Whisper | Szene I m September wird mit Buchmarkt in 60 Minuten im Thiele Verlag aus der Feder von Jürgen Christen ein „launiger Streifzug durch die Welt der Büchermacher und -vermarkter“ erscheinen – innerhalb einer Reihe, die für ihren Verleger Johannes Thiele zu einer Erfolgsserie geworden ist und mit Titeln wie Frauen verstehen in 60 Minuten (2012 zum „kuriosesten Buchtitel des Jahres“ gewählt), Freimaurer in 60 Minuten, Weinkenner in 60 Minuten oder gar Ändere dein Leben in 60 Minuten inzwischen schon auf 35 Bände angewachsen ist. Meistverkaufter Titel war übrigens bislang Männer verstehen in 60 Minuten ... für mich ein Indiz, dass auch der geplante Band über den Buchmarkt (es geht NICHT um unser Magazin) auch ein Erfolg wird; auch nach fast 50 Jahren BuchMarkt scheint mir manches im Markt noch weit schwerer zu verstehen. Vor allem verstehe ich manche Auswüchse im Markt nicht: Muss denn wirklich alles gemacht werden, was machbar ist? Die einfache Idee von Armin Gmeiner etwa, einen Teil seiner Regionalkrimis künftig auch als „Badewannenbücher“ auf Plastik-Material zu drucken und damit auch aufblasbar zu machen, kann ich noch nachvollziehen. Denn sie ermöglicht es auch, ohne weitere Lesehilfen (Gmeiner: „In der Wanne hat man ja recht selten seine Lesebrille auf“) den Text auch stufenlos vergrößert zu lesen. A ber Rudolf Frankls Idee, künftig die Reihe dtv-Zweisprachig künftig nur noch zu je fünf Titeln gemischt sortiert abzugeben, finde ich doch ein wenig gewagt, auch wenn mir der altgediente Vertriebsmann erklärt, nur so die Stückkosten für diese schöne Reihe weiter kontrollieren zu können: „Die Baumärkte machen es uns doch vor: Auch wenn Du nur eine Schraube brauchst, musst Du eine ganze Schachtel kaufen; was ist schlimm, wenn wir auf der einen Seite den Preis pro Einzeltitel nur verdoppeln, künftig aber etwa vier Englisch-Titel aus der Backlist dazu sortieren. Das ist doch auch gleichzeitig Werbung für die Reihe“ (und angeblich vorerst nur ein Testlauf). M ein Freund Peter Sperber (Glückwunsch übrigens zum Geburtstag im April) hat sich darüber amüsiert, dass ich Tim Mälzers Namen, (auf der Ambiente Messe am Stand der DT-Collection getroffen), bei Facebook falsch gepostet hatte: „Du kochst wohl nicht“ – ich hatte dabei an meinen alten Kumpel Abraham Melzer gedacht, der gerade 70 geworden war (mehr auf buchmarkt.de). Thema auf der Ambiente war auch der Plan der Nürnberger Messegesellschaft, in Kooperation mit drei Schreibgeräterherstellern im Herbst in Nürnberg eine weitere Messe als Konkurrenz 100 Klatsch & Tratsch Ringsum fliegende Händler mit Südfrüchten, Jeans, Büchern: Eindrücke aus dem (einsti‑ gen?) Leseland, Leipziger Buchmesse 1990. Im „Neuen Deutschland“ steht: „Nun wird die Buchmesse in dieser Form die letzte sein.