Medical Tribune public 5-6/2007 Diagnose Lymphom Schlechte Nachrichten – wie weiter? Schlechte Nachrichten zu überbringen ist schwer; schlechte Nachrichten zu empfangen um vieles schwerer. Wie es ihnen dabei erging und wie sie heute damit umgehen, darüber berichteten Betroffene am 4. Welt-Lymphomtag an einer Talkrunde mit Nicole Westenfelder (Puls, TV DRS). Er ist Arzt im Ruhestand. Abgeschrieben hat er sich gefühlt, als er zum Patienten wurde, berichtet er. Nicht eigentlich wegen des diagnostizierten Lymphoms, aber es war eine Sepsis hinzugekommen – mit katastrophalen Blutwerten. Doch dank erstklassiger Betreuung im Kantonsspital Liestal hat er sich inzwischen gut erholt. hat sie im Internet über das Krankheitsbild nachgelesen und den Eltern Fragen gestellt. Um die Situation der Mutter besser zu verstehen, begleitete sie ihre Mutter ins Spital zur Chemotherapie. „Ich traf dort viele sympathische Menschen”, sagt sie. „Das hat mich einigermassen beruhigt.” Und die Mutter hat zu ihr gesagt: „Pubertier’ du ruhig weiter.” „Kinder sollten informiert sein”, bestätigt die Psychoonkologin vom Kantonsspital Luzern Carmen Schürer. Sie müssen nicht die genaue Diagnose wissen. Aber sie sollten verstehen können, warum es der Mutter oder dem Vater schlecht geht. Auch wenn die Kranken nicht klagen, drücken sie ihre Befindlichkeit nonverbal aus. Das Kind muss diese Signale richtig deuten können. Carmen Schürer Schrecken muss gross gewesen sein. Aber das sei nicht die Regel, erklärt die Onkologieschwester. Normalerweise erfährt die Patientin oder der Patient eine schlechte Nachricht in geschützter Atmosphäre, und man nimmt sich Zeit zur Beantwortung von Fragen. Ein gewaltiger Schlag Die Onkologieschwester sagt schlicht: „Ich war betroffen, als mir die Diagnose mitgeteilt wurde.” Auch wenn man selber täglich Krebskranke betreut, denkt man kaum daran, dass man ebenfalls an Krebs erkranken könnte. Die Familie gab ihr Halt. „Wir stehen das gemeinsam durch”, beschlossen Mann und Tochter. „Für mich war das Wort Krebs ein gewaltiger Schlag”, berichtet die Tochter. Mein erster Gedanke war: „Nur nicht weinen, um die Mutter nicht noch mehr zu belasten.” Dann Betroffene berichteten am 4. Welt-Lymphomtag, wie sie (und ihre Umgebung) auf die Diagnose reagiert haben. Aufgehoben im Gebet Die Lehrerin erfuhr die schlechte Nachricht quasi zwischen Tür und Angel im Spital: „Sie haben ein B-Zell-Lymphom, aggressive Form”, warf ein Arzt nebenbei hin. Drum herum waren andere Personen beschäftigt. Für Fragen war keine Gelegenheit. Auch wenn sie es nicht ausdrücklich so sagt: Der Der ältere Herr, dessen Beruf nicht zur Sprache kommt, berichtet, dass er sehr nachdenklich wurde, als ihm die Diagnose mitgeteilt wurde. Dabei hat er sich erinnert, wie die Mutter früher mit ihm und den Geschwistern gebetet habe. Das Wort Gott hatte er lange nicht mehr gehört. Als er begann, wieder zu beten, habe er sich aufgehoben gefühlt, ja, während der Chemotherapie hat er plötzlich gespürt, er könnte dennoch alt werden. „Wenn nur die heutigen Eltern mit ihren Kindern wieder beten würden”, wünscht er sich. „Sind Sie auch gläubig?”, fragte die Moderatorin die anderen Betroffenen. Die meisten glauben nicht an einen personifizierten Gott, aber doch an eine höhere Macht. Einige haben Energiearbeit betrieben, Reiki zum Beispiel, „das trägt einen wie auf einer Welle”, berichtet jemand. Der Arzt hat nach seiner Pensionierung Theologie studiert. „Ich hatte keine Angst vor dem Sterben”, erklärt er. „Ich wusste, ich würde in Was ist ein Lymphom? Das lymphatische System ist über den ganzen Körper verteilt und bildet einen Teil des Immunsystems. Mit dem Begriff Lymphom wird ein bösartiger Krebs im Lymphsystem (s. Abbildung) bezeichnet. In der Schweiz erkranken jährlich rund 1500 Personen daran, mit steigender Tendenz. Zu den Symptomen zählen unerklärliches Fieber, starker Nachtschweiss, Gewichtsverlust, Müdigkeit, Leistungsminderung, Juckreiz, Schwellungen