Mikrofluidik Laborautomation Effizienz durch Modellierung Hierarchisches, simulationsgestütztes Design für die zentrifugalmikrofluidische Automatisierung von Laborprozessen Mithilfe der zentrifugalen Mikrofluidik werden Laborprozesse auf Einwegkartuschen miniaturisiert parallelisiert und automatisiert. Die hier vorgestellte hierarchisch strukturierte, einheitliche Systembeschreibung und Modellierung ermöglicht, die Entwicklungszeiten dieser Einwegkartuschen erheblich zu verkürzen und somit die N I L S PA U S T, F E L I X V O N S T E T T E N , TO B I A S H U T Z E N L A U B * Kosten zu reduzieren. spielsweise kann eine Blutprobe von 200 µL in einer zentrifugal-mikrofluidischen „Lab-Disk“ hinsichtlich 14 unterschiedlicher infektiöser Pathogene automatisch analysiert werden [4,5]. Auf Basis der Larger Scale Integration konnte die Analyse transienter zellulärer Signalling-Prozesse in 128 parallelen Zellkulturen auf einem Chip von der Größe einer Briefmarke demonstriert werden. Hier wurden in einem Assay, der aus 29 Teilschritten besteht, von einzelnen Molekülen stammende Bindungsereignisse sichtbar gemacht und ausgewertet [6]. Zentrifugal-mikrofluidische Testsysteme im Einsatz 1 System der „zentrifugalen Mikrofluidik“. Links: Kostengünstige Einwegkartusche. Rechts: Prozessierungsgerät mit Einwegkartusche. Operative Elemente, die nicht kostengünstig in die Einwegkartusche integrierbar sind, z.B. die Ausleseeinheit in Form eines FluoreszenzDetektors sowie Heiz- und Kühlvorrichtungen, werden in das Prozessierungsgerät integriert. HSG-IMIT ist es gelungen, die vollständige Prozesskette für Nukleinsäure-Analytik umfassend DNA-Extraktion und PCR auf einer Disk zu integrieren [11]. D as Forschungsfeld der „Mikrofluidik“ wurde Anfang der 90er Jahre eröffnet [1] und die entsprechende Disziplin gilt heute als Schlüsseltechnologie für die Miniaturisierung, Integration, Automation und Parallelisierung von (bio) chemischen Laborprozessen. In den zurückliegenden 15 Jahren sind innerhalb der Mikrofluidik leistungsstarke mikroflu* D R . N . PA U S T, D R . F. V O N S T E T T E N , T . H U T Z E N L A U B : HSG-IMIT – Institut für Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft e.V., 79110 Freiburg, Tel. +49-761-2037321 22 idische Technologieplattformen wie etwa die „Microfluidic Large Scale Integration“, die „zentrifugale Mikrofluidik“, die „tropfenbasierte Mikrofluidik (digital microfluidics)“ und viele mehr entstanden [2,3]. Für diese Technologieplattformen existieren Prozessierungsgeräte, eine wohldefinierte Fertigungstechnologie sowie validierte skalierbare fluidische Grundoperationen. Dies ermöglicht die kostengünstige Automatisierung anwendungsspezifischer Prozessketten, sodass mit überschaubarem Aufwand auch komplexe biologische und biochemische Laborprozesse implementiert werden können. Bei- In letzter Zeit hält insbesondere im Marktsegment der Patientennahen Diagnostik (Point-of-Care-Testing) die mikrofluidische Automatisierung mehr und mehr Einzug (s. Abb. 2). Innerhalb der mikrofluidischen Plattformen zeigt hierbei die „zentrifugale Mikrofluidik“, u.a. auch durch die Markteinführung zahlreicher Produkte, wie beispielsweise Focus Diagnostics Universal Disc, Cobas b 101 POC System oder Abaxis Piccolo xpress [7–9], eine besonders dynamische Entwicklung. Bei der zentrifugalen Mikrofluidik werden die fluidischen Prozesse durch die Drehfrequenz eines Rotors gesteuert, auf dem der Chip befestigt ist. Die Schnittstelle zwischen Chip und Makrowelt wird dadurch besonders einfach, da keine Schläuche, externe Pumpen oder ähnliches benötigt werden. Die „fluidischen Grundoperationen“ beruhen auf der Ausnutzung von Trägheitskräften, Zentrifugalkräften, Kapillarkräften, Corioliskräften oder beispielswiese der Aufladung Oktober 2014 MIKROFLUIDIK Mikrofluidik Laborautomation pneumatischer Druckspeicher auf einem Chip während einer Zentrifugation oder deren Be- und Entschleunigung. Ein weiterer Vorteil zentrifugal-mikrofluidischer Testsysteme besteht darin, dass im Gegensatz zu den meisten