Medienecho | Dazwischengefunkt

Brennpunkt l Mobilfunkanlagen
Mobilfunkanlagen l Brennpunkt
Aber hier leben, nein danke: Wo Mobil­funk­
antennen geplant werden, protestieren
die Anwohner. Bild: Marcel Müller
Dazwischengefunkt
Wenn Netzbetreiber im Siedlungsgebiet neue Mobilfunkanlagen planen, müssen sie mit Widerstand der
Anwohner rechnen. Weil sich diese vor negativen Auswirkungen auf die Gesundheit fürchten, sähen sie
die Anlagen lieber am Dorfrand. Doch mit dieser Forderung erweisen sie sich und ihrer Gemeinde einen
Bärendienst, sofern im Ort nicht komplette Funkstille herrschen soll. Von Marcel Müller
F
ür den Quartierfrieden keine Mobilfunkantenne im Wohngebiet», steht auf dem
Transparent, das die Anwohner nach ihrem
Triumph stolz in die Kamera halten. Im vergangenen Sommer haben sie erfolgreich verhindert, dass der Telekommunikationskonzern Sunrise auf einem Wohnhaus in ihrem Quartier in
Kreuzlingen eine Mobilfunkantenne montiert.
Fünf Jahre lang hat das Unternehmen das
Vorhaben verfolgt. Dann beugte es sich dem
Entscheid des Verwaltungsgerichts, das den Bau
aus Gründen des Ortsbildschutzes ablehnte.
Die Kreuzlinger Antennengegner sind in der
Schweiz nicht allein: Wenn Salt, Sunrise oder
Swisscom in einem Wohngebiet Sendeanlagen
errichten wollen, sind Proteste fast so gewiss
wie das Amen in der Kirche. Zurzeit stehen zum
Beispiel gerade die Einwohner der Gemeinde
Schupfart auf den Barrikaden. 181 der 750 Einwohner der Aargauer Gemeinde haben gegen
die neue Antenne im Dorf unterschrieben. In
der Gemeinde Rüschlikon ZH hat Sunrise eben
ein zweites Gesuch für den Bau einer Antenne
gestellt. Das erste hatte die Baukommission
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nicht bewilligt, und gegen die nun geplante,
kleinere Anlage formiert sich Widerstand in der
Nachbarschaft.
Für die Netzbetreiber sind die lokalen Proteste zweifellos ein Ärgernis, weil sie den Bau
neuer Anlagen verzögern. Gemäss Sunrise dauert es in der Regel bis zu drei Jahre, bis eine
geplante Antenne errichtet werden kann. In einer Zeit des rasanten technologischen Wandels
ist das eine halbe Ewigkeit. So ist die Zahl
der Mobilfunkteilnehmer gemäss dem Bundesamt für Statistik zwischen 2010 und 2013
um rund 1,5 Millionen auf über 11 Millionen
angewachsen. 2013 kamen demzufolge auf
100 Einwohner stattliche 136 Mobilfunkabos.
Noch deutlich stärker gewachsen ist in diesem
Zeitraum das Datenvolumen, das über das
Mobilfunknetz übertragen wird. 2010 betrug
es noch 6,5 Millionen Gigabytes, drei Jahre
später waren es 32,7 Millionen Gigabytes – das
entspricht einer Verfünffachung des Volumens.
Wollen die Netzbetreiber diese Zuwachsraten bewältigen, sind sie zu Ausbauten gezwungen. Dabei ist es gemäss Angaben von Sunri-
se unausweichlich, dass neben den bereits genutzten Standorten auch neue erschlossen
werden. «Der Ausbau bestehender Anlagen ist
aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen oft nicht möglich», schreibt das Unternehmen auf Anfrage.
Trotz Protesten gelingt es den Mobilfunkanbietern in den meisten Fällen, ihre Antennenprojekte schliesslich zu realisieren. Denn wenn
die bau- und umweltschutzrechtlichen Anforderungen erfüllt sind, müssen die Gemeindebehörden eine Anlage grundsätzlich bewilligen.
Eine häufig gewählte Hintertür, um ein Projekt
zu verhindern, ist allerdings der Nachweis, dass
eine Antenne das Ortsbild stört.
