Praktikumsbericht - Goethe

JOHANN WOLFGANG GOETHE-UNIVERSITÄT FRANKFURT
FACHBEREICH ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN
Praktikumsbericht
von
Karin Burg
Studiengang: Erziehungswissenschaften, Hauptstudium
Studienrichtung: Erwachsenenbildung
Praktikumstelle:
Johann Wolfgang Goethe-Universität
Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung
Herr Professor Dr. Dieter Nittel
Robert-Mayer-Straße 1
Frankfurt / Main
Datum
2
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung: Meine Motivation für ein Forschungspraktikum
3
2.
Vorstellung des Forschungsvorhabens
100 Lebensgeschichten eine Geschichte?
"Die Entwicklung der hessischen Erwachsenenbildung aus
der Sicht von Zeitzeugen"
4
3.
Anfangssituationen: die ersten Tage in der neuen Organisation
6
4.
Der Tätigkeitsbereich
7
4.1.
Die Projektorganisation
7
4.2.
Strukturierung und Vereinheitlichung
9
4.2.1
Formular für die Pflege der Datei "Projekt-Status"
9
4.2.2 Einverständniserklärung
9
4.2.3 Zeitzeugen-Informationsbrief
10
4.2.4 Dankschreiben
11
5.
Die Datenerhebung
11
5.1
Die Suche nach Interviewpartnern
11
5.2
Die Methode der Datengewinnung und Einblicke
12
in die Interviewsituation
6.
Lehr-/Lerngespräche
Gespräche mit zwei Studierenden
15
7.
Öffentlichkeitsarbeit
Ein Zeitungsbericht für "Forum"
16
8.
Schlussbemerkungen
17
9.
Anhang: Dokumentationsunterlagen
zu Abschnitt 4 und 5
18
3
1.
Einleitung: Meine Motivation für ein Forschungspraktikum
Beginnen möchte ich mit einem Exkurs um den Stellenwert, den das erziehungswissenschaftliche Studium für mich persönlich hat, darzustellen. Daran anschließend
werde ich die Motivation für mein Forschungspraktikum erläutern.
Im Sommersemester 1998 habe ich nach zwei Jahrzehnten Berufstätigkeit mein erziehungswissenschaftliches Studium aufgenommen mit der Absicht, eine fundierte
erziehungswissenschaftliche (Aus)-bildung zu erwerben, als eine m.E. nach grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung professionellen pädagogischen Handelns.
Im Verlauf des Studiums habe ich gelernt, Bezüge und Verknüpfungen zwischen
theoriegeleiteten Konzepten und Phänomenen in beruflichen und lebensweltlichen
Handlungsvollzügen herzustellen, und ich habe ein breites Spektrum pädagogischer
Problemlösungs- und Handlungskompetenzen erworben. Die interdisziplinär erworbenen Wissensbestände und Kernkompetenzen und ihre systematische produktive
Transformation in pädagogischen Entscheidungs- und Handlungssituationen stellen
für mich ein sehr hochwertiges kreatives Handlungspotential dar.
Vor Aufnahme des Studiums, sozusagen als "pädagogische Amateurin", war meine
Lehrtätigkeit von der Vorstellung geprägt, für jede Frage eine Lösung bereit stellen
bzw. finden zu müssen. Inzwischen habe ich diesen Anspruch reflektiert und die Erkenntnis gewonnen, dass die Vorstellung oder das Vorhandensein von Wissen implizit mit dem Vorhandensein von Nichtwissen verbunden ist, das Wissensbestände fragil und hoch selektiv sind und Risiken aus Wissen entstehen, das Gewißheit beansprucht. Ich habe einen Blick für die Pluralität an Rationalitäten, Wissenspotentialen
und individuellen Bezugssysteme und Relevanzen entwickeln können. Aus der Perspektive von Niklas Luhmann könnte man meine Lernerfahrungen so beschreiben:
"wenn etwas so ist, kann es auch anders sein".
Zur Entwicklung einer realistischeren Einschätzung dessen, was Lehrende in Lehr/Lernsituationen tatsächlich leisten können, haben die vielfältigen Lehrveranstaltungen ebenso beigetragen wie die spezifischen Inhalte mancher Professoren und Lehrenden. Die Möglichkeit, von "verdienten Persönlichkeiten" (Nittel 2002) zu lernen
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ist für die Erweiterung meiner Lernfähigkeit und die Entwicklung meiner eigenen
pädagogischen Professionalität von unschätzbarem Wert.
