SEITE 10 Die Gleichung, die Grillen fliehen lässt n Kämpfe unter Artgenossen sind völlig normal. Um Futter oder Partner konkurrieren die Tiere eben. Aber eine ernste Verletzung wollen sie partout vermeiden. Kosten und Nutzen einer Kampfhandlung sind abzuschätzen. Aber wie soll das gehen, wenn kein rationales Denken möglich ist? Für die besonders kampfeslustigen Grillen ist nun klar: Es gibt einen Mechanismus. Dabei werden wichtige Informationen sozusagen addiert – ist das Maß voll, entscheiden sich die Grillen zur Flucht. Kurios: Selbst der theoretisch starke Gewinner ist anschließend vor allem stark anfällig für negative Erfahrungen. Forscher um den Neurobiologen Paul Stevenson von der Universität Leipzig erklären diese Phänomene mit der Freisetzung des natürlichen Botenstoffs Stickoxid ins Gehirn. Ihre Erkenntnisse haben sie in der OnlineFachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht. "Entscheidend für den Ausgang eines Kampfes ist nicht unbedingt, ob eine Grille wirklich stärker ist als ihr Kontrahent – sondern wie viel der bereit ist einzustecken", erläutert Stevenson. "Selbst eine Grille, die blind ist oder ihre kräftigen Mandibeln, ihre Mundwerkzeuge, nicht benutzen kann, tritt zum Kampf an. Und ihr scheinbar klar überlegener Gegner gibt oft auf, ohne ersichtlichen Grund." Der Engländer glaubt, den Grund nun zu kennen. "Auch die eigentlich unterlegene Grille teilt aus, mit Drohgebärden, Geräuschen, Schlägen. Ihr Gegner addiert diese Informationen – bis zu einem gewissen Punkt. Ist der erreicht, beendet Foto: Dr. Jan Rillich / FU Berlin Kämpfe zwischen Grillen: Forscher fanden heraus, warum der Stärkere nicht immer der Gewinner sein muss Eine kampfbereite Grille: Wer mehr droht und sich aufplustert, der hat im Grillenreich eine gute Chance, kampflos als Gewinner aus einem Konflikt hervorzugehen. er den Kampf, gegebenenfalls als Verlierer." Im Grillenkörper werde bei jedem Negativerlebnis ein Enzym aktiviert, das wiederum ein Gas freisetze: Stickoxid. "Dieser Botenstoff macht Tiere weniger aggressiv, auch bei Säugetieren ist das so. Die Gleichung ist einfach: Je mehr davon zusammenkommt, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Flucht." Die Wissenschaftler haben nun in ihren Versuchen das Freisetzen des Stickoxids bei je einer Grille blockiert. Mit der Blockade im Körper bleibt eine blinde Grille lange aggressiv genug, um als Sieger aus dem Kampf hervorgehen zu können – und selbst eine Grille mit gelähmten Mandibeln kann gewinnen. Die Treffer, die sie einsteckt, können zahlreich sein – aber beim Kontrahenten ist schneller der Punkt erreicht, an dem er aufgibt. Was macht der Gegner? Wie viel Stickoxid wird freigesetzt? Darum gehe es, so der Leipziger Forscher. Doch in dem Fachartikel, den Stevenson und sein CoAutor Dr. Jan Rillich von der Freien Universität Berlin verfasst haben, gibt es noch ein zweites Thema: die Phase direkt nach dem Grillenkampf. "Normalerweise ist der Sieger besonders aggressiv und geht sozusagen gestärkt aus dem Kampf hervor", sagt Stevenson. "Aber nicht bei einem direkten Folgekampf gegen einen neuen Konkurrenten, dann gibt er schnell auf." Die Gleichung aus Kampf Nummer eins gelte noch immer, zumindest für eine kurze Zeit. "Die neuen Gegentreffer werden zu den bisherigen addiert." Die Aggression, die nötig sei, um sich dem Kampf zu stellen, werde unterdrückt – es sei denn, eine Stickoxid-Blockade wirkt. "Grillen haben also eine Strategie, der aber keine höhere kognitive Leistung zugrunde liegt, sondern eine Addition gegnerischer Reize", fasst Paul Stevenson die neuen Erkenntnisse zusammen. "Dieser Mechanismus hat mit Stickoxid zu tun." Nun ließe sich zum Beispiel fragen, wie sich das bei anderen Tieren verhält, oder auch bei Menschen. Ist eine Denkleistung entscheidend oder sind es vielleicht auch solch simpel anmutenden Prozesse? Denkbar sei, so Stevenson, dass Ergebnisse wie die jetzt präsentierten