1 Schwindel der Wirklichkeit 17.9.–14.12.2014 3 4E d i t o r i a l 6 To Rearrange the Scene Manos Tsangaris im Gespräch mit Johannes Odenthal K ann die Kunst die Wirklichkeit verändern? 9–10 Statements von Klaus Staeck, Jutta Brückner, Wulf Herzogenrath, Birgit Hein A u ss t e l l u n g 11 Schwindel der Wirklichkeit Wie die Besucher die Kunst neu erfinden 14–27 Die Künstler und Werke 21 Visibility Machines Niels Van Tomme 21 28 Statement von Jan Distelmeyer Statements von Siegfried Zielinski, Anna-Catharina Gebbers, Manos Tsangaris 29–35 Metabolisches Büro zur Reparatur von Wirklichkeit 33 34 Statement von Andres Veiel Statement von Wilfried Wang M u s i k 36 Musik im SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT Der groSSe elektronische Schwindel 38 Hören und Sehen Musikwoche mit ensemble mosaik 40 41 MIDI-KLAVIER Präsentationen Peter Ablinger Das Wirkliche als Vorgestelltes S c h a u s p i e l 42 43 Warum spielt der Mensch? Wenn sich plötzlich die Zeit öffnet Über Schauspielen heute Junge Akademie 45 DOUBLE PROJECTION The folder is empty – we are present 45 K u n s t w e lt e n T a n z 46 Mistral hkeit.de www.schwindelderwirklic B a u k u n s t 48 Metabolische TherapieN zur Reparatur von Stadt-Wirklichkeit M e d i e n k u n s t 50 51 53 Franz Reimer, The Situation Room, 2013 Im Taumel. Auf der digitalen Schwelle S y m p o s i u m NG B K Der Metabolismus des sozialen Gehirns Kirmes und Kritik Monika Rinck 54Medienpartner 55Impressum 4 5 Editorial Editorial Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? Christian Falsnaes, Syntax Error, 2013 Ist das, was wir sehen, wirklich? Und was ist alles wirklich, ohne dass wir es sehen oder hören? Können wir unseren Sinnen trauen, ist ästhetische Erfahrung noch relevant für die Auf klärung von Wirklichkeit? Diese und ähnliche Fragen stehen am Anfang des Projekts SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT, das nach der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Relevanz der zeitgenössischen Künste fragt. Insbesondere durch die Entwicklung der neuen Medien von der Fotografie über das Video bis zur Digitalisierung aller Informationen ist die Reflexion von Wirklichkeit in den Künsten zu einem zentralen Experimentierfeld geworden. Geht es doch um eine Schlüsselfrage: Wie kann sich die ästhetische Wahrnehmung gegenüber naturwissenschaftlichen und technischen Ent wicklungen behaupten? Diese Frage hatte der Philosoph Alexander Gottlieb Baumgarten im 18. Jahrhundert zum Ausgangspunkt der Ästhetik als Wissenschaft gemacht. Exemplarisch beschreibt er die Betrachtung eines Sonnen aufgangs als gleichberechtigte Erfahrung neben den natur wissenschaftlichen Erkenntnissen von Erdumdrehung und Gravitation in der modernen Astronomie. Auf die Gegenwart angewandt haben sich in den letzten Jahrzehnten die technologischen und medialen Möglichkeiten potenziert. In Anbetracht der modernen Kriegsführung, der Finanzkrisen oder ungeahnter Möglichkeiten der Überwachung durch die Digitalisierung von Information und Kommunikation, befindet sich die ästhetische Erfahrung des Individuums im freien Fall. SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT ist eine Untersuchung der Akademie der Künste zu den Interventionen und Strategien zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler im Wechselspiel von künstlerischen, politischen und individuellen Wirklichkeiten. Kunst wird zum Raum der Neudefinition von Bezie hungen zwischen Betrachter und Welt, von Wahrnehmung und Wissen, von Ohnmacht und Verantwortung. Der Betrachter selbst wird zur Schnittstelle, zum substanziellen Zentrum der künstlerischen Arbeit. Die aktuelle Musik, das Schauspiel, Medien-Installationen, die Game Art oder die partizipativen Performance-Projekte erstellen neue Versuchsanordnungen, in denen sich das Individuum mit seiner Wahrnehmung, mit seiner digitalen und analogen Vernetzung oder seinen Vorstellungen von Wirklichkeit in Frage gestellt sieht und sich immer neu bestimmen muss. Wirklichkeit entzieht sich der festen Definition als wechselnde Konstruktion zwischen Wahrnehmung und Wirkung. Dieses Experimentierfeld in den Künsten wird durch exemplarische Positionen reflektiert. Dabei werden zeitgenössische Arbeiten auch in eine historische Perspektive bis in die 1960er-Jahre gestellt. Künstler greifen damals wie heute auf hochentwickelte Technologien zurück, um die verborgenen Machtstrukturen auch in demokratischen Gesellschaften sichtbar zu machen. In einem gemeinsamen, intensiven Prozess haben sich alle Sektionen der Akademie diesem Themenkomplex über ein Jahr lang gewidmet, um sich der Wirklichkeit von verschiedenen Seiten aus zu nähern. Die Akademie der Künste ist Partner der Berlin Art Week. Das Programm Schwindel der Wirklichkeit wird gemeinsam mit der diesjährigen Berlin Art Week am Hanseatenweg eröffnet. Trevor Paglen, KEYHOLE IMPROVED CRYSTAL from Glacier Point (Optical Reconnaissance Satellite; USA 186), 2008 6 7 hkeit.de www.schwindelderwirklic To rearrange the scene Manos Tsangaris im Gespräch mit Johannes Odenthal Johannes Odenthal Die Ausgangsfrage ist, wie sich die aktuelle Kunst in den gesellschaftlichen, politischen Raum ein mischen kann, welche Möglichkeiten der Intervention, der Verän derung durch Kunst existieren? Welche Strategien gibt es, den politischen Raum mit ästhetischen Mitteln herauszufordern? Manos Tsangaris Ich halte das für ein problematisches Feld. Sehr oft ist gerade die Kunst, die sich als politisch gebärdet, als Kunst und als vermeintlich politische Intervention gefährdet. Denn politisch wirksame Kunst setzt einen emphatischen Kunstbegriff voraus. Gerade wo sie sich gezielt in den Elfenbeinturm zurückzieht, kann sie politisch werden. Aber heute dürfen wir in keinem Fall die Situation subkomplex betrachten. Ich glaube nämlich, dass Avantgarde grundsätzlich nur gesellschaftliche Avantgarde sein kann. Davon auszugehen, dass irgendeine künstlerische Ausrichtung vorne liegt, fortschrittlich ist, erscheint mir sehr problematisch. Solange die Künste in gesellschaftlichen Systemen, die von Diktaturen bestimmt sind, sich oppositionell verhalten, ist das gesellschaftliche Avantgarde, aber künstlerisch nicht unbedingt wegweisend. Das wird sichtbar, wenn autoritäre Systeme zusammenbrechen. Als die gesellschaftliche Opposition 1989 in der DDR wegfiel, da gab es in den Künsten eine große Orientierungsschwierigkeit. Der Kapitalismus hat unheimlich elaborierte Techniken entwickelt, alles, was als ästhetische Benutzeroberfläche brauchbar ist, zu vereinnahmen und umzuwenden. Das bedeutet: Um in irgendeiner Form noch gesellschaftlich relevant arbeiten zu können – und auch mit einem gesellschaftspolitischen Bewusstsein, das ich jetzt mal in den Künsten voraussetze –, wird die Situation ungemein schwieriger. Wenn du für Gerechtigkeit eintrittst oder für die Sprachentwicklung der Künste, damit sie sich befreien, wie das bis Mitte der 1960erJahre geschehen ist, zu einem Zeitpunkt, wo die Gesellschaft wenigstens noch gezuckt hat, wenn sie akupunktiert wurde, konntest du dich als Künstler politisch gebärden. Danach ist meines Erachtens die einzige Chance, einen Zugriff auf das Politische zu finden, die konkrete Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Grammatiken der Sprachmittel, die im Spiel sind. Es geht darum, deren Zusammenspiel zu beobachten und zu untersuchen, welche Formen von Subversion, von Unterwanderung der Sprachmittel, die von gezielten Machtinteressen geleitet werden, überhaupt noch möglich sind. Das moderne Dogma einer immer weiter fortschreitenden Avant garde, einer Ideologisierung von Kunst, ist Geschichte. Die Frage ist nicht mehr, welche neuen Sprachen in den Künsten entwickelt werden, sondern es stellen sich eher Fragen der Rezeption, der Beziehungsgefüge, der Machtverhältnisse, der Strukturen. Alles steht heute zur Verfügung, es gibt Referenzen, Ironie, den komple xen Umgang mit diesem Steinbruch. Auf der anderen Seite ist das Verhältnis zwischen Betrachter und Werk auf den Kopf gestellt und untersucht worden. Das künstlerische Werk als materielles Objekt, als definierte Form entzieht sich zunehmend der Fixierung. Wie im Tanz spielt das Werk im Betrachter, wird durch den Besucher oder Betrachter erst Wirklichkeit. Das ist ja ein Weg, den du mit deinen szenischen Kompositionen auch erforschst, um zu diesem kritischen Engagement wieder zurückzufinden. Manos Tsangaris, Beiläufige Stücke: Mauersegler (2013) Dann stellt sich die Frage der Rezeptionssituation, also die Frage nach dem Rahmen als Teil des Prozesses der Wahrnehmung von Kunst. Denn alle Rahmen sind gesprengt worden. Und wo findet sich Werkhaftigkeit, der emphatische (beinahe religiöse) Kunstbegriff, wenn man ihn nicht mehr anhand äußerer Merkmale bestimmen kann? Um das einmal auf die Musik zu beziehen, wo ich mich auskenne: Da ist es ja so, dass die Gefäße, die geschaffen worden sind, zum Beispiel das Gefäß Konzertsaal, in ihrer Ritualisierung dazu führten, dass Musik überhaupt als autonome, als sogenannte absolute Kunstmusik wahrnehmbar wurde. Die Versuchsanordnung war so organisiert, dass der Rahmen komplett in den Hintergrund trat, damit eine vermeintlich leere Mitte entstehen konnte, in der dann die Musik stattfinden konnte, Musik eben als autonome Kunst, die keinen funktionalen Einbindungen verpflichtet war, wo es um tönend bewegte Form ging, wie Eduard Hanslick das gesagt hat. Das ist ja eine historische Errungenschaft, das ist ganz wichtig. Aber was ist damit passiert? Man konnte im Konzertsaal die Augen schließen. Alles andere als die Musik zu hören war nicht mehr wichtig. Dann setzte die technische Reproduzierbarkeit Gespräch ein. Das Augenschließen wurde gleichsam verabsolutiert. Und innerhalb von wenigen Jahren passten alle diese autonomen Kunstwerke in die Reproduktionsgeräte. Das heißt: Die Werkhaftigkeit des musikalischen Kunstwerks wurde radikal unterminiert. Du hörst zum Beispiel eine Beethovensymphonie, die als Zeitspanne durchkomponiert ist. Es klingelt das Telefon, du drückst auf Pause und unterbrichst das Stück, führst das Telefonat, drückst dann wieder auf Play. Die Frage „Wo ist das Kunstwerk?“ löst sich dann komplett ab von dem Objekt. Die Konzeptkunst war ursprünglich eine Protestbewegung gegen den Kunstmarkt. Was ist mit einer Kunst, die nur noch im Betrachter stattfindet, die nicht mehr käuflich ist? Eine Wanderung von Richard Long mit einer Fotografie eines Steins am Ende. Wenn ich an Musik, an Komposition interessiert bin, an einem bestimmten Werkzeugkasten, der in Europa entscheidende kulturhistorische Bedeutung hat, dann frage ich mich ab einem bestimmten Moment: Wo liegt jetzt das kompositorische Denken? Wo liegt der Wert des Komponierens an sich? Und das hat bei mir Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre dazu geführt, die Rezeptionsverhältnisse diametral umzudrehen. 1980 habe ich ein Stück für nur eine Person im Publikum geschrieben, ein Stück, nu r no ch im Be tra ch ter Wa s ist mi t ein er Ku ns t, die ? die nic ht me hr kä ufl ich ist sta ttf ind et, das auch nur einmal aufführbar war. Da habe ich einige Monate an dieser Partitur geschrieben. Das Ensemble ist um diese Person herum gruppiert. Zum Teil noch verdeckt, und die Person wusste auch nicht, dass das stattfinden würde. Ich habe versucht, die europäische Tradition des Komponierens, was die Werkhaftigkeit angeht, zu erhalten, auf der anderen Seite aber die Versuchsanordnung (d. h. die physischräumliche Erscheinungs- und Rezeptionsform des Werks) vollkommen umzudrehen. Es gibt keine Ab-Strahlung mehr von Kunst – so ist ja die Idee von Öffentlichkeit gestaltet, spätestens seit der Antike – sondern es gibt eine Ein-Strahlung. Und das entspricht dem konvexen Charakter von Öffentlichkeit, wie wir sie alle heute erleben. Wir haben alle unsere Monitore in der Küche, in der Tasche, allgegenwärtig. Die Öffentlichkeit hat nicht mehr eine konkave Gestalt, die sich öffnet, und wir können unsere politischen oder künstlerischen Ereignisse in dieser Höhlung stattfinden lassen. Sondern sie ist eher konvex, sie dringt auf uns ein, sie ist permanent aktiv. Sie fordert dich und befragt dich. Alleine schon der Smartphone-Gebrauch zeigt das sehr deutlich. Ich meine das zunächst wertfrei. Du komponierst ja immer noch in der traditionellen Form. Du schreibst Partituren. Die Idee, Partituren zu schreiben, halte ich immer noch für außer ordentlich nützlich. Aber du suchst keine politischen Themen. Wenn wir Helmut Lachenmann als Beispiel nehmen, Das Mädchen mit den Schwefel hölzern, oder Luigi Nonos ideologischen Ansatz, eine kämpfe rische Position, also den politischen Widerstand, der die Gesell schaftskritik durch das autonome Kunstwerk in den Konzertsaal bringen will … Ich sehe aktuell ein Abschiednehmen von diesen Traditionen einer Ideologisierung in den Künsten. Eins kann man in jedem Fall sagen, dass eine Bewegung wie die Linke als Übereinkunft einer Kunstentwicklung nicht mehr existiert. Ich kenne andererseits keinen jungen Künstler, der für sich nicht einen politischen Aspekt seiner Arbeit beansprucht. Genau das halte ich aber für sehr schwierig. Ich kann da eigentlich nur über mich selbst sprechen. Ich beginne jetzt im Zusammenhang mit dem Metabolischen Büro zur Reparatur von Wirklichkeit, mit SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT, bestimmte Dinge auch politisch zu benennen. Die Stücke, die ich schreibe, sind übrigens durch die Bank Musiktheaterstücke – es gibt kein einziges Konzertstück von mir –, weil sie eben immer den Rahmen, die Machart, den Gebrauch reflektieren. In diesen Werken habe ich das politische Thema vermieden, weil dieser Fingerzeig des Politischen die ästhetische Benutzeroberfläche auf eine bestimmte 8 Weise einfärbt, die dann immer dominant ist. Die Wörter haben eh den Hang zur Dominanz. Dann verschwindet die Schärfung des Ästhetischen, um die es ja vor allem auch geht. Ende der 70er-Jahre begann ja das Mediencrescendo. Bis dahin gab es nur ein Erstes Programm, die ARD, dann das Zweite und es war eine Revolution, dass es mehrere regionale Dritte Programme gab, nur was das Fernsehen betraf. In der Musik bedeutete das vor allem bei den jungen Menschen die Popmusik, die ja auch den „Geruch“ des Politischen hatte. Die Musik bedeutete eine komplexe theatrale Schaltung. Dieses Jugendgefühl, das Jugendbewegte, das sich in der Nachkriegszeit auf eine ganz bestimmte Weise zuspitzte und akku mulierte, war auch bestimmt durch das, was ich die Party-Schaltung nenne. Man brauchte die richtige Clique, den richtigen Raum, oft Kellerräume, Matratzen und vor allem die richtige Musik. Die Gruppen bildung fand über die Musik statt, ob über die Beatles oder mehr über die Rolling Stones. Weil ich ja in einer Rockband spielte, habe ich gemerkt, dass ich diese Sicherheit des „Das ist jetzt Musik“ verloren habe. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Was ist denn dann Musik, wenn ich sie jederzeit abrufen kann, wenn dadurch stereotyp bestimmte Verhaltensweisen abgerufen werden. Genau in diesem Moment begannen auch die machtpolitischen Interessen, auch die Parteien, andere Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die sich an die technischen Medien banden. Da gab es einen Kurzschluss in mir. Wenn dann die bessere Werbeagentur entscheidet, wer die politische Verantwortung übernimmt, dann geht es um die Benutzer oberflächen, die Einfluss nehmen auf die Entscheidungen. Und dann habe ich mich dafür interessiert, wie sehen diese Schaltungen aus, und zwar in diesem kleinen Kunstbereich. Wie kann man mit ganz einfachen Mitteln die Räume so gestalten, dass neue Wirklichkeiten entstehen, phänomenologische Untersuchungen von Grundsituationen. Was ist ein Mensch in einem Raum mit einem anderen Menschen ihm gegenüber und drei Lichtquellen? sik hö re, da nn de nk e ich ja We nn ich im pro vis ier te Mu eh un gs pro zes s mi t. soz ial e Dy na mi k, de n En tst die So wie das Bauhaus: Was ist eine Bühne, was ist der Mensch auf der Bühne? Ja, wir haben ja eben keine Bühne mehr. In der Antike ist das griechische Theater eine Schüssel, die zum Himmel geöffnet ist. Und mit der Barockbühne klappt diese Bühne hoch, mit dem Bühnenportal beginnt ein Objektivierungsprozess, wir sind hier, ihr seid da. Wo ist die Schnitt stelle denn heute? Man kann uns Menschen ja Schnittstellen auf Beinen nennen. Die Schnittstelle ist in uns hinein verlagert. Der didaktische Zeigefinger wird verborgen zugunsten des Spielerischen. Es geht um Aufklärung. Aufklärung ist nicht nur etwas, was mit Wörtern abgespeichert wird, Aufklärung ist eine Erfahrung. In diesem Sinne wäre Kunst dann ein Experimentierfeld, eine Versuchsanordnung, um die Bausteine von gesellschaftlicher Wirklichkeit, von Kommunikation zu untersuchen und um die Sinne zu schärfen. Ich würde das für meine Arbeit so sehen, vielleicht das Spielerische hierbei etwas verstärken. Wichtig ist mir nur, die vorhandene Vielfalt nicht zu vereinnahmen. So gibt es wunderbare Konzertmusik, die auch immer so weiter existieren wird. Es geht ja um die Kompetenz des geschulten Rezipienten. Der Betrachter ist im Bilde, die Hörerin mitten im Kompositionsprozess. Der Rahmen wird mitgedacht. Genauso sehen wir ja ein Tafelbild und genauso hören wir Radio. Wenn ich improvisierte Musik höre, dann denke ich ja die soziale Dynamik, den Entstehungsprozess mit, ob eine Gruppe wirklich kommuniziert, welche energetischen Momente entstehen. Ich war improvisierender Musiker, ich habe zwar auch Bach gelernt, aber ich habe mich gegen die soziologischen, die hierarchischen Implikationen des Komponierens auf dem Papier ab einem bestimmten Moment klar gewehrt und dagegengestellt. Im Orchester steht vorne jemand, in 99 Prozent aller Fälle ein Mann, gibt die Eins und der ganze Laden muss im Akkord funktionieren, und zwar nach einem schriftlich Gespräch geregelten System. Die Trompete zählt 137 Takte, zwei, drei, dafür wird sie bezahlt. Mir ist einfach nichts Besseres eingefallen, um die Verdichtung dieser Situation herzustellen. Partitur schreiben war die optimale Möglichkeit, in sich medial komplexe Situationen zu struk turieren und eben zu komponieren. Letztlich sind die Komponisten die Erfinder der Medienkunst, was die Binnen-Medialität angeht, Korri gieren, Streichen, Wegwerfen, Wiederholen, am nächsten Tag weiter daran arbeiten. Und Reflektieren zwischen diesen beiden Sinnes- und eben auch Sprachebenen, dem Klang und dem Schreiben. Das hat zu einer Explosion geführt, in Europa, bereits in der Renaissance. Für mich war das eine bewusste Entscheidung, auf dieses kritisch zu sehende, fragwürdige Medium Partitur zurückzugreifen, um damit im Idealfall wieder vorauszugreifen. Lass uns noch einen Moment über das Metabolische Büro zur Reparatur von Wirklichkeit sprechen. Büro assoziiert natürlich Beuys, das Büro für direkte Demokratie. Wir schließen an eine bestimmte Zeit an. Ein ironischer Zitatengrund, der aber einen sehr ernsthaften Ausgangspunkt hat, nämlich die Idee der sozialen Plastik noch einmal zu befragen: Metabolismus, Verwand lungsprozesse, die aktenkundig gemacht werden. Eine Verkettung von Einzelbegriffen, von denen jeder für sich ein eigenes Thema bildet. Metabolismus bedeutet Durchlässigkeit, Veränderung. Und gerade politische Ideologien müssen veränderbar sein. Ich habe einen Satz von Willy Brandt gelernt in den letzten Monaten, der von Egon Bahr zitiert wurde. Wenn eine Situation sich im Konfliktfall verhärtete, wenn die Situation verfahren war, dann muss Brandt gesagt haben, und zwar auf Englisch: „We have to rearrange the scene.“ Wir müssen im Metabolischen Büro in der Lage sein, die Versuchsanordnung immer wieder zu ändern. Wir müssen das Lebendige suchen. Das zweite ist das Büro. Im Büro wird gearbeitet, es ist zudem etwas sehr Westliches, es ist ein Ort des Gestaltens. Büro gehört irgendwie auch mit einer gewissen Soziabilität zusammen. Es gibt auch Büros, in denen allein gearbeitet wird, aber in der Regel geht es um und für eine soziale Gemeinschaft. Dann die Reparatur. Es ist die Vorstellung, irgendetwas funktioniert nicht mehr. Und wir kümmern uns darum, dass es wieder funktioniert. Wir können nur in einer Wirklichkeit reparieren. Es heißt ja auch „Reparatur von Wirklichkeit“, nicht „der Wirklichkeit“. Das Ganze ist als Labor gedacht, als energetisch dynamisches Modell. Da kann auch mal nichts sein. Wir haben so viele verschiedene Leute und deren Versuchsanordnungen eingeladen, so verschiedene Formate, dass eine Vielgestaltigkeit der Aktivitäten zu erwarten ist. Unsere Aufgabe wird es sein, dass immer wieder auf neue Weise der Boden geschaffen wird zwischen ästhetischer Arbeit und politischem Raum. Ästhetische Benutzeroberfläche schließt die Kunstwerke ebenso ein wie mein Smartphone. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung und die Reflexion der Wirklichkeit gesellschaftlicher Machtausübung. Aber das geht nur, wenn die Kunst an sich frei ist. Manos Tsangaris ist Komponist und Direktor der Sektion Musik. Johannes Odenthal ist Programmbeauftragter der Akademie der Künste. Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? Klaus Staeck Die Satire ist ein Angriff auf die Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit ist die Satire. Es war 14 Tage vor den Bundestagswahlen 1998, als ich auf einem Straßenständer ein Plakat mit dem Slogan „Blühende Landschaften wählen! CDU“ las. Zuerst dachte ich an einen satirischen Mitstreiter im Geiste. Ein Blick auf das klein gedruckte Impressum ließ jedoch kaum noch Zweifel zu. Es handelte sich tatsäch lich um ein Originalplakat der CDU. Längst war die von Helmut Kohl seit 1990 hartnäckig wiederholte Verheißung von „blühenden Landschaften“, in die sich die neuen Bundesländer verwandeln würden, zum Running Gag des gesamten Wahlkampfes geworden. So war mein zweiter Gedanke: Jetzt versuchen sie schon, die Attacken der Gegner satirisch zu kontern. Fünf Tage vor den Wahlen nahm ich dann eine Ein ladung zur ARD-Fernsehtalkshow Boulevard Bio an, auch wenn die Runde reichlich exotisch zusammen gesetzt war. Meine Mitstreiter waren der Spaßmacher Ingo Appelt, die Pornoproduzentin Dolly Buster und der ehemalige TV-Moderator Gerhard Löwenthal. Ich nutzte meinen Redebeitrag in diesem eigenwilligen Kreis, um vor laufender Kamera ein vermeintliches Geheimnis zu lüften. So wenige Tage vor der Wahl könne ich es jetzt ja verraten: Das Plakat von den „blü henden Landschaften“ stamme in Wahrheit von mir. Um es nicht auf eigene Rechnung kleben zu müssen, hätte ich es den einzelnen CDU-Untergruppen erfolg reich untergeschoben. Für deren bereitwillige Mithilfe bei der Verbreitung meiner Ideen würde ich mich gern auf diesem Wege in aller Form öffentlich bei den Uni onsparteien bedanken. Am Tag nach der Sendung stand das Telefon in mei nem Heidelberger Büro nicht mehr still. Neben zahl reichen Journalisten, die meine Behauptung zunächst für bare Münze genommen, dann aber doch Zweifel bekommen hatten, meldeten sich vor allem verun sicherte CDU-Mitglieder. So wollte der Frankfurter CDU-Geschäftsführer völlig entnervt wissen, ob denn seine Partei tatsächlich auf mich hereingefallen sei. Die Realität war die Satire. Mein Plakatmotiv Die neue Weltregierung hatte 1981 ganz andere Reaktionen ausgelöst. Ein Geschäftsführer des Chevron-Konzerns wollte die satirische Aussage gern wörtlich genommen wissen. Es wäre doch eine durchaus begrüßenswerte Lösung für die Zukunft, wenn die Ölmultis tatsächlich die Weltregie rung stellten. In Reden und Interviews habe ich oft behauptet, dass ich den Artikel 5 unserer Verfassung zum Beruf gemacht habe. Er schützt die Freiheit der Meinung und der Kunst. Dennoch habe ich mich bei den 41 Versuchen, meine Arbeiten juristisch zu verbieten, nicht auf den Kunstvorbehalt berufen. Denn ich halte diese Schutz klausel nicht nur für ein Kunstprivileg. Sie muss nach meiner Überzeugung für alle gelten. Trotzdem war es mir wichtig, mich nicht aus dem Kunstkontext drängen zu lassen, während die politischen Gegner zeit weise aufs Heftigste versuchten, meine künstlerische 9 S tat e m e n t Tätigkeit pauschal als Agitation und Propaganda zu denunzieren. Das Credo der Satire lautet: die unverschuldet Schwachen vor dem Übermut der Starken zu schützen. Das geht nicht ohne Risiko. Ich habe mein Leben lang darum gekämpft, dass die Kultur keine Ausnahmeerscheinung ist, sondern ins Zentrum gehört. Kunst und Leben gehören zusammen. Deshalb lasse ich mich im Streit mit der Politik nicht damit abspeisen, wenn man sagt: Was willst du denn? Deine Buchpreisbindung schenken wir dir! Ich habe die Weltherrschaft der Konzerne im Blick. Ich engagiere mich heute mit aller Kraft gegen das geplante Freihandels abkommen, das zwischen Europa und den USA auf bisher völlig intransparente Weise ausgehandelt werden soll, weil es ein Angriff auf die Fundamente unserer Demokratie ist und unser gewachsenes Kulturverständ nis mit all seinen Förderungsmöglichkeiten zum Erhalt kultureller Vielfalt infrage stellt. Klaus Staeck ist Grafiker, Verleger und Präsident der Akademie der Künste. Jutta Brückner Die Optimierung des antiquierten Menschen Kann Kunst auf die Gesellschaft wirken? Gesellschaft ist ein Abstraktum, die Kunst ist konkret und sie richtet sich immer an den Einzelnen. Der ist Mann oder Frau, lebt in Europa, Amerika oder Asien und er oder sie hört eine CD mit koreanischer Musik, steht in einem Museum vor den Bildern eines afrikanischen Künstlers oder sieht einen Film. Jede kunstphilosophische Aussage über „die“ Kunst stößt sich an dieser Verschie denheit. Aber der kleinste gemeinsame Nenner unserer schönen, neuen, digitalen Welt, die Wahl zwischen 0 und 1, arbeitet erfolgreich an der Verflüssigung aller Unterschiede. Und so ist die erste Aufgabe der Kunst, auf diesen Unterschieden zu beharren und sie wahr nehmbar zu machen. Danach kommt eine weit schwie rigere. In den Laboren der Wissenschaft und Technik, auf den kapitalistischen Märkten und in den globalisierten Büros von heute wird an dem gearbeitet, was die totalitäre Utopie ersehnt hatte: ein neuer Mensch. Aber nicht als moralisch-politische Veredelung, wie die sozialistische Utopie es erhofft hatte, sondern als bio politisches Forschungs- und Anwendungsfeld für die Um- und Neuschöpfung dieses fehlerhaften Wesens, das sich Mensch nennt. Dieser neue Mensch soll sich lustvoll der Verführung der universellen Maschinen unterwerfen und die Einpassung in die kybernetischen Modellwelten als selbst gewählte Entscheidung begrei fen. Traditionelle Gewalt und Hierarchie werden so hin fällig. Es geht nicht mehr um Veränderungen von Welt verhalten und Moral, die Norbert Elias als Schritte im Prozess der Zivilisation beschrieben hat, sondern um Eingriffe in die geistige und körperliche Substanz des Menschen durch seine Vernetzung mit den Maschinen. Endziel ist der Cyborg, der kontrollier- und steuerbar ist. In den USA, die uns immer voraus sind, was die Überführung von Lebensgefühl in die Medien und damit in das Bewusstsein der Masse angeht, hat man das begriffen. Nun könnte man sich mit dem Gedanken beruhigen, dass die blutigen totalitären Utopien gescheitert sind und es der Dystopie im Gewand der Verführung genau so gehen wird. Denn wir alle sind noch analoge Wesen, die man nicht durch einen Knopfdruck an- und ab stellen kann wie eine Maschine, Kreaturen mit einem Körper, dessen Lebenszeit der Bogen einer Existenz ist zwischen dem ersten blutigen Schrei und dem oft eben so blutigen Tod. Aber die Versuche, dieses Kreatürliche in einem Optimierungsprozess zum Verschwinden zu bringen, sind total, weil sie weitgehend unsichtbar und geheim sind. Niemand von uns kann überblicken, was in den Laboren gemacht wird und welche Folgen das haben wird. Und hier beginnt die zweite Aufgabe der Kunst. Sie muss diese bedrohten, analogen Wesen, die wir noch sind, verteidigen, ihre Schmerzen, Schwer fälligkeiten, Unberechenbarkeiten, ihre Sehnsüchte und ihr Scheitern. Die menschliche Existenz ist defizitär, unrein, und an ihrem Ende steht als letztes Scheitern der Tod. Der Cyborg scheitert nicht, er stellt höchstens sein Funktionieren ein. Wenn man der Kunst eine solche Aufgabe des Bewahrens stellt, dann hat das nur schein bar etwas Konservatives. Denn Begriffe wie konservativ oder avantgardistisch werden von der digitalen Revolu tion ebenso verflüssigt wie alle Verhältnisse. Man wird mehr denn je neu denken müssen, was das ist: „Avant garde“, „autonome Kunst“ und „politische Kunst“. In der Umwertung aller Werte durch das digitale Zeitalter muss ein Maßstab bleiben: der Mensch als Individuum, nicht als Anhängsel oder Bestandteil einer Maschine. Schon vor 50 Jahren hat man von der „Antiquiertheit des Menschen“ gesprochen. Mit noch mehr Recht kann man das heute tun. Dieser antiquierte Mensch ist unser einziger Garant für eine menschliche Zukunft, denn von ihm kann man sagen, dass er immer mehr ist als das, was er gerade von sich weiß. Jutta Brückner ist Filmemacherin und Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst. Wulf Herzogenrath Kunstwerke sind im wirklichen Raum – im Raum des Betrachters. Nur dort existieren sie und sind wahr nehmbar. Wenn man auf die Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert blickt, ist eine der entscheidenden Neuerungen die Einbeziehung des Betrachters, der immer mehr zu einem aktiven Teil des künstlerischen Prozesses wird. Im 21. Jahrhundert kann man die Tendenz zur Auflösung des materiellen Kunstobjekts zugunsten der Installierung des Betrachters als Reali sator und Vollender des Kunstwerks feststellen. Es geht also nicht mehr nur um Fragen der Wahrnehmung von Wirklichkeit, sondern überhaupt auch um die Existenz und Wirklichkeit des Kunstwerks selbst. Der erste Schritt wurde um 1910 von Marcel Duchamp geleistet, der den Kontext des Kunstwerks als konstituierend für den Kunstcharakter eines Objekts definierte: das objet trouvé – die Unterscheidung eines Objekts von anderen, industriell oder handwerklich gefertigten im Zusammenhang seines Gebrauchs oder auf einem Sockel in einem Kunst-Kontext. John Cage hat dies dann auf die Nicht-Kunstobjekte erweitert und gefragt, wer denn diese Unterschiede überhaupt 10 Kann die Kunst it die Wirklichke verändern? definiere und wer sie wahrnehmen könne – ein Geräusch oder ein Musikstück sind nicht von grundsätzlich unterschiedener Herkunft: Das Vogelgezwitscher im Wald kann schöner und künstlerisch wertvoller sein als das Geigeüben der siebenjährigen Tochter. Der Be trachter entscheide sich für seine Wertung und Einord