Bericht vom 12.05.2015 (pdf

Besuch im Flüchtlingslager Madaba – Jordanien
April/Mai 2015
Teil 2
Eine Lerngruppe beim täglichen Unterricht im Flüchtlingscamp
English lesson today?
Mit erwartungsvollen Augen und mit einem breiten Lächeln wird mir diese Frage von den
Kindern im Flüchtlingscamp gestellt.
Inzwischen habe ich eine Aufgabe gefunden, die ich hier tun kann, nämlich die Kinder aus
den irakischen Flüchtlingsfamilien zu unterrichten. Seit ihrer Flucht aus dem Irak Ende Juli
2014 haben sie nicht mehr die Schule besucht. Zusammen mit einigen Ehrenamtlichen aus der
Pfarrei in Madaba haben wir einen Unterrichtsplan aufgestellt und versuchen, immer noch
weitere Lehrer zu finden, die hier als Ehrenamtliche am Nachmittag mithelfen, damit die
Bildungslücke der Kinder nicht allzu groß wird. Zu unserer Pfarrei gehören zwei katholische
Schulen. Der Pfarrer ist sehr bemüht, die Flüchtlingskinder mit Beginn des neuen Schuljahres
in diesen Schulen unterzubringen. Aber als Flüchtlinge werden sie vermutlich auch dann nur
Zuhörer in den jeweiligen Schulklassen sein dürfen. An den offiziellen Schulprüfungen
können sie nicht teilnehmen.
Eine besondere Freude ist für mich, dass ich beim Unterrichten Unterstützung aus dem Camp
bekomme. Zwei Jugendliche helfen mir bei der Übersetzung ins Arabische bzw. bei der
Betreuung der Vorschulkinder. Natürlich können die wenigen Unterrichtsstunden, die wir hier
auch noch über mehrere Altersstufen hinweg gemeinsam erteilen, längst nicht den
eigentlichen Schulbesuch ersetzen. Es mag eine Hilfe sein, das Lernen nicht ganz zu
vergessen. Es ist der Tropfen auf den heißen Stein – genauso wie viele andere Bemühungen
anderer Ehrenamtlicher hier vor Ort auch. Alle sind bemüht, die Gegenwart etwas erträglicher
zu gestalten. Vielleicht ist es auch eine Art Ablenkungsmanöver, um nicht immer wieder von
der Perspektivlosigkeit in die Verzweiflung gezogen zu werden.
Sie wollen uns nicht haben
Ich selbst hatte Hoffnungen in den EU-Flüchtlingsgipfel vor einigen Tagen gesetzt. Die
Hoffnung, dass auch nur ein kleines Signal davon ausgehen könnte, wie ein nächster Schritt
für die mehreren hunderttausend Flüchtlinge, die in Jordanien festsitzen, aussehen könnte.
Stattdessen aber wird geklärt, wie die Grenzen nach Europa besser gesichert werden können.
Es wird die Idee diskutiert, ob man illegale Schlepperboote nicht besser durch europäische
Kriegsschiffe zerstören sollte, damit sie gar nicht erst menschliche Fracht aufnehmen können.
Auf der Suche nach einer Aussage zu den Flüchtlingen aus dem Irak bleibt es bei der Aussage
der deutschen Innenministerkonferenz vom vergangenen Dezember, wonach die
„Bundesregierung sich bereits verstärkt in der Krisenregion im Nahen und Mittleren
Osten humanitär engagiert und die Lage im Irak weiter aufmerksam im Hinblick darauf
beobachtet, ob sich ein über die bisherigen Maßnahmen hinausgehender
Unterstützungsbedarf ergibt.”
Angela Merkel hatte ein beschleunigtes Asylverfahren für Christen aus dem Irak und Syrien
versprochen. Diese Aussage ist an Zynismus kaum zu übertreffen. Denn die Beantragung von
Asyl in Deutschland setzt eine Einreise nach Deutschland voraus, was derzeit auf legalem
Wege für Menschen aus dem Irak nicht möglich ist.
Sie wollen uns nicht haben. Und das nicht nur in Deutschland. So höre ich es hier von den
Bewohnern im Lager. Diese Botschaft aus Deutschland und aus Europa ist angekommen.
