Vernissage

„Unfertige Präsenz“
Eröffnung der Ausstellung von Sebastian Hosu in Bonn im Rahmen der KAAD-Jahresakademie 2015
Sebastian Hosu, Sun Outside, Öl auf Leinwand, 193 x 170 cm1
I.
Sebastian Hosu, 1988 im Satu Mare (Rumänien) geboren, kann einen beeindruckenden
internationalen Ausbildungsweg vorweisen: Vom Liceul de Artă „Aurel Popp“ in seiner
Heimatstadt ging es über die „Accademia Albertina di Belle Arti“ in Turin (Italien), die
Universität der Künste und des Design in Cluj-Napoca (Siebenbürgen) an die „Académie
Royale des Beaux-Arts“ im belgischen Liège; seine vorerst letzte Station ist die „Hoch-
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schule für Grafik und Buchkunst“ in Leipzig (Deutschland), wo er seit 2013 als Meisterschüler von Professor Heribert C. Ottersbach studiert. Gefördert wird er seitdem vom
Katholischen Akademischen Ausländer-Dienst (KAAD).
Beteiligungen an verschiedenen Gruppenausstellungen u.a. in Rottweil, Brüssel, Bukarest und Toronto (demnächst auch Moskau) folgen nun erste Einzelausstellungen hier in
Bonn und im Laufe des Jahres in der Botschaft von Rumänien in Berlin. Sebastian Hosu
wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
II.
Dass Sebastian Hosu an der berühmten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst
(HGB) als Meisterschüler angenommen wurde, kommt sicher nicht von ungefähr. Ganz
in der Linie der so genannten „Neuen Leipziger Schule“, als dessen unangefochtener Star
der Maler Neo Rauch (* 1960 in Leipzig) gilt, treten Sebastian Hosus Bilder sehr realistisch und sehr expressiv auf. Damit straft er zusammen mit der gesamten Leipziger Szene die seit den 1980er Jahren prominent vertretene These vom Ende der (gegenständlichen) Malerei Lügen.2 Zu sehen bekommen wir weder abstrakte Werke, auch keine bloß
konzeptionelle Malerei, sondern ausdrucksstarke Darstellungen von Menschen, von Tieren, Naturlandschaften, Räumen...
Die materiale Präsenz, mit der seine Malerei sich zeigt, ist enorm kraftvoll. Der genaue
Blick auf die Bilder macht deutlich, dass der Vorgang des Malens für Sebastian Hosu ein
körperlicher, ein physischer Akt ist. Entsprechend arbeitet er mit breiten Pinseln, oftmals auch direkt mit der Hand. Künstlerische Schöpfung ist für ihn immer auch handwerkliche Tätigkeit. Das sieht man seinen Bildern an – auch als Laie. Und wohl nicht von
ungefähr ist der Leipziger Maler Michael Triegel (* 1968 in Erfurt), der einem breiten
Publikum durch seine Portraits von Papst Benedikt XVI. bekannt geworden ist, auf Sebastian Hosu aufmerksam geworden. Jüngst hat – man höre und staune – der „Meister“
den „Schüler“ in seinem Atelier aufgesucht, um dessen Arbeiten zu sehen.
III.
Um Aufnahme an der Leipziger Hochschule hatte sich Sebastian Hosu seinerzeit mit der
Arbeit „Sun Outside“ beworben. Das Bild, das ihm schließlich die Türen der HGB öffnete,
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ist hier ausgestellt. Zu sehen ist eine Kombination aus verschiedenen figürlichen Elementen:
 ein Kind vorne rechts, das uns entgegen kommt und sich dabei doch aus dem Fokus
des Betrachters hinausbewegt,
 ein Reh, das ungemein dynamisch von links oben ins Zentrum der Szene springt,
 ein räumliches Interieur, das eine hölzerne Treppe samt Geländer zeigt und einen
Hausflur mit sockelhoch lackierten Wänden.
So figürlich-konkret die Szene auf den ersten Blick auch ist, so viele Leerstellen und Ungereimtheiten lassen sich bei genauerem Hinschauen feststellen:
 dem Kind im Vordergrund fehlt das Antlitz, ein Gesicht, vielleicht so etwas wie Identität (wie das Antlitz übrigens den allermeisten menschlichen Figuren im Werk von
Sebastian Hosu fehlt),
 das springende Reh erinnert eher an surrealistische denn an realistische Bildtraditionen,
 und der Titel der Arbeit – „Sun Outside“ – hilft auch nicht weiter, denn weder ist ein
„Outside“ zu sehen noch die Sonne.
