Rebellen, Halbstarke, Aussteiger, angepasste Brave: Was bleibt

Fotos Andreas Riedel
Stadtleben › 5
Rebellen, Halbstarke, Aussteiger, angepasste Brave: Was bleibt
übrig von Jugendkulturen? Wie prägen sie die Menschen noch
jenseits der dreißig? Vier Berliner, vier Biografien: Vom Rock ’n’
Roller zum Rentner, vom New Waver zum Comedy-Star, von
der Aussteigerin zur Archivarin und vom Hip-Hopper zum Punk,
der den Irokesenschnitt gern mit Anzug kombiniert. Berliner
Akzente zeigt, wie sie jung geblieben sind.
Ich tanz’ auch
mit 65 noch aus
der Reihe …
Der 65-jährige Bernd Feuerhelm war früher
Rock ‘n’ Roller und ist es jetzt immer noch.
Er geht heute noch gerne tanzen.
Bernd Feuerhelm, 65, Rock ’n’ Roller
Das hier ist eine echte Lederjacke aus den 50ern. Der
Kenner fühlt es sofort: Die hat viel härteres Leder. Sehen
Sie mal, wie die sitzt. Fast wie eine zweite Haut. Ich bin
in Kreuzberg groß geworden, hab’ mich mit 15 schon
auf Rummelplätzen herumgetrieben. Die gab’s damals
in jedem Stadtteil auf freigelegten Trümmergrundstücken. Meine Mutter hat mich immer vom Polizeirevier
abholen müssen. Razzien, Schlägereien, Randale. Ich
hab’ mich oft geprügelt. Das macht für mich bis heute
den Rock ’n’ Roll aus: sich nichts gefallen lassen, aufbegehren! Bei Elvis-Presley-Filmen wurden in Kreuzberg stets die Kinosäle zertrümmert.
Die Medien tauften uns »die Halbstarken«. Dabei
wollten wir nur nicht so sein wie unsere Väter. Die hatten uns ja schließlich ein Deutschland in Trümmern hinterlassen. Ich bin schon immer aus der Reihe getanzt.
Das prägt mich bis heute.
Die Tolle hab ich mir mit Seife gemacht. Die kam ins
nasse Haar und wurde dann hart. Wir sind immer seitlich zum Wind gegangen, damit die Tolle nicht zerstört
wird. Das Naive hab’ ich mir in Form einer Gutgläubigkeit im positiven Sinne bewahrt: Egal was kommt –
irgendwie geht’s schon weiter.
Heute als Rentner erschreckt es mich, wenn ich
Leute in meinem Alter sehe. Wie konservativ manche
sind! Da lebt schon gar nix mehr. Ich pflege mein Anderssein. Ich gehe heute noch gerne tanzen. Aus der
Rock’n’Roll-Zeit habe ich gelernt: Wichtig ist, seinen
eigenen Weg zu gehen und sich nicht immer mit anderen zu vergleichen.
Bob Schneider, 44, New Waver
Ich habe alte Fabrikruinen geliebt. Dieses Marode hat
mich gereizt. Das Gleisdreieck in Schöneberg war in
den 80ern quasi mein Abenteuerspielplatz. Da haben
wir Super-8-Filme gedreht, angelehnt an die TV-Serie
Raumschiff Orion. Ein Eierbecher an der Strippe war
unser Raumschiff.
Wir haben sehr im Moment gelebt. Unser Motto: »no
future«. Die Frage, wo wir in zehn Jahren stehen, gab’s
für uns nicht. Da leben die heutigen Jugendlichen viel
Forever
young!
Der Comedian
Bob Schneider war
früher New Waver.
Das
Spielerische
habe ich mir
bewahrt.
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zielgerichteter. Doch ich bin ein Kind der 80er: Zum Ehrgeiz muss ich mich zwingen. Das Autodidaktische, das
»einfach Machen« ist mir geblieben. Ich war Filmvorführer, Germanistikstudent – und nun stehe ich halt als
Comedian und Schauspieler auf der Bühne.
Zum Ausprobieren gehörte schon immer ein gewisser Mut zur Geschmacklosigkeit bei den Klamotten.
Die Haarfarbe wechselte wöchentlich: von Blond über
Neonrosa bis Grün. Ich hab’ noch nie in eine Schublade gepasst, damals Disco genauso wie Punk gehört,
Badelatschen mit 50er-Jahre-Mode kombiniert.