nung – das Objekt tut dies nicht von sich aus. Hier lern ten wir die Wirklichkeit auf völlig neue Weise kennen: Sogar das Nicht-Existieren (die „Stille“) von Materiel lem könne im künstlerischen Tun des Betrachters als solche wahrgenommen werden. Künstler vollendeten ihre Werke. Sie malten immer wieder kleine Hilfen für den „Einstieg ins Bild“, in die Komposition: Eine Figur, meist am Rande, führte in die Komposition und den Inhalt des Bildes ein. Im 15. Jahrhundert erschien die Rückenfigur oder im 17. Jahr hundert die Person, die uns direkt aus dem Bild ansah und damit in das Geschehen im Bildraum einleitete. Im 19. Jahrhundert schien sich unser Raum in die Bild fläche fortzusetzen, während wir seit Malewitschs Schwarzem Quadrat (1913/15) und den ProunenBildern (1920er-Jahre) eines El Lissitzky glauben, dass die gemalten Objekte auf den Bildern in unseren realen Raum hinausragen. Doch die Bilder – auch die Traum spuren der Surrealisten oder die Realien der Neuen Sachlichkeit – blieben immer in der Bildfläche und zogen den Betrachter in Bann. Erst die neuen technischen Möglichkeiten der Elek tronik ermöglichten hier eine substanziell andere Möglichkeit der Einbeziehung des Betrachters. Da waren die Objekte mit Spiegeln seit den 1920er-Jahren erste Schritte, die den Betrachter direkt einbezogen – allerdings in eine immer vom Künstler schon fertig gestellte Komposition –, gedanklich in Die Hochzeit des Giovanni Arnolfini von Jan van Eyck (1434, National Gallery London) vorbereitet! Künstler wie Michelan gelo Pistoletto, aber in den letzten Jahren auch Olafur Eliasson oder Jeppe Hein haben immer neue Variatio nen geschaffen, die den Betrachter als Teil des Werkes erscheinen lassen – aber diese Werke sind immer fertig und auch ohne Betrachter vollwertig existent. Die Video-Technik ermöglichte einen grundsätzlich neuen Schritt: Anders als beim Film, dessen belichtetes Zelluloid eingeschickt und entwickelt werden muss, ist das gefilmte Abbild der Video-Elektronik – zumindest für das Auge – zeitgleich als Abbild auf einem Monitor oder von einem Projektor auf einer Wand projiziert zu sehen. Realität und künstlerisches Abbild existieren in demselben Raum in einer Zeitgleichheit. Diese ClosedCircuit-Videoinstallationen entstanden seit den spä ten 1960er-Jahren: Bruce Nauman, Peter Campus, Nam June Paik, Dan Graham, aber auch Richard Kriesche haben eindrucksvolle Werke geschaffen, die erst in der Wahrnehmung durch den Einzelnen existent werden. Der Betrachter ist Vollender des Werks, das ei gentlich nur als eine Art Versuchsanordnung im Aus stellungsraum steht. Werke von Marina Abramovi´c seit der Mitte der 1980er-Jahre benötigen den Betrachter als Teil des Werks, wenn dieser dem Videobild gegen übersitzt und zu spüren beginnt, wie die reale Zeit der Wahrnehmung dieser besonderen Gegenwart vergeht. Performance-Künstler wie Christian Falsnaes oder Tino Sehgal beziehen noch direkter den Besucher ein, es gibt kaum etwas zu sehen oder hören – „nur“ das jenige, was durch die Besucher selbst oder den nicht direkt als „Fremden“ definierbaren Performer, der eher 11 S tat e m e n t als anderen Besuchern gleichwertig empfunden wird, entstanden ist – und im Falle von Sehgal weder fotogra fiert noch anders materiell festgehalten werden soll. Selbst beim Kauf darf sich außer dem Geldtransfer nichts materialisieren. Eine weitere Stufe der hier angedeuteten aktuellen Entwicklung sehen wir in der Wandlung des Betrach ters zu einem User im weiten Feld der elektronischen Möglichkeiten des Spiels mit seinen Wahl- und Entschei dungs-Varianten, die heutzutage den Spieler zu einem aktiv eingreifenden und die vorhandene Realität kraftund fantasievoll verändernden Nutzer werden lässt. Diese Entwicklungsspur, das heißt die Wandlung des passiven Bild-Betrachters zum aktiv eingreifenden Teil nehmer und damit auch Vollender des Kunstwerks, dessen Autoren sich immer weiter zurückziehen, bis hin zu dem User der elektronischen Möglichkeiten des Internets und der neuen Spielewelt, ist Inhalt unseres Ausstellungsteiles von „Schwindel der Wirklichkeit“. Wulf Herzogenrath ist Kurator und Direktor der Sektion Bildende Kunst. Birgit Hein Das ist die Frage nach Kunst und Gesellschaft, die in der Zeit vom Ende der 1960er- bis Ende der 1970erJahre unter dem Thema Avantgarde und Politik hoch emotional verhandelt wurde. Dabei zielten die heftigsten Angriffe auf die zeitgenössische AvantgardeKunst und ihr Ausstellungs- und Vertriebssystem. Vor allem die formale und die gegenstandslose Kunst galten als Repräsentanten reaktionärer spätbürgerlicher Ideologie. Als so geächtete Avantgardistin habe ich mich 1977 in einer Veröffentlichung zu verteidigen versucht, aus der ich hier zitiere: „Das Problem liegt in dem Wider spruch zwischen der künstlerischen Arbeit und der Funktion, die sie erfüllen soll: Sie soll die Ideale verkör pern – z. B. die echte Freiheit, die reine Wahrheit – die in der Gesellschaft nicht verwirklicht werden können, die diese aber braucht, um sich moralisch zu rechtfer tigen. [...] Im Grunde kommen die Angriffe auf die Avantgarde aus der Überzeugung von einer direkten Wirkungsmöglichkeit der Kunst. [...] Dabei sind alle Versuche der klassischen und zeitgenössischen Avant garden, die Kunst mit dem Leben zu verbinden, gescheitert. Denn entweder wird aus der Anti-Kunst wieder Kunst oder die Kunstproduktion wird zugunsten direkter gesellschaftlicher Aktivitäten aufge geben. [...] Die Fortschrittlichkeit einer politischen Kunst hängt von der Fortschrittlichkeit des Inhaltes ab. Damit wird eine Diskussion notwendigerweise zu einer Diskussion über die richtigen Inhalte. Dann muß man konsequent fragen, ob Inhalt allein Kunst sein kann. Auf jeden Fall ist klar, dass man, um die richtigen Inhalte zu vermitteln, noch keine Kunst braucht.“1 Bis heute hat sich das Problem nicht erledigt. In einem Gespräch mit Johannes Odenthal sagt Rabih Mroué 2013: „Als Künstler muss ich all meine Ideen und Überzeugungen auf den Tisch legen und sie viel leicht auch verraten. In der Kunst stellt man Fragen und gibt keine Antworten. Wenn du Aktivist bist, gibst du bereits Antworten. Du weißt, was richtig und was falsch ist. Ich kann keine Kunst machen, wenn ich genau weiß, was falsch ist und was richtig. Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe nichts gegen Aktivisten, ich rede hier lediglich über Aktivismus und Kunst. Wenn ich einer Aktivistengruppe angehören würde, würde ich einfach keine Kunst machen.“2 Die russischen Formalisten in den 1920er-Jahren sahen den einzig möglichen Ansatzpunkt zur Lösung des Konflikts „Kunst und Revolution“ in der Ausein andersetzung mit der Form. „Es bedurfte vieler Revo lutionen, um durch sie den Künstler von den Verpflich tungen des Moralisten, des Erzählers, des Hofnarren zu befreien, damit er klar seinem schöpferischen Ruf folgen und den Weg der Konstruktion gehen konnte,“ schreibt El Lissitzky 1920.3 Sie verstanden Kunst als Arbeit im ästhetischen und formalen Bereich, der nur graduell von anderen Spezial bereichen, wie beispielsweise dem der Wissenschaft, ver schieden ist. Durch diesen vermittelt die Kunst Informa tionen, die von keinem anderen Informationssystem übernommen werden können, und die sogar außerhalb ihrer eigenen Sprache nicht vorhanden sein können. Angesichts der weltweiten Produktion und Ver breitung digitaler Bilder wird in der bildenden Kunst heute in der Frage nach dem Verhältnis von Bild und Abbild die Wahrheit erneut zum Thema. Das gilt besonders für den Bereich des Dokumentarischen, der sich seit den 1980er-Jahren enorm erweitert hat. „Die ständige Unsicherheit darüber, ob dokumentari sche Wahrheit möglich ist, oder ob sie von vornherein verworfen werden muss, der ständige Zweifel, ob das, was wir sehen, auch mit der Wirklichkeit übereinstimmt, stellen keinen Mangel dar, der verleugnet werden muss, sondern im Gegenteil das entscheidende Charakteris tikum dokumentarischer Formen. Ihr Merkmal ist die oft unterschwellige, aber trotzdem nagende Verun sicherung, die sie erzeugen mit der Frage: Ist dies wirk lich wahr?“4 Für mich hat sich seit Ende der 1970er-Jahre Avant garde als künstlerische Strategie erledigt. Das Politi sche in der Kunst äußert sich heute in der Subversion. Sie muss immer neu entstehen und kann nicht kommer zialisiert werden. Sie setzt dort an, wo die Gesellschaft über das Leben hinweggeht. Nicht die Kunst verändert die Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit verändert die Kunst. Birgit Hein ist Filmemacherin, Filmwissenschaftlerin und stellvertretende Direktorin der Sektion Bildende Kunst. 1 2 3 4 Birgit Hein, „Avantgarde und Politik“, in: Frauen machen Kunst, Ausstellungskatalog, Bonn 1977, unpaginiert. Rabih Mroué, „Kein Bild ist hunderprozentig real“, in: Johannes Ebert et al. (Hg.), Zeitgenössische Künstler – Arabische Welt (Positionen 7), Göttingen: Steidl 2013, S. 168. El Lissitzky, „Der Suprematismus des Weltaufbaus“, in: Sophie Lissitzky-Küppers, El Lissitzky. Maler, Architekt, Typograf, Fotograf, Dresden: Verlag der Kunst 1967, S. 327. Hito Steyerl, Die Farbe der Wahrheit – Dokumentarismen im Kunstfeld, Wien / Berlin: Turia + Kant 2008, S. 9, 11. Schwindel der Wirklichkeit Wie die Besucher die Kunst neu erfinden hkeit.de www.schwindelderwirklic Nach Fotografie, Film und Video sind es seit den 1990er-Jahren vor allem die digitalen Medien, die das Verständnis von Kunst grundlegend verändern. Bis Ende der 1980er-Jahre nutzten Künstlerinnen und Künstler die Computertechnologie als Werkzeug, nur selten als Medium. In der digitalen Medienkunst wurde insbesondere die Interaktion zu einer der zentralen ästhetischen Dimensionen. Digitalisierungsprozesse betreffen demnach also nicht nur die Speicherung, die Vermittlung und die Kommerzialisierung von Kunst, sondern auch und vor allem künstlerische Produktions- und Rezeptionsprozesse. Die digitale Schwelle – der Übergang zwischen digitaler Information und analogem Nutzer – gerät dabei systematisch ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Schlüsselbegriffe Partizipation und Interaktivität basieren auf dem unausgesprochenen Versprechen der Teilhabe aller im Sinne einer Beuys’schen Demokratisierung von Kunst. In der Ausstellung SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT stellt die Akademie der Künste künstlerische Strategien und Arbeitsweisen vor, in denen die Wahrnehmung und die Aktivität der Besucherinnen und Besucher ins Zentrum rücken und das Kunstwerk sich jenseits des Objekthaften gleichsam nur in ihnen und durch sie verwirklicht. Dabei stehen die aktuellen Entwicklungen der Game Art in einer Tradition künstlerischer Auseinandersetzungen seit den 1960er-Jahren, insbesondere mit den Closed-Circuit- Videoinstallationen, aber auch den partizipativen und PerformanceProjekten. In den so zusammengestellten Konfigurationen von Digitalem und Analogem zeigt sich, dass die mediale Schwelle längst zu einem dialektischen Schlüsselmotiv der Gegenwartskunst geworden ist. Im Zentrum von SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT stehen die Besucherinnen und Besucher mit ihrer individuellen Wahrnehmung, die mit sich selbst und ihren Handlungen konfrontiert werden. Was ist wirklich, was ist Simulation und wo manifestiert sich das Subjekt der fortgeschrittenen Moderne? Mit der Auflösung des klassischen Kunst-Objekts und des Betrachter-Subjekts hat sich der Kunstbegriff in den letzten Jahrzehnten radikal verändert und damit auch das Konzept von Museum und Theater. Indem die Ausstellung diese neuen „Bühnen“ in den Fokus nimmt, führt sie vor, wie die Kunstproduktion zum Forschungsfeld von soziokulturellen Strukturen geworden ist. Darin geht sie einen Weg der ästhetischen Aufklärung. Mit einer Werkauswahl von „historischen“ und aktuellen ClosedCircuit-Installationen, Spiegelarbeiten, Partizipationsprojekten, Game Art und Projekten an der medialen Schwelle widmet sich die Akademie der Künste diesem Themenfeld an der Grenze zwischen Wirklichkeit und Simulation. Bemerkenswert ist, dass die neuen technischen Abbildungs- und Kommunikationsmöglichkeiten von Film und Fernsehen schon in den 1960er-Jahren massiv ins Blickfeld von künstlerischen Arbeitsprozessen rückten, wie die Nutzung des elektronischen Modulationssystems TEEM im Rahmen der Auffüh rungen der 9 Evenings in der Armory Hall in New York im Jahre 1966 zeigt. Solche künstlerischen Methoden sind in einer Linie mit zeit genössischen Arbeiten zu sehen, in denen eine jüngere Künstler generation die exponentiell gewachsenen medialen Möglichkeiten nutzt – von Browser-Skript und App über Hard- und SoftwareModifikation bis hin zu Computerspiel, virtueller Realität und Netzwerk-Intervention. Nicht nur der experimentelle Gebrauch vorhandener technologischer Möglichkeiten, sondern auch deren ästhetische Weiterentwicklung eröffnet den Künstlern der Ausstellung eine innovative Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und Manipulation von Realität: Das Verhältnis von Raum und Zeit, Künstler und Besucher, Bild und Abbild, Klang und Abklang, Code und Körper, Wirklichkeit und Simulation wird in den Arbeiten neu erprobt und ausgelotet. Closed Circuits Die unmittelbare Verfügbarkeit von Videobildern sowie deren zeit gleiche Manipulationsmöglichkeiten und/oder die räumlich getrennt zu steuernde Wiedergabe des Bilds oder Spiegelbilds ermöglichte Künstlern wie Bruce Nauman, Nam June Paik, Peter Campus und Richard Kriesche, den Betrachter selbst als Zuschauer und als aktiven Performer an der Installation oder Situationsanordnung partizipieren zu lassen. The Situation Room (2013) von Franz Reimer verdeutlicht anhand eines Nachbaus des gleichnamigen Pressebilds von Pete Souza, dass die Grundlage für jede Closed-Circuit-Installation bis heute die Simultanität des Realen ist, also das Spiel zwischen dem, was in Echtzeit stattfindet, und dem, was als Abbild einer Situation zeitgleich zu sehen ist. Die Möglichkeiten der Gegenüberstellung erscheinen heute endlos, in den 1960er-Jahren jedoch ging es um eine simple Subjekt/Objekt-Gegenüberstellung, um deren Verhältnis zueinander und um die Synchronizität der Handlung: wenn etwa der Partizipient mit seinem eigenen Abbild konfrontiert wird, aber nicht im spiegelbildlichen Sinne seitenverkehrt, sondern seitenrichtig. Die manipulierte Darstellung von Wirklichkeit entzieht dem Besucher die gewohnte Selbstwahrnehmung. In Dan Grahams Present Continuous Past(s) (1974) werden in einem Intervall von acht Sekunden asynchron zahlreiche Abbilder des Besuchers geschaffen und projiziert – Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich, die Grenzen verschwimmen. Darüber hinaus bietet das Zeit-Raum-Gefüge der Installationen die Möglichkeit einer zeitversetzten Wiedergabe. Der Partizipient findet sich so in einem Zeit-Raum-Feld wieder, das nicht mehr allein in seiner Gegenwart angesiedelt ist und diese dokumentiert, sondern in einem Gefüge, das die Wirklichkeit und deren Manipulation zugleich wiedergibt. In den Closed Circuits und Spiegel-Verfahren finden sich die Besucher mit neuen Wahrnehmungserfahrungen von Wirklichkeit in einem sich stetig aktualisierenden Raum-Zeit-Körper-MedienGefüge konfrontiert. Sowohl die Spiegelbilder als auch die 12 Videobilder hängen von den Bewegungen der Körper im Raum sowie der Positionierung des Spiegels beziehungsweise der aufzeichnenden Kamera und den Einstellungen des Manipulationsmechanismus ab. Diese Art der medialen Inszenierung von Wirklichkeit entzieht dem Besucher die gewohnte Selbstwahrnehmung. Partizipation „I don’t know what I will do for the rest of my life. It can’t get any better than this!“1 In der Weiterführung des Fokus auf die Closed Circuits und das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Künstler, Besucher und Akteur stellt sich auch bei dem zweiten Strang der Ausstellung die Frage nach der radikalen Veränderung des Verhältnisses zwischen Kunstwerk und Betrachter in den 1960er-Jahren. Die Minimal Art hat die Beziehungen aus dem Werk extrahiert und die Rolle der Wahrnehmenden im Ausstellungsraum gestärkt. Die Partizipationskunst räumt den teilnehmenden Menschen nun eine weitere Möglichkeit ein: Sie nehmen als Performer an kommunikativen, interaktiven und Wirklichkeit konstruierenden Prozessen teil. Kunst findet seitdem nicht mehr allein im Ausstellungsraum statt, sondern weitet sich zunehmend (wieder) in den gesellschaftlichen und politischen Raum aus.2 Das Projekt SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT stellt mit exemplarisch ausgewählten objektfreien Kunstprojekten die Frage nach den im Kunstwerk angelegten Machtverhältnissen: Wer kontrolliert die ästhetische Erfahrung? Künstler, Kurator, Kritiker oder Besucher? Im Bereich der von Joseph Beuys geprägten „Sozialen Plastik“ und der Partizipationskunst kontrollieren alle Faktoren gemeinsam das Werk und jedem ist eine Teilautorenschaft zuzuschreiben. Bei den Closed-Circuit-Installationen dokumentieren Richard Kriesche oder Marina Abramović die Schnittstelle zwischen dem ersten und zweiten Strang der Ausstellung. Die Reduktion auf das Objektfreie und Immaterielle soll wiederum von Hamish Fulton, Tino Sehgal und Christian Falsnaes vermittelt werden. Das Ausstellungsprojekt begibt sich damit in den Bereich der performativen Künste und bezieht an dieser Stelle den Aktionsraum auf den sozialen und öffentlichen Raum. In der choreografischen Installation von Tino Sehgal werden die AkademieBesucher zur Sozialen Plastik, zum Teil eines Werks, das sich der Objektivierung systematisch entzieht und eine radikale Erfahrung von Gegenwart bietet. Hierbei wird die radikale Auflösung von sicheren selbstreferenziellen Positionen mit der unhintergehbaren Verflechtung eines jeden Subjekts in Raum und Zeit kontrastiert. „Wir erwarten zu viel von Objekten, zum Beispiel, dass sie Subjektivität generieren“, beteuert Tino Sehgal 2012. Diese Subjektivität, so der Künstler weiter, „entsteht aber durch Arbeit an sich selbst und Interaktion mit anderen. Und nicht dadurch, dass man sich irgendeinen Gegenstand kauft und anheftet.“3 Game Art Der Fokus auf Game Art ergibt sich wie von selbst aus den ersten beiden Strängen der Ausstellung, da Computerspiele stets aus geschlossenen Kreisläufen bestehen, die erst durch die partizipative Performanz des Spielers aus der Potenzialität in die Aktualität treten. Nur wenn sich die Ausstellungsbesucher auf das programmierte Regelwerk eines Spiels einlassen und mit ihm über das Interface in einen zirkulären Informationsaustausch treten, nur wenn sie an diesem kybernetischen Kreislauf partizipieren, können sie an der angebotenen ästhetischen Erfahrung teilhaben, in der Reales, Symbolisches, Imaginäres und Virtuelles miteinander gekoppelt werden. Seit zirka 1995 wenden sich Künstler dem Computerspiel zu und ergründen die ästhetischen Potenziale des Mediums. Das Etikett der Game Art hat sich im Zuge der Arbeit von Künstlern wie JODI (Joan Heemskerk, Dirk Paesmans), Cory Arcangel, Margarete Jahrmann, Bill Viola, Lynn Hershman Leeson oder Pierre Huyghe ent wickelt, die Computerspiele als Material und Medium in ihrer künstlerischen Praxis etabliert haben. In der Zwischenzeit haben sich in diesem Feld zahlreiche Positionen ausdifferenziert, die für die Ausstellung SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT von erheblicher Relevanz sind. Während frühere Künstler sich häufig mit der visuellen Repräsentation der Spiele beschäftigten, legen zeitgenössische Game Artists ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das Eigentliche des Mediums: die 13 A u ss t e l l u n g interaktiven Strukturen der Programme, die Spielmechanik, die den Spielern klar definierte Handlungsoptionen vorschreiben. Dabei subvertieren sie etablierte Interaktionsmuster zugunsten ungewohnter Modalitäten des In-der-simulierten-Welt-Seins. So drehen sich die ausgewählten Arbeiten alle um das Verhältnis von Raum, Körper und medialem Arrangement. Die zentrale Spiel mechanik von Bill Violas Night Journey (2010) besteht im Reisen und Reflektieren. Ausstellungsbesucher werden dazu eingeladen, eine virtuelle Verkörperung anzunehmen und an einer simulierten Reise teilzunehmen, die weder hier noch dort, sondern in einer medialen Schwellensituation stattfindet, in der Aufmerksamkeit und Besinnlichkeit belohnt werden. Alexander Bruce’ Antichamber (2013) dreht sich ebenfalls um die Erkundung im Raum, wobei gewohnte Interaktions- und Navigationslogiken durch die nicht-euklidische Spielwelt radikal in Frage gestellt werden und sich ein räumlicher Schwindel beim Spielen einstellt. Durch die simulierte Verdopplung von Raum, Körper und symbolisch strukturierter Liebe in Auriea Harveys und Michaël Samyns in ihrem Studio „Tale of Tales“ entwickelten Spiel Bientôt l’été (2012) wird ein sozialer Schwindel mit einem anonymen Gegenüber evoziert. Während Paolo Pedercinis / Molleindustrias Spiel Unmanned (2012) den Spieler an dem Wirklichkeitsschwindel parti zipieren lässt, den die transformierten Raum- und Körperbezüge von Drohnenpiloten mit sich bringen. Und die Künstlergruppe gold extra lädt in ihrem Spiel Frontiers (2008) dazu ein, sozio-politische Räume an den Grenzen Europas in zwei asymmetrisch kodierten virtuellen Körpern zu durchschreiten. Die Frage nach der Verkörperung im Raum geht grundsätzlich von der virtuellen Realität aus – der multisensorischen Interaktion mit Datenstrukturen –, zu der Computerspiele zweifellos zu zählen sind. So werden in der Ausstellung auch VR-Arbeiten gezeigt, die schwindel erregende ästhetische Erfahrungen bieten, wie Daniël Ernsts The Great Gottlieb oder Robin Arnotts Soundself. Diese Arbeiten stellen Grenzpositionen im Feld der Game Art dar, da sie die Frage aufwerfen, ob sie noch Spiele sind. Dies gilt auch für die drei Arbeiten des Paidia Institutes aus deren fortlaufender Serie Laboratory: feedback, die den Gedanken hinter Closed-Circuit-Installationen auf die Spitze treiben, indem sie den Partizipienten aus dem Spielkreislauf hinausnehmen. Welche Partizipation ist noch möglich mit einem medialen Arrangement, das mit sich selbst spielt? Hier wird die Frage nach den Machtverhältnissen unter digitalen Bedingungen neu gestellt. Wer spielt? Homo ludens, universelle Maschine oder kybernetische Schaltkreise? Die mediale Schwelle Der letzte Fokus der Ausstellung liegt auf der medialen, insbesondere der digitalen Schwelle. Mit dem Begriff der Schwelle wird zuallererst die Übergangszone zwischen Künstler, Werk und Besucher adressiert. Die Betonung der medialen Schwelle hebt die zentrale Eigenschaft des Medialen selbst hervor, die den Medienbegriff für die Beschäftigung mit der Kunst so wertvoll macht: Als eben das, was „dazwischen“ liegt, was als Instanz, Material, Technik und Praktik zwischen dem Herstellen und dem Rezipieren von Kunst vermittelt, wird das Medium selbst zur Schwelle der Kunst. Dies erlaubt eine neue Perspektivierung aller bisher aufgeführten Arbeiten und Ausstellungsstränge, ob Closed-CircuitInstallation, Partizipationsprojekt oder Game Art. Bei den historisch frühen Arbeiten der Ausstellung ist diese Schwelle noch vollkommen analog. So besteht die mediale Assemblage bei den Closed-CircuitInstallationen aus der Abbildungssituation im physischen Raum, den Körpern von Partizipienten, Videokameras und Spiegeln sowie den von ihnen erzeugten Bildern, den Manipulationsmechanismen und Bildschirmen oder Projektoren. Bei den Partizipationsprojekten kann ebenfalls – trotz der Reduktion auf das Objektfreie und Immaterielle – von einer analogen medialen Schwelle gesprochen werden, die von den Körpern der Performer und Besucher sowie den vorformulierten Interaktionsarchitekturen und spontan durchgeführten Improvisationen gebildet wird. Mit der wachsenden künstlerischen Nutzung der Computertechnologie in den letzten Dekaden wird die mediale Schwelle zunehmend vom Digitalen durchsetzt. Dabei sind die möglichen Konfigurationen des Analogen und Digitalen endlos. Mit dem Begriff der „digitalen Schwelle“ soll dieser Entwicklung Rechnung getragen werden, ohne dass damit eine Opposition zum Analogen evoziert wird. Vielmehr soll die neue ästhetische Situation – die sich mit der Game Art ankündigt, in der das Digitale ins Zentrum des Interesses rückt – konstatiert und gleichzeitig die unauflösliche Verwobenheit des Digitalen mit dem Analogen im Blick behalten werden. Im Falle der Game Art adressiert der Fokus auf die mediale beziehungsweise digitale Schwelle die Interfaces, an denen die digitalen Spielmechaniken für die analogen Körper der Spieler erfahr- und bearbeitbar werden. Für jedes einzelne Spiel kann dabei von einer einzigartigen Konfiguration des Analogen und Digitalen gesprochen werden. Der Fokus auf die mediale Schwelle hat hier aber auch einen eigenen Kernbestand, der direkt an die vorherigen Stränge der Ausstellung anschließt. So bildet Newstweek von Julian Oliver und Danja Vasiliev eine Schnittmenge mit Closed-Circuit-Installationen, Partizipationsprojekten und Game Art, indem die Installation von der Partizipation der Besucher an einem kybernetischen Kreislauf lebt und daraus eine schelmische Freude erwächst. Während hier die Anfälligkeit von Daten in drahtlosen Netzen für das Überschrieben-Werden vorgeführt wird, zeigt der verlassene Arbeitsposten der Men in Grey wiederum die Schutzlosigkeit des unsichtbaren Datenverkehrs vor dem GelesenWerden. Beide Arbeiten können mit dem Spieltheoretiker Richard Schechner als „dark play“ charakterisiert werden – also ein Spiel, das sich nicht als solches ausweist –, insofern sie sich um Simulation und Dissimulation drehen.4 Dabei stellen sie die Vertrauensfrage an unsere Datennetze und bieten eine ästhetische Erfahrung an, in der das, was längst zu unserem Alltag gehört, aber nicht sinnlich wahrgenommen werden kann, in Erscheinung tritt. Die Arbeiten von Harun Farocki und Trevor Paglen bewegen sich wie die beiden vorher beschriebenen Werke an der medialen Schwelle, um unsichtbare Sachverhalte sichtbar zu machen – darin sind sie Visibility Machines, wie sie trefflich in einer Ausstellung in Maryland / Baltimore County zusammengefasst wurden. Beide untersuchen Formen militärischer Überwachung, Spionage, Kriegführung und Waffen technik und erforschen die täuschenden und verdeckten Methoden, mit denen militärische und nachrichtendienstliche Projekte unsere Beziehung zu Bildern und Realitäten, die sie zu repräsentieren scheinen, transformiert und politisiert haben. Ebenso kann Herman Asselberghs’ Dear Steve als eine Maschine der Sichtbarmachung betrachtet werden, wenn auch in anderer Hinsicht, da ihre dekonstruktive Performanz die libidinöse Beziehung zur digitalen Technologie, mit der wir arbeiten und spielen, in Erscheinung treten lässt. Während die bisherigen Arbeiten dieses Strangs sich um die Sichtbarmachung von Unsichtbarem drehten, widmen sich Bjørn Melhus, Lohner Carlson, Thomas Demand und Thomas Wrede der medialen Schwelle des Bilds, indem sie verschiedene Manipulationsprozesse in ihren fotografischen Scheinwirklichkeiten manifestieren. Melhus’ Rollenspiele sind paradigmatisch für das Leben im Zwischenreich des Medialen: Er spielt mit dem Übergang zwischen Ego zu Alter in seinen mannigfachen Figurationen – ob in den Cutouts oder in den zahlreichen Selfies. Demand, Wrede und Lohner Carlson erheben wiederum einen Realitätsanspruch für ihre Bilder, denn sie gehen von konkret existierenden Situationen oder Landschaften aus. Während Demand sich auf Presse- und Fernsehbilder konzentriert, diese detailgetreu mit Papier und Pappe nachbildet, erreicht uns als Betrachter lediglich das Medium der Fotografie. Zu diesem Zeitpunkt ist das Modell selbst schon zerstört. Wredes Bildern ist hingegen eine fast „romantische“ Sehnsucht nach Naturgewalten und Landschaft zu eigen, die sich Caspar David Friedrichs Gemälden zu nähern scheint. Die Fotografien selbst eröffnen uns dann aber ein Spannungsfeld zwischen dieser verehrten natürlichen Realität und einer künstlich kreierten Landschaft. So verweist der letzte Strang der Ausstellung auf die zeitgenössische mediale Situation, in der vermeintlich geschlossene Kreisläufe geöffnet werden, Wirklichkeit sich verflüchtigt und Unsichtbares sowie Unvorhergesehenes in Erscheinung tritt. Und sie bestärkt die These, dass „das Spiel die Handlungsweise schlechthin sei, sich in Simulationen zu bewegen“.5 Der Schwindel der Wirklichkeit verdichtet sich im Rückblick in den Closed Circuits, Spiegelarbeiten, Games, Partizipationsprojekten, Performances und verschiedenen digitalanalogen Experimenten. Der Einsatz der jeweiligen zeitaktuellen technischen Möglichkeiten seit den 1960er-Jahren bis heute wurde und wird genutzt, um das Selbst- und Weltverhältnis von Künstler/-in und Betrachter beziehungsweise Partizipient in dem je aktuellen medialen Feld zu erkunden. Dabei ergeben sich zahlreiche Differenzen, die es in den medialen Konfigurationen der ausgestellten Arbeiten A u ss t e l l u n g zu erfahren gibt, sowie unzählige weitere, die es noch zu erfinden gilt.6 SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT ist eine Einladung dazu, sich der zeitgenössischen medialen Situation und den von ihr ausgehenden Herausforderungen zu stellen. Mark Butler Kurator, Kultur- und Medienwissenschaftler Anke Hervol Kuratorin und Sekretär der Sektion Bildende Kunst Wulf Herzogenrath Kurator und Direktor der Sektion Bildende Kunst 1 2 3 4 5 6 Kiki Smith, nachdem sie als „lebende Ikone“ durch Manhattans Straßen getragen wurde, in Francis Alÿs’ Modern Procession (2002), New York: Public Art Fund 2004, S. 133. Zahlreiche Ausstellungen haben sich diesem Thema gewidmet, z. B. The Art of Participation: 1950 to Now, die 2008/2009 am San Francisco Museum of Modern Art von Rudolf Frieling realisiert wurde und alle Facetten des Themas beleuchtete – ein Anspruch, dem die Akademie der Künste in dieser Ausstellung nicht nachkommen kann oder möchte. Sabine Weier, „Erfahrungen in der Kasseler Black Box: Künstler Tino Sehgal“, in: Die Zeit, 27.6.2012, www.zeit.de/kultur/kunst/2012-06/tino-sehgal-documenta. Vgl. Richard Schechner, The Future of Ritual: Writings on Culture and Performance, London/New York: Routledge 1993, S. 36 ff. Natascha Adamowsky, Spielfiguren in virtuellen Welten, Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2000, S. 18. Vgl. auch Hans Dickel, „The Medium is the Medium – Zur Kunst von Peter Campus“, in: Wulf Herzogenrath, Barbara Nierhoff (Hg.), Peter Campus. Analog + Digital. Video + Foto. 1970–2003, Bremen: Kunstverein Bremen 2003, S. 26 ff. 17.9.