... Wissen Geheimnis Tiefsee: Die bizarre Welt ist noch fast unerforscht – doch schon in Gefahr Interview Rosa von Praunheim über Berufsschwule, Outings und die Bigotterie der katholischen Kirche Samstag, 18. April 2015 AUSGABE NR. 89 H Pro & Contra Rätsel V2 V4 Horoskop Wissen V4 V5 Capito Fernsehen aktuell V6 V32 Job-Börse Verkäufe/Kaufges. V7–V12 V13–V16 Kunsthandel Geldmarkt 71./164. JAHRGANG V15 V16 Geschäftsverbindungen V16 Kfz-Börse V17–V22 Tiermarkt Immo-Börse V22 V23–V27 Mietmarkt Bekanntschaften V28–V29 V30–V31 Die dünne Haut der Welt Foto: countrypixel Fotolia An ihrem Umgang mit der Erde entscheidet sich das Schicksal ganzer Zivilisationen. Warum wir Gefahr laufen, den Boden unter den Füßen zu verlieren – und was wir dagegen tun können. Eine Grabung / Von Matthias Zimmermann an kann sich ganz gut vorstellen, wie sich die Leute über ihn das Maul zerrissen haben. Scheint ja auch erst mal reichlich seltsam: Da kommt dieser alternde Professor, der ein viel diskutiertes Buch geschrieben hat, von seinen Reisen zurück. Und dann verbringt er jede freie Minute damit, auf seinen Feldern Regenwurmlosung zu sammeln und zu wiegen. Regenwurmscheiße! Aber Charles Darwin, so hieß der Mann, war keiner, der sich vom Geschwätz der Leute beeindrucken ließ. Er sammelte und wog weiter und sein Verdacht erhärtete sich: Eine Armada von Regenwürmern frisst sich ohne Unterlass durch den guten englischen Boden. Sie verdaut dabei frische organische Substanzen und zersetzt sogar kleine Steine zu Mineralerde. Dabei wächst die fruchtbare Bodenschicht über Jahrhunderte in die Höhe. Diese Beobachtung, die Darwin 1881, ein Jahr vor seinem Tod, veröffentlichte, hat unser Bild vom Boden maßgeblich beeinflusst. Was sich trotz Darwin und allem, was wir bis heute noch dazu wissen, nicht geändert hat: Wir behandeln den Boden noch immer eher wie Wurmscheiße, nicht wie die kostbarste Ressource, die wir haben. Kein Mensch könnte überhaupt auf der Erde leben, wenn nicht die Mikroorganismen im Boden dafür sorgten, dass die Pflanzen darauf sich mit Nährstoffen versorgen können. Ohne Eingriff des Menschen zirkulieren die Nährstoffe in Kreisläufen zwischen dem Boden, den Pflanzen und den Tieren und gelangen über deren Ausscheidungen und nach deren Tod wieder zurück in den Boden. Boden ist nie statisch, sondern ein ausbalanciertes System, in dem geologische, chemische, physikalische und klimatische Einflüsse zusammenwirken. Allein: So unberührten Boden gibt es kaum noch auf der Welt. M Vor rund 10 000 Jahren haben unsere Vorfahren begonnen, Ackerbau zu betreiben. Erdgeschichtlich ist das weniger als ein Wimpernschlag. Aber seitdem ist es uns gelungen, das komplette Antlitz der Erde radikal zu verändern. Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt fast keine Flächen mehr, die noch zu guter landwirtschaftlicher Nutzfläche umgewandelt werden könnten. Schlimmer noch: Wenige Jahrtausende menschlichen Ackerbaus haben genügt, um kaum vorstellbare Mengen Ackerboden zu vernichten – kostbare Erde einfach fortgeschwemmt vom Regen und weggeblasen vom Wind. Zu alledem sagen uns Wissenschaftler mit dem Klimawandel eine Zunahme von Dürren, Stürme und Überschwemmungen voraus. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung immer schneller. Im Jahr 2050 muss die Erde schon 9,5 Milliarden Menschen ernähren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang es zwar in den Industrienationen, die landwirtschaftlichen Erträge zu verdoppeln. Dank neuer Züchtungen und zum Preis einer Technisierung des Ackerbaus und des massiven Einsatzes von Kunstdünger und Pestiziden. Doch längst stagnieren die Erträge wieder. Wenn uns also nichts Neues einfällt, wie wir auf weniger Boden mehr Nahrungsmittel erzeugen können, werden große Teile der Menschheit in Zukunft schlicht nicht mehr genug zu Essen haben. Grund genug also, den Boden, die dünne Haut der Welt, genauer in den Blick zu nehmen und mal etwas tiefer zu graben. 