Es gilt das gesprochene Wort – Sendesperrfrist: Redebeginn! Alterssicherung – Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Wirtschaft Rede von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Mitglied von BUSINESSEUROPE Hausadresse: Breite Straße 29 | 10178 Berlin Briefadresse: 11054 Berlin [email protected] www.arbeitgeber.de T +49 30 2033-1800 F +49 30 2033-1805 Handelsblatt Jahrestagung – Betriebliche Altersversorgung Berlin, 16. März 2015 Wie einige wissen, fahre ich gerne zur See. Zu einer erfolgreichen Seefahrt gehört eine korrekte Kursbestimmung, ein klarer Blick für das Wetter und eine solide Ausstattung. All diese Anforderungen sind auch auf die betriebliche Altersvorsorge zu übertragen. Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge Zum richtigen Kurs gehört zunächst eine exakte Standortbestimmung. Wo stehen wir mit der betrieblichen Altersvorsorge heute? Nach den aktuellen Zahlen des Bundesarbeitsministeriums haben mittlerweile 60 Prozent unserer Arbeitnehmer eine Betriebsrentenzusage. Das ist immerhin ein Anstieg um rund ein Drittel in den letzten 15 Jahren. Die betriebliche Altersvorsorge hat mittlerweile eine beachtliche Verbreitung erreicht. Nimmt man die Riesterrente hinzu, verfügen heute rund 75 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neben der gesetzlichen Rente über eine zusätzliche Altersvorsorge. Und hierbei sind noch rund 80 Millionen Lebensversicherungsverträge und viele andere Formen der Altersvorsorge unberücksichtigt. Das zeigt: Wir sind mit der Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge in der Alterssicherung durchaus vorangekommen. vorsorge bekannt und den umfassenden BDA-Katalog mit Vorschlägen zur Verbesserung ihrer gesetzlichen Rahmenbedingungen bekräftigt. Ich warne vor dem Irrglauben, die betriebliche Altersvorsorge werde per se auf dem heutigen Niveau erhalten bleiben oder automatisch wegen des demografischen Wandels und der stärkeren Notwendigkeit weiter ausgebaut werden. Ja, heute ist die betriebliche Altersvorsorge mit einem jährlichen Aufwand von rund 34 Milliarden Euro die größte freiwillige Sozialleistung der deutschen Arbeitgeber. Aber es gibt keinen Automatismus, dass dies so bleibt. Ich komme auf mein Bild der Seefahrt zurück. Wir sind bereits in einer Flaute, und jetzt zieht auch noch an der Zinsfront Gegenwind auf. Von dieser Niedrigzinsphase sind nahezu alle Arbeitgeber in allen Durchführungswegen betroffen: Für gleich hohe Betriebsrenten müssen Arbeitgeber heute einen höheren Aufwand leisten als früher. Zudem erhöht sich die bilanzielle Belastung durch die Versorgungsverpflichtungen nach einer Faustformel je abgesenktem Prozentpunkt um rund 20 Prozent. Das zeigt sehr deutlich, was es bedeutet, wenn der in der Handelsbilanz anzusetzende Zinssatz von bislang mehr als vier Prozent in den nächsten vier Jahren auf unter zwei Prozent sinken wird. Richtig ist aber auch: Der Anstieg der betrieblichen Altersvorsorge ist ins Stocken geraten. Insbesondere bei kleineren Unternehmen, in einzelnen Branchen sowie bei Geringverdienern haben wir Lücken. Hinzu kommt, dass auch die Verbreitung der Riester-Rente nicht mehr richtig vorankommt. Insofern finde ich es völlig richtig, dass in der Politik darüber nachgedacht wird, wie der Ausbau der zusätzlichen Altersvorsorge wieder in Schwung gebracht werden kann. Das ist umso wichtiger, da wir alle wissen, dass das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung weiter sinken wird. Deshalb stellt sich natürlich die Frage, wie die daraus entstehende Versorgungslücke ausgeglichen werden kann. Die Niedrigzinsphase ist keine Wetterkapriole, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen auf europäischer und globaler Ebene. Umso mehr ist die Politik gefordert, dafür zu sorgen, dass die betriebliche Altersvorsorge wetterfest ausgestattet wird. Das betrifft gerade die steuerlichen Rahmenbedingungen, von denen ich drei herausgreifen will: Erstens: Ich halte eine Erhöhung der Obergrenzen für steuerfreie Einzahlungen in die betriebliche Altersvorsorge vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase für dringend erforderlich. Der dadurch erhöhte Finanzierungsaufwand darf nicht dazu führen, dass Arbeitgeber den Durchführungsweg wechseln müssen. Das wäre mit dem Ziel einer effizienten und kostengünstigen betrieblichen Altersvorsorge nicht vereinbar. Zweitens: Es muss möglich sein, den zusätzlichen bilanziellen Aufwand durch die Niedrigzinsphase in vollem Umfang auch steuerlich geltend zu machen. Derzeit sinken überall die Zinsen, nur nicht im Bilanzsteuerrecht. Hier gelten für Pensionsverpflichtungen weiter sechs Prozent. Das ist fern jeder Realität. Ich halte es für mehr als überfällig, das Steuer- BDA-Vorschläge Die