“ Nur in dieser Form? Ü Christian von Zittwitz [email protected] zur Frankfurter Paperworld zu etablieren. Ich zweifle, dass dieser Plan aufgeht. Das nicht nur, weil die Aussteller an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen – auch der Termin ist schlecht gewählt: Sie soll direkt nach der Frankfurter Buchmesse stattfinden, zeitgleich also mit den hoch erfolgreichen Essener Spieletagen, die diesen Termin seit 100 Jahren fest belegt haben. A uf der Leipziger Messe hat mir übrigens Atrium-Verlagsleiter Tim Jung einen Erich Kästner Kalender gezeigt, der gerade erschienen ist, ein Wandkalender für das Jahr 2016 mit zwölf Monatsblättern. Die Texte stammen von Erich Kästner, die Illustrationen von Walter Trier. Tim Jung verbindet damit eine in die Zukunft reichende Idee: „Jeder kennt die zeitlos-genialen Zeichnungen, die Walter Trier für die Bücher von Erich Kästner geschaffen hat, und die Kinder wie Erwachsene bis heute gleichermaßen faszinieren. Entsprechend schlägt unseren Vertretern im Handel große Begeisterung entgegen. Ich bin fest überzeugt, dass unser Kästner-Kalender das Zeug dazu hat, eine Institution zu werden. So werden wir in den kommenden Jahren die besten Illustratoren der Tim Jung Gegenwart einladen, Kästner zu illustrieren und auf diese Weise jährlich einen neuen, jeweils einzigartigen Kästner-Kalender anbieten.“ S tichwort Messe: Ein Blick zurück auf Leipzig: An den Kiosken BILD, WELT, ZEIT, SPIEGEL. Vor dem Messehaus am Markt eine riesige aufblasbare Banane („Chi‑ quita“ natürlich), überdimensionale PEPSI‑ und COCA COLA Dosen als Getränkestände. BuchMarkt April 2015 berall Veränderung. Auf dem Weg zur Buchmesse-Eröffnung im neuen Gewandhaus (Garderobe: 30 Pfennig) erzählt mir Hans Baier, noch Geschäftsführer des Leipziger Börsenvereins, daß er ab 19. April nicht mehr zur Verfügung stehen will. Ob der dann neu zu wählende Vorstand ihn wieder zum Geschäftsführer berufen hätte? Um die Ecke die größte und schönste Buchhandlung der DDR, das Franz‑Mehring‑Haus. Slogans im Fenster: „Kommen Sie rein“ – „Ja, Sie sind gemeint.“ Die Aufforderung wirkt (oder war’s die ganzseitige Pawlak‑Anzeige im Leipziger Volksblatt?): Unter der Glaskuppel drängen sich die Kunden zwischen riesigen Bücherpaletten Paletten voller Computerbücher (iwt), Stapeln von BI‑Titeln (DUDEN) und meterlangem Grün der Pons‑Titel von Klett – sicher Grund für Langenscheidt, auf der Messe die Entscheidung zu fällen, so schnell wie möglich einen eigenen DDR‑Vertrieb zu organisieren, ohne den Ausgang von Kooperationsgesprächen abzuwarten. Dr. Florian Langenscheidt: „Zu moderaten Preisen, wir denken an etwa 1:1,5“. Vertreter werden aber noch gesucht. Im Fenster auch eine Ecke mit den Abenteuer‑Reports von Frederking & Thaler. Von den Pawlak‑Titeln kaum noch was zu sehen. Dafür im Regal meiner Leipziger Gastgeber schon vier Kunstbücher aus dem Herrschinger Angebot, offensichtlich lediglich mit dem Faktor 2,5 kalkuliert verkauft, preiswert auch aus DDR‑Sicht. Nur der Leipziger Bezirk des Volksbuchhandels hatte eingekauft, für eine Million (DDR‑) Mark; 15 selbständige Volksbuchhandelsbezirke gibt es, deren Direktoren am Messemontag von der Firma Pawlak zum Abendessen eingeladen waren ... Bei Mehring-Haus‑Chef Wolf‑Diethelm Zastrutzki sitzen Abgesandte der Büchergilde Gutenberg. Nicht, um wie viele andere BRD‑Vertriebsbosse dem derzeit gefragtesten DDR-Buchhandelsmanager nur die Aufwartung zu machen. Es geht am Sonntag morgen noch um Geschäfte: Zastrutzki hat die Vertriebsfirma Sachsenbuch gegründet, bei der DDR-Buchhändler von außerhalb Bücher der Verlage iwt, Motorbuch, Carlsen, Klett und natürlich auch Pawlak ordern