Der Wert der Werte – Björn Roskoden Gibt es einen Begriff wie der der „Werte“, welcher in sämtlichen Debatten und Diskursen in Bereichen der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft ähnlich inflationär benutzt wird? Wohl kaum. Abgesehen von dieser rhetorischen Spitze gibt es wohl kaum größere Debatten ohne irgendwelche Bezüge auf Werte, die unser Handeln leiten, leiten sollten oder zu verteidigen sind. Unter dem Begriff der Werte fallen häufig ähnlich vage Begrifflichkeiten wie die der Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit oder den Frieden, auf die niemand verzichtet oder verzichten will. Wer sich mit Politik oder Weltanschauungsgemeinschaften beschäftigt stellt fest, dass diese Begriffe überall auftauchen, jedoch vollkommen unterschiedliche Bedeutungen enthalten. Es wäre absurd anzunehmen, das Verständnis von Freiheit oder Gleichheit in der FDP ist derselbe wie der bei den LINKEN. Nichtsdestotrotz benutzen nahezu sämtliche gesellschaftliche Akteure formal dieselben Begrifflichkeiten. Wie kann das Phänomen der Werte auf kurze und oberflächliche Weise behandelt werden? Zum einen ist es möglich den vorherrschenden status quo einer beliebigen Gesellschaft zu untersuchen um zu ermitteln, welche Werte dort vorhanden sind. Dabei gilt die Daumenregel, je vager und häufiger ein Begriff, welcher unter Werte fällt, benutzt wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass selbiger in allen menschlichen Gemeinschaften zu finden ist. Zum anderen kann es hilfreich sein den Begriff des Wertes negativ zu ermitteln, indem versucht wird zu klären, was nicht zu Werten gehört. Bei dieser Methode ist nichts über die „Wahrhaftigkeit“, Begründung oder den Inhalt der zu untersuchenden Werte ausgesagt. Es fällt dem Leser und der Leserin nicht schwer herauszufinden, dass Phänomene wie Normen, Sitten, Gebräuche oder Traditionen fast ebenso häufig in gesellschaftlichen Debatten auftauchen wie Werte. Oftmals werden diese in einem Atemzug gebraucht oder gar synonym verwendet. Hier gilt es zu unterscheiden. Mit Werten haben Normen, Sitten etc. die Gemeinsamkeit, dass sie normativ, also handlungsleitend sind. Im Gegensatz zu Werten sind selbige jedoch zeitlich und lokal bedingt und nicht zwangsläufig begründet. Ein Mensch, der von Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit etc. spricht, vertritt oftmals den Anspruch, dass selbige gute bzw. nachvollziehbare Gründe enthalten, warum solchen Werten folge zu leisten ist und sich daraus ein „Sollen“ ergibt. Wenn bspw. von kulturellen Normen oder Traditionen die Rede ist, dann ist die Begründung warum dieses oder jenes ein Mensch tun sollte: „Das macht man hier halt so. Das ist Tradition.“. Eine rationale Begründung sieht anders aus und daher muss der Begriff des Wertes getrennt werden von anderen normativen Begrifflichkeiten. Wenn Werte an sich handlungsleitend sind und ein „Sollen“ implizieren, dann wird auch gerne von „müssen“ gesprochen. Hier fängt die begriffliche Schwierigkeit mit dem Begriff des Wertes an. In hiesigen Gebieten muss niemand den Wert- oder Moralvorstellungen einer bestimmten Person zwingend folgen. Ob es gegebenenfalls aus vernünftiger Einsicht getan werden sollte, ist eine andere Frage. Eine Person muss nur das tun, was ein Gesetz ihm vorschreibt tun zu dürfen oder zu unterlassen. Demnach impliziert ein wie auch immer geartetes Recht ein „Müssen“, kein „Sollen“. Diese Unterscheidung entspringt dem Rechtspositivismus, welcher klar zwischen Moral und Recht unterscheidet. Das Gegenstück dazu wäre eine Form der Naturrechtslehre, welche behauptet, es gibt Rechte, die gleichzeitig moralisch sein müssen. Im Naturrecht ist die Kompatibilität zwischen Werten und Rechten notwendig, während im Rechtspositivismus Werte und Rechte kompatibel sein können, es jedoch nicht müssen. Werte wären in Bezug auf Rechte damit hinreichend oder kontingend und umgekehrt. Warum ist eine rechtspositivistische Auffassung zielführender