Märkische Allgemeine vom 23.04.2015

Märkische Allgemeine vom 23. April 2015
Krankenschwester-Test an Schulen
Die Arbeiterwohlfahrt möchte landesweit Krankenschwestern an Schulen einsetzen.
Die Landesregierung ist auch dafür. Allerdings steht die Finanzierung noch nicht. An
zehn Schulen soll das Projekt jetzt getestet werden.
Pflaster für Schürfwunden, Spritzen für kleine Diabetiker, schnelle Hilfe bei
Allergieschocks und vor allem: immer ein offenes Ohr für die Sorgen der Kinder und
Jugendlichen. Schulkrankenschwestern leisten in den USA und in vielen
europäischen Ländern wichtige Arbeit. In Deutschland hingegen werden schuleigene
Pflegekräfte lediglich an Privatschulen eingesetzt. Der Potsdamer Bezirksverband
der Arbeiterwohlfahrt (Awo) will das jetzt ändern. Laut einer Machbarkeitsstudie hält
der Verband den flächendeckenden Einsatz von Schulkrankenschwestern auch an
Brandenburgs Schulen für nötig und möglich. Das Land will das Modell zunächst an
zehn Schulen testen. Später könnte es dann auf alle Schulen ausgeweitet werden.
Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) begrüßt das Projekt. „Ein
guter Gesundheitszustand im Kindes- und Jugendalter ist eine wichtige
Voraussetzung für die Bewältigung schulischer Anforderungen“, sagt sie. Zu den
häufigsten Gesundheitsproblemen von Schülern gehören laut Golze Sprach- und
Sprechstörungen, Sehfehler und Bewegungsstörungen. Sozial benachteiligte Kinder
seien häufiger von Entwicklungsstörungen betroffen.
Die Studie wurde im Rahmen eines Projektes der Awo und des Bündnisses „Gesund
aufwachsen in Brandenburg“ entwickelt. Die Landesministerien für Bildung und
Gesundheit sind ebenfalls mit im Boot. Praktische Hinweise kamen von Schulen in
Polen und Finnland, wo Schulkrankenschwestern seit Jahrzehnten beschäftigt
werden. Projektleiterin Gudrun Braksch von der Awo glaubt, dass sich die
Umsetzung in der Mark bezahlt machen würde. „So können wir die Gesundheit der
Kinder maßgeblich verbessern“, sagt sie.
Neben der Versorgung von Akutfällen sollen die Pflegekräfte auch das
Inklusionskonzept des Landes unterstützen. Chronisch kranke und behinderte
Schüler könnten während der Schulzeit medizinisch versorgt werden. Zudem
könnten Schulkrankenschwestern nach Awo-Angaben zur Chancengleichheit
beitragen. Forschungen zufolge stehen Gesundheit, Bildung und Armut in engem
Zusammenhang. In Brandenburg liegt die Kinderarmutsquote bei 25 Prozent. Das
Projekt geht nun in die zweite Phase, in der ein Lehrplan für die Aus- und
Weiterbildung des Personals entwickelt wird. In einer dritten Phase soll der Einsatz
von Schulkrankenschwestern ab dem Schuljahr 2016/17 für zwei Jahre an zehn
Modellschulen in Brandenburg getestet werden. Die Modellschulen stehen noch nicht
fest. Laut Projektleiterin Braksch könnte ein flächendeckender Einsatz ab 2018
möglich sein. „Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen können“, sagt sie.
Die Studie empfiehlt ein Betreuungsverhältnis von 1:700. Bei einer landesweiten
Umsetzung müssten dafür mindestens 300 Voll- und Teilzeitstellen eingerichtet
werden. Für jede Vollzeitkraft sei eine Summe von 30 000 bis 40 000 Euro pro Jahr
einzuplanen, schätzt die AWO. Die Personalkosten sollen allerdings nicht allein von
den Steuerzahlern getragen werden, sondern auch von den Krankenkassen.
Kommentar:
Krankenschwestern in der Schule
Der kleine Ben stürzt vom Klettergerüst und die Schulkrankenschwester weiß sofort,
ob sein den Krankenwagen rufen muss - oder es mit einem Pflaster getan ist. Wenn
Drittklässlerin Lena einen Asthmaanfall hat, hat sie das passende Spray zur Hand:
Eine Madame Pomfrey könnte in Zukunft nicht nur Harry Potters leiden kurieren,
sondern auch die der Brandenburger Schüler.
"Unnötiger Schnickschnack, wir haben die Schulzeit auch so gut überstanden", mag
sich mancher denken. Doch die Iniative der AWO, den Einsatz von
Schulkrankenschwestern im Modellprojekt zu testen, ist ein wichtiger Vorstoß besonders in Zeiten des Inklusionskonzeptes. Wenn chronisch kranke und
behinderte Schüler Regelschulen besuchen sollen, muss eine adäquate
medizinische Versorgung sichergestellt sein. Nur so können Eltern ihre Kinder
ruhigen Gewissens in die Schule schicken. Und auch augenscheinlich gesunde
Kinder würden profitieren - sei es bei Unfällen oder in der Vorsorge.
Länder wie die USA und deutsche Privatschulen machen es vor: Gesunde Schüler
haben bessere Bildungschancen. Manche Probleme wie Sehschwächen oder
Allergien werden oft erst dort entdeckt. Doch Gesundheit und Bildung dürfen kein
Vorrecht von Eliten sein. Insofern ist der flächendeckende Einsatz von
Schulkrankenschwestern ein Schritt in Richtung Chancengleichheit. Er sollte am
Ende nicht an Kostenfragen scheitern. Denn Gesundheitsförderung hat ihren Preis.
Von Anja Meyer