Diese Menschen müssen am nächsten Morgen um acht keine Skype-Konferenz ab halten. Aber wahrscheinlich wäre ihnen das auch egal. Wir haben das Feiern verlernt. Dabei ist eine richtige PARTY die edelste Form des Luxus. Also, hoch die Tassen! Text PAUL-PHILIPP HANSKE 12 Stil Leben Stil Leben 13 Wann, lieber Leser, haben Sie zum letzten Mal richtig gefeiert? Und nein, wir reden hier nicht von der silbernen Hochzeit der Tante neulich am Sonntagnachmittag, auch nicht von dieser Wohnungsein weihung, zu der Sie um acht mit einer vollen Schüssel Nudelsalat erschienen sind und die Sie um halb zwölf mit einer halb vollen Schüssel Nudelsalat wieder verließen. Auf einer guten Party regiert das Übermaß, es ist zu eng, zu heiß, zu wild und zu gefährlich, die Gäste tanzen und mit ihnen die Verhältnisse. Und wenn es wirklich gut läuft, wacht man in einem fremden Bett oder in einem fremden Smoking auf. Auf so einem Fest waren Sie schon länger nicht mehr, stimmt’s? Sie fühlen sich zu alt? Netter Versuch, aber das ist keine Ausrede. Der Exzess ist kein Privileg der Jugend wie Pickel oder Backpacking, im Gegenteil: Man feiert desto besser, je selbstsicherer, eleganter und humorvoller – und das heißt ja wohl vor allem je älter – man ist. Das Problem ist auch gar nicht, dass Sie selbst feiermüde sind. Das Problem ist, dass unsere Gesellschaft feiermüde ist. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller attestiert unserer Zeit eine Unfähigkeit zum Genuss. Die amerikanische Essayistin Katie Roiphe beschreibt in ihrem großartigen Buch Messy Lives: Für ein unaufgeräumtes Leben, wie sie in ihrer Kindheit vor vierzig Jahren morgens im Wohnzimmer immer wieder alkoholisierte oder anderweitig berauschte Gäste ihrer Mutter antraf, die es in der Nacht nicht mehr nach Hause geschafft hatten. Roiphe stellt fest: »Die Idee, Dinge nur deswegen zu tun, um sich einen Moment glücklich aus allem auszuklinken, um Intensität und starke Affekte zu empfinden, ist aus der Mode gekommen.« Es ist noch nicht allzu lange her, da führten uns Schauspieler, Sportler oder Schriftsteller nicht nur ein strahlendes Lächeln, ein beeindruckendes Reaktionsvermögen oder einen makellosen Stil vor Augen. Im Nebenberuf agierten die Reichen und Schönen als Lehrer des guten Lebens. Der Formel-1-Weltmeister James Hunt prahlte, mit mehr als 5000 Frauen geschlafen zu haben, und war keiner Droge abgeneigt. Auf Partys verbreitete er durch seine bloße Anwesenheit eine Atmosphäre der Virilität und Exzessbereitschaft, den anderen Gästen blieb gar nichts anderes übrig, als ebenfalls auszuflippen. Der Schriftsteller Truman Capote ließ die New Yorker monatelang darüber diskutieren, wen er wohl zu seiner berühmten »Black and White Party« einladen würde, und steigerte so die Vorfreude immer weiter. Die 500 Auserwählten trugen auf dem Fest dann Masken, es fiel ihnen also leicht, aus ihrer Normal-Ich-Rolle zu fallen. Heute erzählt der Formel-1-Champion Nico Rosberg, dass es wichtig sei, früh zu Bett zu gehen, im Übrigen schmecke ein Bio-Smoothie sehr gut. Als der kalifornische Hip-Hop-Mogul Dr. Dre den Verkauf seiner Kopfhörerfirma an Apple lautstark und mit etlichen Bieren 14 Stil Leben zelebrierte, »implodierten« – so ein Insider – die Chefs von Apple »vor Empörung«, weil ein harmloses Video der Sause durchs Internet ging. Nach Meinung der Apple-Bosse sollen wohl auch Gangsta-Rapper nur mit Holunderlimonade feiern. Ist ja auch gesünder, werden Sie, lieber