02/2014 Nr. 21 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Vor wenigen Monaten konnten das fünfjährige Jubiläum des Wohnnetz Interlaken feiern. Und es gibt Grund zum Feiern, denn das Angebot trifft einen Bedarf und ist im stetigen Wachstum. Gleichzeitig müssen wir über unerwünschte Kürzungen und Veränderungen bei den Fachstellen berichten. Der Artikel aus der Werkstatt Plus zeigt auf, wie etwas Neues entsteht, während der Text „Ein Winter auf der Gasse“ von wiederkehrenden Herausforderungen unserer KlientInnen berichtet. Konstanz, Veränderung, Erneuerung – das heutige Contactuell bietet von allem etwas. Und die letzten Monate im Contact Netz waren geprägt von diesen verschiedenen Dynamiken und Stossrichtungen. Dieses Spannungsfeld ist herausfordernd, aber auch belastend. Contact Netz – Kompetenzzentrum Schadenminderung Das Contact Netz wird sich in Zukunft als „Kompetenzzentrum Schadenminderung“ positionieren. So hat es 2013 die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (GEF) entschieden. Was das für das Contact Netz heisst, soll hier kurz erläutert werden. Die Schadenminderung, eine der vier Säulen der Schweizer Drogenpolitik, umfasst laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) „alle Massnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die Risiken des Konsums von psychoaktiven 1 Substanzen zu verringern.“ Moderne Schadenminderung bezieht sich insbesondere auf Drogen, Alkohol und Tabak. Eigentlich entspricht es aber doch dem Naturell von uns Menschen. Paulo Coelho hat im Buch „Der Dämon und Fräulein Prym“ dazu passend geschrieben: „Der Mensch will immer, dass alles anders wird, und gleichzeitig will er, dass alles beim Alten bleibt.“ K+A, Bern Rahel Gall Azmat, Leiterin Regionalstelle Contact Netz Thun-Oberland Im Fokus der Schadenminderung des Contact Netz stehen die Reduzierung des problematischen Suchtmittelkonsums und 1 www.bag.admin.ch/themen/drogen (13. Jan.2014) dessen Folgen sowie die Etablierung politischer Rahmenbedingungen für eine Marktregulierung, die einen direkten schadenmindernden Einfluss auf den Konsum haben. Auf gesellschaftlicher Ebene geht es darum, die sozialen Kosten zu verringern und die öffentliche Sicherheit zu erhöhen. Darüber hinaus erhalten Konsumierende konkrete Hilfeleistungen. Ziel ist, dass sie eigene Kompetenzen im Umgang mit Suchtmitteln erlangen, sich sozial integrieren und sich bezüglich ihrer Suchterkrankungen behandeln lassen. Für die Zukunft sieht das Contact Netz folgende acht mögliche Felder der Schadenminderung, in denen es bereits aktiv ist, die aber noch weiter entwickelt werden können: 1. Basisinterventionen: „Überlebenshilfe“ in den Anlaufstellen (Kontakt- und Anlaufstellen, mobile Frauenanlaufstelle für drogenabhängige Sexarbeiterinnen, Treffpunkt für Alkoholiker, Spritzenumtausch inkl. Infocafé). 2. Soziale Intervention: Befriedigung elementarer und sozialer Grundbedürfnisse im Bereich Wohnen und Arbeit (Begleitetes Wohnen, teilbetreutes Wohnen, Sozialbetriebe). 3. Sozialmedizinische Intervention: basismedizinische Dienstleistungen im psychiatrischen und somatischen Bereich (Substitutionsbehandlungen in Zentren für ambulante Suchtbehandlung – 2 exkl. Diaphin ). 4. Mobile Intervention: mobile Interventionen vor Ort (Nightlife, 2 Handels- bzw. Markenname für Heroin 1/4 CONTACTUELL - Regionalstelle Contact Netz Thun-Oberland Streetwork), in den Basisangeboten sowie bei Einzelpersonen und Familien. 5. Angewandte Forschung und Entwicklung: Beteiligung an Projekten und Forschung, um Grundlagen zur Führung und Weiterentwicklung von Schadenminderungsangeboten zu erarbeiten. 6. Schulung und Weiterbildung: Weiterbildungsangebote für Institutionen und Einzelpersonen, auch für die Regelversorgung, um die Schadenminderung zu professionalisieren. 7. Nationales und internationales Engagement: Beteiligung an nationalen und internationalen Projekten, um Erfahrungen und Wissen an Organisationen und Netzwerke weiterzugeben (zur Förderung von Entwicklung und Lernprozessen). 