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ÖSTERREICH SPIEGEL
70.2015 Sommer
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10 | Schwerpunkt: Zusammenhalt
Frühling 2015, Claus Reitan
31.03.2015
Wunsch zum
70. Geburtstag
Mehr zeigen als Gewalt
D
spenden für die gruft statt vieler geschenke
Franz Reindl wollte kein Geburtstagsgeschenk
bekommen, das er ohnehin nicht braucht. Deshalb
hat sich der 70-Jährige für seinen runden Geburtstag etwas Außergewöhnliches überlegt: Anstatt
ihm Geschenke zu überreichen, hat er Freunde und
Familie gebeten, für die Gruft der Caritas Wien zu
spenden: „Ich wollte etwas für die Menschen tun,
denen es nicht so gut geht wie uns“, sagt Reindl.
Und das hat gut funktioniert – schon drei Wochen
vor der Geburtstagsfeier haben Freunde Säcke
und Kartons gebracht. „Manche haben zu Hause
geschaut, was sie hergeben können. Andere waren
extra einkaufen“, schildert Reindl. Nach dem
Geburtstagsfest hat der 70-Jährige gemeinsam mit
seiner Frau Claudia drei Autoladungen in die Gruft
gebracht: 40 Kartons und 20 Säcke, gefüllt mit
Kleidung, Hygieneartikeln und Lebensmitteln,
davon allein 23 Liter Speiseöl.
„Wir haben uns sehr gefreut“, sagt Elisabeth
Pichler, stellvertretende Leiterin der Gruft. Denn
brauchen könne man immer was. Am dringendsten
benötigt werden derzeit Feuerzeuge, Sportschuhe,
Jeans, waschbare Wolldecken, Sirup und Speiseöl.
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as gesellschaftliche Klima wird schärfer.
Unruhen, Attentate und Terror entsetzen
die Öffentlichkeit. Diese verbindet mit arabischen
und islamischen Ländern Aufstände sowie Auspeitschungen und Hinrichtungen. So berichten die
Medien, meist korrekt, gelegentlich zugespitzt,
manchmal vereinfacht. Die Öffentlichkeit ist auf
Nachrichten angewiesen, um sich ein Bild von der
Welt zu machen. Doch wenn wir uns nur mit den
berichteten Grausamkeiten beschäftigen, wird es
uns nicht gelingen, andere Religionen und Kulturen
zu verstehen. Schon gar nicht werden wir so Verständigung und Zusammenhalt herstellen. Genau
dazu aber vepflichten Offenbarungsreligionen – wie
Judentum, Christentum und Islam – ihre Gläubigen.
Verbrechen sind zu verurteilen, die Würde des
Menschen ist durchzusetzen. Überall. Berechtigte
Revolte und illegitime Herrschaft sind beim Namen
zu nennen. Darüber ist zu reden – aber nicht nur
über TV-Schreckensbilder eines Terrors im Namen
des Islam, den dessen Gelehrte ausdrücklich verurteilen. Wir müssen unseren Blick erweitern. Das
ist der erste Schritt zu jenem Zusammenhalt, den
alle wünschen, und den Medien zu fördern haben,
indem sie mehr zeigen als Gewalt.
Medien sollen Zusammenhalt im Alltag thematisieren.
08.04.2015, Werner Rosenberger
Singen für die Kinder Südafrikas
Integration macht
Schule
KEN HOWARD | METROPOLITAN OPERA
„An der Lyric Opera of Chicago war er
zuletzt Wagners Tannhäuser. In der
New Yorker MET ist er in derselben
Partie im Herbst in einer alten OttoSchenk-Inszenierung zu hören.
Heute Mittwoch steht Johan
Botha noch einmal als Parsifal auf
der Bühne der Wiener Staatsoper.
Und ein Herzensanliegen ist
für den Tenor und künstlerischen
Botschafter Südafrikas, mit Pretty
Yende am 20. April im Wiener
Konzerthaus ein Benefiz mit Opernund Operettenklassikern für das
Nelson-Mandela-Kinderkrankenhaus in der Sieben-Millionen-Metropole Johannesburg, zu singen.
„Es wird das zweite in Südafrika Opernsänger Johan Botha sammelt in Wien Spenden für Südafrika.
sein und war auch der große Traum
aufgewachsen ist, und „nie verstanden hat, warum
von Nelson Mandela“, sagt Botha im KURIERSchwarze weniger wert sein sollten als Weiße“: „Als
Gespräch. „Dafür sammeln wir Geld. Auf dem rieMandela nach 27 Jahren 1990 aus dem Gefängnis
sigen Kontinent Afrika gibt es überhaupt nur fünf
entlassen wurde, hätte er sagen können: ,Krieg!‘
Kinderspitäler. Und das ist viel zu wenig.“
Aber Mandela hat das Gegenteil getan. Er ist der
Mit einem „Ohrwurm-Programm“, so Botha,
einzige Mensch, den ich in meinem Leben gesehen
feiert man das 20-Jahr-Jubiläum der Demokratie in
habe, der die Bibel gelebt hat, wie es sein soll. Er
Südafrika: Arien von Verdi, Donizetti, Bellini, Giacomo
hat auf Vergebung und Versöhnung gesetzt und
Puccini, Lehár und Johann Strauß. Gewidmet dem
dazu aufgerufen, gemeinsam eine Nation zu bilden,
ersten demokratisch gewählten Präsidenten Nelson
damit unsere Kinder miteinander in Frieden leben
Mandela.
