Leseprobe

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Schwarten der Leidenschaft
Frank Hammerstein
(Leseprobe)
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»Ich bin satt«, sagte Kate und schob den Teller von sich.
Molly blickte sie fragend an. Drei Stunden hatte sie in der
Küche gestanden: Steaks geklopft, Kartoffeln geschält,
Gemüse gewaschen, Soße eingedickt. Und jetzt, nach zwei
gelangweilten Gabeln, hörte Kate einfach auf zu essen.
»Du hast die Kartoffeln noch nicht probiert«, meinte
Molly.
Statt zu antworten, nahm Kate die Zeitung von heute
Morgen und versteckte den Kopf darin. Molly sah, dass Kates
Augen sich nur auf ein Bild konzentrierten: die
Hauptschlagzeile, die Croustilliant Laufstegwochen,
Veranstalterin Dominique Vaullée, berühmt für
Kleiderschnipsel, die als Designermode durchgingen.
»Denkst du, eine Frau sollte so aussehen?«, fragte Molly
und schnitt sich ein Stück Fleisch.
Kate hob die Schultern und machte: »Hmm.«
»Kannst du die Zeitung beim Essen nicht weglegen?«
»Warum?«, fragte Kate zurück. »Wir essen doch
dauernd.«
Molly kaute langsamer. »Bis gestern hat dir das nichts
ausgemacht. Wir essen gerne. Was ist so schlimm daran?«
»Du meinst, bis auf die Atemnot, die Herzprobleme, der
Cholesterinspiegel und den Blick des Doktors, den ich bei
jedem Arztbesuch ertragen muss?«
Molly legte die Gabel beiseite.
Kate zeigte ihr die Titelseite und pochte darauf, dass das
Papier wütend knisterte. »Siehst du die hier? Die zweite von
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links? Mit der bin ich zur Schule gegangen. Greta Block.«
»Ja, und?«
»Wie Ja, und? Sieh sie dir an! Und sieh dir mich an. Ich
wiege mit Sicherheit drei Mal so viel.«
Molly zog eine Schnute. »Ich ebenfalls, aber habe ich kein
Problem damit.«
Kate schnaufte.
Sie schwiegen eine Weile, bis Molly sagte: »Es liegt auch
an den Genen, weißt du?!«
»Wir hatten diese Woche: Wie oft Pudding zum Dessert
gehabt? In unserem Kühlschrank stapeln sich die Kuchen.
Wann haben wir das letzte Mal Wasser getrunken?« Sie
raschelte mit der Zeitung, schlug sie auf. »Ja ... verdammte
Gene.«
Molly räumte den Tisch ab, stellte ihren leeren Teller in
den Geschirrspüler, kratzte Kates fast vollen Teller über dem
Mülleimer aus, bevor sie ihn zum dreckigen Geschirr
sortierte.
»Möchtest du Muffins?«, rief Molly aus der Küche.
Kate antwortete nicht.
Molly nahm die Muffins aus dem Ofen, holte einen aus
der Backform, wobei sie sich fast verbrannte, und betrachtete
ihn in ihren dicken Fingern.
Sie hätte am liebsten geheult, als sie in den viel zu heißen
Muffin biss, den Geschmack jedoch wegen der Hitze kaum
genießen konnte. Sie würgte ihn eher herunter, als dass sie
ihn aß. Sie warf den Rest in den Müll.
Molly und Kate gingen nach ein paar öden Stunden
Fernsehens ins Bett. Kate zog ihre Atemmaske gegen die
Schlafapnoe um, während Molly ein Frisuren-Magazin
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durchblätterte. Sie blickte zu Kate herüber, doch Kate sah
fragend zur Decke, das Atemgerät im Rhythmus pumpend.
»Wir könnten ein wenig Sport treiben«, meinte Molly.
»Joggen? Unsere Knie würden bei den ersten zehn Metern
explodieren.« Kates Stimme klang dumpf durch die
Atemmaske.
»Vielleicht schwimmen.«
»Du willst dich tatsächlich in einen Badeanzug
quetschen?«
Molly legte die Zeitschrift beiseite und fasste zärtlich
Kates Schulter. »Es gibt auch noch andere Möglichkeiten,
sich körperlich zu betätigen.«
Kate rückte schwerlich zur Seite und wandte ihr den
Rücken zu.
Molly seufzte und schaltete das Licht aus.
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2
Molly saß am Empfangstresen der Robert Schmalstein
Versicherung und stellte einem Herrn im teuren Anzug einen
Besucherausweis aus. »Sie müssen in den dritten Stock«,
meinte Molly und lächelte.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich kenne mich aus.« Er betrat den
Fahrstuhl hinter dem Empfang und verschwand einen
Moment später in den Eingeweiden des Gebäudes.
Molly blies die Backen auf und klopfte auf den Tresen. Es
war drei Uhr nachmittags; sie konnte den Feierabend bereits
riechen. Sie nahm ihr Handy zur Hand und schrieb Kate eine
Nachricht, was sie heute einkaufen sollte.
Normalerweise antwortete Kate ihr unverzüglich; dieses
Mal geschah nichts. Keine Antwort. Nach einer Viertelstunde
schrieb sie erneut: »Alles okay bei dir?«
»Ja«, schrieb Kate zurück.