8. Schadenminderung und Suchtpolitik: Engagement für Weiterentwicklung und Innovation der Schadenminderung, insbesondere um die Durchlässigkeit der Vier-Säulen-Politik sowie die Regulierung der Märkte von Suchtmitteln zu fördern. Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact Netz Die Beratung im Wandel Bei der Beratung des Contact Netz muss gespart werden. Dies hat die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (GEF) der Geschäftsleitung im August mitgeteilt, und zwar in der Höhe ca. einer Million Franken, also einem Drittel des Kostenrahmens der Fachstellen. Dies hat auch für die Fachstellen in Thun und in Interlaken Konsequenzen. In Thun hat der Berater Martin Grossen seine Stelle gekündigt und diese Stelle wird nicht mehr besetzt. Zudem haben mehrere Mitarbeitende ihre Stellenprozente reduziert, und das Sekretariat ist weniger besetzt. In Interlaken verlässt Monika Lüdin die Fachstelle per Ende Februar 2014. Als Mitarbeiterin im Wohnnetz Interlaken bleibt uns Monika Lüdin aber erhalten. Die Fachstellen werden weiter funktionieren und das Angebot wird möglichst gut aufrechterhalten. Jugendliche und junge Erwachsene sollen auch in Zukunft gute, unkomplizierte und professionelle Unterstützung erhalten. Es wird jedoch nicht möglich sein, die vom Kantonsparlament entschiedenen Sparmassnahmen ohne Leistungsabbau umzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass sich Wartezeiten verlängern, die Beratungsfrequenz abnimmt, oder dass bei Anfragen für Veranstaltungen an Schulen eine Absage erteilt werden muss. Die GEF hat des Weiteren entschieden, dass die Fachstellen des Contact Netz per Anfang 2015 zur Berner Gesundheit überführt werden sollen. Die konkrete Umsetzung dieses Entscheides wird im Verlaufe des Jahres geplant. Wir hoffen auf viele angeregte Gespräche auf der Beratungsstelle, denn gerade die alltägliche Arbeit und die Erfolge unserer Klientinnen und Klienten motivieren uns – trotz schwierigen Rahmenbedingungen. 02/2014 Nr. 21 In diesen fünf Jahren wurden gut 60 Männer und Frauen vom Wohnnetz Interlaken unterstützt. Viele dieser Menschen haben Probleme mit Suchtmitteln oder sind psychisch oder geistig beeinträchtigt. Zu den Begleiteten gehören aber auch Personen mit anderen erschwerenden Lebensumständen oder Jugendliche in einer schwierigen Ablösungsphase. Wohnnetz Interlaken Im Wohnnetz Interlaken arbeiten drei Fachpersonen aus dem Sozialbereich, welche ihre Klientinnen und Klienten regelmässig zuhause besuchen. Sie unterstützen die Begleiteten auf sehr alltagsnahe Weise bei Fragen rund um Haushaltsführung, Gesundheit, Tagesstruktur oder Administration. Rahel Gall Azmat, Leiterin Regionalstelle Contact Netz Thun-Oberland Wohnnetz Interlaken Happy Birthday Wohnnetz Interlaken! Im 2013 feierte das Wohnnetz Interlaken sein fünfjähriges Jubiläum. Das Wohnbegleitungsangebot in der Region Interlaken gehört seit 2008 zum Contact Netz. Es entstand auf Initiative des 1992 gegründeten und nach langjähriger Arbeit aufgelösten Vereins Wohnhilfe Interlaken. Dabei wird immer auch die Entwicklung von sozialen und lebenspraktischen Fähigkeiten angestrebt, damit die Klienten und Klientinnen in verschiedenen Lebensbereichen mehr Eigenveranwortung übernehmen können. In seiner Arbeit legt das Wohnnetz Interlaken grossen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit andern Hilfsangeboten. 2/4 CONTACTUELL - Regionalstelle Contact Netz Thun-Oberland Die Finanzen für eine Wohnbegleitung sind gut investiert. Die kostengünstige ambulante Wohnbegleitung verhindert in vielen Fällen eine sehr viel teurere stationäre Betreuung. Oft kann eine Wohnbegleitung zudem den Verlust der Wohnung verhindern und den Verbleib in einer selbständigen Wohnform ermöglichen. Monika Lüdin, dipl. Sozialarbeiterin HFS, Wohnnetz Interlaken Ein Winter auf der Gasse? Der Winter ist hart für Menschen, die auf der Gasse leben. Sie sind dauernd auf der Suche nach Wärme. Oft bleiben ihnen nur kurze Aufwärmphasen in öffentlichen