25. WENDElstein-rundfahrt Text Auf gut bayerisch Kristian Bauer F oto s Simon Koy Schöne Berge, steile Straßen und eine zünftige Brotzeit – die Wendelstein-Rundfahrt bietet Radlspaß auf die bayerische Art W enn man Oberbayern als Radsportwüste sieht, dann wäre die Gemeinde Au am Fuße des Wendelstein eine grüne Oase. An einem Samstag Ende August, um sieben Uhr morgens, herrscht dort Hochbetrieb an der Startnummernausgabe: gut trainierte Waden und schnelles Material, wohin man blickt, dazu jede Menge Radtrikots, die verraten, dass ihre Träger aus der Gegend kommen. Zwischen zwei Holzschuppen geben die Helfer Hunderte von Startnummern und Streckenkarten aus. „Die Wendelstein-Rundfahrt ist mittlerweile der einzige Radmarathon in der Heimat. Die Teilnahme ist mehr oder weniger ein Muss“, meint Christian Vollmann, der mit seinen Freunden vom RRV Inntal auf die Strecke geht. Wenige Meter weiter treffen sich vor dem Vereinsheim des örtlichen Fußballclubs weitere Gruppen, um gemeinsam auf die Strecke zu gehen. Auch Paralympics-Sieger Wolfgang Sacher steht vor dem Startbogen: „I gfrei mi“, sagt er und grinst. Rennstress hat er in seiner Karriere oft genug gehabt, heute freut er sich wie die anderen Starter auf einen schönen Rennradtag ohne Druck. Radsportveranstaltungen im Süden der Republik haben einen eher schweren Stand. Immer 110 TOUR 11-2014 härter werden die Auflagen der Behörden und immer unübersichtlicher die Risiken der Veranstalter. Hinzu kommt die Überalterung vieler Vereine, weshalb auch die Helfer fehlen. Anders bei der Wendelstein-Rundfahrt. Mehr als 200 Ehrenamtliche unterstützen die RTF, und mit den Behörden läuft alles glatt. Eine Marathonstrecke über 205 Kilometer, eine Runde über 165 Kilometer, eine über 115 und die 50 Kilometer lange Familienrunde – das bieten andere Veranstalter in Deutschland auch. Aber Alpenpanorama, Passvergnügen und vor allem eine extra große Portion oberbayerischer Gemütlichkeit, das gibt’s nur am Wendelstein. Innerhalb weniger Tage sind die Startplätze jedes Jahr ausgebucht, obwohl bei der Wendelstein-Rundfahrt weder die Zeiten gemessen noch die Straßen gesperrt werden. Aber warum schafft es der SC Au als kleiner Skiverein, aus diesen Voraussetzungen die vielleicht beliebteste Radveranstaltung Oberbayerns zum machen? Voralpen-Büffet Vielleicht, weil Liebe durch den Magen geht. Gerade einmal 60 Kilometer stehen auf dem Tacho, da wird schon offensichtlich, was der Wendelstein-Rundfahrt ihren Ruf als längstes Büffet der Voralpen eingebracht hat: Auf den aneinandergereihten Biertischen türmen sich Äpfel und Bananen, dahinter Energieriegel, es folgen Joghurts, dann verlockend süße Kuchen, noch weiter hinten stapeln sich Wurstsemmeln, und gegenüber füllen Helfer Rührei in Plastikbecher. Verdursten muss natürlich auch niemand: An einer selbst gebauten Zapfanlage können die Radler ihre N atur Tief ducken sich die Wolken über den bayerischen Voralpen K u ltur Die Wallfahrtskirche in Wilparting trohnt seit drei Jahrhunderten über dem Irschenberg 11-2014 TOUR 111 Viele Radler Auf den ersten Kilo metern rollen kleine Gruppen nach Süden v i e l e R i n dv i e c h e r Die Landwirtschaft prägt die oberbayerischen Dörfer rund um den Wendelstein 112 TOUR 11-2014 Flaschen auffüllen – natürlich nicht mit Bier. Fünf Verpflegungsstationen gibt es auf der Strecke, und der Begriff Brotzeit umreißt, was an den drei bekanntesten geboten wird: in Sachrang Rührei, an der Krugalm Kässpatzen und in Pfisterer Bratwürste in der Semmel – natürlich immer zusätzlich zu Obst, Kuchen und Semmeln. Die Verpflegung ist legendär – das war schon in den Anfangsjahren so. Zum 25. Mal fand die Wendelstein-Rundfahrt in diesem Jahr statt – auf die kulinarischen Genüsse wurde vom ersten Jahr an Wert gelegt. Denn die Idee zur Veranstaltung kam ein paar Radbegeisterten aus dem Verein auf der Heimfahrt von einem Radmarathon, während der ihnen kräftig der Magen knurrte. Es war eine schöne, wenngleich komplett flache Strecke gewesen, und dann gab’s nicht einmal eine richtige Brotzeit – die Gruppe war enttäuscht. „Des kannt’n mir besser“, lautete das