molly bloom In Molly’s Game lässt Molly Bloom den Leser hautnah ihre Abenteuer als Gastgeberin einer der exklusivsten privaten Poker runden der Welt miterleben. An ihrem Tisch saßen Kultstars wie Leonardo DiCaprio und Ben Affleck ebenso wie Politiker und Finanzmogule, die mit einem Fingerschnippen Märkte ins Wanken bringen konnten. Detailreich beschreibt Molly die geheimnisumwitterte glamouröse Welt der Privilegierten, in der sie sich durchzusetzen weiß und sogar vor der russischen Mafia nicht einknickt – bis sie auf einen Gegner trifft, dem selbst sie kein Molly’s Schnippchen schlagen kann: den Staat selbst. game Molly’s Game ist eine unglaub liche Coming-of-Age-Geschichte über ein junges Mädchen, das allen Konventionen trotzt, um ihre eigene Vorstellung vom amerikanischen Von Affleck bis DiCaprio – Hollywoods Poker-Königin erzählt ihre Geschichte Traum zu verwirklichen. PLASSEN VERLAG molly bloom Molly s Von Affleck bis DiCaprio – Hollywoods Poker-Königin erzählt ihre Geschichte Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Molly’s Game ISBN 978-0-06-221307-5 Copyright der Originalausgabe 2014: © 2014 by Molly Bloom. All rights reserved. Printed in the United States of America. Published by arrangement with It Books, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC. Copyright der deutschen Ausgabe 2015: © Börsenmedien AG, Kulmbach Übersetzung: Frank Sievers Gestaltung Cover: Holger Schiffelholz Gestaltung und Satz: Martina Köhler Herstellung: Daniela Freitag Lektorat: Karla Seedorf Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm ISBN 978-3-86470-251-8 Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Postfach 1449 • 95305 Kulmbach Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444 E-Mail: [email protected] www.plassen.de www.facebook.com/plassenverlag Inhalt Anmerkung der Autorin 7 Prolog 8 Erster Teil: Anfängerglück 11 Zweiter Teil: Hollywooding 71 Dritter Teil: Der Rush 133 Vierter Teil: Cooler 197 Fünfter Teil: Ein Chip und ein Stuhl 247 Sechster Teil: Cold Deck 309 Epilog 343 Danksagung 350 Anmerkung der Autorin A lles, was in diesem Buch erzählt wird, sind wahre Begebenheiten. In einigen Fällen habe ich Namen, Identität oder bestimmte Eigenheiten der beschriebenen Personen geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen und ihnen das Recht zu belassen, ihre Geschichte selbst zu erzählen – oder auch nicht zu erzählen, ganz wie sie es selbst wünschen. Die Gespräche habe ich so genau wie möglich aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Sie geben nicht Wort für Wort wieder, was die einzelnen Personen gesagt haben, sondern sollen vor allem die Stimmung und den Sinn des Gesagten vermitteln, um im Leser die Stimmung und den Geist dieser Gespräche wiederaufleben zu lassen. 7 Prolog I ch stehe im Flur meines Apartments. Es ist noch sehr früh, vielleicht fünf Uhr morgens. Ich trage ein hauchdünnes weißes Spitzennachthemd. Gleißende Lichtstrahler scheinen mir ins Gesicht. „HÄNDE HOCH!“, brüllt mich eine männliche Stimme an. Sie klingt aggressiv und emotionslos zugleich … Mit zitternden Händen hebe ich die Arme, meine Augen gewöhnen sich nur langsam an das gleißende Licht. Vor mir steht eine Armada aus Uniformen, Reihen von FBI-Agenten, so weit ich sehen kann. Mit Sturmgewehren im Arm. Maschinengewehre, die ich sonst nur aus Filmen kenne und die jetzt direkt auf mich gerichtet sind. „Kommen Sie ganz langsam heraus“, befiehlt die Stimme. Etwas fehlt in dieser Stimme, sie klingt abwesend, unmenschlich. Da wird mir klar: Sie halten mich für gefährlich. Für eine Verbrecherin. Und Verbrechern gegenüber haben sie gelernt, argwöhnisch zu sein. 8 Prolog „LANGSAMER!