anderen fluidischen Plattformen Luftblasen keine Probleme verursachen, da sie sich in dem zentrifugalen Feld sehr leicht von Flüssigkeit abtrennen lassen. Im Anwendungsfeld der zentrifugalen Mikrofluidik besteht ein besonders attraktiver Lösungsansatz darin, sämtliche für die Automatisierung von Laborprozessen benötigten mikrofluidischen Strukturen monolithisch auf einer CD-förmigen Einwegkartusche zu implementieren [11]. Reagenzien werden vollintegriert vorgelagert [12] und die Zugabe der Patientenprobe und das Starten der Analyse verbleiben als die einzigen manuellen Schritte. Das Analyseverfahren wird auf einem CD-Player-ähnlichen etwa 2 kg schweren Abspielgerät durchgeführt (s. Abb. 1). Damit soll künftig eine Vielfalt verschiedener Analysen dezentral direkt beim Patienten automatisch durchführbar sein. Hierarchisch strukturierter Designprozess Company Results Abott Point of Care 35 million tests in 2011 More than 50,000 i-STAT handhelds are used worlwide Piccolo® xpress Abaxis 1,5 million tests done in 2011 More than 7,000 systems have been sold in total PIMA CD4 Alere 2,000 systems and 2 million chips habe been sold in 2011 GeneXpert Cepheid 3,000 systems habe been sold in total Turnover: $ 265M in 2011 Triage Alere 2 million tests per year for drug abuse testing Drug abuse test = $47 per test System: $3,500 2 Etablierte mikrofluidische Point-of-care-Testsysteme basierend auf microfluidischer Lab-on-a-chip-Technologie. Mit freundlicher Genehmigung von Yole Dévelopement aus „POC 2012 Point of Care Testing: Applications of Microfluidic Technologies“ [10] umfangreiches Portfolio skalierbarer und standardisierter fluidischer Einheitsoperationen erarbeitet. Hierzu zählen das vollautomatische Freisetzen von Reagenzien, das Aliquotieren, das Mischen, sowie das pneumatische Pumpen und das Schalten. Des Weiteren stehen das Amplifizieren von Nukleinsäure, z.B. durch die Polymerase-Kettenreaktion oder isotherme Verfahren, sowie diverse Detektionsmög- Bilder: HSG-IMIT Für die Implementierung mannigfaltiger Anwendungen wurde am HSG-IMIT ein Product i-STAT 3 Schematische Darstellung des hierarchischen Designschemas basierend auf Einheitsoperationen und Prozessketten. Beispielhaft ist die Implementierung von Vor- und Hauptamplifikation des Multiplexnachweises von 14 Pathogenen dargestellt [5]. Gestrichelte Rahmen stellen Prozessketten dar, durchgezogene Linien umrahmen Einheitsoperationen. Kreise zeigen die Implementierung von Laboroperationen, die durch externe Mittel gesteuert werden, in diesem Bespiel wird das Thermocyclen illustriert. MIKROFLUIDIK Oktober 2014 lichkeiten zur Verfügung. Auf Basis dieser Einheitsoperationen wird der Designprozess der Einwegkartusche hierarchisch strukturiert. Die grundlegenden fluidischen Operationen werden zu Prozessketten zusammengefasst, die auf zentrifugal mikrofluidischen Einwegkartuschen Standard-Laborabläufe automatisieren. Eine Verknüpfung von Prozessketten bildet wiederum eine komplette Anwendung ab. Diese hierarchische Vorgehensweise führt zu einem effizienten Designprozess, ohne die Notwendigkeit sich jedes Mal von Grund auf neu mit den elementaren fluidischen Einheitsoperationen zu beschäftigen. Beispielsweise können für den weiter oben angesprochenen hochsensitiven Nachweis von bakterieller DNA aus einer 200-µl-Blutprobe standardisierte Prozessketten für eine PCR-basierte Vor- und Hauptamplifikation zusammen mit einer Detektionseinheit implementiert werden (s. Abb. 3). Die vollständige Integration von Vor- und Hauptamplifikation auf einem zentrifugal mikrofluidischem Testträger ermöglicht in diesem Beispiel den parallelen Nachweis von bis zu 14 verschiedenen infektiösen Pathogenen ohne das Risiko einer Kontamination von Laborumgebung und Personal. Netzwerkbasierte Simulationen zur Implementierung Bei der Miniaturisierung und Parallelisierung von Laborprozessen trägt die Auslegung und Konstruktion erheblich zum Entwicklungsaufwand bei, der sich wiede23 Mikrofluidik Laborautomation 4 Zentrifugal-mikrofluidische Einwegkartuschen werden