Die dünne Haut der Welt

...
Wissen
Geheimnis Tiefsee:
Die bizarre Welt ist noch
fast unerforscht – doch
schon in Gefahr
Interview
Rosa von Praunheim über
Berufsschwule, Outings
und die Bigotterie der
katholischen Kirche
Samstag, 18. April 2015
AUSGABE NR. 89
H
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Die dünne Haut der Welt
Foto: countrypixel Fotolia
An ihrem Umgang mit der Erde entscheidet sich das Schicksal ganzer Zivilisationen.
Warum wir Gefahr laufen, den Boden unter den Füßen zu verlieren – und was wir
dagegen tun können. Eine Grabung / Von Matthias Zimmermann
an kann sich ganz gut vorstellen, wie sich die Leute
über ihn das Maul zerrissen haben. Scheint ja auch erst mal
reichlich seltsam: Da kommt dieser
alternde Professor, der ein viel diskutiertes Buch geschrieben hat, von
seinen Reisen zurück. Und dann
verbringt er jede freie Minute damit, auf seinen Feldern Regenwurmlosung zu sammeln und zu
wiegen. Regenwurmscheiße! Aber
Charles Darwin, so hieß der Mann,
war keiner, der sich vom Geschwätz
der Leute beeindrucken ließ.
Er sammelte und wog weiter und
sein Verdacht erhärtete sich: Eine
Armada von Regenwürmern frisst
sich ohne Unterlass durch den guten
englischen Boden. Sie verdaut dabei
frische organische Substanzen und
zersetzt sogar kleine Steine zu Mineralerde. Dabei wächst die fruchtbare
Bodenschicht über Jahrhunderte in
die Höhe. Diese Beobachtung, die
Darwin 1881, ein Jahr vor seinem
Tod, veröffentlichte, hat unser Bild
vom Boden maßgeblich beeinflusst.
Was sich trotz Darwin und allem,
was wir bis heute noch dazu wissen,
nicht geändert hat: Wir behandeln
den Boden noch immer eher wie
Wurmscheiße, nicht wie die kostbarste Ressource, die wir haben.
Kein Mensch könnte überhaupt
auf der Erde leben, wenn nicht die
Mikroorganismen im Boden dafür
sorgten, dass die Pflanzen darauf
sich mit Nährstoffen versorgen können. Ohne Eingriff des Menschen
zirkulieren die Nährstoffe in Kreisläufen zwischen dem Boden, den
Pflanzen und den Tieren und gelangen über deren Ausscheidungen und
nach deren Tod wieder zurück in
den Boden. Boden ist nie statisch,
sondern ein ausbalanciertes System,
in dem geologische, chemische,
physikalische und klimatische Einflüsse zusammenwirken. Allein: So
unberührten Boden gibt es kaum
noch auf der Welt.
M
Vor rund 10 000 Jahren haben unsere Vorfahren begonnen, Ackerbau
zu betreiben. Erdgeschichtlich ist
das weniger als ein Wimpernschlag.
Aber seitdem ist es uns gelungen,
das komplette Antlitz der Erde radikal zu verändern. Inzwischen gibt es
auf der ganzen Welt fast keine Flächen mehr, die noch zu guter landwirtschaftlicher Nutzfläche umgewandelt werden könnten. Schlimmer noch: Wenige Jahrtausende
menschlichen Ackerbaus haben genügt, um kaum vorstellbare Mengen
Ackerboden zu vernichten – kostbare Erde einfach fortgeschwemmt
vom Regen und weggeblasen vom
Wind. Zu alledem sagen uns Wissenschaftler mit dem Klimawandel
eine Zunahme von Dürren, Stürme
und Überschwemmungen voraus.
Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung immer schneller. Im Jahr
2050 muss die Erde schon 9,5 Milliarden Menschen ernähren. In der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
gelang es zwar in den Industrienationen, die landwirtschaftlichen Erträge zu verdoppeln. Dank neuer
Züchtungen und zum Preis einer
Technisierung des Ackerbaus und
des massiven Einsatzes von Kunstdünger und Pestiziden. Doch längst
stagnieren die Erträge wieder.
Wenn uns also nichts Neues einfällt,
wie wir auf weniger Boden mehr
Nahrungsmittel erzeugen können,
werden große Teile der Menschheit
in Zukunft schlicht nicht mehr genug zu Essen haben. Grund genug
also, den Boden, die dünne Haut der
Welt, genauer in den Blick zu nehmen und mal etwas tiefer zu graben.