–14.12. Di–So 11–19 h hkeit.de www.schwindelderwirklic Ausstellung Eröffnung: 16.9., 19 h Gemeinsame Eröffnung mit der Berlin Art Week Akademie der Künste, Hanseatenweg Eintritt: Euro 7/5 (dienstags 15–19 h und bis 18 Jahre Eintritt frei) Führungen (ohne Anmeldung, zzgl. Euro 2) 18.9. bis 14.12., sonntags 11.30 h und donnerstags 18 h Sonderführungen für Schulklassen ab Klasse 4 und Gruppen, auch in englischer, französischer und spanischer Sprache, mit Anmeldung Kuratorenführungen 25.9., 18 h; 12.10., 11.30 h; 2.11, 11.30 h mit Anke Hervol 2.10., 18 h; 23.11., 11.30 h mit Mark Butler 23.10., 18 h; 4.12., 18 h mit Wulf Herzogenrath Gespräche zur Ausstellung Halle 3 9.10., 19 h Künstlergespräch mit Bjørn Melhus und Stefan Heidenreich WE ARE HERE – WE ARE NEAR – WE ARE REAL 15.10., 18 h Forum: Vortrag und Expertengespräch mit Slavko Kacunko und Wulf Herzogenrath Über Bill Violas frühe Closed-Circuit-Videos (1972–76) 30.10., 19 h Vortrag und Expertengespräch mit Sabine Flach und Wulf Herzogenrath Über das Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstallationen 19.11., 18 h Forum: Vortrag und Künstlergespräch mit Franz Reimer und Linda Hentschel Über The Situation Room, Bilder der Macht und die Macht über die Bilder 3.12., 18 h Forum: Expertengespräch mit Horst Bredekamp und Wulf Herzogenrath Über die Rolle der Bilder in der Grenzaufhebung von privat und öffentlich. Wie agieren und wirken Bilder? 15 14 Künstler Künstler Closed Circuits Peter Campus Alex Hay „In a closed-circuit video situation one is no longer dealing with images of a temporarily finite nature. The duration of the image becomes a property of the room.“ Peter Campus (1974) Peter Campus gehört zu den Pionieren der Videokunst, seine Closed-Circuit-Videoinstallationen der 1970erJahre sind Instrumente der Selbsterkundung. mem existiert erst mit der Betrachterin: Sobald diese in dem dunklen Raum das Kamerafeld betritt, wird ein Live-Bild ihres Körpers auf die Wand projiziert. Kamera und Projektor sind nahe der Wand angebracht, so dass sich in Richtung Kamera eine leicht konvergierende Projektionsfläche ergibt. Das Dreieck zwischen Videokamera, Projektor und Wand markiert den schmalen Aufnahmebereich. Die Betrachterin erlebt das Live-Bild ihres Körpers aus einem anderen Blickwinkel, der Perspektive der Kamera. Bewegt sie sich, verändert es sich, wird größer oder kleiner. Sie sieht sich als Video-Closed-Circuit auf der Wand verschwinden und manchmal auch ihr eigenes Schattenbild. Alex Hays Performance Grass Field fand 1966 im Rahmen des Festivals „9 Evenings: Theatre and Engineering“ in New York (Armory Hall) statt. Initiiert von Robert Rauschenberg und Billy Klüver erarbeiteten Künstler (u. a. John Cage, Merce Cunningham, Yvonne Rainer) und Ingenieure gemeinsam Performances. Erstmals erhielt der LiveAspekt von Elektronik Eingang in die Performancekunst und ließ „9 Evenings“ zu einem Meilenstein der Medien kunst werden. Grass Field bestand aus drei unterschiedlichen Prozessen, die, so Hay, „gleichzeitig“ waren: die Tonübertragung, der Hautfarbton der Kleidung der Performer sowie die Aktion, den Bühnenraum mit 64 quadratischen Stoffstücken zu strukturieren und diese am Ende wieder zu entfernen. Elektroden an Hays Kopf und Körper übermittelten Augen bewegungen, Gehirnströme und Muskelaktivitäten über ein komplexes Verstärkungssystem an Lautsprecher und machten sie hörbar. Hays Bewegungen auf der Bühne wurden von seinen inneren Körpergeräuschen begleitet, er breitete die Stoffstücke auf der Bühne aus und verharrte regungslos in der Bühnenmitte. Die Projektion eines Closed-Circuit-Videobildes seines Kopfes in Großaufnahme machte unkontrollierte minimale Bewegungen sichtbar. Hay verblieb in dieser Position, während Robert Rauschenberg und Steve Paxton die Stoffstücke der Nummerierung folgend vom Boden aufnahmen. — MCvL mem, 1974/75 ART+COM Zerseher, 1992/2014 Joachim Sauter, Medienkünstler und Mitbegründer des interdisziplinären Studios ART+ COM in Berlin, realisierte 1991/92 zusammen mit Dirk Lüsebrink die Closed-CircuitVideoinstallation Zerseher, damals eines der meistzitierten Kunstwerke im Bereich der interaktiven Medienkunst. Die Reproduktion des Gemäldes Knabe mit Kinderzeichnung in der Hand von Francesco Caroto wird auf eine altmeisterlich gerahmte Leinwand projiziert. Verweilt der Blick des Betrachters auf einer bestimmten Stelle, zersetzt sich das Bild genau an dieser Stelle. Die Verän derung der Bildwirklichkeit erfolgt durch die Rezeption des Betrachters. Das hier verwendete Eye-Tracking-System, bestehend aus Kamera, Computer und Video-Tracking-Software, analysiert das aufgenommene Auge des Betrachters in Echtzeit: Die Iris und der Reflexionspunkt eines Infrarotscheinwerfers im Auge werden erfasst. Aus diesen Daten wird der exakte Blickpunkt errechnet und die grafische Veränderung des Originals herbeigeführt. Der „Zerseh“Prozess startet, sobald ein Betrachter seinen Blick auf das Gemälde richtet. Es kehrt in seinen ursprünglichen Zustand zurück, wenn das Tracking-System 30 Sekunden inaktiv ist. Der Zerseher wurde von Sauter und Lüsebrink mit dem Ziel entwickelt, die Interaktion als eine der wichtigsten Qualitäten des neuen Mediums provokativ zu propagieren. Als erste überlieferte Kinderzeichnung der Kunst geschichte wurde Carotos Gemälde als Sinnbild für den damaligen Stand der digitalen Medienkunst eingesetzt. Da die 1992 verwendete Hard- und Software nicht mehr existiert, wird eine überarbeitete Version der Installation gezeigt. — AH Jochen Gerz Purple Cross for Absent Now, 1979–1989 Die Installation basiert auf der gleichnamigen Performance aus dem Jahr 1979. Dem Betrachter bot sich ein abgedunkelter rechteckiger Raum, zweigeteilt durch ein von Wand zu Wand gespanntes Gummiseil. Quer dazu standen jeweils an der Stirnwand zwei Monitore auf weißen Sockeln. Als einzige Lichtquelle waren in der Mitte des Raumes unter dem Gummiseil vier Schwarzlichtlampen in Kreuzform installiert. Auf beiden Bildschirmen war der Kopf des Künstlers bis zum Hals zu sehen, den das gleiche Gummiseil umspannte. Was die Besucher anfangs nicht wussten, aber im Laufe der Performance ahnen mussten, war, dass es sich um Closed-Circuit-Videoaufnahmen handelte und das Gummiseil, das in der Wand verschwand, dahinter im angrenzenden Raum am Hals des Künstlers endete. Berührte der Besucher das Seil oder zog er daran, zeigte ihm die realen Folgen seines Tuns medial vermittelt der Bildschirm. Außerhalb der Installation wird eine Dokumentation der Performance (documenta 8, Kassel 1987) präsentiert und im anschließenden rechteckigen Raum simulieren das Schwarzlicht-Kreuz, das gespannte Gummiseil und die Videoaufnahme des Kopfes des Künstlers die interaktive Performance. Das Gummiseil im Raum kreuzt auf HalsHöhe das Videobild. Anders als bei der Performance reagieren Seil und Bild nicht aufeinander. Der Betrachter wird hier wie da mit seiner (aktiven oder passiven) Rolle konfrontiert; Fragen nach Täter- und Zeugenschaft, Manipulation, Verantwortung, Gewissen, aber auch Gewalt bereitschaft stellen sich. — MCvL — MCvL Dan Graham Present Continuous Past(s), 1974 In der Rauminstallation Present Continuous Past(s) wird der Betrachter mit um wenige Sekunden versetzt projizierten und produzierten Abbildern seiner selbst konfrontiert: Die in der verschlossenen Raumbox verteilten Spiegel bilden die „present time“ ab. Die Videokamera zeichnet sowohl das Geschehen auf, das vor der Linse stattfindet, als auch die Reflexion auf der gegenüberliegenden Spiegel wand. Die von der Videokamera aufgezeichneten Bilder werden jedoch erst mit einer Verzögerung von 8 Sekunden auf dem Videomonitor an der Wand ausgestrahlt. Demnach sieht der Betrachter sowohl das 8 Sekunden zuvor aufgezeichnete Bild, also auch das 16 Sekunden alte Abbild und das aktuelle Spiegelbild. In diesem Zeitkontinuum werden in einem Intervall von 8 Sekunden zahlreiche Abbilder geschaffen und projiziert – Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich, die Grenzen verschwimmen. „I’m interested in inter-subjectivity“, erklärte Dan Graham 2002, „exploring how a person, in a precise and given moment, perceives him / herself while at the same time watching other people who in turn are watching him / her.“ — AH Bruce Nauman Live-Taped Video Corridor, 1970 „What interested me was to bring these two kinds of information together: physical information and visual or intellectual information. The experience lies in the tension that grows between them, the impossibility of putting together.“ Bruce Nauman (1986) Live-Taped Video Corridor gehört zu der Werkgruppe der Performance-Korridore. Die Spannung zwischen realem und medialem Raum prägt diese Closed-Circuit-Installation: ein 50 cm schmaler, fast zehn Meter langer Gang, an dessen Ende zwei übereinandergestellte Monitore stehen. Der obere zeigt ein Closed-Circuit-Videobild, der untere, in gleicher Einstellung, den vorab gefilmten Korridor: Vergangenheit und Gegenwart des Raums treffen aufeinander. Die Kamera befindet sich über dem Eingang. Betritt die Besucherin den Korridor, erscheint ihr Bild auf dem Monitor, doch je näher sie diesem kommt, desto mehr entfernt sie sich von der filmenden Kamera und umso kleiner gerät ihr Live-Abbild. Die eigene Raumwahrnehmung wird irritiert, zudem sieht sich die Betrachterin auf dem Videobild nur von hinten, wird so zur Überwacherin ihrer selbst in der physischen Beengtheit des Raums. — MCvL Grass Field, 1966 Franz Reimer The Situation Room, 2013 „Während jedoch die US-Regierung in der Bild-Vorlage den Tod Osama Bin Ladens betrachten konnte, erkennt sich der Besucher in der Installation wieder nur als Zuschauer der nicht sichtbaren Exekution … Seine Problematik wird direkt erfahrbar: Die Installation zeigt uns, dass das Bild uns nichts zeigt. Wie ein Spiegel wirft sie unseren Blick auf uns selbst zurück. Hinter ihm bleibt das Versprechen der totalen Transparenz und Sichtbarkeit in einer digital vernetzten Welt zurück. The Situation Room zeigt eine bildpolitische Zäsur. Gegen die Macht der Bilder steht das Bild der Macht. Der Macht über die Sichtbarkeit.“ (Franz Reimer) Die begehbare Closed-Circuit-Videoinstallation The Situation Room von Franz Reimer besteht aus dem Nachbau einer Situation im Weißen Haus, die auf dem gleich namigen Pressebild von Pete Souza (1. Mai 2011) während der Tötung von Osama Bin Laden zu sehen ist. Eine Videokamera filmt den Bildausschnitt der Kulisse exakt wie auf der Bildvorlage, allerdings mit Besuchern der Ausstellung. Dieses gefilmte Bild wird auf jenen Bildschirm übertragen, der in der Originalsituation von der US-Regierung fokussiert wird. — AH Jochen Gerz, Purple Cross for Absent Now, 1979 VALIE EXPORT Raumsehen und Raumhören, 1974, ist das Ergebnis einer einmaligen Performance im Kölnischen Kunstverein. In Form einer strukturellen Analyse der Wahrnehmung von parallelem Bild und Ton behandelt die Videoarbeit die Beziehung zwischen Körper und Raum. Während EXPORT die gesamte Zeit bewegungslos an einer Stelle stand, war auf dem Bildschirm zu sehen, wie sie mit Hilfe technischer Mittel wie unterschiedlicher Brennweiten oder der Zwei teilung des Monitors näher und ferner rückte, kleiner und größer wurde, von links nach rechts wechselte. Zudem wurde das Bild mit synthetischen Tönen gekoppelt: Optische Nähe entsprach großer Lautstärke und schneller Tonrepetition, optische Ferne geringer Lautstärke und langsamer Tonrepetition. In insgesamt sechs verschiedenen Abschnitten wurden derart einander zugeordnete Raum positionen und Töne in ihren möglichen Kombinationen vorgeführt. Raumsehen und Raumhören konfrontiert die Statik des realen Körpers im Raum mit den dynamischen Möglichkeiten des technischen Apparats. (www.see-this-sound.at) Peter Campus, mem, 1974 16 17 Künstler Nam June Paik Richard Kriesche Christian Falsnaes „I am always not what I am and I am always what I am not.“ Nam June Paik (1976) Nam June Paik ist einer der Pioniere der Videokunst und war einer der wichtigsten Protagonisten der FluxusBewegung. Ausgehend von elektronischer Musik kam Nam June Paik früh über die Aktionskunst zu einer folgenreichen Auseinandersetzung mit der Medientechnologie. So kommt es in seinen Medien-Installationen zu Transformationsprozessen, die auf der Interaktion und auf der Erzeugung von Bewegtbildern beruhen, die sich gegenseitig überlagern. Die Closed-Circuit-Videoinstallation Three Camera Participation (1969/2000) nimmt die Betrachterin mit drei nebeneinander stehenden Kameras auf und projiziert diese drei Abbilder, die leicht verschoben sind, farbig auf die Wand und gleichzeitig auf einen Monitor. Die Betrachterin wird nicht nur aktiv in das Werk einbe zogen, sondern spielt mit ihren Abbildern, die sich aus den drei Video-Grundfarben überlappend bunt zusammensetzen. — AH Richard Kriesches Installation Zwillinge zeigt eineiige Zwillinge in zwei identischen Räumen bei der stillen Lektüre von Walter Benjamins Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Jeder Zwilling wird lesend in seinem Raum gefilmt, das von der Kamera aufgezeichnete Bild wird wiederum in Echtzeit in den anderen Raum, auf einen Monitor übertragen. Der österreichische Künstler und Medientheoretiker verweist mit seiner erstmals 1977 auf der documenta 6 gezeigten Installation auf die Manipulation der Wirklichkeit durch Medien. Er irritiert die Betrachter, die scheinbar ohnehin „doppelten“ Zwillinge werden im Videobild erneut gespiegelt: Was ist Realität, was ist Spiegelung von Wirklichkeit? Zu welchem Zwilling gehört welches Abbild? Zur weiteren Verunsicherung trägt ein Zitat Walter Benjamins bei, das, von Richard Kriesche manipuliert, neben den Zwillingen an der Wand hängt: „das (der) reproduzierte kunstwerk (mensch) wird in immer steigendem maße die reproduktion eines auf reproduzierbarkeit angelegten kunstwerkes (menschen)“ (Walter Benjamin (richard kriesche)). — KH „Ich behaupte, dass Kunst transformatives Potenzial hat. Weil ich keine politische Agenda habe, interessiert mich die Bewegung an sich, die Utopie und das Spiel mit Ideen und Vorstellungen.“ Christian Falsnaes (2011) Christian Falsnaes’ Arbeiten untersuchen partizipatorische Strategien und erkunden die Beziehung zwischen Künstler und Publikum. In seinen Performances bezieht der dänische Künstler die Zuschauer auf unterschiedliche Weise ein, so animiert er sie beispielsweise zu tanzen (Opening, 2013), zu malen (One, 2013) oder Ausstellungswände zu durchbrechen (ELIXIR, 2011). Falsnaes schafft einen Rahmen für Interaktion, ein Format, in dem frei agiert werden kann. Seine Performances sind für ihn keine Statements, sondern Kompositionen von Aktionen, Events, Installationen und Videos. Er untersucht das Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe, setzt sich auseinander mit der Autorität des Künstlers, Gruppendynamiken und sozialen Ritualen. Neben der Videoarbeit ELIXIR zeigt die Ausstellung seine 5-Kanal-Audio-Installation und Performance Justified Beliefs. Hier wird das Publikum zum Hauptakteur: Fünf Kopfhörer übermitteln unterschiedliche Audiotracks, die verschiedene Anleitungen für den Besucher bereithalten, in dem Ausstellungsraum zu agieren. Aufeinander abgestimmt bilden sie eine komplexe Choreografie. Sobald sich der Besucher einen Kopfhörer aufsetzt, wird er Teil der Performance. — MCvL Three Camera Participation, 1969/2000 Servaas Zwillinge, 1977 Pfft, 1981 Der 2001 verstorbene holländische Medienkünstler Servaas (Schoone) führt in seiner Closed-Circuit-Installation Pfft auf anschauliche und ironische Weise vor, dass der Vorgang des Atmens den Menschen zu einem permanenten Austausch mit der Natur anregt: Auf einem Monitor ist ein Video mit dem Kopf des Künstlers zu sehen, wie er in Richtung des Betrachters Luft ausbläst. Eine reale Feder befindet sich vor dem Monitor frei im Raum und wird durch das geräuschvolle Pusten „Pfft“ offensichtlich in Bewegung versetzt. Die Täuschung entsteht durch den Einsatz des bewegten und geräuschvollen Videobildes als scheinbar realem Auslöser einer Bewegung im Raum – jener der schwebenden Feder. — AH Giny Vos Giovanni Arnolfini en zijn jonge vrouw, 1984 Partizipation In der Ausstellung: Tino Sehgal, This is Exchange, 2003 Richard Kriesche, Zwillinge, 1977 Christian Falsnaes, Justified Beliefs, 2014 Di–So 11–19 h This is Exchange 13–19 h Zwillinge / Justified Beliefs Tino Sehgal This is Exchange, 2003 „I do not ‚invent‘ anything that was not there as a part of the material in the first place. I look, combine and I order facts so that the imagination may create a new reality.“ Giny Vos (1995) Die niederländische Bildhauerin und Medienkünstlerin Giny Vos realisierte Giovanni Arnolfini en zijn jonge vrouw als Closed-Circuit-Videoinstallation in der vergrößerten Kopie des gleichnamigen Gemäldes von Jan van Eyck (1434): Vos installierte eine Überwachungskamera am Bild und einen kleinen Monitor an jener Stelle des Originals, an der sich der gemalte Spiegel befindet. Die Kamera zeichnet die Betrachterin so auf, dass sie in der richtigen Perspektive und Größe als bewegtes Bild in dem kleinen „Spiegel“ erscheint – wie die gemalten Personen in Frontansicht im Original, jedoch ohne Brautpaar in Rücken ansicht. Vos konzentriert sich in ihren Werken auf das Verschmelzen von offenkundigen Situationen, Objekten, Räumen etc. mit Medientechnologien, so dass Transformationsprozesse entstehen. Diese münden in einer neuen, manipulierten Form von Wirklichkeit. — AH Wie kein anderer Künstler steht Tino Sehgal für den Transfer choreografischen und tänzerischen Wissens in die Bildende Kunst. Seine Architekturen der Interaktion, in denen er ein choreografisches Material mit einer Gruppe von Interpreten auf die Besucher der Ausstellungsräume überträgt, sind in der Konzeptkunst oder der Minimal Art verankert, schöpfen aber doch aus einer tänzerischen und choreografischen Praxis, die Tino Sehgal durch seine Ausbildung als Tänzer und durch seine Erfahrungen in den Kompagnien von Jerome Bel, Xavier Le Roy oder auch den Ballets C. de la B. gemacht hat. In den Installationen von Tino Sehgal werden die Zuschauer zur „Sozialen Plastik“. Sie sind Teil des Werks, das sich der Dokumentation, der „Objektivierung“ systematisch entzieht. Es geht um die Konstruktion und um die radikale Erfahrung von Gegenwart, jene Möglichkeit, die Verflechtung eines jeden Subjekts in die Konstruktionen von Zeit und Raum sowie die radikale Auflösung aller sicheren selbstreferenziellen Positionen aufzudecken und wirksam zu machen. Das ist choreografisches Denken, übertragen auf die Konzeption eines Kunstraumes, in dem jeder, aber auch jeder Besucher oder Betrachter mit seinem Körper existenziell zum Teil einer Inszenierung wird: die choreografische Praxis als Möglichkeit, das Wunder der eigenen Erfahrung von Existenz in Bewegung im White Cube zu etablieren. — JO Künstler Justified Beliefs, 2014 Christian Falsnaes, Justified Beliefs, 2014 Hamish Fulton Walking East – Walking West, 2014 Seit 1967 konzipiert der englische Künstler Hamish Fulton Wanderungen in England, Schottland, Irland, Frankreich, Italien, der Schweiz, den USA, Australien, Indien, Peru, Mexiko und anderen Ländern. Im Rahmen der Partizipations- projekte zum SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT hat er im Jahr des 25-jährigen Mauerfalljubiläums eine Wanderung mit dem Titel Walking East – Walking West konzipiert. 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehen in zwei Gruppen à 400 Personen im Abstand von 50 Zentimetern langsamen Schrittes auf einer geraden Linie nach Osten beziehungsweise Westen. Am Ende dieses Transformationsprozesses treffen sich beide Gruppen auf einer Linie: Ost verschiebt sich nach West und West nach Ost. Hamish Fulton steht mit seiner konzeptionellen Kunst und Land Art in der britischen Tradition der Landschaftsmalerei und sozialen Plastik, die er mit neuen Mitteln und Ausdrucksformen zum Leben erweckt. Bei seinen Wanderungen steht das Erlebnis von Natur, Urbanistik und Gesellschaft im Vordergrund. — AH Richard Kriesche, Zwillinge / Twins, 1977 Hamish Fulton: Marina Abramović Walking East – Walking West The artist is present, 2012 Public Walk mit 800 Teilnehmern auf der Straße des 17. Juni Anmeldung zur Teilnahme: www.adk.de/hamishfulton Die Performancekünstlerin Marina Abramović beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Verhältnis von Performern und Publikum. Dabei benutzt sie ihren eigenen Körper als Objekt und Medium und lotet physische und moralische Grenzen aus. Für das Publikum stellen ihre Arbeiten häufig eine große Herausforderung dar. Im Jahr 2010 zeigte das New Yorker Museum of Modern Art eine Retrospektive der Künstlerin. Parallel fand im Atrium des Museums ihre bisher längste Performance statt: The artist is present. Marina Abramović saß hier während der gesamten Laufzeit der Ausstellung schweigend an einem Tisch, die Besucher wurden eingeladen, sich zu ihr zu setzen, schweigend mit ihr zu interagieren und auf diese Weise selbst Teil des Kunstwerks zu werden. Der Film The artist is present dokumentiert die Performance und begleitet die Künstlerin vor, während und nach der Ausstellung im MoMA. Neben der Interaktion mit den Besuchern zeigt der Film auch die Abläufe hinter den Kulissen und zeichnet ein umfassendes Porträt von Marina Abramović. — KH 21.9. 14 h, Straße des 17. Juni Hamish Fulton, Walk 2: Margate Sands, 2010 18 Game Art gold extra Frontiers, seit 2008 Bill Viola The Night Journey, 2005–2010 Was sind die Spielmechaniken der Erleuchtung? Der langjährige Pionier der Videokunst Bill Viola (USA) hat mit The Night Journey – ein Spiel, das er zusammen mit einem Team des Game Innovation Lab der University of Southern California 2005 begonnen und 2010 erstmals präsentiert hat – die Grenzen der Game Art verschoben und seine früheren Arbeiten in ein digitales Format gebracht. Die körnige, verschwommene Ästhetik des Spiels erinnert an eben jene früheren Werke, während die Mechanik des Spiels der Spielerin erlaubt, diese Bilderwelt zu erforschen. The Night Journey dreht sich um die individuelle mystische Suche nach Erleuchtung und ist als interaktive Meditation angelegt. Im Verlauf des Spiels bereist die Spielerin eine poetische Landschaft, die vom Leben und Denken herausragender spiritueller Figuren, Dichter, Philosophen und Mystiker diverser Kulturkreise und geschichtlicher Epochen inspiriert wurde und eher reflexive und spirituelle denn geografische Qualitäten aufweist. Die zentrale Spielmechanik besteht im Akt des Reisens und Reflektierens und nicht im Erreichen bestimmter Ziele. So wird versucht, im Geist der Spielerin die Erfahrung einer archetypischen mystischen Reise zu evozieren. Je aufmerksamer und nachdenklicher die Spielerin mit der Spielwelt umgeht, desto mehr wird ihr offenbart. — MB Paidia Institute Laboratory: feedback (fortlaufend) Das Künstlerkollektiv Paidia Institute (Deutschland) hat sich dem Feld der spielbaren Systeme gewidmet, sowohl als spezifische techné als auch als signifikantes sozio kulturelles Phänomen. Ihr Fokus liegt auf dem Spielen als einer Schlüsselstrategie, um restriktiv-statische sowie chaotisch-anarchische Zustände dahingehend zu transformieren, dass sie Kreativitäts-, Kollaborations- und Lernprozesse befördern. Mit ihrer laufenden Serie von Experimenten Laboratory: feedback untersuchen sie Computerspiele als geschlossene kybernetische Kreisläufe, buchstäbliche Closed Circuits – Kontrollketten, die mensch liche Elemente enthalten können, aber nicht müssen. Hierzu modifizieren sie Soft- und Hardware kommerzieller Spielsysteme und verknüpfen sie zu experimentellen Anordnungen, wodurch ihr jeweiliges Feedback-Verhalten in neue Bahnen gelenkt und eine Archäologie ihrer Inter aktionsdispositive offengelegt wird. — MB Alexander Bruce Antichamber, 2013 Alexander Bruce (Australien) ist ein experimenteller Game Designer, der durch eine Serie von Programmierfehlern auf Verfahren zur Produktion manipulierbarer Geometrie und rekursiver Räume gestoßen ist, die er mehrere Jahre lang erforscht und erprobt hat. Seine Entdeckungen mündeten schließlich in Antichamber, einem Explorationsspiel für einen Spieler in einer gewaltigen nicht-euklidischen Welt, in der nichts für selbstverständlich gehalten werden kann. Das Spiel erzeugt seinen Schwindel dadurch, dass die Architektur der Spielwelt instabil ist. Der Raum – nach Kant ein notwendiger Parameter der Wirklichkeit neben der Zeit – ist in dem Spiel nicht mehr zuverlässig. Er konfiguriert sich während des Spielens immer wieder um, so dass das Unmögliche häufig der einzige Weg nach vorn ist. Dieses Werk bietet eine tiefgreifende ästhetische Erfahrung, die Spieler dazu veranlasst, ihr eigenes Wissen hinsichtlich der Funktionsweise des (virtuellen) Raums sowie des Computerspiel-Mediums selbst in Frage zu stellen. — MB 19 Künstler Die Künstlergruppe gold extra (Österreich) – ein Netzwerk von bildenden Künstlern, Regisseuren, Programmierern und Performern – erforscht innovative künstlerische Ausdrucksformen und kreative Zwischenräume. In dem Computerspiel Frontiers, das als Software-Modifikation eines kommerziellen Game Engine entwickelt wurde, lassen sie zwei bis sechs Spielerinnen die Rolle von Flüchtlingen beziehungsweise Grenzbeamten an den Rändern von Europa annehmen. Die im Spiel porträtierten Räume und Figuren basieren auf ausführlichen Feldforschungen der Entwickler an Europas Grenzen und auf zahlreichen Interviews mit Flüchtlingen, Hilfsorganisationen, Bewohnern der jeweiligen Region und den zuständigen Behörden. Durch die erspielte Erfahrung werden etablierte Narrative zum Thema Flucht und Migration unterlaufen, und es wird eine virtuelle Erfahrung des sozialen Schwindels erzeugt, der auf realen Schicksalen basiert. — MB Tale of Tales / Auriea Harvey und Michaël Samyn Bientôt l’été, 2012 Auriea Harvey und Michaël Samyn (Belgien) erkunden als Tale of Tales seit 2003 das Computerspiel als künst lerisches und expressives Medium. Mit ihren Entwürfen verlassen sie das einschränkende Paradigma des kompetitiven Spiels, das die kommerzielle Computerspiellandschaft beherrscht. In einem Versuch, das Medium für andere Arten von Spielen und Spielern zu öffnen, erforschen sie neue Modalitäten der Interaktion. Mit ihrem Spiel Bientôt l’été (2012) – ein von Marguerite Duras’ Moderato Cantabile inspiriertes Werk – laden sie zwei Spieler dazu ein, die Rollen von zwei Liebenden, die Lichtjahre von einander entfernt sind, anzunehmen. Als solche können sie einsam am Ufer eines simulierten Meeres spazieren gehen, wo es inmitten einer sehnsuchtsvollen Leere un geahnte Schätze zu entdecken gibt. Oder aber sie entscheiden sich, mit dem virtuellen Körper des Anderen in Kontakt zu treten und mit ihm mittels eines surrealen Schachspiels zu kommunizieren, in dem vorformulierte Phrasen und Spielzüge die Interaktion choreografieren. Diese intensive Interaktion mit einem anonymen Gegenüber, der genauso gut ein vom Spiel gesteuertes Konversations programm sein könnte, ist eine Reflexion auf unser medial geteiltes Leben im Zeitalter von Internet-Videofonie, Chatrooms, Liebesbeziehungen zu „Operating Systems“ wie in Spike Jonzes Film Her und auf den Schwindel, der durch einen Alltag erzeugt wird, in dem Lokalität nicht mehr eine Kategorie der räumlichen Nachbarschaft ist, sondern eine affektive Qualität des sozialen Lebens. — MB Lynn Hershman Leeson Agent Ruby, 1999–2002 Seit den 1970er-Jahren beschäftigt sich Lynn Hershman Leeson mit Konstruktionen weiblicher Identitäten. „Ruby“ taucht erstmals als fiktionaler Charakter in ihrem Film Teknolust (2002) auf, in dem die Wissenschaftlerin Rosetta Stone aus ihrer DNA drei SRAs (Self Replicating Automatons) entwickelt, eine von ihnen ist Ruby. Im Film arbeitet Ruby in einem Portal als „e-dream hostess“. Aus der fiktionalen Figur wird in Agent Ruby eine virtuelle, die mit dem realen Besucher in Kontakt tritt. Interaktion kennzeichnet die Arbeit, Agent Ruby und der Besucher, „seeker“ genannt, kommunizieren per Chat, virtuelle Wirklichkeit trifft auf die reale. Besucher-Fragen erwidert Ruby prompt. Manchmal stößt ihre künstliche Intelligenz dabei auch an ihre tech nischen Grenzen, wenn sie antwortet „My brain contains more than 22,000 patterns, but no one that matches your last input.“ — MCvL Künstler Paolo Pedercini / Molleindustria Unmanned, 2012 Paolo Pedercini (Italien) entwickelt mit dem Künstler kollektiv Molleindustria seit 2003 Spiele als „homöopathische Kur” gegen die „Diktatur der Unterhaltung”. Ihre Werke umfassen satirische Simulationen zeitgenössischer Geschäftspraktiken, spielerische Modellierungen politischer Konflikte, Meditationen über Entfremdung in der neoliberalen Arbeitswelt, spielbare Theorien und ReImaginationen des Computerspielmediums selbst. Ihr Spiel Unmanned (2012) ist ein kritischer Kommentar zum Einsatz bewaffneter Drohnen in der zeitgenössischen Kriegsführung sowie zur Überhöhung des Kriegs in den Produkten der Kulturindustrie. Im Gegensatz zu den Scharen an kommerziellen Kriegsspielen nimmt der Spieler nicht die Rolle eines heldenhaften Frontsoldaten ein, sondern die eines Piloten, der tagsüber aus der Ferne mittels einer unbemannten Drohne den „Feind“ auf einem anderen Kontinent beobachtet (sowie gegebenenfalls tötet), und dann den Feierabend mit seiner Familie in einem USamerikanischen Vorort verbringt. Im Verlauf des Spiels partizipieren die Spieler an dem Wirklichkeitsschwindel des Soldaten und werden mit seinem zentralen inneren Konflikt konfrontiert: Welche Störungen zieht es im sonstigen Leben nach sich, wenn man so weit von der Zerstörung entfernt ist, die man im Arbeitsalltag anrichtet? — MB Daniël Ernst Der Grosse Gottlieb, 2014 Daniël Ernst (Niederlande) bezeichnet sich selbst als interaktiven Illustrator – jemand, der interaktive Erfahrungen konzipiert und erschafft – und lebenslangen Liebhaber der Dreidimensionalität. Gegenwärtig produziert er Dioramen für die noch in Entwicklung befindliche Oculus Rift, Speerspitze einer neuen Generation von Datenbrillen für die virtuelle Realität. Diese Dioramen sind interaktive Kurzgeschichten, destillierte Momente in Zeit und Raum. Ihr Detailreichtum stimuliert die Imagination und fordert dazu heraus, sich ein eigenes Narrativ aus der gebotenen medialen Umgebung zusammenzupuzzeln. Der Grosse Gottlieb lädt dazu ein, am simulierten Schwindel zu partizipieren, der sich mit dem atemberaubenden Blick von der Spitze eines gigantischen Turms aus Stühlen einstellt, inmitten von Zirkusromantik, virtuellen Wolken und mit einem Hauch des Realen im Nacken. — MB Tale of Tales, Bientôt l’été, 2012 Robin Arnott Soundself, 2014 Robin Arnott (USA) erschafft interaktive Kunst und hegt ein Interesse für minimalistische emotionale Immersion. SoundSelf ist ein ästhetisches Explorationsspiel, das die intrinsische Lust am Spielen den Belohnungen des Gewinnens vorzieht. Mittels der eigenen Stimme können Spieler eine hypnotische Welt aus Klang und Licht erforschen, die sich so anfühlt, als würde sie direkt aus dem eigenen Körper hervorgehen. Diese Arbeit, die für die nächste Generation der virtuellen Realität erschaffen wurde, ist das Ergebnis des Aufeinandertreffens von uralten Meditationstechniken mit der Trancetechnologie des Computerspielens. Sie macht sich Schlupflöcher der Wahrnehmung zunutze, um einen introspektiven Zustand der Ekstase beim Spieler zu induzieren. Besucher – egal ob erfahrene Psychonauten oder unerschrockene Novizen – werden dazu eingeladen ihre Stimme zu gebrauchen, um sich durch eine Landschaft aus Licht und Leib zu navigieren und Selbst und Welt auf eine unbekannte Art und Weise zu erfahren. — MB Gold Extra, Frontiers, 2010 20 21 Künstler Künstler Visibility Machines Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? Wie Trevor Paglen und Harun Farocki mit den Mitteln des Sehens die unsichtbaren Orte der Macht reflektieren Visibility Machines Niels Van Tomme im Gespräch mit Trevor Paglen (in englischer Sprache) Eintritt: Euro 5/3 Harun Farocki, Erkennen und Verfolgen, 2003 17.9. 