„Das Streikrecht ist ein hohes demokratisches Gut

„Das Streikrecht ist ein hohes demokratisches Gut, deshalb Hände weg vom Streikrecht“
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will Macht und Einfluss kleinerer Spartengewerkschaften wie der Lokführervertretung GDL durch ein Gesetz zur Wiederherstellung der Tarifeinheit
eindämmen. Im Streitfall wie derzeit bei der Deutschen Bahn soll für eine Berufsgruppe nur noch
der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gelten. Ist dieses Vorhaben
verfassungsgemäß, demokratisch und gesellschaftspolitisch zielführend? Für gewerkschaftliches
Handeln ist einheitliches Handeln der Beschäftigten gegenüber dem Unternehmer enorm wichtig.
Durch gewerkschaftliche Geschlossenheit im Betrieb und in der Branche kann der notwendige
Druck zur Durchsetzung höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen voll entwickelt werden.
Daraus folgt aber zwingend auch, dass sich die Stärkeren zugleich für die Schwächeren einsetzen.
Dies gehört wesensnotwendig zum Begriff der Solidarität! Wenn Fluglotsen, Piloten, Lokführer,
Ärzte für ihre Interessen eintreten und notfalls streiken, ist das ihr gutes verfassungskonformes
Recht! Trotzdem kann dies problematisch sein, wenn diese Gruppen ihre besondere Kampfkraft nur
für sich und nicht gleichzeitig auch für die Krankenschwester, die Stewardess, den Zugbegleiter etc.
einsetzen.
Gleichwohl: Die Zusammenführung der verschiedenen Gruppen zu gemeinsamen
gewerkschaftlichen Aktionen muss politisch erreicht werden und keinesfalls durch die
gesetzliche Beschränkung des Streikrechts kleinerer Gewerkschaften. Was die Bundesarbeitsministerin und somit die Bundesregierung plant, ist deshalb nichts weniger als ein Angriff auf das
grundgesetzlich garantierte Streikrecht und damit der ernsthafte Versuch eines Tabubruchs. Deshalb
hat der Chef des Marburger Bundes, Rudolf Henke, recht, wenn er äußert: „Wenn nur der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gültig ist, dann sind alle Beschäftigten im Betrieb an die
Friedenspflicht dieses Tarifvertrages gebunden“. Es spiele keine Rolle, ob diese Konsequenz der
Tarifeinheit ausdrücklich im Gesetz stehe oder nicht. Der 20. DGB Bundeskongress im Mai 2014
hat sich gegen eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit ausgesprochen (die von der Arbeitgeberseite gefordert wurde). „Das Streikrecht ist ein Grundrecht auch für Splittergruppen, es ist nicht
teilbar“, erklärte dort Brigitte Runge, Delegierte der IG Metall. „Es muss uns misstrauisch machen,
wenn sich die Arbeitgeber für die Tarifeinheit ins Zeug legen“, pflichtete Herbert Grimberg von der
Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten seiner Kollegin bei. Grimberg weiter: Erst zergliederten
die Arbeitgeber Betriebe und sorgten für „Tarifwirrwarr“. Dann beschwerten sie sich über diesen
Wirrwarr und forderten eine gesetzliche Regelung. Nach Ansicht des renommierten Arbeitsrechtlers Prof. Dr. Wolfgang Däubler sind Streiks eine ganz normale, selbstverständliche Begleiterscheinung einer demokratischen Gesellschaft. Prof. Däubler: Deutschland ist zudem eines der
streikärmsten Länder überhaupt. Nur Österreich und die Schweiz übertreffen uns da noch. Däubler
weiter: Die Arbeitnehmer konnten 2010 von ihrem Nettolohn weniger kaufen als noch zehn Jahre
zuvor. Mittlerweile sagt selbst die Bundesbank, dass sich die Gewerkschaften weniger zurückhalten
sollten. Arbeitsrechtler Däubler schließlich: Der Haupteinwand (gegen die von der
Bundesregierung geplante Regelung) liegt aber in dem Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes: Der Gesetzgeber kann einer Gewerkschaft nicht das Recht zum Tarifabschluss und
zum Streik nehmen, nur weil sie in einem Betrieb die Minderheit ist. Das wäre eindeutig
verfassungswidrig. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles muss sich also fragen lassen, wessen
berechtigte Interessen sie letztlich vertritt. Vertritt Sie das Interesse der Masse der abhängig
Beschäftigten im real existierenden Neoliberalismus an einem wirkungsvollen Streikrecht zur
Durchsetzung berechtigter Interessen? Oder vertritt sie in vorauseilendem Gehorsam überzogene
und deshalb unberechtigte Interessen der Arbeitgeberseite, die ohnehin von der Kanzlerin der
„Marktkonformen Demokratie“ strikt berücksichtigt werden? Will die SPD nur noch eine schlechte
Kopie und schwaches Echo des CDU/CSU-Wirtschaftsflügels sein oder aber zumindest ernsthaft
versuchen, einem wesentlichen Anspruch ihres behaupteten Selbstverständnisses zu genügen: Dem
gerechten Anspruch - mit wesentlichem und wirkungsvollem Gewicht Schutzmacht der abhängig
Beschäftigten zu sein? Will die SPD letzteres faktisch nicht (mehr ?), sollte sie das „S“ nicht mehr
verwenden. Ebenso wie die CDU/CSU, welche eindeutig vom neoliberalen Wirtschaftsflügel
dominiert wird, ehrlicherweise auf das „C“ verzichten sollte! Helmut Gelhardt, Neuwied-Engers