1. Bodenlos Um einen Eindruck von der Bedeutung des Bodens für unsere Kultur zu bekommen, kann man einen Blick in eine der ältesten Schriften der Menschheit werfen: die Bibel. „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerbo- den und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“, heißt es in der Genesis. Man kann sich aber auch an die positiven Wissenschaften halten und nach archäologischen und historischen Quellen suchen, um zu verstehen, wie unsere Vorfahren den Boden genutzt haben – und wie es ihnen dabei ergangen ist. Der amerikanische Geologe David R. Montgomery zeichnet in einer lesenswerten Kulturgeschichte des Bodens* Aufstieg und Niedergang des Römischen Imperiums anhand seines Umgangs mit dem Boden nach. Als Romulus um 750 vor Christus Rom gründete, war der typische landwirtschaftliche Betrieb zwischen einem halben und zwei Hektar groß, baute die verschiedensten Kulturen nebeneinander auf der selben Fläche an – und warf gerade so viel ab, um bei arbeitsintensiver Bewirtschaftung eine Familie ernähren zu können. Die technische und soziale Entwicklung machten diesem nachhaltigen System den Garaus. Mit Eisenäxten und -pflugscharen konnten die Bauern ausgedehnte Waldgebiete roden und großflächig mit einer Frucht bestellen. Der Ochsenpflug machte die Spezialisierung interessanter. Aber um satt zu werden, musste eine Familie größere Flächen bestellen: um andere Früchte zukaufen und den Ochsen füttern zu können. Bald wurden die kleinbäuerlichen Betriebe daher von Plantagen verdrängt, auf denen Sklaven schufteten. Erosion wurde ein riesiges Problem: Der schützende Wald war weg und durch intensives Pflügen lag der Boden lange Zeit ungeschützt da. Jeder Regenguss schwemmte große Mengen Ackerkrume fort. Die berüchtigten, malariaverseuchten Pontinischen Sümpfe sind aus dem gewaltigen Bodenabtrag aus den umliegenden Hochland entstanden. Zudem lebten die Großgrundbesitzer häufig nicht auf ihrem Land, sondern in der Stadt und waren mehr an gleichbleibenden Profiten denn an nachhaltiger Bodenbewirtschaftung interessiert. Dieses kurzsichtige Wirtschaften ging so lange gut, wie das expandierende Weltreich immer neue Territorien eroberte und von dort riesige Mengen an Nahrungsmitteln importieren konnte. Letzten Endes aber trug nach Meinung vieler Historiker die zunehmende Verschuldung der Landbevölkerung zur Entstehung innerer Unruhen bei, an denen das Römische Reich zugrunde ging. Die Folgen sind bis heute sichtbar: Boden erholt sich nicht zwangsläufig – und wenn, dann nur in Zeithorizonten, die für Menschen nicht relevant sind. 2. Boden wettmachen Jetzt aber ins Heute und nach Deutschland. Ganz offensichtlich muss man eine ganze Menge wissen, um den Boden nachhaltig zu nutzen. Darum jetzt an einen der Orte in Deutschland, an dem der Boden intensiv erforscht wird. Ingrid KögelKnabner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bodenkunde am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Sie sagt: „Wir wissen sehr gut, wie wir Böden bewirtschaften müssen, wir tun es nur nicht immer so gut, wie wir es sollten.