können. Das schätze ich an ihm. Das ist sein VerIhn bewundert Botha, der auf der Farm seines
mächtnis.“
Großvaters in Südafrika zur Zeit der Apartheid
Frühling 2015
„Ob Hobbys, Einstellungen, Lebenspläne oder eben
die Herkunft – die Jugendlichen in meiner Klasse
unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht“, sagt
Manfred Schwarzgruber. „Diese Vielfalt kann
manchmal zu Verunsicherung und Angst und im
schlimmsten Fall zu Gewalt führen.“ Um das von
vornherein zu vermeiden, hat der Lehrer für politische Bildung das Projekt „Wir – Für Respekt,
gegen Gewalt“ initiiert. Dabei steht der wertschätzende Umgang mit Unterschieden im Mittelpunkt.
Über mehrere Monate hinweg bearbeiten die
Schüler gemeinsam Fragen wie: Wer sind wir? Was
verbindet uns, was trennt uns? Wo kommen wir
her und wo wollen wir hin? „Migrationshintergrund ist dabei ein wichtiges Thema, aber nicht
das einzige“, sagt Schwarzgruber. Konkret erarbeiten
die Jugendlichen in Gruppen Hintergründe zu den
Themen Respekt, Unterschiede und Gewalt. Dabei
erhalten sie Unterstützung durch Experten, etwa
aus der Schulpsychologie, Kinder- und Jugendanwaltschaft oder der Polizei. „So erarbeiten die
Schüler gemeinsam, wie sie miteinander umgehen
wollen“, sagt Schwerzgruber. „Bei der Abschlussveranstaltung des Projekts präsentieren sie einander
dann ihre Ergebnisse. Diese Erfahrung ist nicht
nur in der Schule anwendbar – sondern auch im
Berufsleben oder in der Freizeit, etwa beim Fortgehen.“
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Sommer 70.2015
Schwerpunkt: Zusammenhalt | 11
23.03.2015,
Einer von fünf Schulbuben wird gemobbt
Ein Pakistani und der Wiener Schmäh
Flüchtlingen leerstehende Zimmer in Wohngemeinschaften. „Wir wollen den Kontakt mit der
Gesellschaft herstellen und somit die Flüchtlinge
besser integrieren“, sagt der Politikwissenschaftsstudent David Zistl, der das Projekt mitbegründet hat.
Die Anmeldung läuft übers Internet: Die Zimmersuchenden und -bietenden können sich per Fragebogen registrieren. Zistl und seine Kollegen stellen
dann – nach Alter und Interessen – passende Kombinationen zusammen. So lief es auch bei Muhammad
ab. Gemeinsam mit einem österreichischen Freund
besuchte er Lisa und Eva, die „im Radio von dem
Projekt gehört“ hatten. Sie waren auf der Suche
nach einem Zwischenmieter. Da kam das Projekt
gelegen. Die einzige Priorität, die die Cousinen bei der
Mitbewohnersuche angaben: „Uns ist Gemeinschaft
wichtig, wir wollen nicht nebeneinander herleben.“
Das hat Muhammad gefallen. Nun sind sie die erste
WG in Österreich, die über die Plattform entstanden ist.
Derzeit leben laut Innenministerium 7.400
Flüchtlinge in Wien, rund drei Viertel davon in
privaten Unterkünften. Flüchtlinge, die privat
wohnen, erhalten im Rahmen der Grundversorgung
320 Euro pro Monat: 200 Euro für die Verpflegung,
120 Euro Mietzuschuss.
Mit 120 Euro ist es schwer, in Wien eine Wohnung zu finden. Genau dabei will „Flüchtlinge
Willkommen“ ansetzen: Die Plattform unterstützt
die WGs beim Crowdfunding für die Miete. Auf
Facebook baten Lisa und Eva um Unterstützung:
„Binnen 24 Stunden hatten wir das Geld für acht
Monatsmieten sicher“, sagt Eva. Ehemalige Lehrer,
Freunde und Studienkollegen überweisen monatlich einen Fixbetrag auf das Konto der Wohngemeinschaft.
ie Plattform „Flüchtlinge Willkommen“
vermittelt Asylwerbern ein Zimmer in
einer studentischen Wohngemeinschaft – gemeinsam mit Österreichern. Ein Bett, ein Schrank und
ein Schreibtisch stehen in Muhammads* Zimmer.
Muhammad gehört hier kaum etwas. Trotzdem
fühlt er sich „angekommen“.
Vor vier Jahren ist Muhammad aus Pakistan
geflohen. Danach musste er ständig umziehen: von
Traiskirchen nach Tirol, dann wieder Traiskirchen
und nun Wien. Dazwischen: Aufenthalte in Paris
und Kopenhagen.