Was haben diese Ausführungen mit der Motivation für ein Forschungspraktikum zu
tun? Nun, die Überlegung, ein Forschungspraktikum zu absolvieren ist aus kreativen
Diskursen und Interaktionsprozessen der universitären Lehrveranstaltungen entstanden; aus Gedankenexperimenten mit theoretischen Modellen und Zeitdiagnosen sowie Fragen nach ihrer Relevanz für die erwachsenenpädagogische Praxis. Daraus hat
sich mein Interesse und meine Neugier entwickelt, einen Einblick in die empirische
Forschungspraxis und in wissenschaftliches Arbeiten zu gewinnen und neue berufliche Erfahrungen zu sammeln, die auch eine Entscheidungshilfe für meinen zukünftigen Berufsweg sein können.
Der konstruktiven Unterstützung von Herrn Prof. Dr. Nittel und Herrn Prof. Dr. Kade verdanke ich die Möglichkeit, dass ich meinen Wunsch in die Tat umsetzen konnte. Vom ... bis ... absolvierte ich bei Herrn Prof. Dr. Dieter Nittel am Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung ein viermonatiges Forschungspraktikum,
über das ich im Anschluß berichten werde.
2.
Vorstellung des Forschungsvorhabens
Das Forschungsprojekt, in dem ich mitarbeitete, trägt den Titel „100 Lebensgeschichten eine Geschichte? Die Entwicklung der hessischen Erwachsenenbildung aus
der Sicht von Zeitzeugen".
Die Basis des Forschungsprojektes fußt auf der Rekonstruktion und Sammlung beruflicher und lebensgeschichtlicher Erfahrungen von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen
der Erwachsenenbildung in Hessen, die ihre Tätigkeit in den 50er, 60er und 70er Jahren ausgeübt haben. Diese Menschen haben mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Engagement und ihrem Berufs- und Erfahrungswissen die Erwachsenenbildung gestaltet und
geprägt. Diese Wissensbestände würden mit dem Tod unwiederbringlich verloren
gehen. Das Ziel ist eine Sammlung von 100 Lebensgeschichten. Die Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen sind Männer und Frauen in der zweiten Lebenshälfte,
die meisten befinden sich im Ruhestand. Sie waren in den unterschiedlichsten er-
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wachsenenbildnerischen Funktionen tätig. So zum Beispiel als Kursleiter und Kursleiterinnen, als Aus- und Weiterbildungslehrer und -lehrerinnen, als Bildungs- und
Gewerkschaftssekretäre und -sekretärinnen, als Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen. Sie haben in bildungspolitischen Funktionen gearbeitet, Leitungsfunktionen
ausgeübt oder Aufgaben in der Beratung, Planung, Organisation und Verwaltung
wahrgenommen. Das berufliche Engagement erfolgte sowohl hauptberuflich und /
oder nebenberuflich bzw. ehrenamtlich. Nur wenige der bisher Befragten übten ihre
Tätigkeit freiberuflich aus.
Das Spektrum der Institutionen ist ebenso vielseitig. Die klassischen Einrichtungen
der Weiterbildung wie die Volkshochschulen und kirchlichen und gewerkschaftlichen Bildungsträger sind ebenso vertreten wie kulturelle Einrichtungen in Form von
Geschichts-, Musik- und Kunstvereinen. Darüber hinaus kommen einige der Befragten aus den Bereichen der Frauenbildung und Jugendhilfe, aus Beratungsstellen,
Hochschulen und Ministerien. Befragungen von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen aus
der betrieblichen Bildung befinden sich noch in der Planungs- und Vorbereitungsphase.
Das Forschungsprojekt wird in Kooperation mit dem Hessischen Hauptarchiv in
Wiesbaden durchgeführt. Ein wesentlicher Teil der Zusammenarbeit besteht darin,
dass hier die auf Datenträger aufgezeichneten Interviews archiviert werden.
Mit dem Blick auf die Geschichte der Erwachsenenbildung ist der Wunsch verbunden, ein tieferes Geschichtsbewußtsein zu fördern und zu einem fruchtbaren Austausch zwischen den Generationen beizutragen. Je mehr Wiedererkennungseffekte
zwischen den historischen Erzählungen und den Biographien der Gesellschaftsmitglieder eintreten, desto besser können sich die Potentiale einer Erinnerungskultur entfalten, die kulturelle Gewissheiten, soziale Verbundenheit und Vertrauen zu stiften
vermögen. Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht das Phänomen der Professionalisierung im Spannungsverhältnis von individueller Lebensgeschichte und kollektiver Geschichte und die Frage, welche Bedeutung diese Zeit der Geschichte für
die Gegenwart hat. Die theoretischen Konstrukte werden, entsprechend den Prämissen qualitativer Sozialforschung, im Untersuchungsprozess generiert bzw. auf der
Grundlage des Datenmaterials entwickelt. Die Daten werden der Wissenschaft für
weitere Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt, so z.B. für die Erstellung von
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Diplom-Arbeiten oder Dissertationen. Eine große Herausforderung wird die Erschließung der Fülle und Vielseitigkeit der Daten darstellen.