können – neben zwei weiteren DDR‑Kompagnons ist auch Manfred Pawlak mit 25% dabei. Sachsenbuch will ab 1. Mai in seinen Räumen auch der Büchergilde Gutenberg Unterschlupf gewähren. Und damit die ersten vier Titel nicht so allein sind, hat Sachsenbuch weitere Regale an westdeutsche Verlage vermietet. Wie das aussehen kann, zeigt ein zweites Sachsenbuch‑Lädchen, um die 18 qm, in der nur (noch?) Klett‑Titel verkauft werden – bis hin zum brandneuen „Illywhacker“ oder den Hörbühne‑Kassetten. Während ich fotografiere, schleppt Pirmin Nebel (früher bei Engel, jetzt auch als Verleger für Sondermärkte selbständig) 30 nicht mehr ganz taufrische Reiseführer rein: „Hatte ich zufällig im Auto.“ Noch läßt sich alles verkaufen – solange die Leute ihrer eigenen Währung nicht trauen. Stunden später ist die Schlange vor dem Franz‑Mehring‑Haus fast 200 Meter in lang. Ulrich Sonnenberg (Frankfurter VerUlrich Sonnenberg lagsanstalt) später: „Wir waren beim Goldrausch im Klondike. Nicht in Leipzig.“ Fliegende Händler nutzen den Informationshunger: Jürgen Schulter hat „15 Zentner“ (!) GmbH‑Kommentare von Dr. O. Schmidt mitgebracht, verkauft sie in der Passage unter dem Messehaus zum dreifachen Preis. Ob Schmidt überhaupt den Berliner Händler (Transina GmbH) kennt? Chancen überall – entsprechend gestreßt sieht Zastrutzki aus; zwei Tage später wirkt er entspannter, als er abends auf dem Weg zur „Mensa Rowohlt“ ist. Dort unter dem Friedensbaum, dekoriert von Rowohlt‑Werber und Krimi‑Autor Peter Mathews („Die Beule“, schreibt mit Partner Norbert Klugmann an einem neuen Krimi), finden Buchhändler nach Messeschluß in der reservierten UniMensa (meist) noch einen freien Restaurantplatz (zu Messezeiten sonst fast unmöglich) – jedenfalls noch am ersten Tag. Spricht sich schnell unter den Sortimentern herum. Der halbe Verlag, angeführt von Geschäftsführer Dr. Helmut Dähne, ist da; hält jeden Abend bis Mitternacht aus. Andere Stoßtrupps sind schon wieder auf der Abreise: Die Heyne‑Werber Mikkat und Winkler haben in der Mädler-Passage ein 20 Meter langes Fenster „Ein Verlag stellt sich vor“ dekoriert; die Vertriebsleute müssen aushalten. Im LKG hat Heyne eine eigene Ausstellung für Buchhändler organisiert, die dort jeweils 100er‑Pakete mit Heyne‑TopSellern ordern können: „Eins zu eins und kein Ramsch.“ Ist damit das Goldmann‑Angebot gemeint, 1000er‑Pakete zum gleichen Kurs? Angeblich betreibe Volker Neumann damit Lagerhygiene. Auch die meisten Verleger des Öhringer Kreises (früher die Mafia, die den Börsenverein beherrschte) sind schon wieder abgereist: Die angeblich schon ein halbes Jahr zuvor geplante Veranstaltung hatte vor Messebeginn 28 West‑ mit Volker Neumann acht Ost-Verlegern zusammengeführt – welche von ihnen werden sich im Amt halten können? Im Messehaus ungewohnt viel Platz, die Leinen, mit denen noch in den Vorjahren viele Weststände abgesperrt werden mußten, werden nicht gebraucht. Die Leser haben jetzt andere Möglichkeiten, sich zu informieren; Andrang bestenfalls bei den Fachverlagen. Viele Westverleger sind zum ersten Mal da, meist nur als Besucher. Anders viele Fachverlage. Und die Penguin Group, so ein Schild am Stand, gratuliert zur 825. Buchmesse, Leipzig wird 825 Jahre alt ... Bei Parey am Stand erzählt man: „Seit es die Leipziger Messe wieder gibt, sind wir dabei.