Verliert Straubing den Orden?

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STRAUBINGER RUNDSCHAU
Freitag, 1. Mai 2015
Verliert Straubing den Orden?
Die Karmeliten, über Jahrhunderte ein fester Bestandteil des Lebens dieser Stadt, denken an Abschied
Von Wolfgang Engel
Z
u den Dingen, die Pater Georg sehr gut kann, gehört die
Fähigkeit zum energischen
Auftritt. „Nein!“, sagt Pater Georg
äußerst energisch, „ich sage gar
nichts! Das gehört alles nicht in die
Presse!“ Aber es gehört natürlich in
die Presse. Wenn die Karmeliten darüber nachdenken, ihr Straubinger
Kloster, das älteste ununterbrochen
bewohnte Karmelitenkloster in
Deutschland, zu schließen, ist das
wichtig für Straubing. Pater Georg
wird bald 85, er war als Novize hier,
seit 15 Jahren ist er wieder in Straubing, das ist lange genug, um zu
wissen, dass die Karmeliten, ihr
Kloster, ihre Kirche zu Straubing
gehören, ein Teil der Stadt sind, seit
Hunderten von Jahren. Aber vielleicht kann Pater Georg gar nicht
anders als so zu reden.
Denn Pater Georg ist Prior in
Straubing. Aber in Bamberg ist Pater Dieter. Bamberg ist der Hauptsitz der Karmeliten in Deutschland
und Pater Dieter ist ihr Provinzial,
das Oberhaupt der deutschen Ordensprovinz der Karmeliten, und er
will auch nicht, dass die Presse
schreibt. Das hat Pater Dieter schon
tags zuvor klar, sehr klar, ins Telefon gesagt: Kein Statement. Kein
Wort. Kein Thema. Alles Spekulation. Aber was heißt hier Spekulation?
In drei Wochen ist Pfingsten.
Dann beginnt im Kloster Springiersbach an der Mosel das Provinz-
KO M M E N TA R
S
Nicht sangund klanglos
eit langem gibt es Spekulationen, dass das Karmelitenkloster geschlossen werden
könnte. Der Hintergrund ist jedermann einleuchtend: Die
Nöte der Klöster durch massiven Nachwuchsmangel. Und
damit sind auch die Nöte von
Provinzial und Prior verständlich. Die Schließung einer Niederlassung ist eine ordensinterne Sache. Ganz klar. Aber: Die
Straubinger, auch jene, die
nicht regelmäßig oder gar nicht
Gottesdienste in der Karmelitenkirche besuchen und keinen
direkten Bezug zum Kloster haben, schätzen diese Einrichtung
als geistlichen und seelsorgerischen Fixpunkt, mindestens als
Tradition, die fast 650 Jahre
überdauert hat. Als ein Stück
Straubing, noch dazu eines im
geographischen Herzen der
Stadt.
Und gerade diese Öffentlichkeit, die der Orden nicht sucht,
könnte wenigstens neue wirtschaftliche Perspektiven für einen Fortbestand auftun, um
diese Sorge der Karmeliten zu
verkleinern. Vielleicht werden
Investoren, Mieter oder wenigstens Ideengeber auf den großen
Komplex aufmerksam, wenn
das Personalproblem angesichts schwindender Zahlen an
Ordensleuten schon nicht zu lösen ist. Vielleicht ist es da aber
ein konstruktiver Gedanke,
über den deutschen Tellerrand
in Karmeliten-Niederlassungen
im europäischen Ausland zu
schauen. Vielleicht wäre es für
den ein oder anderen Pater dort
eine Herausforderung, an die
Historie in Straubing neu anzuknüpfen. Beispielsweise am Bogenberg ist auf solche Weise
auch wieder klösterliches Leben entstanden. Die Straubinger Karmeliten haben in 650
Jahren schon größere Hürden
überwunden.