3.
Anfangssituationen: die ersten Tage in der neuen Organisation
Zu meinem Aufgabenbereich, den ich in Abschnitt 4 ausführlich darstellen werde,
gehörte der Aufbau und die Gestaltung der Projekt-Organisation. Das beinhaltete die
Sammlung und Erfassung von relevanten Forschungsdaten, der vorhandenen Literatur, der schriftlichen Materialien und ihre Dokumentation, die Verwaltung und Archivierung.
Eine weiteres Aufgabenfeld war die Erhebung von Forschungsdaten. Dazu gehörte
die Suche und Gewinnung potentieller Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen
und die Erhebung ihrer Lebensgeschichte mit der Methode des autobiographischnarrativen Interviews.
Die ersten Tage verbrachte ich damit, einen Einblick in das Forschungsvorhaben und
in die Projektorganisation zu gewinnen. Ich studierte die Projektunterlagen, Veröffentlichungen der Interviewpartner und -partnerinnen, Literatur zur Biographieforschung und zur Geschichte der Erwachsenenbildung. Besonders hilfreich für den Zugang zu dem Forschungsvorhaben war ein Aufsatz von Herrn Prof. Dr. Nittel in den
Hessischen Blättern für Volksbildung (Ausgabe 1/2001) und die Beschäftigung mit
bereits vorhandenen autobiographisch-narrativen Interviews und Transkriptionen.
Am Anfang verunsicherte mich die neue Organisationskultur. Ausgehend von meiner
beruflichen Sozialisation, die durch eine starke Dienstleistungsorientierung und vernetzte Arbeitsstrukturen geprägt ist, nahm ich Unterschiede in den Rationalitäten,
Relevanzsystemen, Verkehrsgewohnheiten, Interaktionsbeziehungen, Kommunikationsstrukturen und beruflichen Handlungsmustern wahr. Durch Beobachtungen und
Gespräche lernte ich mit der Zeit Zuständigkeitsbereiche und Ablaufstrukturen kennen und in meinen Handlungen zu berücksichtigen.
In den ersten Wochen befand sich mein Arbeitsplatz in einem Büro im "Turm". Da
zu dieser Zeit alle PC-Arbeitsplätze belegt waren, nutzte ich den PC in meinem Büro
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zu Hause. Später konnte ich in einem Büro im Institut für Erwachsenenbildung arbeiten, das mit PC und Drucker ausgestattet war. Die räumliche Nähe zu den Kolleginnen und Kollegen erleichterte die soziale Integration in das Abteilungsgefüge.
4.
Der Tätigkeitsbereich
4.1
Die Projektorganisation
Nachdem ich einen thematischen Überblick gewonnen hatte, versuchte ich einen
Einblick in den Organisationsstand des Projektes zu bekommen. Dazu war eine Analyse der Ist-Situation erforderlich. Einige Projektdaten waren bereits erfasst worden.
Die Word-Datei enthielt einen Teil der Forschungsteilnehmer und potentiellen Ansprechpartner. Für die Erarbeitung eines Organisationskonzepts waren nach meiner
Ansicht die folgenden Überlegungen relevant:
Wie wurden die Daten bisher erfasst?
Welche Daten sind bereits erfasst, welche müssen noch erfasst werden?
Welche PC-Programme bzw. Datenbänke stehen zur Verfügung?
Sind die vorhandenen Systeme vernetzt?
Welche Daten werden benötigt? Zu welchem Zweck?
Nach welchen Kriterien werden die gewonnen Daten weiter bearbeitet? Gibt es besondere Anforderungen für die spätere Auswertung bzw. für die Verwendung im
Hessischen Staatsarchiv?
Da ich als Praktikantin und Interims-Mitarbeiterin das Projekt nur für kurze Zeit
betreuen würde, versuchte ich im Dialog mit einer Kollegin weiterführende Informationen zu sammeln. Es war schade, dass eine gemeinsame Konzeptentwicklung aufgrund eines unterschiedlichen Aufgabenverständnisses nicht möglich war.