“ Westdeutsche Sortimenter scheinen an Leipzig weniger interessiert. Immerhin werden (als einzige in Leipzig) Heiner Hugendubel („lch kaufe aber nichts.“) und Karl Eugen Schlapp gesichtet. Am Freitag soll noch ein Buchhändlerbus vom Landesverband NRW kommen. Die Stimmung ist unwirklich: draußen Volksfeststimmung – die Bierverleger machen jedenfalls mehr Umsätze als die DDR‑Verleger. Am RV‑Stand schreibt sich an seinem ersten Arbeitstag Dietmar Petricius, der erste DDR‑Vertreter des GeoCenters, die Finger wund (100 Aufträge im Schnitt pro Tag, nicht gezählt die von Paul Puppe, dem „SonDietmar Petricius dervertriebsbeauftragten DDR“ oder von RV‑Verlagsleiter Dr. Rainer Cordes, die mit an die Front müssen, während Geschäftsführer Wolfgang Kunth ständig Interviews geben muß. Plakat am Stand: „Wir suchen Außendienstmitarbeiter in der DDR.“ Aber melancholische Gesichter an den DDR‑Ständen: Wenn sich Sortimenter zu ihnen durchschlagen, wird meist nur storniert. Platz für Westware muß sein. Und: abwarten. BuchMarkt April 2015 Eine Volksbuchhändlerin: „Das ist doch alles nicht wahr.“ Gegenüber dem Stand des Werner Verlags die (neue?) Brandenburgische Verlagsanstalt. Werner‑Vertriebschefin Inge Schmerbeck, für Werner seit Jahren auf der Messe, klärt auf: „Das ist der frühere Militär Verlag. Im letzten Jahr standen die noch alle in Uniform am Stand.“ Dafür hat Heino Hanke gleich zwei Visitenkarten: eine als (DDR-) „Vertriebsbeauftragter“ von GU, die andere Wolfgang Kunth für Franz Schneider. Ein Plakat im Messehaus lädt zum „Besuch der Nummer l“ der Kinderbuchverlage“ in eine Leipziger Buchhandlung ein, wo alle Egmont‑ Firmen untergekrochen sind. Dort sind nach drei Stunden über 2.000 Micky Mausund Asterix-Hefte verkauft. BLV, dtv, DuMont, Hanser, KiWi haben als Partner der neuen Vertriebsfirma Diskurs Ikea‑Regale in einer Kirche aufgebaut. Kampiert werden soll in einem Feldbettlager. BLV-Werber Rudolf Parzhuber aber zieht den Wohnwagen von Kollegen Michael Lechler vor. Im Gang Jürgen Kreuzhage, sicher für Maxwell unterwegs, soll am Akademie Verlag interessiert sein. Aber Maxwell hat Michael Lechler sich vor kurzem mit Erich Honecker fotografieren lassen, scheint deshalb keine guten Karten zu haben. Andere, ebenfalls ausländische Verlagsgruppen, sind auch interessiert. Und ein Dr. Thaler von der Thurn & Taxis‑Holding sei auch unterwegs, um Jürgen Kreuzhage für den Fürsten „alle Kunstverlage“ aufzukaufen, würde deren Probleme lösen. Die westdeutschen Publikumsverlage drücken ihre DDR‑Kollegen schon physisch an die Wand. Bei Falken verteilen Verlegersohn 101 Whisper | Szene Olaf Sicker und Vertriebsleiter Michael Maaß, daß es in der DDR offiziell keine Inflation gab. Gegenüber, am Stand des Deutschen FachUntermieter beim Sportverlag‑Stand, überdimensionierte Büroklammern mit Falken‑Auf- verlags, über Standchef Wolfgang Weichdruck. Die Folge: ein Riesengedränge – die brodt (noch vor kurzem beim Börsenverein für Titel des Standnachbarn interessieren scheinbar die Zeitschriftenverlage zuständig) ein Schild: keinen. Ähnlicher Auftrieb bei Beltz: Verleger „Bestellen Sie alle Zeitschriften 1:1.