62 Gesundheit& Psyche MonikaKeller ffiWWW&ffiY; Wie teilt man als ArztschlimmeBefundemit? Einem Krebspatienteneine niederschmetterndeNachricht S i t u a t i o ni,n d e r ü b e r b r i n g e nz u m ü s s e ni s t e i n e b e l a s t e n d e s i c ha u c h e r f a h r e n eA r z t e u n s i c h e frü h l e n . I n d e m v o n d e r DeutschenKrebshi lfe geförderten ModelIprojekt KoMPASS a n s i e b e nK l i n i k e nü b e n o n k o l o g i s c ht ä t i g e A r z t e , s o l c h e s c h w i e r i g e nG e s p r ä c h zeu f ü h r e n . M o n i k a K e l l e rv o m H e i leitet das Projekt delbergerUniversitätsklinikum PsYcHoLoGlE HEUTE Eine Patientin,Mutter einer vierjährigen Tochter, verspürt zwei |ahre nach einer Brustkrebsoperation Schmerzenund kommt zur diagnostischenAbklärung in eine Klinik. Die Untersuchung ergibt, dass sich in Lunge, Knochen und Leber Metastasenangesiedelthaben. Die Prognose ist trostlos. Stellen Sie sich vor, Sie wären die behandelnde Arztin. die der Patientin den niederschmetternden Befund mitteilen muss. Was geht einem da durch den Kopfr MONIKA KELLER Das sind die allerschlimmstenFälle,die uns als Arzten begegnen:Eine junge Frau mit einem kleinen Kind; eine ursprünglich günstige Prognose- und plötzlich muss man feststellen,dassdie Heilungshoffnungen getrogen haben. A1sArzt empfindet man da unweigerlich Erschrecken und Enttäuschung. Es ist wichtig, sich über diese Empfindungen im Klaren zu sein und siesich einzugestehen, bevor man das Gespräch mit der Patientin sucht. Arzte fühlen sich als Überbringer von schlechten Nachrichten oft unterschwellig mitschuldig. Es ist wichtig, dassArzte sich in dieserSituation klarmachen: Ich bin nicht verantwortlich für diese Krankheit und ftir diesen Befundl Aber ich bin dafür verantwortlich, wie ich der Patientin diese Nachricht übermittle. PH Ist denn die Angst berechtigt, dass Patienten den Arzt als Überbringer der schlechten Nachricht ftir ihr Schicksal verantwortlich machen? K ELt ER Eben nicht - Patienten kommen sar nicht auf diese Idee. PH Wie reagieren Patienten typischerweise? KEt t ER In aller Regelunerwartet gefasst.Tumorkranke sind nicht die expressiveSorte von schreienden, in Tiänen ausbrechenden Patienten. Das hat vielleicht damit zu tun, dass sie ihren Arzt schonen wollen, denn sie sind auf ihn angewiesen und möchten ihn nicht verlieren. Sie orientieren sich fühlensichArzte, Nachrichten schlechter AlsÜberbringer andenBefunden alshättensieselbstSchuld stark an der Körpersprache desArztes, die ihnen vermittelt: ,,Mach's mir jetzt bitte nicht so schwer!" Genau das versuchen die Patienten dann zu tun. Das kann dem Arzt das erleichternde Gefrihl vermitteln: Ach, ist ja gar nicht so schlimm! Dieser Eindruck trügt allerdings, denn bei aller äußerlichen Gefasstheitsind die Patienten innerlich sehr aufgewühlt. PH Wie würden Sie persönlich vorgehen,wenn Sie der besagtenKrebspatientin die schlimme Nachrichtvon den Metastasenmitteilen müssten? KELLER Ich würde zwar nicht um den heißen Brei herumreden. aber mir zunächst etwasZeit nehmen, um zu sehen, wo die Patientin steht. Ich würde mich etwa nach ihren Beschwerden erkundigen und sie fragen:,,WelcheGedanken gehen Ihnen durch den Kopfr" Viele Patienten äußern dann von sich aus ihre Befürchtungen, und dies ist dann der Punkt, an dem man alsArzt deutlich sagenmuss:,,]a,Ihre Befürchtungen haben sich leider bestätigt." Dann sollte man in einfachen Worten ohne Fachjargon die wichtigsten Befunde erläutern. Nicht zu viel Information: In ihrem seelischen Ausnahmezustand ist die Aufnahmefahigkeit bei den Patienten begrenzt. Die Fragen tauchen meist erst später auf. Ich würde der Patientin daher signalisieren, dass ich jederzeit ansprechbar bin für ein weiteres Gespräch; diese Rückversicherung wirkt beruhigend. Gesundheit& Psyche 63 DasKoMPASS-Training 0 Dasvon der DeutschenKrebshilfe geförderteTrainingsprogrammwird an Kliniken in Heidelberg, Leipzig, Düsseldorf, Mainz, Nürnberg, Kölnund Tübingen erprobt. pH Sollte man der Patientin ungeschminkt sagen,dasssie nur noch eine beschränkteLebenserwartunghat, oder sollte man sie schonen? KELTER Schonenoder nicht ist gar nicht die Frage,sondern entscheidend ist: Was will die Patientin in dieser Situation wirklich wissen?Informationen, die nicht dem Bedürfnis