19 h, Studio Könnte es sein, dass der Aufklärungsbegriff in seiner ideellen Ausprägung zwar die Transparenz wissenschaftlicher Forschung und die Ausbreitung des Wissens begünstigt, dass er letztendlich aber genau das Gegenteil bewirkt hat, nämlich eine systematische Verschleierung und Unzugänglichkeit von Wissen über einzelne Gegenstände? Und könnte das in einer Weise geschehen sein, die die wahre Natur dieser Gegenstände für immer unergründlich macht? Schon der Gedanke an die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden legt die Vermutung nahe, dass die aufklärerische Vorstellung vom voraussetzungslosen Wissen und der aus ihr hervorgegangene Begriff der transparenten Politik vielleicht gerade in eine absolutistische Doktrin der Staatssicherheit und Willkürherrschaft umschlagen.1 So mahnt die Philosophin Joan Copjec zur Vorsicht „vor dem ‚Hirngespinst‘ der ‚moralischen Läuterung‘ und allgemeinen Menschenwürde, der Pflege und Wahrung der Menschenrechte, des Fortschritts und der Universalität“, seien doch „diese Begriffe für genau die Katastrophen verantwortlich“, die sie vorgeblich abwenden wollten.2 Ungeachtet solcher kritischer Beurteilungen ist das ursprüngliche Verständnis von Aufklärung aber bis heute das vorherrschende Paradigma der meisten intellektuellen Anstrengungen, von der naturwissenschaftlichen und sonstigen akademischen Forschung über die argumentative Begründung staatlicher Politik bis hin zu weiten Bereichen der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung in den westlichen Ländern. Mit seinem ikonischen, abbildenden Einsatz hoch entwickelter teleskopischer Objektive – dieser unverzichtbaren Instrumente des wissenschaftlichen Fortschritts und all gemeinen Wohlergehens – berührt Trevor Paglen viele dieser Themen. Sein Werk offenbart einen ähnlichen Wandel vom aufklärerischen Denken zu einer weit ausgreifenden Doktrin der Geheimhaltung. Indem Paglen geheime militärische Anlagen aus großer Entfernung ausspäht, entstehen ambivalente Bilder, die als fertige Arbeiten systematisch an der selbst gestellten Aufgabe scheitern, die verborgene Wirklichkeit angemessen darzustellen. Das Teleskop wird als technisches Gerät in dieselbe Gewalt eingebettet, die es untersuchen soll. Es zeigt sich, dass derartige optische Instrumente unentwirrbar mit der historischen und gegenwärtigen Entwicklung des militärisch-industriellen Komplexes verflochten sind. Paglen wirft grundlegende Fragen auf, die über Einzelheiten der von ihm untersuchten Welten hinausgehen. Er zwingt uns zum Nachdenken über die vermeintliche Neutralität der optischen Medien bei der bildlichen Darstellung militärischen Handelns und, allgemeiner gesprochen, über die Grenzen, die der Aufzeichnung und Verarbeitung unserer Lebens umgebung gesetzt sind. Auch Harun Farockis ikonische Verwendung operativer Bilder, die von und für Maschinen erzeugt werden, verweist auf eine gleichlaufende Transfor mation in unserem Verständnis des Bildes als „Aufklärungsinstrument“: Was genau zeigen uns diese Bilder und an wen wenden sie sich? Sie dienen nicht mehr dazu etwas dar zustellen, sondern als Erkennungs- und Verfolgungstechniken für militärische Zwecke. Als solche haben sie keinen Erkenntniswert, sondern sind vollständig in das Netz des Krieges eingesponnen. Mit der Gegenüberstellung der Arbeiten wird untersucht, wie sich die ursprünglich hinter dem Begriff der Aufklärung stehenden Gedanken – sowie ihr Bezug zur wissenschaftlichen Vernunft und zur Transparenz des Wissens – in künstlerischen Kontexten wiedergewinnen lassen. Es stellen sich einige Fragen von unmittelbarer Relevanz für die Arbeit von Harun Farocki und Trevor Paglen. Inwieweit ermöglicht eine vergleichende Betrachtung beider Arbeiten ein besseres Verständnis der Wirklichkeit, mit der sich diese Künstler befassen, nämlich der Sphäre weltweiter Militäroperationen? Wie kann die sys tematische künstlerische Erforschung von militärischer Überwachung, Spionage, Kriegführung und Bewaffnung als solche zu aufklärerischem Handeln werden, zu einem Akt der Rückschau und Erwiderung auf die „Krieger des Sehens“, um hier einen Begriff des Philosophen und Kritikers Brian Holmes aufzugreifen? 3 Und was lässt sich am Ende daraus lernen, wenn mutige Künstler sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Militär einlassen? Finden wir in diesen Gesten vielleicht eine Möglichkeit, die verschiedenen Ausprägungen von Gewaltherrschaft „aufzulösen“ oder zu transformieren, die unser Verhältnis zu den Bildern und zu den von ihnen scheinbar dargestellten Wirklichkeiten so stark verzerrt und politisiert haben? Niels van Tomme Kurator und Kritiker Auszug aus: Niels Van Tomme, „The Image as Machine“, in: ders., Visibility Machines: Harun Farocki & Trevor Paglen, Center for Art, Design and Visual Culture, University of Maryland, Baltimore County 2014, S. 25–35. Der vollständige Essay „Das Bild als Maschine“ von Niels Van Tomme ist nachzulesen auf www.schwindelderwirklichkeit.de. Übersetzung ins Deutsche: Herwig Engelmann 1 Trevor Paglen, Open Hangar; Cactus Flats, NV; Distance ~ 18 miles; 10:04 a.m., 2007 „Aufklärung“ meint in diesem Zusammenhang die Gesamtheit der historischen und kulturellen Entwicklung in der westlichen Welt im späten 17. und 18. Jahrhundert, soweit sie Vernunft und Erkenntnis in Abgrenzung zur Tradition betonte. 2 3 Joan Copjec, Imagine There’s No Woman, Cambridge: MIT Press 2003, S. 137. Brian Holmes, „Visiting the Planetarium, Images of the Black World“, in: Trevor Paglen, Katalog zur Ausstellung der Wiener Secession, 2010, S. 14. Jan Distelmeyer Diese Frage beherbergt drei Fragen, von denen jede für sich alles andere als leicht zu beantworten ist. Natür lich kann Kunst membranhaft übertragen, kann ein Medium zwischen Individuen und politischer Wirklich keit sein – eine (affirmative, deviante, zufällige, absichts volle usw.) Vermittlung zwischen uns und politischen Prozessen, deren Breite oder Tiefe vielleicht erst/anders durch diesen Vermittlungsprozess erfahrbar wird. Nur stellt sich damit gleich auch die Frage, wie wir das von außen erkennen und verhandeln können, wenn wir nicht auf Selbstaussagen von Künstler_innen pochen wollen und damit unsere romantisch-idealistischen Ideale (und im Zweifelsfall auch Ressentiments, Bestätigung und Ruhe) pflegen. Hier sind wir, scheint mir, immer wieder zurückgeworfen auf die unabgeschlossene Auseinan dersetzung und den Diskurs, in dem wir diese Beziehungen mit der Kunst verfolgen, herstellen und in Diskussionen verteidigen oder überprüfen. Diese Aktivierung, die nicht im Werk eingeschlossen ist, son dern sich vielmehr mit ihm entfalten kann, wäre auch schon ein Weg zur Antwort auf die zweiten Frage. Niemand kann ernsthaft die Möglichkeit der Künste bestreiten, Wirklichkeit zu ändern (und damit ist hier ja sicher mehr als die des Kunstbetriebs gemeint). Genau dieser Common Sense ist ja der Grund, warum Kunst staatlichen Repressionen ausgesetzt ist, Künstler_ innen mit Verboten belegt oder zu Linientreue verpflich tet werden. Die Geschichte der „Deutschen Filmaka demie“ von 1938 bis 1940 erzählt davon: Als Joseph Goebbels im März 1938 die Gründung der „Deutschen Filmakademie“ in Babelsberg verkündete, war das Ziel auch der „Filmkünstlerischen Fakultät“ natürlich eine Ausbildung im Sinne der NS-Ideologie. (Und diesen auf Veränderung angelegten Bezug zwischen Kunst und Wirklichkeit hätte man vielleicht bedenken sollen, bevor 65 Jahre später zur Verleihung der Deutschen Filmpreise ein Verein gegründet wurde, der offenbar ahnungslos den alten Namen der Nazi-Filmschule reaktivierte.) Die dritte Frage schließlich, wie die Künste Wirklich keit verändern könnten, ist sicher die schwierigste. Und sie sollte, denke ich, auch gar nicht allgemein beant wortet, sondern im Einzelfall diskutiert und verhandelt werden. In dem Allgemeinen steckt hier meines Erach tens die Gefahr einer Verpflichtung der Künste und künstlerischer Praktiken zu einem zuvor bestimmten Zweck – ein teleologisches Modell, das nicht nur historische Ausformungen wie etwa die braune Film akademie kennt. Der heutige Hype um „Künstlerisches Forschen“ und „Artistic Research“ hat neben spannen den Möglichkeiten auch die Seite einer Verpflichtung der Künste auf Produktivität im Sinne der ausgerufenen Wissensgesellschaft. In dieser „Knowledge Economy“ ist (Weiter-)Bildung von hohem Wert. Damit soll auch die Kunst ihren Platz im kognitiven Kapitalismus einnehmen. Wollen wir Kunst am Grad ihrer Effektivität messen? So sehr ich mir wünsche, die Künste mögen dazu beitragen, diese Welt zu einem besseren Ort werden zu lassen, so problematisch scheint mir eine generelle Antwort auf die Frage nach dem „Wie“ zu sein. Jan Distelmeyer ist Medienwissenschaftler und Professor für Geschichte und Theorie der technischen Medien an der FH / Uni Potsdam. 22 Die mediale Schwelle Visibility Machines: Harun Farocki & Trevor Paglen Der Filmemacher Harun Farocki und der investigative Fotograf und Künstler Trevor Paglen treten im Rahmen der Ausstellung in drei Kapiteln in einen Dialog, der einzigartige thematische und formale Schnittmengen kenntlich macht. Beide sind akribische Beobachter des globalen militärisch-industriellen Komplexes. Beide untersuchen mit ihren Mitteln Formen der militärischen Überwachung, Spionage, Kriegsführung und Waffentechnik. Beide erkunden, wie militärische Projekte unsere Beziehung zu Bildern und vor allem zu den Realitäten, die sie zu repräsentieren scheinen, beeinflussen, und bedienen sich dabei wissenschaftlicher Forschungsmethoden. So sind beide Oeuvres inhärent politische Projekte mit weitreichenden ästhetischen Konsequenzen. Harun Farocki deckt in seinen Videoarbeiten Eye/Machine III, Serious Games IV und War at a Distance grundlegende Verbindungen zwischen Technologie, Politik und Gewalt auf, indem er Verbindungen zwischen den Bildern, dem Bilder-Machen und den Institutionen, die sie produzieren, offenlegt. Damit werden komplexe Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen, Sehvermögen und Gewalttätig keit erkennbar. Trevor Paglen nutzt hoch entwickelte Technologien des Sehens und erkundet geheime militärische Objekte und nachrichtendienstliche Operationen der USA, die gemeinhin als „Black World“ bekannt sind. „Um es mit dem Filmtheoretiker Thomas Elsaesser zu formulieren: Nicht nur ist das, was gewusst wird, nicht das, was wir sehen, sondern es gilt auch: Das, was wir sehen, ist nicht alles, was gewusst werden kann.“ (Niels van Tomme) — UR Der Dialog wurde in erweiterter Form unter dem Titel Visibility Machines: Harun Farocki & Trevor Paglen erstmals im vergangenen Jahr im Center for Art, Design and Visual Culture (CADVC) der University of Maryland, Baltimore County gezeigt, kuratiert von Niels van Tomme. Thomas Wrede Nach der Flut (I) / After the Flood (I), 2012 Dari King Drive In, 2007 „Es ist mir wichtig, in die Welt hinauszugehen und mich der Landschaft mit ihrer spezifischen Licht- und Wetter situation auszusetzen und von ihr anregen zu lassen, um dann mit geringen und simplen Mitteln neue Bildwelten zu schaffen, die ausschließlich durch die Fotografie, in der Fotografie, als Fotografie existieren.“ Thomas Wrede (2014) Thomas Wredes großformatige Fotografien wirken in einem Spannungsfeld zwischen künstlich erzeugter Landschaft und seiner Sehnsucht nach Natur, die an die Vertreter der Deutschen Romantik erinnert. Er hinterfragt dabei nüchtern und humorvoll das Abbilden von Natur und Landschaft, Wissen und Erinnerung, Wirklichkeit und Manipulation. Mittels analoger Plattenkamera mit Weitwinkel setzt er seine Modellhaus-Kulissen in der originären Landschaft so in Szene, dass die absolute Maßstabsuntreue zur fotografischen Realität wird. Aber auch „tagesaktuelle“ Naturkatastrophen wie eine Flut nutzt er als Thema, das uns an Berichterstattungen aus Katastrophengebieten erinnert. Sein Themenfundus scheint uns bekannt zu sein. Beim genaueren Hinsehen jedoch erliegt man der Täuschung und nimmt sie als neue künstliche Bildwelt wahr. — AH 23 Künstler Künstler Studiengang Europäische Herman Asselberghs Dear Steve, 2010 Medienwissenschaft Andrea Clemens, FeTAp 751-1 goes smart Bastian Schmidt und Lars Harzem, Facebook Misfunct Sarah Möller, Christian Brinkmann und David Wiesner, spectRes Ariana Dongus, Amusement Rosa Feigs, Box Stories Im Rahmen vom SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT werden fünf herausragende studentische Exponate ästhetischer Forschung aus der Europäischen Medienwissenschaft gezeigt – einem Studiengang der Universität Potsdam und der Fachhochschule Potsdam, in dem Studierende dazu angeleitet werden, mit Medien über Medien nachzudenken. Diese Arbeiten befassen sich mit der digitalen Schwelle, der Übergangszone zwischen der internen Welt des Computers, die ausschließlich aus Nullen und Einsen besteht, und der analogen Welt, die mit ihr über diverse Interfaces gekoppelt ist. Andrea Clemens hat in ihrer Arbeit FeTAp 751-1 goes smart ein analoges Tastentelefon mit TwitterFunktionalität ausgestattet. Im Umgang mit dem End produkt werden für die Nutzerin mittels der ungewöhnlichen, ins Dysfunktionale tendierenden Interface-Konfiguration ihre eigenen digitalen Gewohnheiten spürbar. Bastian Schmidt und Lars Harzem erzielen in Facebook Misfunct einen ähnlichen Effekt mit anderen Mitteln. Für diese Arbeit haben sie ein Skript geschrieben, das es ihnen erlaubt, Funktionalitäten des beliebten Social Network auszuschalten und zu modifizieren, wodurch die Machtstruktur und die impliziten Vorschriften von Facebook ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Sarah Möller beschäftigt sich in ihrer Arbeit spectRes – die sie mit Unterstützung des Mediengestalters Christian Brinkmann und des Mediensystematikers David Wiesner realisiert – mit der visuellen Dimension der digitalen Schwelle, der schwindelerregenden Flut von Bildern, die im Netz unaufhörlich auf uns zuströmt. Sie treibt diesen Strom auf die Spitze, indem sie Bilder diverser Nachrichtenquellen in einem automatisierten Blog bündelt und mit einem für das menschliche Auge kaum erfassbaren Tempo vorbeiziehen lässt. Ariana Dongus hat in Amusement ihr Augenmerk auf die Schwelle zwischen menschlichem und maschinellem Körper im digitalen Glücksspiel gerichtet und einen Raum beleuchtet, der sich im Verlauf des Spielens von einer trennenden Grenze in eine Zone der Verschmelzung verwandelt. Rosa Feigs hat mit Box Stories das narrative Prinzip digitaler Abenteuerspiele in ein analoges Format übertragen – in Form von Zettelkästen und Spielkarten. Dabei knüpft sie an frühere Formen der Hypertext-Kunst und literarischen Cut-up-Experimente an. — MB Lohner Carlson Silences, seit 1990 Lohner Carlsons Silences sind Filmbilder ohne Ton. Es sind bewegte Bilder, die im Bereich zwischen der Momentaufnahme des Fotos (dem Bruchteil einer Sekunde) und dem narrativen Langformat eines Films vermitteln. Lohner Carlsons Silences sind bewegte Fotos, Filme, ungeschnitten, in einer festen Einstellung. Sie zeigen Motive des Alltags/Alltäglichen, in denen sich der „leise Schock“ des Emotionalen durch die plötzliche Wahrnehmung kleiner Veränderungen im Ablauf der Zeit ergibt. Was zunächst wie ein Foto wirkt, wird bei näherer Betrachtung lebendig, bewegt und bewegend. – Ein Waldsee: Plötzlich springt ein Fisch aus dem Wasser. – Eine Wolke: Vor den eigenen Augen nimmt sie eine andere Gestalt an, aber man sieht die Bewegung nicht. – Ein Hochhaus aus Glas: Die Reflexionen der Großstadt verändern sich mit dem Lauf der Zeit quasi unmerklich. – Eine endlose Wüstenstraße im amerikanischen Westen: Am Horizont ein Fleck, nach sieben Minuten ist daraus ein Auto entstanden, das an einem vorbeifährt. – Der Blick aus einem Hotelzimmer: Nach 30 Minuten ist es Nacht geworden. Lohner Carlsons Silences sind der ästhetischen Welt von John Cage entsprungen; die Aufmerksamkeit gilt dem Ungewöhnlichen im Gewöhnlichen, dem Zufälligen im Alltäglichen. — Lohner Carlson Herman Asselberghs (Belgien) konzentriert sich in seinen Installationen und Video-Arbeiten auf die Schwellenzonen zwischen Klang und Bild, Welt und Medien, Poesie und Politik. In seinem Videobrief Dear Steve adaptiert er das populäre YouTube-Genre der sogenannten UnpackingFilme, in denen Computer als auratische Kultobjekte von Kunden vor der Kamera ausgepackt und erstmals in Betrieb gesetzt werden. Asselberghs’ Videokunst aber beginnt eigentlich erst dort, wo die klassischen YouTubeVorbilder enden: Dear Steve treibt das Auspacken immer weiter und zerlegt vor der Kamera den neuen Laptop in alle Einzelteile. Der eingesprochene Brief an Steve Jobs, in dem die Aura der Apple-Objekte und ihre Versprechen ebenso thematisiert werden wie die Gegenüberstellung analoger Materialität und digitaler Immaterialität, begleitet die präzise Dekonstruktion des Computers, bis er in all seinen Einzelfragmenten vor uns liegt. — MB Thomas Demand Büro / Office, 1995 Kontrollraum / Control Room, 2011 Vault, 2012 „Die von mir dargestellten Umgebungen sind für mich etwas Unberührtes, eine utopische Konstruktion. Auf ihrer Oberfläche finden sich keine Gebrauchs spuren, die Zeit scheint in ihnen still zu stehen.“ Thomas Demand (2005) Thomas Demands Lehrer Fritz Schwegler sensibilisierte ihn an der Kunstakademie Düsseldorf für den Bau und Einsatz von Architekturmodellen. Er konstruiert maßstabsgerechte kleine Räume und Objekte aus Papier, die in der Regel auf Situationen aus Presse- oder Fernseh bildern beruhen. Es gibt stumme Zeugen menschlicher Aktivität, jedoch erscheinen nie Figuren in den Fotografien. Die Bildwerdung selbst erfolgt erst im Moment des Fotografierens; dann zerstört er das Modell wieder und die großformatige Fotografie bleibt. — AH Herman Asselberghs, Dear Steve, 2010 Ulrike Rosenbach Tanz um einen Baum, 1979 Aktionselemente: 1. Der Ort: ein Park, an einem Hügel, mit Sicht auf die Stadt. Ein Baum. 2. Die Zeit: kurz vor Sonnenuntergang, 17.00 –17.45 h. 3. Ich habe den Baum zwei Wochen beobachtet. Wenn die Sonne untergeht, fällt ihr Schein über ihn in die Fenster der Häuser, der Wolkenkratzer. Das Licht spiegelt sich rot in den Fensterscheiben. Ich habe ein Videokabel sechsmal um den Baumstamm gelegt und die Länge dann auseinandergerollt als Radius eines Spiralkreises genommen. Die äußere Kreislinie ist mit länglichen Spiegelscherben im Rasen markiert (Abstand 90 cm). Das Videokabel ist am Baumstamm befestigt und führt dann weiter – in die eine Richtung zu einer kleinen Videomaschine mit Monitor, in die andere Richtung zu einer kleinen Videokamera, die ich während der Aktion an meinen Arm gebunden habe. Ich lege mich auf das Gras, den Kopf in Richtung des äußeren Kreises, und fange langsam an, mich um den Baum zu drehen. In den Händen halte ich ein Schwert. Bei jeder vollzogenen Drehung versuche ich, eines der Spiegelstücke zu zerschlagen. Die Kamera nimmt meine Drehung mit dem, was in meinem Sehradius ist, auf: die Landschaft, die Leute, die Spiegel, in denen sich alles und mein Gesicht spiegeln, und das Schwert, das mit der Spitze auf Landschaft und Leute zielt und dabei die Spiegel zerschlägt. Zur gleichen Zeit wird dieses Videobild auf die bereitstehenden Videomonitore übertragen. Indem ich mich um den Baum drehe, werde ich durch das Kabel, das sich um den Stamm wickelt, herangezogen. Die Sonne geht unter, und als es halb dunkel ist, schneide ich mit dem Schwert das Kabel los, das meinen Körper mit dem Baum verbunden hat.“ — Ulrike Rosenbach Harun Farocki, Ernste Spiele 3, Eine Sonne ohne Schatten, 2010 24 Künstler 25 Künstler Thomas Demand, Kontrollraum / Control Room, 2011 Giny Vos, Giovanni Arnolfini en zijn jonge vrouw, 1984 Paolo Pedercini / Molleindustria, G20 Summit Pittsburgh, 2009 Alexander Bruce, Antichamber, 2013 26 Bjørn Melhus Headshots, 1991–2014 Middleclass Family, 2013 Headhunter, 2014 In seinen Filmen, Videos und Installationen beschäftigt sich Bjørn Melhus mit unterschiedlichen Phänomenen der Massenmedien und deren vorgegebenen Rollenbildern, die er in eigenen Figuren spiegelt, verdichtet und rekontextualisiert. Seine Charaktere, denen meist Stimmen US-amerikanischer Filme oder Fernsehshows zugrunde liegen, sind fiktional und zitieren häufig bestehende Ikonen einer Popkultur des 20. Jahrhunderts. Ob als Schlumpf (verschiedene Arbeiten, 1997–2007) oder Playmobilfigur (No Sunshine, 1997) oder Ayn Rand alias „Randi“ (Freedom & Independence, 2014) verkörpert er als Variable alle Figuren selbst. Diese Form der Aneignung und Subjektivierung stellt nicht nur die eigene Identität in Frage, sondern untersucht auch medial konstruierte Wirklichkeiten und die gesellschaftlichen Hintergründe, aus denen sie hervorgehen. Mit Headshots (1991–2014) entwirft Melhus eigens für die Ausstellung ein Tableau zahlreicher Porträts aus verschiedenen Arbeiten der vergangenen 23 Jahre (Filme, Fotos, Videos, Installationen), die ihn in unterschiedlichen Rollen zeigen. Die Middleclass Family (2013) thematisiert die Kleinfamilie der Mittelschicht als Werbestereotyp und gehört zu den „Video-Cutouts“ der Installation Liberty Park (2013). Sie besteht aus vier flachen, lebensgroßen Holz-Stellfiguren, die auf die Videoprojektionen zugeschnitten sind. Durch das projizierte Video-Abbild (verkörpert durch Melhus) erhalten sie trotz physischer Flachheit einen dreidimensionalen Charakter und laden zum gemeinsamen Gruppenfoto ein. Eine weitere Figur, der Headhunter (2014), ist kopflos. Er trägt seinen eigenen Kopf unterm Arm und gibt so dem Betrachter die Möglichkeit, der Figur sein eigenes Gesicht zu verleihen, seine Identität im Wortsinn zu behaupten. — MCvL WE ARE HERE – WE ARE NEAR – WE ARE REAL Stefan Heidenreich im Gespräch mit Bjørn Melhus 9.10. Julian Oliver und Danja Vasiliev 19 h, Halle 3 Newstweek, 2011 Die Critical Engineers Julian Oliver (Neuseeland) und Danja Vasiliev (Russland) haben mit dem Wirklichkeits-Störsender Newstweek ein System entwickelt, das dem Besucher der Ausstellung erlaubt, Nachrichten zu manipulieren, die über WLAN-Verbindungen gelesen werden. Newstweek unterläuft das vorherrschende Nachrichten-DistributionsModell, das trotz der Möglichkeiten digitaler Netze immer noch stark zentralisiert ist und von oben gesteuert wird – weswegen der öffentliche Diskurs sehr anfällig für eine Manipulation seitens politischer und kommerzieller Interessen ist. Newstweek gibt der breiten Masse die Möglichkeit, sich an der Manipulation der Presse zu beteiligen, Propaganda zu generieren oder einfach die „Fakten zu korrigieren“, während sie in einem drahtlosen Netzwerk ausgetauscht werden. Als solches kann der Sender als taktische Technologie angesehen werden, die es erlaubt, die Wirklichkeit mitzugestalten, Netzwerk für Netzwerk. Diese Arbeit verkündet auch eine Warnung: Eine ausschließlich medienbasierte Realität ist eine sehr unzuverlässige Wirklichkeit. Viele Hände sind an der Distribution von Nachrichten beteiligt – von ISP-Mitarbeitern über Server-Administratoren bis hin zu WLAN-Access-PointProvidern. Hinzu kommt, dass mit der zunehmenden Ubiquität von Netzwerken und den dazugehörigen mobilen Geräten die Ignoranz hinsichtlich ihrer Funktionsweise zunimmt. Somit wachsen die Möglichkeiten zur Mani pulation von Meinungen – von der Quelle bis zum End empfänger – ins Unermessliche. — MB 27 Künstler Men In Grey Magdalena Jetelová Men In Grey sind eine geheime Organisation, deren zeit liche und räumliche Ausdehnung bislang nur erahnt werden konnte. Die „Grauen Männer“ tauchen als gespenstische Manifestation einer Netzwerk-Angst aus einem Zeitgeist auf, der voll ist von staatlichen Abhörpraktiken, FacebookSpionage, Google-Caches, Internet-Filtern und vorgeschriebener ISP-Aufzeichnung. Bislang sind ausschließlich die flüchtigen und temporären Aktionen dieser Organisation gesichtet worden, von denen die klammheimlichsten 2010 und 2011 dokumentiert wurden. Noch nie wurde eine solche Spurensammlung gefunden wie jetzt hier in der Ausstellung SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT. Hier finden die Besucher eine ihrer flüchtig verlassenen Außenstellen, eine archäologische Fundgrube ihrer Aktivitäten, die Aufschluss über ihre Ziele und Einblick in ihre Methoden und Ausrüstung gibt. Doch geben Sie Acht – die gefundenen Gerätschaften konnten bislang nicht alle ausgeschaltet oder in Quarantäne gebracht werden, weswegen Datennetze in ihrer Umgebung als kompromittiert, unberechenbar und unheimlich gelten. — MB Mithilfe hochtechnologischer akustischer Geräte gelingt es Magdalena Jetelová, ihre eigenen Kompositionen für John Cage im Raum sichtbar und nicht hörbar zu machen. Das von ihr entwickelte Raumbild baut sich prozessual vor dem Betrachter wie ein abstraktes Bild aus verzerrter Metallfolie auf. Auslöser für das Zittern und Vibrieren des Bildes ist der Ton, der wie von einer Membran unhörbar geleitet wird und die Tonsequenzen in Bildlichkeit übersetzt. Im Zentrum des Bildes erscheint in klaren Lettern gut lesbar und – im Gegensatz zu den anderen Bereichen – bewegungslos „Komposition für John Cage”, da der Text von der Vibration nicht betroffen ist. Das Spiegelbild selbst verfügt traditionell über eine bedeutungslose Bildlichkeit. Die Künstlerin konterkariert diese Bedeutungs losigkeit des Spiegelbildes, indem sie durch die visuelle Übersetzung von Musik in die Bildwerdung eingreift, dem Betrachter neuartige räumliche Wahrnehmungsmöglichkeiten anbietet und ein neues Bild von Wirklichkeit ent stehen lässt. — AH Spiegelarbeiten Olafur Eliasson Concentric mirror, 2004 Folded ellipse 60°, 2008 Spiegeltunnel, 2009 / 2014 „Eliassons Werk ist exemplarisch für ein Denken, dem es darauf ankommt, das Wahrnehmungsvermögen des Menschen zu erweitern und auszuloten, das diese Erkundung aber unabhängig von allen heutigen technologischen Imperativen betreibt.“ (Jonathan Crary, 1997) Die Spiegelarbeiten des Künstlers sind für den Betrachter Wahrnehmungserweiterungen und Reflexionsfläche zugleich: Concentric mirror (2004) und Folded ellipse 60° (2008) reagieren direkt auf die Architektur im Ausstellungsraum und verfremden das Bild des Betrachters. Der Spiegel wird zur Reflexionsfläche im doppelten Sinne: Einerseits sieht sich der Betrachter im Spiegel, andererseits wird dieser Vorgang, den Eliasson „sich sehen sehen“ nennt, Anlass zur Reflexion. Durch diesen Prozess wird der Besucher selbst zum Teil der Ausstellung. Die Belebung der Reflexions- und Spiegelfläche erfolgt durch die Mobilität des Betrachters. Im Buchengarten der Akademie setzt der Künstler das Spiel mit Reflexion und Perspektive sowie das Changieren zwischen Rund und Ellipse mit seinem Spiegeltunnel fort. — AH Jeppe Hein Rotating Mirror Circle, 2008 Die Spiegelskulpturen des dänischen Bildhauers Jeppe Hein spielen mit unserer Wahrnehmung und bringen unsere Selbstgewissheit ins Wanken. Sie können monumentale Ausmaße haben, wie die Arbeit 360° Illusion III in St. Agnes (Galerie Johann König, 2013). Dort waren auf der Empore zwei lange, rechteckige Spiegel rechtwinklig miteinander verbunden, die sich langsam um ihre Achse drehten und die Zuschauer wie auch den Kirchenraum in mehrfachen Perspektiven spiegelten. Die Betrachterin erfuhr eine Verunsicherung des eigenen Standorts, verbunden mit dem Gefühl des Schwindels. Die kleinformatige Arbeit Rotating Mirror Circle bringt die Betrachterin in eine Face-to-face-Situation. Der runde Spiegel an der Ausstellungswand wird durch einen kleinen Motor fast unsichtbar in Drehung versetzt und fordert zur Selbstbetrachtung heraus. — MCvL Künstler Komposition für John Cage, 2006 Michelangelo Pistoletto Sacra Conversazione. Anselmo, Zorio e Penone, 1973 Specchio diviso, 1973 / 78 Sacra Conversazione gehört zur Serie der Quadri Specchianti (Spiegel-Bilder), die 1962 ihren Anfang nahm. Michelangelo Pistoletto hatte bereits in seiner Malerei mit verschiedenen reflektierenden Untergründen experimentiert. Um eine größere Objektivität seiner Bilder zu erreichen, verwendete er Fotografien, die er auf Lebensgröße vergrößerte und seit 1971 mittels Siebdruck auf hochglanzpolierte Edelstahlplatten übertrug. Pistolettos Gruppenbild zeigt drei Künstler der Arte Povera im Gespräch: Giovanni Anselmo, Gilberto Zorio und Giuseppe Penone. Der Titel verweist auf eine jahrhundertealte italienische Bildtradition: „Sacra Conversazione“ (heilige Unterhaltung) bezeichnet die Darstellung einzelner Hei liger, gruppiert um die thronende Madonna. Den starken Bezug zur Gegenwart hingegen erhalten die Spiegel-Bilder durch ihre niedrige Hängung. Sie reflektieren den Aus stellungraum und beziehen den Betrachter in das Bild ein, der es verlebendigt. So erhalten die Spiegel-Arbeiten auch performativen Charakter. Ausgehend von der Tatsache, dass ein Spiegel alles reflektiert außer sich selbst, entwickelte Pistoletto die Serie Divisione e Molitiplicazione dello Specchio (Teilung und Multiplikation des Spiegels). Teilt man einen Spiegel und richtet beide Hälften entlang der Achse ihrer Teilung zueinander aus, multipliziert er sich. In dem Prinzip der Teilung sieht Pistoletto ein universelles Element organischer Entwicklung. Specchio diviso gehört zu dieser Werkgruppe. — MCvL Sophia Pompéry Transient Shade, 2014 Sophia Pompéry entführt die Betrachterin in ihren Rauminstallationen und Wandarbeiten an die Schnittstelle zwischen Realem und Irrealem, wobei das Unwirkliche immer ganz konkret vom Physischen ausgeht. Transient Shade wird zum Spiel mit der Irritation: Zunächst tritt die Besucherin vor einen scheinbar simplen Spiegel, der jedoch einen Sensor in sich birgt. Ganz langsam beginnt nun eine unkontrolliert wachsende Lichtfläche das Spiegelbild zu zersetzen. Es entsteht ein Lichtschleier, der die Reflexion verdeckt. „Das vermeintlich bekannte Spiegelbild wirkt wie ein flüchtiger Moment, und die wolkige Weite wird zum Sinnbild dessen, was wir nicht konkret wissen“ (Sophia Pompéry). Diese Situation wandelt sich wieder zum gewöhnlichen Spiegel, wenn sich die Betrachterin entfernt. Transient Shade steckt voller Gegensätze und spielt dabei mit dem Innen und Außen, der Tiefe und Oberfläche eines Spiegelbildes. Die Betrachterin ist Motor, doch zugleich vergeht ihr Abbild, wenn sie geht und nichts bleibt. — AH Michelangelo Pistoletto, Sacra Conversazione. Anselmo, Zorio e Penone, 1973 28 Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? Siegfried Zielinski Wenn ein neues Bild entsteht, eine Musik komponiert wird, die es so zuvor noch nicht gegeben hat, wenn ein Gedicht in die Welt kommt oder ein Film auf die Lein wand im Kino, dann ist die Wirklichkeit nicht mehr die selbe, die sie zuvor noch gewesen ist. Jede künstlerische Idee und allemal ihre Vergegenständlichung in Werken oder Prozessen verändern die Wirklichkeit. Es ist wie mit dem Bewusstsein. Wir können unmöglich aus ihm heraustreten und es dann von außen betrachten. Das funktioniert nur im Modellhandeln, im Als-ob, zum Beispiel, wenn wir Bewusstseinsprozesse auf einem Computer simulieren. Oder, einfach und allegorisch ausgedrückt: Was unser Verhältnis zur Wirklichkeit betrifft, geht es uns genauso wie dem Fisch im Verhält nis zum Wasser, in dem er schwimmt. Er benötigt es, um zu leben. Es ist sein Element. Verlässt er es, oder wird er gewaltsam aus diesem Element gerissen, ist er rasch ein toter Fisch, kläglich verendet. Die Frage kann also unmöglich lauten, ob die Künste die Wirklichkeit verändern können, sondern wie, auf welche Weise sie das verändern, dessen essenzieller Teil sie sind. Politisch handeln bedeutet dabei für mich das tägliche Experiment, das, was wir Realität nennen, zu seinen Gunsten zu verändern. Programme, Parteien, Polizeien und Bürokratien sind dafür nicht notwendig, sondern wir benötigen ein Verhältnis der Achtung gegenüber dem, was nicht mit uns identisch ist, was uns fremd ist, was wir hartnäckig nicht verstehen. Die Künste sind hervorragend dafür geeignet, dieses Andere im uns scheinbar Vertrauten mit ästhetischen Mitteln auszudrücken. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen solcher Unternehmungen ist, dass wir bei unseren Kompetenzen bleiben. 1974 veröffentlichte ich meine ersten medienkritischen Texte. Einer davon hieß: „Für Medien, die Medien der Massen sind!“ 1984 titelten meine Texte „Krieg im Wohnzimmer“, „Elektronische Bildschirmschlachten“ oder „Die Ferne der Nähe und die Nähe der Ferne“; sie befassten sich mit den damals neuen und heute alten Medien Video, Bildschirmspiele, Telematik. 1994 übernahm ich die Verantwortung für die Grün dung einer neuen Kunsthochschule. Eine der ersten Ak tivitäten war die Einrichtung eines öffentlichen Labors zur kritischen Debatte um die neuen telematischen Netze und ihrer Bedeutung für die Künste und Kultu ren; wir nannten das Labor „Membrane“. 2004, als das Zeitbewusstsein immer flacher und die politische Ökonomie immer haltloser wurde, begann ich ein Forschungsprojekt zur Tiefenzeit des Verhältnisses von Künsten, Technik und Wissenschaft. Es fand vorläufig mit der Gründung eines imaginären Instituts für südliche Modernitäten (im Englischen: ISMs) seinen Höhepunkt. Die Gründung erfolgte in Neapel, einer durch die Mafia verseuchten Stadt, der zwar viel Vergangenheit, aber keine Zukunft mehr zugestanden wird. 29 S tat e m e n t s 2014 bereiten wir zwei Ausstellungen vor: Die eine be fasst sich mit der Bodenlosigkeit von Existenzen in der Diaspora, in der Migration, zwischen Sprachen und zwischen allen Stühlen (am Beispiel des philosophischen Schriftstellers Vilém Flusser). Die andere mit Allahs Automaten; sie versucht erstmals, arabisch-islamische Manuskripte zum Bau universeller und programmier barer Automaten aus der Zeit zwischen 850 und 1200 an einem Ort zusammenzubekommen. Durch die Gewalt des historischen Zusammenhangs sind sie im Verlauf der letzten Jahrhunderte zerrissen, in Bruch stücken verkauft, archivarisch zergliedert worden. Außerdem höre ich nicht auf, für die Kunst einer nor malen Schizophrenie zu plädieren: online existieren und offline sein. Siegfried Zielinski ist Medientheoretiker, Medienarchäologe und Mitglied der Akademie der Künste. eignisse auf der Krim von der Realität überholt, und Putin fühlte sich durch die internationale Kritik national sogar gestärkt. Auch Chinas Regierung stört sich an Ai Weiweis Protestkunst ebenso wenig wie die Schlingensief-Aktionen Helmut Kohl oder Wolfgang Schüssel tangierten. Aber dennoch gehören die Werke zu den Tabubrüchen, die die Gesellschaft zur Denk anregung dringend braucht. Und die Frage, was Kunst (sein) darf, verursacht nachhaltiges Grübeln – so w ie ein Bewusstsein dafür, dass die Freiheit (der Kunst) kei neswegs selbstverständlich ist. Und Thomas Neuwirth hat mit seiner medienwirksamen Figur Conchita Wurst und seinem Toleranzaufruf in Österreich sogar einen Kurswechsel der ÖVP betreffs der Gleichstellung von Homosexuellen angeschoben. Kunst fördert Dissens und „spekulative Kollektivi täten“ (Peter Osborne), bietet einen Ort der Kritik, der sich politischen Zugriffen entzieht – und wird in diesem Entzug selbst politisch. Das gilt auch für die kritische Betrachtung ihrer eigenen Funktionen und ihres eigenen Feldes. Anna-Catharina Gebbers ist Publizistin, Kuratorin und Dozentin. Metabolisches Büro zur Reparatur von Wirklichkeit Das Vorbereitungsbüro vom SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT (6. November 2013 bis 2. Juli 2014) wechselt ins Metabolische. Inmitten der Ausstellung agiert das von Manos Tsangaris entwickelte Metabolische Büro zur Reparatur von Wirklichkeit als permanente Möglichkeit der Eskapade, des Dialogs, des Widerspruchs und der Auslösung von Prozessen, die sich u. a. an der Ausstellung entzünden. Das Büro ist ein offenes Labor, eine Werkstatt, hier wird live geforscht und gearbeitet. Es agiert während der kompletten Ausstellungszeit über 12 Wochen. Eingeladen sind mehr als 160 Gäste aus den Bereichen Musik, Bildende Kunst, Film und Medien, Literatur, Architektur, Performance und Philosophie. Momente der intensiven Diskussion oder des ästhetischen Experiments wechseln mit Situationen der Arbeit, der Probe oder ganz einfach der Leere. In den Formaten Forum und Metabolic Office Battle konzentrieren sich die Arbeitsprozesse im Dialog mit Mitgliedern der Akademie. 17.9.–14.12. Anna-Catharina Gebbers Unabhängig davon, welche Wirklichkeit gemeint sein soll oder welcher Realismusschule man anhängt: Kunst ist geschichts-, handlungs- und theorieprägend – schon allein deshalb, weil sie da ist. Ob journalistisch, wissen schaftlich oder ästhetisch: Jeder Sprach- oder Bildakt schafft Fakten, indem er Worte oder Bilder in die Welt setzt. Der konkrete Einfluss auf die politische Wirklichkeit und dessen Nachhaltigkeit ist schwerer zu bestimmen. Christoph Schlingensief demonstrierte 1998 mit der Parteigründung von Chance 2000 und den zugehörigen Aktionen, dass es in der politischen Wirklichkeit vor allem darauf ankommt, Bilder zu machen. Bilder ha ben politische Effekte: Das empirische Beweismaterial dazu liefern die Subdisziplinen der politischen Ikono logie. Anschaulicher als in Statistiken öffnet sich der Blick auf die Verschränkung von Politik und Massen medien jedoch durch künstlerische Aktionen wie die von Schlingensief. Nach Chance 2000 versetzte er mit seiner Container-Aktionsarbeit Bitte liebt Österreich 2000 noch radikaler ein Volk in Aufruhr und erreichte die internationale Medienöffentlichkeit nachhaltiger als der Protest von Österreichs Kulturproduzenten. Die Schlingensiefs künstlerische Praxis charakterisierende Überaffirmation führte den Österreichern die konkre ten Folgen ihrer Wahlentscheidung für Haiders rechtspopulistische FPÖ direkt vor Augen. Die Regie rungsbeteiligung der FPÖ konnte dies allerdings nicht rückgängig machen. Und die Partei erfreut sich nach einer Phase der Selbstzerlegung mittlerweile wieder wachsender Beliebtheit – rechtspopulistische Parteien sind heute sogar europaweit salonfähig geworden. Verändern Aktionen wie diese also die politische Wirklichkeit? Ja, unbedingt! Das „Punk-Gebet“, mit dem die russische Punkband Pussy Riot 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser- Kathedrale gegen patriarchale Herrschaft protestierte, stellte mit der blasphemischen Überschreitung gesell schaftliche Normen in Frage. Zwar wurde der politischkünstlerische Aktivismus inzwischen durch die Er Di–So, 11–19 h in der Ausstellung Schwindel der Wirklichkeit Manos Tsangaris Kann die Kunst? Aktuelle Informationen zu allen Veranstaltungen unter www.schwindelderwirklichkeit.de 1 Ich glaube nicht, dass die Kunst etwas, das außerhalb ihrer selbst liegt, können sollte. (Kann sie dieses oder jenes? Kann sie der Wirtschaft auf die Sprünge helfen? Kann sie den Menschen ver bessern? etc.) Natürlich könnte sie das alles können, ob sie will oder nicht. Als Kunst sollte sie das aber auf keinen Fall wollen, sonst wäre sie hin. Als Kunst (im emphatischen Sinne) will sie rein gar nichts, das außer halb ihrer selbst, ihrer jeweils ureigenen Fragestellung liegt. Wenn nun aber, und damit wird es etwas kompli zierter, die jeweilige Kunstfragestellung sich gerade auf Dinge und Zusammenhänge richtet, die sehr stark der Sphäre gesellschaftlicher oder individueller Nützlich keit angehören (soziale Fragen, Fragen des Menschen bildes, der Durchlässigkeit, der Gerechtigkeit, der Kritik, der sprachlichen Verständigung, der meta sprachlichen Verständigung usw.), kann es durchaus sein, dass das jeweilige Kunsterleben diese konkreten Zusammenhänge erhellt, durchleuchtet, verbessert usw., nur kommt dies einer Überblendung gleich, wo das eine Licht, das im Vordergrund leuchtet, ein anderes, das ge nau dahinterliegt, verdeckt und überstrahlt. Und dieses dahinterliegende, entscheidende leuchtet aus einer zweckfreien, nicht aus einer zweckgebundenen Quelle. 2 Die Künste verändern die Wirklichkeiten, die sie gestalten. Manos Tsangaris ist Komponist, Performer und Direktor der Sektion Musik. Forum immer mittwochs, 18 h Im Forum treffen anwesende Künstler und Mitglieder der Akademie auf eingeladene Gäste, um Themen aus dem Gesamtprojekt öffentlich zu diskutieren. „Welcher Begriff von Wirklichkeit soll uns verkauft, welcher soll uns an den Hals gehängt werden von Leuten, die es selbst schon viel besser wissen müssten? Wir unter suchen, dann demontieren wir die Trägerraketen, bevor sie zum Einsatz kommen können. Anschließend freier Verkauf der auseinandergebauten Einzelstücke. Foto grafieren erlaubt! In der Debatte steht auch unser TTIPITPPIPT, das Freidenkensabkommen.“ Manos Tsangaris Einzelveranstaltungen siehe Kalenderübersicht MOB Alle MOB-Termine unter www.schwindelderwirklichkeit.de METABOLIC OFFICE BATTLE In loser Folge oder in Clustern werden einzelne Gäste zu Duo-Konstellationen gebeten, entweder mit Manos Tsangaris oder „gegeneinander“. „Hierbei geraten wir immer wieder aus dem Gespräch heraus in neue, andere Aggregatzustände, einen wechselnden Modus, das Verfahren des gegenseitigen Umgangs in Pausen, Störlesungen, Musik, plastisch-räumlicher Darstellung, Aktion und Aktivitäten ohne bisher bekannte Bezeichnung. Welche Wirklichkeit wird (wieder)-hergestellt? Sind wir auf sie angewiesen?“ Manos Tsangaris Gäste u. a. Marcel Beyer (Schriftsteller), Neele Hülcker (Konzeptkünstlerin), Ann Cotten (Schriftstellerin), Ferenc Jádi (Psychiater und Künstler), Stefan Kraus (Autor, Kurator), Johannes Kreidler (Konzeptkünstler, Komponist), Dieter Mersch (Philosoph), Brigitta Muntendorf (Komponistin, Kuratorin), Navid Kermani (Schriftsteller), Helmut Oehring (Komponist), Daniel Ott (Komponist, Kurator), Rebecca Saunders (Komponistin), Tobias Schick (Komponist, Musikologe), Martin Schüttler (Komponist), Simon Steen-Andersen (Komponist, Installationskünstler) The office is open! 30 31 M e ta b o l i s c h e s B ü r o Sehen und Hören – Wirklichkeitskonstruktionen 2.10.–5.10. going into contact_ a permeable spiral installation 11–19 h Cornelius Schwehr, Johann Feindt (Leitung) und Studierende der Hochschule für Musik Freiburg 28.10.–2.11. Interaktives Labor, Seh- und Hörstationen Kommentierte Präsentationen von Beispielen aus Dokumentar-, Spiel- und Experimentalfilmen tägl. 13 + 17.30 h 11–19 h, Euro 7/5 Installation, Performance, Archiv Kuratoren: Dieter Heitkamp und Angela Guerreiro Performer: Finn Lakeberg, Max Schumacher, Susanne Martin, Andrew Wass, u. a. 8.10. Gefördert von der Kunststiftung NRW 18 h Johann Feindt, Filmsequenz, o. J. Johann Feindt, Filmsequenz, o. J. Die Kombination von Bild und Ton behauptet in den allermeisten Fällen, Wirklichkeit abzubilden. Richtig allerdings ist, dass mögliche (oder auch unmögliche) Wirklichkeiten durch dieses Zusammentreten erst geschaffen werden. Die Frage ist nur: Welche Wirklichkeit wird gewünscht? Hier beispielhaft gewünschte, erzeugte Wirklichkeiten aufzusuchen, dabei den Übergang ins digitale Zeitalter als qualitativen Sprung, nicht nur als quantitative Veränderung zu begreifen und begreifbar zu machen, ist Vorhaben und Arbeitshypothese gleichermaßen. Um dies erlebbar werden zu lassen, bedienen wir uns unterschiedlicher Präsentationsformen: Zum einen wird es kommentierte Vorführungen von Filmausschnitten geben. Hier geht es darum, sich mit in dieser Hinsicht besonders bemerkenswerten Beispielen filmischer Arbeiten auseinanderzusetzen. Zum anderen wird an mehreren Seh- und Hör stationen die Möglichkeit angeboten, kurze Bildsequenzen mit unterschiedlichen Tonspuren zu kombinieren, gewünschte Wirklichkeiten also selbst zu erzeugen. Und schließlich wird ein Labor eingerichtet sein, in dem interessierte Besucher zusammen mit den Initiatoren an kleinen Ton-Bild-Sequenzen praktisch werden arbeiten können. RUINEN/GARTEN: In Ruinen und im Garten kreuzen sich Zerfall und Wachstum, begegnen sich Belebtes und Unbelebtes, greifen Gestaltungs- und Zufallsprozesse ineinander. Die Ruinen verweisen auf die Vergangenheit, der Garten auf die Zukunft. Organismen und Materie bieten gegen die Zeit ihren Widerstand auf und unterliegen doch stets der Entropie des Vergänglichen. Laufzeit des Projekts: 19.9.–12.10.2014 Aufführungen und Installation: 8.10., 20 h + 10.–12.10. im Ruinengarten, Hardenbergstraße www.klangzeitort.de Atelier Klangforschung der Universität Würzburg mit Elena Ungeheuer, Kornelius Paede, Andrea Dubrauszky, Lisa Herrmann, Stefan Becker, Daniel Bellinger, Kework Kalustian Stationen: Musiktheater-Analyse I Manos Tsangaris, Double/Doppelportrait mit Vase, Ein-Personen-Kopf-Duschen-Schreiber 19.9. 19 h 21. + 22.9. 11–17 h Stationen: Musiktheater-Analyse II Optimierung der Reparatur von Wirklichkeit 23.9. 11–17 h 7.10. SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT: Künstliche Ruinen und echte Fragmente – die Zeit ist aus den Fugen oder das Ganze ist immer das Unwahre, nur im Bruchstück erkennen wir den Zusammenhang. 35 Studierende untersuchen die Entwicklung von interdisziplinären performativen Formaten im Grenzbereich von Bühne und Installation. 10 Dozierende der beteiligten Kunsthochschulen begleiten und mentorieren die entstehenden künstlerischen Arbeiten. Den mit Perspektivwechseln arbeitenden Diskreten Stücken von Manos Tsangaris wird eine Perspektivvielfalt von Analyseansätzen zur Seite gestellt. Interpreten und Wissenschaftler konfrontieren sich und das Publikum in der Live-Performance. Dabei schalten sich Zelte: Wie funktioniert Symmetrie in der Präsenz? Wie werden Medien auf der Bühne sozial geschaffen? Wie klein darf eine Geste sein, die Nähe oder Distanz generiert? Wie komplex ist die Miniatur? Wo beobachtet der Feldforscher Fremdheit und Eigenheit in der Kunst der Gegenwart? Können Modelle Wirklichkeit reparieren? Werkstattgespräch mit dem klangzeitort Institut für Neue Musik über RUINEN/GARTEN. SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT Ein studiengangübergreifendes Projekt von UdK Berlin, HfM Hanns Eisler, TU Berlin, HfM Dresden im Ruinengarten Hardenbergstraße – in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste Berlin Johann Feindt, Kriegssplitter, 1999 Zelte schalten 19.–24.9. Weitere Angaben unter www.schwindelderwirklichkeit.de Forum Telemach Wiesinger, Augenblicke, 2007–2008 M e ta b o l i s c h e s B ü r o 17 h Was drängt den Text zum Bild? Literatur – Film – Graphic Novel Dieter Heitkamp, A permeable spiral installation, 2014 Der Fokus der Installation liegt auf der mittlerweile schon über 40 Jahre währenden Entwicklung der Contact Improvisation, der Verbindung zu anderen Bewegungsformen und den spezifischen Arbeits weisen, die mit CI verbunden sind. going into contact unternimmt den Versuch, ein lebendiges Archiv zu kreieren, und untersucht die Frage, wie Archivmaterial für neue Tanzkreationen, ungewöhnliche Präsentationsformate und neue Vermittlungsweisen genutzt werden kann. Die Installation bildet außerdem den Recherche-Prozess zu The Live Legacy Project ab (the-live-legacy-project.com). Ein spezifischer Aspekt dieser Projekte ist die kollektive Herangehensweise zur Entwicklung neuer Formen des Schaffens von und des Zugangs zu Körperwissen. Bestandteil von going into contact sind tägliche Performances von CI-Praktizierenden, die dafür Scores nutzen. Die Performer setzen sich in Beziehung zum Raum, zu Objekten, sich selbst, anderen Tänzern und dem Publikum, zu Konzepten, Methoden und Arbeitsweisen. Sie finden Spuren und Verbindungen zwischen Menschen, Ereignissen, Gegenständen, Zeitpunkten und Orten. Der griechische Schriftsteller Christos Asteriou und der israelische Filmemacher Ron Segal – Stipendiaten der Akademie der Künste im Gespräch. Moderation Ulrich Peltzer 30.10. 19 h Über das Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstallationen Expertengespräch mit Sabine Flach und Wulf Herzogenrath 32 33 M e ta b o l i s c h e s B ü r o Ingo Günther M e ta b o l i s c h e s B ü r o Warum bin ich hier? Ein Gastspiel aus der Rheinprovinz 4.–8.11. world processor / Weltentwickler 11–19 h 1988 bis heute Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln Ausstellung, Tischgespräche, Lesungen, Vorträge, Performances Ingo Günther, Shape of Science, 1988–2014 Ingo Günther, Nuclear Range, 1988–2014 11.11. Felix Doese, Der Grafenberg (Frau in grünem Kleid), 1971/72 19 h, Halle 3 Gespräch World Processor/Weltentwickler: Der Planet ist billionenfach fotografiert worden; es kommt mehr und mehr darauf an, ihn zu entwickeln. Ingo Günther, Wine Consumption vs. Production, 1988–2014 Ingo Günther und Siegfried Zielinski diskutieren die Ideen des World Processors als eingreifende künstlerische Praxis. Felix Droese, Der Grafenberg, 1971/72 Die Welt zu interpretieren und sie zugleich zu verändern muss kein Widerspruch sein. In der Kunst geht das. Ingo Günthers Projekt World Processor entwickelt nicht nur Wörter. Seit zwei Jahrzehnten generiert der Künstler bedeutsame Oberflächen für den Globus, der unseren Planeten (re)präsentiert. Er beschäftigt sich dabei mit vielfältigsten Motiven, die Themen wie soziale Entwicklungen (beispielsweise Lebenserwartung, Verteilung von Wohlstand, weltweite Erkrankungen), ökonomische Veränderungen (beispielsweise Energieverbrauch) oder militärische Konflikte umfassen. Günther bezeichnet seine Globen als „Navigationshilfen für das intellektuelle und emotionale Erfassen der Welt“. Sie provozieren uns, die Welt in ihren geopolitischen und ökonomischen Vernetzungen zu denken – im Guten wie im Schlechten. Das Partikulare/Widerständige und das Universale treten in eine kräftige Spannung. Ingo Günther, Illicit Drug Flows, 1988–2014 Spätestens mit der zum Jahrtausendwechsel gezeigten Ausstellung Über die Wirklichkeit wurde sichtbar, dass das Kunstmuseum des Erzbistums Köln einer Reflexion über existenzielle Grundlagen mit den Möglichkeiten der Kunst Raum geben möchte. Die Einladung nach Berlin begründet sich auch in der seit 1993 bestehenden Verbindung des Museums zu Manos Tsangaris, der seit 2008 als Gastkurator Klang in Kolumba ehrenamtlich tätig ist. Das Gastspiel des Museums in der Akademie der Künste bietet nun die Möglichkeit, einen Ausschnitt der vielfältigen Museumsformate zu diskutieren und sich mit eigenen Fragen einzubringen. Dazu wird Kolumba mit Werken der eigenen Sammlung anreisen und mit einer Ausstellung, in abendlichen Tischgesprächen, Lesungen, Vorträgen und Performances eine Woche lang im „Schwindel der Wirklichkeit“ kreisen. Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? Andres Veiel Kann sie unbedingt, im Sinne ihres Potenzials, die Welt als eine veränderbare wahrzunehmen und zu gestalten – und damit auch faktisch veränderbar zu machen. In dem Moment, in dem ich beginne zu gestalten, beschäftige ich mich mit Wirklichkeit: Wie sieht sie aus? In welchen Zusammenhängen steht sie? In einem Re chercheprozess versuche ich durch Gespräche, Inter views und gegebenenfalls auch Archivmaterialien herauszuarbeiten, in welchem biografischen, politi schen, historischen, ökonomischen Kontext diese Wirk lichkeit steht. Im Prozess der Montage verschiedener Material-Texturen betrachte ich Wirklichkeit nicht als isoliertes Phänomen, sondern in einem Wechselprozess unterschiedlichster Einflussfaktoren – recherchieren heißt damit nichts anderes, als in dieses Ursachen dickicht vorzudringen. Durch den Montageprozess ent steht aus den Materialien ein verdichtetes Destillat, in das Gesagtes und Ungesagtes in all ihren Widersprü chen eingehen. Mit dem Ungesagten meine ich nicht nur die Verweigerung zu sprechen, d. h. dem Schweigen einen Raum zu geben. Sondern auch einem erweiterten Realismusbegriff einen Ort zu geben, in dem Träume, Wünsche, Sehnsüchte einen Platz haben, ausgedrückt durch einen stummen Blick, das Zucken einer Ober lippe: Make the secret productive. Entscheidend für mich ist der Prozess der Wiedervor lage, die Möglichkeit, auf das scheinbar schon Gesagte, schon Bekannte anders, verfremdet zu blicken. In einer Tiefenbohrung dringe ich dann in Schichten vor, um neue Zusammenhänge zu erarbeiten und damit zu mindest eine Irritation zu bewirken. In diesem Verhält nis entstehen höchst produktive Zugriffe auf Wirklich keit und damit Verschiebungen in diesem unendlichen Raunen von Daten und Informationen, das uns tagtäg lich umgibt. Inmitten des Terrors der Verfügbarkeit von Informa tionen kann gar kein Raum für die Auslotung tieferer Zusammenhänge entstehen, weil die alten Schlagzeilen stündlich von neuen ersetzt werden müssen. Genau an diesem Punkt ist die künstlerische Auseinandersetzung nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Notwendig keit. Sie ist essenziell, weil in dieser Flut von Informa tion zwar viel wahrgenommen, aber nichts verstanden wird. Dann kann die Kunst mittels dieses zweiten Blicks in das Ursachendickicht vermeintlich alternativloser Phä nomene die Zeit anhalten, Zusammenhänge und Wi dersprüche sichtbar machen – und damit Wirklichkeit in ihren komplexen Bedingtheiten verhandeln. Nichts muss so sein, wie es scheint. Andres Veiel ist Film- und Theaterregisseur, Autor und Mitglied der Akademie der Künste. hkeit.de www.schwindelderwirklic 34 Kann die Kunst die Wirklichkeit verändern? 35 M e ta b o l i s c h e s B ü r o Verschaltungen und Sektionen: Wie die Wirklichkeit in die Akademie kommt Luca Lombardi: Warum? Wilfried Wang Die Baukunst verändert die Wirklichkeit. Sie bestimmt sie sogar; für manche mehr, als ihnen lieb ist. Jedes Bau werk spricht Bände; jedes Einfamilienhaus oder Hoch haus ist Ausdruck der Weltvorstellung des Bauherren. Und Bauträger, Baufinanzierer und Architekten schwindeln mit. Jedes partiell rekonstruierte, entweder mit moderner Konferenztechnik oder mit einem Einkaufszentrum vollgestopfte und damit allseits ver marktbare Stadtschloss ist Ausdruck der Sowohl- als-auch-Haltung einer Bauherrengemeinschaft, deren Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich bewusst mit der verheerenden kulturellen Aussage eines solchen Bau werks auseinanderzusetzen, den Schwindel der Wirk lichkeit überhaupt erst begründet. Oft übertreibt die Baukunst. Sie gibt mehr vor, als sie kann. Dazu wird sie durch die Bauherren, und in deren bravem Gefolge durch die Architekten, gezwungen. In dieser Diskrepanz zwischen Wollen und Sein, in dieser „Differenz“ zwischen bedeutungsschwangerem Anspruch und pathetischer Wirklichkeit öffnet sich ein kultureller Abgrund. Will man in ihn hineinschauen? Oder ist der Schein der gebauten Wirklichkeit nicht doch erträglicher? In der Differenz zwischen Sein und Wollen liegt der Beleg des Schwindels. Blicken wir um uns. Was sehen wir? Welche Bauten sind für sich „ehrlich“? Soll heißen: Welche drücken das aus, was sie zu dem macht, woraus sie bestehen (und zwar in allen ihren Bestandteilen)? So gesehen ist die Baukunst, wenn man sie richtig zu lesen und deuten weiß, eine „Membran“ zwischen Betrachter und politischer Wirklichkeit. Aber die Bau kunst ist ja in dieser Hinsicht in keiner Weise anders als andere Bereiche der menschlichen Produktion. Betrach ten wir nur einmal das, was wir als „Nahrungsmittel“ bezeichnen, oder reflektieren wir die Medien, die uns mit „Informationen“ füttern. Es ist alles einerlei. γνθι σεαυτν In all unserem Handeln beschwindeln wir uns zuerst selbst. Wilfried Wang ist Architekt, Publizist und stellvertretender Direktor der Sektion Baukunst. M e ta b o l i s c h e s B ü r o Partiturausschnitt aus Warum?, 2. Streichquartett von Luca Lombardi, 2006 11.–14.11. 11–19 h Zürcher Hochschule der Künste mit Prof. Irene Vögeli, Sønke Gau, Prof. Patrick Müller, Delphine Chapuis Schmitz sowie Studierende des MA Transdisziplinarität 7.12. 17 h Warum? 2. Streichquartett (2006) Nomos-Quartett, anschl. Gespräch mit Luca Lombardi, Johannes Odenthal u. a. Mit freundlicher Unterstützung des Italienischen Kulturinstituts Berlin Die Welt hat Probleme, die Universitäten haben Departements – die Realität stellt Fragen, die Akademien haben Sektionen: Die Wirklichkeit richtet sich nicht unbedingt nach unseren Verschaltungen, was lebt und tut ist zu vielfältig dimensioniert, um sich in Schubladen zu fügen. Was aber bedeutet dies für die Künste? Der Master in Transdisziplinarität, ein überdisziplinärer Studiengang an der Zürcher Hochschule der Künste, spannt einen Raum auf für forcierte Entgrenzung und Verfransung – zwischen den verschiedenen künstlerischen Fächern, Gattungen und Medien, doch auch hin zu anderen kunstnahen (Kulturwissenschaften zum Beispiel) oder kunstferneren (Naturwissenschaften, Ökonomie) Bereichen, die Anschlüsse generieren an ästhetische Strategien. Die Disziplinen geraten so in verschärfte Nachbarschaft, und Transdisziplinarität wird hier verstanden als eine Anleitung zu „undiszipliniertem“ Denken und Vorgehen. Dabei verschieben sich gängige Arbeitsweisen, etwa dann, wenn die Schriftstellerei aus kompositorischer Perspektive betrieben wird oder wenn sich die Künste in Kontexte vorwagen, in denen ihr Selbstverständnis auf dem Spiel steht. Im Metabolischen Büro wird über eine Woche hinweg an solchen Verschaltungen gearbeitet, in Bezug gesetzt zu einer Wirklichkeit, die täglich vor unseren Füßen liegt – und, wo sie nicht schubladisiert ist, ausgeprägten Schwindel provozieren mag. Die Besonderheiten transdisziplinären Tuns erfolgen über den exemplarischen Einzelfall – und weniger über eine abstrakte Theoriebildung –, und es sind die konkreten Denkstile, ausgewählten Personen oder exemplarischen Werke, die sich in der Akademie der Künste versammeln, die den Ausgangspunkt bilden für künstlerische Praxen jenseits disziplinärer Selbstverständnisse, für alternative Schnitte, Fügungen und Sektionen. In vielen seiner Kompositionen, einschließlich seiner Opern, setzt sich Luca Lombardi mit den Fragen der Macht und Gewalt auseinander. Lombardi, der mit deutscher Kultur aufgewachsen ist (er hat die Deutsche Schule in seiner Heimatstadt Rom absolviert), thematisiert in seinem 2. Streichquartett Warum? die zwei Seiten der deutschen Geschichte: die große Kultur und die Barbarei des Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus, die schließlich in den Verbrechen des Nationalsozialismus gipfelten. Der Titel entstammt dem gleichnamigen Fantasiestück aus Robert Schumanns op. 12, auf dessen Musik er sich zentral bezieht. Zwischen die einzelnen Sätze des Quartetts: roBErt SCHumAnn, SHoA, Wilder Reiter, Shir, Scherzo (SHoA 2), Warum?, SHAlom implantiert er für diese Veranstaltung literarische und dokumentarische Textpassagen. Hauptakteur ist das Nomos-Quartett, das zu den meistgefragten deutschen Quartetten zählt. Musik und (An-)Ästhetik 29.11.–3.12. Marcel Beyer, Jörn Peter Hiekel, Jacqueline Merz, Manos Tsangaris sowie Studierende der HfM Dresden Aufführung, Aussprache, Ausstellung, Abschlusskonzert am 3.12. Musik kann irritieren und erhellen – auch beides zugleich. Und sie kann auf manchmal Schwindel erregende Weise Perspektivwechsel vollziehen. Das alles hängt mit ihren „anästhetischen“ Dimensionen zusammen, die als Tendenz zur Auflösung fest fixierter Eingrenzungen beschrieben werden können – und im vorliegenden Teilprojekt schlaglichtartig zur Darstellung kommen sollen. Die Abfolge unterschiedlicher Diskurs-Formate mündet in ein Konzert, bei dem die Dresdner Gruppe literarische, theoretische und vor allem kompositorische Beiträge leistet, einschließlich der (Ur-)Aufführung neuer Werke. Es geht unter unterschiedlichen Aspekten um das Wechselverhältnis von Ästhetik und Anästhetik (nicht nur) im musikalischen Bereich. Aber es geht auch um die Reflexionspotenziale, die dabei erfahrbar werden. Dies alles deutet auf einen kreativen Prozess, der ins Offene, Unvordenkliche oder Unsichere mündet. Und der – so die Ausgangsthese des Projekts – einen „Schwindel der Wirklichkeit“ erzeugt, um aus eingefahrenen Gleisen des (nicht nur) künstlerischen Tuns herauszuführen. 