1. Bodenlos
Um einen Eindruck von der Bedeutung des Bodens für unsere Kultur
zu bekommen, kann man einen
Blick in eine der ältesten Schriften
der Menschheit werfen: die Bibel.
„Da formte Gott, der Herr, den
Menschen aus Erde vom Ackerbo-
den und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu
einem lebendigen Wesen“, heißt es
in der Genesis. Man kann sich aber
auch an die positiven Wissenschaften halten und nach archäologischen
und historischen Quellen suchen,
um zu verstehen, wie unsere Vorfahren den Boden genutzt haben –
und wie es ihnen dabei ergangen ist.
Der amerikanische Geologe David R. Montgomery zeichnet in einer lesenswerten Kulturgeschichte
des Bodens* Aufstieg und Niedergang des Römischen Imperiums anhand seines Umgangs mit dem Boden nach. Als Romulus um 750 vor
Christus Rom gründete, war der typische landwirtschaftliche Betrieb
zwischen einem halben und zwei
Hektar groß, baute die verschiedensten Kulturen nebeneinander
auf der selben Fläche an – und warf
gerade so viel ab, um bei arbeitsintensiver Bewirtschaftung eine Familie ernähren zu können. Die technische und soziale Entwicklung
machten diesem nachhaltigen System den Garaus. Mit Eisenäxten und
-pflugscharen konnten die Bauern
ausgedehnte Waldgebiete roden und
großflächig mit einer Frucht bestellen. Der Ochsenpflug machte die
Spezialisierung interessanter. Aber
um satt zu werden, musste eine Familie größere Flächen bestellen: um
andere Früchte zukaufen und den
Ochsen füttern zu können.
Bald wurden die kleinbäuerlichen
Betriebe daher von Plantagen verdrängt, auf denen Sklaven schufteten. Erosion wurde ein riesiges Problem: Der schützende Wald war
weg und durch intensives Pflügen
lag der Boden lange Zeit ungeschützt da. Jeder Regenguss
schwemmte große Mengen Ackerkrume fort. Die berüchtigten, malariaverseuchten Pontinischen Sümpfe sind aus dem gewaltigen Bodenabtrag aus den umliegenden Hochland entstanden. Zudem lebten die
Großgrundbesitzer häufig nicht auf
ihrem Land, sondern in der Stadt
und waren mehr an gleichbleibenden Profiten denn an nachhaltiger
Bodenbewirtschaftung interessiert.
Dieses kurzsichtige Wirtschaften
ging so lange gut, wie das expandierende Weltreich immer neue Territorien eroberte und von dort riesige
Mengen an Nahrungsmitteln importieren konnte. Letzten Endes
aber trug nach Meinung vieler Historiker die zunehmende Verschuldung der Landbevölkerung zur Entstehung innerer Unruhen bei, an denen das Römische Reich zugrunde
ging. Die Folgen sind bis heute
sichtbar: Boden erholt sich nicht
zwangsläufig – und wenn, dann nur
in Zeithorizonten, die für Menschen
nicht relevant sind.
2. Boden wettmachen
Jetzt aber ins Heute und nach
Deutschland. Ganz offensichtlich
muss man eine ganze Menge wissen,
um den Boden nachhaltig zu nutzen.
Darum jetzt an einen der Orte in
Deutschland, an dem der Boden intensiv erforscht wird. Ingrid KögelKnabner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bodenkunde am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Sie
sagt: „Wir wissen sehr gut, wie wir
Böden bewirtschaften müssen, wir
tun es nur nicht immer so gut, wie
wir es sollten.“ Die Haut hat längst
mehr als ein paar Risse.