Nachdem ich die erforderlichen Daten zusammen getragen hatte, erstellte ich unter
Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen ein Konzept zur Gestaltung der Projekt-Organisation.
Inhaltlich war vorgesehen, zwei nach Zielgruppen getrennte Tabellen aufzubauen.
Eine Tabelle, die Datei "Projekt-Status, geführte autobiographisch-narrativ Inter-
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views" enthielt alle bereits durchgeführten Interviews und relevanten Daten der Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen. In einer zweiten Tabelle, der "Adressliste
potentielle Informanten / potentielle Interviewpartner", wurden die Daten von potentiellen Forschungsteilnehmern und -teilnehmerinnen geführt.
Die Frage, welches PC-Programm für die Erfassung der Daten geeignet ist, wurde
kontrovers diskutiert. Zur Verfügung standen "Excel" und "Word". Im Hinblick auf
die Auswertungsmöglichkeiten und die Auswahl und Modifikation von Tabelleneigenschaften ist eine Bearbeitung der Daten in "Excel" komfortabler. In "Word" sind
die Gestaltungs- und Auswertungskriterien einzelner Parameter eingeschränkt. Im
Hinblick auf die Eingabe und Verarbeitung von Texten hat "Word" Vorzüge. Als
weiterer Vorteil von "Word" wurde das einseitige Format der Tabellen gesehen. Da
sich die bisherige Bearbeitung in "Word" bewährt hatte, wurde sie beibehalten.
Die folgenden Arbeitsschritte stellten sich als zeitintensive Fleißarbeit heraus. Zuerst
erfasste ich aus den vorhandenen Namenslisten alle verfügbaren Daten. Anschließend ermittelte ich die noch benötigten Daten der Forschungsteilnehmer und teilnehmerinnen und erfasste sie in der entsprechenden Datei. Die telefonischen Gespräche mit den Forschungsteilnehmern waren sehr aufschlussreich und bewirkten,
dass die Namen in den Statistiken mit Leben gefüllt wurden. Häufig entwickelten
sich interessante Gespräche über unterschiedliche Entwürfe erwachsenenbildnerischer Tätigkeit. Analog dazu, arbeitete ich an der Sammlung und Erfassung der Daten für die Adressliste.
Zusammenfassend enthielten die beiden Dateien alle wesentlichen Daten der Forschungsteilnehmer und fungierten als Dokumentation des Forschungsvorhabens und
als Projekt-Übersicht.
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4.2
Strukturierung und Vereinheitlichung der Projektarbeit
4.2.1
Formular für die Pflege der Datei Projekt-Status
Zur Vereinfachung der Datenerfassung erstellte ich ein Formular, das tabellarisch
aufgebaut war und alle relevanten Informationen enthielt, die für den "ProjektStatus" benötigt wurden. Die Idee war, das Formular von dem Interviewer bzw. der
Interviewerin am Ende des Interviews handschriftlich ausfüllen zu lassen und der
Projekt-Sachbearbeiterin zur Verfügung zu stellen. Das Ausfüllen des Formulars erforderte kaum Zeit (1 - 2 Minuten). Jeder Interviewerin wurde das Formular per
E-Mail oder als Kopie zur Verfügung gestellt.
4.2.2 Einverständniserklärung
Wie schon erwähnt, wurden die autobiographisch-narrativen Interviews auf Datenträger aufgezeichnet. Die Datenträger werden nach Abschluß des Forschungsvorhabens im Hessischen Staatsarchiv in Wiesbaden archiviert, um die empirischen Daten
anderen Wissenschaftlern für weitere Forschungen zugänglich zu machen. Aus
Gründen des Datenschutzes war für die Archivierung das schriftliche Einverständnis
der Forschungsteilnehmer und -teilnehmerinnen einzuholen. Dabei konnten die Befragten zwischen der Möglichkeit wählen, sich mit ihrem Namen oder einem Pseudonym registrieren zu lassen. Ein Formular dafür wurde im Laufe des Forschungsvorhabens erstellt. Die Interviewerinnen erläuterten den Befragten in der Interviewsituation den Zweck der Einverständniserklärung und ließen sie von den Befragten unterzeichnen. Da ohne die Einverständniserklärungen die Datenträger nicht archiviert
werden können, war es erforderlich, noch nicht vorhandene Einverständniserklärungen nachträglich einzuholen.
