sich für einen Mitspieler
einzusetzen, der unfair angegangen wurde, er
kann sich mit dem Schiedsrichter streiten, ohne
eine Zeitstrafe zu kassieren, und er riskiert auch
einmal ohne Not ein Gegentor, indem er mit dem
Ball prellend in den Angriff läuft, um Zeit zu
schinden. Der 35-Jährige peitscht sich und seine
Vorderleute nach jedem gehaltenen Schuss an
und verunsichert die Gegenspieler mit seinen
spektakulären Paraden in 1:1-Situationen im gleichen Mass wie mit seinem Trash-Talk. Sie werden
Stauber nicht vermissen, wenn die nächste Saison
beginnt. Der Schweizer Handball hingegen schon.
Um beim eigenen Verein zur grossen Figur zu
werden, muss man manchmal den Mut zum
Schritt in die Fremde haben. Stauber machte diesen Schritt gleich zweimal. Der jüngere Bruder von
Kreisläufer Michel verliess Basel das erste Mal nach
dem Abstieg in die 1. Liga, um via Dietikon-Urdorf
und Endingen den Weg zum grossen Pfadi Winterthur zu finden. Dort wurde er als zweiter Torhüter
verpflichtet, der Transfer des ausländischen
Goalies für die Nummer eins zerschlug sich – und
schon war Stauber im zarten Alter von 21 Jahren
Stammtorhüter bei einem Spitzenverein. Das ist
jenes Glück, das man braucht, um eine grosse Karriere zu machen. Dass er mit Pfadi gleich im ersten
Jahr Meister wurde, war hingegen kein Glück. Ich
weiss das nur zu gut, denn in jener Saison spielte
ich im Playoff-Final mit den Grasshoppers gegen
Pfadi um den Titel. Und unterlag in der Serie 1:3.
Stauber gewann in seiner ersten Saison als Stammgoalie in der NLA, die damals Swiss Handball
League hiess, das Double.
Auch in der Nationalmannschaft hatte Stauber
das nötige Glück. An der EM 2006 in der Schweiz
stand er, eigentlich die klare Nummer drei hinter
Christian Meisterhans und Antoine Ebinger, plötzlich zwischen den Pfosten und brillierte mit Glanzparaden in Serie. Wieder nutzte Stauber seine
Chance. Der Basler ist ein echter Champion. Die
ausgezeichnete Technik, die er bei guten TorhüterTrainern in Endingen, Winterthur und Zürich
erlernt hat, gepaart mit einem unbändigen Erfolgswillen und hohen Ansprüchen an sich selbst, ergibt
eine Siegermentalität, die er mit zunehmender
Routine perfektioniert hat. Als ich ihn nach dem
Ende meiner Aktiv-Karriere als Goalie-Trainer
Spektakel garantiert. Pascal Stauber bietet mit seiner ausgeprägten Sprungkraft und seiner Ausstrahlung beste Unterhaltung.
betreute, bestand meine Arbeit eigentlich nur
darin, ihn fit zu halten, auf die Spiele vorzubereiten und etwas zu coachen. Schwächen, die ich
hätte beheben können, konnte ich keine ausmachen. Er wusste selbst am besten, was er brauchte,
um am Wochenende Bälle zu halten.
Ausstrahlung, Leidenschaft,
Klasse – Pascal Stauber allein
ist das Eintrittsgeld wert.