Leser, jetzt vielleicht sagen, und das ist auch nicht falsch. Der moderne Mensch ist besessen von seinem eigenen Körper. Bald schon werden wir uns die Smartwatch umschnallen, die über unseren Kreislauf, unseren Schlaf, unsere Joggingstrecken und unseren Kreislauf wacht. Apple verleidet dann nicht nur seinen Geschäftspartnern, sondern auch seinen Kunden das Feiern. Denn natürlich schadet eine gute Party unserer Leber und unserem Look, sonst war es ja keine gute Party. Aber wissen wir eigentlich, was wir da verlieren? Es gibt Hinweise, dass die Menschen vor etwa 10 000 Jahren nicht sesshaft wurden, um Ackerbau zu betreiben, sondern um Alkohol zu brauen. Wenn wir feiern, geht es um viel mehr als nur um Spaß. Als die weißen Siedler mit den Indianern der Nordwestküste Amerikas in Berührung kamen, begegnete ihnen ein seltsamer Ritus: der Potlatch. Das waren regelmäßig wiederkehrende, exzessive Feste, deren Höhepunkt darin bestand, dass einzelne Mitglieder ihr gesamtes Hab und Gut verschenkten. Den Weißen erschien diese Verschwendung als Beleg für die Dummheit der Indianer. Erst der französische Ethnologe Marcel Mauss zeigte, dass Ehre und Ansehen in diesen Gesellschaften direkt vom Grad der Freigiebigkeit abhingen – und die Schenkenden beim nächsten Potlatch noch mehr Geschenke zurückbekamen. Man hütete nicht eifersüchtig seinen Besitz, sondern teilte ihn mit allen anderen. Näher sind sich Konsumismus und Kommunismus nie gekommen. Eingeborene der südpazifischen Inseln erklären ihre latente Partyneigung so: »Unsere Feste sind die Bewegung der Nadel, die die Teile des Strohdachs zusammennäht, sodass sie ein einziges Dach bilden.« Einen letzten Rest des Gemeinschaftssinns, den das Feiern stiftet, kann man beobachten, wenn sich zwei Kollegen morgens im Büro nach einer durchzechten Nacht zuzwinkern. Im Mittelalter wechselten Perioden intensivster Arbeit, allgemeinen Müßiggangs und kollektiven Ausrastens einander ab. Im Jahr 1278 sollen in Utrecht 200 Menschen so lange auf einer Brücke getanzt haben, bis diese einstürzte und die Tänzer in den Fluten des Rheins ertranken. Die Kirche war der erste Partykonzern der Geschichte, der die Gläubigen mit Weihrauch berauschte, in und neben seinen Gemäuern wilde Gelage veranstaltete und auch noch dafür sorgte, dass genug Zeit zum Durchmachen und Ausschlafen blieb: Im 14. Jahrhundert war in manchen Gegenden Deutschlands jeder dritte Tag ein kirchlicher Feiertag. Wir wollen niemals aus der Rolle fallen und immer derselbe bleiben, immer fit, immer gesund. Das genaue Gegenteil eines Partylöwen Die Geschichte der Moderne, so lassen sich etwa 100 000 Seiten sozio logische Klassikerlektüre zusammenfassen, ist eine Geschichte der Exzessverdrängung. Schritt für Schritt entsteht der disziplinierte Mensch, der sich und die eigenen Gelüste kontrolliert, einen Spiegel kauft, über sein eigenes Seelenleben im Beichtgespräch und bei der Tagebuchproduktion Rechenschaft ablegt und morgens um acht aus geruht zur Arbeit erscheint. Diese Entwicklung erreicht im 21. Jahrhundert ihren Endzustand. Die fröhlichen Kapitäne des rheinischen Kapitalismus sind tot oder in Rente. Männer wie der RWE-Chef Jürgen Großmann prahlten mit ihren Genusstalenten und zeigten ihren dicken Bauch so stolz her, als hätten sie Wertpapapiere darin gelagert. Die neue Managergeneration dagegen wird repräsentiert 16 Stil Leben Natürlich würde man so ein Bild, wenn man mit drauf ist, ungern im Internet