Monika Schneider-Stranninger
kapitel der Karmeliten. Dabei geht
es auch darum, ob und welches
Kloster geschlossen wird. „Es stehen alle Standorte auf dem Prüfstand“, das zumindest sagt Pater
Dieter in Bamberg noch ins Telefon,
und er sagt: „Von der Altersstruktur
her ist Straubing extrem.“ Sechs
Männer sind es nur noch, davon drei
über 80, einer ist schwerkrank, einer dieser Tage verstorben, und keine Neueintritte. So ist das im Grunde überall, nicht nur in Straubing.
Aber Straubing ist ein besonderer
Ort für die Karmeliten. Wird ausgerechnet hier aufgelöst?
| Der Provinzial eines
bedrohten Ordens
Wer zuerst bei einem Provinzial
in Bamberg anruft, darf sich nicht
wundern, wenn danach auch ein
Prior in Straubing nicht spricht.
Denn es ist überall auf der Welt so,
dass Zentralen sofort Sprechverbote erteilen, wenn Anfragen kommen, die Zentralen nicht passen,
und eine Anfrage zur Zukunft des
Klosters Straubing passt der Zentrale in Bamberg offensichtlich
überhaupt nicht. Der Provinzial
spricht nicht, da darf auch Pater
Georg nicht sprechen, denn Gehorsam ist eine wichtige Ordensregel.
Deshalb ist es schwierig, genau auszuloten, wie gefährdet das Kloster
Straubing ist.
Aber das Aufgeben von Klöstern
ist ein großes Thema bei den Karmeliten, und es gibt Karmeliten und
Informationsteile in und aus anderen Orten. Deshalb setzt sich ein
Bild zusammen: Es gibt zwei Lager
im Provinzkapitel. Ein Lager sieht
Bedeutung und Geschichte des
Straubinger Klosters. Deshalb will
es das Kloster in Straubing erhalten. Das andere Lager sieht die finanzielle Seite. Deshalb will es die
Auflösung. Der Kopf dieses anderen
Lagers ist allem Anschein nach Pater Dieter.
Pater Dieter ist Provinzial eines
Ordens, der jahrhundertealt, aber
jetzt auf dem Rückzug ist. Bis vor
gut zwei Jahren gab es zwei Ordensprovinzen der Karmeliten in
Deutschland, die niederdeutsche im
Norden und die oberdeutsche im
Süden. Sie wurden zusammengelegt, ein Schrumpfungsprozess. Die
Karmeliten gehören zu den Bettelorden, aber Spenden an Klöster?
Heute hat jeder Unternehmer seine
eigene gemeinnützige Stiftung, und
in Nepal bebt die Erde, dorthin gehen die Spenden. Pater Dieter ist
Provinzial der Karmeliten in einer
Zeit, in der die Zukunft der Orden
bedroht ist. Er glaubt, er muss
schließen, und er will es still.
| Wer kauft
eine Kirche?
Aber die Karmeliten sind seit
über 600 Jahren in Straubing, 650
wären es in drei Jahren. Sind sie
dann noch hier? Der Provinzial will
verkaufen, er sondiert den Markt,
bietet das Kloster an. Sogar die Kirche selbst soll nicht tabu sein. Aber
wer kauft eine Kirche? Ein Konzertveranstalter?
Ein
Gastronom?
Wahrscheinlich ist: niemand. Es ist
eine reiche Kirche, reich an Kunst
und Geschichte. Viele gläubige
Straubinger gehen in diese Kirche,
wie ihre Eltern und Großeltern gingen, und davor deren Eltern. Es ist
auch ihre Kirche, das war sie immer.
1802 begann in Bayern die Säkularisation. Fast alle Klöster wurden
aufgehoben, nur Aussterbeklöster
blieben vorläufig erhalten. Das
Aussterbekloster der Karmeliten
war Straubing. Noch bevor die letzten Mönche starben, erreichte Pater
Petrus Heitzer 1842, dass hier nun
wieder neue Mönche aufgenommen
werden durften. Straubing ist deshalb das einzige ständig besiedelte
Kloster der Karmeliten in Deutschland. Von Straubing aus besiedelten
die Karmeliten ihre Klöster neu, das
Acht Karmelitenklöster gibt es noch in Deutschland. Eines davon in Straubing. Wie lange noch?