Angst vor Strahlung
Doch die Sorge um die Quartierästhetik allein
erklärt die Proteste der Anrainer nicht. Ihr wichtigstes Argument ist vielmehr die elektromagnetische Strahlung, die von den Sendemasten
ausgeht. Diese will man nicht vor dem eigenen
Haus haben, trotz strenger Grenzwerte, welche
solche Anlagen zu erfüllen haben.
Nr. 3 Juni/Juli 2015
Festgelegt sind diese Werte in der Verordnung
über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV). Elektromagnetische Felder verursachen nicht nur Mobilfunkantennen, sondern
auch Hochspannungsleitungen, Transformatoren oder Rundfunksender. Die in der Verordnung
definierten Immissionsgrenzwerte gelten überall, wo sich Menschen aufhalten können und
sollen «sicherstellen, dass nach dem Stand der
Wissenschaft oder der Erfahrung Immissionen
unterhalb dieser Werte Menschen nicht gefährden und die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören», wie das Bundesamt
für Umwelt (Bafu) schreibt.
Für Mobilfunkantennen gilt allerdings nicht
nur dieser allgemeine Immissionsgrenzwert,
sondern auch ein sogenannter Anlagegrenzwert. Dieser liegt gemäss Bafu um den Faktor 10
unter dem Immissionsgrenzwert und damit auch
ebenso weit unter der allgemein anerkannten Gefährdungsgrenze. Er gilt an sogenannt
«empfindlichen Orten» wie Wohnungen, Schulen, Spitälern oder Büros.
Aus Sicht der Telekomanbieter sind diese Vorgaben eher zu streng denn zu lasch: «Die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender
Strahlung (NISV) und ihr Vollzug verunmöglichen
bei einem Grossteil der in Betrieb stehenden
Mobilfunkantennen eine Erhöhung der Leistung,
um die stets steigende Netzlast bewältigen zu
können», heisst es seitens Sunrise. Es sei gerade
eine Folge der strengeren Grenzwerte, dass es
in der Schweiz mehr Anlagen benötige als im
benachbarten Ausland, um ein gleich grosses
Gebiet abzudecken. Zudem sei es aufgrund der
eingeschränkten Sendeleistung in Gebieten nahe
der Landesgrenze für die Anbieter schwierig, eine
gute Netzqualität sicherzustellen. «Im angrenzenden Ausland sind die Grenzwerte für die
Sendeleistung von Handy-Antennen um den Faktor 10 höher als in der Schweiz», schreibt Sunrise.
Deshalb komme es immer wieder zu Störungen
durch die Anlagen der ausländischen Betreiber.
Dagegen bleibt dagegen
Ganz anders beurteilen die Anlagenkritiker
die Grenzwerte des Bundesrats. So sagte etwa
der Gemeindeammann von Schupfart gegenüber der Aargauer Zeitung, er könne «nicht
so recht glauben», dass die in der NISV definierten Grenzwerte unbedenklich seien. Der Amtsträger verlangt deshalb, dass die Anlage in
seiner Gemeinde nicht im Zentrum, sondern
ausserhalb gebaut wird, wo bereits ein anderer Betreiber einen Sendemast aufgestellt hat.
Will man dem Bafu glauben, ist solches Misstrauen nicht nur unbegründet, sondern sogar
Nr. 3 Juni/Juli 2015
kontraproduktiv. In seinem Leitfaden für Gemeinden hält das Bundesamt fest: «Je grösser
die Distanz zwischen Basisstation und Nutzenden ist, desto höher muss die Leistung der Sendeanlage ausgelegt werden. Gleichzeitig wird
auch das Handy mehr Sendeleistung emittieren
und daher den Nutzer stärker mit Mobilfunkstrahlung exponieren.»
Gregor Dürrenberger ist Geschäftsführer der
Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation, die der ETH Zürich angegliedert ist. Aus
seiner Sicht machen die Antennenkritiker einen
Fehler, wenn sie die Mobilfunkantennen für sich
alleine betrachten. «Die Strahlendiskussion fokussiert stark auf die Antennen der Infrastruktur. Dabei fallen die Eigenemissionen der mobilen Endgeräte energetisch meist deutlich
stärker ins Gewicht», sagt Dürrenberger. Baue
man eine Anlage an den Ortsrand statt ins Zentrum, verschlechtere das die Gesamtsituation.