irgendwann zum Beispiel bei der Behandlung posttraumatischer Belastungen eine RolCarsten Heckmann le spielen können. Gross wird Direktor des Dubnow-Instituts n Prof. Dr. Raphael Gross ist seit dem 1. April 2015 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Er tritt dort die Nachfolge von Prof. Dr. Dan Diner an und übernimmt gleichzeitig den Lehrstuhl für Jüdische Kultur und Geschichte an der Universität Leipzig. Im Zuge dessen beendet er seine Leitungstätigkeiten im Jüdischen Museum Frankfurt, am Fritz Bauer Institut Frankfurt sowie am Leo Baeck Institut London. Professor Gross wird diese Führungspositionen übergangsweise zur Sicherstellung der jeweiligen Nachfolge noch wahrnehmen. Zwischen dem Jüdischen Museum in Frankfurt am Main, das von ihm noch bis zum 30. April 2016 geleitet werden wird, und dem Simon-DubnowInstitut in Leipzig soll eine enge und nachhaltige Kooperation entstehen. Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange, erklärt: "Ich freue mich sehr, dass wir mit Herrn Professor Raphael Gross einen so renommierten Wissenschaftler für das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig ge- LIEBIGSTRASSE AKTUELL | winnen konnten. Ich heiße ihn herzlich in Sachsen willkommen und bin mir sicher, dass er die erfolgreiche Arbeit des Instituts unter der Leitung von Prof. Dan Diner weiter voranbringen wird. Er kennt die Leipziger Einrichtung, war bereits Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und wird mit seiner Internationalität auch die Forschungszusammenarbeit mit zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in aller Welt stärken." Die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Beate A. Schücking, sagt: "Mit Professor Raphael Gross ist es gelungen, einen international wirkenden und renommierten Wissenschaftler zu gewinnen. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm und befinden uns schon in intensiven Gesprächen, um die Kooperation mit der Universität Leipzig auf eine breitere Basis zu stellen." Das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur e.V. ist ein An-Institut der Universität Leipzig zur Erforschung der jüdischen Lebenswelten vornehmlich in Mittel-, Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa mit interdisziplinären Zugängen von der frühen Neuzeit bis in die Moderne. Es beschäftigt derzeit mehr als Foto: Swen Reichhold / Universität Leipzig Wissenschaftler aus Frankfurt/Main tritt die Nachfolge von Prof. Dan Diner an Prof. Dr. Raphael Gross wird neuer Direktor des Simon-Dubnow-Instituts. 30 Personen auch in Drittmittelvorhaben und ist international dicht vernetzt. Als national und international anerkanntes Forschungsinstitut im Bereich der jüdischen Studien strebt es eine Aufnahme in die Bund-Länder-Finanzierung an. Grundlegend für die Weiterentwicklung der Institutsarbeit sind für Professor Gross die transnationale Dimension jüdischer Geschichte und ihre Einbindung in die allgemeine Geschichte vor und nach dem Holocaust. "Das Simon-Dubnow-Institut hat in Leipzig eine eigene Tradition jüdischer Geschichtsschreibung begründet. Im Zentrum steht dabei das komplizierte Wechsel- und Spannungsverhältnis zwischen jüdischer Geschichte und allgemeiner Geschichte – und zwar sowohl methodisch als auch inhaltlich. Die bestehenden Schwerpunkte möchte ich beibehalten und gleichzeitig fortentwickeln. Am Anfang werde ich mich besonders um Impulse zur 'Jewish Intellectual History in Context' bemühen. Außerdem soll zusammen mit der Universität Leipzig ein neuer Studiengang 'Jewish Visual Cultures' eingerichtet werden. Auch als Konsequenz meiner bisherigen Forschung werde ich zudem großes Gewicht auf die Geschichte jüdischer Juristen legen, ein für Vergangenheit und Gegenwart deutscher juristischer Entwicklungen besonders wichtiges Forschungsfeld. Mein eigenes Forschungsprojekt über Hans Kelsen passt genau in diesen Bereich." CH
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