einhellige Fazit beim gemeinsamen Ausklang in der Wirtschaft. „Bei uns is’ viel schöner zum Radfahren, und an Berg ham mia a no“, war die Runde überzeugt. Gesagt, getan: 1990 lud man die ersten Radler nach Au ein, und Jahr für Jahr wurden es mehr. Am Skiclub-Stammtisch wurde jedes Jahr gewettet, wie viele Teilnehmer es werden würden. Eine D-Mark war der Einsatz, und wer gewinnen wollte, schätzte eine höhere Zahl als im Vorjahr. Doch 2008 drohte der Erfolg dem Verein über den Kopf zu wachsen. Als die Teilnehmerzahl Richtung 4.000 ging, war die Arbeit kaum mehr zu bewältigen, die Behörden drohten, die Genehmigung zu entziehen. Am Runden Tisch einigte man sich schließlich auf maximal 2.000 Teilnehmer auf den längeren Strecken, was für alle Beteiligten die beste Lösung war. So herrscht auch heute kein Gedränge rund um den Wendelstein. Am Sudelfeld haben die meisten Teilnehmer schon etwas Demut gelernt vor den Höhenmetern der bayerischen Voralpen. Einzelne Grüppchen von Radlern kurbeln schweigend die Straße von Oberaudorf zur Sudelfeldpasshöhe hinauf. Während in ihrem Rücken die spitzen Felszacken des Kaisergebirges über das Inntal wachen, liegt vor ihnen das sanftere Mangfallgebirge. Als langes Band schlängelt sich die Straße bergwärts. Die bayerischen Voralpen bieten nicht so eine imposante Kulisse wie die Dolomiten, aber grüne Almwiesen und die Sicht auf die Alpenkette haben auch ihren Reiz. Selbst die ambitionierte Sportlerseele kommt bei Steigungen bis 14 Prozent nicht zu kurz. Fast 3.000 Höhenmeter beinhaltet die Marathondistanz, und selbst auf der 50 Kilometer kurzen Familienrunde sammelt man noch 625 Höhenmeter. Die Serpentinen zum Gasthof Duftbräu bremsen schon nach 30 Kilometern allzu großen Übermut, die 800 Höhenmeter am Stück zum Sudelfeldpass erweisen sich als zäh, danach bildet die Fahrt durch die Valepp zum Spitzingsattel die finale Kür. Im- mer wieder klettert die Steigung auf zweistellige Werte – die Beine werden auf allen Runden gefordert. Und auch ohne Zeitnahme brennt der Ehrgeiz, wenn an den Anstiegen Fahrer überholen und sich mit kräftigen Tritten und roten Köpfen zur Passhöhe hocharbeiten. Familienausflug Während am Sudelfeld die Fahrer der mittleren Distanzen ihre Körner auf den Serpentinen einsetzen, stürzen sich die Radler der 50-Kilometer-Runde bereits am Irschenberg in die Abfahrt. Das lange Asphaltband schlängelt sich weithin sichtbar talwärts – in der Ferne reihen sich die Alpen auf. Felix Weiser aus Freising sitzt auf einem ein fachen Mountainbike und genießt den Spaß der Abfahrt. Hinter ihm fährt sein Bruder Lukas, auch die Eltern sind dabei. Felix ist zwar erst neun Jahre alt, aber schon zum vierten Mal dabei. Ein Familienausflug mit dem Rad – damit spricht die Wendelstein-Rundfahrt auch Teilnehmer an, die nicht das ganze Jahr auf dem Rennrad sitzen. Max Singer hat auch so angefangen. Der 35-Jährige hat die Wendelstein-Rundfahrt von der ersten Ausgabe an begleitet. Damals ging er als Zwölfjähriger mit anderen Kindern auf die Strecke. Mit Radsport hatte bis dahin keiner was am Hut – so war es eine Premiere in doppelter Hinsicht. Heute ist Singer im SC Au verantwortlich für die Orga nisation der Rundfahrt. Er kennt jede der unzähligen Kisten, in denen das Material eingelagert wird, er weiß, wo die Pläne für die Beschilderung sind und hat auch den direkten Draht zu Polizei und Behörden. Deren größte Sorge ist, dass aus der Rundfahrt ein Rennen werden könnte – und so passt es gut, dass die verführerisch gute Verpflegung den eher gemütlichen Charakter der Ver anstaltung betont. „Miteinander a schöne Radtour Rad-Menü Leckere Menüfolge Zum E instieg Rührei, gefolgt von Kässpatzen und Bratwurstsemmeln – das sind die Spezialitäten der ersten drei Verpflegungsstationen auf der 165-Kilometer-Strecke. Dazu gibt es immer auch Kuchen. K ru g a l m Die Krugalm gilt als schönste Verpflegungsstation der Strecke 11-2014 TOUR 113 fahr’n und a g’scheide Brotzeit dazu“, bringt Singer das Motto der Rundfahrt auf den Punkt. In diesem Sinne leistet auch Uli Mayr seinen Beitrag. Er ist verantwortlich für die Verpflegungsstation an der Krug alm, die bei vielen als die schönste der Strecke gilt: Bunte Blumen schmücken den Holzbalkon der Alm, daneben steht ein weißblauer Maibaum, davor laden Bierbänke und -tische zur Pause ein. In einem riesigen Edelstahlbehälter brutzelt Speck in der Butter, daneben wendet eine Helferin die fertigen Kässpatzen. Mayr lädt Nachschub aus einem großen Auto und plaudert mit den Radlern. 