“ Gabriela Dr. Manfred Beltz‑Rübelmann und Tochter Mair sitzt auf der Theke des Fachverlag‑Stanhelfen beim Verteilen von Jute‑Tragetaschen. des, um ihren Mann noch im Gedränge sehen Am schlimmsten das Gedrängel bei den Ra- zu können. Als sie von ihrem Hochsitz klettert, vensburgern: In der hintersten Ecke im fünften witzelt ein Fachverlag‑Mitarbeiter: „Schade, Stock des Messehauses verteilen Otto Maier, so schöne Werbemittel haben wir sonst nicht.“ Geschäftsführer Claus Runge und Werbeleiter Börsenvereins‑PR‑Chef Klaus Kluge hat Michael Pfleiderer Fähnchen, Aufkleber und eine schöne Info‑Broschüre über unseren VerProspekte: allein am ersten Tag vier (!) Kubik- band da: „Wer hätte das gedacht, daß wir das meter Werbematerial. mal schaffen.“ Dafür sind schon am ersten Christian Kupfer, Leiter des Postreiterver- Tag am Büchergilde-Stand die mitgebrachten lags, wird mit seiner Mannschaft und seinen Handzettel rar geworden, ganz zu schweigen Kinderbüchern am Stand gegenüber nicht nur von den Prospekten. Marketing‑Chef Hervon der Menge an die Wand gedrängt: Wie bei mann Schmidt: „Wir können doch nicht den fast allen DDR‑Verlagen ist auch die finanziel- Menschen, die seit 40 Jahren keine Schwarzle Zukunft seines Verlags unsicher, die Bücher wälder Kirschtorte genießen konnten, diesen nicht konkurrenzfähig, Druckkapazitäten man- Kuchen hinter vergitterte Schaufenster stellen.“ gels Westgeld wohl kaum zu bekommen. Po- Gleicher Meinung ist Wallmann‑Inhaberin tentielle Westpartner kennt er nicht: Als einer Maria Pohle: „Ihr könnt den Leuten nicht nur den Mund wässrig machen.“ In den Räumen der wenigen Verlagsleiter ohne Parteiabzeichen gehörte er „nicht zum Reisekader“. ihres auf religiöse Literatur spezialisierten (priBei den Ravensburgern am Stand zwei neue vaten) Barsortiments weitab vom Messehaus DDR‑Vertreter, (Konstruktion: selbständig). stellt z.B. auch die Verlagsgruppe List aus, die eigens 30 Bücher ausgesucht hat, von denen Einer reist noch für seinen alten Verlag mit – erstmals im aus Ravensburg für ihn mitge- der Buchhandel zum Kurs 1:1 jeweils maximal brachten VW Passat; für seinen alten Arbeitge- 5 Exemplare pro Titel bestellen kann. ber durfte er einen PKW nicht dienstlich nutzen, Andere Verlage machen ähnliche Angebote. Ist geklärt, wie ersetzt wurde nur die Eisenbahn‑Fahrkarte. deren Autoren dar„Onkel“ Franz Schneider aber fliegt: Mit auf reagieren? Die eigener Piper (s.a. BM 3/90, S. 248) ist er der DDR‑Verlage sind erste private Sichtflieger, der von München verbittert. „Wir aus nach Leipzig starten durfte (Flugzeit 1.55 bräuchten Zeit, uns h). Kam eigens zur Pressekonferenz seines Freundes Dr. Volkauf den Wettbewerb mar Mair, der seine einzustellen.“ VertriebskooperatiAber der Hunger on mit dem Tourist nach Westbüchern ist Verlag bekannt gibt. zu groß. Am KNO/ Dr. Mair nennt seiK&V‑Stand verteilt Rudolf Sommer ne Vereinbarung mit KV‑Kundenberater Tourist‑Chef Dr. ReRudolf Sommer ginald Pustkowski die brandheiße Info: „eine Firmenpartner- „Unser Beitrag für den Buchhandel in der DDR.“ schaft, denn es geht Das Angebot: Alle BS-Titel (150.000, Zahlung um mehr“. 