“, herrscht mich die schneidende Stimme an. Mit zitternden Beinen setze ich einen Fuß vor den anderen. Es wird der längste Gang meines Lebens. „SCHÖN LANGSAM! KEINE PLÖTZLICHEN BEWEGUNGEN!“, warnt mich eine andere tiefe Stimme. Panik steigt in mir auf und schnürt mir die Luft ab. Der dunkle Flur beginnt vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich kriege Angst, in Ohnmacht zu fallen. Ich stelle mir vor, wie ich in meinem blutgetränkten weißen Negligé zusammenbreche, und zwinge mich, bei Bewusstsein zu bleiben. Endlich erreiche ich die Frontlinie dieser Armada und spüre nur noch, wie ich am Arm gepackt und grob gegen eine Betonmauer gedrückt werde. Hände tasten mich von oben bis unten ab, dann legt sich das kalte Eisen der Handschellen um meine Handgelenke. „Ich habe einen Hund. Sie heißt Lucy. Bitte tun Sie ihr nichts“, flehe ich sie an. Nach einer gefühlten Ewigkeit ruft eine Polizistin: „SAUBER!“ Der Mann, der mich festhält, führt mich zu meiner Wohnzimmercouch. Lucy kommt zu mir angelaufen und leckt mir über die Beine. Sie hat Angst, das tut mir in der Seele weh. Ich versuche, die Tränen zurückzuhalten. „Sir“, sage ich mit zitternder Stimme zu dem Mann, der mir die Handschellen angelegt hat. „Würden Sie mir bitte sagen, was hier vor sich geht? Es muss sich um eine Verwechslung handeln.“ „Sie sind Molly Bloom?“ Ich nicke. „Dann ist es keine Verwechslung.“ Er hält mir ein Stück Papier hin. Ich beuge mich vor, die Hände noch immer fest auf den Rücken gefesselt. Ich lese nur die allererste Zeile. Dort steht in fetten schwarzen Lettern: Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Molly Bloom 9 Erster Teil Anfänger GLÜCK Anfängerglück (Substantiv) Das angebliche Phänomen, dass Anfänger im Poker unverhältnismäßig oft gewinnen. Kapitel 1 D ie ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbrachte ich im US-Bundesstaat Colorado, in einem kleinen Ort namens Loveland, vierundsiebzig Kilometer nördlich von Denver. Mein Vater war ein gutaussehender, charismatischer und kom plizierter Mann. Er war Psychologe, hatte eine eigene Praxis und lehrte an der Colorado State University. Die Erziehung seiner Kinder hatte für ihn höchste Bedeutung. Wenn meine Brüder und ich einmal nicht mit Bestnoten heimkamen, gab es einen Riesenärger. Zugleich ermutigte er uns aber auch unablässig, unsere eigenen Träume zu verfolgen. 13 Zu Hause war er warmherzig, liebevoll und lustig, aber in der Schule und im Sport verlangte er uns Höchstleistungen ab. In ihm brannte eine Leidenschaft, die furchteinflößend sein konnte. Nichts diente in unserer Familie der „Erholung“. Immer ging es da rum, seine eigenen Grenzen auszuloten und das Bestmögliche aus sich zu machen. Ich kann mich noch erinnern, wie Dad uns einmal in den Sommerferien weckte, um mit der Familie eine „Radtour“ zu machen – die damit endete, dass er uns einen mörderisch steilen Hang hinaufschickte, über fast tausend Höhenmeter, und das auf einem über dreitausend Meter hohen Berg. Mein jüngster Bruder Jeremy, der damals vielleicht sechs Jahre alt war, hatte ein Fahrrad ohne Gangschaltung. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er sich die Seele aus dem Leib strampelt, um mit uns mitzuhalten, und wie mein Dad ihn und uns anderen anschreit, wir sollen schneller fahren, wir sollen uns gefälligst anstrengen, und bloß keine Beschwerden. Jahre später fragte ich meinen Vater, woher dieser Eifer rührte. Er überlegte. Mittlerweile hatte er drei erwachsene Kinder, die seine kühnsten Erwartungen übertroffen hatten. Er war nun älter, ruhiger, gesetzter. „Es könnte zwei Gründe haben“, sagte er. „Erstens: Ich habe in meinem Leben und in meiner Karriere erlebt, was das Schicksal den Menschen alles antun kann, vor allem Frauen. Ich wollte, dass ihr dafür möglichst gut gerüstet seid.“ Er schwieg erneut. „Oder zweitens: Ich habe mich selbst in euch gespiegelt gesehen.“ Meine Mutter bildete den Gegenpol dazu: Sie brachte uns vor allem bei, mit anderen Menschen Mitgefühl zu haben. Das Wichtigste war ihrer Meinung nach, jedes Lebewesen freundlich zu behandeln. Und sie ging selbst als leuchtendes Beispiel voran. Meine wunderbare Mutter ist die sanftmütigste, liebevollste Person auf der Welt. Eine kluge, verständige Frau, die uns nicht von Erfolg zu Erfolg treiben musste, sondern uns ermutigte, zu träumen, und die alles dafür zu tun bereit war, dass unsere Träume wahr wurden. Als kleines Mädchen mochte ich Kostüme über alles, und mein liebster Tag im Jahr war Halloween. Sehnsüchtig wartete ich auf diesen Tag und malte 14 anfängerglück mir aus, wer oder was ich diesmal sein würde. Bei meinem fünften Halloween konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich eine Ente oder eine Fee sein wollte. Deshalb sagte ich meiner Mutter, ich wollte eine Entenfee sein. Meine Mutter verzog keine Miene. „Gut! Dann bist du dieses Jahr eine Entenfee.“ Die ganze Nacht nähte sie an meinem Kostüm. Ich sah natürlich lächerlich aus, aber wie sie mich und meine Brüder ganz unvoreingenommen in unserer Individualität unterstützte, bestärkte uns darin, unkonventionell zu sein und unsere eigenen Wege zu gehen. Sie reparierte die Autos, mähte den Rasen, erfand Lernspiele und Schatzsuchen, ging zu jedem Elternabend und legte zugleich immer Wert darauf, gut auszusehen und für meinen Vater einen Drink parat zu haben, wenn er von der Arbeit kam. Für unsere Erziehung spielten meine Eltern ihrer beider Stärken aus: Das Zusammenspiel ihrer weiblichen und männlichen Energie führte meine Brüder und mich durch unsere Kindheit. Diese Polarität hat uns geformt. Als ich klein war, fuhren wir jedes Wochenende mit der Familie zum Skifahren. Wir zwängten uns in unseren Kombi und fuhren zwei Stunden zu unserer winzigen Zweizimmerwohnung in Key stone. Noch unter den widrigsten Bedingungen – Sturm, Bauchschmerzen, fünfzig Grad unter null – waren wir immer als Erste auf dem Berg. Jordan und ich hatten durchaus Talent, aber mein Bruder Jeremy war ein wahres Wunderkind. Schnell zogen wir die Aufmerksamkeit des Cheftrainers auf der Buckelpiste auf uns, der uns in sein Training nahm und bald sogar auf Wettbewerbe schickte. Im Sommer verbrachten wir unsere Tage mit Wasserski, Radfahren, Joggen und Wandern. Meine Brüder spielten in den i-DötzchenTeams Fußball, Baseball und Basketball. Ich nahm an Turnwettbewerben und 5.000-Meter-Läufen teil. Wir waren die ganze Zeit in Bewegung und trainierten, um schneller, stärker, besser zu werden. Es machte uns nichts aus: Wir kannten es ja nicht anders. 