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4.2.3 Zeitzeugen-Informationsbrief
In der Regel erfolgte die erste Kontaktaufnahme zu potentiellen Interviewpartnern
und -partnerinnen telefonisch. Einige Gesprächspartner baten um schriftliche Informationen zu dem Vorhaben. Zu diesem Zweck verfasste ich einen Informationsbrief,
der die wesentlichen Informationen über das Projekt enthielt und den Interviewpartnern zur Verfügung gestellt werden konnte. Der Brief hatte vertrauens- und sicherheitsstiftende Funktion und überbrückte die Anonymität der Gesprächspartner. Die
mündlichen Darstellungen wurden "schwarz auf weiß" bestätigt und der offizielle
Charakter des Vorhabens untermauert. In manchen Gesprächen war es schon bei der
ersten Kontaktaufnahme möglich, den Gesprächspartner für eine lebensgeschichtliche Erzählung zu gewinnen und einen Interviewtermin zu vereinbaren. In diesem
Fall konnte das Schreiben auch zur Bestätigung des geplanten Interviewtermins verwendet werden.
4.2.4 Dankschreiben
Nach der Durchführung eines Interviews erhielten die Forschungsteilnehmer und
-teilnehmerinnen ein Schreiben, indem der Projektleiter und die Interviewerin sich
für die Teilnahme an dem Forschungsprojekt bedankten.
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5.
Die Datenerhebung
Neben dem Aufbau der Projektorganisation hatte ich die Möglichkeit, Ausschnitte
aus der Forschungspraxis kennen zu lernen und Forschungserfahrungen zu sammeln.
Ich konnte mich als Feldforscherin erproben und selbständig empirische Daten mit
dem Verfahren autobiographisch-narrativer Interviews erheben.
Erste Erfahrungen mit dieser Methode hatte ich bereits in der Lehrveranstaltung
"Freiberuflichkeit von Diplom-Pädagogen" von Herrn Prof. Dr. Nittel erworben. Auf
der Grundlage autobiographisch-narrativ erhobener Daten habe ich in einer Semesterarbeit biographische Sequenzen eines Diplom-Pädagogen strukturell beschrieben
und unter dem Aspekt der Funktion der Freiberuflichkeit analysiert.
Einen bescheidenen Zugang zu dem komplexen Analyseinstrumentarium von Fritz
Schütze habe ich durch die Teilnahme an einem Tutorium, das von Herrn Prof. Dr.
Nittel angeboten und von Frau Wagner durchgeführt wurde, gefunden. Es ging um
den Versuch einer exemplarischen Fallanalyse von Daten, die Frau Wagner mit autobiographisch-narrativen Interviews erhoben hatte. Das Erkenntnisinteresse war auf
Typologien von biographischen Mustern lebenslangen Lernens bei Männern, die sich
im Vorruhestand befanden, gerichtet. Die Verknüpfung der grundlagentheoretischen
Aussagen von Schütze mit den empirischen Daten erwies sich als außerordentlich
komplex und es war nicht einfach mit dem theoretischen Gebäude selbständig umgehen zu lernen.
5.1.
Die Suche nach Interviewpartnern
Es bestand die Möglichkeit, einen Teil der Interviewpartner und -partnerinnen selbständig zu suchen und für ein lebensgeschichtliches Interview zu gewinnen. Um
Namen und Anschriften potentieller Forschungsteilnehmer zu finden, nahm ich Kontakt zu zahlreichen Institutionen und Trägern der Erwachsenenbildung sowie anderen
Einrichtungen auf, z.B. zu Seniorenheimen, zur Akademie der Generationen und zu
Unternehmen wie Adam Opel, Fresenius und Du Pont.
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Bei der Auswahl der Gesprächspartner war eine systematische Vorgehensweise notwendig. Zum einen widerspricht es den Grundsätzen der Methode Interviewpartner
aus dem Freundes- und Bekanntenkreis zu gewinnen, zum anderen sind Kriterien zu
berücksichtigen, die dem theoretical sampling zugrunde liegen, wie beispielsweise
die regionale Eingrenzung der Berufstätigkeit auf das Bundesland Hessen, der Zeitraum der erwachsenenbildnerischen Berufstätigkeit, der von 1950 - 1980 reicht, die
institutionelle Herkunft, die berufliche Funktion und das Geschlecht der Informanten.
Hilfreich waren bestehende, vielfältige universitäre Verbindungen und Kontakte zu
Institutionen und Empfehlungen von Interviewpartnern, von Freunden und Bekannten, auf die ich bei der Suche nach Forschungsteilnehmern zurück greifen konnte.
Die erste Kontaktaufnahme zu potentiellen Interviewpartnern erfolgte telefonisch.