Mit jeder Nutzung greift der
Mensch ein in die komplizierten
Prozesse, die alle zusammen zur Bildung des Bodens, so wie wir ihn
vorfinden, beigetragen haben. Es ist
nur eben alles eine Frage des Maßstabs. „Seitdem wir Stickstoffdünger über das Haber-Bosch verfahren
machen können, pumpen wir massiv Stickstoff in alle Ökosysteme und
auch in alle Böden“, erklärt die Professorin. So verändern wir massiv
den globalen Stickstoffkreislauf. Die
Folge sind neue Probleme wie die
steigende
Nitratbelastung
des
Grundwassers: Beim Abbau von Nitrat entstehen im menschlichen
Körper Substanzen, die als krebserregend gelten. Wir verändern auch
den Kohlenstoffkreislauf, indem wir
fossile Brennstoffe verbrennen, die
nur zum Teil wieder im Boden landen. Dabei hängt das Klima ganz
wesentlich vom Boden ab, er ist
nach den Ozeanen der zweitgrößte
Klimagasspeicher überhaupt. Wie
viel Kohlenstoff er speichern kann,
hängt auch davon ab, wie viel Humus ein Boden enthält. Wird der
umgesetzte Humus in den geernteten Pflanzen vom Feld gefahren und
nicht ersetzt, steigt die Klimagaskonzentration in der Atmosphäre.
Kann der Landwirt seinen Boden
möglichst nahe an die jeweilige maximale
Humusspeicherkapazität
bringen, schützt er auch das Klima.
Ein anderes ungelöstes Problem
ist ebenfalls hausgemacht: „Unsere
Planungen, wie Flächen genutzt
werden, greifen nicht“, sagt KögelKnabner. Noch ist etwa die Hälfte
Bayerns landwirtschaftliche Fläche.
Aber es wird laufend weniger: Im
Jahr 2013 wurden jeden Tag 18
Hektar Freiflächen zu Siedlungsund Verkehrsflächen umgewandelt.
Auf Bundesebene gehen jede Sekunde acht Quadratmeter Fläche verloren. Die Werte sind seit Jahren konstant und meist sind es Landwirtschaftsflächen, die verloren gehen.
Das größte Problem ist aber nach
Meinung der Bodenexpertin ein anderes: „Wir haben den Kontakt zum
Boden verloren, weil nur noch geringe Teile der Bevölkerung mit der
Nahrungsmittelproduktion
beschäftigt sind“, sagt die Expertin.
„In früheren Generationen hat ein
sehr viel größerer Anteil der Bevölkerung direkt mit dem Boden gearbeitet. Heute ist das, was Sie kennen
im schlimmsten Fall auch noch das
Torfsubstrat, das Sie für Ihren Balkon holen. Aber wir wissen nicht
mehr, was Böden sind und wie
wichtig sie sind.“
3. Auf dem Boden bleiben
Was der Boden für ihn bedeutet?
Landwirt Gerhard Ringler blickt
kurz auf, dann schaut er wieder nach
vorne, damit die Spur, die er mit seinem riesigen Traktor über das Feld
zieht, auch schön gerade bleibt.
„Das ist natürlich auch emotional.
Als Landwirt denke ich in Generationen. Ich darf den Boden nicht
schlecht behandeln. Ich habe ihn
nur von meinem Sohn geliehen.“
400 Jahre ist Ringlers Hof in Langeringen, nördlich von Landsberg,
schon in Familienbesitz. Das prägt.
Und seine beiden Söhne teilen die
Leidenschaft für diesen Beruf, der
heute sehr anspruchsvoll ist.
Alle fünf Jahre muss Ringler seine
Böden untersuchen lassen, das ist
Vorschrift. Er lässt noch mehr messen, der Boden ist ja schließlich seine
Existenzgrundlage. „Meine Werte
sind immer gleich“, sagt er, der Boden noch immer sehr gut. Trotzdem
ist heute vieles anders als vor 30 Jahren. Die Maschinen sind schwerer
und teurer, die Höfe größer geworden. Boden ist knapper, auch weil
jetzt Spekulanten Land aufkaufen.
Nur leben muss der Landwirt noch
immer von seinem Boden.
Bei einer kurzen Pause sticht
Ringler mit dem Spaten einen fußballgroßen Klumpen Erde aus dem
Acker. Dunkelbraun und krümelig
ist sie und strömt einen würzigen
Geruch aus. Der 57-jährige Ringler
nimmt eine Hand voll von der Erde
und zerreibt sie zwischen den Fingern, von wo sie wieder zu Boden
bröckelt und eine dünne schwarze
Schicht auf seiner Hand hinterlässt.
„Allein in diesem Brocken, den wir
jetzt ausgegraben haben, leben mehr
Lebewesen als auf der gesamten
Erde Menschen“, sagt Ringler. Die
Regenwürmer, die sich im Sonnenlicht ringeln, sind nur die größten.
* David R. Montgomery: Dreck. Warum unsere
Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert.
Oekom Verlag, 352 Seiten, 24,90 Euro