36 37 Musik Musik im SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT Irgendwann haben die Verhältnisse sich umgedreht, hat sich die Welt der Musik völlig verdreht. Musik muss – scheinbar – nicht mehr gemacht werden, sie wird bloß noch abgerufen, zubereitet. Wo sie in Wirklichkeit herkommt, spielt für die Wirklichkeit des Musikhörens so gut wie keine Rolle mehr. Jenes sanfte Schwindelgefühl, das unsere Lieblingsmusik uns schenkt, scheint allerorten und zu allen Zeiten verfügbar zu sein. PLAY! Und andersherum: Welche Wirklichkeiten kann sie uns vorgaukeln, ruft sie in uns auf und hervor, die inzwischen allgegenwärtige Musik, die fürs Unendliche, Unwirkliche, über alles Wirkliche Hinausgehende zuständig zu sein scheint. Sie hat sich von den Wirklichkeiten da draußen gelöst, um auf engste Weise mit ihnen zu korrespondieren. Es sind „korrespondierende Erfahrungen“* hier wie dort, die einander in Schwingung versetzen. Daher auch diese überbordende Wirkmächtigkeit, die von allen Seiten so gern benutzt wird – zur Erbauung, zur Schärfung der Wahrnehmung, zur Einlullung, zur Einschläferung, zum Verkauf, zur Ermächtigung und so weiter fort. Dies alles geht nur deshalb, weil eine Art Gegenwelt erschaffen wird in tönend bewegter Form, die sich gelöst hat von dem, was sonst unsere Wirklichkeit am Boden hält, die Realität unserer Alltagswelt. Die Musik spielt sie an, sie ruft diese Erfahrungen ab, sie spielt mit ihnen, sie scheint sie lösen oder zumindest herauslösen zu können und lässt sie auch hinter sich zurück. Ist es bloß Schwindel, den sie in uns auslöst, oder eher eine Erfahrung, die wir gemeinsam hochhalten, indem wir sie wahrnehmen? Am wirkmächtigsten könnte doch die Fiktion sein, auf die wir uns einlassen, um hiermit der Täuschung die Stirn zu bieten. Manos Tsangaris Der groSSe elektronische Schwindel In den Jahren um 1980 fand in der Elektronischen Musik eine stille Revolution statt, deren Auswirkungen erst heute wirklich wahrgenommen werden: Die Digitalisierung der Tonaufnahmeverfahren hat neben der fragwürdigen klanglichen Verbesserung vor allem die Möglichkeit gebracht, Klang in seiner Abhängigkeit vom Zeitablauf völlig zu befreien und stattdessen mit mathematischen Formeln in vielseitigster Form zu verarbeiten, ja sogar in Echtzeit wie ein Instrument zu spielen – das „Sampling“ entstand. Die Tonaufnahme, die bis dahin vorwiegend als Dokumentation der Wirklichkeit diente, wurde frei transformierbar und dadurch auch radikal manipulierbar. Der Schwindel war perfekt. In der Elektronischen Musik fand eine Dekonstruktion der Wirklichkeit zu Gunsten eines freien, kreativen Umgangs mit dem Medium Klang statt. Wir fragen nicht mehr danach, was einmal der ursprüngliche Klang war. Echtheit und Klangtreue sind Begriffe aus einer untergehenden Musikindustrie. Durch die neuen, fast unbegrenzten Möglichkeiten digitaler Klangverarbeitung wird schnell alles erlaubt, und die neue Wahrheit ist nun die, welche durch die Rezeption des Jetzt-Gehörten in unseren Köpfen entsteht und existiert. Aber war das nicht schon immer so? Der erste manuell mit doppelter Klaviatur von 88 Tasten spielbare Sampler war der Fairlight, der Ende der 1970er-Jahre auf den Markt kam. Damals hat dieses „Computer Music Instrument“, wie es von den Erfindern treffend genannt wurde, den französischen Schlagzeuger Jean Pierre Drouet so fasziniert, dass er in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten Thomas Kessler die Komposition Drum Control schuf, in der er seine Virtuosität auf die zwei Klaviaturen, mehrere Regler, eine Fader Bank und drei Fußpedale des Computers übertrug. Als Ausgangsmaterial dienten Samples seiner Stimme, mit der er fiktive Schlagzeuginstrumente nachahmte. Die Grenzen zwischen virtuellem Instrument und Körper wurden überwunden. Drum Control aus dem Jahre 1983 ist vermutlich die erste notierte Komposition für *Isabel Mundry nennt es so. Thomas Kessler, Utopia, Berliner Philharmonie 2010 einen Sampler. Heute realisiert der Berliner Schlagzeuger Adam Weisman Drum Control in einer Softwareübertragung auf Max-MSP durch Wolfgang Heiniger. Auf ganz andere Weise spielt das New Yorker MIVOS Quartet im Streichquartett mit Live-Elektronik von Thomas Kessler mit den Klängen der Sampler. Die wesentliche Steuerung findet hier durch den Bogenstrich auf den einzelnen Instrumenten selbst statt. Im Computer wird dessen dynamische Gestaltung als Hüllkurve in Echtzeit auf die gespeicherten und vorbereiteten Orchesterklänge übertragen. Dadurch kann jedes Quartett-Mitglied sein eigenes, raum füllendes Streichorchester, aber auch einzelne Sprachklänge spielen. Das MIVOS Quartet, ein „versiertes, bewundernswert aufgeschlossenes junges Streichquartett“ (New York Times) interpretiert in dem Konzert jedoch auch eine Komposition ganz ohne Elektronik: das 3. Streichquartett lift-tilt-filter-split von Alex Mincek, geboren 1975 in New York. Schon der Titel verrät, dass seine eruptiv-expressive Geräuschwelt ohne die Erfahrung mit Elektronischer Musik kaum zustande gekommen wäre. Mincek, der auch ein versierter Saxofonspieler und Bassklarinettist ist und das „Wet Ink“-Ensemble leitet, gehört zu der Generation von Komponisten, die mit Elektronischer Musik als selbstverständlichem Ausdrucksmedium aufgewachsen sind. Sein Streichquartett klingt, als ob es die akustische Bearbeitung eines live-elektronischen Stückes wäre – tatsächlich hat der um gekehrte Prozess stattgefunden. Das MIVOS Quartet widmet sich der Aufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten. Seit der Gründung des Quartetts 2008 haben seine Mitglieder zahlreiche internationale Komponisten aufgeführt, ihnen Aufträge gegeben und eng mit ihnen zusammengearbeitet – Komponisten, die diverse Ästhetiken des zeitgenössischen klassischen Komponierens vertreten. Die internationale Konzerttätigkeit des Quartetts führte zu Auftritten bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, Wien Modern, dem Asphalt Festival (Düsseldorf), Concerti Aperitivo (Udine, Italien), HellHOT! New Music Festival (Hong Kong), Edgefest (Ann Arbor, USA) und Aldeburgh Music (Großbritannien). Neben der Erweiterung des Streichquartett-Repertoires ist die Zusammenarbeit mit Gastkünstlern sehr wichtig für MIVOS, was sich in gemeinsamen multimedialen Projekten, Gruppenimprovisation und pädagogischer Unterstützung junger Musiker äußert. Auf der neuesten CD von MIVOS (im Frühling 2013 bei Carrier Records erschienen) befinden sich Werke von Alex Mincek, David Franzson, Felipe Lara und Wolfgang Rihm. Während Alex Mincek die elektronische Klangerfahrung auf akustische Instrumente zurück-überträgt, arbeitet der Brasilianer und diesjährige Stipendiat der Akademie der Künste Rafael Nassif mit Konzeptionen, die auf die „optimale Verteilung der Energien in der Zeit“ abzielen, wie er kürzlich erklärte. Die Verhältnisse zwischen Klangfarbe und Raum bedenkt er ebenso wie formale, harmonische oder szenische Komponenten. Sein Stück esboço de pavana für Violoncello solo (2009), interpretiert von Mariel Roberts vom MIVOS Quartet, bewegt sich an der Schwelle der Wahrnehmbarkeit und zeigt damit gleichsam ein Paradoxon: Es formuliert Spannung und Kraft nicht durch Laut-, sondern durch Leise-Stärke. Auch die Berlinerin Neele Hülcker ist derzeit Stipendiatin an der Akademie der Künste. Von ihr wird eine speziell zu diesem Anlass entworfene neue Arbeit zu erleben sein, eine Tisch-Installation im CaféBereich, mit der sie die Besucher gleich am Beginn des Abends in eine irritierende, das Alltägliche dezent ver-rückende Situation verwickelt. Zwei weitere Werke des Abends werfen ein Licht auf das neue Elektronische Studio der Akademie der Künste, seit Mai unter der Leitung von Gregorio García Karman. In Zusammenarbeit mit dem ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe entstand in diesem Sommer im Studio ein neues, live-elektronisches Stück für Akkordeon des in Karlsruhe lebenden, slowenischen Komponisten Vito Žuraj, gespielt vom großartigen Teodoro Anzellotti. „Mit meinem neuen Werk“, so Žuraj, „möchte ich das standardmäßig gebaute Akkordeon dem Zuhörer als ein Viertelton-tüchtiges Instrument vortäuschen, dessen durchschlagende Zungen so lange wie Harfensaiten nachklingen. Letzteres erreiche ich durch den Raumklang, den die Elektronik schafft. Zusätzlich zersplittere ich einzelne Töne des Akkordeons, die sich in Klangpartikeln durch den Raum verteilen. Meine Idee der Verwendung von Vierteltönen mit Akkordeonklang hat seinen Ursprung in meiner letztjährigen Beschäftigung mit einem speziell für den Zweck der Vierteltönigkeit umgebauten Akkordeon. Diesen Akkordeon-Viertelton-Klang wird in meinem neuen Werk die Elektronik simulieren.“ Das Stück erklingt als Kontrapunkt zum Dialog Imaginär Nr. 7 „Falsche Spiegel“ (2004) für Cello und Tonband, einem frühen Werk des Studiogründers und Komponisten Georg Katzer, wiederum interpretiert durch Mariel Roberts. Katzer erinnert die Anfangsjahre des Elektronischen Studios in der Akademie der Künste der DDR: „Das amtliche Gründungs-Datum ist 1986, da hatten wir den offiziellen Segen der Akademieleitung. Aber schon 1980 hat mein damaliger Meisterschüler Ralf Hoyer ein erstes Zuspielband hergestellt: zwei Bandmaschinen, zwei, drei Filter – Punkt! Auch habe ich seit 1980 Seminare abgehalten und Konzerte veranstaltet.“ Der Klangregisseur und der Musikinformatiker des Studios für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste betreuen die elektronische Realisation des Abends. „Schattenspiele“ in den Ecken des Foyers verstecken die live spielenden Musikerinnen und Musiker hinter einer Leinwand. Sind wir sicher, wer da wirklich spielt oder erliegen wir einer musikalischen Täuschung? Die Räume werden mit subversiven Aktionen von Studenten der Klasse Sound, Art and Technology-poiesis, Universität der Künste Berlin, bespielt. Podiumsgespräche, geleitet vom erfahrenen Medienkünstler und Komponisten Manos Tsangaris, vertiefen die vielseitigen inhaltlichen Aspekte des Programms. Als Ausklang spielen die Solisten des Abends für jene, die den Vertigo-Taumel noch länger genießen wollen, in der Cafeteria bekannte Musik in gefälschten Bearbeitungen. Evelyn Hansen Sekretär der Sektion Musik Thomas Kessler Komponist und Mitglied der Akademie der Künste Konzert- und Performanceabend 22.10. 19 h mit Werken von Reiko Füting, Neele Hülcker, Georg Katzer, Thomas Kessler, Alex Mincek, Rafael Nassif, Vito Žuraj, aufgeführt von Adam Weisman, Schlagzeug, Teodoro Anzellotti, Akkordeon, dem MIVOS Quartet aus New York und dem Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste Studio / Studiofoyer / Halle 3 / Cafeteria Eintritt Studio: Euro 7/5 38 39 Musik Hören und Sehen Konzert Voraufführung Musikwoche mit ensemble mosaik 25.–29.11. Öffentliche Proben 25.–28.11. 11–18 h, Halle 3 ensemble mosaik, exit to enter von Michael Beil Musik Stefan Prins / Generation Kill Offspring 1 anschl. Gespräch mit dem Komponisten und Gästen, Moderation: Johannes Odenthal (in engl. Sprache) 26.11. Voraufführung Trond Reinholdtsen / Unsichtbare Musik anschl. Round Table mit den Komponisten Carola Bauckholt, Michael Beil, Matthias Kranebitter, Stefan Prins, Trond Reinholdtsen, Gesprächsleitung: Enno Poppe 18 h, Halle 3 28.11. 14 h, Halle 3 In präzisem Timing choreografiert Michael Beil das Wechselspiel der Musiker mit ihren Selbst-Kopien. exit to enter, seine Komposition für kleines Ensemble, Audio-Zuspiel und Live-Video (2013), verkoppelt An- und Abwesenheiten zu einem nahezu unauflöslichen Konglomerat, das unsere Wahrnehmung auf die Probe stellt. Wie in einer Zellteilung haben sich die Akteure zu virtuellen Existenzen auf den Leinwand bühnen vervielfacht und triggern das musikalische Geschehen, von dem sie ihrerseits belebt und bewegt werden. Das Stück narrt uns in sympathisch durchschaubarer Weise. Es führt eine Metapher vor über Geschehnisse, die noch nach Science-Fiction aussehen, doch schon nah an die Realität herangerückt sind, wenn man einmal unsere DatenAlter-Egos oder die uns künftig begleitenden persönlichen „Assis tenten“ mit dem unheimlichen Wissen über jeden im Netz zu ortenden User als aktuelle Beispiele herausgreift. Michael Beil tariert die Verhältnisse einigermaßen aus. Seine Instrumentalisten sind in beiden Welten zu Hause. Sie können zwischen ihnen fluktuieren und nutzen eine rhythmische Impulsbahn, die sich zunehmend beschleunigt und in ein strudelartiges Drehmoment mündet, das sie hörbar in einen quasi schwerelosen Raum katapultiert. An dieser Stelle setzt der maschinenhafte Rhythmus für eine Weile aus, es breiten sich flächige, harmonievolle Klänge aus, die jedoch zum Ende hin wieder dem motorischen Motiv Platz machen und damit an die Ausgangssituation anknüpfen. Unsere schöne neue digitale Welt erweist sich zunehmend als ein Phantom. Unter ihren Oberflächen tritt immer bedrohlicher die Kehrseite der glänzenden, vielversprechenden Münze zutage. Es zeigen sich Machtstrukturen, die alarmieren und zumindest nachdenklich machen, ob sie mit den fraglos gigantischen Vorteilen in Kauf ge nommen werden. Jüngere Komponistinnen und Komponisten arbeiten, ebenso wie Künstler anderer Sparten, bevorzugt mit neuen Technologien. Diese erweitern den technischen Materialstand und bringen eine eigene Ästhetik mit sich. So reflektieren ihre Stücke vielfach die medientechnologischen, in die Gesellschaft strahlenden Fragestellungen in einem Idiom, das sich ebendiesen Entwicklungen verdankt. Ihre Herausforderung liegt darin, sich mit eigenen Entwürfen gegen die inhärente Tendenz zum Entertainment und Design zu wehren. Generation Kill des Belgiers Stefan Prins war 2012 eines der Hauptereignisse auf den Donaueschinger Musiktagen. In komplexer Weise verarbeitete er darin aktuelle politische Vorgänge und Geschehnisse, die ihn erschütterten und diese kompositorische Auseinandersetzung auslösten. Soziale Netzwerke, Überwachungspraktiken, Videospiele, Drohnenkrieg sind Stichworte dafür, die in dem „disorienting effect of technology“ als einer grundlegenden Problematik medialer Technologien zusammenfließen. Stefan Prins zitiert in seiner damaligen Programmeinführung Evan Wright, einen ehe maligen „Embedded Journalist“ aus dem Irak-Krieg 2003, aus dessen Buch Generation Kill er u. a. folgende Äußerung eines Soldaten wiedergibt: „Es ist der ultimative Kick – Du gehst in den Kampf, während im Hintergrund ein guter Song läuft.“ Die immer stärker sich auflösende Grenze zwischen Realität und Virtualität erfahrbar zu machen, ist das zentrale Anliegen des Komponisten. Außer Instrumenten setzt der auch als Physikingenieur ausgebildete Künstler in diesem Stück Gamecontroller, Live-Elektronik und Live-Video ein. Im Musikprogramm kommt die Version Generation Kill Offspring 1 (2012) zur Aufführung. Fast konträr dazu: das Konzept von Matthias Kranebitter. Seine Strategie besteht in der rigorosen Auflösung von Zusammenhängen, Gewissheiten und Traditionen. Der 1980 geborene Wiener mit einer umfangreichen medienkünstlerischen Kompetenz bekennt sich auf seiner Suche nach Authentizität dezidiert zur „Störung bzw. Zerstörung“ Trond Reinholdtsen / Unsichtbare Musik Michael Beil / exit to enter Carola Bauckholt / In gewohnter Umgebung III Matthias Kranebitter / nihilistic study no. 7 Carola Bauckholt / Laufwerk Stefan Prins / Generation Kill Offspring 1 ensemble mosaik, Sopran: Angela Postweiler, Sprecher: Trond Reinholdtsen, Leitung: Enno Poppe Euro 10/6 29.11. 19.30 h, Studio als ästhetischem Werkzeug, mit dem er aus dem Restbestand von Kulturellem, zufällig Beobachtetem,Trash oder Dilettantischem seine losen, comicartig überzeichneten Konstrukte fügt. nihilistic study no. 7 für Ensemble und Zuspiel (2013) ist ein Mix aus betitelten Examples, z. B. Shopping Mall, Beethoven oder The Violin, die Kunst und Alltag mischen und ihren Witz aus der überraschenden Perspektive und dem genau kalkulierten Kontrast ziehen. Wie im Kameraschwenk erfasst er einzelne Momente und spiegelt den medial sozialisierten Hörern die ihnen vertrauten Erscheinungen satirisch verfremdet zurück. Noch tiefer auf den elementaren Grund der Dinge begibt sich Trond Reinholdtsen. Seine Unsichtbare Musik für Sprecher, Sopran, kleines Ensemble und Zuspiel (2009) ist Musik in der Einheit mit dem Wort, der Präsenz und Person des Komponisten, der, obwohl es nichts zu sehen gibt, über die schlichte Nennung von Begriffen quasi im Zeitraffermodus die Bausteine einer Welt vors innere Auge stellt – systematisch und chaotisch zugleich, vom Einzelnen zum Komplexen, vom Konkreten zum Abstrakten. In langer Kette reiht er Worte aneinander, die mit Klang durchtränkt sind, gleich einem Sammler, der seine Fundstücke sorgsam in einer Wunderkammer birgt, um jedes Objekt in seiner eigenen exotischen Schönheit betrachten zu können. Der Norweger ist für den kauzigen Esprit seiner meist szenisch gestalteten Kreationen bekannt. Sein schwarzer Humor zielt auf Profundes. Am Ende lässt er die gestückelten, atomisierten Einheiten unverhofft in einen Sinnzusammenhang fließen. Mit Gedichten von Bertolt Brecht, darunter das weit bekannte Fragen eines lesenden Arbeiters, setzt er ein poetisches Signal für eine längst vergessen geglaubte Utopie. Dass das Sehen und Hören im Hier und Jetzt des Realen auch ohne virtuelle Transformationen noch unerschöpflich viel zu entdecken bietet, beleuchtet Carola Bauckholt in fast jeder ihrer Arbeiten. Ihre Kompositionen vermischen oft Elemente aus visueller Kunst, Musiktheater und konzertanter Musik. Für das Programm wurden die Stücke In gewohnter Umgebung III für Violoncello, Klavier und Video (1994) und Laufwerk für Ensemble und Zuspielung (2011) ausgesucht. In ersterem lenkt sie unsere Aufmerksamkeit auf das alleralltäglichste Geschehen. Per Video zoomt sie banale Gebrauchsgegenstände überdimensional ins Bild: einen tropfenden Wasserhahn, ein bratendes Spiegelei, den geöffneten Kühlschrank, und verwandelt sie damit in gleichsam individualisierte Akteure, aus deren Geräuschen sie einen teils illustrativen, teils konträren musikalischen Kontext formt. „Vorgestellt habe ich mir Schleifen von prerecorded sounds, die sich ins Ensemble hinein und sich wieder herauswinden.“ (C. Bauckholt). Laufwerk, ein Perpetuum mobile mit Hang zu ausgeprägten Unwuchten, setzt unterschiedlichste Spiel-Mechaniken in Gang, die den Eindruck einer betagten, ächzenden Maschine produzieren. Seltsam eigenwillig verschieben sich die Abläufe, stoppen, geraten in neue rhythmische Muster und lösen sich schließlich zeitweise ganz aus dem zwanghaften Prozess heraus – bis am Ende alles zerfällt. Eine Woche lang, vom 25. bis 28.11, kann den Musikern des ensemble mosaik bei der Vorbereitung dieses Programms (Kurator: Enno Poppe) im Metabolischen Büro zur Reparatur von Wirklichkeit in öffentlichen, frei zugänglichen Proben über die Schulter geschaut werden. Einige der beteiligten Komponisten werden in eigenen Veranstaltungen vorgestellt. Das Konzert findet am 29.11., 19.30 Uhr, im Studio der Akademie der Künste am Hanseatenweg statt. Evelyn Hansen 41 Musik MIDI–KLAVIER Präsentationen hkeit.de www.schwindelderwirklic Musik Peter Ablinger, The Real as Imaginary, 2012 40 Performance, Gespräch Im Anschluss an die Performance: Peter Ablinger und Manos Tsangaris im Gespräch MIDI-Automation in einem Sequenzer-Programm Zweimal täglich erklingt ein halbstündiges, wechselndes Programm mit Kompositionen von Annesley Black, Reinhard Febel, Orm Finnendahl, Erhard Grosskopf, Wolfgang Heiniger, Arnulf Herrmann, York Höller, Bernhard Lang, Conlon Nancarrow, Enno Poppe, Cornelius Schwehr, Walter Zimmermann u. a. 17.9.–14.12. 12 + 17 h, Halle 3 Musical Instrument Digital Interface, kurz: MIDI, ist seit den 1980erJahren eine Konstante in den elektronischen Studios. Die Schnittstelle gehört seit ihrer Einführung zu den Erfolgsmodellen der Digitalisierung in der Musikproduktion und hat bis heute kaum an Attraktivität eingebüßt. Früher nutzten Komponisten zum Arbeiten ein Klavier, um damit Klänge zu hören, Akkorde auszuprobieren oder ganze Partituren zu spielen – je nach ihren pianistischen Fähigkeiten. Diese Arbeit hat nun, wie in so vielen anderen Bereichen, der Computer übernommen. Jede mit Computernotensatz geschriebene Partitur kann er direkt realisieren, völlig unabhängig vom instrumentalen Können des Autors. MIDI verbindet alle digitalen Musikinstrumente mit dem Computer. Und es ist ein äußerst seltener Vorgang in der mit unfassbarer Geschwindigkeit sich vollziehenden Entwicklung der Computertechnologie, dass ein solcher Standard über 30 Jahre lang unverändert verwendet wird. Woran liegt das? Zum einen in der relativ nüchternen Tatsache, dass sämtliche Musik-Technologiefirmen weltweit einem solchen Standard zustimmen müssen. Vor allem aber zeigt sich daran, dass die Nutzerinnen und Nutzer offensichtlich immer noch zufrieden sind. Ihre Bedürfnisse scheinen sich hier nicht verändert zu haben, und die meisten Musikkonsumenten und -produzenten favorisieren das Bewährte. In einer für den Bereich erstaunlich konservativen Grundhaltung ziehen sie es vor, mit dem Gegebenen umzugehen und so ist ein neuer Standard schlichtweg überflüssig. Doch gibt es natürlich auch Gegenbeispiele, Komponisten, denen die normierte Syntax der industriellen Unterhaltungsindustrie ein zu enges und starres Korsett bedeutet, das nur das Vorhandene perpetuiert und die Fantasie einschränkt. Sie haben die Musik in den letzten Jahr zehnten ständig weiterentwickelt und unzählige neue Ideen und Projekte entworfen, die wir in einer Auswahl vorstellen wollen. Das Disklavier von Yamaha, repräsentativ für diesen Bereich, ist so gesehen eine moderne Variante des klassischen Selbstspielklaviers, das früher mit Walzen gesteuert wurde und eher in Kneipen und auf Jahrmärkten zum Einsatz kam. Von Anbeginn waren Selbstspielklaviere eine Einsparmaßnahme, da man auf Musiker verzichten konnte. Während die Walzen allerdings in einem mühsamen Prozess hergestellt werden mussten, kann das Disklavier neben dem Abspielen fertiger Stücke auch eine Klang-Simulation von Skizzen erstellen, was den Komponisten eine kaum zu überschätzende Arbeitserleich terung verschafft. Doch was passiert, wenn eine Maschine Musik spielt? Was ist die Substanz der Musik? Die absolut korrekt wiedergegebenen Noten einer simulierten Aufführung lassen oft erst erkennen, wie viel Anteil das Nicht-Notierte an der Wirkung der Musik hat. Ein Pianist kann immer besser spielen als eine Maschine, denn er vermittelt eine „Interpre tation“, die seine gesamte Person einschließt. Seine Version ist das Ergebnis eines langen Übungsprozesses, während dessen Kopf und Hände, Geistiges und Manuelles eine stets einmalige, authentische Auslegung prägen. Andererseits kann die Maschine Dinge, die mit den Händen nicht möglich sind. Alles ist quasi realisierbar, veränderbar, ohne jegliche musiktechnischen Schwierigkeiten. Das Selbstspielklavier in einer Ausstellung stellt eine Präsen tationsmischform dar, die viele Fragen aufwirft. Am ehesten könnte man hier von einer Konzertsimulation mit simulierter Musik sprechen, die neuen Erfahrungskategorien von künftigen Mensch-MaschineProdukten den Weg bereitet. Peter Ablinger 18–19 h, Halle 3 Das Wirkliche als Vorgestelltes, 2012 Sprecher/in und Rauschen „[…] (3) Aber es geht nicht um Noten. (11) Es gibt aber auch keine richtige Frage. (4) Es geht um das Wirkliche, die Frage nach dem Wirklichen, es geht darum, die richtige Frage zu stellen, und lange Zeit hatte ich die falsche Frage gestellt. (12) Denn was mir jetzt erst langsam klar wird, ist, daß alle Fragen, ob, wie und inwiefern Wirkliches überhaupt existiert – in dieser Form gestellt – gar nicht zählen. (5) Ich hatte gefragt, ob es möglich sei, das Wirkliche jemals zu erreichen, ob es jemals möglich sein würde, das Gefängnis meiner Vorstellungen zu durchbrechen hin auf Wirkliches – und sei es nur für den allerkürzesten Moment, ob es möglich sei jemals wirklich HIER zu sein, oder ob ich immer – für immer und immer – gefangen bliebe im Nicht-Hier-Sein, in meinen Vorstellungen und Gedanken-Konstruktionen, und das Wirkliche niemals erreichen und immer nur verfehlen würde. (13) Wirkliches ausserhalb meines Vorgestellten zählt nicht. (14) Oder anders: Ein Wirkliches ausserhalb meines Gefängnisses zählt nicht. (15) Könnte ich die Gefängnismauern einreissen, würde ich nichts Wirkliches sehen. (16) Könnte ich meine Gedanken-Konstruktionen überschreiten, ohne sie sofort durch neue Gedanken-Konstruktionen zu ersetzen, würde ich dahinter rein gar nichts erkennen können. (17) Was dagegen zählt ist, daß Wirkliches überhaupt nur als Vorgestelltes interessant ist. (6) Ein nicht erreichbares Wirkliches aber, was wäre das? (7) Wäre das etwas anderes als nur eine weitere meiner Gedanken-Konstruktionen? (8) Wäre das überhaupt etwas? (18) (9) Die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Erreichens des Wirklichen ist gleichzeitig die Frage nach dem Wirklichen selbst, die Frage, ob es es überhaupt gibt, das Wirkliche, oder ob es tatsächlich nichts anderes gibt als meine Vorstellung vom Wirklichen. Und es mag gut und gerne sein, dass Wirkliches überhaupt nur als Vorgestelltes IST. (19) Auf jeden Fall kann dahingestellt bleiben, auf jeden Fall ist es gleichgültig, ob es es gibt, oder nicht gibt, das Wirkliche außerhalb meines Vorgestellten. […].“ Aber das ist die falsche Frage. Auszug aus dem Performance-Text. Quelle: http://ablinger.mur.at/i+r_the-real.html Wir danken der Yamaha Music Europe GmbH für die großzügige Unterstützung. Enno Poppe Komponist, Dirigent und stellvertretender Direktor der Sektion Musik 30.9. (10) 43 Schauspiel Warum spielt Der Mensch? Was heißt das: Schauspielen? Aufzutreten und zu behaupten, dass man jemand sei. Ein anderer. Oder man selbst. Was treibt einen auf die Bühne, was braucht man auf dem Weg, welcher Preis ist zu bezahlen? Und welche Wirklichkeit teilt man dann mit den Kollegen und den Zuschauern? Die der Literatur oder die des Augenblicks? Nimmt man Rollen ein und legt sie wieder ab? Oder zieht man immer eine über die andere und wird selbst irgendwann unkenntlich? Aber warum fühlt man sich dabei manchmal so nackt? Auf Theaterproben wird heutzutage selten explizit über die künstlerischen Möglichkeiten des Spielens im Theater gesprochen. Auch das Feuilleton streift das Thema höchstens beiläufig, und die Theaterwissenschaft fühlt sich gar nicht mehr zuständig. Insofern habe ich selbst ein solches Gespräch initiiert und einige herausragende und von mir persönlich hoch geschätzte Kollegen – man sehe mir nach, dass ich auch dabei bin – dazu angestiftet, mit vertrauten oder geschätzten Personen über ihre Spielweisen zu sprechen. Über die Momente der Verwandlung, das Spiel mit den Zuschauern, die inneren und äußeren Welten, aus denen man sich für die Figur bedient, und über die Grenzen des Darstellbaren. Im Rahmen von SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT ist eine Reihe von zehn Videogesprächen entstanden, die als Teil der Ausstellung gezeigt werden und zugleich in einer DVD-Edition erscheinen. Diese Auswahl ist total subjektiv. Meine einzige Vorgabe war: fünf Frauen, fünf Männer. Natürlich könnten es auch zwanzig andere sein. Thalia Theater, Hamburg. Videostill Spielweisen 42 Schauspiel Wenn sich plötzlich die Zeit öffnet Über Schauspielen heute Joachim Meyerhoff I Vielleicht könnte man einfach mal sagen: Dieses Jahrzehnt gehört dem Schauspieler. Ein halbes Jahrhundert lang wurde Theater – und damit ist das im deutschsprachigen Raum noch immer vorherr schende Modell des öffentlich getragenen Ensembletheaters gemeint – vorwiegend als Regietheater oder als Literaturtheater aufgefasst. Als Blick in den Kopf eines Regisseurs, der kindkaiserlich die Puppen tanzen lässt, oder als Offenbarung der Dichtung durch die Sprechkunst. Seit einigen Jahren aber wird der Schauspieler nun auch als eigen verantwortlich Handelnder ernst genommen. Auslöser dieser Wahrnehmungsverschiebung war eigentlich eine Krise. Gemeinsam mit den Konzepten des postdramatischen Theaters ist seit den 1990er-Jahren die Idee der Performance ins Theater eingezogen und hat neben dem Schauspieler den Performer etabliert. Wobei das, was man im Theater Performance nennt – und was der Dramaturg Bernd Stegemann in seinem Buch Kritik des Theaters (2013) in Abgrenzung vom Schauspielen etwas polemisch als „Schausein“ klassifiziert, als bloßes Dasein auf der Bühne ohne Verkör perungsabsicht –, meist ein Hybrid ist. Denn das Gesagte ist natürlich oft dennoch geprobt und wird nach Spielplan wiederholt. Aber dass derjenige, der auf der Bühne steht, zumindest vorgibt, selbst die Geschichte zu sein, die erzählt werden soll, ist neu und macht ihn plötzlich zu einem echten Gegenüber, weil man nicht wirklich weiß, wo die Kunst aufhört und womöglich das Leben anfängt, ja ob es überhaupt eine solche Grenze noch gibt. Es ist eine Stegreifsituation. Ein Rückgriff auf die Zeit, als dem Theater nicht nur die vierte Wand fehlte, sondern auch die anderen drei. Natürlich wären mehr als zehn Positionen notwendig, um die Frage, wie und warum Schauspieler Theater machen, auch nur ansatzweise repräsentativ beantworten zu können. Aber einige Tendenzen lassen sich aus diesen Beiträgen doch ableiten, mehrere Themen werden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, und in der Zusammenschau der rund 300 Minuten dauernden Gespräche ergibt sich durchaus ein Bild des gegenwärtigen Theaters aus Schauspielersicht. Und dieses Bild ist, wie nachfolgend in einigen Schlaglichtern skizziert werden soll, konkret, heterogen, überaus kritisch und von so leidenschaftlichen Suchbewegungen geprägt, dass man sich um die Zukunft des Theaters im Augenblick wohl keine Sorgen machen muss. Di–So Videopräsentation in der Ausstellung / DVD Zehn Filme mit englischen Untertiteln Kurator: Ulrich Matthes Projektleitung: Petra Kohse Mitarbeit: Tanja Krüger Regie und Schnitt: Ingo J. Biermann Bildgestaltung: Kai Miedendorp, Alexander Haßkerl Mit: Josef Bierbichler, Edith Clever, Maren Eggert, Jens Harzer, Fabian Hinrichs, Sandra Hüller, Signa Köstler, Ulrich Matthes, Joachim Meyerhoff und Wiebke Puls. Gesprächspartner: Yvonne Büdenhölzer, Matthias Dell, Sebastian Heindrichs, Nele Hertling, Peter Kümmel, Matthias Lilienthal, Hans-Dieter Schütt, Anika Steinhoff, Andres Veiel und Matthias Weigel. Antworten bereithalten und darüber hinaus eine weiter gefasste Beschäftigung mit der Schauspielkunst anregen können. Denn das darf man in der performativen Gesellschaft trotz aller Partizipationsansätze auf den Bühnen und der jahrzehntealten Regietheaterdebatte in den Feuilletons nicht vergessen: Theater, diese hoch arbeitsteilige Ulrich Matthes Direktor der Sektion Darstellende Kunst 11–19 h, Halle 2 Spielweisen gespräche mit Schauspielern Ich bin sicher, dass diese zehn Gespräche auf die Menschheitsfrage, warum der Mensch spielt, ja spielen muss, viele Kunstform, wird allabendlich vom Schauspieler vollendet. Er persönlich steht mit Geist und Körper dafür ein. Wiebke Puls mit Matthias Lilienthal Maren Eggert DVD-Edition, AdK, Berlin, 2014 2 DVDs (englische Untertitel verfügbar), 310 Minuten Booklet (deutsch/englisch), 64 Seiten, 11 Abbildungen ISBN 978-3-88331-205-7 Best.