15 Bei einem dieser 5.000-Meter-Läufe, ich war zwölf Jahre alt, verspürte ich plötzlich einen höllischen Schmerz zwischen den Schulterblättern. Nachdem mehrere Ärzte, die mich begutachteten, dieselbe Diagnose gestellt hatten, wurde ich einer Notoperation an der Wirbelsäule unterzogen. Ich litt an einer extremen, schnell fortschreitenden Wirbelsäulenverkrümmung. Meine Eltern saßen nervös im Wartezimmer, während mich die Ärzte in einer siebenstündigen Operation vom Hals bis zum Steißbein aufschnitten und meine Wirbelsäule richteten – sie sah aus wie ein S und bog sich in einem Winkel von dreiundsechzig Grad –, indem sie aus meiner Hüfte Knochen entnahmen, die elf verbogenen Rückenwirbel zusammenlegten und mit Metallplatten festtackerten. Nach der OP informierte mich der Arzt einfühlsam, aber bestimmt, dass meine Sportkarriere damit beendet sei. Er schwadronierte lang und breit, was ich nun alles nicht mehr würde machen können, aber dass man natürlich trotzdem ein erfülltes und normales Leben führen könne – was ich schon gar nicht mehr hörte, weil ich innerlich bereits abgeschaltet hatte. Mit dem Skifahren aufzuhören kam für mich überhaupt nicht infrage. Es gehörte einfach zu sehr zu unserer Familie. Ich brauchte ein ganzes Jahr, bis ich wieder gesund war. Ich bekam Hausunterricht und verbrachte die meiste Zeit im Bett. Sehnsüchtig sah ich meiner Familie hinterher, die jedes Wochenende ohne mich in die Ferne fuhr, wo sie über die Pisten raste oder hinaus auf den See schipperte, während ich zu Hause auf dem Bett hockte. Ich schämte mich für meine Metallplatten und meine körperliche Beschränktheit. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin. Umso entschiedener lehnte ich mich dagegen auf, mein Leben von meiner Krankheit bestimmen zu lassen. Ich wollte endlich wieder ein vollständiger Teil meiner Familie sein; ich wollte, dass mein Vater mich lobte und stolz auf mich war, und nicht, dass er mich bemitleidete. Jeder Tag, den ich allein daheim verbrachte, bestärkte mich in meinem Entschluss, mein Leben nicht länger untätig an mir vorüberziehen zu lassen. Sowie die Röntgenaufnahmen gezeigt hatten, dass meine 16 anfängerglück Rückenwirbel stabil zusammengewachsen waren, stand ich wieder auf der Piste und fuhr wild entschlossen meine Abfahrten, und nach einer halben Saison gewann ich den Wettbewerb in meiner Altersklasse. Mein jüngerer Bruder Jeremy hatte inzwischen die gesamte Freestylekonkurrenz im Sturm genommen. Mit seinen zehn Jahren stand er bereits ganz oben. Und auch in Leichtathletik und Fußball war er herausragend. Meinem Vater sagten seine Trainer, sie hätten noch nie jemanden gesehen, der so talentiert war wie Jeremy. Er war unser kleiner Goldjunge. Mein Bruder Jordan war auch ein guter Sportler, aber seine größte Stärke waren seine grauen Zellen. Er büffelte gern. Und er war ein Bastler, der alle Dinge einmal komplett auseinandernahm und dann die Einzelteile wieder ganz allein zusammentüftelte. Erfundene Gutenachtgeschichten interessierten ihn nicht; er wollte reale Begebenheiten aus der Menschheitsgeschichte hören. Jeden Abend hatte meine Mom eine neue Story über herausragende Weltenlenker oder visionäre Wissenschaftler für ihn parat, für die sie die Fakten recherchiert und dann eine spannende Geschichte daraus ersonnen hatte. Schon in jungen Jahren wusste Jordan, dass er Chirurg werden wollte. Ich kann mich noch an sein Lieblingsstofftier erinnern, Sir Dog. Sir Dog war Jordans erster Patient und musste so viele Operationen über sich ergehen lassen, dass er bald aussah wie Frankenstein. Mein Dad war entzückt über seinen genialen Sohn und seine Ambitionen. Meine Brüder hatten ihre Talente und Ziele sehr früh entwickelt, während ich zusehen musste, wie sie all die Ehrungen und Lobpreisungen erhielten, die ich mir so verzweifelt wünschte. Ich las und schrieb gern, und als Kind verbrachte ich ganze Tage in Büchern, Filmen und in meiner Fantasie. In der Grundschule hatte ich keine Lust, mit den anderen Kindern zu spielen; ich war sehr schüchtern und sensibel, sie