Toiletten oder in Geschäften. Auch die Gesundheit und der Zeitvertreib ist im Winter ein Problem: Regelmässige Kontakte fehlen, denn beim Zusammensitzen in den Strassen Thuns befürchten unsere Besuchenden oft, von der Polizei weggewiesen zu werden. Sie erzählen, wie froh sie sind, dass es das SPUT Thun gibt: Es ist in Thun der einzige Aufenthaltsort, wo sie sich in Ruhe treffen und aufwärmen können. Ihre Dankbarkeit scheint in diesen Tagen häufig durch, und sie wünschten auch Öffnungszeiten am Nachmittag. Um die Weihnachtszeit sind wir bemüht, unseren BesucherInnen diese schwierige Zeit mit speziellen Anlässen etwas zu versüssen. Versüssen – im wahrsten Sinne des Wortes. Am 11. Dezember 2013 haben wir nachmittags eine „Guetzlete“ veranstaltet. Die entstandenen Brunsli, Mailänderli, Kokosmakrönli und Vanillekipferl konnten die Teilnehmenden anschliessend mitnehmen. Ein Besucher taute beim Mailänderli Ausstechen regelrecht auf. Das habe nun wirklich Spass gemacht, nach mehr als zehn Jahren wieder mal zu guetzele. 02/2014 Nr. 21 wir für selbst gesammeltes Material eine bessere finanzielle Entschädigung erhalten. Das Recycling in der Werkstatt Plus hat im letzten Jahr den Wandel vom reinen „Zerlegebetrieb“ in einen professionell funktionierenden Recyclingbetrieb geschafft. Guetzele im SPUT Thun Am 24. Dezember abends fanden gut 20 BesucherInnen ein weihnächtlich geschmücktes SPUT Thun mit Buffet und einem kleinen Weihnachtsgeschenk vor, und zur Feier des Jahresbeginnes gab es am 2. Januar 2014 einen reichhaltigen Brunch, an dem sich viele BesucherInnen in guter Stimmung erfreut haben. Der Neujahrsevent Ende Januar mit Raclette à discrétion, der alljährlich von der Wohnhilfe, der HeGeBe und dem Contact Netz organisiert wird, bildete den Abschluss der Festivitäten des Jahreswechsels. Damaris Gutzwiller, Leiterin SPUT Thun Erneuerung im Recycling der Werkstatt Plus In der Werkstatt Plus können Drogen Konsumierende u.a. in der Recyclingwerkstatt einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen. Ca. 20 Tonnen gesammeltes Recyclingmaterial; offizielle Sammelstelle in der Stadt Thun; regelmässige Abholrunde mit eigenem Lastwagen bei verschiedenen Firmen in der Umgebung von Thun: Dies sind einige wichtige Fakten, welche einen grossen Wandel innerhalb des Recyclingbereiches der Werkstatt Plus zeigen. Waren wir vorher mehrheitlich von wenigen Zulieferfirmen abhängig, beschaffen wir heute ca. einen Drittel des Recyclingmaterials selber. Dies hat neben einer grösseren Unabhängigkeit den Vorteil, dass Recycling in der Werkstatt Plus Die Werkstatt Plus organisiert regelmässig in Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden Sammeltage. An diese Events werden nicht nur alte Fernseher oder Computer gesammelt, sondern sie können auch genutzt werden, um die weiteren Angebote und Dienstleistungen der Werkstatt Plus bekannt zu machen. Die Neuorganisation der Recyclingwerkstatt hat den Output und die Rentabilität gesteigert. Dadurch können - trotz Spardruck im Kanton - die Arbeitsmöglichkeiten für unsere Klienten und Klientinnen gesichert werden. Denn sie hätten Mühe, in anderen Arbeitsgebieten die geforderte Leistung zu erbringen. Bärni Oestreich, Leiter Werkstattt Plus 3/4 CONTACTUELL - Regionalstelle Contact Netz Thun-Oberland 02/2014 Nr. 21 Personelles Martin Bühler „Ich bin Student, heisse Martin Bühler, bin 34 jährig und der neue Praktikant in der Werkstatt Plus. Ich freue mich auf ein spannendes und abwechslungsreiches Jahr und einen Schritt in eine neue Richtung.“ Vorankündigung Mitgliederversammlung Förderverein Contact Netz, Region Thun-Oberland: 20. Mai 2014, 19.15 Uhr Lötschbergzentrum, Burgersaal, Spiez Martin Bühler Impressum Herausgeber/Kontakt: Contact Netz Regionalstelle Thun-Oberland Contactuell Scheibenstrasse 3 3600 Thun Tel. 033 225 21 21 [email protected] www.contactnetz.ch Fotos: Seite 1 Seiten 2 - 4 © Ruben Wyttenbach © Contact Netz Contactuell erscheint zwei Mal jährlich. 4/4
© Copyright 2024 ExpyDoc