der Patientin entsprechen, sind sicherlich nichts Gutes. Es gibt keine Notwendigkeit, der Patientin zu sagen: ,,Ach übrigens, rein statistisch haben Siejetzt noch eine Lebenserwartung von ein bis zwei fahren!" Man sollte auf die Signale der Patientin achten und auch explizit nachfragen, was sie in diesemMoment wissen möchte. PH Welche Fehler machen Arzte am häufigsten? KELLER Ich rede da ungern von Fehlern, denn wir haben kein Patentrezept,wie man es richtig macht. Häufig versuchen Arzte, das Schlimme, das sie dem Patienten überbracht haben, rasch wieder glattzubügeln. Sie sind dann bemüht, den Patienten- und sich selbst- vorschnell zu trösten, indem sie der schlechtenhastig eine gute Botschafthinterherschieben.Sie weisen zum Beispielfast beschwörendauf die vielen Behandlungsmöglichkeiten hin, die noch offenstehen. Damit wecken sie zum einen unrealistischeHeilungshoffnungen, und zum anderen lenken sie den Patienten davon ab,die Nachricht überhaupt erst einmal zu verarbeiten. Häufig haben Arzte in dieser Situation Angst vor dem Schweigen.Doch PatientenerlebensolcheGesprächspausen, die in Wirklichkeit nur wenige Sekunden währen, gar nicht als unangenehm.Sie brauchen diesenRaum, um Empfindungen wie Tiaurigkeit, Erschrecken, Bestürzung, Angst zum Ausdruck zu bringen und sich darüber klarzuwerden: Was bedeutet das jetzt fur mich? PH Wohl jeder Patient oder Angehorige hat schonArzte kennengelernt, die extrem gefrihlskalt, manchmal sogar zlmisch agierten. KELLER ZynischeDistanzierung ist ein Mechanismus,um sich vor der Konfrontation mit der eigenen Ohnmacht vor Tod und Sterbenzu schützen.Grundsätzlich jedoch sind Arzte durchaus in der Lage,dieseOhnmacht seelischzuverarbeiten, so wie ihre Patienten dies ja auch tun. Gar nicht so wenige Arzte erleben gerade die Arbeit mit schwerkranken und sterbendenMenschen als seelischbereichernd,weil sie von ihnen in dieser existenziellen Situation lernen. Sterben müssen heißt nicht, in tiefem Schreckenund Hoffnuneslosigkeit zu verbleiben. P S Y C H O L O GHI E U T E J u n i2 0 0 9 O DasKompakttraining dauertzweieinhalb Tage.Geübtwird in kleinenGruppenmit maxrmal zehnTerlnehmern sowiezweierfahrenenTrainern. geschulten Mit speziell Schauspielern, die die Rolle einesPatienten einnehmen, spielendieTeilnehmer schwierige Gesprächssituationen durch. O DieperVideoaufgezeichneten Gespräche werdenanschließend in der Gruppebesprochen. Der ,,Patient" schildert, wie er denArzt qebenihre erlebthat.Auchdie anderenTeilnehmer und dieTrainer Eindrücke wieder. 0 VierMonatenachdemTraining kommendieTeilnehmer nochmalszu einemAuffrischungstreffen zusammen. O DasKoMPASS-Training wird jetzt empirischausgewertetund auf Wirksamkeit, Akzeptanz und Praktikabilität überprüft. Cf Zielist,dasKommunikationstraining späteralsverpflichtenden Teilder Facharztausbildunq zu installieren. O m.kompass-o.de PH In Ihrem KoMPASS-Tiaining üben Arzte solche Gesprächssituationenin einem realistischen Rollenspiel mit Schauspielerpatienten.WelcheAha-Erlebnissehaben die Teilnehmer, wenn sie anschließendin der Gruppe die Videoaufzeichnungansehen? KELLER Manche haben das Gefühl:,,O Gott, ich habe alles falsch gemacht" - und erfahren dann von dem,,Patienten", dasser sie als warm und anteilnehmend erlebt hat. Generell sagenviele Teilnehmer mit fortschreitender Tiainingsdauer, dasssie Situationen wie Gesprächspausen oder eine momentane Ratlosigkeit nun als weniger belastend empfinden. Sie fühlen sich sicherer und werden sich Kompetenzen, die sievon Anfang an hatten, deutlicher bewusst - auch im Umgang mit ihren realen Patienten. Drei bis vier Monate nach dem Tiaining treffen wir uns mit den Teilnehmern erneut zu einerAuf[rischungssitzung. Die Rückmeldungen dort sind durchweg positiv. Fast alle Teilnehmer sagen,dass es ihnen jetzt leichter fällt, Patienten schlechte Nachrichten zu überbringen. Sie gehen weniger belastet,mit weniger Angst in diese Situationen. Und esfallt ihnen leichter, Patienten auch einmal weinen zu lassen,ohne gleich abzulenken. Ztdem stellen die Arzte entgegenihren eigenen Befurchtungen fest, dasssie für diese Gesprächenicht mehr Zeit benötigen als früher. e aM r r P D D n . M o N r r e K p r r n n s p R A c HT u o u a s S e u r . a - A r o s F r o r r
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