1:3 Buchausstellungswagen und KundenbeKlaus Kluge Was man sich den- treuer) werden auf die Reise gehen, um bei ken kann: Mair setzt, der Buchauswahl zu helfen. die technischen BeRuheständler Siegfried Hoffmann, lange triebe eingeschlossen, rund 600 Mio. DM um. Jahre Vorsteher des Leipziger Börsenvereins, Tourist möchte keinen Umsatz nennen, denn über diese Praxis: „Gefährdet das nicht die „das würde ein falsches Bild geben, wir müssen Preisbindung?“ Und Klaus Mutzek (Verlag erstmal unsere Preise nach oben korrigieren“. der Nation): „Was ist mit Lizenzausgaben – Was für alle DDR‑Verlage gilt: Seit Jahren wird geprüft, daß unsere eigenen Bücher uns waren die Preise für Druckerzeugnisse festge- jetzt nicht hier Konkurrenz machen?“ Jürgen Voerster, mit Sohn Oliver ständig schrieben und subventioniert. Ein Kinderkalender, vor 30 Jahren für 3,80 M erschienen, präsent (hält jeden Abend auch in der Rokostet heute nicht mehr. So war sichergestellt, wohlt‑Mensa aus), wiegelt ab: „Das prüfen 102 BuchMarkt April 2015 wir vorher, soweit möglich“ – „ Aber andere Konsequenzen sind „bitter, aber unvermeidlich“. Deswegen wird schon mit Rüdiger Salat von ESKABE verhandelt, ob es Möglichkeiten gibt, neue Aufgaben für das auf den Import von DDR‑Literatur spezialisierte Unternehmen zu finden. Brücken‑Verlag‑Geschäftsführer HansWalter von Oppenkowski zieht schon am Morgen des zweiten Messetages die Reißleine: „Ende“. Er hatte gehofft, die DDR mit den „wichtigsten 500 Westtiteln“ beliefern zu können, um ein neues Feld für seine Firma zu finden. Jetzt läßt sich dieses Konzept nicht mehr realisieren. So ist bei den Verlagen zwar die Bereitschaft zum „Lernen“ (Jürgen Gruner, Vorsteher des Leipziger Börsenvereins, beim Empfang unseres Verbandes) da. Aber bleibt dafür noch Zeit? Welche der rund 80 DDR-Verlage werden sich halten können? Denn die Erwartungen der DDR‑Verlage sind größtenteils enttäuscht worden – aus den meisten Kooperationsgesprächen im Vorfeld von Leipzig ist nichts geworden. Ungeklärt ist ja nicht nur ihr finanzieller und firmenrechtlicher Status, ungeklärt ist auch, wieviel Leute sie künftig noch beschäftigen können. Unerfahren sind sie, was Vertrieb und Werbung angeht, die Vertriebskontakte zur BRD müssen erst aufgebaut werden. Gruner leise: „Das ist eine uns noch fremde Welt.“ Dr. Andreas Meyer, bei List zuständig für die DDR, erklärt sich denn auch spontan dazu bereit, seine Gedanken für BuchMarkt aufzuschreiDr. Andreas Meyer ben (S.184). Denn: „Es ist schon brutal, wie wir hier durch unser Drängen auf den Markt eine Buchkultur zerstören. Ist schon schizophren. Ein Totentanz.“ Er spricht offen aus, was viele befürchten: Wird es noch eine nächste Buchmesse geben, wenn überall die Zeichen auf Abbruch stehen? Bei Buchexport, der bisherigen Schaltstelle im Ost‑West‑Verkehr der Bücher, werden zwar schon Handzettel mit „The International Leipzig Bookfair will go independent“ ausgeteilt – im nächsten Jahr soll sie erst im April (24. bis 29.) und abgekoppelt von der Industriemesse stattfinden. Aber wird sie dann noch gebraucht? Wie viele Verlage werden dann noch existieren? Auch Buchexport (um die 200 Mitarbeiter) soll angeblich aufgelöst werden, was Direktor Norbert Mahn bestreitet: „Immerhin machen wir drei Viertel unseres Umsatzes mit dem Ostblock. Außerdem sehen wir Aufgaben im Messegeschäft.