Dabei wurde das Forschungsvorhaben vorgestellt und geklärt, ob der jeweilige Gesprächspartner die Kriterien des Forschungsdesigns erfüllte und die Bereitschaft für
ein Interview bestand. Meistens wurde bereits im ersten Gespräch ein Interviewtermin vereinbart.
Ich war überrascht, wie miteilungsfreudig die Gesprächspartner bereits am Telefon
waren. Bestand der Wunsch nach schriftlichen Informationen, wurde den potentiellen
Interviewpartnern der "Zeitzeugen-Informationsbrief" zur Verfügung gestellt.
5.2.
Methode der Datengewinnung und Einblicke in die Interviewsituation
Im Laufe des Forschungspraktikums erweiterte ich mein biographieanalytisches Basiswissen. Unter Zuhilfenahme von Literatur habe ich mich in die Methode und das
Analyseverfahren autobiographisch-narrativer Interviews tiefer eingearbeitet. Dabei
hatte ich keine Schwierigkeiten, die methodologischen Ausführungen zur Datenerhebung nachzuvollziehen, schwierig war, ein theoretisches Verständnis für die komplexen Verfahrensweisen der Datenauswertung zu bekommen. Inzwischen habe ich die
Literatur mehrmals durchgearbeitet und festgestellt, das es durch die Felderfahrungen möglich war, einen Bezug zwischen Theorie und Empirie herzustellen und einen
Zugang zu der Sprache und dem Verfahren von Fritz Schütze zu finden.
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Charakteristisch für das autobiographisch-narrative Interview ist, das die Interviewerin die Informanten zum autobiographischen Erzählen der ganzen Lebensgeschichte
auffordert; damit wird der Erzählstimulus gesetzt. Entscheidend für die Authenzität
ist, das die Informanten die Geschichte nicht vorbereitet haben. Es geht um das Erinnern und Erzählen eigenerlebter Erfahrungen aus dem Stegreif.
Zu Beginn der Interviewsituation habe ich versucht, mit den Interviewpartnern über
alltagsweltliche Ereignisse ins Gespräch zu kommen, Fremdheit abzubauen und eine
vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu entwickeln. Über den eigentlichen Zweck
der Zusammenkunft habe ich meistens erst gesprochen, wenn Merkmale für die Gewährung eines Vertrauensvorschusses wahrnehmbar waren. Dann habe ich das Projekt vorgestellt und Verfahren, Methode und Besonderheiten der Erzählform des narrativen Interviews erläutert. Weiterhin wurde über die Aufzeichnung der Texte, über
Fragen der Archivierung der Datenträger und die Wahrung der Vertraulichkeit und
des Datenschutzes gesprochen.
Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die Erzählung der ganzen Lebensgeschichte
im Zentrum steht, das es um die Entwicklung einer zwanglosen Stegreiferzählung
geht, das ich während der Haupterzählung nur zuhören und die Erzählung nicht mit
Zwischenfragen oder Kommentaren unterbrechen würde, ich mir Notizen machen
und Fragen erst nach Beendigung der Erzählung stellen würde. Im Anschluß an die
Erzählaufforderung (Erzählstimulus) haben die Interviewpartner und -partnerinnen
mit ihrer Lebensgeschichte begonnen. Die offene Struktur des narrativen Interviews
ermöglichte den Erzählenden die Erzählinhalte nach eigenen Bedürfnissen und Relevanzen auszuwählen und einen eigenen "Erzählfaden" zu entwickeln.
Während der Haupterzählung habe ich mich an die Rolle der aufmerksamen und interessierten Zuhörerin gehalten und auf die Äußerung von Rezeptionssignalen beschränkt.
Die unmittelbare Konfrontation mit der Fülle von Erinnerungen, schmerzhaften Erfahrungen und kritischen Situationen in den autobiographischen Zeugnissen berührte
mich sehr. Ich nahm die Forderung nach wissenschaftlicher Distanz und dem sensitiven Einlassen auf eine empathische menschliche Begegnung als Spannungsverhältnis
wahr. Erst wenn die Erzählenden ein eindeutiges Schlusssignal gesetzt hatten, wie
z.B. "das war`s" oder "was möchten Sie denn noch wissen?" leitete ich die Nachfra-
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gephase ein. Hier kam es darauf an, mit großer Behutsamkeit durch narrative Fragen
unerwähnt gebliebene bzw. zu kurz gekommene Erzählpassagen zu aktivieren. Dabei
versuchte ich, was bei den ersten Interviews nicht immer glückte, erzählgenerierende
Fragen zu formulieren und meinen Sprachstil an den Sprachstil der Interviewpartner
und -partnerinnen anzupassen.