machten mir Angst. Deshalb sprach meine Mutter mit der Schulbibliothekarin Tina Sekavic. Die erlaubte mir, mich wann immer ich wollte in der Bibliothek aufzuhalten, 17 und so verbrachte ich die nächsten paar Jahre dort und las Biografien über Frauen, die die Welt verändert hatten: Kleopatra, Johanna von Orléans, Queen Elizabeth und viele, viele andere. Zwar stammte die Idee von meiner Mutter, aber ich hatte sie flammenden Herzens aufgegriffen – mich faszinierten der Mut und die Entschlossenheit dieser Heldinnen, und ich beschloss, dass ich genau wie sie auf keinen Fall ein normales Leben führen wollte. Ich gierte nach Abenteuer; ich wollte mit meinem Leben ein Zeichen setzen. Als meine Brüder und ich ins Teenageralter kamen, waren Jordans schulische Leistungen nach wie vor überragend. Er durfte einen Test in Mathe und Naturwissenschaften ablegen und wurde, zwei Jahre jünger als ich, in beiden Fächern in meine Klasse versetzt. Jeremy brach alle Leichtathletikrekorde, führte seine Footballmannschaft zur Staatsmeisterschaft von Colorado und war stadtbekannt. Ich hatte gute Noten und war eine gute, manchmal sogar sehr gute Sportlerin. Aber ich hatte noch kein Talent offenbart, das ähnlich beeindruckend war wie das meiner Brüder. Das Gefühl des Ungenügens wurde immer größer, und immer größer wurde auch die Besessenheit, mich auf irgendeine Art endlich zu beweisen. Als wir älter wurden, engagierte sich mein Vater mehr und mehr für die Träume und Ziele meiner Brüder. Ich hatte es satt, immer nur am Rand zu stehen, ich wollte dieselbe Aufmerksamkeit und Anerkennung. Mein Problem war nur, dass ich eine Träumerin war und mich mit den Heldinnen aus meinen Büchern identifizierte. Mit meinen weltumspannenden Ambitionen konnte ich beim Pragmatismus meines Vaters kaum landen. Trotzdem sehnte ich mich nach seiner Anerkennung. „Jeremy wird mal Olympionike, Jordan wird Arzt. Aber was soll ich werden, Daddy?“, fragte ich ihn eines Morgens auf dem Skilift. „Na, du liest gern und du streitest dich gern“, sagte er. Ein zweifelhaftes Kompliment, wie mir schien. Fairerweise muss ich sagen, dass ich damals tatsächlich eine nervtötende Teenagerin war, die jede Meinung oder Entscheidung ihrer Eltern infrage stellte. 18 anfängerglück „Du könntest Anwältin werden.“ Und damit war es beschlossene Sache. Ich ging aufs College, studierte Politikwissenschaft und fuhr weiter meine Skiwettbewerbe. Um die Sache abzurunden, trat ich sogar in eine Studentinnenverbindung ein, aber als ich merkte, dass die obligatorischen sozialen Anforderungen der Verbindung meinen wahren Zielen im Wege standen, trat ich wieder aus. Ich musste viel lernen, um gute Noten zu erhalten, und noch härter trainieren, um meine körperliche Beschränktheit beim Skifahren zu kompensieren. Ich war besessen vom Erfolg, angetrieben von einem quasi angeborenen Ehrgeiz, vor allem aber von dem Bedürfnis nach Lob und Anerkennung. In dem Jahr, in dem ich ins United States Skiteam aufgenommen wurde, bat mich mein Vater zu einem Gespräch. „Molly, meinst du nicht, du solltest dich auf die Uni konzentrieren? Ich meine, wie weit wirst du es mit dem Skifahren bringen? Du hast doch schon alle Erwartungen übertroffen.