-Nr. 5042 Euro 22 Signa Köstler Dieser neu-alte Geist des Performativen, des Entstehenlassens im Moment, hat nicht nur die Theaterwissenschaft in einen Taumel versetzt, sondern das Theater auch für Soziologen interessant gemacht. In der Tat wurde der Tod des klassischen Schauspielers schon bald ausgerufen und der Performer zum Prototyp des Zeitgenossen gekürt. Aber die Performance ist nicht das einzige Resultat postdramatischer Entwicklungen im Theater. Auch der nichtprofessionelle Darsteller hat inzwischen einen Platz auf der Bühne, international arbeitende Projektemacher, Kollektive sowie eine neue Generation von stärker im Team arbeitenden Regisseuren und vor allem Regisseurinnen sind zu den Allesbestimmern alten Schlages hinzugekommen, und neue Dramatik hat den Alltagston auch mit literarischer Grundlage auf den Bühnen gut etabliert. In dieser Gemengelage wurde der klassische Schauspieler stark auf sich selbst zurückgeworfen. Klare Weisung blieb oft aus, Persönlichkeit wurde ästhetisch relevant. Es ist kein Zufall, dass die meisten der Schauspielerinnen und Schauspieler, die Ulrich Matthes für die vorliegende Reihe von Videogesprächen über ihre Spielweisen ausgesucht hat, mittlerweile auch eigene Projekte machen und selbst schreiben oder Regie führen. Aus dem Schauspieler mit Rollenfach ist ein nach vielen Seiten hin offener Theatermacher geworden, der auch als Ensembleschauspieler Verantwortung für das künstlerische Ganze übernimmt. Was er vielleicht immer getan hat. Aber jetzt, da die Formen offener sind, hängt das Gelingen noch mehr davon ab. Die Theaterwissenschaft hat mit Symposien und Publikationen bereits darauf reagiert: Im Rahmen der wissenschaftsbestimmenden Untersuchung der „Kulturen des Performativen“ kommt auch der klassische Schauspieler wieder vor. II Neben neun klassisch ausgebildeten Schauspielern wurde auch Signa Köstler in der Spielweisen-Reihe interviewt, eine dänische Performancekünstlerin, die aus der bildenden Kunst kommt und der es zu Beginn ihrer Laufbahn gar nicht bewusst war, dass die szenischen Installationen, die sie mit ihrer Gruppe SIGNA realisiert, als Theater aufgefasst werden könnten. Die Konzepte stammen meist von ihr und ihrem Mann Arthur, und sie selbst führt Regie, was heißt, dass sie die Grundzüge der Charaktere mit den Darstellern entwickelt und ihnen dann freie Hand gibt. Pluralismus und Subjektivität sind in dieser Arbeit konstitutiv. Jeder Darsteller erzählt einen anderen Teil der gleichen Geschichte auf so persönliche Weise, dass der Zuschauer sich der Wahrheitsvermutung kaum entziehen kann und buchstäblich in das (vor allem im angelsächsischen Raum als „immersiv“ bezeichnete Theater-)Geschehen eintaucht. Entsprechend schwer tut sich Signa Köstler im Gespräch mit der Frage, ob sie in einer Spielsituation XY als Signa oder als Figur reagiert habe. „Oft kann man mit einer echten Energie richtig gut spielen. Auch manchmal mit Müdigkeit oder Frustration. Es gibt nicht die Seele einer Rolle und die Seele von einem selbst. Es steckt ja alles in einer Person. Und ich finde es absurd, wenn man das so trennen will. Wenn ich spiele, gehören alle Impulse, die ich habe, der Rolle.“ 44 Wiebke Puls, Ensembleschauspielerin der Münchner Kammerspiele, sieht diese Dichotomie durchaus ähnlich: „Das bin ja immer ich. Ich bilde mir nicht ein, eine fremde Person zu sein. Aber ich verleihe mich natürlich gleichzeitig einer anderen Person. Die Leute nehmen mich nicht als Wiebke Puls wahr. Auf der anderen Seite könnten sie die Figur überhaupt nicht wahrnehmen, wenn ich sie nicht spiele.“ Gleichzeitiges Sein und Nicht-Sein also in diesem Fall, und das gar nicht mehr als Frage. Ganz egal, ob Rollen tatsächlich etwas mit der Persönlichkeit eines Schauspielers oder einer Schauspielerin zu tun haben – „in dem Moment, in dem Körper physisch anwesend sind, ist es ja eine Art von Authentizität,“ stellt Joachim Meyerhoff fest. Und Sandra Hüller geht sogar noch weiter: Sie träumt davon, Rollen ganz aus der echten Begegnung mit den Kollegen auf der Bühne heraus – gewissermaßen spontan – umzusetzen. „Ich würde mir wünschen, dass ich […] so zur Arbeit gehen könnte, wie ich bin, und mit allem arbeiten könnte, was ich bin. Wenn es da kein Korsett gäbe!“ Wobei diese Aussagen wohl kaum als Augenaufschläge in Richtung eines neuen Naturalismus zu verstehen sind, sondern als klare Bekenntnisse zu einer Co-Autorschaft. Sandra Hüller mit Yvonne Büdenhölzer Fabian Hinrichs Generell sind Schauspieler für Joachim Meyerhoff greifbarer geworden. Sie sind keine hehren Vorbilder für die Gesellschaft mehr, mit einer Weltanschauung, die sie von oben (von der Bühne) nach unten (in den Zuschauerraum) vermitteln wollen. Vielmehr sind sie Spielpartner eines Publikums, das heutzutage Aufmerksamkeit nicht nur spendet, sondern auch beansprucht, und das keineswegs im Dunkeln sitzt, sondern bis kurz vor Vorstellungsbeginn im Scheinwerferlicht des eigenen Mobiltelefons. „Da hat sich etwas geändert. Man begegnet sich viel mehr auf Augenhöhe“, so Meyerhoff. Sowieso werde die Welt selbst zunehmend theatral verstanden und die Theatersituation sei dem Leben dadurch einfach ähnlicher geworden. Für den Schauspielerstand bringe das Legitimationsprobleme mit sich. Der Beruf sei für viele heute eine „nicht enden wollende Schauspielschule“ – man versteht sich im Werden, nicht im Sein. Entsprechend schwer fällt es nicht nur Joachim Meyerhoff, auf der Bühne still zu sein und nichts zu sagen oder zu tun, was seiner Beobachtung nach ältere Kollegen, die aus einem gesellschaftlich klar codierten Kontext kommen wie etwa dem Schaubühnen-Ensemble aus der Zeit von Peter Stein, noch meisterhaft beherrschen. Auch Wiebke Puls beschreibt: „Ich habe ständig das Gefühl, ich müsste mir das noch erkämpfen, das Recht, auf der Bühne zu sein.“ Josef Bierbichler mit Andres Veiel Jens Harzer Ulrich Matthes indessen nutzt Schweigen mitunter als Möglichkeit, die Konzentration des Publikums einzufangen, Maren Eggert bekennt sich im momentweisen Nicht-Spielen ganz offen zu für sie unspiel baren Szenen und Jens Harzer meint sogar: „Das ist ja hoffentlich allgemein, dass man eher in die Geheimnisse investieren muss als in das Ausgesprochene, dass Figuren eher aus dem Schweigen kommen als aus dem Reden.“ Eine Frage der Mentalität – und der Spielweise. Auch darüber, wie groß der Anteil der Regie an der Rollenentwicklung zu sein hat, gibt es unterschiedliche Ansichten oder Hoffnungen. Für Fabian Hinrichs ist Regie im Wesentlichen als Partner schaft akzeptabel („Die Stücke entstehen zusammen.“), während Ulrich Matthes sagt: „Ich bemühe mich immer, mich zu fordern und 45 Schauspiel über meine schauspielerischen Mittel hinauszukommen. Aber das Entscheidende tragen letztlich die Regisseure bei. Je nachdem, wie sie einen angucken, wie sie über einen lachen, wie sie einen in die Schranken weisen.“ Für Edith Clever oder Wiebke Puls ist es ebenfalls von größter Bedeutung, wie sie von einem Regisseur gesehen beziehungsweise erkannt und gefordert werden. Wobei es – darüber herrscht weitgehend Einigkeit – an Regisseuren großen Kalibers definitiv mangelt. Die Lücke, die der Tod namentlich von Jürgen Gosch vor fünf Jahren gerissen hat, klafft noch immer spürbar. Jens Harzer resümiert sogar: „Mit Regisseuren ist man ohnehin allein, die haben davon eh zu 95 Prozent überhaupt keine Ahnung.“ „Davon“ meint hier: von der höheren Wirklichkeit einer Figur. Dass Wirklichkeit stets mehrfach codiert ist, ist das Geburtsmerkmal der Kunstform. Es gibt die Lebenswirklichkeit des Schauspielers auf der Bühne (und des Publikums im Zuschauerraum), die Wirklichkeit der Rolle und die Wirklichkeit dessen, was damit eigentlich ausgedrückt werden soll. Der Übergang von der eigenen in die andere(n) Wirklichkeit(en) ist für Josef Bierbichler allerdings im Laufe seiner Karriere so problematisch geworden, dass er schon vor einigen Jahren aufgehört hat, Theaterfiguren zu spielen – aus Scham. „Nicht die Scham, scheitern zu können. Sondern die Scham, aufzutreten und sich herzuzeigen. Angst habe ich nie gehabt, ich habe auch ganz selten Lampenfieber gehabt. Aber die Scham, dass ich jetzt aus der Wirklichkeit heraustrete und irgendein Getue mache.“ In Thomas Ostermeiers Inszenierung Tod in Venedig / Kindertotenlieder (2013) füllt er die Bühne denn auch im ersten Teil ohne Text. Im zweiten Teil singt er. Das „Eigentliche“ ist bei vielen Befragten eine wesentliche Kategorie. Jens Harzer versteht Schauspielen generell als Infragestellung der Wirklichkeit, weil es darum gehe, das zu spielen, was nicht zu sehen und nicht zu hören, aber dennoch das „Eigentliche“ sei: die Sehnsüchte der Figuren und ihre Fragen aneinander, die, laut gestellt, ihren Existenzen den Boden unter den Füßen wegziehen würden. Auch für Edith Clever ist dieser Mehrwert des Eigentlichen essenziell: „Wichtig ist, etwas ahnen zu lassen von noch etwas anderem! Ich finde, wenn es so banal ist, ist es wirklich furchtbar, wenn die Wirklichkeit nur so abgebildet wird im Theater, und ich gehe so leer nach Hause, wie ich gekommen bin.“ Und Maren Eggert sagt: „Was auf der Bühne stattfindet, hat weder mit dem Umgang hinter der Bühne etwas zu tun noch mit dem sogenannten wahren Leben.“ Ulrich Matthes Edith Clever Ein dritter Zustand, eine dritte Sache, um die es Publikum und Schauspielern gemeinsam geht und der beziehungsweise die hin und wieder erreicht wird und dann alle Mühen beider Seiten belohnt: „Wenn so ein Zuschauerraum wirklich an einer Situation oder einem Gedanken dran ist“, sagt Ulrich Matthes, nach dem Vergleich von Publikumsreaktionen im DDR-Theater und jetzt gefragt, „ist die Art von Stille keine andere als die, wenn das Publikum aus politischen Gründen nur mit halber Pobacke aufrecht auf den Sesseln sitzt. Ob ein Mensch aus politischen oder auch privaten Gründen von etwas bewegt ist, ist mir egal. Ich halte beides für gleichermaßen wichtig.“ Und auch Joachim Meyerhoff beschreibt diese besondere Stille: „Es gibt Momente, in denen man mit den Zuschauern in Kontakt tritt und in denen sich im Theaterraum – und das unterscheidet das Theater ja wirklich von allen anderen Medien – die Zeit öffnet und man tatsächlich so ein Dompteur des Moments wird. In schönen Augenblicken kann man Wahrheit dann dreidimensional machen und sie sich von allen Seiten angucken.“ Um diesen Moment geht es allen. Und das Verrückte und Beglückende ist, dass er mit jedem Angang und in jeder Theatersprache, jeder Spielweise also, erlebt werden kann. Theoretisch zumindest. Oder wie Edith Clever sagt: „Es wird einem ja nicht geschenkt. Aber es wird einem dann geschenkt. Unter Umständen.“ Petra Kohse Sekretär der Sektion Darstellende Kunst J u n g e A k a d e m i e / KUN S TWELTEN DOUBLE PROJECTION The folder is empty – we are present PerformanceNACHT 10.10. ab 17 h, Halle 3 Das performative Gruppenprojekt der Stipendiatinnen und Stipendiaten 2013 wird eine flexibel ausgestattete Laborsituation zwischen den Künsten herstellen. Auch das frei sich darin bewegende Publikum ist aktiv mit einbezogen; denn es gibt keine Bühne, nur lose Stühle und Kissen. Sie befinden sich alle auf gleicher Ebene, teilen miteinander einen Raum, eine Anwesenheit und Wirklichkeit. Das Gemeinschafts projekt lebt von wechselseitigen Projektionen im Zwischenmenschlichen wie im Zwischenkünstlerischen. Neue Arbeiten entstehen ad hoc oder auf dem Prinzip des Dialogs; zwischen den Kunstsparten vor produziertes Material wird präsentiert, möglicherweise auch diskutiert. Wie freie Radikale werden Fragmente in den gemeinsamen Raum geschickt, wo sie sich mit etwas Anderem verbinden können: Ein Film reagiert beispielsweise auf eine Komposition, ein Gedicht auf eine Installation, eine Performance auf einen Romansplitter, die Frage eines Gastes generiert eine Diskussion … Wir projizieren aufeinander, um besser sehen zu können – uns und was uns umgibt. Das Gegenüber als Spiegelfläche oder Widerstand bestimmt solche Wechselwirkungen, die wiederum die Sinne für die Präsenz im Augenblick schärfen. Nichts entsteht im luftleeren Raum. Alles bezieht sich aufeinander, setzt Schwingungen in Gang oder entsteht aus der Interferenz zwischen inneren und äußeren Wirklichkeiten. Ein Prozess künstlerischer und sozialer Interaktion stellt sich selbst aus. Singend, Gedichte rezitierend, Filme projizierend, Räume bauend, Räume tanzend oder Weintrauben essend – was auch immer wir tun werden, wie wir es tun werden, wird von höchster Bedeutung sein. Unsere Anwesenheit ist das Thema, der komplexe Schwindel des Hier und Jetzt. Ziel ist die Reflexion unserer jeweiligen Wahrnehmungen von Wirklichkeit, indem wir selbst wirklich sind und immerzu Wirklichkeit herstellen. Maria Mohr Filmemacherin, stellvertretend für die Gruppe der Stipendiaten 2013 Ein Projekt der Stipendiaten der Jungen Akademie 2013: Christos Asteriou (Schriftsteller), Farid Fairuz (Performer), Assaf Gruber (Bildender Künstler), Laurynas Katkus (Schriftsteller), Gábor Péter Mezei (Komponist, Musiker), Sabelo Mlangeni (Fotograf), Maria Mohr (Filmemacherin), Bojana Šaljić Podešva (Komponistin), Ragunath Vasudevan (Architekt, Fotograf) und Elia Verganelaki (Schauspielerin, Musikerin). Leiter der Jungen Akademie: Christian Schneegass Das Projekt wird ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste. Kunstwelten Künstlerinnen und Künstler der Akademie laden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein, sich in Animationsfilm-, Tanz-, Foto grafie- und Medienwerkstätten sowie einer Plakataktion kreativ mit Medien, Computerspielen und Werbung auseinanderzusetzen. Die Schülerinnen und Schüler vieler Berliner Schultypen stellen ihre Erlebnisse diesen inszenierten Welten gegenüber, lernen in den Kunstprojekten ungeahnte Möglichkeiten für die Darstellung ihrer Wirklichkeit kennen und erleben, wie perspektivenreich, differenziert und spannend sie ihre eigenen Geschichten erzählen können. In einem Architekturprojekt untersuchen sehbehinderte Kinder das Haus der Akademie am Hanseatenweg und bauen ein Modell, das ihre Entdeckungen zeigt. Alle Schülerwerkstätten finden in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, statt. Mit Anmeldung! Wenn ich ein Superheld wäre, dann … Animationsfilmwerkstatt für Schüler ab Klasse 4 mit Constanze Witt und Claus Larsen, 22.–26.9., jeweils 9–13 h Alles Lüge! Selber groß werben Plakatwerkstatt für Schüler ab Klasse 5 mit Jakob Michael Birn, 30.9.–2.10. sowie 10.11./11.11., jeweils 9–13 h Einmal Facebook und zurück? Medienwerkstatt für Schüler ab Klasse 9 mit Kathrin Röggla, 16.10./17.10., jeweils 9–13 h EchtNichtWahr – Von falschen Nachrichten und echten Gerüchten Fotografiewerkstatt für Schüler ab Klasse 6 mit Rolf Giegold, 16.10./17.10. sowie 4.11./5.11., jeweils 9–13 h Tanzende Daten Tanzwerkstatt für Schüler ab Klasse 4 mit Mareike Franz und János Kachelmann, 17.–21.11., jeweils 9–13 h Touch me – Ein Tastmodell der Akademie am Hanseatenweg Architekturwerkstatt für sehbehinderte Kinder mit Jakob Michael Birn, 1.–5.12., jeweils 9–12 h 46 47 Ta n z Mistral Eine Tanzproduktion von und mit Susanne Linke und Koffi Kôkô 17./18./19.10. 20 h, Studio Euro 15/10, es gilt die Tanzcard. Mein Körper ist der Ort, von dem es kein Entrinnen gibt, an den ich verdammt bin. Ich glaube, alle Utopien sind letztlich gegen ihn geschaffen worden, um ihn zum Verschwinden zu bringen. Der Körper ist der Nullpunkt der Welt, der Ort, an dem Wege und Räume sich kreuzen. Der Körper selbst ist nirgendwo. Er ist der kleine utopische Kern im Mittelpunkt der Welt, von dem ich ausgehe, von dem aus ich träume, spreche, fantasiere, die Dinge an ihrem Ort wahrnehme und auch durch die grenzenlose Macht der von mir erdachten Utopien negiere. Mein Körper gleicht dem Sonnenstaat. Er hat keinen Ort, aber von ihm gehen alle möglichen realen und utopischen Orte wie Strahlen aus. Michel Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiobeiträge, Berlin 2013 Susanne Linke und Koffi Kôkô, Probe zu „Mistral“, Juli 2014 Was geschieht, wenn sich zwei Performer ausschließlich auf ihr jeweiliges Körperwissen zurückziehen? Welche Ebenen von Kommunikation können zwischen Körper und Körper auf einer Bühne entstehen? Ein solches Experiment ist nur zu wagen mit Tänzern, die in ihren Arbeiten diese Möglichkeit einer radikalen körperlichen Auseinandersetzung zulassen können. Deswegen setzt das Konzept dieser Produktion unmissverständlich auf zwei Tänzer, die aus zwei sehr unterschiedlichen, jedoch hochentwickelten Bewegungstraditionen kommen. Susanne Linke verkörpert wie keine andere Performerin das Wissen des modernen Tanzes in Deutschland, von Mary Wigman über Folkwang bis zum Tanztheater. Und Koffi Kôkô schöpft aus einer hochentwickelten, jahrhundertealten Tradition von Übergangsritualen der westafrikanischen Kultur. Beide agieren mit ihren Körpern als einer jeweils einzigartigen Wissensbibliothek. Und beide sind Ausnahmetänzer, die in ihren Choreografien ihre Biografien, ihre gesellschaftspolitischen, kulturellen oder geistigen Traditionen verarbeitet haben. Wie behaupten sie mit ihrer Technik, ihrem Wissen, ihrem Verständnis von Raum, von Energie, von Kraft, von Geschlecht, von Materie und Transzendenz einen offenen Dialog, der den Körper ins Zentrum stellt? Denn zugleich erzählen beide eine hoch aufgeladene Geschichte zwischen Weißer Frau und Schwarzem Mann, zwischen Tänzerin und Tänzer, zwischen Europa und Afrika, zwischen Tradition und Moderne. In diesem Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Begegnung entfaltet sich das Tanzstück. Beide Tänzerchoreografen kennen sich seit vielen Jahren und wissen gegenseitig um ihre tänzerische und choreografische Arbeit. Beide bekennen sich zu einer abstrakten Bewegungssprache als Basis tänzerischer Kommunikation. Dabei geht es auch um das Geheimnis der Bühnenpräsenz. Wie kann ein Tänzer das maximale Bewusstsein seines Körpers entwickeln, um im Dialog mit dem Raum das Unsichtbare sichtbar zu machen? Wie entsteht Ausdruck auf einer Bühne, in der die Erinnerungen des Körpers, die seelischen und emotionalen Dimensionen eines Performers Gestalt finden? Wie entwickelt der Tänzer seine Aura, durch die er mit dem Raum, mit dem Bühnenpartner und dem Publikum kommuniziert? Im Frühjahr des Jahres 2013 trafen sich Susanne Linke und Koffi Kôkô im Café Mistral am Théâtre de la Ville im Zentrum von Paris, um über eine mögliche Kooperation zu sprechen. Von Tänzer zu Tänzer, von Körper zu Körper, wollten sie einen Dialog beginnen, der die geistige und emotionale Dimension von zeitgenössischer Bewegung syste matisch untersucht und das Wissen ihrer jeweiligen Ausbildungen und Ta n z Kommunikationsformen zusammenführt. Tänzerische Präsenz, Körper gedächtnis, Technik, kultureller Kontext und Geschlecht werden zu Ausgangspunkten einer einzigartigen Begegnung von performativem Wissen und gesellschaftspolitischen Fragen. In der Performancekunst oder dem Tanz schauen wir im Rückblick auf das 20. Jahrhundert auf eine Körpergeschichte der Moderne. Der Körper als Widerstand gegen gesellschaftliche Normen, als Medium der Erinnerung, als Rebellion gegen Vergessen und Unterdrückung, als Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Der Butoh in Japan, das Tanztheater in Deutschland oder der zeitgenössische Tanz in Afrika erzählen diese Geschichten ebenso wie die Performancekunst. Zugleich ist der Körper wie nie zuvor der Virtualisierung und der künstlichen Reproduktion ausgesetzt. In den sozialen Netzwerken, in der Erschaffung von neuen lebendigen Kunstwelten oder der Reproduktionsmedizin wirkt die Behauptung des Körpers als Wirklichkeit der Begegnung überholt. Der Tänzer mit seinem Körper auf der Bühne oder der politische Aktivist mit seinem Widerstand auf der Straße erscheinen als archaische Behauptungen von Existenz oder hoffnungslose Nostalgie. Dennoch sind es gerade die Menschen mit ihren Körpern, mit ihrer Präsenz, die gesellschaftliche und individuelle Veränderung auslösen. Susanne Linke fragt nach den Bezügen zwischen körperlichem Wissen und emotionalen Zuständen, wie sie sie systematisch in ihrer Auseinandersetzung mit Dore Hoyers Affectos Humanos untersucht hat. Dafür ist eine große Transparenz und Durchlässigkeit des Körpers notwendig, die nur durch ein einzigartiges Trainingsprogramm, das Susanne Linke über Jahrzehnte herausgearbeitet hat, möglich geworden ist. „Ich war lange bei Hans Züllig an der Folkwangschule. Der sagte ganz banal: Den Fuß vor und das Knie zur Seite. Und das hat er zehn Jahre lang gesagt. Ich habe mich gefragt, ob dem nichts anderes einfällt. Indem er aber nichts gesagt hat, hat er uns erfahren lassen, was in uns steckt, emotional, geistig. Deswegen rede ich im Unterricht auch nie über diese Themen. Das ist eine andere Seite. Auf der Bühne helfen kein Reden und kein intellektuelles Wissen. Der Körper muss funktionieren.“ (Susanne Linke) Der Tänzerchoreograf Koffi Kôkô hält an seinem Weg der zeitgenössischen Interpretation und Erneuerung der afrikanischen Tanztraditionen fest. Auf der einen Seite nutzt er das immense Wissen seiner traditionellen spirituellen und rituellen Kultur, auf der anderen Seite sucht er den Ort der westlichen Theatertradition, die Black Box. Für Koffi Kôkô ist das 21. Jahrhundert das Jahrhundert der Spiritualität, in der unser Verhältnis zur Welt aus der körperlichen Erfahrung heraus mitbestimmt wird. „Wie können wir uns dem einfachen Leben zuwenden? Die Einfachheit wird essenziell sein, um einen inneren und äußeren Frieden zu finden. Das wird ohne die Beschäftigung mit dem Körper nicht möglich sein. Der Körper, der in den großen Religionen aus der spirituellen Erkenntnis ausgeschlossen wurde, muss eine zentrale Rolle spielen. Wenn du dir die verschiedenen Zivilisationen anschaust, dann hat der Körper drei zentrale Funktionen. Der Körper ist die Basis unserer materiellen Existenz, ist der Speicher unserer Erinnerung und das spirituelle Medium der Veränderung.“ (Koffi Kôkô) Johannes Odenthal Programmbeauftragter der Akademie der Künste Gefördert durch: Hauptstadtkulturfonds Valeska-Gert-Gastprofessur für Tanz und Performance 2014/15 Antrittsvorlesung: Koffi Kôkô In Kooperation mit der Freien Universität Berlin und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) 14.10. 19 h, Halle 3 48 49 Baukunst Metabolische Therapien zur Reparatur von Stadt-Wirklichkeit Ein Symposium über Globalisierung, Immobilienblasen und Konsequenzen für die Stadtentwicklung Während sich Stadtbewohner, Entwickler, Stadtplaner und Architekten über die Erscheinungsbilder des öffentlichen Raums und der Fassaden streiten und die Debatten immer noch in der Stilkritik des 19. Jahr hunderts verharren, haben sich die Grundlagen der Stadtentwicklung seit der Jahrtausendwende komplett verändert. Diese Grundlagen wurden in den 1970er-Jahren in den angelsächsischen Ländern gelegt: Milton Friedman vertrat mit seiner „Trickle- Down“-Theorie die Auffassung, dass durch Steuerminderung bei den Reichen Mittel frei würden, die nach und nach den weniger Bemittelten zugute kommen würden. Daraus entwickelten sich „Reagonomics“ und „Thatcherism“ mit der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und Daseinsfürsorge, einschließlich des sozialen Wohnungsbaus, sowie der Minderung öffentlicher Ausgaben in diesen Bereichen. Im Finanzwesen wurde durch den Big Bang von 1986, also die Deregulierung von Märkten und Produkten, eine sukzessiv immer volatiler werdende Parallelwelt zur Realwirtschaft geschaffen. Der Big Bang begann nicht nur mit einem Knall am Anfang, sondern erreichte mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers Ende 2008 einen Zwischenhöhepunkt. Die Vertrauenskrise innerhalb der Finanzwelt ist noch nicht überwunden, wie die bis heute verfolgte Geldmarktpolitik der größten Zentralbanken der Welt bestätigt. War vor dem Big Bang das produzierende Gewerbe hinsichtlich des Handelsvolumens ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, so wuchs sowohl die Bedeutung als auch das Kapital in den neuen Finanz- Symposium Kuratiert von Wilfried Wang Mit u. a.: Tuncer Çakmakli, Gerd Hille, Barbara Hoidn, Andrej Holm, Theresa Keilhacker, Engelbert Lütke-Daldrup, Cordelia Polinna, Thomas Sieverts, Wilfried Wang, Stefan Weber 23./24.10. ab 19 h Halle 3 ab 17 h (Teil 1) + 20 h (Teil2) bereichen und -produkten bis 2007 um ein Mehrfaches dessen an. Mit dem Absturz im Finanzsektor 2007–2008 gerieten sämtliche spekulativen Finanzprodukte in den Strudel der Vertrauenskrise. Großund Staatsbanken weltweit konnten nur mit Steuergeldern liquide gehalten werden. Umfangreiche Kapitalabflüsse von Klein- und Großanlegern aus allen Produktbereichen führten auch bei Staatsanleihen zu Stabilitätskrisen. Island, Irland, Großbritannien, Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Zypern und Slowenien wurden vom Finanzmarkt nach dem Prinzip „Greife das schwächste Bindeglied an und bringe es zu Fall“ behandelt. Die nach außen hin für fiskalische Nachhaltigkeit plädierenden Finanzinstitutionen, insbesondere die eigentlich ethisch fragwürdigen angelsächsischen Investoren, konnten nun einzelnen Ländern erneut ihr Wirtschaftsmodell diktieren. Mangelnde Solidarität unter den Politikern führte dazu, dass einzelne Länder dem gnadenlosen Gebaren der Kreditgeber überlassen wurden, mit dem Argument, dass jeder seine Hausaufgaben zu erledigen habe. Das Ergebnis hiervon ist, dass einzelne Länder der EU nun über mehrere Jahre genau nach der veralteten Friedman’schen Theorie überleben müssen. Baukunst Nuno Cera, aus dem Zyklus Futureland (beide Abb.) Alle Personen in der Realwirtschaft, die in dieser Zeit über liquide Mittel verfügten und noch verfügen, haben sich gut überlegt, bei welcher Institution, bei welchem „Produkt“ und an welchem Ort dieses Kapital noch sicher angelegt werden konnte und kann. Staatsanleihen waren zeitweise verpönt, melden sich aber allmählich wieder als relativ solide zurück. Gold und Silber wurden unmittelbar nach 2008 hoch gehandelt. Im besonderen Fokus aber standen und stehen Immobilien als Anlage produkt: das sogenannte Betongold. Mit der anhaltenden Vertrauenskrise innerhalb der Finanzwelt und der restriktiven Vergabe von Krediten durch die Banken haben die Zentralbanken den nicht mehr korrigierbaren Fehler gemacht, auf Dauer billiges Geld in den Markt zu pumpen, anstatt die Politik aufzufordern, den Finanzmarkt neu zu regulieren. Ein Kollateralschaden dieser Geldmarktpolitik ist die zunehmende Unattraktivität des Sparens. Personen der Realwirtschaft befinden sich also auch deswegen auf der Suche nach anderen, renditestärkeren Anlagen. Wurden die Steueroasen in den letzten Jahren allmählich ausgetrocknet, anfangs durch das Aufbrechen des Schweizer Bankgeheimnisses durch die US-amerikanische Steuerbehörde, so mussten viele Personen in der Realwirtschaft, die liquide Mittel in Steueroasen hinterlegt hatten, überlegen, wie diese Mittel, diese Schäfchen, wieder ins Trockene gebracht und damit weißgewaschen werden konnten. Fazit: Die Finanzkrise von 2008, die dadurch ausgelöste tiefgreifende Vertrauenskrise in die Finanzwirtschaft, die lockere Geldmarktpolitik der Zentralbanken und das Trockenlegen von Steueroasen haben weltweit dazu geführt, dass Immobilien zunehmend als sichere Anlage betrachtet werden. Das potenzielle Investitionsvolumen in Immobilien übersteigt wiederum jenes des produzierenden Gewerbes. Es steht also eine gewaltige Liquiditätswelle bevor. Auf Städte wie Berlin, in der einerseits die Immobilienpreise im internationalen Vergleich lächerlich niedrig liegen und andererseits das Verkaufspotenzial vergleichsweise riesig ist (ca. 12 Prozent Eigentumswohnungen im Verhältnis zu 88 Prozent Mietwohnungen), steuert die Liquiditätswelle mit Hochdruck zu. Wird eine Stadt wie Berlin zu einem Frankfurt am Main des 21. Jahrhunderts? Zu einer Stadt, in der Entmietungstrupps unterwegs sein werden, um alteingesessene Mieter psychologisch zu „betreuen“, ihnen sukzessive Strom, Wasser und Gas abzudrehen, Fenster zuzumauern, sie mit potenziellen Käufern zu traktieren? Oder über ganz gesetzliche Methoden und legale Mietsteigerungen ein Haus zu entmieten? Wie sinnvoll ist es für ein urbanes Leben und für das soziale Gefüge einer Stadt, Wohnungen an Anleger zu verkaufen, die nur ab und an für ein längeres Wochenende in ihr übernachten? Berlin ist wieder Frontstadt. Hier wird es sich zeigen, ob die städ tische Gesellschaft den politischen und ökonomischen Durchblick hat, sich erstens Politiker zu wählen, die nicht nur altgediente Strukturen und Abhängigkeiten bedienen, sondern auch überzeugende neue Paradigmen des Gemeinwohls entwickeln, die sich letztlich auch in neuen städtebaulichen und architektonischen Modellen ausdrücken; und zweitens sich selbst zu einer kritischen, damit mündigen und schließlich konsensfähigen Stadt des Volkes zu bilden. Das zweitägige Symposium behandelt den Verfall der alten Paradigmen und schlägt neue Paradigmen und Leitbilder vor. Zu Vorträgen und Debatten eingeladen sind Vertreter anderer europäischer Städte, Immobilienwirtschaftler, Fachjournalisten, Stadtplaner und Politiker. Wilfried Wang Architekt, Publizist und stellvertretender Direktor der Sektion Baukunst 50 51 Medienkunst S y m p o s i u m NG B K Im Rahmen des Symposiums „Der Metabolismus des sozialen Gehirns“ werden aktuelle politische, kulturelle und ästhetische Diskurse an der Schnittstelle zwischen Neurowissenschaften, Philosophie und Kunst untersucht. Neurowissenschaftler und Philosophen haben das Gehirn stets als ein nach außen gerichtetes kollektives Organ und das Bewusstsein als einen komplexen, mehrschichtigen Simulationsprozess der Realität betrachtet (Thomas Metzinger). „Das Gehirn sagt Ich, aber Ich ist ein anderer“, schrieben