der Lymphknoten (s. Abbildung). Nahezu 40 verschiedene Krebsarten des Lymphsystems sind mittlerweile bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet zwischen den Ursprungszellen (B- oder T-Lymphozyten) und zwischen indolenten und aggressiven Lymphomen. Zu letzteren gehört auch Morbus Hodgkin (benannt nach dem englischen Arzt Thomas Hodgkin). Indolente Lymphome haben einen langsamen Verlauf. Solange sie keine oder wenig Beschwer- den verursachen, werden sie beobachtet, da eine frühzeitige Behandlung nur in wenigen Fällen Vorteile bietet. Bei einem aggressiven Lymphom muss eine sofortige Behandlung eingeleitet werden. Eine Nichtbehandlung würde innerhalb weniger Monate zum Tode führen. Der Morbus Hodgkin gehört zu den aggressiven Lymphomarten. „Trotz aller diagnostischen Möglichkeiten können aber noch nicht alle Lymphome genau diagnostiziert werden”, bedauerte der Onkologe Dr. med. Andreas Lohri vom Kantonsspital Liestal (BL). 10 % der Erkrankungen seien keiner typischen LymphomArt zuzuordnen. Dr. med. Andreas Lohri Die genauen Ursachen sind weitgehend unbekannt. „Bei einigen Krankheitsbildern spielen angeborene oder erworbene genetische Veränderungen hinein, bei anderen werden Risikofaktoren wie Strahlung oder Störungen des Immunsystems vermutet. Bei wieder anderen scheinen bestimmte Bakterien (z.B. Helicobacter pylori) oder Viren daran beteiligt zu sein. So zählen das Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber), Herpes- oder Hepatitis-Viren zu den Risikofaktoren ”, erklärte Dr. med. Ralph Winterhalder, leitender Arzt der medizinischen Onkologie am Kantonsspital Luzern. Auch Umweltfaktoren (Pestizide, Haarfärbemittel) seien in der Diskussion. Die Behandlungschancen sind bei einigen Lymphomen heute recht gut. Der Krebsspezialist rät aber bei geschwollenen Lymphknoten zu einer raschen Arztkonsultation, damit die Risiken durch eine körperliche Untersuchung, allenfalls durch Laboruntersuchungen, Gewebeproben und Bilddiagnostik abgeklärt werden können. Dr. med. Ralph Winterhalder In Abhängigkeit vom Lymphomtyp und Stadium der Krankheit kann eine Chemotherapie notwendig werden, ggf. in Kombination mit einer Antikörpertherapie; hierbei hat der Wirkstoff Rituximab zu einer erheblichen Verbesserung der Therapieergebnisse und Überlebensrate geführt. Auch Strahlentherapie, Radioimmuntherapie, Blutwäsche und -behandlung sowie die Transplantation eigener (autologer) oder fremder (allogener) Stammzellen werden als therapeutische Mittel eingesetzt. Als Nebenwirkungen der Therapie treten Müdigkeit und je nach Therapieart Übelkeit, Erbrechen und Haarausfall auf. Während der Therapiephasen besteht Infektionsanfälligkeit. die Ewigkeit gehen. Es wäre gut so.” „Viele Patienten beten wieder”, hat auch die Onkologieschwester erfahren. Sie zünden Kerzen an und holen sich Kraft aus Ritualen. „Auch in der Patientenberatung im Spital spielen spirituelle Fragen eine Rolle, egal ob alt oder jung”, sagt die Psychologin. „Im Vordergrund jedoch stehen die Emotionen. Dann versuchen wir, gemeinsam realistische Vorstellungen zu entwickeln, damit sich die Betroffenen von ihrer Gedankenspirale lösen können.” Oft kommen Familienangehörige mit. Wie gehen Krebskranke mit ihrer Diagnose gegenüber anderen Menschen um? Die Onkologieschwester Medical Tribune public 5-6/2007 vermutet, dass sie Freunde und Bekannte mit ihrer Offenheit schon fast überfordert hat. Die Lehrerin hat es ihren Schülern erzählt. Dass sie als Folge der Chemotherapie die Haare verlieren würde, hat diese besonders fasziniert. Die Schüler haben mitgefiebert, dass die Behandlung anschlägt. Enttäuschenderweise konnten einige Leute mit der Information über die Erkrankung nicht umgehen. Immer noch ein Tabu Auch der ältere Herr bedauert, dass sich Bekannte von ihm distanziert haben. Nur wenige seien auf ihn zugekommen. Seine eigenen vier Kinder reagierten unterschiedlich. Am besten konnte er mit seiner Schwester reden. Seine