1 Thesenpapier zum Katholikentag Wie funktioniert

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Thesenpapier zum Katholikentag
Wie funktioniert Wettbewerbsfähigkeit im Sozialmarkt?
1. Das Wesen der Kirche drückt sich in einem dreifachen Auftrag aus: Verkündigung
von Gottes Wort, Feier der Sakramente und Dienst der Liebe. Es sind Aufgaben, die
sich gegenseitig bedingen und sich nicht voneinander trennen lassen. Die tätige
Nächstenliebe ist für die Kirche nicht eine Art Wohlfahrtsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern gehört zu ihrem Wesen und ist unverzichtbarer
Wesensausdruck ihrer selbst. (aus der Enzyklika Deus Caritas Est, Papst Benedikt
XVI., Rn. 25)
2. Die tätige Nächstenliebe (diakonia) findet nicht in luftleeren Raum statt, sondern
spiegelt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wider und wird von diesen maßgeblich mitbestimmt. Die karitative Betätigung von Kirche und Caritas dient einerseits dazu, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen. Andererseits sind die Kirchen –wie es im Sozialwort der Kirchen heißt –„
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Funktionen an die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Maßstäbe und Parameter, die für die anderen gesellschaftlichen Akteure gebunden. Soweit es um Fragen
der Ökonomie geht, also um die möglichst gerechte Verteilung knapper Güter, können sich die Kirchen der ökonomischen Rationalität nicht ohne weiteres entziehen.
Und das ist auch gut so: Denn moralische Forderungen ohne ökonomische Rationalität sind keine Moral, sondern allenfalls Moralismus, sie sind nicht Ethik, sondern eine romantische Wunschvorstellung ohne Realitätsgehalt.
3. Das wirtschaftliche Umfeld der caritativen Arbeit hat sich in den letzten Jahren
grundlegend verändert. Der Bereich der freien Wohlfahrtspflege gerät durch den verstärkten Wettbewerbsdruck und die zurückgehende Finanzierungsbereitschaft der
öffentlichen Hand zunehmend unter Kosten–und Leistungsdruck. Kennzeichnend
für die ökonomische Situation vieler sozialer Leistungserbringer sind Kürzungen,
Budgetierungen, zunehmend auch Ausschreibungen bestimmter sozialer Dienste
durch die Kostenträger und wachsende bürokratische Vorgaben. Einige Träger von
sozialen Einrichtungen begegnen diesen Herausforderungen, indem sie Dienste zurückfahren, ausgliedern, schließen oder verkaufen. Für andere werden Kooperationen zu einer strategischen Option, über die zur Wahrung der Zukunftsfähigkeit verstärkt nachgedacht wird. Auch Fusionen sind als eine Reaktion auf die verschärften
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu beobachten. Die Verschlechterung der Refinanzierungsbedingungen hat den ökonomischen und sozialen Verteilungskampf –
auch innerhalb von Kirche und Caritas –insgesamt verschärft.
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4. In diesem wirtschaftlichen Umfeld spielen die Personalkosten eine zentrale Rolle,
weil sie bis zu 80 % des jeweiligen Budgets der sozialen Einrichtungen ausmachen.
Die Höhe der Personalkosten wird ganz überwiegend durch die Beschlüsse in den arbeitsrechtlichen Kommissionen bestimmt. Die Regelung der Arbeitsvertragsbedingungen in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen (der sog. Dritte Weg) ist
eine Besonderheit des kirchlichen Arbeitsrechts. Der Dritte Weg existiert, weil die
weltlichen Instrumentarien zur Regelung der Arbeitsbedingungen (Tarifvertrag,
Streik und Aussperrung) im kirchlichen Dienst nicht passen. Das Ideal der Dienstgemeinschaft schließt die gegenseitige Druckausübung durch Arbeitskampfmaßnahmen zur Veränderung der Arbeitsbedingungen aus. Daher kommt das Tarifvertragssystem (sog. Zweiter Weg) für die Kirchen ebenso wenig in Betracht wie der Erste
Weg (einseitige Festlegung von Arbeitsvertragsbedingungen).
5. Die Eigenständigkeit der kirchlichen Arbeitsordnung wird man auf Dauer nur erhalten können, wenn es den arbeitsrechtlichen Kommissionen gelingen wird, attraktive
und finanzierbare Arbeitsvertragsbedingungen zu vereinbaren. Im Bereich der Caritas zwingt der Wettbewerbsdruck die Unternehmen dazu, sich stärker an den in der
Regel niedrigeren Referenztarifen der privatgewerblichen Wirtschaft auszurichten.