wenn es darum geht, Werte zu bestimmen? Der Rechtspositivismus grenzt die Moral von dem Recht ab. Ein Recht impliziert, dass eine Person einen Anspruch gegenüber einem Dritten durch eine Institution erzwingen kann. Die Moral kann das nicht. Ein Rechtssystem kann niemals Freundschaft oder Solidarität erzwingen, dies kann nur durch eine begründete Moral eingefordert werden. Vor Schreck wird manch Leser und Leserin an die Problematik des Tötens denken, wo es doch scheinbar offensichtlich ist, dass Moral und Recht deckungsgleich sind. Ist dies tatsächlich so? Zum einen ist es richtig und nicht widersprüchlich mit einem rechtspositivistischen Ansatz, dass sich einige Gesetze moralisch ableiten lassen, wie in dem Fall des Tötens. Es muss nicht auf den Ausnahmefall des Krieges geschaut werden wenn es um das Töten geht, sondern es reicht auch ein extremer Fall von Notwehr, in dem das Recht mir erlaubt, jemanden zu töten um mein eigenes Überleben zu sichern. Ob dies moralisch auch einwandfrei ist, ist nicht so eindeutig. Hier unterscheiden sich diejenigen Personen, die ein absolutes Tötungsverbot als Teil ihres Wertekonsens begreifen von denjenigen, die eine Tötung grundsätzlich ablehnen, jedoch Ausnahmen zulassen. Ein Naturrechtler hat damit große Probleme und müsste Moralvorstellungen kompatibel konstruieren oder ableiten in Verbindung mit korrespondierenden Rechten, während der Rechtspositivist klar unterscheiden kann zwischen Moral und Recht. Damit hat er den Vorteil, dass er gesetztes Recht beurteilen kann in (un)moralischen Kategorien. Dafür muss er jedoch den Preis zahlen, grausamste Diktaturen als Rechtssysteme anzuerkennen, solange keine Willkür herrscht. Derjenige, der normative Werte von Rechten klar trennt, hat es damit im Leben zwar nicht einfacher, dafür aber in der Begründung. Die Unterscheidung zwischen „Sollen“ (Werte) und „Müssen“ (Gesetze) ist wichtig, da in gesellschaftlichen Debatten wie zum Beispiel in Fragen der Sterbehilfe, Abtreibung oder Asylpolitik die Ausgangsbasis in den verschiedenen Wertehorizonten liegt. Finden gesellschaftliche Debatten ihren Eingang in die Politik bzw. dem Gesetzgeber, dann kann aus einem „Sollen“ ein „Müssen“ entstehen oder modifiziert werden. Aus einer gewissen Pragmatik treffen sich hier sowohl Rechtspositivisten als auch Naturrechtler. Wenn es letztendlich von Gesetzen abhängt, die die Spielregeln einer Gesellschaft ausmachen, warum braucht es dann noch Moral oder Werte? Zum einen wurde gesagt, dass es schon immer gesellschaftliche Debatten gibt, die, wenn deren Ausgangsbasis in Werten liegt, Eingang in Gesetze finden können. Somit bauen Gesetze kumulativ auf Werten auf. Zum anderen ist es in einem Gedankenexperiment nicht einmal plausibel anzunehmen, es könnte eine funktionierende Gesellschaft geben, bestehend aus Territorium X, öffentlichen Institutionen Yn, Gesetzen Zn und intelligenten Lebewesenn ohne irgendeiner Wertebasis. Mit „ohne irgendeiner“ ist im wörtlichen Sinne keine gemeint. Es ist schlicht unmöglich sich solch eine Gesellschaft vorzustellen, die nicht grundlegende Gesetze irgendwie versucht ethisch zu begründen. Dass diese normativen Begründungen vielfältig sind, selbige sich in ihren Annahmen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren fundamental widersprechen oder Begründungen gar dazu dienen Gesetze abzulehnen oder zu bekämpfen ist so trivial wie es Meinungsverschiedenheiten unter Menschen gibt. Die Ausgangsfrage nach dem Wert der Werte ist demzufolge positiv zu beantworten. Werte sind nicht ein Wink mit dem Zaunpfahl oder alleinige Aufgabe von „Moralaposteln“, sondern in jeder halbwegs denkenden Person vorhanden und notwendige Grundvoraussetzung um irgendein Zusammenleben zwischen den verschiedensten Menschen(gruppen) zu ermöglichen. Ferner, kein Mensch sollte die Frage nach Werten und deren Begründung nur den Philosophen im Elfenbeinturm überlassen. Ave atque vale
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