Frau hat mit Tatkraft reagiert und ihm viele Aufgaben im und um das Haus abgenommen. „In der Partnerschaft hängt Vieles davon ab, wie die Paare schon vorher zusammen gelebt haben”, erklärt die Psychologin. „Wenn man sich elend und wegen der ausgefallenen Haare nicht mehr als Frau fühlt, wenn Sex das letzte ist, an das man denken möchte, dann überlebt eine Partnerschaft besser, wenn sie auch auf Liebe und Fürsorge basiert”, bestätigt die Lehrerin. Die nächsten Angehörigen befinden sich in einer solchen Situation in einer Doppelrolle, erklärt die Psychologin. Einerseits wollen sie das kranke Familienmitglied stützen und von eigenen Sorgen freihalten, andererseits belastet sie die Erkrankung emotional selber sehr stark. Und für die Kranken sei es vor Nachbarn und Bekannten manchmal wie ein Spiessrutenlaufen. Man weiss, sie wissen es. Aber es herrscht Schweigen. Das entfernte Umfeld zieht sich unter Umständen zurück. Krebs ist immer noch ein Tabu. Ehrlich bleiben, nichts vorspielen „Wie auch immer: Es gilt ehrlich zu bleiben, anderen nichts vorzuspielen”, ist die Onkologieschwester überzeugt. Das gilt im Beruf als Schwester wie auch in der Rolle als Patientin. Und vor einem soll man sich hüten: Gute Ratschläge zu erteilen. Niemand kann wissen, was für andere Menschen gut ist. „Ratschläge sind auch Schläge”, sagt ein Sprichwort. Unterstützung in der Selbsthilfegruppe Was haben die Betroffenen aus ihrer belastenden Erfahrung mitgenommen? „Dankbarkeit den Ärzten gegenüber und Vertrauen auf die göttliche Liebe”, sagt der ältere Herr. „Ein Zurückbesinnen auf das Wesentliche”, antwortet die Psychologin. „Einen achtsameren Umgang mit mir selber”, sagt die Onkologieschwester. „Kleine Dinge besser zu schätzen”, erklärt die Lehrerin, und ihre Tochter: „Ich habe gesehen, dass ich ein starkes Mami und eine starke Familie habe.” Der pensionierte Arzt hat erfahren, dass eine Selbsthilfegruppe, in der man sich aussprechen kann, ein wichtiger Helfer in kritischen Situation sein kann. CK Rosmarie Pfau, Gewinnerin des diesjährigen Ermutigungspreises „Nie aufgeben!” In Zusammenarbeit zwischen Rosmarie Pfau (Aesch, BL) und Dr. med. Andreas Lohri, Leitender Arzt der medizinischen Onkologie am Kantonsspital Liestal (BL), wurde im Mai 2001 die Schweizerische Patientenorganisation für Lymphombetroffene und Angehörige (ho/noho) aus der Taufe gehoben. Inzwischen treffen sich Selbsthilfegruppen in Basel, Liestal, Bern, Lugano, St. Gallen und seit November eine weitere in Luzern zu einem regelmässigen Informationsaustausch. Medical Tribune public sprach mit der Gründerin über ihr Engagement. Medical Tribune public: Frau Pfau, welches war Ihre Motivation, eine Patientenorganisation für Lymphom betroffene zu gründen und zu führen? Nach meiner Krebsdiagnose im Frühjahr 1999 wollte ich mich nach dem ersten Schock über die Lymphomerkrankung informieren. Gleichzeitig wollte ich erfahren, wie andere Betroffene mit dieser Krankheit umgehen. Ich fragte meinen damaligen Arzt, ob es in Basel eine Selbsthilfegruppe für Lymphompa- möglichst sinnvoll gestalten. Der Patientenkontakt bereichert mich. Was heisst ho/noho? Das ist die Kurzform von Hodgkin/ Non-Hodgkin, womit traditionell die Lymphom-Grundtypen bezeichnet werden. Rosmarie Pfau tienten gibt. Er verneinte und regte mich an, selbst eine solche zu gründen. Nach einer Bedenkzeit merkte ich, dass dies für mich der richtige Weg war, mit der Krankheit umzugehen: kein Verleugnen, sondern ständige Auseinandersetzung damit durch Information und Konfrontation. Ein weiterer wichtiger Punkt war und ist: Die mir durch die Stammzell-Transplantation geschenkte Lebenszeit möchte ich Rebuilding Lives Award Die Firma Roche sponsert jährlich den „Rebuilding Lives Award” für Lymphom-Patienten. Dieser mit 15 000 Franken dotierte Preis ermöglicht es den Gewinnern, sich damit einen Lebenstraum zu erfüllen. Zahlreiche Patientinnen und Patienten aus aller Welt haben sich dieses Jahr