Viele Basler kreideten Stauber seinen zweiten
Weggang an, weil er, der eingefleischte FCB-Fan,
sich nach einem weiteren Abstieg des RTV ausgerechnet das GC-Trikot überzog. Er folge nur dem
Geld. Das ist etwas zu kurz gedacht, denn als
Nationalspieler musste Stauber im Oberhaus spielen, und für Handball-Torhüter gibt es meistens
nicht viele freie Plätze. Wäre er wirklich dem Geld
gefolgt, dann hätte Stauber 2006 das Angebot der
Füchse Berlin (damals 2. Bundesliga) angenommen. Doch er setzte auf seine Lehrerausbildung
und hatte auch immer die Rückkehr zum RTV im
Hinterkopf. Als er bei Suhr engagiert war, sprachen wir ab, dass er mich nach meinem Rücktritt
in Basel beerben würde. Dieser kam für ihn vermeintlich ein Jahr zu früh, er bat mich deshalb,
noch ein Jahr beim RTV anzuhängen. Ich konnte
nicht, weil ich ein Jobangebot hatte, und schliesslich war Stauber froh darüber, denn er musste bei
Suhr aus Spargründen gehen – wieder ein Glücksfall. Aber nicht nur für Stauber, sondern auch für
den RTV. Kein Handballer mit seiner Klasse identi-
fiziert sich so sehr mit Basel wie Stauber, der in
seiner ganzen Karriere unter dem Dress ein ausgewaschenes T-Shirt, mehr Fetzen als Kleidungsstück, mit dem Foto von FCB-Skandalkicker
Sascha Rytschkow trug.
Der Gegenspieler Stauber ist bisweilen frustrierend, wenn er einen dieser Tage einzieht, an denen
er sein Tor vernagelt. Er ist aber stets fair und hat
Respekt vor seinem Gegenüber. Vor dem Cup-Viertelfinal im Dezember 2005, als er mit Suhr gegen
mich mit dem RTV spielte, wurden wir von der
BaZ im Doppelinterview gefragt, wer von uns
denn der bessere Goalie sei. Keiner wollte sich festlegen. Nachdem Suhr in der Verlängerung knapp
gewonnen hatte, kam er zu mir und sagte: «Heute
warst du der bessere.» Der Schützling Stauber ist
bisweilen frustrierend, weil er Übungen, die er
nicht mag, zwar absolviert, sein Desinteresse
daran aber unverhohlen zur Schau trägt. Der Mitspieler Stauber allerdings, der ist ein Ereignis. So
ein Spieler ist ein Segen für jede Mannschaft. Kein
Trainingsweltmeister, immer für einen Spruch gut,
beim Fussball engagierter als beim Schusstraining,
aber stets bereit, wenn es ihn braucht. Bei ihm ist
nach dem Spiel nicht Schluss, zweite Priorität hat
der FC Basel, dann geht das Programm in der
Stadt weiter. Auch deshalb hat es Stauber in den
Status eines Basler Sport-Originals geschafft. Der
Mann verbindet erfolgreichen Spitzensport und
Volksnähe wie nur ein anderer: Marco Streller.
Die Parallelen der beiden Leitwölfe sind
augenfällig: die Liebe zu Basel, die sich vor allem
in der Rückkehr nach erfolgreichen Engagements
in der Fremde äussert, die Ausstrahlung auf dem
Fotos Robert Varadi
Feld, die Wirkung auf die gegnerischen Fans, der
Unterhaltungswert der Interviews, der Abschluss
der Laufbahn mit voraussichtlich grossen Erfolgen
in der Meisterschaft und dem Cup-Epilog als Sahnehäubchen. Der einzige Unterschied liegt in der
Anzahl Titel – und dass Stauber seinen Traum von
einem Meistertitel mit dem Club seines Herzens
nie verwirklichen konnte. Dass Stauber und Streller gleichzeitig ihre grossen Karrieren beenden,
mag Zufall sein. Für die Sportregion Basel ist es
traurig. Solch prägende Figuren gibt es nicht
viele, egal in welcher Sportart.
BaZ-Redaktor Fabian Kern war selbst Handball-Spitzentorhüter in der NLA und NLB. Er hat mit Pascal Stauber
vier Vereine gemeinsam, bei denen er gespielt hat:
TV Suhr, Grasshopper Club Zürich, TV Endingen und
RTV Basel. Beim RTV betreute Kern Stauber nach seinem Rücktritt während drei Jahren als Goalietrainer.