Als Bühnenfigur Jutta Hartmann kann ich weiterhin frech sein, Grenzen überschreiten und mir so das
Spielerische von damals bewahren. Im Herzen bin ich
daher wohl ein New Waver geblieben. Mit dem Alter
kommt eine wunderbare Gelassenheit dazu: nicht alles
so schwer nehmen. Das Leben muss etwas Spielerisches behalten. Sonst macht es doch keinen Spaß.
Gleich sein
kann ich noch,
wenn ich
tot bin.
Früher Hip-Hopper,
jetzt trägt er
einen »Irokesen«:
Der Schriftsteller
Sascha Lobo.
Sascha Lobo, 33, Punk-affin
Interessant, wie manche Leute auf meinen Irokesenschnitt reagieren. Kinder
lachen mich oft aus: »Guck mal Mami, der Mann mit der komischen Frisur.« Erwachsene sagen manchmal: »Ist Fasching noch nicht vorbei?« Doch die Mehrheit
reagiert positiv. Ich habe nichts dagegen, für einen Punk gehalten zu werden. Obwohl ich als Jugendlicher HipHopper war, im bürgerlichen Wilmersdorf aufgewachsen bin und mir den »Iro« erst vor zwei Jahren wachsen ließ.
Mir gefällt das Kantige der frühen Punkbewegung, das Selbstironische und
dieses »Ich mache, was ich will«.
Die Punks haben das Verkrustete in der Bundesrepublik aufgebrochen, das die
68er noch nicht wegschleifen konnten. Dieses »Ey, das kann ich auch« ist mir sympathisch und spiegelt sich in meinem neuesten Buch wider. Heute bin ich Autor,
Journalist, Blogger und Werbetexter in einem. Ich mische, was ich gut finde: trage
zum Iro einen Anzug, höre Elektropunk und hab’ immer noch dieses urbane
Lebensgefühl des HipHop in mir. Ich bin quasi so eine Art JugendsubkulturBastard.
Mut zur Veränderung kann und sollte man auch jenseits der 30 noch haben.
Damit meine ich nicht, sich so auf Krampf zu verändern wie Madonna. Aber jeder
kann sich ständig fragen: Ist das, was ich tue, auch wirklich das, was ich will?
Ob ich den Iro noch in fünf Jahren trage, wer weiß? Aber um einen seltsamen
Spontispruch abzuwandeln: Gleichsein kann ich noch, wenn ich tot bin.
Kathrin Passig/Sascha Lobo: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken
Selbstdisziplin, Rowohlt 2008, 19,90 Euro.
Unter www.berliner-akzente.de verlosen wir zwei Exemplare des Buches.
Antje Pfeffer, 44, Blueser/Hippie
Mit 13 hab’ ich einen Film über Woodstock gesehen. Wie friedlich die dort der Musik gelauscht
haben. Da hab' ich mich geärgert: Warum war ich so spät geboren?! Ich bin dann mit 16 selbst
in die Blueser-Szene der 80er gekommen. Wir sind zu Konzerten getrampt, reisten nach Prag und
Budapest oder hingen in Parks ab und haben eine Flasche Rotwein rumgehen lassen.
Doch mein Herz schlug für die amerikanische Hippie-Szene. Diese Sehnsucht nach Individualität und Freiheit prägt mich bis heute. Mit 29 habe ich mein Leben umgeschmissen, gab meinen Posten als Bibliotheksleiterin auf und begann in Berlin ein Amerikanistikstudium. Heute bin
ich fast jedes Jahr einmal in den USA . Dieses Friedliche, dieses Gemeinschaftsgefühl und diese
Begeisterung für die Musik sind noch immer ganz stark in mir. Wie schade, dass die Hippies
heute nur mit Esoterik, Sektentum und Öko-Bewegung verbunden werden. Viele vergessen, dass
sie eine Gegenkultur bildeten und ganz für ihre Musik lebten.
Den Rock auf dem Foto oben habe ich selbst geschneidert. Früher habe ich viele Klamotten
aus Bettlaken oder Nachthemden genäht. Auch heute kaufe ich selten von der Stange. Was alle
tragen, finde ich langweilig.
Die Blueser-Hippies lassen mich nach wie vor nicht los. Im Archiv der Jugendkulturen e.V.
arbeite ich als Bibliothekarin. Und meine Freundinnen haben sich neulich gerade über mich amüsiert: Ich schaue immer noch gern Männern mit langen Haaren hinterher. <
Das Herz der
Bibliothekarin Antje
Pfeffer schlug zu
DDR-Zeiten für
die amerikanische
Hippie-Szene.
Die Sehnsucht
nach Freiheit
prägt mich bis heute.