“ Aber nicht nur für seinen Betrieb („Keine Sorge. Wir arbeiten hochrentabel“) bleiben künftig die Subventionen aus, die die DDR mit niedrigen Buchpreisen, aber immer mit zu knappem Angebot zu einem Leseland ohne Vergleich gemacht haben. Was beispielsweise für Seemann‑Verlagsleiter Rudolf Winkler und die von ihm verlegten Reihenwerke zum Problem wird: „Wir sind fast handlungsunfähig. Viele Reihenwerke, deren Anfangsbände wir lieferbar halten müssen, sind noch lange nicht abgeschlossen. Und die Neuproduktion ist nicht abgesichert.“ Wenig Trost für ihn, daß die 50.000 Merian‑Hefte „DDR“ am Messedienstag vor großem Publikum der Presse vorgestellt, zwei Tage später ausverkauft sind und ein Nachdruck schon avisiert ist. Beilage im Heft übrigens eine Werbekarte vom (zur Ganske-Gruppe gehörenden) Leserkreis Daheim, mit der um Lesemappen‑Bezieher in der DDR geworben wird: „Ein kleines Stück Freiheit, mit der wir Ihnen näher kommen wollen“ – mit Publikumszeitschriften aus dem Westen, versteht sich. Glänzende Stimmung aber nach dem Merian‑Auftritt bei der Hamburger Truppe. Zwar war das Buffet angesichts des großen Andrangs zu knapp bemessen – die Gastgeber müssen später am Sachsenplatz eine Würstchenbude ansteuern. Ganske‑Ehefrau Viktoria wartet für die Herren geduldig in der Schlange (Pommes 4 Mark, Bratwurst 6 Mark – in Westgeld hätte es nur ein Drittel gekostet), während HoCa-Inhaber Thomas Ganske mit seinem General Karl Udo Wrede und Marketing‑Chef Uli Meier dem ebenfalls hungrigen Econ‑Geschäftsführer Michael Staehler von der durchweg positiven Resonanz auf die Merian‑Präsentation erzähUli Meier len. Kompliment: Das Heft ist toll geworden, die angekündigte Konkurrenz von GEO, am Vortag vorgestellt, noch lange nicht auf dem Markt. Aber da war das Buffet besser, wie AZ-Kulturchef Karl Otto Saur (der Bruder vom VLB‑Verleger K.G. Saur) witzelte. Beim HoCa‑Empfang auch die Münchner Literaturagentin Lianne Kolff, in Leipzig auf Kontaktsuche zu DDR‑Autoren: „Ich wundere mich, daß nicht mehr Agenten hier sind.“ Gespieltes Unverständnis in der Runde: Wieso, drei Viertel der Leu- sinnvoll sei. Fest scheint jedenfalls zu stehen, te hier im Saal waren daß von 60 Buchhandlungen aus dem Leipziger das doch, jetzt immer Bezirk 15 geschlossen werden. Größer jedoch sei derzeit die Sorge um die noch jeder zweite ...“ Zukunft des LKG: „Wenn sich die Schleusen Frau Kolff kontert öffnen, sind Ihre Bücherwagen schneller hier mit einem Witz, den Lothar Schirmer als unsere Bücher.“ Kein Wunder bei Lieferim Flugzeug nach zeiten von durchschnittlich 35 bis 40 Tagen. Leipzig erzählt haDas LKG sorge mit einer ganzseitigen Anzeiben soll: „Die Ber- ge für Verwirrung, fordere zur Gründung von telsmänner haben privaten Buchhandlungen auf, will UnterstütThomas Ganske jetzt alle ehemali- zung bieten – um Lagerbestände loszuwerden, gen Stasi‑Leute als wie spekuliert wird? Lesering‑Vertreter Unterstützung für aktive Buchhändler bieangeheuert. Die wissen schließlich von jedem, ten aber auch die Westverlage. Wolf‑Dietrich was er liest und kommen in jede Wohnung rein. Hannecke trennt sich nur widerstrebend von Die brauchen ja bloß zu sagen, sie müßten die einem Polaroid, das die Einrichtung der neu erWanzen abbauen.