“ Obwohl es niemand offen sagte, hatte nach meiner Wirbelsäulenoperation keiner mehr ernsthaft an meine Karriere als Skifahrerin geglaubt. Das war ein Schlag ins Gesicht für mich. Statt dass mein Vater mich mit demselben stolzen Lächeln beglückte, das Jeremy beschieden war, als er im Jahr zuvor ins Nationalteam aufgenommen wurde, versuchte er mich von meinen Plänen abzubringen. Aber der Schmerz befeuerte nur meine Entschlossenheit. Wenn keiner an mich glaubte, dann musste ich eben selbst an mich glauben. In dem Jahr belegte Jeremy landesweit den dritten Platz, und – was meine gesamte Familie in Schockstarre versetzte – ich ebenfalls. Ich habe noch das Bild vor mir, wie ich mit stolzgeschwellter Brust auf dem Siegerpodest stehe, die Medaille um den Hals, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Als ich abends nach Hause kam, versuchte ich den Schmerz in Rücken und Nacken zu ignorieren. Aber ich wollte nicht mehr unter Schmerzen leben und einfach so tun, als wären sie nicht da. Immer 19 meinem Superstarbruder nachzuhecheln und immer das Gefühl zu haben, mich beweisen zu müssen, hatte mich all meiner Kräfte beraubt. Ich war ausgelaugt. Aber ich hatte es ins Nationalteam geschafft und war Dritte geworden! Eine Genugtuung für mich. Aber jetzt war es an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen. Und zwar nach meinen eigenen Bedingungen. Ich hing die Skier an den Nagel. Ich fürchtete, die Entscheidung würde negative Konsequenzen für mich haben – die ich ungern erleben wollte –, obwohl ich im Grunde den Verdacht hegte, dass mein Vater trotz meines dritten Platzes erleichtert sein würde. Um mich aus der Affäre zu ziehen, schrieb ich mich für einen Studienkurs in Griechenland ein. Und ich genoss das prickelnde Gefühl der Fremdheit und Unsicherheit, das mich in diesem völlig fremden Land überfiel. Es gab Entdeckungen über Entdeckungen zu machen, überall lauerten Rätsel, die gelöst werden wollten. Plötzlich war meine Welt viel größer und reicher und drehte sich nicht mehr nur um die Anerkennung meines Vaters. Sollte doch irgendwo in der Ferne jemand das blaue Band im Buckelpistenfahren gewinnen oder sein Examen mit summa cum laude ablegen – mir war’s egal. Besonders faszinierten mich in Griechenland die Zigeuner. Aus meiner heutigen Sicht muss ich sagen, sie waren auch auf ihre Art Spieler. Sie suchten das Abenteuer und neue Perspektiven, sie scherten sich um keine Regeln und lebten ein freies, von allen Fesseln und Einschränkungen befreites Leben. Auf Kreta freundete ich mich mit ein paar Zigeunerkindern an. Ihre Eltern waren aufgegriffen und zurück nach Serbien verfrachtet worden, und jetzt waren sie ganz auf sich allein gestellt. Die Griechen sind sehr argwöhnisch gegenüber Ausländern, was kein Wunder ist angesichts ihrer langen Geschichte von Besetzungen. Ich kaufte den Kindern etwas zu essen und Medikamente für das Baby. Ich sprach ein umgangssprachliches Griechisch, das mit ihrer Mundart zumindest so viel Ähnlichkeit hatte, dass wir uns unterhalten konnten. Als der Anführer des Zigeunerstamms davon hörte, was 20 anfängerglück ich für die Kinder tat, lud er mich in sein Lager ein. Eine wundervolle Erfahrung! Ich beschloss, meine Examensarbeit über den juristischen Umgang mit nomadischen Völkern zu schreiben. Es machte mich traurig, dass diese Völker nicht frei umherziehen konnten, wie sie es jahrhundertelang getan hatten, und dass sie offenbar keinerlei Fürsprecher, keinen Repräsentanten hatten. Sie lebten ein ganz und gar freies Leben, das völlig anders war als das Leben, das ich gekannt hatte. Sie liebten Musik, Essen, Tanzen, sich zu verlieben, und wenn es ihnen an einem Ort nicht mehr gefiel, dann zogen sie einfach weiter. Dieser Stamm war entschieden dagegen zu stehlen und bestritt seinen Lebensunterhalt mit Kunst und Handel. Nach dem Ende meines Studienkurses blieb ich noch drei Monate länger, um durch das Land zu