mit einem simulationsgestützten Ansatz ausgelegt. Dies reduziert die Anzahl der notwendigen Design-Iterationen. rum im Falle von Kleinserien maßgeblich in den Stückkosten niederschlägt. Für eine hocheffiziente Implementierung zentrifugal-mikrofluidischer Analyseverfahren ist es daher sinnvoll, mehr und mehr auf Netzwerkbasierte Simulationen zurückzugreifen, wie schematisch in Abbildung 4 dargestellt. Die vom HSG-IMIT verfolgte hierarchische strukturierte einheitliche Systembeschreibung und Modellierung ermöglicht hierbei, die Entwicklungszeiten erheblich zu verkürzen und somit die Kosten zu reduzieren. Der hier umgesetzte Ansatz einer Systembeschreibung ist in der Elektronikindustrie seit Langem erfolgreich etabliert. Dort trägt er auf entscheidende Weise zur Begrenzung der Entwicklungskosten für Speziallösungen wie Kleinserien oder individuelle Kundenanpassungen bei. Die Fluidiksimulation läuft wie folgt ab: Fluidische Netzwerke werden mithilfe von Widerstand (entspricht dem hydrodynamischen Widerstand), Kapazität (Kompressibilität des Fluides, Elastizität der Wan- LP-T IPP PRINT: Lesen Sie in der LP 3/2014 ab Seite 90 einen weiteren Artikel zur zentrifugalen Mikrofluidik. DIGITAL: Mehr zu diesem Thema finden Sie unter dem Stichwort „HSG-IMIT Mikrofluidik“ auf www.laborpraxis.de EVENTS: Vom 9. bis 10. Juli 2015 findet in Prag, Tschechien die „International Conference on Microfluidics and Nanofluidics“ statt. Infos und Anmeldung unter www.waset. org/conference/2015/07/prague/ICMN dungen) und Induktivität (Massenträgheit des Fluides) beschrieben und nach den Kirchhoffschen Gesetzen verknüpft [13] (s. Abb. 4). Wesentliches Ziel ist es hierbei, für die Implementierung zentrifugal-mikrofluidischer Automatisierung von Laborprozessen Entwicklungszeiten zu verkürzen und – ähnlich wie in der Halbleiterelektronik – aus Kostengründen die Anzahl der parallel laufenden Strukturen auf einer Einwegkartusche zu maximieren. zur zentrifugalen Mikrofluidik Bei der zentrifugalen Mikrofluidik werden die fluidischen Prozesse durch die Drehfrequenz eines Rotors gesteuert, auf dem der Chip befestigt ist. Es werden keine Schläuche, externe Pumpen oder ähnliches benötigt. Die „fluidischen Grundoperationen“ beruhen auf der Ausnutzung von Trägheitskräften, Zentrifugalkräften, Kapillarkräften, Corioliskräften oder beispielswiese der Aufladung pneumatischer Druckspeicher. Im Gegensatz zu den meisten anderen fluidischen Plattformen verursachen bei zentrifugal-mikrofluidischer Testsystemen Luftblasen keine Probleme, da sie sich in dem zentrifugalen Feld sehr leicht von der Flüssigkeit abtrennen lassen. 24 Das Dienstleistungsangebot der Arbeitsgruppe Layout und Simulation des HSG-IMIT besteht darin, die Modellierung von Einheitsoperationen bis hin zu kompletten Prozessketten und Anwendungen durchzuführen. Dieses bietet Kunden aus Wirtschaft und Forschung die virtuelle Abbildung von Laborprozessen auf zentrifugal-mikrofluidischen Testträgern sowie deren quantitative Auslegung an. Somit kann in kürzester Zeit eine Machbarkeitsstudie für die mikrofluidische Miniaturisierung, Automatisierung und Parallelisierung von Laborabläufen auf zentrifugal-mikrofluidischen Testträgern durchgeführt werden. Im Fall einer positiven Machbarkeitsstudie kann der HSG-IMIT Prototyping Service innerhalb weniger Wochen Funktionsmuster bereitstellen und testen und auf Wunsch auch Kleinstserien herstellen. Literatur [1] A. Manz, N. Graber, H.M. Widmer, Sensors and Actuators B: Chemical 1 (1990) 244– 248. [2] D. Mark, S. Haeberle, G. Roth, F. von Stetten, R. Zengerle, Chemical Society Reviews 39 (2010) 1153–1182. [3] S. Haeberle, R. Zengerle, Lab on a Chip 7 (2007) 1094–1110. [4] M. Focke, F. Stumpf, B. Faltin, P. Reith, D. Bamarni, S. Wadle, C. Müller, H. Reinecke, J. Schrenzel, P. Francois, D. Mark, G. Roth, R. Zengerle, F. von Stetten, Lab on a Chip 10 (2010) 2519–2526. [5] M. Focke, F. Stumpf, G. Roth, R. Zengerle, F. von Stetten, Lab on a Chip 10 (2010) 3210– 3212. [6] M. 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