Kloster Bamberg wurde aus Straubing zurückgekauft. Straubing, das
ist Karmelitengeschichte wie kaum
irgendwo sonst.
Heute sind die Karmeliten noch
immer ein wichtiger Teil der Seelsorge in der Stadt. Sie betreuen Marienheim, Bürgerspital, Ursulinen.
Würde der Provinzial den Wegzug
anordnen, würde vielen Menschen
etwas fehlen, etwas Essentielles, etwas Wichtiges. Die Pfarrei St. Jakob
wird diese Lücke nicht gleichwertig
füllen können, dazu gibt es zu wenige Priester, und was mit der Karmelitenkirche selber geschieht, das ist
offen. Sie ist Eigentum des Ordens,
nicht der Diözese. Was wird mit ihr?
Man kann den Provinzial nicht
nach solchen Dingen fragen. Erst
soll das Kapitel entscheiden, dann
erst will er sprechen. Er hat wohl
schon einen Architekten aus München geschickt, der das Kloster inspiziert hat; er hat es wohl schon der
Stadt zum Kauf angeboten, aber die
Stadt hat dafür kaum das nötige
Geld; und er hat mit anderen möglichen Leuten gesprochen. Er will
verkaufen, denn er sieht es wohl so,
dass er muss. Auch die Karmeliten
sind von dieser Welt, und in dieser
Welt zählt stark das Geld. Was also
tun mit diesem großen Bau, voll von
Geschichte und Kunst, aber sanierungsbedürftig und teuer?
| Eine Bibliothek
als Kleinod
Erst vor wenigen Jahren, 2008, ist
die Bibliothek restauriert worden.
„Einzigartig im gesamten deutschsprachigen Raum“ hat sie Stadtheimatpfleger Huber im Festvortrag
2008 genannt: 15000 Bände aus 600
Jahren, kein anderes Kloster eines
Bettelordens hatte eine solch reichhaltige und reich verzierte Bibliothek aufgebaut. Hier hat Huber
einst ein bislang unbekanntes Heliand-Fragment entdeckt und europaweit Aufsehen erregt. Diese Bibliothek kann auch ein touristisches
Kleinod sein. Geht sie nach Bamberg?
In der Säkularisation war das
Kloster im Staatsbesitz. Wertvolle
barocke Wandfresken waren damals
übertüncht worden mit Kalk. Jetzt
ist alles restauriert, sorgfältig, aufwendig. Was tun damit, wenn der
Orden geht? Wird die Klosterkirche
ein Ausstellungsraum wie St. Jo-
hannes Baptist in Eichstätt? Aus
Kirchen sind schon Konzertsäle geworden, Restaurants und Wohnhäuser; gut, Letzteres scheidet wohl
aus. Dass die Diözese sie übernimmt, dürfte aber genauso unrealistisch sein, und das Kloster selbst
ist ein nicht ganz einfacher Bau.
Denkmalgeschützt, also schwierige
Umbauarbeiten, aber auch nicht
unmöglich.
Das ehemalige Franziskanerkloster unten in der Altstadt gehört jetzt
zum Wissenschaftszentrum. Ist es
das, woran der Provinzial denkt?
