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Die Gleichung, die Grillen fliehen lässt
n Kämpfe unter Artgenossen sind
völlig normal. Um Futter oder Partner konkurrieren die Tiere eben.
Aber eine ernste Verletzung wollen
sie partout vermeiden. Kosten und
Nutzen einer Kampfhandlung sind
abzuschätzen. Aber wie soll das gehen, wenn kein rationales Denken
möglich ist? Für die besonders kampfeslustigen Grillen ist nun klar: Es
gibt einen Mechanismus. Dabei werden wichtige Informationen sozusagen addiert – ist das Maß voll, entscheiden sich die Grillen zur Flucht.
Kurios: Selbst der theoretisch starke
Gewinner ist anschließend vor allem
stark anfällig für negative Erfahrungen. Forscher um den Neurobiologen
Paul Stevenson von der Universität
Leipzig erklären diese Phänomene
mit der Freisetzung des natürlichen
Botenstoffs Stickoxid ins Gehirn. Ihre
Erkenntnisse haben sie in der OnlineFachzeitschrift "Science Advances"
veröffentlicht.
"Entscheidend für den Ausgang eines
Kampfes ist nicht unbedingt, ob eine
Grille wirklich stärker ist als ihr Kontrahent – sondern wie viel der bereit ist
einzustecken",
erläutert
Stevenson.
"Selbst eine Grille, die blind ist oder ihre
kräftigen Mandibeln, ihre Mundwerkzeuge, nicht benutzen kann, tritt zum
Kampf an. Und ihr scheinbar klar überlegener Gegner gibt oft auf, ohne ersichtlichen Grund."
Der Engländer glaubt, den Grund nun
zu kennen. "Auch die eigentlich unterlegene Grille teilt aus, mit Drohgebärden,
Geräuschen, Schlägen. Ihr Gegner addiert diese Informationen – bis zu einem
gewissen Punkt. Ist der erreicht, beendet
Foto: Dr. Jan Rillich / FU Berlin
Kämpfe zwischen Grillen: Forscher fanden heraus, warum der Stärkere nicht immer der Gewinner sein muss
Eine kampfbereite Grille: Wer mehr droht und sich aufplustert, der hat im Grillenreich eine gute
Chance, kampflos als Gewinner aus einem Konflikt hervorzugehen.
er den Kampf, gegebenenfalls als Verlierer." Im Grillenkörper werde bei jedem
Negativerlebnis ein Enzym aktiviert, das
wiederum ein Gas freisetze: Stickoxid.
"Dieser Botenstoff macht Tiere weniger
aggressiv, auch bei Säugetieren ist das so.
Die Gleichung ist einfach: Je mehr davon
zusammenkommt, desto höher die
Wahrscheinlichkeit der Flucht."
Die Wissenschaftler haben nun in ihren
Versuchen das Freisetzen des Stickoxids
bei je einer Grille blockiert. Mit der Blockade im Körper bleibt eine blinde Grille
lange aggressiv genug, um als Sieger aus
dem Kampf hervorgehen zu können –
und selbst eine Grille mit gelähmten
Mandibeln kann gewinnen. Die Treffer,
die sie einsteckt, können zahlreich sein –
aber beim Kontrahenten ist schneller der
Punkt erreicht, an dem er aufgibt.
Was macht der Gegner? Wie viel Stickoxid wird freigesetzt? Darum gehe es, so
der Leipziger Forscher. Doch in dem
Fachartikel, den Stevenson und sein CoAutor Dr. Jan Rillich von der Freien Universität Berlin verfasst haben, gibt es
noch ein zweites Thema: die Phase direkt
nach dem Grillenkampf. "Normalerweise
ist der Sieger besonders aggressiv und
geht sozusagen gestärkt aus dem Kampf
hervor", sagt Stevenson. "Aber nicht bei
einem direkten Folgekampf gegen einen
neuen Konkurrenten, dann gibt er
schnell auf." Die Gleichung aus Kampf
Nummer eins gelte noch immer, zumindest für eine kurze Zeit. "Die neuen Gegentreffer werden zu den bisherigen addiert." Die Aggression, die nötig sei, um
sich dem Kampf zu stellen, werde unterdrückt – es sei denn, eine Stickoxid-Blockade wirkt.
"Grillen haben also eine Strategie, der
aber keine höhere kognitive Leistung zugrunde liegt, sondern eine Addition gegnerischer Reize", fasst Paul Stevenson die
neuen Erkenntnisse zusammen. "Dieser
Mechanismus hat mit Stickoxid zu tun."