sehen. Aber warum eigentlich? Dabei ist ein Fest die schönste und edelste Form des Luxus. Schmuck, Abendkleider, Rennautos: All diese Dinge gehören einem Individuum, sie zieren dieses, indem sie es von anderen, die diese schönen Sachen nicht haben, unterscheiden. Auch mit einer opulenten Party ziert man sich – feiern kann man aber immer nur mit anderen. Wer eine Party veranstaltet, ist gleichzeitig Egoist und Altruist. Das überzeugt Sie alles nicht? Probieren Sie es aus! Lassen Sie Ihre Feier nicht von irgendeinem Anlass wie Geburtstag, Hochzeitstag oder Taufe legitimieren – eine gute Party ist sich selbst der Anlass. Laden Sie so feierlich wie möglich ein. Scheuen Sie sich nicht, amüsante Personen, die Sie vielleicht nicht so gut kennen, dazuzubitten – über eine Einladung freut sich jeder. Am besten geben Sie ein Motto vor. Verkleideten fällt es leichter, den Alltag hinter sich zu lassen. Bitten Sie auch darum, dass jeder das Mobiltelefon ablegt. Und wählen Sie ein Getränk des Abends, das Sie in genügender Menge reichen. Zu empfehlen ist zum Beispiel »Last Word«, ein Drink, der – wie der Name schon sagt – keine Widerrede duldet und der extravagant und ein bisschen altmodisch schmeckt. Dem Grundstoff Chartreuse, einem französischen Kräuterlikör, wird eine stimulierende Wirkung nachgesagt. Und den Rest lassen Sie einfach auf sich zukommen. PAUL-PHILIPP H A NSK E arbeitet nebenberuflich als »DJ Null«. Er braucht nicht das Geld, sondern eine Ausrede gegenüber Frau und Familie, um feiern zu dürfen. Fotos: picture alliance / akg-images, picture alliance / Fine Art Images / Heritage Images durch Marathonläufer oder Alkoholabstinenzler wie Anshu Jain von der Deutschen Bank. Spaßgesellschaft und neoliberaler Leistungs ethos vertragen sich nicht. Ein Foto von Jain mit alkoholselig verdreh ten Augen würde den Börsenkurs der Bank über die Klippe stoßen. Man muss nicht Anshu Jain oder Dr. Dre heißen, um sich den von Partyaufnahmen zu fürchtenden Spaß verderben zu lassen, das gilt auch für unprominente Zeitgenossen. Eine gute Feier ist ein Gegenwartsverstärker. Die alles bestimmende Vergangenheit, in der etwa alle Hierarchien wurzeln, kann für einen kurzen Augenblick ausge blendet werden. Und die Zukunft, der drohende Morgen wird einfach verneint, für Kopfschmerzen gibt es Aspirin. Aber es gibt kein Mittel gegen Fotos, die uns lächerlich und verschwitzt zeigen, in ungelenken Tanzposen oder in den Armen des falschen Menschen. Nur, was ist es eigentlich, das uns so beschämt? Natürlich wusste man auch in den Siebzigerjahren, dass ein betrunkener Mensch seltsam aussieht, Rauchen ungesund ist und Affären die Beziehung gefährden. Es gab jedoch kulturelle Formen – die mondäne Haltung beim Rauchen, die Kunst des Flirts, die Lust an der Extravaganz –, die wie eine Absolution wirkten. Sie markierten eine besondere Zone, in der das strenge Regime des Alltags suspendiert war und man kurzfristig eine andere oder ein anderer werden durfte. Dieser Verwandlung steht man heute skeptisch gegenüber. Der moderne Individualist will Regisseur, Drehbuchschreiber, Casting-Agent und Locationscout des eigenen Lebens sein. Gerade weil wir so viel Mühe darauf verwenden, eine perfekte Selfie-Persönlichkeit darzustellen, wollen wir dann niemals aus der Rolle fallen und immer derselbe bleiben, immer fit, immer gesund, immer berechenbar. Das genaue Gegenteil eines Partylöwen.
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