„Als ich zum ersten Mal die Wohnung betrat,
wusste ich, dass ich hier leben möchte“, sagt
Muhammad. Das liegt auch an seinen Mitbewohnerinnen: Lisa Linkeseder studiert Komparatistik
und Kunstgeschichte an der Uni Wien, Eva
Linkeseder Soziale Arbeit an der Fachhochschule
Salzburg. Die beiden sind Cousinen.
Seit einem Monat teilen sie sich eine AltbauWohnung im achten Bezirk. Das gemeinsame
WG-Leben spielt sich abwechselnd in Evas und
Lisas Zimmer ab: „Wir haben einen Tisch, der
wandert“, sagt Eva. Wenn Zeit ist, kochen und
essen sie zusammen.
„Wir waren gespannt, schließlich wussten wir
nicht, ob wir uns überhaupt in einer Sprache verständigen können“, sagt die Studentin. Sie haben
zu einer gefunden: Eine Mischung aus Englisch
und Deutsch – Muhammad macht gerade seinen
dritten Deutschkurs. Überhaupt sei die Sprache nicht
so wichtig: „Wir haben denselben Schmäh“, sagt Eva.
Zusammengefunden hat die WG über „Flüchtlinge Willkommen“. Die Plattform wurde nach
deutschem Vorbild im Jänner dieses Jahres als
Non-Profit-Organisation gegründet. Sie vermittelt
*Auf Wunsch wurde der Name von der Redaktion geändert.
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Frühling 2015, Aleksandra Klepic´
Vermittler zwischen
den Kulturen
Sibel Uranüs, 24
Die Tochter österreichisch-türkischer Eltern kennt
die Frage, warum sie kein Kopftuch trägt:
„Manchmal werde ich gefragt, wieso ich einen
türkischen Namen habe, aber kein Kopftuch trage“,
erzählt Sibel Uranüs. „Die Frage stört mich nicht.
Ich erkläre dann, dass das die perönliche Entscheidung jeder Frau ist. Meist kann ich nach einem
kurzen Gespräch dabei zuschauen, wie sich etwaige
Vorurteile beim Gegenüber von selbst auflösen.“
Auf das Thema angesprochen wird Uranüs vor allem
im privaten Umfeld, etwa auf Partys. „In meinem
Beruf als Juristin spielt das keine Rolle“, sagt sie.
„In der Branche gelten internationale Wurzeln und
zusätzliche Sprachkenntnisse sogar als Vorteil.“
Die Tochter österreichisch-türkischer Eltern fühlt
sich in beiden Kulturen zu Hause. „Meine Familie
feiert Weihnachten und Bayram“, sagt Uranüs.
„Darauf bin ich stolz.“
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PRO JUVENTUTE | FLICKR.COM
D
Ausschnitt aus der Cybermobbing-Kampagne von Pro Juventute
Laut OECD-Report sind in keinem der 27 untersuchten Länder so viele Buben in der Schule von
Mobbing betroffen. Ihr Anteil ist doppelt so groß
wie im OECD-Schnitt, fünfmal größer als in
Schweden. Es ist ein unrühmlicher erster Platz,
den Österreich im neuesten Report der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einnimmt. Dieser widmet sich „Skills
for Social Progress: The Power of Social and Emotional
Skills“. Und demzufolge berichtet hierzulande
einer von fünf Buben im Alter von elf bis 15 Jahren
von zumindest zwei „Bullying“-Erfahrungen in
den vergangenen zwei Monaten in der Schule. Mit
21,3 Prozent weist Österreich damit einen fast
doppelt so hohen Anteil an Mobbingopfern im
Schulumfeld aus als der OECD-Schnitt der 27 untersuchten Länder mit elf Prozent. Die absolut
niedrigste Bullying-Rate hat Schweden mit nur
vier Prozent.
Unter „Bullying“ versteht man Mobbing in
der Schule, also systematische und wiederholte
Aggression unter Schülern, seien es verbale durch
Beleidigungen, soziale durch Streuen von Gerüchten
oder andere Formen öffentlicher Beschämung und
Schikanen sowie physische in Form von körperlichen Attacken. Die OECD-Autoren sehen darin
ein „ernstes, gesamtgesellschaftliches Problem,
das Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter haben
kann.“
Als Gegenmaßnahmen empfehlen die Studienautoren schulische Interventionen, die das Selbstwertgefühl der Kinder fördern, die ihnen helfen,
mit Emotionen wie Wut und Aggression umzugehen
und die die Resilienz der Schülerinnen und Schüler,
also deren psychische Widerstandsfähigkeit, aufbauen und stärken. Dies könne helfen, Bullying,
aber auch die langfristigen Gesundheits- und Sozialkosten für die Folgen von Mobbing zu reduzieren.
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05.03.2015, Lisa Breit, Selina Thaler
Lisa Nimmervoll
Sibel Uranus hat türkisch-österreichische Eltern und fühlt
sich in beiden Kulturen zuhause.