Eingespieltes Duo. Fabian Kern (r.) erlebte
Stauber nach seiner Karriere als Goalie-Trainer.
Einen Sieg von der NLA entfernt
Nach zwei Saisons in der NLB steht der RTV vor dem Aufstieg
Basel. Besser könnte das Drehbuch für das Derby
Höhepunkt. Mit 22 Jahren gewann Stauber
seinen ersten Meistertitel mit Pfadi Winterthur.
Mittelpunkt. 116-mal trug Pascal Stauber das
Trikot des Schweizer Nationalteams. Fotos Keystone
Tiefpunkt. Mit dem RTV Basel stieg Stauber
zweimal ab – und heute zum ersten Mal auf?
zwischen dem RTV und Birsfelden nicht sein. Mit
einem Sieg können die Basler heute direkt in die
Nationalliga A aufsteigen, zudem wird im Rankhof
eine stattliche Kulisse erwartet (18 Uhr, Telebasel
live). Der RTV rechnet mit 1500 Besuchern. Das
Hinspiel gewannen die Realturner gegen den Liganeuling deutlich 33:25, allerdings präsentieren
sich die Baselbieter im 2015 von einer völlig anderen Seite. Mit 18 Punkten haben die Birsfelder in
diesem Jahr nur einen Zähler weniger als der RTV
geholt und sind somit in dieser Meisterschaftsphase das zweitbeste Team. Am Donnerstag
sicherten sich die Hafenstädter mit dem Erfolg
über Baden den Klassenerhalt auch rechnerisch,
nachdem sie nach der Hinrunde mit mickrigen
vier Zählern noch abgeschlagen am Tabellenende
gelegen hatten. Mit ein Grund für den Aufschwung
der Equipe von Thomas Reichmuth ist die Verpflichtung des Ungarn Adam Salamon in der Winterpause, der dem Team mehr Stabilität verleiht.
Gewinnt der RTV gegen Birsfelden, stünde er
zwei Jahre nach dem Abstieg wieder in der höchsten Spielklasse. Bei einer Niederlage oder einem
Remis sowie einem gleichzeitigen Sieg von Verfolger Endingen in Altdorf ginge die Meisterschaft für
die Basler weiter – mit zwei Barragespielen gegen
den Vorletzten der Nationalliga A.
Den Ligaerhalt noch nicht ganz auf sicher hat
hingegen der dritte regionale Vertreter in der
Nationalliga B, der TV Möhlin. Dass die Fricktaler
absteigen, ist aber unwahrscheinlich und bräuchte
eine hohe Niederlage Möhlins gegen Steffisburg
sowie einen hohen Sieg von Chênois bei Siggenthal/vom Stein Baden. dw
Handball. Nationalliga B
26. Runde. Samstag, 18 Uhr: Altdorf–Endingen. Baden–Horgen. RTV Basel–Birsfelden (Rankhof, Telebasel). Siggenthal/
vom Stein–Chênois. Kadetten Schaffhausen II–Kreuzlingen.
Steffisburg–Möhlin. Yellow Winterthur–Zofingen.
Die Tabelle
1. RTV Basel
2. Endingen
3. Altdorf
4. Siggenthal/Vom Stein
5. Baden
6. Kadetten Espoirs SH
7. Yellow Winterthur
8. Steffisburg
9. Birsfelden
10. Horgen
11. Zofingen
12. Möhlin
13. Chênois
14. Kreuzlingen +
+ Absteiger
25
25
25
25
25
25
25
25
25
25
25
25
25
25
19
19
13
13
11
11
11
8
9
9
8
9
7
6
1
0
6
2
5
1
1
6
4
3
4
2
4
5
5
6
6
10
9
13
13
11
12
13
13
14
14
14
688:613
693:597
691:648
628:627
629:614
672:658
650:639
667:686
630:655
645:663
649:678
662:699
698:755
621:691
39
38
32
28
27
23
23
22
22
21
20
20
18
17