25 Leute sind alleine für diese Station verantwortlich – und erstaun licherweise sei es gar nicht schwer, die Helfer zusammenzubekommen, sagt Mayr. „Manche planen sogar ihren Urlaub so, dass sie mithelfen können.“ Woran das liegt? „Die Stimmung an der Krugalm ist familiär, man merkt, dass die Leut’ gut drauf sind.“ Skiclub oder Radclub? H au p t- An s t i e g Die lange Auffahrt zum Sudelfeld gehört zu den Höhepunkten der Rundfahrt WendelsteinRundfahrt Veranstaltet wird die Rundfahrt seit 1990 vom Ski-Club Au. Termin für 2015: 22. August. In den vergangenen Jahren wurden Strecken über 50, 115, 165 und 205 Kilometer angeboten. Die kürzeste Runde hat 625 Höhenmeter, auf der Marathondistanz sind es 2.960. Für die 50 Kilometer-Variante gibt es auch kurzfristig Startplätze. Für alle anderen Strecken sollte man sich frühzeitig anmelden, da die Plätze schnell vergeben sind. Wer den Newsletter abonniert, verpasst den Anmeldestart (im Mai) nicht. Das Startgeld lag 2014 je nach Distanz bei 18 bis 33 Euro. Die Strecken verlaufen überwiegend auf verkehrsarmen Nebenstraßen. Startort ist der Ortsteil Au der Gemeinde Bad Feilnbach im Landkreis Rosenheim. Die drei längeren Runden führen in einer Schleife über das benachbarte Tirol zum Sudelfeld. Die kurze Familienstrecke führt über den Irschenberg. Info www.wendelsteinrundfahrt.de 114 TOUR 11-2014 H au p t- O r g a n i sator Max Singer ist beim SC Au für die Organisation der Rundfahrt zuständig Viele Helfer stehen schon am Vortag der Rundfahrt bereit. Einer nach dem anderen kommt zum Vereinsheim, um mitzuhelfen. Die Frauen aus dem Ort haben Kuchen ge backen, Vereinsmitglieder die Beschilderung nach einem vorgegebenen Plan auf der Strecke verteilt. Die Älteren waren ebenso dabei wie die Jüngeren. Dass die Mitarbeit so gut funktioniert, liegt vielleicht auch am spürbaren Nutzen für den ganzen Verein. Mit den Einnahmen aus der Wendelstein-Rundfahrt werden die Skifahrten im Winterhalbjahr ebenso finanziert wie der Neubau des Vereinsheims. Neueste Investition: ein eigener Fitnessraum mit Indoor-Cycle-Rädern, Crosstrainern, Ruder geräten, und einem Laufband; die sichtbare Belohnung für die M ithilfe bei der Organisation. Freilich wäre Bayern nicht Bayern, wenn nicht auch ein paar Grantler etwas am Erfolg der Rad-Veranstaltung auszusetzen hätten. „San mia eigentlich noch a Skiclub oder a Radlclub?“, musste sich der Vorstand angesichts des Trubels um die Wendelstein-Rundfahrt schon fragen lassen. Von der Suche nach der Vereins-Identität bekommen die Teilnehmer jedoch wenig mit. Der Zielbereich in Au füllt sich langsam. Die Gesichter, die man morgens am Start gesehen hat, bevölkern jetzt die Bierbänke neben dem Fußballplatz. Trotz des eher schlechten Wetters, das die Veranstaltung begleitet hat, drängen nur wenige Radler gleich zu ihren Autos und nach Hause. Die Blaskapelle „Auer Musi“ posaunt schönste Dorffest-Stimmung unters Volk, an den Biertischen lassen die Radler den Tag ausklingen. Dahinter werden die „Erinnerungspreise“ aus gegeben: Ein Radtrikot, ein Weißbierglas, ein Handtuch, oder ein selbstgemachter „Wendelstein“ stehen zur Auswahl. Es sind diese kleinen Dinge, die den Charme der Wendelstein-Rundfahrt ausmachen. Auch im nächsten Jahr wird sie wieder ausgebucht sein – dass der Skiclub was vom Radsport versteht, hat sich längst herumgesprochen. Auch Wolfgang Sacher kommt jetzt ins Ziel und ist zu frieden. „Eine super geile Strecke – wer da ned mitfahrt, dem entgeht was“, lautet sein Fazit. Zum Abschluss des gelungenen Radeltags fehlt Sacher dann nur noch eines: „Jetzt kauf i mir a Weißbier.“ DIE BESTEN SEITEN DES RADSPORTS Jetzt zum Sonderpreis testen + Geschenk gratis! 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