Nun ließe sich zum Beispiel fragen, wie
sich das bei anderen Tieren verhält, oder
auch bei Menschen. Ist eine Denkleistung entscheidend oder sind es vielleicht
auch solch simpel anmutenden Prozesse?
Denkbar sei, so Stevenson, dass Ergebnisse wie die jetzt präsentierten irgendwann zum Beispiel bei der Behandlung
posttraumatischer Belastungen eine RolCarsten Heckmann
le spielen können.
Gross wird Direktor des Dubnow-Instituts
n Prof. Dr. Raphael Gross ist seit dem
1. April 2015 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte
und Kultur an der Universität Leipzig.
Er tritt dort die Nachfolge von Prof. Dr.
Dan Diner an und übernimmt gleichzeitig den Lehrstuhl für Jüdische Kultur
und Geschichte an der Universität Leipzig. Im Zuge dessen beendet er seine
Leitungstätigkeiten im Jüdischen Museum Frankfurt, am Fritz Bauer Institut
Frankfurt sowie am Leo Baeck Institut
London.
Professor Gross wird diese Führungspositionen übergangsweise zur Sicherstellung der jeweiligen Nachfolge noch
wahrnehmen. Zwischen dem Jüdischen
Museum in Frankfurt am Main, das von
ihm noch bis zum 30. April 2016 geleitet
werden wird, und dem Simon-DubnowInstitut in Leipzig soll eine enge und
nachhaltige Kooperation entstehen.
Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange,
erklärt: "Ich freue mich sehr, dass wir mit
Herrn Professor Raphael Gross einen so
renommierten Wissenschaftler für das
Simon-Dubnow-Institut in Leipzig ge-
LIEBIGSTRASSE AKTUELL
|
winnen konnten. Ich heiße ihn herzlich
in Sachsen willkommen und bin mir sicher, dass er die erfolgreiche Arbeit des
Instituts unter der Leitung von Prof. Dan
Diner weiter voranbringen wird. Er
kennt die Leipziger Einrichtung, war bereits Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und wird mit seiner Internationalität
auch die Forschungszusammenarbeit
mit zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in aller Welt stärken."
Die Rektorin der Universität Leipzig,
Prof. Dr. Beate A. Schücking, sagt: "Mit
Professor Raphael Gross ist es gelungen,
einen international wirkenden und renommierten Wissenschaftler zu gewinnen. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm und befinden uns
schon in intensiven Gesprächen, um die
Kooperation mit der Universität Leipzig
auf eine breitere Basis zu stellen."
Das Simon-Dubnow-Institut für jüdische
Geschichte und Kultur e.V. ist ein An-Institut der Universität Leipzig zur Erforschung der jüdischen Lebenswelten vornehmlich in Mittel-, Ostmittel-, Ost- und
Südosteuropa mit interdisziplinären Zugängen von der frühen Neuzeit bis in die
Moderne. Es beschäftigt derzeit mehr als
Foto: Swen Reichhold / Universität Leipzig
Wissenschaftler aus Frankfurt/Main tritt die Nachfolge von Prof. Dan Diner an
Prof. Dr. Raphael Gross wird neuer Direktor
des Simon-Dubnow-Instituts.
30 Personen auch in Drittmittelvorhaben
und ist international dicht vernetzt. Als
national und international anerkanntes
Forschungsinstitut im Bereich der jüdischen Studien strebt es eine Aufnahme in
die Bund-Länder-Finanzierung an.
Grundlegend für die Weiterentwicklung
der Institutsarbeit sind für Professor
Gross die transnationale Dimension jüdischer Geschichte und ihre Einbindung
in die allgemeine Geschichte vor und
nach dem Holocaust. "Das Simon-Dubnow-Institut hat in Leipzig eine eigene
Tradition jüdischer Geschichtsschreibung
begründet. Im Zentrum steht dabei das
komplizierte Wechsel- und Spannungsverhältnis zwischen jüdischer Geschichte
und allgemeiner Geschichte – und zwar
sowohl methodisch als auch inhaltlich.
Die bestehenden Schwerpunkte möchte
ich beibehalten und gleichzeitig fortentwickeln. Am Anfang werde ich mich besonders um Impulse zur 'Jewish Intellectual History in Context' bemühen.
Außerdem soll zusammen mit der Universität Leipzig ein neuer Studiengang
'Jewish Visual Cultures' eingerichtet werden. Auch als Konsequenz meiner bisherigen Forschung werde ich zudem großes
Gewicht auf die Geschichte jüdischer Juristen legen, ein für Vergangenheit und
Gegenwart deutscher juristischer Entwicklungen besonders wichtiges Forschungsfeld. Mein eigenes Forschungsprojekt über Hans Kelsen passt genau in
diesen Bereich."
CH