»Bist du noch sauer wegen gestern?«
Es dauerte fünf Minuten, bis Kate zurückschrieb: »Habe
schon gegessen.«
Molly legte das Handy beiseite. Zwei Besucher später
wurde sie vom Nachtwächter Hank abgelöst, der zum
Feierabend alle Lichter löschen und alle Türen verschließen
würde.
Sie mochte Hank nicht. In seiner Aktentasche quollen
Waffenzeitschriften zwischen ungelösten
Kreuzwörterheftchen hervor. Das Hintergrundbild seines
Telefons war ein schwarzer Adler auf weiß-roter Flagge.
Auch wie er den dunkelhäutigen Mitarbeitern
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hinterherblickte, kam ihr komisch vor. Molly hatte keine feste
Meinung über Hautfarben, Religion oder Politik, aber immer,
wenn Hank sie nach ihrer Schicht ablöste, war sie froh, weiß
zu sein – das ersparte zumindest Schwierigkeiten mit ihm.
Hank warf die Tageszeitung auf den Tisch und meinte:
»Hast du gesehen, Molly? Diese Modefuzzies kommen in
unsere Stadt.«
»Habe ich mitbekommen. Es sind noch drei Besucher im
Haus.«
Er schien nicht zuzuhören und blickte stattdessen empört
auf die Zeitung. »Diese Croustilliant Laufstegwochen sind
doch nichts weiter als überteuerte Fetzen, die an
menschlichen Kleiderbügeln gezeigt werden.«
Dem stimmte Molly zu.
»Verkaufen hier ihre Ausländermode. Hab’ gehört, diese
Dominique Vaullée ist mit so ‘nem reichen Araber
verheiratet.«
Molly enthielt sich eines Kommentars.
»Gegen solche Leute müssen wir zusammenhalten, nicht
wahr, Molly?!«
»Ich muss jetzt gehen«, meinte Molly und nahm ihre
Handtasche.
»Dann ‘nen schönen Feierabend. Bleib wachsam. Diese
Ausländerveranstaltungen ziehen immer jede Menge
Ausländer an.«
Molly verließ das Gebäude und wünschte sich, Probleme
wie Hank zu haben– das Leben musste viel leichter sein,
wenn man so dachte.
Auf dem Heimweg fuhr sie am Supermarkt vorbei, hielt
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stattdessen bei einem Burgerladen, bestellte beim Drive-in
und aß schließlich allein im Auto.
Als Molly nach Hause kam, war Kate nicht daheim,
obwohl sie freitags früher Feierabend hatte. Molly dachte
sich vorerst nichts dabei. Sie ging in die Küche, um sich
Chips zu holen, doch als sie den Vorratsschrank öffnete,
blickte sie Plastikeimern mit glänzenden, effekterhaschenden
Labels entgegen. Whey Protein, Grüne-Tee-Kapseln und
Thermo-Komplex waren nur einige der zahlreichen Produkte,
die sie vor sich sah. Sie schob die Eimer und Fläschchen
beiseite und langte nach der dahinterliegenden Tüte.
Molly hockte eine Weile vor dem Fernseher, als Kate zur
Haustür hereinkam. Sie schwitzte, schnaufte und trug den
Jogginganzug, den sie vor ein paar Jahren im Ausverkauf
erworben hatte.
»Wo warst du?«, fragte Molly überflüssigerweise.
»Powerwalking«, sagte sie und dehnte ihre Glieder.
Molly lächelte abwertend. »Versuchst du es also wieder?«
»Dieses Mal schaffe ich es!«
»Wenn du meinst«, sagte Molly und aß einen Chip. »Du
warst einkaufen?«
»In diesem neuen Sportladen um die Ecke. Du hättest den
Verkäufer sehen sollen, als ich reingekommen bin.«
Molly setzte ein höhnisches Grinsen auf. Kate fuhr fort:
»Er fand es toll, dass ich mein Problem erkannt habe und
etwas dagegen unternehmen will.«
Molly ärgerte sich innerlich, dass der Verkäufer Kate nicht
verspottet hatte. Doch sie ließ Kate ihre Abnehmfantasien
ausleben. Aus Erfahrung wusste sie: Es war überflüssig, Kate
gut zuzureden oder ihr Vorwürfe zu machen – drum sagte sie
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nichts und aß weiter ihre Chips.
Kate würde bald wieder auf die Couch kommen. Sie kam
immer wieder.
»Wie war dein Tag?«, fragte Molly, während Kate ihre
verschwitzten Sachen abstreifte und sie in die
Waschmaschine warf.
»Gut. Weißt du noch, als ich dir von diesem Kater erzählt
habe, der diese Verkrustung unterm Auge hatte?«
»Ähh ...«
»Naja, auf jeden Fall hat der Doktor ihn heute
eingeschläfert. Natürlich musste ich seiner Besitzerin die
Nachricht überbringen. Sie hat ja so geweint. Dann hatte ich
ausversehen zwei Termine übereinandergelegt und eine Frau
mit einem Pudel und dieser Typ ... Wie hieß er noch ...? Der
mit den Kanarienvögeln, der ständig zwinkert ...Auf jeden
Fall er und die Frau sind zur selben Zeit in der Praxis
aufgelaufen. Ich war natürlich an allem schuld. Und
außerdem ...«
Molly hörte nur noch halb zu. Sie legte die leere Chipstüte
beiseite und schaltete den Fernseher lauter, während Kate ins
Bad ging und weiterredete.