Ich habe mich in meinem ganzem Leben noch nie so geschämt, Deutscher zu sein wie hier –
sowohl vor den Flüchtlingen aus dem Irak als auch vor den Menschen aus Jordanien, deren
Land mit nur knapp 7 Millionen Einwohnern selbst gut 2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen
hat.
Dieses Beschämtsein macht mir immer wieder sehr zu schaffen. Und so sehr ich versuche,
den Menschen hier mein Mitgefühl zu zeigen, die Enttäuschung und mein Unverständnis für
die Politik Deutschlands und Europas zum Ausdruck zu bringen, so sehr bin und bleibe ich
selbst doch in einer ganz anderen Situation. Denn anders als die Flüchtlinge werde ich in
wenigen Tagen das tun können, wovon hier alle träumen: ins Flugzeug steigen und in ein
sicheres Zuhause fliegen.
Meine eigene Betroffenheit über die Perspektivlosigkeit der Menschen hier wird immer
wieder betäubt durch die Fröhlichkeit insbesondere der Kinder in unserem Flüchtlingscamp.
Kartenspielen, Fußball und Volleyballspielen, all das geht auch trotz des wenigen Englisch,
das die Kinder sprechen und der wenigen arabischen Wörter, die ich schaffe auszusprechen.
Sie haben gelernt, uns zu hassen
Es gibt inzwischen auch einige Erwachsene hier im Lager, die im gemeinsamen Gespräch
einen Blick hinter die arabische Fassade der Gastfreundschaft und Höflichkeit zulassen.
Mit einem von ihnen bin ich unterwegs in die Innenstadt. Unsere Unterhaltung stoppt immer
dann, wenn uns Muslime entgegenkommen aus Angst als Christ erkannt zu werden und neuen
Diskriminierungen ausgesetzt zu sein.
Als Christ hat er im Irak jahrelang auch vor Beginn des ISIS-Terrors Ausgrenzungen,
Feindseligkeiten und Angriffe durch Muslime erlebt.
Sie haben gelernt, uns zu hassen. So sagt er mir. Dieser Satz geht mir durch und durch.
Im Flüchtlingslager warnen mich andere eindringlich davor, weitere Muslime nach
Deutschland einwandern zu lassen. Ihre Befürchtungen und Warnungen erinnern mich sehr an
die Parolen der Pegida vor einigen Monaten bei uns in Deutschland. Ich berichte ihnen von
dieser Bewegung in unserem Land und davon, wie sehr sich die Bundesregierung, die
Kirchen und viele andere Organisationen gegen Pegida stark gemacht haben.
Das ist für einige von ihnen ebenso wenig verständlich wie die Tatsache, dass Caritas
International humanitäre Hilfe eben nicht nur für Christen leistet – sondern unabhängig der
Religionszugehörigkeit.
Die Bewohner in unserem Flüchtlingslager wissen sehr wohl, dass nicht alle Muslime ISISTerroristen sind. Dennoch sind es jetzt eben Muslime, die ihre verlassenen Häuser im Irak
bewohnen, die all das weiternutzen, was sie sich aufgebaut haben – sofern es nicht von den
ISIS-Terroristen völlig zerstört wurde.
Dass in Deutschland in den Flüchtlingsheimen Christen, Muslime und Menschen anderer
Religionszugehörigkeit auf engstem Raum zusammenleben müssen, löst bei ihnen Entsetzen
aus, was ich inzwischen sehr gut nachvollziehen kann. Sie erwarten von einem christlichen
Land nicht nur als Mensch behandelt zu werden, sondern erhoffen sich auch eine besondere
Solidarität und ein besonderes Mitgefühl als Glaubensgeschwister.
Die Religion spielt in ihrem Leben und in der Gesellschaft, aus der sie kommen, eine
wichtige, eine ganz andere Rolle als bei uns in Deutschland und in vielen anderen
europäischen Ländern. Ihr Glaubensbekenntnis ist wirklich existentiell: Wir mussten fliehen,
weil wir Christen sind. Wir haben an unserem Glauben an Jesus Christus festgehalten und tun
es weiterhin.