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Silvesterchläuse
Jedes Jahr am neuen und am alten Silvester, das heisst, am 31. Dezember und am 13. Januar, trifft
man in Teilen der äusseren Rhoden des Appenzellerlandes verschiedentlich „Chlausenschuppel „ an.
Das Silvesterklausen ist im ausserrhodischen Hinterland und ganz besonders in der Gemeinde
Urnäsch einer der eindrücklichsten Bräuche. Gesicherte Erkenntnisse über Ursprung, Alter und
Bedeutung des Chlausens liegen nur sehr vereinzelt vor, die Daten sind spärlich. Eine erste
schriftliche Erwähnung ist in den obrigkeitlichen Sittenmandaten von 1663 zu finden. Dazumal
versuchte die kirchliche Obrigkeit diesem als „abergläubische Unart“ taxierten Brauch den Garaus
zu machen: „Dass wegen des St. Niclaussen an dem H. Wiehnachtfest Aberglauben und Missbraüch verspürt
werden, mit Herublauffen, Polderen und Schellen beÿ der Nacht, item mit Herumbtragen der angelegten Gaben am
H. Wienacht, welches den Andachten und Vorbereitungen zum H. Abendmal verhinderlich, auch sonsten
anständiger und christenlicher were, dass die Juget wie an anderen Evangelischen Orthen auf daz Christkindli und
nit auf den Niclaus gewiesen werde...“ 1 Ob die reformierte Landeskirche möglicherweise doch nicht ganz
so streng war, wie sie androhte, oder ob sich die Brauchträger von den klerikalen Sitten- und
Moralvorstellungen nicht beeindrucken liessen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass sich das
Chlausen im Talkessel von Urnäsch trotz widriger Umstände bewahren konnte, so dass man sich
bis heute jedes Jahr zweimal an diesem archaischen Brauch erfreuen kann.
Es existieren diverse Theorien über die Deutungsmuster des Silvesterchlausens. Am weitesten
verbreitet ist die Idee, dass es sich, was vom Namen her einleuchtend wäre, um eine Metamorphose
des Nikolausbrauches handle. Die Brauchforschung ist sich uneinig darüber,
1
Appenzeller Synodalakte, zitiert nach Hürlemann, Hans: Urnäsch, Landschaft-Brauchtum-Geschichte (2006), S. 72.
ob es sich ferner auch um einen Fruchtbarkeitskult, um einen Dämonen- oder Fastnachtsbrauch, um
einen Heische- beziehungsweise Bettelbrauch oder gar um ein Brauchkonglomerat handle. Hier wird
für einmal auf jegliche Brauch- und ideengeschichtliche Wertung verzichtet; zum einen ist das in
spekulativen Sümpfen herumwühlen eine der Wissenschaft unwürdige Sitte, gerade weil im
Zusammenhang mit den Silvesterchläusen keine ausreichenden Beweise vorliegen und zum anderen
sind allfällige Verbindungen mit anderen Bräuchen oder Brauchkreisen zwar nicht ausgeschlossen,
aber auch nicht evident.
Zwei Silvestertage
Die Silvesterchläuse sind, wie eingangs erwähnt, zur Zeit des Jahreswechsels unterwegs. Dass dieser
in Urnäsch zweifach zelebriert wird, ist eine Besonderheit, die ihren Ursprung in der gregorianischen
Kalenderreform hat. Das Datum geht auf einen konfessionellen Streit zurück, der im 16.
Jahrhundert ausbrach, als sich Papst Gregor XIII. 1582 daran machte, den Julianischen Kalender
anzupassen und zu verbessern. Die protestantischen Ausserrhoder waren nicht gewillt, die Ideen
eines Papstes ohne weiteres anzuerkennen und demonstrierten ihre Unabhängigkeit von der
römischen Kirche, indem sie sich weigerten, den alten Kalender aufzugeben. 1798 wurde zwar unter
dem Druck der napoleonischen Besatzungstruppen in allen Landesteilen der neue Kalender
eingeführt, was für die Silvesterchläuse in Urnäsch nicht bedeutete, deswegen den alten Silvester
aufzuheben. So wird seither zweifach gefeiert.