Sebastian Hosu notierte einmal: „(…) sometimes empty spaces are the key for a new beginning (…). Between the painted and the voids (empty spaces), there is always a new
way, a sequence that show us the possibilities of new way of being, by giving priority to
the reality.“3 In diesem Sinne lässt sich gerade in den spaces between, in den Leerstellen
von „Sun Outside“ dessen Geheimnis decodieren.
Genauer gesagt: Sebastian Hosu spielt in diesem Bild (wie auch in vielen anderen seiner
Werke) mit der Relation zwischen Innen und Außen. Hier eröffnet sich uns eine neue,
tiefere (Ein-)Sicht auf/in sein Bild. Der Innenraum des Hausflures, in dem die Interaktion der beiden Hauptprotagonisten angesiedelt ist, kommt nicht ohne einen Außenraum
aus: jenseits des Flures, jenseits des Hauses, jenseits der Privatheit. Unser Leben findet
immer in der Welt, in einer Außenwelt statt. Und zugleich verweist diese Außenwelt wie
auch der Raum, in dem die Figuren des Bildes angesiedelt sind, noch einmal zurück auf
die Innenwelt des Menschen. Im Bild, das Sebastian Hosu uns zeigt, kreuzen und spiegeln sich innere und äußere Realitäten: Der Spiegel, so eine These von Michel Foucault,
repräsentiert den gemeinsamen Ort dessen, was sich innerhalb und außerhalb des Bildes befindet.4 Beide – das Ganz-Äußere der nicht gezeigten „Sun Outside“ und das Äuße-
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re der gezeigten Szene –, beide erzählen dabei etwas von der inneren Verfasstheit des
Menschen: von seinen Hoffnungen und Zweifeln, von den Träumen und Ängsten, von
Begehren und Grauen. (Und als Betrachterinnen und Betrachter können Sie diese These
überprüfen, indem Sie sich und nachher dann auch andere fragen, ob das Bild bei Ihnen
eher ein heiteres oder ein beängstigendes Gefühl auslöst – oder vielleicht beides zugleich.)
IV.
In dem benannten Innen-Außen-Verhältnis erschließt sich ein zweiter Aspekt von Präsenz im Werk des Künstlers: Seinen Bildgestalten vermittelt Sebastian Hosu eine nicht
nur physische, sondern auch eine spirituell sehr starke Präsenz, die sich auch dort und
vielleicht gerade dort behaupten kann, wo die gezeigten Menschen-Gestalten Fragment
bleiben, wo ihnen etwas fehlt: Antlitz, Gliedmaßen, oftmals auch der Kopf. „Unfertige
Präsenz“ hat Sebastian Hosu das einmal genannt. Damit zeigt er uns ein Bild vom Menschen, der nicht im Sinne einer „Anthropotechnik“5 oder eines „Human Enhancement“6
seine Begrenzungen und Kontingenzen überwinden muss. Das Bild des Menschen, das
Sebastian Hosu uns zeigt, ist ein zutiefst humanes – ich würde sogar sagen: christliches
Menschenbild.
Die starke Präsenz, die uns im Werk von Sebastian Hosu entgegentritt und anschaut, ist
letztlich eine tiefe spirituelle und zugleich auch eminent politische Präsenz!
Prof. Dr. Ulrich Engel OP, Berlin | Münster
Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst | KAAD
24.04.2015
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Abb. aus dem Katalog: Sebastian Hosu. Portfolio, o.O. o.J. [ca. 2013], o.S.
Vgl. David Crimp, The End of Painting, in: October no 16, Spring 1981, 69-86.
Sebastian Hosu, Artistic Statement, unter: http://www.sebastian-hosu.com/?page_id=7 [Aufruf: 21.4.2015].
Vgl. Michel Foucault, Die Hoffräulein. Aus dem Französischen von Michael Bischoff, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et
Ecrits. Bd. I 1954-1969, hrsg. von Daniel Defert und François Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange, Frankfurt/M. 32014,
603-621, bes. 607-611.
Vgl. Peter Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt/M. 2009.
Vgl. Christopher Coenen / Stefan Gammel / Reinhard Heil (Hrsg.), Die Debatte über „Human Enhancement“. Historische,
philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld 2010.