bislang positive Entwicklung bei der betrieblichen Altersvorsorge belegt: Der eingeschlagene Kurs stimmt. Aber mittlerweile sind wir in einer Flaute angelangt. Kein strammer Gegenwind, aber richtig voran geht es auch nicht mehr. Dabei bin ich sicher: Mit mehr politischem Rückenwind könnte die betriebliche Altersvorsorge noch einmal neue Fahrt aufnehmen. Das Werben für bessere Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge gehört zum Credo der BDA. Unser Präsidium hat sich im vergangenen Herbst nochmal ausdrücklich zur Stärkung der betrieblichen Alters- 2 Alterssicherung – Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Wirtschaft | Handelsblatt Jahrestagung – Betriebliche Altersversorgung | Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer Berlin, 16. März 2015 recht – zumindest schrittweise – wieder an die Zinsrealität anzupassen. Um es klar zu sagen: Bei diesen Vorschlägen geht es nicht um Steueroptimierung, sondern darum, dass der Mehraufwand einer wichtiger werdenden Sozialleistung auch steuerlich als solcher anerkannt wird. Das gilt ganz besonders, weil spätestens mit der Auszahlung der vollsteuerpflichtigen Betriebsrente auch der Fiskus seinen Teil erhält. Die dritte Änderung im Steuer- und Beitragsrecht, die ich für wichtig erachte, ist die Einführung eines Zulagensystems, das betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnender macht. Die bestehende Möglichkeit, die Riesterförderung mit der betrieblichen Altersvorsorge zu verbinden, ist völlig unattraktiv. Allein schon weil sowohl die Beiträge als auch die späteren Betriebsrenten mit Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung belastet werden. Mit der Abschaffung der Doppelbelastung durch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und einer erheblichen Vereinfachung des Systems könnte die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge gerade für Geringverdiener enorm gesteigert werden. Das würde auch ihre weitere Verbreitung insgesamt fördern. Bessere steuerliche Bedingungen für die betriebliche Altersvorsorge sind wichtig, aber auch nicht alles. Weniger Bürokratie und Komplexität ist genauso notwendig. Ich denke an bessere Möglichkeiten zur Abfindung von Kleinstanwartschaften, aber auch an einfachere Vorgaben zur Anpassung laufender Betriebsrenten. Ganz aktuell halte ich es für dringend erforderlich, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts korrigiert, nach der viele Betriebsrenten, die über eine Pensionskasse zugesagt worden sind, nicht mehr entsprechend der Ertragssituation der Pensionskasse angepasst werden können. Dabei ist das doch gewollt, wenn der Durchführungsweg der Pensionskasse gewählt wird. Wenn hier nicht ganz schnell gegengesteuert wird, kann das schon bald zu einer enormen Verunsicherung bei den Arbeitgebern führen. Wir haben deshalb beim Bundesarbeitsministerium um kurzfristige Korrektur der Folgen dieser Entscheidung gebeten – und sind dabei auf offene Ohren gestoßen. Ich hoffe, dass hier jetzt schnell durch eine gesetzliche Änderung Abhilfe erfolgt. BMAS-Vorschlag „Sozialpartnermodell“ Ich begrüße, dass unsere Vorschläge in der Politik ernsthaft geprüft werden. Ich finde es auch völlig in Ordnung, wenn das Bundesarbeitsministerium eigene Vorschläge formuliert. Das gilt auch für die Überlegung des Bundesarbeitsministeriums, die Arbeitgeberhaftung, die bei jeder Art der betrieblichen Altersvorsorge immer besteht, auf den Prüfstand zu stellen. Allerdings halten wir nichts davon, eine mögliche Enthaftung von Arbeitgebern bei der betrieblichen Altersvorsorge davon abhängig zu machen, dass dazu tarifvertragliche Vereinbarungen getroffen und gemeinsame Einrichtungen nach dem Tarifvertragsgesetz gegründet werden sollen. Das würde einen Keil zwischen beste- hende betriebliche Altersvorsorge und möglichen Einrichtungen der Tarifpartner treiben, weil nur Letztere von einem Haftungsprivileg profitieren könnten. Wir sehen auch nicht, wie ein Haftungsprivileg nur für gemeinsame Einrichtungen der Tarifparteien plausibel begründet werden könnte. Zudem sind noch zahlreiche Fragen zur Insolvenzsicherung über den PensionsSicherungs-Verein offen. Wir haben dem Bundesarbeitsministerium deutlich gemacht, dass die Pläne in der jetzt vorgelegten Form nicht umgesetzt werden dürfen. Wir bleiben aber selbstverständlich dialogbereit und haben bereits Vorschläge gemacht. Ungeachtet der Frage, ob und wie dieser Vorschlag vom Bundesarbeitsministerium weiter verfolgt wird, ist eines für mich besonders wichtig: Der Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums ist kein Ersatz für die erforderlichen Verbesserungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge. EU-Pensionsfondsrichtlinie Unsere Mindestanforderung für die Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge lautet: Sie dürfen sich zumindest nicht verschlechtern. Das gilt ganz besonders für einige aktuelle Gesetzesvorhaben auf europäischer und nationaler Ebene. So werden wir uns bei der geplanten Überarbeitung der EU-Pensionsfondsrichtlinie weiter dafür einsetzen, dass die Eigenmittelvorgaben nach den Grundsätzen von Solvency II nicht auf Pensionsfonds und Pensionskassen übertragen werden. Diese Vorgaben würden die Unternehmen milliardenschwer belasten, ohne dass für die Arbeitnehmer erkennbar etwas gewonnen wäre. Wir haben zwar erreicht, dass die Kommission bei der jetzt anstehenden Überarbeitung der EUPensionsfondsrichtlinie von einer Änderung der Eigenmittelvorgaben Abstand genommen hat. Die Kommission hat sich aber die Verschärfung der Eigenmittelvorgaben zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich offen gehalten. Insofern kann es gut sein, dass wir uns auf europäischer Ebene derzeit nur in der Ruhe vor dem nächsten Sturm befinden. Ohnehin ist die Ruhe nicht ganz so groß: Immerhin enthält auch der jetzige Entwurf zur Überarbeitung der Pensionsfondsrichtlinie zahlreiche belastende Regelungen für Pensionskassen und Pensionsfonds. Daher begrüße ich, dass die zuständigen Bundesministerien für Finanzen und für Arbeit sowie viele Europaabgeordnete das gemeinsame Anliegen von BDA und DGB, aber auch der europäischen Sozialpartner sehr ernst nehmen und ihrerseits auf Korrekturen drängen. Umsetzung EU-Mobilitätsrichtlinie Auch bei der anstehenden Umsetzung der EUMobilitätsrichtlinie wird es unweigerlich zu Mehrbelastungen der betrieblichen Altersvorsorge kommen. Aber wir erwarten, dass die Mehrbelastungen so gering wie möglich gehalten werden. Es darf nicht wieder passieren, dass die Umsetzung einer EU-Richtlinie dazu führt, dass der deutsche Gesetzgeber weitere Belastungen draufsattelt. Angeblich ist 3 Alterssicherung – Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Wirtschaft | Handelsblatt Jahrestagung – Betriebliche Altersversorgung | Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer Berlin, 16. März 2015 das auch nicht geplant. Wir werden jedenfalls sehr genau darauf achten, dass es nicht zu unnötigen Belastungen kommt. Weiter drohende Belastungen Das gilt ganz besonders, weil ohnehin unnötige Belastungen der betrieblichen Altersvorsorge in ganz anderen Bereichen drohen. Ich denke dabei nicht nur an die geplante europäische Finanztransaktionssteuer, sondern gerade auch an die kürzlich vom Bundesfinanzministerium angekündigte Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Aktienbesitz bei Unternehmen. Veräußerungsgewinne aus Aktien, die ein Unternehmen zur Finanzierung seiner betrieblichen Altersvorsorge nutzt, müssten dann auf der Unternehmensebene versteuert werden, obwohl die daraus gezahlten Betriebsrenten später voll beim Betriebsrentner versteuert werden. Eine solche Doppelbesteuerung ist sachlich nicht gerechtfertigt und würde die betriebliche Altersvorsorge schwächen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass gerade in der jetzigen Niedrigzinsphase, in der die Anlage in Anleihen kaum noch lohnt, zusätzliche Belastungen für Aktieninvestments zur Finanzierung der betrieblichen Altersvorsorge geschaffen werden sollen. Keine staatlichen Zwangslösungen Es wäre ein falscher Kurs, wenn die Politik künftig betriebliche Altersversorgung durch mehr oder weniger kräftigen Zwang verbreiten will. Das würde die Idee konterkarieren, betriebliche Altersvorsorge durch bessere Rahmenbedingungen zu stärken. Wir können sicher sein, dass der Politik die Vermeidung von Arbeitgeberbelastungen durch betriebliche Altersvorsorge nicht mehr wichtig ist, wenn betriebliche Altersvorsorge vollständig obligatorisch ist. Deshalb ist ein Betriebsrentenobligatorium – auch in Form eines gesetzlich zwingenden opting-out-Modells – für die Wirtschaft der eindeutig falsche Weg. Schluss In diesem Jahr werden wichtige Entscheidungen für die betriebliche Altersvorsorge gefällt. Um im Bild der Seefahrt zu bleiben: Die Politik ist gefordert, beim Prinzip der Freiwilligkeit Kurs zu halten. Die Ausstattung der betrieblichen Altersvorsorge muss bei den Rahmenbedingungen verbessert werden, um den Herausforderungen dieses Wegs gerecht zu werden. Wenn dies beherzigt wird, bin ich zuversichtlich, dass wir das gesetzte Ziel der Reise auch erreichen werden, nämlich eine weitere nachhaltige Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge. 4 Alterssicherung – Herausforderungen und Perspektiven aus Sicht der Wirtschaft | Handelsblatt Jahrestagung – Betriebliche Altersversorgung | Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer Berlin, 16. März 2015
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