Im dritten Teil des Interviews wurde versucht, durch argumentative Nachfragen die
Plausibilisierung bestimmter Inhalte anzuregen. Je nach Dichte der Haupterzählung
traten diese Art von Fragen in den Hintergrund.
Die Aufzeichnung der Interviews erzeugte bei einigen Interviewpartnern ein spürbares Unbehagen, das bei einem Gesprächspartner bis zum Abschalten des Gerätes andauerte. Ein anderer Interviewpartner erwähnte erst nach Beendigung der Aufnahme
eine bedeutsame Begebenheit seines Lebens, die mit starken Schuldgefühlen besetzt
war.
Manche Gesprächspartner und -partnerinnen zeigten mir nach der Erzählung bestimmte Gegenstände, Gegenstände, die eine besondere Bedeutung für sie hatten oder sie zeigten ihre selbst hergestellten künstlerischen Werke.
Bis zum Ende des Praktikums hatte ich die Gelegenheit, mit acht Zeitzeugen und
Zeitzeuginnen der hessischen Erwachsenenbildung lebensgeschichtliche Interviews
zu führen. Von insgesamt zwölf vereinbarten Interviewterminen wurden vier Termine von drei weiblichen Interviewpartnerinnen und einem männlichen Interviewpartner abgesagt. Die Frauen begründeten ihre Absage mit einer negativen Selbsteinschätzung ihrer Berufs- und Lebensgeschichte, der männliche Interviewpartner nannte berufliche Gründe.
Sechs Interviews wurden bei den Befragten zu Hause durchgeführt, zwei in meinem
Büro der Universität. Der primäre Unterschied zwischen den beiden Befragungsorten
lag in den äußeren Rahmenbedingungen. Der Ablauf der Interviews an der Universität war störungsfreier. Die Störungen aus der häuslichen Umwelt entfielen und die
Befragten waren in der Universität in der Rolle des Gastes und nicht in der Rolle des
Gastgebers, die mit mehr Aktivitäten verbunden ist.
Die Interviewdauer war im voraus nicht absehbar und jede Interviewsituation gestaltete sich anders. Handlungsleitend für mich war die Wahrung des Prinzips der Offenheit gegenüber den Gesprächspartnern und der Interviewsituation und die damit
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verbundene permissive und flexible Haltung für die Gegebenheiten und Ereignisse
vor Ort. Nach jedem Interview wurde von der Interviewerin ein Bericht erstellt, in
dem die Kontaktaufnahme, der Interviewverlauf und die Besonderheiten der Interviewsituation dargestellt und reflektiert wurden.
6.
Lehr-/Lerngespräche: Gespräche mit zwei Studierenden
Im Rahmen des Seminars "Professionalität und Professionalisierung in der Erwachsenenbildung" von Herrn Prof. Dr. Nittel bestand für Studierende die Möglichkeit,
Semesterarbeiten zu dem Forschungsvorhaben anzufertigen. Thematisch standen berufsbiographische Aspekte der Professionalisierung, dargestellt an Biographien von
Zeitzeugen bzw. Zeitzeuginnen, im Vordergrund. Meine Aufgabe bestand darin, interessierten Studierenden mit Informationen zu dem Projekt und der Methode des autobiographisch-narrativen Interviews behilflich zu sein. Das erste Gespräch fand mit
einem Seminarteilnehmer statt, der ein autobiographisch-narratives Interview mit einem Pfarrer geplant hatte. Nachdem der Studierende sein Vorhaben erläutert hatte,
stellte ich ihm das Forschungsvorhaben vor und erläuterte das methodische Verfahren des narrativen Interviews. Im Gesprächsverlauf hatte ich den Eindruck, dass mein
Gesprächspartner den Darstellungen nicht folgen konnte. Es stellte sich heraus, dass
er sein erziehungswissenschaftliches Studium erst vor ein paar Wochen begonnen
und die Einarbeitung in erziehungswissenschaftliche Literatur noch vor sich hatte.
Ich stellte mich auf die Situation ein und schilderte meine empirischen Erfahrungen
und erläuterte die Aufzeichnung der Interviews und Fragen des Datenschutzes. Zum
Schluss sprachen wir noch über einführende Literatur in das Thema.
Aus der Vermittlungsperspektive hatte ich den Inhalt meines Konzepts zwar an
Studierenden im Grundstudium orientiert, aber auf einen Studienanfänger war ich
nicht vorbereitet. Ausgehend von meinen eigenen Handlungsentwürfen hatte ich
diese Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen.