reisen. Ich übernachtete in Hostels, lernte interessante Leute kennen und erkundete viele neue Orte. Bei meiner Rückkehr in die USA war ich ein anderer Mensch. Meine Ausbildung war mir zwar immer noch wichtig, aber ebenso großen Wert legte ich nun auf Abenteuer und Lebenserfahrung. Und dann lernte ich Chad kennen. Chad war ein gutaussehender, smarter Typ, der sehr schnell reden konnte. Ein kleiner Gauner und Geschäftemacher. Er erklärte mir alles über gute Weine, lud mich in teure Restaurants ein, führte mich das erste Mal in die Oper aus und lieh mir tolle Bücher. Mit Chad war ich auch zum ersten Mal in Kalifornien. Die Fahrt entlang des Pacific Coast Highway werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Ich konnte es nicht fassen, dass es einen solchen Ort auf der Welt gab. Wir fuhren zum Rodeo Drive und aßen im Beverly Hills Hotel zu Mittag. Die Zeit schien beinahe stillzustehen, und unser Tag in Los Angeles war wunderschön und hätte immer so weitergehen können. Ich sah all die schönen Menschen, die so glücklich und zufrieden aussahen. Los Angeles wirkte eher wie ein Traum als wie ein Ort, der den Gesetzen der Wirklichkeit unterworfen wäre. Ich war schon seit Längerem unsicher, ob ich meinen ursprünglichen Plan, in Griechenland zu leben, wirklich in die Tat umsetzen wollte. Los 21 Angeles lieferte mir nun ein weiteres Argument dagegen. Ich beschloss, mir erst mal ein Jahr Auszeit zu nehmen, ohne Plan, ohne Struktur, um einfach nur zu leben. Den Winter hatte ich aus meinem Leben verbannt – mit meinen Brüdern war ich früher sogar im Sommer ins Skilager auf den Gletschern von British Columbia gefahren –, und auch all die Träume, die mein Vater für mich geträumt hatte, seit ich denken konnte. Die Vorstellung, unbekannte Wege einzuschlagen, versetzte mich in helle Begeisterung. Das Jurastudium würde wohl noch ein Jahr warten können. Chad tat alles, um mich in Colorado zu halten. Er kaufte mir sogar einen süßen kleinen Beagle-Welpen. Aber mein Entschluss stand fest. Ich dankte Chad für all das, was ich von ihm gelernt hatte – vor allem die Fähigkeit, selbst über mein Leben zu bestimmen. Aber: Ich liebte ihn nicht. Den Hund durfte ich trotzdem behalten. Ein Weibchen, dem ich den Namen Lucy gab. Sie hatte so schlechte Manieren, dass sie aus jeder Welpenbetreuung und aus jedem Obedience-Training flog. Aber sie war einfach so süß und so klug, und sie liebte und brauchte mich. Es war ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden. Meinen Eltern konnte ich meinen Entschluss noch so wortreich erläutern, sie weigerten sich strikt, meine Auszeit in Kalifornien zu finanzieren. Ich hatte von meinem Job als Babysitter den Sommer über knapp 2.000 Dollar zusammengespart und kannte in L. A. jemanden, der in meinem Skiteam gewesen war. Steve ließ mich, wenn auch ein wenig widerwillig, fürs Erste auf seiner Wohnzimmercouch übernachten. „Du brauchst einen Plan“, belehrte er mich am Telefon, als ich schon auf der Autobahn Richtung Los Angeles war. „L. A. ist nicht Colorado. Hier interessiert sich keiner für dich“, sagte er, um mich auf die harte Realität der Großstadt vorzubereiten. Aber wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, bringt mich niemand mehr davon ab; das war schon immer meine große Stärke, manchmal aber auch ein gravierender Nachteil. 22 anfängerglück „Mmm-hmm“, antwortete ich, den Blick auf den Horizont geheftet, unterwegs zu meinem nächsten Abenteuer. Lucy lag schlafend auf dem Beifahrersitz. „Was ist dein Plan? Hast du überhaupt einen Plan?