In der Frage des alten Silvesterdatums ist die Urnäscher Bevölkerung unnachgiebig, ansonsten ist
das Chlausen ein sehr lebendiger und im Laufe der Zeit ein wandelbarer und damit dynamischer
Brauch. Gegenwärtig unterscheidet man mehr oder weniger deutlich drei Arten von Chläusen: die
„Wüeschte“, die „Schöne“ und die „Schö-Wüeschte“ Wald- oder Naturchläuse. Diese Typen bilden unter
ihresgleichen eine Gruppe, genannt „Schuppel“. Üblicherweise besteht ein „Schuppel“ aus zwei „Rolli“
und mehreren „Schelli“. Die Namen leiten sich von den Glocken beziehungsweise Schellen ab,
welche die Chläuse mittragen. «Rolli» tragen ein hosenträgerartiges Ledergestell, den „Rolleträäger“, an
welchem dreizehn runde Glocken befestigt sind. Die „Rolli“ werden auch „Rollewiiber“ genannt, weil
sie eindeutig weibliche Kleidung tragen, aber auch die „Rollewiiber“ werden von Männern dargestellt.
Die „Schelli“ tragen eine oder zwei Schellen und stellen „Mannevölcher“ dar. Das Klausen ist ein
ausgesprochener Männerbrauch, nur bei den „Goofeschüppeli“, den Kindern, machen hie und da auch
Mädchen mit. Dass Frauen nicht als Silvesterchläuse fungieren mag einerseits daran liegen, dass es
so „de Bruuch“ ist, andererseits ist das Chlausen körperlich sehr anstrengend, das „Groscht“ und die
Schellen und Rollen sind sehr schwer. „Wüeschte“ tragen „Groscht“ (Gewand), welches vorwiegend
aus Naturmaterialien besteht und dazu furchterregende Masken aus Kuhhörnern, Tierzähnen und
vielem mehr. Bei den „Schönen“ tragen die „Mannevölcher“ samtene Jacken und Kniehosen, eine
bärtige Maske und einen „Huet“, der spezielle Kopfputz der „Schelli“. Die dazugehörigen „Rollewiiber“
tragen Frauentrachten, eine Frauenmaske, für gewöhnlich mit einem „Blüemli“ im Mundwinkel und
eine grosse radförmige Haube, die opulent mit „Chügeli“, mit winzigen Glasperlen, verziert ist. Beide,
„Rolli“ und „Schelli“ der „Schöne“ verzieren ihre Hauben und Hüte zudem mit selbstgemachten, meist
geschnitzten Figuren, die Szenen des Brauchtums oder des täglichen Lebens darstellen. Die
„Schöwüeschte“ sind ein Indiz dafür, dass es sich beim Chlausen um einen sehr vitalen Brauch handelt.
Sie treten erst etwa ab der Mitte des letzten Jahrhunderts in Erscheinung. Sie verwenden zwar wie
die „Wüeschte“ hauptsächlich Naturmaterialien für ihr „Groscht“, dieses wird aber sehr kunstvoll und
ornamental arrangiert.
Ein Tagesablauf
In der Regel sind die „Chlauseschuppel“ bereits in den frühen Morgenstunden des Silvestertages
unterwegs. Gruppenweise ziehen sie von Haus zu Haus, voran der „Vorrolli“, in der Mitte die
„Schelli“ und am Schluss der „Noerolli“ (Nachrolli). Vor einem Haus stellen sie sich in einem Kreis
auf, schellen und rollen und stimmen, sobald die Schellen verklungen sind, ein „Zäuerli“ an.
Üblicherweise werden drei „Zäuerli genommen“, so wird das Singen dieses wortlosen Jodels bezeichnet.
Nach dem letzten „Zäuerli“ wünschen die Chläuse den Hausbewohnern ein gutes neues Jahr und
werden mit Glühwein, Weisswein oder heissem Most gestärkt. In der Regel erhalten sie zudem ein
Geldgeschenk. Danach ertönen erneut die Schellen und Rollen und die Chläuse gehen in
geordnetem Zug zum nächsten Haus auf ihrem „Strech“, der von ihrem „Schuppel“ gewählten Route.
Gegen Nachmittag und am Abend ziehen die Chläuse von einer Wirtschaft zur anderen und
erfreuen mit ihrem Tun die zahlreichen Schaulustigen. Dies ist denn auch die Kehrseite des
Brauches, denn das Silvesterchlausen ist mittlerweile so berühmt, dass Urnäsch insbesondere am
alten Silvester richtiggehend von Brauchinteressierten überschwemmt wird, in den Gasthäusern ist
nur mit Glück ein Platz zu finden. Ziemlich unbeeindruckt von diesem anhaltenden Boom zeigen
sich einzig die Silvesterchläuse.
Katharina Eugster-Rüesch