Vital LetMeTalk App

energie : heldin
Jenseits des
Schweigens
Die Berlinerin Doreen Kröber sucht
eine App für ihren autistischen Sohn
– und erfindet sie kurzerhand selbst
FOTO: LENNARD RÜHLE; TEXT: BIRTE PLÖGER
W
enn das Leben einem ein
Bein stellt, gibt es zwei Mög­
lichkeiten: in stiller Verzweif­
lung liegen bleiben – oder
aufstehen, den Staub abklopfen und weiter­
gehen. Wer nur zwei Minuten mit Doreen
Kröber, 44, spricht, weiß: Diese Frau gehört
definitiv nicht zu den Liegenbleibern.
Pragmatisch, geradeaus, erstaunlich selbst­
mitleidslos trifft es schon eher.
Die Berlinerin hat einen Sohn: Max, 14
Jahre alt, leidet an Autismus. 2012 wird er
schwer krank, hat große Schmerzen. Doch
wie groß diese sind, ob und wie die verab­
reichten Medikamente wirken – Max kann
es nicht ausdrücken. „Wenn er krank ist“,
sagt seine Mutter, „spricht er auch mit mir
nicht.“ Doreen Kröber sucht nach einer
App für ihr Handy, mit der sie und Max
kommunizieren können, findet jedoch
nichts, was sie zufriedenstellt. Einer dieser
Momente, in denen die Versuchung groß
ist, durchzudrehen. „Ich bin aber nicht der
Typ, der schimpft. Ich mache“, sagt Kröber.
Und sie macht: Wenn es etwas dringend
Benötigtes nicht gibt, muss sie es eben
selbst erfinden. Kein Geld, kein Plan, aber
ganz viel Herzblut: Auf Twitter sucht sie
jemanden, der ihr das Programmieren
beibringt: „Bin klug und lerne schnell.“ Ein
ehrgeiziges Vorhaben, wie selbst jemand
wie Kröber, die sich schulpolitisch engagiert
und das „Netzwerk Förderkinder“ grün­
dete, schnell einsehen muss. Stattdessen
findet sie einen Menschen, der bereit ist,
diesen Job ohne Bezahlung zu übernehmen.
Via Internet akquiriert sie im Laufe der
Zeit ein Team aus dem gesamten Bundes­
gebiet. Alle arbeiten gemeinnützig. Kröber
selbst investiert viel Zeit in die Entstehung.
„Wenn Max in der Schule war oder schlief,
saß ich am Laptop. Meistens im Schlaf­
anzug“, sagt die Alleinerziehende. Auch
Max ist Teil des Teams, testet die verschie­
denen Entwicklungsstadien der App,
­ändert z. B die Bildunterschriften. „Er war
unser schärfster Kritiker“, erinnert sich die
gelernte Sozialpädagogin. „Der Program­
mierer wurde fast wahnsinnig.“
Am 6. Dezember 2013 ist es dann soweit:
Die „LetMeTalk“-App wird nach andert­
halbjähriger Arbeit veröffentlicht und
allein in den ersten fünf Monaten 5000
Mal heruntergeladen – ein beachtlicher
Erfolg für ein Nischenprodukt. Mittlerweile
gibt es die App in acht Sprachen.
„Gutes entsteht aus einem Herzensge­
fühl heraus“, sagt Doreen Kröber. Jeder
müsste sich eigentlich ein Projekt suchen,
um die Welt ein bisschen besser zu ma­
chen: „Mit der einsamen Oma spazieren
gehen, sich in der Schule kümmern, egal
was. Stattdessen wird sich lieber be­
schwert.“ Sie selbst hätte allen Grund es ­
zu tun: Auch wenn es ihr nie um Geld ging
– Stress gab es dann doch. „Wir haben
­keinerlei Verträge gemacht. Beim nächsten
Mal passiert mir das nicht mehr“, sagt
Kröber. Und dass es ein nächstes Mal gibt,
ist sehr wahrscheinlich: Sie habe da bereits
eine neue Idee für eine App, so Doreen
Kröber. Diesmal aber würde sie sie selbst
bauen. Wir glauben es ihr aufs Wort.
Geht nicht, gibt’s nicht:
Doreen Kröber, 44,
packt beherzt an
„LET ME TALK“-APP
Wort-Schatz
Die kostenlose App umfasst
9000 Bilder, die durch eigene
ergänzt werden können. In
Kombination mit Satzteilen
entstehen Sätze, die nach
Bedarf von einer Computerstimme vorgelesen werden.
Eingesetzt werden kann die
App immer dann, wenn es
Kommunikationsprobleme
gibt, z. B. in Flüchtlingsheimen.
„LetMeTalk“ gibt es im
­Google Play Store.
10/2014
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