“ richteten Filiale der Volksbuchhandlung Robert Der Empfang des (West‑) Börsenvereins in Blum zeigt: 35 qm, komplett eingerichtet im der Deutschen Bücherei hat Symbolcharakter. „DECOMOD‑System“, deren Preis sich HanAls Jürgen Gruner sagt: „Wir sind die Ler- necke und Bastei‑Lübbe „fair geteilt haben“ nenden“, sitzen die über dreihunderi Sortimen- – dort stehen seit Messemontag 7.000 Bücher tergäste an den Bibliothekstischen wie Schüler aus Bergisch‑Gladbach. Platz ist aber immer an ihren Pulten. nur für 20 Kunden, die von Sortimenter Peter Und während Meinhardt nur schubweise eingelassen werPeter Meier, Chef- den. Pawlak‑Geschäftsführer Gert Frederking: redakteur des Leip- „Eine Abstimmung der Leser mit den Füßen.“ ziger Börsenblatts, Beim (letzten?) Empfang von Buchexport später im Gedränge und Börsenverein Ost am Messedienstag mehden Rücken von ren sich die Stimmen der Kritiker, die den „Kolonialstil“, mit der die westdeutschen Verlage Schneekluth‑Verleger Ulrich Staudin- auf den Markt drängen, beklagen. Vorwurf an ger nutzt, um dessen die Regierung, einen rechtlosen Raum zugeAbo‑Bestellung auf lassen zu haben, der jetzt genutzt werde, um ein Börsenblatt zu Marktanteile zu besetzen. Lianne Kolf notieren, macht Aber Dieter Lange, Hauptabteilungsleiter allmählich im Saal für die Verlage im Ministerium für Kultur: die Runde, daß das „Was hätten wir machen sollen? Wäre es Ihnen lieber gewesen, die Leute hätten Bananen statt Klima zwischen Ost‑ und West‑Verein so gut Bücher gekauft?“ nun auch wieder nicht sei. Hatte nicht unsere Vorsteherin deutlich die unveränderte AnnahSeine Vorgesetzte gibt sich damit nicht zume unseres Vereinsstatuts empfohlen? Da regt frieden. Brigitte Weiß, stellvertretende Minissich Protest. terin für Kultur: „Ich bin traurig, wie unsere Buchkultur weggespült wird.“ Und: „Bücher Alle sind übrigens neugierig, wie und ob sich die privaten Buchhändler im neuen Börsenver- sind sensibler als Bananen“. ein organisieren werden. Zumal die Zukunft Station auf der Rückreise bei der privaten des Volksbuchhandels ebenso ungewiß scheint. Buchhandlung A. Kockler in Naumburg, die Heinz Börner, Chef der in Auflösung begrif- auch Dieter E. Zimmer schon in seinem großen ZEIT‑Artikel erwähnt hat: In dem winzifenen zentralen Leitung des Volksbuchhandels gen Laden drängen sich die Kunden. Inhaber (6.000 Mitarbeiter, 90 % Frauen, 40 % als Teilzeitkräfte, Ge- Michael Seidel, früher als Ingenieur zur See samtumsatz ca. 850 gefahren, muß ständig an die Kasse, seine Frau Mio. M.), schließt ist einkaufen, hinten im Laden Stapel von Bünicht aus, daß aus chem aus dem Verlag an der Este (der Kontakt den 15 jetzt selb- mit Verleger Wolf Marchand kam über das ständigen Bezirken Treffen des niedersächsischen Landesverkünftig Kapitalge- bandes zustande). Seidel hat Pläne. Vorn am Markt, in bester sellschaften werden. Lage, hat er ein großes Ladenlokal angemieVolker Gondrom soll schon mal vor- tet. In einem der Fenster zeigt ein Schild, was kommt: „Warten Sie auf das Naumburger Angefühlt haben, ob tiquariat.“ Gründerzeit. eine Kooperation Lothar Schirmer BuchMarkt April 2015 103
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