Umbau in ein Studentenheim? In
ein Tagungsgebäude? Man weiß
nicht, was der Provinzial denkt, er
spricht nicht. Als Orden erhalten
die Karmeliten nichts aus der Kirchensteuer. Sie haben nur das, was
sie selber erwirtschaften oder an
Spenden bekommen. Aber Spenden
sind nicht mehr so wie vor zehn oder
30 Jahren. Bislang kam das Kloster
wohl weitestgehend ohne Zuschüsse
aus; das wird in Zukunft wohl so
nicht mehr der Fall sein. Das Kloster hat keinen Nachwuchs und es
hat kein Geld. Der Provinzial und
das Kapitel stehen deshalb an
Pfingsten vor der Entscheidung:
Geist oder Geld.
| Die Entscheidung:
Geist oder Geld
Acht Karmelitenklöster gibt es
noch in Deutschland. Welches
schließen? Bamberg? Dort ist der
Hauptsitz, dort ist auch ein Bischofssitz, das gibt man nicht auf.
Springiersbach? Dort ist das Exerzitienhaus mit 30 Zimmern, mehreren Tagungs- und Speiseräumen,
dorthin fließt Geld vom Bistum
Trier; und Springiersbach hat einen
offenbar gut gehenden Klosterladen, denn Springiersbach an der
Mosel liegt wunderschön in einer
Touristengegend. Mainz? Das ist das
Ausbildungshaus. Man kann Gründe für den Erhalt jedes Klosters finden.
Die Gründe für Straubing sind
historisch-kulturelle Gründe, und
dass die Karmeliten hier auch als
Seelsorger tätig sind. Aber wirtschaftlich ist Straubing offenbar
schwierig geworden.
Seit 20 Jahren ist eine Logopädieschule im Kloster eingemietet, die
Katholische Jugendstelle der Diözese Regensburg hat ebenfalls ihre
(Foto: Archiv)
Räume im Kloster. Das bringt etwas
Geld, aber vielleicht nicht genug.
Das Kloster ist alt, 1368 gegründet.
Es gab damals noch keine Brandschutzvorschriften wie es sie heute
gibt, und auch vor 20 Jahren gab es
sie nicht. Aber es gibt sie heute. Sie
werden das Kloster viele Hunderttausend Euro kosten.
| Gesucht:
Ein großer Mieter
Über eine kleine Logopädieschule
ist das nicht zu finanzieren. Der demografische Wandel drückt auf die
Schülerzahlen, drei Jahrgänge mit
je zehn bis 12 Schülern. Im Oktober
läuft der Mietvertrag aus. Auf eine
mögliche Kündigung hat Schulleiter Wolfgang Mayrhofer zwar noch
keine Hinweise, aber wenn man in
einer eher kleinen Stadt wie Straubing ist, bekommt man durchaus
mit, dass die Karmeliten an Verkauf
denken. Die Schule, sagt der Schulleiter, werde nicht im Kloster sitzen
und warten, bis eine Entscheidung
mitgeteilt wird.
Dass die Schule kurzfristig gekündigt wird, ist kaum vorstellbar.
Dann stünden knapp drei Dutzend
Schüler mitten in der Ausbildung
auf der Straße und die Lehrer ebenso, also wird es sicher noch einmal
eine Verlängerung des Mietvertrags
geben. Aber wie lange? Was die Karmeliten brauchen, ist ein großer
Mieter, aber einer, der einen Teil für
die Mönche lässt.
In der Pfingstwoche also wird
entschieden, im Kloster Springiersbach, wo das Tagungszentrum ist.
Es sind gut 30 Teilnehmer, Priore
und gewählte Vertreter, dazu der
Generalprior aus Rom. Die Vertreter der früheren niederdeutschen
Provinz sind stark vertreten, das ist
nicht gut für ein Kloster im Süden,
und der Provinzial will Straubing
schließen. Früher hatte Straubing
ein Noviziat, wo die jungen Männer
ausgebildet wurden. Der Provinzial
ist auch der Mann, der entscheidet,
in welchem Kloster die wenigen
jungen Männer dann leben sollen,
die heute noch kommen, er kann
sehr viel entscheiden. „Orden der
Brüder der allerseligsten Jungfrau
Maria vom Berge Karmel“, so heißen die Karmeliten mit vollem Namen, es ist ein Orden mit großer Vergangenheit, und gerade in Straubing. Hat er noch Zukunft hier?