Alle, die ein Mobiltelefon benutzten, würden
dadurch stärkeren Emissionen ausgesetzt. «Gerade wenn man gegenüber der Technologie
gesundheitliche Bedenken hat, müsste man eigentlich darum bemüht sein, möglichst viele
dezentrale Sender aufzubauen», sagt Dürrenberger. Dadurch kämen sowohl die Antennen als
auch die Endgeräte mit geringerer Leistung aus,
wodurch die Strahlenbelastung für alle Mobilfunkteilnehmer im Allgemeinen geringer würde.
Langzeitwirkung unbekannt
Ob hochfrequente, nichtionisierende Strahlung
in Dosen, wie sie Sendeanlagen emittieren,
gesundheitlich tatsächlich unbedenklich ist,
kann die Wissenschaft bis heute nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Viele Studien konnten
keine Auswirkungen solcher elektromagnetischer Felder auf die Gesundheit feststellen.
Allerdings lässt sich über die Langzeitfolgen
der relativ jungen Technologie auch noch wenig sagen. Dennoch werden die hochfrequenten Emissionen immer wieder in Verbindung
gebracht mit Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen und anderen negativen Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten. Auf zellulärer
Ebene konnten einige Forscher bestimmte Effekte nachweisen. Doch als gesichert gelten
diese Ergebnisse nicht. Trotzdem stuft die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der
WHO die Emissionen als «möglicherweise krebserregend» ein. Es ist indes schwierig zu beurteilen, was das bedeutet – denn gemäss IARC
ist auch Kaffee «möglicherweise krebserregend».
Das Bafu jedenfalls hält in einer Publikation aus
dem Jahr 2012 in Bezug auf die Belastung durch
Sendeanlagen im Dosisbereich unterhalb der
Immissionsgrenzwerte fest: «Der Schutz vor
Akutwirkungen ist aus wissenschaftlicher Sicht
nach wie vor gewährleistet.»
Problem Demokratiedefizit
Gregor Dürrenberger sieht in den lokalen Protesten gegen Mobilfunksender angesichts dieser Fakten und der Tatsache, dass viele Protestierende selber ein Handy besitzen, auch einen
Stellvertreterkampf. Eine mögliche Erklärung für
die Opposition ist, dass die Realisierung von
Sendeanlagen schlechter in den demokratischen
Prozess integriert ist als das bei anderen Infrastrukturbauten der Fall ist. Diese werden etwa
über die kantonale Richtplanung politisch legitimiert. «Wenn im Ort etwas gebaut werden
soll, will die Bevölkerung ein Mitspracherecht»,
sagt Dürrenberger.
Um dieses Demokratiedefizit zu beheben,
das letztlich für die Verzögerungen beim Bau
von Anlagen mitverantwortlich ist, haben der
Kanton Zürich und die drei grossen Anbieter
Swisscom, Salt und Sunrise das sogenannte
Dialogmodell entworfen. Ziel dieses Verfahrens
ist es, die Gemeinden als Bewilligungsbehörden
früh in die Planung einzubeziehen und ihnen
so mehr Mitsprache bei der Standortwahl zu
ermöglichen. Das Modell sieht vor, dass die
Gemeinden mindestens einmal jährlich von
den Betreibern über die Planung neuer Antennen informiert werden, und allenfalls Alternativstandorte im Umkreis von 200 Metern vorschlagen können. So sollen auch Bauvorhaben
gebündelt und eine Parallelplanung der verschiedenen Anbieter verhindert werden. Nach
wie vor können aber auch bei diesem Vorgehen
im Rahmen der Bauausschreibungen von den
Anwohnern Einsprachen erfolgen. Dies wird,
wie sich aktuell in Rüschlikon abzeichnet, auch
weiterhin der Fall sein. ■
Mit den rechtlichen und raumplanerischen Spielräumen, die Gemeinden bei der Bewilligung von
Mobilfunkanlagen haben, befasst sich der Artikel «Behörden im Dilemma» auf der folgenden
Doppelseite.
Surftipps
Interaktive Karte der Standorte von Sendeanlagen
www.bakom.admin.ch ->Themen ->Standorte von
Sendeanlagen
Leitfaden Mobilfunk: Hilfe für Gemeinden
bei der Beurteilung von Mobilfunkantennen
www.bafu.admin.ch/publikationen
Website des Vereins Strahlungsfreies Kreuzlingen
www.strahlungsfrei.ch
kommunalmagazin.ch l 9