“, fragte Steve. „Natürlich, ich hiev meinen dicken Arsch von deiner Couch, besorg mir einen Job und erobere die Welt“, frotzelte ich. Er seufzte. „Fahr vorsichtig“, sagte er. Steve war der Typ „risikoscheu“. Ich legte auf und sah auf die Straße, die vor mir lag. Es war fast Mitternacht, als ich auf der 405 endlich im Tal vor mir Los Angeles leuchten sah. So viele Lichter, und jedes erzählte seine eigene Geschichte. Es war das genaue Gegenteil von der nachtschwarzen Weite Colorados. In L. A. besiegte das Licht das Dunkel – und diese Lichter standen für eine unermessliche Welt, die darauf wartete, erkundet zu werden. Steve hatte seine Couch schon für mich und Lucy hergerichtet, und nach der siebzehnstündigen Autofahrt schliefen wir wie die Murmeltiere. Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, als die Sonne durch die Jalousien schien. Ich ging mit Lucy hinaus, um Gassi zu gehen. L. A. roch einfach himmlisch, nach Sonne und Blumen. Aber wenn ich hierbleiben wollte, brauchte ich einen Job, und zwar sofort. Ich hatte ein bisschen Erfahrung im Kellnern und hielt das für die beste Lösung, weil ich das Trinkgeld gleich auf die Hand bekam und nicht erst eine Woche warten musste, bis ich meinen Gehaltsscheck erhielt. Als ich in die Wohnung zurückkam, war Steve gerade aufgestanden. „Herzlich willkommen in L. A.“, sagte er. „Danke, Steve. Wo gehe ich deiner Meinung nach am besten hin, wenn ich einen Job als Kellnerin suche?“ „Am besten nach Beverly Hills, aber da ist es extrem schwer, was zu kriegen. Alle hübschen Mädels sind entweder Schauspielerin oder Model auf Arbeitssuche, und die kellnern alle. L. A. ist nicht …“ „Ich weiß, Steve: L. A. ist nicht Colorado. Ich weiß.“ Ich lächelte. „Wie komme ich nach Beverly Hills?“ 23 Er erklärte mir den Weg und wünschte mir mit skeptischer Miene viel Glück. Steve sollte recht behalten, die meisten Bars und Restaurants, in denen ich es probierte, hatten keinen Bedarf. Nach einer frostigen Begrüßung begutachtete mich die unweigerlich betörend gut aus sehende Empfangsdame mit einem schnellen verächtlichen Blick, um mir dann hochnäsig mitzuteilen, dass sie niemanden bräuchte, dass ich aber gern ein Bewerbungsformular ausfüllen könnte, wenn ich wollte, was allerdings reine Zeitverschwendung sei, weil es schon viel zu viele andere Bewerber gebe. Ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, als ich es doch noch in einem letzte Restaurant in der Straße versuchte. „Hi! Können Sie eine gute Kellnerin gebrauchen?“, fragte ich mit meinem strahlendsten und hoffnungsvollsten Lächeln. Anstelle einer schlanken, perfekt gebauten, hinterfotzigen Empfangsdame hatte ich plötzlich einen Herrn in den Vierzigern vor mir. „Sind Sie Schauspielerin?“, fragte er argwöhnisch. „Nein.“ „Model?“ „Nein.“ Ich lachte. Wenn ich einen guten Tag hatte, kam ich gerade auf meine 1,60 Meter. „Kann es passieren, dass Sie aus irgendeinem Grund zu irgendeinem Casting müssen?“ „Sir, ich weiß noch nicht mal, was das Wort bedeutet.“ Seine Gesichtszüge entspannten sich. „Ich habe eine Frühstücksschicht. Sie müssen um fünf da sein, und wenn ich fünf Uhr sage, dann meine ich vier Uhr fünfundvierzig.“ Ich bog meine Mundwinkel noch weiter nach oben, um mein Entsetzen über diese höchst unchristliche Zeit zu verbergen. „Kein Problem“, erwiderte ich mit fester Stimme. „Sie haben den Job“, sagte er. Dann erklärte er mir, wie meine Dienstkleidung auszusehen hatte: ein gebügeltes und gestärktes Anzugshemd, Schlips, schwarze Hose. „Und kommen Sie ja nicht zu spät, ich 24
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