Das Verfahren zur Regelung von Tarifen ist so zu gestalten, dass es den spezifischen
regionalen Besonderheiten, insbesondere im Hinblick auf die regionalen Refinanzierungsbedingungen und Arbeitsmärkte, Rechnung trägt. Ein bundesweit einheitliches
Vergütungsniveau kann vor diesem Hintergrund wahrscheinlich nicht aufrechterhalten werden. Eine stärkere Ausdifferenzierung und Regionalisierung der Tarife ist
nicht aufzuhalten. Gleichzeitig müssen die Vergütungsstrukturen so attraktiv bleiben,
dass der kirchliche Dienst die besten Arbeitskräfte für sich gewinnen kann. Dieser
Aspekt wird angesichts der demographischen Situation im Land an Bedeutung gewinnen.
6. In einer Welt von pluralisierten Lebensstilen und Wertorientierungen garantiert nur
ein klar konturiertes, unverwechselbares Profil Wahrnehmung und Resonanz. Der
spezifische Charakter katholischer Einrichtungen ist auf dem Sozialmarkt ein besonderes Qualitätsmerkmal, das als auch ein Wettbewerbsvorteil eingebracht werden
kann. Der hohe Bekanntheitsgrad der Caritas, die jahrzehntelange Erfahrung in der
Entwicklung und Bereitstellung sozialer Dienst sowie der Anteil der ehrenamtlich
Engagierten in diesen Diensten ist hierbei besonders hervorzuheben. Kirche und Caritas werden in Zukunft darauf zu achten haben, das spezifisch katholische Profil ihrer Einrichtungen zu schärfen. Es geht um unsere Identität, um unser unverwechselbares Profil, um unser Alleinstellungsmerkmal. Die Klarheit der Sendung muss insbesondere in ethischen und rechtlichen Zusammenhängen erkennbar sein. Sie drückt
sich aber auch aus in der Rekrutierung von Personal, in der Verantwortung der Aufsichtsgremien, der hohen Bedeutung von Seelsorge und Ethik sowie in einer christlichen Mitarbeiterführung und Personalentwicklung. Wenn wir auf unser spezifisch
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kirchliches Profil aufgeben, tragen wir selber zur Säkularisierung der Gesellschaft
bei, betreiben wir Selbstsäkularisierung.
7. Die Kirchen sind und bleiben Mahner für eine gerechte Lastenverteilung zwischen
Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine gerechte Arbeitsordnung ist seit jeher ein zentrales Anliegen der katholischen Soziallehre. Dies muss
aus Gründen der Glaubwürdigkeit auch dort gelten, wo die Kirchen selber Arbeitgeber sind. Daraus ergeben sich gewisse Konsequenzen für das kirchliche Arbeitsrecht.
8. Die den Religionsgemeinschaften durch das Grundgesetz und die Rechtsprechung
des BVerfG eingeräumte Rechtssetzungsmacht wird dauerhaft nur dann Bestand haben, wenn es den Kirchen nach innen gelingt, die von ihnen gesetzten Rechtsnormen
im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts einigermaßen flächendeckend durchzusetzen. Einige kirchliche Einrichtungen begegnen dem verstärkten Wettbewerbsdruck
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bewusst oder unbewusst zur Disposition stellen. Damit setzen sie sich im Widerspruch zur Grundordnung, zu deren Einhaltung alle kirchlichen Akteure verpflichtet
bzw. gehalten sind. Diese Praxis muss in Zukunft konsequenter unterbunden werden,
weil sie der Glaubwürdigkeit der Kirche Schaden zufügt und mit dem Ethos der
Dienstgemeinschaft unvereinbar ist.
9. Kirche als Arbeitgeber wird in Zukunft angesichts eines sich verschärfenden Lohnunterbietungswettbewerbs nicht umhi
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Löhne im unteren Bereich der Vergütungsskala so ausgestaltet sind, dass sie die Existenz der Arbeitnehmer durch Arbeit sichern. Ar
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Ziff. 67). Kirchliche Einrichtungen können es sich nicht leisten, Wettbewerbsvorteile
durch Lohndumping zu erzielen. Das widerspricht der Soziallehre der Kirche und ist
mit dem Sendungsauftrag unvereinbar. Aus diesem Grund ist zu überlegen, ob für
kirchliche Einrichtungen ein Mindestlohn einzuführen ist, der von den kirchlichen
Einrichtungen nicht unterschritten werden darf.
10. Ebenso wie bei der Einführung einer Lohnuntergrenze ist am anderen Ende der Vergütungsskala darauf zu achten, dass Entartungen und Maßlosigkeit bei der Vergütung von leitendem Personal nicht überhand nehmen. Dies setzt zum einen die Formulierung und Einhaltung gewisser Verhaltensstandards verantwortungsvoller Unternehmensführung voraus, zum anderen insgesamt mehr Transparenz und Kontrolle.