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marburg
Oberhessische Presse
das thema
Freitag, 24. Oktober 2014
Klimawandel in der arKtis
Johannes Lang mal nicht in der
Arktis, sondern beim Waldspaziergang mit seinem Hund.
zur person
Der Mann der Hasen, Lemminge und Haselmäuse: Johannes Lang arbeitet seit
über zehn Jahren freiberuflich als Wildbiologe und Säugetierkundler. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehörte
in den letzten Jahren vor allem
die systematische Erfassung
von Säugetieren. Im Herbst ist
er im Landkreis Marburg-Biedenkopf unterwegs, um Haselmäuse zu zählen. Außerdem bewertet er Bejagungskonzepte und Wildmanagementstrategien für deutsche
Nationalparks. Seit über zehn
Jahren ist er an dem Langzeitforschungsprojekt „Karupelv Valley Project“ beteiligt.
Die Forscher beobachten die
Populationszyklen von Lemmingen und ihren Fressfeinden in Grönland. Über das
Institut für Tierökologie und
Naturbildung buchen ihn
auch Firmen, Kindergärten
oder Schulen, damit er ihnen
in Seminaren Wildtiere und
die Natur näher bringt.
polarpost für
Liebhaber als
Crowdfunding
Traill. Unter Wissenschaftlern wird es immer angesagter, Drittmittel direkt bei der Öffentlichkeit einzuwerben. Über
sogenanntes „Crowdfunding“
können interessierte Laien die
Wissenschaftler bei ihren Vorhaben unterstützen. „Für Langzeitforschungsprojekte wie das
Karupelv Valley Project stehen
nur in sehr begrenztem Umfang Zuwendungen von offizieller Seite zur Verfügung“. Benoît
Sittler und Johannes Lang haben sich etwas Kreatives einfallen lassen, um an finanzielle Unterstützung für ihr Projekt zu kommen: „Für zehn Euro
schicken wir Sammlern echt gelaufene Feldpost aus der grönländischen Arktis zu. Während
Sammler auf diese Weise zur Erforschung bedrohter Ökosysteme beitragen, erhalten Interessenten durch den nachträglichen Versand des Kurzberichtes
mit den Expeditionsergebnissen Einblicke in die Realität des
gegenwärtigen Wandels in den
nördlichen Polargebieten“. (Bei
Interesse:
[email protected])
Der grönländische Halsbandlemming baut seine Nester unter dem Schnee. Verschwindet der Schnee, verschwinden die Lemminge.
Fotos: Johannes Lang
Von den Lemmingen lernen
Biologe beobachtet bei Expeditionen in die grönländische Arktis das Aussterben von Wildtieren
Das Labor des Licher Biologen Johannes Lang liegt
nicht mehr im benachbarten Marburg, sondern
über 3 000 Kilometer entfernt in Grönland. Dort
beobachtet er, wie mit der
Schneedecke auch die Population von Wildtieren
dahin schmilzt.
von Tim Gabel
Marburg/Lich. Einmal jährlich interessiert den selbstständigen Biologen Johannes Lang
der Wetterbericht für Mittelhessen nicht mehr. Von Ende Juni
bis Anfang August kommt es darauf an, dass es in Nordostgrönland möglichst knapp über null
Grad „warm“ ist und der Schnee
wegschmilzt. Das sind „ideale Bedingungen“ für das „Karupelv Valley Project“, einer Expedition nach Nordgrönland, an
der sich Lang seit über zehn Jahren beteiligt.
Der Fluss Karupelv mündet
auf der nordgrönländischen Insel Traill ins Meer. Das Gebiet
ist gekennzeichnet durch große Täler und weite Ebenen und
wird von Experten auch Arktisches Riviera genannt, weil es
hier Ende Juli sogar bis zu zehn
Grad warm werden kann. „In
der Sonne kann man manchmal sogar den Pulli ausziehen
und im Zelt wird es morgens
ganz schön warm“, sagt Johannes Lang.
Sommerurlaub macht der Licher auf Traill dennoch nicht.
Die Wassertemperatur wäre
auch nichts für ein ausgiebiges
Bad. Allerdings sorgt das stabile Hochdruckwetter dafür, dass
Das Zeltlager, in dem sich die Forscher aufhalten, wird immer wieder belagert von Eisbären (linkes Bild aus diesem Sommer). Die Grafik
zeigt die Anzahl der gefundenen Lemmingnester auf der grönländischen Insel Traill. Die „Peaks“, also Jahre, in denen es besonders viele
Lemminge gibt, bleiben seit 2001 aus. Das bedroht auch Populationen der Fressfeinde, wie die der Schneeeulen.
Grafik: Johannes Lang
die Forscher hier ein gut zu beobachtendes Ökosystem vorfinden, mit einer kargen Vegetation und einigen Wildtierarten.
1987 hat der Freiburger Forscher Dr. Benoît Sittler das Karupelv-Projekt ins Leben gerufen. Er wollte das Geheimnis der
Lemming-Zyklen lösen. Es war
schon vorher aufgefallen, dass
von den in der Arktis vorkommenden Halsbandlemmingen
in manchen Jahren nur vereinzelt Exemplare gefunden wurden und in anderen Jahren ganze Heerscharen.
Der Lemming ist
kein Selbstmörder
Ein Disney-Naturfilm begründete den Mythos der lebensmüden Nager, die sich beim genetisch programmierten Selbstmord von den kalten Klippen
werfen. Eine – grausam, aber
wahr – gestellte Filmszene. Benoit Sittler sorgte für Richtigstellung: Der Lemming-Bestand
hat nichts mit Selbstmord, sondern mit Mord zu tun. „In dieser ersten Phase der LemmingForschung auf Traill entdeckte
man, dass es etwa alle vier Jahre
besonders viele Lemminge gibt.