Ein weiteres Gespräch fand mit einer Seminarteilnehmerin statt, die sich im zweiten
Semester befand. (Diese Frage hatte ich dieses Mal zuerst geklärt).
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Ihre Idee war, eine Arbeit über ein bereits geführtes Zeitzeugen-Interview anzufertigen. Der thematische Schwerpunkt sollte noch entwickelt werden. Nach gemeinsamen Überlegungen zur inhaltlichen Gestaltung entschied sie sich für ein biographisches Portrait. Aus der Vielzahl der gesammelten Lebensgeschichten, es waren bereits 55, wählte ich einen männlichen Zeitzeugen aus. Er hatte mit Zielstrebigkeit,
Durchhaltevermögen und einem außerordentlich hohen ehrenamtlichen Engagement
über 31 Jahre ein Bildungsangebot für Erwachsene in einer infrastrukturell schlecht
erschlossenen Region entwickelt, gestaltet, bereit gestellt und aufrecht erhalten. Er
besaß keine pädagogische oder erwachsenenbildnerische Ausbildung; hauptberuflich
war er mehrere Jahre als Schuster und 30 Jahre als Postbote tätig.
Warum habe ich diese Biographie gewählt? Bemerkenswert für mich, war der Stellenwert und das Selbstverständnis seiner ehrenamtlichen Tätigkeit. In der Haupterzählung nimmt diese Tätigkeit die größte biographische Relevanz ein. Andere Lebensbereiche wie Familie, Kinder, Freundeskreis und die langjährigen hauptberuflichen Tätigkeiten spielten eine untergeordnete Rolle.
7.
Öffentlichkeitsarbeit
Zum Ende des Praktikums verfasste ich noch einen Zeitungsbericht über das Projekt,
der in "FORUM", einem Magazin für Erwachsenenbildner, dessen Träger die evangelische Kirche ist, veröffentlicht wurde.
Betrachtete man das Forschungsprojekt als innovatives Produkt der Wissenschaft, so
erfüllte die Vorstellung des Projektes in der Öffentlichkeit mehrere Funktionen:
•
eine Informationsfunktion: d. h. der Artikel diente der Bekanntmachung des
Forschungsvorhabens und der Übermittlung von Informationen. Als Zielgruppe sollten die in der Erwachsenenbildung tätigen bzw. tätig gewesenen
Menschen angesprochen werden.
•
eine Kommunikationsfunktion: damit war die Absicht verbunden, neue Kontakte zu knüpfen und Interviewpartner für das Projekt zu gewinnen.
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•
eine Imagefunktion: mit dem Transfer wissenschaftlicher Kommunikation in
die Lebenswelt der Adressaten wird eine Plattform für einen Dialog zwischen
Wissenschaft und Öffentlichkeit geschaffen mit der Möglichkeit für einen
fruchtbaren Austausch von wissenschaftlichem und lebensweltlichem Wissen.
8.
Schlussbemerkungen
Das Kennen lernen des Handlungsfeldes „Forschung“ aus der Perspektive des Forschers und der Perspektive der Organisation war eine sehr wertvolle Erfahrung für
mich. Durch die selbständige Erhebung der Daten und das Experimentieren mit dem
theoretischen Modell der Biographieforschung habe ich mir methodisches Wissen
und wissenschaftliche Handlungskompetenzen aneignen und eine Verbindung zwischen den im Studium erworbenen Wissensbeständen und Kompetenzstrukturen und
der empirischen Praxis herstellen können.
Die anfänglichen Unsicherheiten im unmittelbaren Forschungsfeld waren bald abgebaut. Ich entwickelte Sicherheit und ein hohes Maß an Offenheit, Interesse und Sensitivität für die Begegnungen mit den Forschungsteilnehmern und -teilnehmerinnen.
Aus organisatorischer Perspektive bewirkte die Funktion der Praktikantin eine Konfusion mit den mir vertrauten langjährigen beruflichen Funktionen. Es entwickelte
sich ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen gewohnten Rationalitäten, Handlungsweisen und Gepflogenheiten meiner beruflichen Identität, den unbekannten
Handlungsräumen als Praktikantin und den Praxisabläufen und Handlungszwängen
der Institution. Auf die anfängliche Phase der Verunsicherung folgte eine Phase der
Erkundung und Reflexion und es war sukzessive möglich, einen Teil der Fremdheit
abzubauen.
Ich würde jederzeit wieder ein Forschungspraktikum absolvieren und möchte Herrn
Prof. Dr. Nittel ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit und das hilfreiche
Feedback danken.
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9. Anhang: Dokumentationsunterlagen zu Abschnitt 4 und 5