“ Die Haut hat längst mehr als ein paar Risse. Mit jeder Nutzung greift der Mensch ein in die komplizierten Prozesse, die alle zusammen zur Bildung des Bodens, so wie wir ihn vorfinden, beigetragen haben. Es ist nur eben alles eine Frage des Maßstabs. „Seitdem wir Stickstoffdünger über das Haber-Bosch verfahren machen können, pumpen wir massiv Stickstoff in alle Ökosysteme und auch in alle Böden“, erklärt die Professorin. So verändern wir massiv den globalen Stickstoffkreislauf. Die Folge sind neue Probleme wie die steigende Nitratbelastung des Grundwassers: Beim Abbau von Nitrat entstehen im menschlichen Körper Substanzen, die als krebserregend gelten. Wir verändern auch den Kohlenstoffkreislauf, indem wir fossile Brennstoffe verbrennen, die nur zum Teil wieder im Boden landen. Dabei hängt das Klima ganz wesentlich vom Boden ab, er ist nach den Ozeanen der zweitgrößte Klimagasspeicher überhaupt. Wie viel Kohlenstoff er speichern kann, hängt auch davon ab, wie viel Humus ein Boden enthält. Wird der umgesetzte Humus in den geernteten Pflanzen vom Feld gefahren und nicht ersetzt, steigt die Klimagaskonzentration in der Atmosphäre. Kann der Landwirt seinen Boden möglichst nahe an die jeweilige maximale Humusspeicherkapazität bringen, schützt er auch das Klima. Ein anderes ungelöstes Problem ist ebenfalls hausgemacht: „Unsere Planungen, wie Flächen genutzt werden, greifen nicht“, sagt KögelKnabner. Noch ist etwa die Hälfte Bayerns landwirtschaftliche Fläche. Aber es wird laufend weniger: Im Jahr 2013 wurden jeden Tag 18 Hektar Freiflächen zu Siedlungsund Verkehrsflächen umgewandelt. Auf Bundesebene gehen jede Sekunde acht Quadratmeter Fläche verloren. Die Werte sind seit Jahren konstant und meist sind es Landwirtschaftsflächen, die verloren gehen. Das größte Problem ist aber nach Meinung der Bodenexpertin ein anderes: „Wir haben den Kontakt zum Boden verloren, weil nur noch geringe Teile der Bevölkerung mit der Nahrungsmittelproduktion beschäftigt sind“, sagt die Expertin. „In früheren Generationen hat ein sehr viel größerer Anteil der Bevölkerung direkt mit dem Boden gearbeitet. Heute ist das, was Sie kennen im schlimmsten Fall auch noch das Torfsubstrat, das Sie für Ihren Balkon holen. Aber wir wissen nicht mehr, was Böden sind und wie wichtig sie sind.“ 3. Auf dem Boden bleiben Was der Boden für ihn bedeutet? Landwirt Gerhard Ringler blickt kurz auf, dann schaut er wieder nach vorne, damit die Spur, die er mit seinem riesigen Traktor über das Feld zieht, auch schön gerade bleibt. „Das ist natürlich auch emotional. Als Landwirt denke ich in Generationen. Ich darf den Boden nicht schlecht behandeln. Ich habe ihn nur von meinem Sohn geliehen.“ 400 Jahre ist Ringlers Hof in Langeringen, nördlich von Landsberg, schon in Familienbesitz. Das prägt. Und seine beiden Söhne teilen die Leidenschaft für diesen Beruf, der heute sehr anspruchsvoll ist. Alle fünf Jahre muss Ringler seine Böden untersuchen lassen, das ist Vorschrift. Er lässt noch mehr messen, der Boden ist ja schließlich seine Existenzgrundlage. „Meine Werte sind immer gleich“, sagt er, der Boden noch immer sehr gut. Trotzdem ist heute vieles anders als vor 30 Jahren. Die Maschinen sind schwerer und teurer, die Höfe größer geworden. Boden ist knapper, auch weil jetzt Spekulanten Land aufkaufen. Nur leben muss der Landwirt noch immer von seinem Boden. Bei einer kurzen Pause sticht Ringler mit dem Spaten einen fußballgroßen Klumpen Erde aus dem Acker. Dunkelbraun und krümelig ist sie und strömt einen würzigen Geruch aus. Der 57-jährige Ringler nimmt eine Hand voll von der Erde und zerreibt sie zwischen den Fingern, von wo sie wieder zu Boden bröckelt und eine dünne schwarze Schicht auf seiner Hand hinterlässt. „Allein in diesem Brocken, den wir jetzt ausgegraben haben, leben mehr Lebewesen als auf der gesamten Erde Menschen“, sagt Ringler. Die Regenwürmer, die sich im Sonnenlicht ringeln, sind nur die größten. * David R. Montgomery: Dreck. Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert. Oekom Verlag, 352 Seiten, 24,90 Euro
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