schon Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem letzten gemeinsamen Buch. Mit dem Symposium sollen das Paradigma des biologistischen und neurowissenschaftlichen Reduktionismus und deren mediale Virulenz umgedacht und das Gehirn als politisches Organ par excellence erkundet werden. Die neurowissenschaftliche und philosophische Entdeckung der Spiegelneuronen durch Vittorio Gallese, der Ansatz des Enaktivismus (Alva Noë) und die Akan-Philosophie des Menschseins (Kwame Gyekye) werden mit den Künsten in einen experimentellen Dialog gebracht. Das Gehirn als soziale Entität spielt auch in der Geschichte des politischen Denkens eine wichtige Rolle: von Spinoza über die sowjetische Psychologie (Lew S. Wygotski) bis hin zur visionären Denkfigur des „general intellects der Multitude“ als Kern des zeitgenössischen kognitiven Kapitalismus (Antonio Negri, Paolo Virno et al.). Die Plastizität des Gehirns (Catherine Malabou) ist zu einem Synonym für die Forderung nach kognitiver Flexibilität in der alltäglichen Arbeitswelt des zeitgenössischen Kapitalismus geworden. Das Symposium ist Teil des Ausstellungsprojekts The Ultimate Capital is the Sun – Metabolismus in Kunst, Politik, Philosophie und Wissenschaft der neuen Gesellschaft für bildende Kunst, 20. September bis 16. November 2014. Symposium Trevor Paglen, Detachment 3, Air Force Flight Test Center #2, Groom Lake, NV, Distance ~ 26 Miles, 2008 Im Taumel. Auf der digitalen Schwelle Reeling/Realing. On the Digital Threshold Symposium Kuratiert von Mark Butler und Jan Distelmeyer mit Jutta Brückner, Ulrike Roesen Vorträge, Präsentationen und Diskussionen mit A MAZE. / Thorsten S. Wiedemann Dirk Baecker Mark Butler Wendy Hui Kyong Chun Gabriella Coleman Jan Distelmeyer Thomas Elsaesser Heather Kelley Evgeny Morozov Molleindustria / Paolo Pedercini Julian Oliver / Danja Vasiliev Paidia Institute / Lasse Scherffig Anne Quirynen Atau Tanaka Simon Vincent u. a. In Zusammenarbeit mit A MAZE. sowie dem Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft FH Potsdam/Universität Potsdam Euro 7/5 je Tag , Halle 3 Das Ticket berechtigt zum Besuch der Ausstellung am selben Tag. 26./27.9. ab 16 h ab 10 h Mit der Verbreitung digitaler Medien in allen Lebensbereichen – ob Kunst und Wissenschaft, Medizin und Ökonomie, Politik und Krieg, Spionage und Alltag – ist die Kultur der fortgeschrittenen Moderne in ein dynamisches Zwischenreich eingetreten. Die Welt dieses Zwischen reichs ist permanent in Bewegung, getrieben von den rasanten Transformationen des Digitalen, die zwischen neuen Freiheitsgraden und einem Zuwachs an Kontrollmechanismen oszillieren. Vor diesem Hintergrund die digitale Schwelle in den Fokus zu rücken, kontert die dominante Fiktion, der Siegeszug des Digitalen habe eine neue Ära eingeläutet (und eine andere damit zwangsläufig beendet). Auch gegenwärtige Debatten zur NSA-Affäre und zu dem enttäuschten Abgesang auf das Internet bemühen Visionen einer Gegenüberstellung, in denen nicht selten die alte Vorstellung vom Digitalen als Optimierungstechnologie wiederkehrt. Als Ort des Übergangs, des Austauschs und der Berührung fragt die Schwelle nach unserem Umgang mit und unserer Beziehung zu digitaler Technologie. Sie lenkt den Blick auf Prozesse des Verhandelns. Dieses Interesse an Übergängen, Wechselbeziehungen und diversen Strategien des Aushandelns prägt die Struktur des Symposiums und sein Ziel, unterschiedliche Hintergründe, Disziplinen und Ausdrucksformen von Wissenschaft und Kunst miteinander in Austausch treten zu lassen. Kuratiert von der nGbK-Projektgruppe Elena Agudio, Dorothee Albrecht, Bonaventure Ndikung, Matteo Pasquinelli, Eylem Sengezer in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste Der Metabolismus des sozialen Gehirns Aktuelle Informationen und Programm auf www.ngbk.de und www.schwindelderwirklichkeit.de 25./26.10. ab 19 h ab 11 h Studio, Halle 3 In zeitgenössischer Kunst, Neurowissenschaften und Philosophie hkeit.de www.schwindelderwirklic Das griechische Wort metabolē bedeutet ursprünglich „verändern“ und wörtlich „umstürzen“. In Zeiten globaler klimatischer und gesellschaftlicher Veränderungen, die von Menschen verursacht werden, scheint eine Erweiterung der Idee des Metabolismus zentral für das Verständnis gegenwärtiger und zukünftiger Politiken zu sein. Mit der Ausstellung wird untersucht, wie das Denkmodell des „Metabolismus“ in der Gegenwartskunst verstanden wird. Dabei wird ein Dialog mit der philosophischen und wissenschaftlichen Forschung jenseits eurozentrischer Perspektiven eingegangen. Im Hinblick auf das parasitäre Verhältnis des irdischen Lebens zum Kosmos bezeichnete der franz ösische Philosoph Michel Serres in seinem Buch Der Parasit die Sonne als unseren energetischen Horizont und als das „ultimative Kapital“. Wie auch viele andere wissenschaftliche Ideen entwickelte das Konzept des Metabolismus, als es in der Biologie und Chemie des 19. Jahrhunderts auftauchte, eine enorme Anziehungskraft und verbreitete sich in Kunst und Politik. So konstatierte auch Karl Marx einen durch die industrielle Revolution hervorgerufenen „metabolischen Riss“ und entwarf einen sozialen Metabolismus lange vor der Entstehung des modernen Umweltbewusstseins. Die Ausstellung The Ultimate Capital is the Sun bringt Künstlerinnen, Philosophen, Wissenschaftlerinnen und Kuratoren zusammen, um die unterschiedlichen Felder des Metabolismus zu erforschen – ohne ein Gravitationszentrum festschreiben zu wollen. 52 53 Monika Rinck Kirmes und Kritik Thomas Wrede Dari King Drive-in, 2007 Nach der Flut (I) / After the Flood (I), 2012 Muss ich den Schwindel kritisieren oder ist der Schwindel bereits Kritik an der Situation, aus der er hervorgeht – und zwar die genaueste Kritik, zu der mein Gleichgewichtssinn und meine Auffassungsgabe in diesem Moment fähig sind? Halt, was macht denn der Schwindel mit dem definierten Artikel? Braucht oder missbraucht er ihn? In einer zentrifugalen deiktischen Bewegung lässt sich nur schwer auf definierte Einzel heiten weisen, ohne damit automatisch alles im Umkreis Vorhandene mitzumeinen. Weitergefragt: Gilt es, (den) Schwindel herauszurechnen oder erreiche ich Klarheit nur, wenn ich auch die schwindeligen Anteile meines Aufbaus, meiner Wahrnehmung berücksichtige? Lässt sich Schwindel im Sinne der Erkenntnis nutzen, kommt er uns zu Hilfe, indem er uns auf eine bewegungsarme Wirklichkeit auflaufen lässt? Hilft er uns, endlich herauszustolpern? Ins Licht zu stürzen? Und: Kommt er von außen oder von innen? Fügt er etwas hinzu oder nimmt er etwas weg? Diese Fragen kann man gegenüber Schwindelphänomenen jederzeit in Stellung bringen wie Besteck. Wir kennen Körperschwindel, der evident wird im Sturz, hier ist kein Zweifel mehr nötig – und die Schwindelei, die lügenderweise neue Evidenzen herstellen will.1 Gemäß Umberto Ecos launischer Definition der Semiotik beschäftigt sich diese mit allem, was als Zeichen taugt, das heißt, mit allem, was man zum Lügen benutzen kann, denn erst nach Eintritt dieser Unterscheidung stellt sich Bedeutung her. In dieser Hinsicht ist es also der Schwindel, der wahrheitsfähige Zeichen erschafft. Schwindel im Dienste der Wahrheit haben sich jeden Moment aufs Neue als tauglich zu erweisen. Daher könnte Schwindel verwendbar sein, um zu einem kritischen Bewusstsein des gegenwärtigen Moments zu gelangen oder nicht. Rausch- und Taumelspiele steigern schwindelnd die Erfahrung körperlicher Evidenz. Wir kennen aber auch den geistigen Schwindel, sagen wir, bei blitzartigen Konversionen. Ich werfe mich aus dem rasenden Behälter, das Fell meiner Seele in Stromlinien gelegt. Der Schwindel lässt nach, in kleiner werdenden Pendelbewegungen des Gemüts. Es schaukelt der Inhalt meines Gedankens – in seinem bald schon ganz beruhigten Behälter. Denken wir an eine schwindelnde Hermeneutik – ganz im Sinne ihres Paten Hermes, der sich erst wenige Tage alt als sprechender Säugling den Respekt des Pantheons durch besonders dreiste Lügen erkämpfte2. Ich stelle mir ein quasi bewegungsprismatisches Gelenk vor, das zwischen zwei Schreib- und Deutungsweisen vermittelt: zwischen der medizinisch-therapeutischen Schreibweise, die auf feste Verbindungen zwischen dem Phantasma und seiner Herkunft aus ist, und der poetischen Schreibweise, für die die Unterscheidung zwischen Fiction und Non-Fiction überhaupt keine Geltung hat. Dieses Gelenk sorgt für einen zentrifugalen Schwindel der Deutung oder ein rotie rendes Bezugssystem. Wenn ich, was bewegt ist, als Griff ansteuere, dann muss ich fallen. Wenn ich es als Antrieb nehme, kann es mir sehr hilfreich sein. In dieser Weise bewegt, möchte ich auf die Kirmes, das Fest der beschleunigten Leiber zu sprechen kommen. Am Übergang von der liturgischen Ordnung der Messe zur nur vordergründig ganz und gar gegenteiligen „mess“, die uns im Stoßseufzer „What a mess!“ begegnet, geht es auf die Kirmes, deren kultischer Ursprung in der Kirchmesse liegt. Wie schon der Abt des Klosters Hersfeld, auf den das Lullusfest zurückgeht, einst sagte: Lasst bitte immer einen Spalt breit offen zum Formlosen. Die Kirmes ist im frühen Mittelalter kultisch eingebettet und meint die zur Einweihung einer Kirche gelesene Messe und das im Anschluss stattfindende Kirchweihfest, an dem Gaukler, Händler, Spielleute und Artisten teilnahmen.3 Der vom jeweiligen Souverän verbürgte Marktfrieden, genannt „frey zeyt“, der dem sicheren Warenaustausch galt, stellte auch das fahrende Volk unter Schutz.4 Vom mittelalterlichen Rechtsbegriff „frey zeyt“ leitet sich der moderne Begriff der Freizeit ab, die ursprünglich keine arbeitsfreie Zeit meinte, sondern eine Zeit, in der ich nicht befürchten musste, umgebracht oder überfallen zu werden. Demnach war das Jahrmarktsvergnügen anfangs religiöses Ritual, praktische Heiligenverehrung, Ruhe und Schonung, dann aber bald Aufruhr der Sinne: das Rasen der Reize. Was wurde in der Neudeutung abgewehrt, was übersteuert, was umgenutzt? Stichworte sind hier: Profanierung und Wiederverzauberung. Ich nutze die Zentrifugalkraft zur Herstellung von Nähe. Ihr habt keine Chance. Eine These des Kirmesforschers Sacha Szabo besagt, Fahrgeschäfte ermöglichten das Erleben des Jenseits, bevor es unwiderruflich eingetreten sei und konfrontierten auf nicht tödliche, ja vergnügliche Art mit der Frage des Todes. So gewährt man den Durchgeschüttelten einen schnellen Blick hinein in das Totenreich zur Charmierung der Unsterblichkeit, doch manch abgewirtschaftetes Volksfest wirft einen schlecht geschnittenen Perlon-Schatten auf die Ewigkeit, in der todlose Menschen mit immer schlechter werdenden Zähnen übersüßte Dinge zu sich nehmen und jedes Fahrgeschäft zehntausendfach gefahren ist. Doch der Jahrmarkt war nur Umweg. Wir sind ja unser eigenes Taumelspiel im Musenhain. Wir haben den Schwindel gleichsam immer dabei und um ihn mittels manipulativer Körperdrehung aufzurufen, sind wir uns selbst genug. Tut denn die Vorstellungskraft etwas anderes? Hier möchte ich den Begriff der proflexiven Blindheit vorstellen, der mir erstmals bei Marcus Steinweg begegnet ist.5 Steinweg sieht die Kunst eingeschränkt durch die ihr angetragenen Erwartungen, den politischen, historischen, ökonomischen Kontext zu reflektieren, und beklagt, dass „wir der Kunst kaum noch zugestehen [wollen], dass sie nicht nur kritisch und reflexiv, sondern auch affirmativ und proflexiv sein muss, um Kunst zu sein“. Denn in der Kunst wie in der Philosophie gebe es ein Moment der Selbstentsicherung, eben der proflexiven Blindheit. „Das Subjekt der Kunst und der Philosophie ist Subjekt einer Selbstüberstürzung und Hals-über-Kopf-Dynamik, die es über sich hinaus beschleunigen lässt. Wohin? Dorthin, wo es noch nicht war.“6 Heißt das also: Ja-Sagen zum Schwindel? Mehr Jahrmarkt in die Produktion? Den ganzen Schwindel ausnutzen, als Verbindung zu den rezeptiven Qualitäten des Körpers und ihrer gegenwärtigen Überlastung? Nehmen wir die innere Kirmes als Aktualisator der Erfahrung, den Schwindel als Signal, das gedeutet werden will, und schauen wir, was zu finden ist in den Figuren der Sinnabstinenz und der Sinnverausgabung sowie in der Drehung. Monik a Rinck ist Schriftstellerin und Mitglied der Akademie der Künste. 1 2 3 4 5 6 Siehe hierzu auch Oscar Wilde, The Decay of Lying. Selected Writings. London: Oxford University Press 1961; darin: eine ästhetische Verteidigung der Lüge. Siehe hierzu: Lewis Hyde, Trickster Makes This World. Mischief, Myth, and Art. New York 1998. Insbesondere das Kapitel „The First Lie“ sowie den Appendix: „The Homeric Hymn to Hermes“. Jahrestage von Heiligenerscheinungen wurden ebenso gefeiert, so „Die Herforder Vision“, ein Jahrmarkt, der auf eine Marienerscheinung im 11. Jahrhundert zurückgeht und der zuletzt im Jahr 2011 gefeiert wurde. Dies entnehme ich der Kultur geschichte des Jahrmarkts von Sacha Szabo, Rausch und Rummel. Attraktionen auf Jahrmärkten und Vergnügungsparks. Eine soziologische Kulturgeschichte. Bielefeld: transcript 2006. Horst W. Opaschowksi: „Geschichte des pädagogischen Freizeitdenkens“, vor allem Kapitel 3.1. „Freizeit als Friedenszeit (Mittelalter)“, in: Freizeit und Tourismusstudien, Band 1, 1990, S. 100–118. Marcus Steinweg, Philosophie der Überstürzung, Berlin: Merve Verlag 2013, S. 145. Marcus Steinweg, a. a. O., S. 146. 54 Ihr Monopol auf die Kunst 55 M e d i e n pa r t n e r SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT 17.9.–14.12.2014 September 2014 Camera Austria Inter national 127 Akademie der Künste Hanseatenweg 10, 10557 Berlin +49 30 20057-2000 [email protected], www.adk.de Projektleitung: Johannes Odenthal Ausstellung Kuratoren: Mark Butler, Anke Hervol, Wulf Herzogenrath, Niels Van Tomme European Month of Photography Berlin ArtInBerlinAnzeige 12.08.2014 11:52 Uhr Projektassistenz: Katharina Bergmann, Klara Hein, Janina Niendorf Registrare: Catherine Amé, Stefan Kaltenbach Ausstellungsgestaltung und Realisation: Simone Schmaus, Jörg Scheil und Mount Berlin Medientechnik und Licht: Kathy Lieber, Wolfgang Hinze, Anja Gerlach, Vanessa Bahlecke, Janina Niendorf, János Kachelmann, Frank Kwiatkowski, Bert Günter, Björn Matzen, Christian Schweiger, visionb Kunstservice UG Out now! KOSTENLOSES PROBEHEFT ANFORDERN: www.monopol-magazin.de/probe Projektleitung: Anke Hervol, Ulrike Roesen, Johannes Odenthal, Mechthild Cramer von Laue (Begleitprogramm) Forum Exhibitions Books News Wie kein anderes Magazin spiegelt Monopol, das Magazin für Kunst und Leben, den internationalen Kunstbetrieb wider. Herausragende Porträts und Ausstellungsrezensionen, spannende Debatten und Neuigkeiten aus der Kunstwelt, alles in einer unverwechselbaren Optik. Published since 1980 Seite 1 die Welt des Theaters neu entdecken Testen Sie jetzt 3x DIE DEUTSCHE BÜHNE mit 34% Rabatt für nur 13,90 Euro! 34% R AB UND V ATT EXKLU IELE ABOV SIVE ORTE ILE Dramaturgie Theaterprojekte zum NSU-Prozess Porträt Hein Mulders, Intendant der Aalto-Oper in Essen Gegenüberstellu ng „Sonnenallee“ 4 190472 40 7004 09 85. Jahrgang | April 2014 | H 4724 E | Deutschland 7,00 Österreich 8,50 Euro Euro | Schweiz 12,60 CHF SCHWERPUNKT saisonvorsch Im Porträt: Der Schauspieler Peter Jordan im Gespräch Ihre Vorteile als Abonnent: au Die besten Inszenieru ngen, die innovativ Theater und die sten größten Enttäusch ungen bestellen Sie Ihr persönliches Abo: Kostenlose Online-Serviceangebote wie z.B. das Premierenportal! Im Internet: Jedes Heft im Abonnement günstiger als im Einzelkauf! per Telefon: Lieferung frei Haus! [email protected] www.die-deutsche-buehne.de/abo 01806/ 47 40 47* per mail: Verlag: INSPIRING NETWORK GmbH & Co. KG, Geschäftsführung: Dr. Katarzyna Mol-Wolf (Vorsitzende), Anke Rippert, Hoheluftchaussee 95, 20253 Hamburg. AG Hamburg, HRA 114465; Vertrieb: DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH, Postfach 570402, 22773 Hamburg. Probeabonnement: 1222925 * 20 Cent/ Anruf aus dem deutschen Festnetz, maximal 60 Cent/ Anruf aus dem deutschen Mobilfunknetz. Preise aus dem Ausland abweichend. 09 14 Redaktion: Julia Albani, Nicola Beißner, Johannes Odenthal (V.i.S.d.P.) Videopräsentation in der Ausstellung / DVD Kurator: Ulrich Matthes Projektleitung: Petra Kohse Mitarbeit: Tanja Krüger Regie und Schnitt: Ingo J. Biermann Bildgestaltung: Kai Miedendorp, Alexander Haßkerl In Zusammenarbeit mit dem Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste Center for Art, Design and Visual Culture, University of Maryland, Baltimore County (Künstlerdialog Harun Farocki und Trevor Paglen, kuratiert von Niels Van Tomme) Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste A MAZE. Leitung: Gregorio García Karman Gefördert von: Hauptstadtkulturfonds Karin und Uwe Hollweg Stiftung Yamaha Music Europe GmbH Double Projection. The folder is empty – we are present Gesprächskonzert Luca Lombardi mit freundlicher Unterstützung des Italienischen Kulturinstituts Berlin Alle Rechte für die Texte liegen bei den Autoren, für die Bilder bei den Künstlern, sofern nicht anders vermerkt. Mit freundlicher Unterstützung Bildnachweise Soweit nicht anders angegeben, stammt das Bildmaterial von den beteiligten Künstlern. In Kooperation mit Center for Art Design and Visual Culture Soweit nicht anders angegeben befinden sich die ausgestellten Werke im Besitz der Künstler. Medienpartner Marion Neumann, Denise Baumeister art-in-berlin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Brigitte Heilmann, Marianne König in Zusammenarbeit mit Julia Albani, Ubin Eoh, Silke Neumann (BUREAU N) Website www.schwindelderwirklichkeit.de Mistral Moresleep (Programmierung) BUREAU N (Redaktion) Andrew Boreham (englische Übersetzung) S. 4 © Christian Falsnaes, Courtesy of PSM, Berlin S. 6 © Claus Langer / WDR S. 15, von oben © Jochen Gerz, VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Courtesy: Gerz Studio, Foto: Gerz Studio; © Peter Campus, Courtesy of the Artist and Cristin Tierney Gallery; Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen S. 17, von oben © Christian Falsnaes, Courtesy of PSM, Berlin; © Richard Kriesche, VG Bild-Kunst, Bonn 2014; © Hamish Fulton / Maureen Paley, London; Foto: Dan Bass S. 24 unten Foto: Rich Pell S. 25, von oben © Thomas Demand, VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Courtesy Sprüth Magers Berlin London; © Alexander Bruce S. 27 © Michelangelo Pistoletto, Courtesy Cittadellarte, Biella; Foto: P. Pellion S. 32, alle Abbildungen © Kolumba, Köln, VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Foto: Lothar Schnepf S. 34 © MA in Transdisziplinarität, ZHdK S. 35 © Luca Lombardi, Rom, Rai Trade S. 42–44 Akademie der Künste 2014 © ijb/Kai Miedendorp und © Alexander Haßkerl (Foto Meyerhoff) S. 46 Foto und © Margarete Redl-von Peinen S. 48 + 49 © Nuno Cera S. 52 © Thomas Wrede, VG Bild-Kunst, Bonn 2014, courtesy Galerie WAGNER + PARTNER Leihgeber Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste Kunstwelten Autorenkürzel der Ausstellungstexte: Mark Butler (MB), Mechthild Cramer von Laue (MCvL), Anke Hervol (AH), Klara Hein (KH), Johannes Odenthal (JO), Ulrike Roesen (UR) Die Akademie der Künste wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Kurator: Christian Schneegass Projektleitung: Maria Mohr, Farid Fairuz Projektmanagement: Miriam Papastefanou, Daniela Obkircher Projekt „going into contact“ gefördert von: Kunststiftung NRW Tanz und Choreografie: Susanne Linke und Koffi Kôkô Konzeption: Johannes Odenthal Licht: Lutz Deppe Bühne: Marcel Kaskeline Musik / Sounddesign: Wolfgang Bley-Borkowski Dramaturgische Mitarbeit: Waltraut Körver Produktionsleitung: Kerstin Diekmann, Christiane Uekermann, Inge Zysk Gefördert durch: Hauptstadtkulturfonds Produktion: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH In Kooperation mit myrland films Kuratoren: Thomas Kessler, Enno Poppe, Manos Tsangaris Projektleitung: Evelyn Hansen Mitarbeit: Petra Krebs Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft des Königreichs der Niederlande und JBB Rechtsanwälte Berlin Gestaltung: Heimann und Schwantes Spielweisen gespräche mit Schauspielern Ausstellungsgrafik: Heimann und Schwantes Partnerinstitutionen: Europäische Medienwissenschaft, FH / Universität Potsdam Lektorat: Martin Hager Korrektur: Claudius Prößer Ein transdisziplinäres Symposium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste Musikprogramm Idee: Manos Tsangaris Projektteam: Manos Tsangaris, Julia Albani, Nicola Beißner, Johannes Odenthal, Simone Odenthal Produktion: Eva Maria Müller, Martin Schmitz (littlebit. Produktionsbüro für zeitgenössische Kunst) Schauspiel Tanz Musiktheater video news dates online Herausgeber: Akademie der Künste, Berlin 2014 Symposium „Der Metabolismus des Sozialen Gehirns“ Restauratoren: Dirk Schönbohm und Rüdiger Tertel Metabolisches Büro zur Reparatur von Wirklichkeit art-in-berlin Kuratoren: Jan Distelmeyer und Mark Butler Projektleitung: Ulrike Roesen Mitarbeit: Janina Niendorf, Katharina Bergmann Kuratoren: Elena Agudio, Dorothee Albrecht, Bonaventure Ndikung, Matteo Pasquinelli, Eylem Sengezer Magazin Dieses Magazin erscheint anlässlich der Ausstellung und des Programms Schwindel der Wirklichkeit, 17. September – 14. Dezember 2014, in der Akademie der Künste. Konzeption: Jutta Brückner, Birgit Hein, Nele Hertling, Wulf Herzogenrath, Ulrich Matthes, Jeanine Meerapfel, Symposium Ulrich Peltzer, Klaus Staeck, Manos Tsangaris, „Metabolische Therapien zur Wilfried Wang Reparatur von Stadt-Wirklichkeit“ Julia Albani, Mark Butler, Jörg Feßmann, Evelyn Kurator: Wilfried Wang Hansen, Anke Hervol, Petra Kohse, Marion Neumann, Johannes Odenthal, Simone Odenthal, Projektleitung: Carolin Schönemann Mitarbeit: Jacqueline Saliba Ulrike Roesen, Carolin Schönemann Column: Alanna Lockward Lassen Sie sich begeistern! Gefördert von In Kooperation mit A MAZE. With contributions by Peter Friedl Trevor Paglen Paola Yacoub GRATIS TESTEN Symposium „Im Taumel. Auf der digitalen Schwelle“ Im p r e ss u m video news dates online ART+COM: Joachim Sauter, Dirk Lüsebrink, ART+COM Studios Jochen Gerz: Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz / Schenkung des Künstlers Peter Campus: Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen Dan Graham: Centre Pompidou, Paris. Musée national d‘art moderne / Centre de création industrielle Bruce Nauman: Solomon R. Guggenheim Museum, New York Alex Hay: Courtesy Experiments in Art and Technology Nam June Paik: Kunsthalle Bremen – Der Kunst verein in Bremen Servaas: Museum Arnhem Christian Falsnaes: Eigentum des Künstlers, Courtesy of PSM, Berlin Bill Viola: Bill Viola Studio Lynn Hershman Leeson: San Francisco Museum of Modern Art. Gift of bitforms gallery, Gallery Paule Anglim, and the artist Visibility Machines. Harun Farocki und Trevor Paglen: Center for Art, Design and Visual Culture, University of Maryland, Baltimore County Thomas Wrede: Thomas Wrede, Courtesy Galerie Wagner + Partner sowie Eike Hovermann Herman Asselberghs: Auguste Orts Thomas Demand: Courtesy Sprüth Magers Berlin London Olafur Eliasson: Courtesy of the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonkadar Gallery, New York Jeppe Hein: Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen Magdalena Jetelová: Kunstsammlung der Akademie der Künste, Berlin, Schenkung der Künstlerin Michelangelo Pistoletto: Cittadellarte, Fondazione Pistoletto Programm 16.9. 7.10. 19 h S. 40 12 + 17 h in der Ausstellung MIDI-Klavier Präsentationen Annesley Black, Reinhard Febel, Orm Finnendahl, Erhard Grosskopf, Wolfgang Heiniger, Arnulf Herrmann, York Höller, Bernhard Lang, Conlon Nancarrow, Enno Poppe, Cornelius Schwehr, Walter Zimmermann u. a. S. 16 Live-Performances S. 29 Werkstattgespräch mit Niels Van Tomme und Johannes Odenthal über Harun Farocki Visibility Machines 11–17 h S. 31 S. 16 zelte schalten Stationen: Musiktheater-Analyse II Aufführung und Analyse Diskrete Stücke von Manos Tsangaris durch das Atelier Klangforschung der Universität Würzburg 18 h FORUM Werkstattgespräch mit dem Atelier Klangforschung der Universität Würzburg 26.9. ab 16 h, Euro 7/5 je Tag 27.9. ab 10 h S. 50 Im Taumel. Auf der digitalen Schwelle Reeling/Realing. On the Digital Threshold Das Symposium lenkt den Blick auf die digitale Schwelle als Zone der fortwährenden Veränderung und Verhandlung. 30.9. 18–19 h S. 41 Vortrag und Expertengespräch mit Slavko Kacunko und Wulf Herzogenrath über Bill Violas frühe Closed-Circuit-Videos (1972–76) 17.10. Premiere, 20 h Studio, Euro 15/10 (Tanzcard) 18./19.10. S. 47 20 h FORUM Werkstattgespräch mit Cornelius Schwehr, Johann Feindt und Studierenden der Hochschule für Musik Freiburg 11–19 h, Lectures 13 + 17.30 h Sehen und Hören – Wirklichkeitskonstruktionen Interaktives Labor, Seh- und Hörstationen, Präsentationen zum Verhältnis von Bild und Ton im Film, HfM Freiburg Akademie der Künste, Hanseatenweg Halle 3 (wenn nicht anders angegeben) 030 20057-2000 Infos zur Ausstellung und Führungen s. S. 13 S. 36 f. 19 h, Euro 7/5 Der groSSe elektronische Schwindel Konzert- und Performanceabend mit Werken von Reiko Füting, Neele Hülcker, Thomas Kessler, Alex Mincek, Rafael Nassif, Vito Žuraj, aufgeführt von Adam Weisman (Schlagzeug), Teodoro Anzellotti (Akkordeon), dem MIVOS-Quartett aus New York und dem Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste 24.10. 17 + 20 h S. 48 f. Metabolische Therapien zur Reparatur von Stadt-Wirklichkeit S. 34 11–19 h Verschaltungen und Sektionen Wie die Wirklichkeit in die Akademie kommt Zürcher Hochschule der Künste, MA Transdisziplinarität 12.11. 18 h FORUM 18 h FORUM 25.–28.11. 11–18 h S. 38 f. Öffentliche Proben zum Konzert am 29.11. 26.11. ab 19 h 26.10. 18 h FORUM feat. Stefan Prins Voraufführung Stefan Prins / Generation Kill Offspring 1 14 h ab 11 h S. 51 Der Metabolismus des sozialen Gehirns 11–19 h, Euro 7/5 anschl. Round Table mit den Komponisten Carola Bauckholt, Michael Beil, Matthias Kranebitter, Stefan Prins, Trond Reinholdtsen, Gesprächsleitung: Enno Poppe 29.11. 19.30 h, Studio Euro 10/6 Hören und Sehen – Konzert mit ensemble mosaik Leitung Enno Poppe 29.11.–3.12. 11–18 h S. 31 3.12. 18 h FORUM Expertengespräch mit Horst Bredekamp und Wulf Herzogenrath über die Rolle der Bilder in der Grenzaufhebung von privat und öffentlich. Wie agieren und wirken Bilder? 3.12. 20 h FORUM Ein Projekt von Dieter Heitkamp. Installation, Performance, Archiv Mit Marcel Beyer, Jörn Peter Hiekel, Jacqueline Merz, Manos Tsangaris sowie Studierenden der Hochschule für Musik Dresden 29.10. 7.12. 18 h Werkstattgespräch mit dem Choreografen Dieter Heitkamp zur Entwicklungsgeschichte der Kontaktimprovisation 30.10. S. 35 Marcel Beyer, Jörn Peter Hiekel, Jacqueline Merz, Manos Tsangaris sowie Studierende der Hochschule für Musik Dresden FORUM S. 30 11.–14.11. Musik und (An-)Ästhetik Symposium über Globalisierung, Immobilienblasen und Konsequenzen für die Stadtentwicklung 25.10. Künstlergespräch mit Ingo Günther und Siegfried Zielinski Voraufführung Trond Reinholdtsen Unsichtbare Musik Künstlergespräch mit den Komponisten Manos Tsangaris und Thomas Kessler zu „Der große elektronische Schwindel“ 23.10. World Processor / Weltentwickler 28.11. FORUM 19 h S. 32 19 h anschl. Gespräch mit dem Komponisten und Gästen (tba), Moderation: Johannes Odenthal (in engl. Sprache) 18 h 22.10. 11.11. Hören und Sehen – Musikwoche mit ensemble mosaik 18 h going into contact_ Eine permeable Spiralinstallation 18 h 2.– 5.10. 15.10. 28.10.–2.11. Im Anschluss an die Performance Gespräch Peter Ablinger und Manos Tsangaris FORUM Künstlergespräch mit Franz Reimer und Linda Hentschel über The Situation Room, Bilder der Macht und die Macht über die Bilder Transdisziplinäres Symposium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) Peter Ablinger: Das Wirkliche als Vorgestelltes Stimme und Rauschen, 2012 1.10. S. 47 19 h 22.10. S. 31 11–17 h 24.9. 14.10. Susanne Linke und Koffi Kôkô. Tanzpremiere Public Walk mit 800 Teilnehmern auf der Straße des 17. Juni Anmeldung unter www.adk.de/hamishfulton 18 h 19.11. Mistral Hamish Fulton Walking East – Walking West 5.11. Werkstattgespräch mit Lehrenden und Studierenden des Masterstudiengangs Transdisziplinarität der ZHdK FORUM Aufführung und Analyse Diskrete Stücke von Manos Tsangaris durch das Atelier Klangforschung der Universität Würzburg 14 h, Straße des 17. Juni 10.–12.10. S. 30 Ruinengarten Hardenbergstraße Antrittsvorlesung der Valeska-Gert-Professur für Tanz und Performance WS 2014/15. In Kooperation mit FU Berlin und DAAD zelte schalten Stationen: Musiktheater-Analyse I 23.9. S. 45 ab 17 h bis open end Koffi Kôkô Künstlergespräch mit Trevor Paglen und Niels Van Tomme Anschl. Erkennen und Verfolgen, Film von Harun Farocki, 2003, 58 min 21.9. Künstlergespräch mit Bjørn Melhus und Stefan Heidenreich Aufführungen und Installation: ein Projekt von UdK Berlin, HfM Hanns Eisler, TU Berlin, HfM Dresden S. 21 f. 19 h, Studio, Euro 5/3 20./21.9. WE ARE HERE – WE ARE NEAR – WE ARE REAL RUINEN/GARTEN SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT FORUM. Erste Einrichtung 19 h S. 26 19 h Performance-Projekt der Stipendiaten der Jungen Akademie 2013 18 h 19.9. Werkstattgespräch mit klangzeitort – Institut für Neue Musik über das interuniversitäre Projekt Ruinen/Garten, Schwindel der Wirklichkeit 9.10. Ein Gastspiel aus der Rheinprovinz: Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln Werkstattgespräch mit Stefan Kraus, Kurator und Museumsleiter Kolumba FORUM DOPPELPROJEKTIONEN The Folder is empty – we are present Tino Sehgal, This is Exchange, 2003 Richard Kriesche, Zwillinge, 1977 Christian Falsnaes, Justified Beliefs, 2014 17.9. S. 30 18 h 10.10. in der Ausstellung tägl. oder zu ausgewählten Zeiten 17.9. 8.10. S. 33 11–19 h Warum bin ich hier? Künstlergespräch mit dem griechischen Schriftsteller Christos Asteriou und dem israelischen Filmemacher Ron Segal (Stipendiaten der Akademie der Künste), Moderation: Ulrich Peltzer Ausstellungseröffnung, Konzerte von Hunger, BAR, Dena, Performance von Christian Falsnaes, Game Art und Metabolisches Büro 17.9.–14.12. 4.–8.11. Was drängt den Text zum Bild? Literatur – Film – Graphic Novel ERÖFFNUNG Berlin Art Week und SCHWINDEL DER WIRKLICHKEIT 17.9.–14.12. 56 17 h 19 h Über das Verhältnis von Körper und Bild in Videoinstallationen Vortrag und Expertengespräch mit Sabine Flach und Wulf Herzogenrath www.schwindelderwirklichkeit.de 17 h Luca Lombardi „Warum?“ 2. Streichquartett Nomos-Quartett, anschl. Gespräch mit Luca Lombardi, Johannes Odenthal u. a. 10.12. 18 h FORUM Carte blanche 14.12. Finissage S. 35
© Copyright 2024 ExpyDoc