praktisch praktisch Zahlen Fakten Flüchtlingszahlen verdoppelt Kamen 2013 noch 1.111 Menschen als Flüchtlinge nach Bremen, stieg ihre Zahl 2014 auf 2.233. Im laufenden Jahr werden 5.000 Flüchtlinge in Bremen erwartet. Wohnungsmarkt Flüchtlinge sollen möglichst schnell in eigene Wohnungen umziehen und nicht dauerhaft in Übergangswohnheimen leben. Das gelingt in Bremen im Vergleich zu anderen Bundesländern gut: 1.000 Flüchtlinge, die Hälfte der neu in Bremen angekommenen Menschen, leben bereits in eigenen Wohnungen. Die meisten ziehen in die Vahr oder nach Tenever, Huchting und Lüssum. Denn dort gibt es günstigen sozial gebundenen Wohnraum. text & foto Matthias Dembski Rechtsanspruch – aber nicht ortsnah In den evangelischen Kitas, z.B. in Lüssum, in der Vahr und in Huchting, ist das bereits Praxis. Und doch machen sich die Kita-Leiterinnen Sorgen. Denn einen Plan, wie Flüchtlingskinder schnell wohnortnah einen Kita-Platz bekommen können, gibt es in Bremen nicht. Grundsätzlich haben sie wie alle Kinder einen Rechtsanspruch. „Den lösen wir auch innerhalb eines Vierteljahres ein“, betont Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin. Das sei nicht immer wohnortnah möglich, räumt aber auch die Sozialbehörde ein. „Es mangelt uns nicht am Bemühen. 130 Flüchtlingskinder sind bei insgesamt 20.000 betreuten Kindern für unser BEK Forum Mai 2015 Aufnahmeverfahren Das Kita-Anmeldesystem ist starr: Wer sein Kind nicht Anfang des Jahres anmeldet, kann nur auf einen Nachrückerplatz hoffen oder muss auf einen anderen, teils weit entfernten Stadtteil ausweichen. Kitas können keine Plätze „freihalten“, weil sie für möglichst volle Auslastung sorgen müssen. Fair & transparent Verteilungsgerechtigkeit bei der Platzvergabe ist wichtig: Das Aufnahmeverfahren muss für ortsansässige wie neu zuziehende Familien fair und transparent sein. Sonst kommt es zu Widerständen und Streit in der Elternschaft. Gespräche mit Stadtteilgremien: Trägerübergreifend das Gespräch mit der Politik suchen! Frühzeitige Kontakte mit Flüchtlingsheimen: In Übergangseinrichtungen kümmern sich Eltern meist selbst um die Kinder, ergänzt durch Angebote z.B. von Kirchengemeinden oder Sportvereinen. Willkommens-Nachmittage oder Flüchtlings-Cafés: Flüchtlinge, die neu zuziehen, zum Kennenlernen einladen. Das erleichtert weitere Integrationsschritte, z.B. die Kita-Anmeldung. Tausch-Tische z.B. für Kinderkleidung und Sachspenden organisieren. Team-Fortbildungen: Flüchtlingsbetreuer oder andere Experten einladen (Grundlagen des Asylrechts, Interkulturelle Kommunikation). Beratungsmöglichkeiten zusammenstellen: Kontakte zum Verein Zuflucht, zu Flüchtlingsbetreuern und Beratungsstellen im Stadtteil, Refugio, SprachkursAngebote usw. sollten in der Kita vorliegen Supervision und Fachberatung organisieren: Wer z.B. mit traumatisierten Kindern in der Kita arbeitet, braucht Unterstützung. Kitas und Flüchtlinge Genaue Zahlen für Bremen gibt es nicht, und doch ist klar: Flüchtlingskinder brauchen Kita-Plätze, um Deutsch zu lernen und sich möglichst schnell einzuleben. 130 Kinder zwischen drei und sechs Jahren waren es im vergangenen Herbst. Für ihre Familien sind die Kitas ein wichtiger Ankerpunkt im Stadtteil, nachdem sie eine eigene Wohnung bezogen haben. Hier knüpfen sie Kontakte mit anderen Eltern, über die Kinder entstehen Freundschaften, und auch praktische Unterstützung – von Kinderkleidung bis zum Hausrat – kommt in Gang. 8 130 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren waren im September 2014 in Bremen als Flüchtlingskinder gemeldet. Aktuellere Zahlen hat die Sozialbehörde nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der Flüchtlingskinder im Kita-Alter zunimmt. Insgesamt werden in Bremen etwa 14.000 Kinder in Kitas und 6.000 Kinder (unter drei Jahren) in Krippen betreut. Flüchtlingskinder in der Kita Kita-System nicht dramatisch, auch wenn der Platz für jedes einzelne Kind natürlich ein wichtiges Thema ist.“ Lange Wege für Kinder und Eltern Teils nehmen Eltern bereits lange Wege in Kauf, wie Kirsten Vöge, stellvertretende Leiterin der Dietrich Bonhoeffer-Kita in Huchting, weiß. „Wir haben eine Familie, die jeden Tag aus der Bremer Neustadt ihr Kind zu uns nach Huchting bringt, weil sie wohnortnah keinen Platz bekommt.“ Vöge kritisiert: „Wir müssen leider nach dem Motto verfahren, wer zu spät kommt, der hat halt Pech.