beworben. Eine Jury, die ausschliesslich aus Lymphom-Patienten besteht, hat die Gewinner am diesjährigen Kongress der European Hematology Association (EHA) in Wien ausgezeichnet. Roche möchte mit diesem Preis Patienten Mut machen und zeigen, dass Krebs in vielen Fällen heute heilbar ist und die betroffenen Menschen dank moderner Therapien ihr Leben wieder aufbauen können, „rebuilding their lives”. In diesem Jahr wählte die Jury Rosmarie Pfau, Gründerin der Schwei zerischen Patientenorganisation für Lymphombetroffene und Angehörige (ho/noho), als Gewinnerin (siehe Interview). Sie kandidierte explizit für ihre Patientenorganisation, und der Preis kommt dieser zugute. Weitere Preisträger waren Philipp Kerslake aus Neuseeland, der ein Buch über das Leben mit Krebs veröffentlicht hat, und María Isabel Rojas Solórzano aus Costa Rica, die eine Unterkunft für Lymphompatienten errichten will, die für ihre Behandlungen in die Stadt kommen und sich keine Unterkunft leisten können. Woher nahmen Sie als selbst Betroffene die Kraft? Obwohl mir mein Körper nach den vielen Therapien und einer autologen Stammzelltransplantation im letzten Jahr Grenzen setzt, ist es wahrscheinlich genau diese Aufgabe, die mich stärkt. Zu sehen, dass ich etwas Positives, Sinnvolles bewirken kann. Es ist für mich wie eine Transformation der Energien. Wie viele Menschen mit Lymphomerkrankung treffen sich inzwischen monatlich zum Informationsaustausch? Es gibt Treffen mit acht bis zehn Personen, dann wieder mit weniger. Während der Therapiephasen wird die jeweilige Gruppe vermehrt besucht. Wenn man sich wieder besser fühlt, will man Abstand gewinnen, ins „normale” Leben zurückkehren. In den letzten drei Jahren hat eine Trendwende stattgefunden: Die Anfragen oder Gespräche finden telefonisch oder per E-Mail statt. Oder die Betroffenen kommen in die Gruppe, bis sie alle Informationen haben. Ich aber finde, es gibt keinen Ersatz für das persönliche Gespräch in einer geschützten und wohlwollenden Atmosphäre. Sie haben in diesem Jahr den Rebuilding Lives Award der Roche in Höhe von CHF 15 000 gewonnen. Wie werden Sie das Geld nutzen? Ich fühle mich sehr geehrt, den Rebuilding Lives Award für die Schweiz erhalten zu haben. Vor allem, weil ausschliesslich Patienten bestimmen, an wen der Preis verliehen wird. Nicht Roche hat mich ausgewählt, sondern die Gewinner des Vorjahres. Ich habe den gesamten Betrag der Organisation ho/noho gespendet. Wir werden das Geld dafür verwenden, dass Betroffene und Angehörige bereits beim Arzt einen Hinweis auf unsere Organisation erhalten. Nach einer Lymphomdiagnose sollen Menschen in ein Netzwerk eingebettet sein, von dem sie Beistand, Rat, Zuversicht und Hoffnung erhalten. Aufgrund Ihrer Erfahrung mit der Erkrankung: Was möchten Sie anderen Betroffenen sagen? Es ist wichtig, sich über die Krankheit und Therapiemöglichkeiten zu informieren, da im Verlauf der Erkrankung immer wieder Entscheidungen getroffen werden müssen. Wissen gibt Sicherheit und Kraft. Hinter einer Therapie-Entscheidung zu stehen unterstützt den Prozess positiv. Ambivalente Gefühle und Gedanken wirken eher störend. Wie kann man selbst zu seiner Heilung beitragen? Zu sich selbst stehen, sich selbst und seine Bedürfnisse ernst nehmen, bereit sein, selber etwas dafür zu tun. Ziele haben, ohne sich zu überfordern, im Sinne von „der Weg ist das Ziel.” Etwas umsetzen, das man schon lange tun wollte, aber immer wieder verschoben hat. Gesunde Gedanken pflegen. Persönliche Einstellungen überprüfen und, falls sinnvoll, revidieren. Zuversicht bewahren; in Situationen, wo das schwer fällt, sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hoffnung und Freude bewahren. Nie aufgeben! Adresse: ho/noho -Schweiz. Patientenorganisation für Lymphombetroffene und Angehörige. Verein Lymphome. ch. Weidenweg 39, 4147 Aesch (BL), Tel: 061 421 09 27 [email protected] www.lymphome.ch ANZEIGE
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