Der entscheidende Grund dafür
ist die Population der Fressfeinde“, erklärt Johannes Lang.
Während im Sommer zum Beispiel auch Schneeeulen und Polarfüchse die Lemminge jagen,
bleibt im Winter nur noch der
Hermelin als „Prädator“, also
spezialisierter Fressfeind, übrig.
Wenn drei Jahre nacheinander
wenig Lemminge vorkommen,
dann gibt es auch weniger Hermeline, das Nahrungsangebot
auf Traill ist eher beschränkt.
Weil ein Hermelin aber ein
Jahr schwanger ist, haben die
wenigen verbliebenen Lemminge dann ausreichend Zeit, sich
in mehreren, kürzeren Zyklen
wie die Ratten zu vermehren. So
gibt es richtige Boom-Jahre, „wir
Forscher sprechen von ,Peaks‘
der
Lemmingpopulationen“,
so Lang. In der renommierten
Fachzeitschrift „Science“ berichtete Sittlers Team 2003 über
das Ergebnis . Die Welt der Naturforscher war wieder in Ordnung – so dachte man.
Aber nach dem Jahr 2000 blieben die alle vier Jahre auftretenden „Peaks“, also die fetten Lemmingjahre, einfach aus.
Die Bildkombo zeigt die aktuelle Meereisbedeckung Mitte September 2014 im Vergleich zur mittleren Ausdehnung in den Jahren 1992-2006 (rote Linie).
Foto: Lars Kaleschke/Universität Hamburg
Die Beobachtung dieses Phänomens nennen die Forscher Phase 2 des Karupelv-Projekts. Benoît Sittler ist noch immer der
Expeditionsleiter und reiste in
diesem Sommer zum 27. Mal
nach Grönland. Aber auch Johannes Lang stieß in der zweiten Phase dazu und ist inzwischen schon über zehn Jahre
dabei. Routine ist die Reise aber
noch lange nicht.
„Wir fliegen von Frankfurt aus
nach Island und chartern uns
dort eine eigene Maschine, die
uns und unsere Verpflegungskisten in Traill absetzt“. Supermärkte sucht man auf Traill vergebens. Eine alte Trapperhütte dient den Wissenschaftlern
als Koch- und Speiseraum und
für Besprechungen. Vor den Beobachtungen steht in jedem Jahr
der Bau des Zeltlagers, das die
Forscher für sechs Wochen beziehen. Zwei Zäune werden aufgebaut: „Einer mit Knallpatronen und weiter innen ein Elektrozaun. Auch die Hütte ist mit
einem Alarmzaun gesichert.
Mit Knallkörpern und
Elektrozaun gegen Eisbären
Der Grund für die Sicherheitsvorkehrungen ist ein ungemütlicher Nachbar. „Normalerweise sind Eisbären scheu. Aber
der Nachwuchs ist manchmal noch unerfahren und aufdringlich. 2010 musste die Expedition abgebrochen werden,
weil ein Eisbär die Belagerung
des Zeltplatzes nicht aufgeben
wollte. „In diesem Jahr haben
wir nur aus der Ferne Eisbären gesehen. Erst wenn die Forscher weg sind, trauen sich die
Bären ans Lager und brechen in
die Trapperhütte ein. „Wir vernageln alles, finden aber in jedem Jahr wieder ein zerstörtes
Fenster“.
Nach Ankommen und Aufbauen kommt Angucken: Die
Forscher verschaffen sich ei-
nen Überblick über die Wildtierpopulationen. Dazu suchen
sie nach Lemmingnestern. Die
kleinen Pflanzenfresser, die
sich von Weiden und Blütenpflanzen wie der Silberwurz ernähren, bauen im Winter Nester
unter dem Schnee. Das schützt
vor der Kälte.
Es gab mal über 3 500 Lemmingnester im Beobachtungsgebiet auf Traill (also bis zu
zwölf Lemminge pro Hektar).
Seit dem Jahr 2000 haben die
Forscher auch in „Peak“-Jahren nie mehr als 1000 gefunden.
„Schuld ist der Klimawandel.
Der Schnee liegt kürzer und die
Lemminge können sich nicht
mehr ausreichend lange unter dem Schnee vor Fressfeinden verstecken“, fasst Johannes
Lang die Forschungsergebnisse
zusammen. „2013 und 2014 haben wir nur noch 25 Lemmingnester gefunden. Das bedeutet
noch nicht, dass sie nicht wieder kommen. Aber die langfristige Entwicklung lässt die Lemmingpopulation in eine Depression stürzen“.
Das Problem bleibt aber nicht
auf den Lemming beschränkt.
Der Polarfuchs frisst Eier von
auf dem Boden brütenden Vögeln, wie der Prachteiderente,
wenn er keine Lemminge findet.
Auch die Schneeeule brütet nur
dann, wenn es genügend Lemminge gibt. „Wir haben in der
ersten Projektphase von 1988
bis 2000 im Schnitt drei Eulenbrutpaare pro Jahr. Von 2001
bis 2014 im Schnitt nur noch
0,5. Um die Eulen steht es derzeit sehr schlecht.“ Sittler und
Lang beobachten die arktische
Tierwelt bei ihrer Auflösung.
Was er anstelle der EU-Vertreter
tun würde, die heute über neue
Klimavereinbarungen verhandeln, sagt Johannes Lang: „Das
ist nicht meine Aufgabe. Ich beobachte nur die Folgen des Klimawandels. Diese Beobachtungen sind aber eindeutig“.