“ Im Extremfall zieht ein Flüchtlingskind z.B. im Mai neu zu und muss bis zum Sommer des Folgejahres warten. „Wenn monatlich zehn Wohnungen in der Vahr an Flüchtlingsfamilien gehen, brauchen wir Konzepte, die der Ortsbeirat auch schon angemahnt hat“, sagt Kita-Leiterin Liselotte Warnecke. „Die Familien brauchen schnell Schulund Kita-Plätze in ihrer Nähe.“ „Wir brauchen Integrations-Guides“ Hinzu kommt ein anderes Problem: Das Kita-System und die deutsche Bürokratie sind für Flüchtlinge kaum zu verstehen. „Wir brauchen Integrations-Guides, die Familien auch in eigenen Wohnungen weiter unterstützen.“ Sozialressort-Sprecher Schneider verweist auf die Wohnraumvermittler, die auch über Schul- und Kita-Plätze informieren würden. Die Erfahrungen z.B. in Huchting sehen anders aus: „Wir sind als Kita die Haupt-Anlaufstelle für die Eltern. Da geht es um Fragen, wie die in Freiburg angekommene Ehefrau nach Bremen kommen kann oder was man tun kann, wenn das Handy wegen zu hoher Gesprächskosten nicht mehr funktioniert. Die Eltern wenden sich an uns, weil sie uns vertrauen und sonst niemanden ansprechen können.“ In Brennpunkten keine Plätze aufstocken In Lüssum sind derzeit fünf Flüchtlingskinder in der evangelischen Kita. „Im Sommer 2015 haben die Familien überraschend und unkoordiniert Wohnungen im Stadtteil bekommen“, berichtet Leiterin Jutta Wedemeyer. Absehbar sei, dass die vorhandenen Kita-Plätze bei weiteren Zuzügen nicht ausreichten. „Wir haben uns dagegen entschieden, vorhandene Gruppen aufzustocken.“ In einem sozialen Brennpunkt sei dies nicht verantwortbar, so Wedemeyer. Eine Erfahrung, die ihre Kollegin Liselotte Warnecke aus der Neuen Vahr teilt. „Bei uns lebt jedes zweite Kind von Hartz IV. Die Probleme sind so vielfältig, dass 20 Kinder die absolute Obergrenze sind.“ Die größte Herausforderung ist die Durchmischung einer neuen Gruppe. „Wir wollen natürlich nicht nur Flüchtlingskinder dort aufnehmen“, unterstreicht Wedemeyer. Erst so werde eine Integration überhaupt möglich. „Bedarfsanalyse und Planung fehlen“ „Letztlich bleibt es die politische Verantwortung des Senats, Grundsatzentscheidungen für bestimmte Stadtteile zu treffen, in die absehbar viele Flüchtlingsfamilien ziehen werden. Wir brauchen eine zuverlässige Bedarfsanalyse und Planung“, meint Kirsten Vöge. Unterstützung bei Sprachentwicklung und Integration, aber auch Traumatisierungen und andere Probleme erfordern aus Sicht der Kita-Leiterinnen mehr Personal oder kleinere Gruppen, um intensiver mit diesen Kindern arbeiten zu können. Unterstützung durch den Landesverband Träger und Sozialbehörde haben bereits darüber diskutiert, wie die Kita-Ausstattung für Flüchtlinge angepasst werden muss, berichtet Carsten Schlepper, Leiter des evangelischen Kita-Landesverbandes. „Wir unterstützen mit unserer Fachberatung die Kitas ebenso wie der Kinderschutzbund mit seinen psychologischen Beratungsangeboten oder auch Refugio, das Bremer Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge.“ Bei Refugio liege die Wartezeit derzeit aber bei einem halben Jahr, berichtet Britta Ratsch-Menke vom Verein Zuflucht. Für die Bremische Evangelische Kirche sei klar, dass sie ihre Kitas nach Kräften unterstütze, betont Carsten Schlepper: „Sollte es Bedarf an Dolmetschern, Fachberatung oder Fortbildung geben, wird der Landesverband die Kosten dafür tragen.“ Die Kitas vor Ort hören das gerne. „Wir haben nämlich bislang das Problem, dass Übersetzer nicht bezahlt werden“, sagt Liselotte Warnecke. „Integration kann gelingen“ Trotz aller Herausforderungen: Integration kann gelingen, das ist die langjährige Erfahrung der evangelischen Kitas. „Als vor 20 Jahre viele kurdische Familien in die Kita kamen, war das auch eine Herausforderung. Die Angst vor einer Parallelwelt war unbegründet, sie leben heute selbstverständlich in unserer Mitte“, sagt Jutta Wedemeyer. „Wir müssen ebenso gelassen wie beharrlich nach Lösungen für eine gute Integration suchen. Wenn ich erlebe, wie rasant sich die Kinder entwickeln und wie motiviert sie lernen, sehe ich die Bereicherung, die sie uns bringen. Die strahlenden Kindergesichter entschädigen uns für die Mühe!“ k kontakt Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder Telefon 0421/346 16-0 [email protected] www.kirche-bremen.de BEK Forum Mai 2015 9
© Copyright 2024 ExpyDoc